Von einer Kreuzotter gebissen
(Ein Schockerlebnis)
Von einer Giftschlange gebissen zu werden, war seit meiner Kindheit an ein Alptraum. Schon die Lehrpersonen in der Schule erklärten uns, wie wir uns in einem solchen Falle verhalten sollten. An den etwa zwei Zentimeter entfernten roten Pünktchen in der Haut könnte man die Giftzähne der Schlange nachträglich feststellen, meinten sie. Ich hatte aber eine echte Panik vor solch kriechenden und am Boden sich dahinschlängelnden Reptilien, die solche Macht über Leben und Tod eines Menschen hätten. Nicht nur wegen der Schlange im Paradies, die Eva verführt hatte, war sie mir eine sonderbare Gestalt im Tierreich. Trost suchte ich auch im „Egger Kirchlein“, wo ich das Altarbild immer wieder genauer ansah. Dort wird ja die Muttergottes so dargestellt, wie sie der Schlange den Kipf zertritt. Aber auf eine Schlange zu treten, getraute ich mich wirklich nicht. Daher nahm ich bei glühender Sommerhitze zur Vorsicht immer einen Stecken beim Hüten mit, im Falle, dass ich irgendeiner solchen begegnen würde. Öfters bin ich zum Glück nicht auf die am Boden mir ausweichende Schlange getreten. Ihr sonderbares Pfeifen hatte mich vorher gewarnt. Ein anderes Mal musste ich der Schlange ausweichen, weil sie ihren sonnigen Platz am Weg nicht mir übergeben wollte. Vermutlich hatte sie damals die junge Brut zu betreuen. Eines Tages sah ich auf der Alm eine ziemlich dicke Kreuzotter. Was hatte sie wohl gefressen? Das musste ich wissen. Ich erschlug sie also und schaute nach. Es war aber nichts anderes als eine harmlose Eichdechse, die sie verschluckt hatte. Nachher legte ich die Schlange auf einen Ameisenhaufen. Als nur mehr das Skelett übriggeblieben war, konnte ich den Wirbelsäulenbau derselben besser studieren. Früher, so sagt mir „Ålbans Jandele“ einmal beim Hüten, habe man aus den Wirbeln Rosenkränze gebastelt. Als ich Lehrer wurde, wollte ich den Schülern einige Exemplare von Schlangen aus unserer Heimat vorzeigen. Dazu musste ich sie vorher töten, um sie dann in einem Glas voll Spiritus aufbewahren zu können. „Obererschbaumer Sepp“ hatte dieselbe Leidenschaft und brachte mir auch einmal eine jüngere Kreuzotter mit, die ich dann ebenso in den nicht verweslichen Zustand brachte. Diese meine Unart muss sich aber unter den Schlangen weitergesprochen haben, denn beim Heidelbeerenpflücken hatte mich im Winklertal tatsächlich eine Kreuzotter gebissen. Es war ein für Schlangen herrliches Herbstwetter. Schwester Moidile war dabei, und mein Auto stand auch nicht weit entfernt auf dem Talweg. Ein Brennen am Fuß machte mich aufmerksam. Zunächst meinte ich, als ich die Wunde sah, ich hätte mich nur auf einem Ast aufgeritzt, denn oberhalb der Schuhe sah ich keine roten Punkte von Giftzähnen, sondern nur seitlich weggerissene Haut. Sonderbar war mir aber das brennesselartige Brennen und die gelbliche Verfärbung. Hätte ich es gesehen, wie mich die Schlange beißt, wäre ich wohl in Ohnmacht versunken. So überlegte ich nur eine Zeitlang, welches Insekt mir wohl diese Wunde zugefügt haben könnte. Ich drückte das wässerige Gift, so gut es ging, so lange aus der Wunde, bis das Blut nachkam. Uns hatte man in der Schule erzählt, dass man das Gift auch aussaugen könnte. Das hätte ich mich aber nie getraut. In diesem Falle hätte ich selbst gar nicht die Möglichkeit zum Aussaugen gehabt. Zur Vorsicht band ich oberhalb der Wunde das Bein mit einem Sacktuch fest zu, damit das Gift ja nicht allzu schnell zum Herz gelangen könnte. Denn eine Stunde nach dem Biss hätte das Gift den Weg über das Blut bis zum Herzen geschafft. Das wusste ich zu gut. Wieder aus Vorsicht stieg ich ins Auto und fuhr allein in das nahe gelegene Gasthaus „Hochspitz“. Auf der Fahrt dorthin ereilte mich in der sogenannten "Greude“ aber doch ein arger Zwischenfall. Mir wurde schwarz vor den Augen und auch Luft bekam ich schwer zum Atmen. Ich hielt an, holte beim herabgekurbelten Fenster einmal tief Luft. So erfing ich mich noch einmal, bis ich zum Gasthaus weiterfahren konnte. Dort trank ich auf Rat der Wirtin „Fane“ einen Liter Cola, und Reinhold führte mich im Eiltempo nach Sillian zu Dr. Hechenleiter. Unterwegs musste ich immer wieder tief Luft holen und den Kopf zum offenen Autofenster hinhalten. Dr. Hechenleiter in Sillian nahm die Sache etwas gelassen. Er schaute mit einer Lupe den Biss an und schickte mich noch in die Apotheke um eine Spritze. Diese verabreichte er mir und entließ mich anschließend. Nahezu einen Monat lang verspürte ich aber leichte Schmerzen an dem verwundeten Fuß. Schließlich war ich aber doch froh, noch einmal mit dem Leben davongekommen zu sein.
Meines Vaters liebste Kalbin musste notgeschlachtet werden...
Dass man Schuldgefühle oft ein ganzes Leben mit sich schleppt, davon zeugt dieses Erlebnis, dass mir von meinem zwölften bis zu meinem fünfzigsten Lebensjahr nicht aus dem Kopf ging. Und das geschah so: Von meinem 11. bis zum 14. Jahre musste ich die Egger und Kirchberger Schafe hüten. Es waren ca. 100 bis 120 Stück, die ich Tag für Tag von den Höhen zur „Breitrast“ auf den „Schatzwald“, auf das „Brandl“ oder auf das „Lärchegge“ treiben musste, wenn es zudunkelte. Zusätzlich bekam ich im Sommer, als der Großteil der Egger Rinder entweder im Rabtal oder im Winklertal für sechs Wochen weg waren, noch den zurückgebliebenen Teil, etwa 20 bis 30 Rinder, zum Hüten. Ich hatte dieselbe Arbeit zu tun, die vor mir etwa Heinzer Hans hatte, wo ich im 1. Jahr nur die Rinder zu betreuen hatte, während der Hans die Schafe hütete. Er war um zwei Jahre älter als ich, und wir trieben zusammen nicht wenig Späße. Vor allem störte mich, dass der Heinzer Hans nicht ungern auf einem gehörnten Widder ritt, indem er zwei Schnüre an die Hörner band und damit seinen Kopf lenkte. Als ich das gleiche einmal tun sollte, tat mir der Widder leid, denn er hatte mit uns viel zu schwer zu tragen. Aber dies ging alles recht gut, bis dorthin, als ich das Hüten der Schafe und Rinder allein machen musste. Lexen Karl hütete damals die vier Oberegger Kühe und trieb sie jeden Tag bis zu den „Bombenlöchern“ auf den „Grönton“. Dass ich viel mit ihm spielte und mich bei ihm aufhielt, kam mir einmal teuer zu stehen, denn ich war mit dem Zusammentreiben der Schafe und Rinder wieder einmal zu spät dran. Die Schafe hatte ich an Ort und Stelle getrieben, aber die Rinder waren noch am „Samboden“, als es langsam Nacht wurde. „Ich komme zu spät heim und kann den Weg nicht mehr finden, wenn ich die Rinder noch zur ‚Loteronhütte‘ oder zur ‚Breitrasthütte‘ treiben sollte“, dachte ich für mich. Von allein gingen sie nicht mehr zur „Hörbige“ und das Schreien von oben oder das Steinchenwerfen interessierte sie wenig, wenngleich sie sich langsam auf dem Weg anstellten, der zur Übernachtung führen sollte. In der Meinung, sie würden das tun, ging ich einfach verantwortungslos nach Hause.- Am nächsten Tag war im Egger Kirchlein eine heilige Messe, die Pfarrer Adolf Jelller auch im Sommer einmal wöchentlich hielt. Heinzer Hans und ich ministrierten gewöhnlich. Als ich beim Kirchlein nach der Messe dastand, nahm mich mein Onkel gleich in die „Zange“ und fragte mich: „Ja, warum sind denn die Rinder so früh auf dem „Samboden?“ Jetzt musste ich schnell zu einer Lüge greifen, denn sonst hätte ich eine „saftige“ Schimpfpredigt erhalten. Ich sagte, dass ich die Rinder gestern abends schon noch auf die „Niglraste“ getrieben hatte (das Wort „Breitrast“ wagte ich nicht zu lügen, denn dann wären sie nicht so früh auf den „Samboden“ gelangt). So hörte ich weiter nichts. Als ich mich aufmachte, und in die Alm ging, stand auf der „Niglraste“ tatsächlich die dunkle Kalbin meines Vaters und fraß nichts mehr. Als ich dies zu Hause erzählte, musste einer meiner Brüder die Kalbin nach Hause bringen, damit man den Tierarzt holen könne. Es war damals der von St. Lorenzen, Dr. Kudelka. Wie ich an diesem Tag ziemlich früh nach Hause kam, sah ich schon die Kalbin, geschlachtet und mit den Hinterfüßen am Stadlüberboden aufgehängt, vor mir. Ich erschrak nicht wenig und fragte gleich, warum der Tierarzt nicht helfen konnte. Die Diagnose war, dass das Kiefer der Kalbin gebrochen war und sie deshalb nicht mehr fressen konnte. Da half nur mehr eine Notschlachtung. Ich sah, wie sich der Vater grämte. Er hatte ja zweimal den ganzen Viehbestand wegen „Tbc“ (Tuberkulose) und „seuchenhaftem Verwerfen“, kurz „Bang“ genannt, veräußern müssen. Die Kalbin stammte eben von einer Mölltaler Kuh mit dem Namen „Wunder“, eine dunkelrotfärbige Pinzgauerkuh, die er teuer auf der Versteigerung in Lienz gekauft hatte. Die zweite Kuh, die er als Kalbin gekauft hatte und „Nadja“ hieß, gab nach dem „Kälbern“ bald keine Milch mehr. Die anderen zwei Kühe bekam er von seiner Schwester, der Ganner Bäuerin. Da ich eben davon wusste, tat mir das neuerliche Unglück mit dem Vieh doppelt so leid, obwohl mich der Vater nie fragte, warum es mit der Kalbin so gekommen ist. Mich selbst trieb aber doch die Neugier, wo die Kalbin gekugelt sein könnte. Bald sah ich auf dem westlichen Steilhang, der an die sogenannte „Ribm“ anschließt und mit hohem „Lischengras“ bewachsen ist, eine Spur. Sie zog sich gerade von oben nach unten, sodass ich gleich wusste, dass dies der Platz sein musste, wo die Kalbin abgekugelt ist. Ich ging der Spur von oben aus nach und sah bald, dass sich die Kalbin beim Hinunterkugeln sehr weh getan haben musste, denn auf der Rinde einiger Bäume sah ich Rinderhaare. Dort hatte sich vermutlich die Kalbin durch das Anschlagen den Kiefer gebrochen. Ich ging ziemlich weit hinunter, fast bis zum Ursprung des „Rieselbaches“, der unterhalb der „Ribm“ hervorquillt und den Weg in den Eggenbach nimmt. Nun wusste ich, was passiert war. Aber ich konnte es fast nicht glauben, dass das Rind noch den Weg von so tief unten bis auf die „Niglraste“ gegangen ist, wo ich selbst schon große Not hatte, dass ich über das steile Gelände wieder auf den „Samboden“ kam. Mein Onkel meinte: „Ja, wie klug doch das Rindvieh ist! Geht es nach so einem Unglück wieder zurück auf die ‚Hörbige‘!“ Ich konnte zu allem nur schweigen und froh sein, dass man mir die erdichtete Geschichte geglaubt hat. Dennoch hatte ich weiterhin ein schlechtes Gewissen, zumal ich selbst ein Tierliebhaber war und mir das Vieh leid tat, wenn es litt. Aus dem Fleisch der Kalbin ließ unser Vater beim Metzger Leiter in Sillian Würste machen, die mir freilich vortrefflich schmeckten. Solche Würste hatte ich bisher noch nie gegessen, wenngleich sie doch irgendwie einen faden Beigeschmack hatten, wenn man ihre Entstehungsgeschichte gewusst hatte. Es ist mir nach diesem Fall nichts mehr passiert, da ich ja sah, welch verheerende Folgen solch eine Nachlässigkeit haben kann, wenn man die übertragene Aufgabe nicht genau genug nimmt. Allmählich wuchs Gras über die Geschichte, doch ganz in Ruhe ließ mich das Erlebte bis zum Tode meines Onkels nicht mehr.
Beim Preiswatten im Gasthof "Hochspitz"
Das „Watten zu viert“ hatte mir der Schneidermeister Josef Klammer, der bei uns öfters auf der „Stör“ war, beigebracht. Es ging dabei nur um sogenannte „Nullen“, die der eine oder andere mit seinem Partner kassieren musste oder einem anderen anhängte. Ich hatte im Watten schon ziemlich Übung bekommen, denn jeden Tag am Abend nach dem Abendessen machten wir mit dem Schneider einige „Partien“, bis wir genug davon hatten und müde ins Bett gingen.- Einmal war im Gasthof „Hochspitz“ in Untertilliach endlich ein „Preiswatten“ angesetzt, und spielsüchtig, wie ich in jungen Jahren eben war, meldete ich mich mit dem „Niescher Toni“ als Partner an. Wir hatten vorher nie mitsammen gespielt, aber er war gleich so wie ich damit einverstanden. Ob wir ein Nenngeld zahlen mussten oder nicht, weiß ich nicht. Jedenfalls war ich bald schon einem Paar zugelost. Die ganze Gaststube war voll von Tischen, an denen jeweils zwei Paare mit gespannten Gesichtern saßen. Wir beide hatten Riesenglück. Wir gewannen die eine Partie wie die andere. Und es dauerte nicht allzu lange, da waren wir schon im Finale. Wir mussten um einen der ersten Plätze spielen. Unsere beiden Gegner waren, soviel ich weiß, der „Oberegger Karl“ und der „Lexen Vater“. Ich hatte wohl einen großen Respekt vor ihnen, denn diese beiden waren wesentlich geübtere Spieler als ich es war. Es waren sozusagen fast schon „Berufswatter“. Die anderen, die bereits ausgeschieden waren, standen mürrisch um unseren Tisch herum und schauten zu, wie wir spielten. Bald stand auf der Schriftführerliste, dass „Niescher Toni“ und ich bereits „gestrichen“ waren, das heißt, das wir auf 9 oder 10 standen, gleich wie auch unsere Gegenspieler. Nun ging es um die „Wurst“. Auch beim letzten entscheidenden Spiel hatten wir beide ein gutes „Blatt“ in der Hand. Da aber von allen Seiten Ratschläge kamen, wurde ich nervös. „Nein, du wirst doch nicht die ‚As‘ auswerfen!“ wollte der eine helfen. Oder „Wie kann man denn so kopflos spielen!“ schrie ein anderer dazwischen. Und schon war es geschehen: Ich machte einen sinnlosen Fehler, denn die Zurufe hatten mich aus dem „Rhythmus“ gebracht. „Verloren!“ brüllten die Freunde der einen. „Da habt ihr selbst schuld!“ hörte man von unseren Helfern. Ja, da half nichts, als eben die eigene Schuld zuzugeben. Der Schuldige war nämlich ich. Ich selbst hatte entgegen meines Einfalles falsch gespielt und verloren. So mussten wir eben mit dem zweiten Preis vorlieb nehmen. Dieser war aber auch preiswert genug, dass wir beide, „Niescher Toni“ und ich, irgendwie zufrieden waren. Ich war sehr stolz, bereits in so jungen Jahren zu einem der besten „Watter“ im Gasthof „Hochspitz“ zu zählen. Einladungen zu einem Spiel aber bekam ich ab diesem Zeitpunkt keine mehr. Denn niemand wollte gegen mich verlieren. Etwas blieb uns beiden aber erhalten: Eine Freundschaft, die eigentlich bis ins späte Alter gereicht hatte.
Wear håt do gikraht?
In meinem Alter als Volksschüler war ich ein ziemlicher Lausbub und war für alle außergewöhnlichen Streiche aufgelegt. Vermutlich hatte ich damals schon ein Vorbild in „Max und Moritz“ von Wilhelm Busch gesucht. Es waren aber viel mehr als sieben Streiche, die ich im Laufe meiner Volksschulzeit hinter mich brachte.
Einer davon ist mir in guter Erinnerung geblieben, vor allem deswegen, weil ich es schließlich doch mit der Angst zu tun bekam. Ich hatte so wie viele andere Buben in meinem Alter eine große Vorliebe, Tierstimmen nachzuahmen. Fast keine Tierstimme im nahen Umkreis war davon sicher. Etwas ist mir dabei aber doch aufgefallen, dass es weder der Kuckuck, noch der Hahn mögen, dass ein zweiter „Hahn“ oder „Kuckuck“ im näheren Umkreis existiert. Und genau das hatte meinen Eifer entfacht. Denn durch das Nachahmen meines „Krähens“ machte ich den Nachbarhahn oder auch den vom eigenen „Gannerhof“ ziemlich rebellisch. Je mehr ich „krähte“, umso mehr krähte auch der Hahn. Heinzer Christian hatte auch diese Begabung, sodass wir fast untereinander wetteiferten, wer der bessere „Kräher“ ist. Dennoch erkannte ich es am Krähen bald einmal, ob ein echter Hahn oder nur ein sich selbst ernannter „Hahn“ am Werk ist. Einmal hatte ich wieder die Idee zu „krähen“. Heinzer Christian „krähte“ im „Oberfritzer Garten“, ich vom offenen Küchenfenster zu „Ganner“ aus. Es war so eine richtige Sonntagnachmittagsstimmung. Auch „Unterfritzer Vater, der Flour“, der nicht ungern nach dem Gottesdienst in Luggau eine kurze Rast im Gasthof „Zur Wacht“ machte, um dort einige Stamperln Schnaps zu konsumieren, war an diesem Tag gut „aufgelegt“. Als dieser nämlich unser „Krähen“ hörte, wurde er genau so zornig wie echte Hähne in Weißglut kommen, wenn irgendwo ein Rivale auftaucht. Der Flour lief eben auch diesen „Krähern“ nach, sah aber keinen Hahn. Denn als er zu „Oberfirtzer“ nachschauen ging, krähte ich beim Küchenfenster zu „Ganner“ hinaus. Gleich darauf lief er wieder diesem Gekrähe nach. So machten wir es öfter. Aber schließlich kam er doch darauf, dass ich in der Küche zu „Ganner“ sein müsse. So kam er in wildem Ärger beim Haustor herein. Mir fiel nicht schnelleres ein, als beim Küchenfenster hinauszuspringen und in den nahen „Ganner Stall“ zu laufen, wo meine Tante und der Onkel die Tiere versorgten. Als mich der Flour in der Küche nicht sah, kam er auch in den Stall, wo er mich beim fleißigen Striegeln der Kühe sah. Sobald der Flour bemerkte, dass ich der „Kräher“ nicht gewesen sein könnte, ging er wieder ruhig heim. Er merkte es sich aber gut, dass wir noch bei weiteren Streichen am Werk sein könnten.
Als meine Schwester Maria in den Starkstrom geriet
Es war im Frühjahr etwa um das Jahr 1960. Meine Schwester und ich waren gerade mit dem elektrischen Pflügen in der „Grube“ fertig geworden. Ich hatte den Pflug, und Maria hatte die Seilwinde bedient. Nun wollten wir wieder alles abmontieren. Zuerst wollte ich das Starkstromkabel vom Motor aufrollen. Die Seilwinde war in der Nähe vom „Seachtrögilan“ aufgestellt. Natürlich musste man die Steckdosen auseinanderklappen, aber da das Moos ziemlich sumpfig ist, fürchtete ich die leitende Fähigkeit des Wassers. Ich dachte eine Zeitlang nach, ob ich die Steckdosen auseinandertun sollte, oder ob ich meine Schwester damit beschäftigen sollte. Im Falle, dass ich in den Stromkreis geraten sollte, würde meine Schwester nicht wissen, was zu tun sei. Im anderen Falle würde ich doch eher helfen können. Gesagt, getan. Ich bat meine Schwester, sie solle die Steckdosen voneinander lösen. Sie tat dies auch. Doch sobald sie das Kabel mit den Steckdosen aufhob, waren meine Befürchtungen schon Wirklichkeit geworden. Meine Schwester war tatsächlich in den Stromkreis geraten, da die Steckdosen vermutlich schon etwas alt waren, und der nasse Boden das übrige dazutat. Meine Schwester schrie plötzlich aus Leibeskräften und hielt die Steckdosen verkrampft in der Hand. Sie konnte sie nicht mehr loslassen. Eine kurze Weile dachte ich nach, dass ich nicht selbst auch noch in den Stromkreis geriete. Ich wusste, dass ein Anfassen mit der Hand auch für mich tödlich sein könnte. So nahm ich einen Anlauf und erwischte „Moidile“ beim Vorbeilaufen am Gewand. So hatte ich die Schwester doch noch früh genug aus der brutalen Affäre befreit, der ihr den sicheren Tod gebracht hätte. Den Stecker erst zuhause aus der Steckdose zu ziehen, hätte viel zu viel Zeit beansprucht. Ein paar Minuten hätte dies sicher gedauert. Aber daran hatte ich gar nicht gedacht. Die Obererschbaumer Mutter ging gerade oberhalb über den Weg von der Arbeit nach Hause und erkundigte sich, warum da jemand so laut geschrien habe. Wir erklärten ihr unser Missgeschick, und wie wir gleichzeitig doch auch Glück im Unglück hatten. Mir war zur Lebensrettung der Unterricht in der Schule zugute gekommen, wo wir öfters über die Wirkung des Elektrostromes hörten. Der Starkstrom war erst nach dem Anschluss an die TIWAG richtig gefährlich geworden. Der Drehstrom vom Elektrowerk in Eggen war nur halb so gefährlich, sodass wir mit dem Strom eher spielten, vor allem weil wir wussten, dass er nur - wie vielleicht heute ein Elektrozaun - elektrisierte. Wenn man mit den Füßen auf einem Holzboden stand oder in Gummistiefeln hantierte, tat dieser Strom soviel wie höchstens einen Brenner. So hatten die älteren Geschwister nicht ungern uns jüngere genarrt, wir sollten doch beim alten Elektromotor, der einen Hebel und mehrere Metallknöpfe hatte, einen Finger auf einen dieser Knöpfe halten. Sie machten es ja auch so. Dabei saßen sie auf dem Holzschlitten, während wir dabei am Erdboden standen. Da hatten die älteren Geschwister wieder etwas zu lachen, wenn sie uns in eine Falle jagen konnten. Der Motor stand zum Antrieb der Güllepumpe meistens herausen beim Misthaufen und musste fast den ganzen Tag, wenn nicht zwei oder drei Tage seine Arbeit machen.
Als "Oberegger Tonile" tödlich verunglückte
Man schrieb das Jahr 1954 und es war der 27. Februar, ein Samstag. An diesem Tag wollten die Egger Bauern die am „Reitertroj“ gefällten Lärchen nach Eggen führen. Diese Lärchen brauchte die TIWAG für die neu zu erbauende Elektroleitung. Bisher musste man sich mit dem schwachen Drehstrom vom „Werkl“ am Eggenbach zu helfen wissen. Dieser genannte Tag sollte aber von einem tödlichen Unfall zu einem der schwärzesten Tage in Eggens Geschichte werden, sodass die Freude über die neue Leitung stark getrübt wurde. Das Führen der Lärchen über den steilen Weg vom „Rieselbach“ musste von Pferden getätigt werden. Dazu war Unterengeler Tone und Wachter Knecht, der Binter Tone, angestellt. Ich kam damals gleich nach dem Unterricht vor dem Mittagessen nach Hause, als ich vom Wachter Knecht hörte, dass drinnen am Bach ein Unfall geschehen sei. So fuhr ich mit ihm gleich am Schlitten mit hinein. Tatsächlich hatte ein Lärch beim Abtreiben am „Reitertroj“ das Oberegger Tonile erwischt und ist über seinen Bauch in die Erlen hineingeschossen. Tonile war auch bei denen dabei, welche die langen Lärchenstämme, die von oben abgetrieben worden waren, in die waagrechte Lage hätten bringen sollen, um sie für den Abtransport nach Eggen bereitzustellen. Mein Bruder Sepp und Heinzer Sepp hatten die Aufgabe, die Stämme auf ein Rufen von unten loszulassen. Herunten war mein Vater, mein Onkel, das Unteroberegger Jaggele, Oberengeler Karl, Unterfritzer Flour u. a. beschäftigt. Die Stämme kamen großteils mit dem Stammstück voraus von oben herab. Dieser eine Lärch, der das Unglück auslöste, kam aber mit dem Wipfel voraus ins Tal. Dass sich die Lärchen am Wipfel gewaltig biegen, war zwar bekannt, aber so unberechenbar wie dieser unten ankam, damit hatte wohl niemand gerechnet. So nahm man es sich auch nicht so genau, etwa weit weg zu flüchten, da ja der Großteil herunten im Graben beim Weg stecken blieb. Unweit davon war der Anker des Aufzugs, der nach Salach führte. Nach dem Ruf nach oben „Gehen lassen!“ ging man also langsam weg, etwa 20 Meter weit, wo man sich sicher glaubte. Oberegger Tonile ging auch verhältnismäßig weit über den Weg in Richtung „Rieselbach“. Als der Unglückslärchenstamm mit dem Wipfel voraus von oben kam, bog sich der Stamm so stark in der Vertiefung, dass es ihn weit nach rechts schleuderte. Genau an die Stelle flog er, wo das Tonile stand. Und so wurde er vom grünen und noch schweren Stamm glatt überfahren. Man musste den Stamm zuerst noch abschneiden, um den Verunglückten, der gewaltige innere Verletzungen erlitten hatte, aus der misslichen Lage zu befreien. Da das Tonile der einzige Sohn meiner Tante war, und wir uns besonders um ihn kümmerten, war es auch mein Onkel und mein Vater, der beim Aufladen des Verunglückten auf den Pferdeschlitten behilflich war. So schnell das Pferd laufen konnte, wurde das Tonile auf den Untererschbaumerhof, also in mein Elternhaus gebracht und dort in der Stube in Vaters Bett gelegt. Der weiße Hund, den Tonile immer mitnahm, war an diesem Tag "außer Rand und Band". Er folgte dem Schlitten bis zu unserem Haus und kratzte an der Stubentür, weil man ihn hinaussperren musste. Der Arzt Dr. Lomoschitz von St. Lorenzen wurde geholt, von Luggau wurde der Prior geholt, damit er dem todkranken jungen Bauern die Krankenölung bringen sollte. Tonile war erst 28 Jahre alt, seine Frau Paula musste daheim 3 kleine Kinder versorgen, wobei das älteste Kind, das Nannele, 1951, das Burgile 1952 geboren worden war. Das jüngste Kind, der kleine Toni war noch nicht ein halbes Jahr alt. So lag nun das Tonile vor uns schwer verletzt im Bett. Mein Onkel fragte, wo es besonders weh tue. Da zeigte der Unglückliche mit der Hand auf den Bauch. Genau darüber war ihm also der Stamm geglitten. Tonile musste gewaltige innere Verletzungen davongetragen haben. Als der Arzt kam, sah er gleich, dass er da nicht viel helfen konnte. Er horchte das Herz ab, und bald sagte er: „So jetzt könnt ihr mit dem Beten beginnen. Das Herz hat aufgehört zu schlagen.“ Der Prior, der etwas verspätet daherkam – er sei nämlich nicht genau informiert worden, sodass er zunächst Richtung Lotteralm gegangen sei - , gab ihm die Letzte Ölung. Das war mein erstes Erlebnis im Alter von 9 Jahren, das mir für den Rest des Lebens eine große Lehre war. Man kann nie vorsichtig genug sein. Tonile wurde mit dem Pferd nach Obereggen geführt, wo es aufgebahrt wurde. Paula, seine Gattin, war fast untröstlich. Beim Begräbnis, bzw. beim Weggang von daheim mit dem Sarg, weinte sie herzzerbrechend. Immer wieder sagte sie, dass dieser Unfall dem Gatten „vorausgegangen“ sei. Er habe immer wieder auffallende Bemerkungen gemacht haben, die den nahen Tod erklärbar machten.
Aus dem Unglückslärchenstamm hat man später ein Unfallkreuz gezimmert, das man an der Unglücksstelle aufstellte. Ich selbst hatte eine heillose Angst, wenn ich abends bei Dunkelheit an diesem Kreuz vorbeigehen musste. Ich meinte, dass da ein unheilvoller Geist am Werk gewesen sei, der auch mich einholen könnte. So lief ich meistens an dieser Stelle vorbei. Erst als ich über den „Rieselbach“ darüber war, fühlte ich mich wieder sicherer. Heute steht das Kreuz am neuen Agrargemeinschaftsweg, gerade oberhalb der Unfallstelle und erinnert die Vorüberziehenden an ein kurzes Memento für den tragisch verunglückten Oberegger Jungbauern. Den weißen „Luchs“, den Hund, der seinem Herrle bis zum Tode treu war, musste man später erschießen, da er vermutlich immer noch nach seinem verlorenen Freund suchte.
Als die „Oberegger Muime“ gestorben war
Es wird wohl nach dem Unfalltod des „Oberegger Tonile“ im Februar 1954 gewesen sein, als sich meine Tante zu Ganner, die Gannerbäuerin, entschlossen hatte, ihre Schwester Nanne, welche Bäuerin zu Obereggen und um 7 Jahre älter als sie war, zu sich nach Ganner zum Pflegen zu holen. Mir ist sie hauptsächlich in Erinnerung geblieben, wie sie in der Ganner Stube einen Diwan zum Schlafen bekam, und wie ich ebenso mein Nachtlager im Winter auf dem Ganner-Stubenofen aufgeschlagen hatte. Sie hatte „offene Füße“, wie man früher sagte, und musste immer wieder an einem ihrer Unterschenkel einen Verband erneuern. Beim Ablösen des alten Verbandes jammerte sie oft vor Schmerzen. Auch bekam sie ein Nachtkästchen neben das provisorische Bett gestellt und einen großen Stuhl, in welchem man einen Nachttopf „versenken“ konnte. Sie kam, so viel ich weiß, selten aus der Stube hinaus. Den Verband legte sie sich selber an, und auf den großen Stuhl zu sitzen, kam sie auch mit eigener Kraft. Es fiel mir auch auf, dass sie immer mit „angezogenen“ Beinen schlief, sodass sich an der Stelle, wo die Knie waren, immer ein etwas größerer „Hügel“ unter dem Bett bildete. Auch hatte sie ein angeschnittenes Schokoladestück am Nachtkästchen, das sie nicht aß, welches mich aber jeden Abend beim Schlafengehen oder wenn ich sonst in die Stube kam, als sie schlief oder sonst nicht gerade anwesend war, zu einem kleinen Diebstahl verlockte. Ich kürzte es nämlich mit einem Messer jedesmal um einige Millimeter, halt so, dass sie es nicht bemerken sollte. Freilich wurde das Stück immer kürzer, und mit der Zeit wird es wohl jemand bemerkt haben: Jedenfalls war die Schokolade eines Tages nicht mehr da. Eine besondere Erinnerung an sie ist mir aber doch geblieben, als die einmal zu ihrer Schwester sagte: „Dieser Bub stirbt, wenn ihr euch nicht besser um seinen starken Husten kümmert!“ Diese Aussage hatte mir so wohl getan, da ich selbst stark unter meiner Wertlosigkeit zu leiden hatte. Zu viele Untugenden hatte man nämlich an mir entdeckt, sodass das Schimpfen wesentlich mehr Kraft beanspruchte als das Loben. Die Geranien am Fenster hatten unter mir zu „leiden“, vom Tarockieren zu "Unterfritzer" kam ich erst spät in der Nacht heim, und auch das Nachtlager war in der Früh nicht mehr ganz trocken. Die Wärme des Stubenofens hatte für das Bettnässen eine sogenannte „Trockenanlage“ entwickelt. Diese Aufmerksamkeit mir gegenüber hatte in mir aber eine größere Zuneigung zur "Oberegger Muime" entfacht. Zum Dank dafür goss ich immer vor dem Zubettgehen einen Weihbrunn in das kleine Becken der grauen, tönernen Lourdesgrotte, die im Herrgottswinkel der Stube stand. Dieses Andenken hatte die Gannertante von der Lourdesfahrt mitgebracht. Die weiße Gottesmutterstatue leuchtete in der Nacht wie eine Nachtlampe zum Stubenofen hinauf und erinnerte mich ständig an meine Untugenden. Das Sonderbare aber war, dass das kleine Becken jeden Morgen trocken war, obwohl vom Weihwasser vermutlich niemand Gebrauch machte. Das Liegen am Stubenofen hatte ich mir schon daheim angewöhnt, da ich immer leicht zu kalt hatte, schon als ich als Bub daheim am Untererschbaum war. Wegen des Bettnässens wachte ich dort im kalten Zimmer immer viel zu früh auf, konnte nicht recht schlafen, da das Leintuch unter mir schon fast gefroren war, und ich nur am kurzen Brettchen, das man zum Anwärmen des Bettes am Abend in das Bratrohr legte, schlafen konnte. Da musste ich ganz still liegen. Der Nachtteil des Stubenofens war aber, dass sich in der Früh ein „Strangel“ über den weißen Stubenofen zog und dass sich am Fußboden ein nicht ganz kleines Rinnsal gebildet hatte.- Soviel ich weiß, kümmerte sich die Schwiegertochter (Oberegger Paula) ein wenig um die finanziellen Ausgaben für das Pflegen, da ab und zu sonntags im grünen Küchenkästchen ein Hundertschillling-Schein gefunden wurde, den sie beim Kirchgang dorthin gelegt hatte. Die Tante, die meistens in der Früh noch mit Stallarbeiten beschäftigt war, hatte die Spenderin bald einmal ausgeforscht. Im großen und ganzen fühlte ich mich in der Ganner Stube neben der "Oberegger Muime" sehr wohl, bis ich eines Tages – es war der 9. Mai 1956 – bemerkte, dass die Oberegger Muime gestorben war. Sie wurde in der Stube aufgebahrt und erst am Tag vor dem Begräbnis in einen Sarg gelegt. Da ich selbst diesen Vorgang beobachtete, weiß ich es noch genau, wie die Threse von „Zainmacher“ sagte, als der Deckel wegen der angezogenen Beine nicht ganz passte: „Tretet doch die starren Beine fest nieder!“ Diese Worte blieben mir lange Zeit in schauriger Erinnerung, da ich meinte, die Tote könnte diese Grobheit noch spüren. .. In dieser Zeit, als es schon wesentlich wärmer geworden war, musste ich mein Nachtlager, wieder in der Kammer oberhalb der Stube bei meinem Onkel aufschlagen. Vor Toten hatte ich in meiner Kindheit aber eine ziemliche Angst, vielleicht weil man in früherer Zeit sehr viele Geistergeschichten erzählte: Verstorbene mussten nach dem Tode oft noch die Steine, welche sie zu Lebzeiten in des Nachbars Feld geworfen hatten, wieder in glühendem Zustand in das eigene Grundstück zurücktragen.- So also hatte ich am Tage vor dem Begräbnis eine noch größere Angst, da ich meinte, die tote "Oberegger Tante" könnte mir folgen, wenn ich am späten allein in mein Schlafgemach gehen müsse. Das Beten der Rosenkränze war bereits vorbei, als ein paar Beter noch in der Ganner Küche einige Anekdoten zum besten gaben. Dazu wurde meistens ein Kaffee mit „Hosneahrlan“ (Hasenohren) gespeist oder es wurde ein Stamperl Schnaps getrunken. An diesem Abend wollten die Leute einfach nicht aus dem Hause gehen. Wegen meiner Angst wollte ich beharrlich auf meinen Onkel warten, damit er sich mit mir zu Bett begeben könnte. Aber es wurde immer später und später, bis meinem Onkel die Geduld riss und er sagte: „Geh‘ doch einmal zu Bett, sonst bringt man dich in der Früh nicht aus den Federn!“ Ich wollte nicht widersprechen, schon deshalb, damit niemand merken sollte, wie sehr ich Angst vor dem Alleinsein hatte. Ich rannte also bei der Küche hinaus, und da der Stiegenaufgang damals noch bei der Stubentür war, musste ich zu meinem Verdruss noch bei der offenen Stubentür vorbei. Ich lief, so schnell ich konnte, über die Stiege hinauf, sprang in die Bettstatt und zog mir das Bett bis über den Kopf. Vermutlich bin ich dabei aber rasch eingeschlafen, weil ich den Onkel beim Zubettgehen nicht mehr bemerkt habe.- Als langjähriger Ministrant war ich bei vielen Begräbnissen in der Nähe des Grabes, und wegen der großen Verwandtschaft im Dorfe mussten wir bei vielen Begräbnissen dabei sein. Pfarrer Jeller meinte in der Religionsstunde, dass bei der „Oberegger Muime“ ja fast alle Schulkinder in Eggen verwandt seien, sodass die ganze Klasse an diesem Begräbnis teilnehmen würde. Ich höre heute oft noch das Steinepoltern, das man vom Friedhof noch in die Kirche hörte. Die Totengräber mussten während des Requiems das Grab zumachen, da früher immer die Beerdigung vor der hl. Messe stattfand. Oft meinte ich, dass die Toten durch das Hinunterwerfen der Steine auf den Sarg noch einmal aufwachen könnten. Zu viele Geschichten hatte man von solcherlei Zwischenfällen gehört. Sogar im Grabe auf die Seite gedreht hätten sich einige Tote, erzählten übereifrige Totengräber. Dem „Totenbeschauer“, damals war es Dr. Müller von Sillian, wollte ich wenig Glauben schenken. Denn Jesus hatte ja einmal gesagt: „Das Mädchen ist nicht gestorben, es schläft nur!“ Über meine Ängste durfte ich natürlich mit niemanden reden, denn dies wäre als Schwäche ausgelegt worden, und man wollte ja auch so „stark“ wie die Erwachsenen sein. Im übrigen hatte ich auch die Meinung, dass der Friedhof am frühen Tod meiner Mutter schuld sei. Dieser hatte mir meine Mutter genommen.... Ich fürchtete mich deshalb auch noch, nachts beim Friedhof vorbeizugehen. So ging ich in der Folge auch untertags ganz selten auf ein Grab und machte ebenso selten bei den Ablässen mit, wo ein Friedhofsbesuch unumgänglich gewesen wäre. Heute, ca. 50 Jahre nach diesem Erlebnis, sehe ich den Tod mit anderen Augen, zumal ich ihm selbst schon mit sechzehn Jahren einmal ins Auge sehen musste. Ziemlich sicher hatte der hl. Pater Freinademetz mein Gebet um Gesundung erhört.
Als mir einmal der Einachsschlepper kugelte
Ich mag damals etwa 15 Jahre alt gewesen sein, als mir bei Ganner ein großes Missgeschick passierte. Mein Bruder Lois war ein großer Freund der Arbeitserleichterung und war deshalb auch in Eggen der Bauer, der ziemlich viele Maschinen und Fahrzeuge kaufte, wenngleich er von der Ganner Tante und vom Ganner Onkel nicht wenig Kritik einstecken musste. Am meisten verärgert war die Tante, die ihm ja die Landwirtschaft vererbt hatte, als er eine Mähmaschine um ca. 5000S gekauft hatte. Zuviel Gras ließ sie beim oberflächlichen Mähen stehen, sodass ich nach dem Mähen mit derselben nicht wenig stehendes Gras mit der Hand abzureißen hatte. „Zu wenig Heu werden wir im Stadel zum Fütttern haben“, meinten sie. Ziemlich viel Futter brauchte auch das sogenannte „Kühgras“, das wir im Sommer in den Stadel zu bringen hatten. Über das Wochende musste sehr viel Gras eingebracht werden, da man am Sonntag ja nicht arbeiten durfte, außer das Vieh im Stall versorgen. Für jede der vier Kühe, die man untertags auf der Lotteralm hüten musste, sollte pro Mahlzeit ca. ein Korb voll Gras eingetragen werden. Das war keine leichte Arbeit, da das Gras besonders Gewicht hatte. Umso mehr froh war ich, als mein Bruder um 50.000 S einen Einachsschlepper gekauft hatte. Ich war natürlich der erste, der dieses technische Wunderwerk in Anspruch nahm und bald mit demselben alle möglichen Arbeiten tätigte. Darunter fiel auch das Einbringen des „Kühgrases“, das man meistens erst am Abend machte.
Einmal hatte ich wieder auf der Westseite des Futterhauses mit der Mähmaschine einen gewaltigen Fleck Gras gemäht, das ich mit dem Fahrzeug einbringen wollte. Dazu fuhr ich rückwärts am Weg entlang. Dieser führte gerade unterhalb meines Grashaufens vorbei. Das Gras hatte ich nach dem Mähen fein säuberlich nach unten ober den Weg zusammengerecht. Es war schon ziemlich dämmerig, als ich an der Stelle, wo der Weg etwas schräg war, hingefahren war. Während ich also dabei war, mein Fahrzeug langsam zum Stillstand zu bringen, sah ich plötzlich, dass sich der vordere Teil, wo der Motor zum Antrieb untergebracht war, zum Umstürzen neigte. Das obere Rad war schon 10 cm in der Luft. Ich bekam es mit der Angst zu tun, dass ich samt dem Fahrzeug abkugeln könnte, und sprang deshalb vom Sitz ab. Leider hatte ich nur die Kupplung getreten, und der Rückwärtsgang war noch eingeschaltet. Als ich eben absprang, setzte sich der Schlepper wieder selbständig in Gang und kippte gleichzeitig um. Nun war das Unglück perfekt! Ich hatte keine Möglichkeit, etwas zu unternehmen. Im Gegenteil, ich wäre beinahe selbst noch unter das Fahrzeug geraten, da ich es irgendwie aufhalten wollte. So lief ich die längste Zeit vor dem sich zu Tale stürzenden Schlepper her und vergass beinahe, dass er mich selbst überrollen könnte. Ich sah, wie der Motor noch immer weiterlief, ich sah wie der Diesel aus dem Tank spritzte und konnte nichts machen, als zuschauen. Tatsächlich rollte der funkenspeiende Einachsschlepper selbständig an mir vorbei. Da aber beim Rollen die hinten angebrachte Kiste einen größeren Radius hatte, stellte sich der Schlepper immer mehr in die Senkrechtlage, sodass er gerade noch vor dem großen Abhang ins Tal, also beim Anker des südlichen Aufzuges stehen blieb. Das Fahrzeug hatte aber tiefe Löcher in das Erdreich geschlagen. Man sah hinterher genau die Spur des Absturzes. Ich war zutiefst erschrocken, da ich wusste, wieviel Geld das „Wunderwerk“ gekostet hatte. Wer sollte ein neues kaufen? Ich selbst hatte ja überhaupt kein Geld. Lange Zeit getraute ich mich nicht heim, obwohl ich wusste, dass der Unfall bei Ganner bemerkt worden war. Erst gegen Zudunkeln schlich ich mich ins Haus und wich jedem Gespräch aus.
Zu meiner Verwunderung erhielt ich für dieses Missgeschick nicht die übliche „Schimpfpredigt“, sondern man war eher froh, dass mir nichts passiert war. Der Schlepper war tatsächlich noch fahrbereit, und der Schmiedemeister Reisenzein richtete ihn um ca. 1.500 S wieder her. Das war natürlich viel weniger, als mein vermuteter neuer Schlepper gekostet hätte.
Dieses Erlebnis war mir wieder eine große Lehre, wie leicht so ein Unfall am Bauernhof passieren kann, besonders wenn man der Technik allzuviel Vertrauen geschenkt hatte.
Beim Heuziehen
Das „Heuziehen“ war eine der Höhepunkte im ganzen Winter. Man wusste, dass man als „Heubringer“ immer gelobt wurde, besonders wenn man mit den „Fudern“ daheim ankam. Freilich war auch das ausnahmsweise gute Essen schuld am außergewöhnlichen Einsatz oder auch der an die Arbeit anschließende „Tarockierer“, auf den ich ganz versessen war. Nichts lieber tat ich in meiner Jugendzeit als „Tarockieren“. Und von den „Kartenspielen“ hatte es mir am meisten das „Tarockspiel“ angetan. Nächtelang frönte ich bei „Unterfritzer“ diesem Spiel mit meinem Bruder Sepp, mit „Heinzer Sepp“ und mit dem alten „Fritzer Flor“, der immer seine „Groschenbüchse“ vom Kasten holte. Es ging also auch darum, einige Schillinge zu verdienen.- Beim „Heubringen“ nicht mitgenommen zu werden, empfand ich fast als Strafe. Man wollte es den älteren Burschen einfach gleichtun und sich mit ihnen die Kräfte messen. Eines Winterabends hörte ich, wie Heinzer Sepp und méin Bruder überlegten, dem „Oberhuiber“ von Huben bei Obertilliach vom „Oberengeler Brunner“, welches er gepachtet hatte, das Heu zu holen. Diesen nannten wir einfach „Milchmesser“, weil er in einigen Häusern, darunter auch bei „Ganner“, wo ich zu dieser Zeit wohnte, die Milch maß und dabei nicht selten auch übernachtete. -Ich weinte fast, als ich vernahm, dass man ohne mich das Wiesenheu heimbringen wollte. Auch wenn es hieß, am Abend wegzugehen und das Heu in der Nacht heimzubringen, war ich einer von den Eifrigsten, der sich diese Arbeit nicht entgehen lassen wollte.- Um Silvester war es üblich, dass man ebenfalls in der Nacht das Heu von der Alm holte, um pünktlich vor nachmittags um 3 Uhr bei der Abschlussandacht in der Kirche von Untertilliach zu sein. Ab diesem Zeitpunkte durfte niemand mehr bei der Arbeit zu sehen sein. Ich ging also nach dem Abendessen diesmal auch mit, wenngleich ich kein richtiges Schuhwerk fand. Die Nagelschuhe, die ich anzog, waren viel zu klein und passten mir gar nicht. Freilich musste man auch warme Kleidung und gute „Lodenstiefel“ anziehen, damit nicht der Schnee hinter das Schuhwerk eindrang. Handschuhe und warme Bekleidung waren eher Mangelware. Ich holte wie meine Arbeitskollegen die „Ferggl“ mit dem „Wiesbaum“ vom Stadel, die Seile (ein „Bindseil“ und eine „Pro“, wie man das dünnere Seil für die beiden Außenseiten beim „Heufuder“ nannte), nahm diese auf meine Schultern und ging mit den anderen „Heubringern“ den steilen, etwa zweistündigen Fußmarsch hinan, mit einem kurzen Rechen in der Hand. Der Himmel war klar und der Vollmond zeigte mir den Weg. Weit war der beschwerliche Weg über die „Heuriese“, denn dieses Mal galt es, dem Onkel das Heu von der „Oberfritzer- bzw. Untererschbaumer-Alm“ zu holen. Wir benützten im Sommer diese „Schupfe“ gemeinsam. Die eine Hälfte gehörte uns, die andere meinem Onkel.
Das sogenannte Fassen des „Fuders“ übernahmen wie immer die Älteren. Da musste zunächst die „Ladestatt“ vom Schnee geräumt werden und das Loch für den „Ladestecken“ gesucht werden, welches man schon im Sommer bei ungefrorenem Boden freimachte. Die “Ferggl“ sollte richtig aufgelegt werden. Unter den vorderen Teil derselben sollte Heu geschoben werden, damit die „Ferggl“ gut aufliegen konnte. Die „Pro“ musste am hinteren Teil der „Ferggl“ eingezogen und gleich auf beide Seiten links und rechts verteilt ausgezogen sein. Dieses Seil war meistens um das hintere „Joch“ der „Ferggl“ gebunden. Dort war noch die kleinere „Witte“ mit dem „Kobel“ für das „Bindseil“ und vorne war die etwas längere „Witte“, ein aus Draht geflochtener Halter, wo der „Wiesbaum“ eingehängt wurde. Ich musste das Heu aus der „Schupfe“ gabeln, was keine leichte Arbeit war, da das Heu oft schimmelig war und deshalb ziemlich Staub aufwirbelte, sodass der Schnee um die „Ladestatt“ oft ganz schwarz vor Staub war. Auch war das Heu in der „Heuschupfe“ ziemlich festgetreten, weil man das Almheu eher in weniger getrocknetem Zustand in der „Blache“ in die Heuhütte brachte. Schwierig war es oft, die Heugabel durch das Heu hindurchzustechen. Zwei weitere „Heubringer“ brachten das Heu (je einer links und rechts) auf die „Ferggl“, verteilten und „fassten“ es auf. Erreichte das Heufuder etwa Brusthöhe, dann stieg der „Fasser“ auf das Heu und führte das gleichmäßige Verteilen allein fort, was eine eigene Kunst war, da es für den Betreffenden ein gutes Augenmaß brauchte, um nicht „aus der Waage zu kommen“. Währenddessen schlichteten und formten andere das „Fuder“ ringsum, glätteten die Flächen mit dem kurzen „Rechilan“ und schrägten die Kanten pfeilgerade ab. Hinten wurde das Heu wesentlich höher als vorne aufgeschichtet. So musste der „Ladestecken“ auch ziemlich hoch sein. Wenn man glaubte, genug aufgeladen zu haben, hängte man den „Wiesbaum“ in die vordere, größere „Witte“ ein. Der hintere Teil desselben hatte zwei Holznägel: einen, um das dicke „Bindseil“ einzuhängen, welches durch das Loch des „Kloben“ am Hinterteil der „Fergel“ gezogen war. Das Bindseil musste jetzt noch um den zweiten Holznagel gelegt werden. Nun gab sich der „Heufuderfasser“ das Seil um den eigenen Körper, um genügend Kraft für das Zuziehen zu haben. Der zweite Helfer zog in gleichmäßigen Abständen unter öfterem „Ho-ruck!“ hinter dem Fuder nach, bis das „Fuder“ fest gebunden war.
Auch das Festmachen des Seiles nach dem Binden bedurfte einer eigens gelernten Kunst. Das „Kunstwerk“ sollte bis zum Entladen auf dem Stadel nicht zerfallen, da beim Ziehen über die „Riese“ tausende kleinere und größere Erschütterungen zu gewärtigen waren. Links und rechts wurde noch das dünnere Seil um das „Fuder“ geworfen und fest zugezogen, um die beiden Seiten mit dem „Rechilan“ sauber abnehmen zu können. Das „Heufuder“ wurde zu diesem Zweck noch abwechselnd auf beide Seiten gelegt, sodass man auch die Unterseite möglichst glatt von lockeren Heuresten befreien konnte. Auf der „Heuriese“ durfte man später möglichst wenig Heu sehen, wenngleich die Rehe mit dem verlorenen „Heuwuzeln“ ihre größte Freude hatten. Nach dem Binden zog man das fertige „Fuder“ eine kurze Wegstrecke von der „Heuschupfe“ weg, stellte es ab und begann mit dem „Fassen“ des nächsten. Wenn die „Schupfe“ etwa bis zur Hälfte geleert war, gab es für jeden den ersten ausgiebigen Schluck aus der mitgenommenen Branntweinflasche. Das letzte „Fuder“ war meistens kleiner als die anderen und wurde „Hund“ genannt. Jüngere Helfer, so wie ich es damals noch war, mussten, sozusagen fast zum Hohn, dieses „Restfuder“ ziehen, bis man später auch die größeren „Fuder“ ziehen durfte. Zum Ziehen wurde vorne ein kurzes Seil durch das „Ferggljoch“ gezogen, welches man sich um die eine Schulter legte. So hatte man zum Befördern des „Fuders“ Kraft genug. Viel wichtiger war aber oft das Bremsen, da der Weg öfters über steiles Gelände führte. Besonders die „Riese“ beim „Los“ oberhalb der „Oberegge“ war eine von den steilsten Fahrten. Zum Glück war es gegen Morgen hin heller geworden, als wir uns zur Talfahrt aufmachten, und vorher beim Aufladen leuchtete der Mond hell genug über die Almen, wo meistens auch noch ein eiskalter Schneewind wehte.- Etwas vom Schlimmsten, was ich in meiner Kindheit bzw. Jugendzeit erlebte, war, dass ich trotz ständiger Bewegung kalt an den Füßen und Händen bekam. Dieses Mal hatte ich aber so kalt an den Zehen, dass ich glaubte, ich hätte sie mir erfroren, was man fürchtete, denn an den Händen musste man das sogenannte „Nägeln“ aushalten, wenn man sie sich „erfroren“ hatte. Das tat dann so weh, bis man wieder normale Körperwärme verspürte, dass man sich lange Zeit später sehr gut noch an den Kälteschmerz erinnerte. Zu enges Schuhwerk war auch ein Grund, dass das Blut in den Füßen nicht gut zirkulierte. Mich wunderte es damals sehr, dass ich keine größeren Erfrierungen davongetragen hatte, obwohl ich das Kältegefühl fast nicht aushielt, bis ich in die warme Stube oder Küche kam.
Wenn man an solchen Tagen endlich das Ziel am Bauernhof erreichte, schmeckte ein Gläschen Schnaps vorzüglich. Erst wenn man das Heu am Stadel gut verteilt hatte, durfte an das gute Essen in der warmen Stube oder der Küche gedacht werden. Dass sich die daheimgebliebenen Frauen um ein reichliches und gutes Essen bemüht hatten, war selbstverständlich. Und schmecken tat es den „Heubringern“ schon deswegen, weil es in einer anderen Familie oder in einem anderen Haus meistens besser mundete und weil man auch genügend Hunger hatte: „Hoosnöhrlan“ und „Niggilan“, Knödel und Kraut, „“Blattlstock“ mit Mohn usw. waren die Hauptgerichte. Und „Hoosnöhrlan“ gab man den „Heubringern“ noch auf den Nachhauseweg für die Angehörigen daheim mit. Der dem kräftigen Essen anschließende „Tarockierer“ in Quartettbesetzung war schon lange Zeit vorher selbstverständlich geworden. Er beschloss dann auch das erlebnisreiche und gesellige, wenn auch mühevolle „Heuziehen“.
Tag der Veröffentlichung: 08.12.2010
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