Neulich auf der Brücke
Am Rande einer Brücke, keinen Schritt vom Abgrund entfernt, stand ein junger Mann, hysterisch um sich blickend und brachte mit leiser, verängstigter und brüchiger Stimme Wörter raus, die Ansätze von Mut enthielten. Auf seinem Gesicht spiegelte sich die Geschehnisse vergangener Tage, die ihn dazu brachten einen Selbstmordversuch nach dem anderen nachzugehen. Seine Kleidung sah aus, als ob er ein obdachloser Penner war, obwohl er aus einer Familie kam, die sehr angesehen war. Der Mond erhellte seine Silhouette in den unendlichen Weiten des schwarzen Horizontes.
Es herrschte Stille, Totenstille, die nur durch die Versuche sich etwas Mut zu machen des Mannes kurz gebrochen wurde. Dennoch besaß die Stille die Oberhand. Doch plötzlich, völlig unerwartet, brach ein anderes Geräusch die unendliche Weite der stimmlosen Töne. Es waren Schritte, die das Gleichgewicht der toten Atmosphäre störten. Sie wurden immer lauter. Ein Mann kam auf den Jungen zu und sein Begleiter war die Finsternis, die seit einiger Zeit hier herrschte. Das Gesicht des Jungen bleichte immer mehr, bei jedem Schritt zuckte er zusammen, Schweißperlen rangen seine Stirn herunter und wurden unter dem Mondlicht kaum sichtbar zu einer Perle der Leiden.
Der Kommende blieb stehen und lehnte sich gegen das Geländer der Brücke. Nach einigen Sekunden, die in der Stille der Nacht für andere wie Stunden vergingen, sah er sich seinen verzweifelten Gesellen an und lächelte. Er schenkte einem Selbstmordgefährdeten ein Lächeln, welches sich auf die Freude dieses Treffens bezog. Es bereitete seinem Gegenüber Freude aber auch Mistrauen.
Er sah in an, musterte jeden einzelnen Gesichtspunkt, als ob er den Grund für sein Verhalten herauslesen wollte. Doch sein Gesicht verriet, dass er leider nichts fand. Er stellte sich Fragen, die in immer mehr zweifeln ließen. Jeder Gedanke eine weitere Qual, die sich in sein Kopf einnistete. Er wollte sich nur in Ruhe das Leben nehmen und jetzt versucht er herauszufinden, was diesen Mann bei seinem Anblick zu so einer Stunde erfreute.
Er formte die Lippen um diese Fragen zu stellen, brach aber kein Wort heraus, kein einziger Ton entwich seinem Mund. Es sah so aus, als ob ein stummer versuchte jemanden etwas zu erklären oder zu erzählen. Er wollte die Hände benutzen, als ihm auffiel, dass er nicht im Stande war etwas zu sagen. Doch diesen Einfall ließ er wieder fallen, als ihm einfiel, dass das der letzte sichere Hallt vor dem Abgrund war.
Nach dieser Erkenntnis klammerte er sich fester ans Geländer. Splitter fraßen sich durch die Haut, Blut entwich seiner Hand, verteilte sich über dem Geländer. Langsam bildete sich aus dem fliehenden Blut ein Muster, das an ein Venenmodel eines Menschen erinnerte. Jede Sekunde breitete sich dieses Modell aus, doch der Junge realisierte die Schmerzen nicht, er war zu geschockt über seinen plötzlichen Wunsch zu Leben. Er konnte nicht mehr loslassen. Der Wunsch war aus irgendeinem Grund, der ihm unbekannt erschien, zu groß.
Sein gegenüber schien sein Problem zu verstehen. All seine Fragen sah er ihm an und lachte. Dieses Lachen erhellte das Gesicht des Jungen. Er schwang sich mit neuer Kraft über das Geländer. All die Zweifel, die Sorgen entwichen seinem Gesicht und er lächelte ebenfalls. All die Gefühle, die ihn über die Jahre in den Wahnsinn trieben, waren weg.
Der Mann in schwarz hatte plötzlich einen weißen Anzug an. Das weiße leuchtete in der düsteren Schwärze der Nacht. Er ging auf den Jungen zu, legte die Hand auf seine Schulter und sprach:
„Wenn du wieder in dir zweifelst, rufe mich, ich werde dir helfen.“ Genau so unerwartet wie er gekommen war, verschwand er wieder und ließ keine einzige Spur, die an seine Anwesenheit erinnerte. Er ließ den Jungen zurück, mit neuem Mut ins Leben zurückkehren.
Die Sonne zeigte sich am Horizont und erhellte mit weichen Strahlen den Ort, an dem vorher ein Selbstmord verhindert wurde.
„Danke alter Freund“ flüsterte er in den aufgehenden Tag und schritt zurück ins Leben.
Texte: Text von mir!
Bildmaterialien: pigs.de
Tag der Veröffentlichung: 20.06.2012
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