Song ist von Razorlight
http://www.youtube.com/watch?v=6cGiEdPH66Q
Ich starrte aus dem Fenster in die verregnete Landschaft.
Bäume mit gelben und roten Blättern rauschten an uns vorbei. Ab und zu spritzte das Wasser aus einer der großen Pfützen auf der Straße bis ans Fenster, wenn das Taxi durch sie hindurch fuhr.
Dreck und Tropfen trübten so langsam meine Sicht auf die triste Umgebung, die meine Stimmung wiederzuspiegeln schien.
„Noch 15 Minuten.“ Riss mich eine kratzige Stimme aus meiner Starre.
„Hmm?“
„Nach 15 Minuten, dann treffen wir im ‚Landgraf Manor’ ein.“
Na super. Wie ich mich freute den spießigen, selbstverliebten, feinen Pinkel von meinem Bruder wiederzusehen.
Unwillkürlich schnaubte ich. Noch zu gut konnte ich mich an seine ‚guten Manieren und tadellosen Umgangsformen’ erinnern, die meine Mutter immer so hoch gepriesen hatte.
Ich würde ihn ja eher als arschkriechenden Lackaffen bezeichnen, aber meine Meinung hatte zu Hause ja noch nie viel Gewicht gehabt.
Ich räkelte mich. Die Nacht war schlimm gewesen und zähneknirschend musste ich mir eingestehen, dass ich mich auf mein eigenes Bett freute.
Parkbänke und Schlafsäcke waren eben nicht gerade optimal für einen gemütlichen Schönheitsschlaf.
Plötzlich hielt das Taxi an. Wir standen vor einem riesigen, silbernen Tor, dass ein von hohen Hecken umsäumtes Grundstück verriegelte. Das passte so perfekt zu meiner Familie.
Als sich das Tor öffnete, fuhren wir langsam über den Kiesweg auf ein riesiges Gebäude zu.
Das war also das ‚Landgraf Manor’.
Gar nicht so schlecht, wie ich es mir vorgestellt hatte. Es hatte den Charme eines Weinguts oder alten Gestüts…nur war es um einiges größer.
Ein cremefarbenes Hauptgebäude, dessen zwei Flügel einen gepflasterten Vorhof umrahmten. Die Fensterläden waren aus dunklem Holz, ebenso wie die massive Tür, vor der ich jetzt stand. Zögerlich blickte ich mich um. Ich kam mir so klein, regelrecht unbedeutend vor und Unsicherheit überkam mich. Komisch, das hatte ich schon lange nicht mehr empfunden. Noch nicht einmal, als ich von zu Hause abgehauen war.
Ich atmete einmal tief durch und hob den schweren Türklopfer an. Das laute Pochen, mit dem er auf die Tür traf, ließ mich zusammen zucken. >Reiß dich zusammen!< ermahnte ich mich selbst.
Nach kurzer Zeit wurde die Tür geöffnet.
„Ah Miss Landgraf. Herzlich willkommen! Der Master erwartet sie schon im Studierzimmer. Folgen sie mir. Gerd wird ihre Koffer auf ihr Zimmer bringen.“ Begrüßte mich ein höflich lächelnder Butler.
Schon dieses erste Zusammentreffen in meinem neuen ‚zu Hause’ kotzte mich so an, dass ich mich am liebsten auf der Stelle wieder umgedreht hätte, um schleunigst zu verschwinden.
Statt meinem Instinkt zu folgen folgte ich nun aber dem Mann durch die Gänge.
Oh mein Gott! Und ich hatte unser altes Haus für groß gehalten…aber das hier musste die Ausmaße des verdammten Schloss von Versailles haben. Nicht so protzig, was mich wunderte, aber wahrscheinlich würde ich mich auch in einem Jahr noch hier verlaufen. In einem Jahr…wenn ich dann überhaupt noch hier wäre.
Schließlich hielten wir vor einer Doppeltür an, die der Butler – ich musste ihn unbedingt mal nach seinem Namen fragen – schwungvoll öffnete.
„Master? Die junge Miss ist da.“
Der ‚Master’ alias mein verwöhnter Bruder saß mit dem Rücken zu mir zusammen mit drei anderen Jungs an einem Tisch.
„Adriana! Wie-“ während er sich zu mir umwandte, verschwand sein gekünsteltes Lächeln und auch seine Stimme verlor ihre anfängliche Süße „Wie zum Teufel siehst du denn aus?!“ Sein Blick wanderte über meine Gestalt. Von meinen blauen Haaren hinunter zu meinen rot karierten Dr.Martens. Seine Freunde begafften mich, als wäre ich ein grünes Marsmännchen mit Antennen auf dem Kopf.
„Was! Noch nie ein Mädchen gesehen?!“ blaffte ich sie an.
„Scheiße Cedric, deine Schwester sieht aus wie eine abgefuckte Punk-Pennerin.“ Wandte sich der Typ direkt neben meinem Bruder an ihn.
Ich musterte ich ihn genauer. Grüne Augen, dunkelblonde Wuschelhaare, groß, typische Footballer Statur. Mit ein oder zwei Piercings sähe er ziemlich heiß aus… aber so gehörte er ganz offensichtlich der Art meines Bruders an: reiches Arschloch.
Deshalb zog ich vor, ihn zu ignorieren. Ich hatte schon mit einem genug zu tun.
„Wo ist mein Zimmer?“ fragte ich Cedric nur kalt.
„Adriana! Wie zum Teufel siehst du aus?!“
„Das siehst du doch, oder? Zumindest als wir uns das letzte Mal gesehen haben, funktionierten deine Augen noch einwandfrei.“ Ich drehte mich um und verließ dieses lächerliche Studierzimmer ohne weiter auf den empörten Ausruf meines Bruders zu achten. Mit ihm konnte man sich genauso wenig vernünftig unterhalten wie früher. Naja, was hatte ich auch erwartet? Schließlich stand er ja so unter dem Einfluss unserer Eltern, dass schon eine Gehirnwäsche nötig gewesen wäre, um ihn von seinem feinen Pinkel Gehabe weg zu bekommen.
Ich schenkte dem Butler ein Lächeln der netteren Sorte „Könnten Sie mir den Weg zu meinem Zimmer zeigen…bitte?“
Etwas unschlüssig wanderte sein Blick zwischen mir und der Tür, die ich soeben zu geknallt hatte, hin und her.
Mein Lächeln wurde noch eine Spur breiter und schließlich drehte er sich um und ging den Ganz entlang.
„Folgen Sie mir bitte, Miss.“
Nachdem wir zwei Etagen höher gestiegen waren, blieb er vor einer Holztür stehen.
„Ihre Räumlichkeiten, Miss. Wenn sie etwas benötigen, drücken Sie einfach auf den Knopf neben der Tür und es wird jemand kommen, um sich darum zu kümmern.“
„Vielen Dank. Aber bitte nennen Sie mich Adriana.“
„Aber Miss-“
„Bitte. Mit dem Miss komm ich mir immer so schrecklich alt vor. Und wie heißen sie eigentlich?“
Er seufzte kurz. Wow die erste menschliche Geste seit meiner Ankunft, die darauf hinwies, dass er nicht das neuste Roboter Modell eines perfekten Butlers war.
„Toni. Ich werde Sie jetzt alleine lassen, Mi- … Adriana.“
Ich betrat den Raum und war überwältigt.
Mein neues Reich wurde von einem großen Himmelbett mit Samtvorhängen dominiert. Die Wände waren in einem warmen Cremeton gehalten, die Vorhänge dunkelrot und die Decke wurde von schwarzen Holzbalken gestützt. Zugegeben, etwas kitschig, aber ich stand auf so etwas.
Ich entdeckte eine Tür rechts an der Wand. Wahrscheinlich das Badezimmer.
Nicht anders zu erwarten war es verboten riesig und mit allem Luxus ausgestattet, den man mit Geld kaufen konnte.
Nachdem ich die letzten sechs Wochen auf der Straße verbracht hatte, musste ich mir nun zähneknirschend eingestehen, wie sehr ich nicht nur mein Bett, sondern auch mein eigenes und vor allem SAUBERES Bad vermisst hatte. Ein Seufzer entfuhr mir.
Verdammt! Ich war viel zu verwöhnt.
Wütend auf mich selbst ließ ich warmes Wasser in den Whirlpool ein.
Meine dreckigen Klamotten warf ich auf einen Haufen möglichst weit weg von mir. Mit denen war nichts mehr anzufangen. Zeit mal wieder shoppen zu gehen. Schon wieder etwas, wozu ich dieses Scheiß-Geld dringend brauchte. Schon wieder etwas, auf das ich in letzter zeit nur schwer hatte verzichten können. Schon wieder etwas, dass mir zeigte, wie viel schwächer ich war als sie.
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Song dieses Kapitels ist von den brillianten Ärzten
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Sie das war meine Familie. Meine echte. Nicht meine Erzeuger und der feine Pinkel von Bruder, sondern Eddi, Casper, Lili und die anderen. Sie waren wirklich für mich da, hatten mir gezeigt, was echte Freundschaft und wahres Vertrauen waren.
Sie akzeptierten jeden so, wie er war.
Nicht so wie meine Eltern. Die versuchten nur, mich in ihr Schema einer perfekten Tochter hineinzupressen und nörgelten über eine nicht perfekt sitzende Frisur, Löcher in der Jeans, eine schlechte Note in der Schule und generell jeden, der nicht dem Stereotyp reich-gepflegt-08/15 entsprach.
Als ich mich ins warme Wasser sinken ließ, leerte ich meinen Kopf von allen Gedanken, die mit meinen Eltern zu tun hatten. Ich musste grinsen. ‚Die negativen Schwingungen verbannen’ würde Lili das jetzt nennen. Gott! Wie ich dieses verrückte Mädchen mit ihrem esoterischen Geschwafel vermisste.
Nachdem ich eine gefühlte Ewigkeit im warmen Sprudelwasser verbracht hatte, erhob ich mich stöhnend. Mein Rücken tat weh und auch die Kratzer an meinen Armen und Beinen meldeten sich mit schmerzhaftem Brennen zu Wort. Egal, die würden bald verheilt sein.
Ich stellte mich vor den riesigen Spiegel und musterte mich.
Hmm… in den Wochen auf der Straße hatte ich zwangsläufig abgenommen. Das schadete mir jetzt aber nicht unbedingt. Ich hatte immer noch etwas Speck auf den Hüften, aber bekanntlich stehen ja nur Hunde auf Knochen.
In den letzten vier Jahren hatte ich mich langsam damit arrangiert, dass ich nie die 90-60-90 Modelmaße haben würde und dass es auch andere Formen von gutem Aussehen gab, als die Vogelscheuchen aus den Modekatalogen.
Lili und Eddi hatten mich zu einem Piercing überredet. Ich wollte schon immer eins am Bauchnabel haben, aber ich war so ein Schisser und hatte tierische Angst vor dem Durchstechen. Als sie mich schließlich so weit überzeugt hatten, kamen die beiden als moralische Krücken mit und tja… nun zierte ein echt cooler Ring meinen Bauch.
Die paar Tränen, die ich mir nicht hatte verdrücken können, trockneten schnell in Eddis Lederjacke und am Ende waren wir alle furchtbar stolz auf mich gewesen.
Ähnlich war es mit meinen Haaren abgelaufen.
Meine Mutter hatte immer ein heiden Theater um meine blonden Locken gemacht. Ein Mitentscheidungsrecht hatte ich da gar nicht. Dabei fand ich blond doof!
Zumindest meins, das über die Jahre immer dunkler geworden war.
Also ging Lili schließlich mit mir zu einem ‚alten Bekannten’ (von denen hatte sie ziemlich viele), der mir einen neuen Look verpasste. Ich liebte ihn!
Sicher hatten nur wenige meinen Haarschnitt…
Zunächst einmal waren meine Haare blau. Mitternachtsblau.
Über dem rechten Ohr waren sie rappelkurz, über dem linken zu fünf Strähnen an der Kopfhaut nach oben geflochten, wo sie dann zusammen mit den anderen lockig bis auf Höhe meiner Brüste fielen.
Als meine Mutter mich das erste Mal damit sah, wurde sie erst weiß und dann Tomaten rot.
Ein wirklich faszinierender Anblick jener Frau, die sonst immer ihre perfekte Fassade zur Show trug.
Ich föhnte meine Haare trocken und ging in mein neues Zimmer. Mein einziger Koffer stand vor einem monströsen Kleiderschrank. Wozu brauchte ich denn bitte so ein Mega-Ding?
Ich wühlte mich durch meine Sachen und entschied mich nach langem Überlegen für eine Jeansshort mit Löchern und mein Lieblingstop, das rot kariert war.
Mein Magen fing an zu grummeln. Ob es hier wohl auch Room Service gab?
Einen Versuch war es wert.
Ich drückte also probeweise den Knopf neben der Tür und tatsächlich kam 10 Minuten später eine Blondine durch die Tür. Wenn sie nicht das Dienstmädchen-Outfit angehabt hätte, hätte ich sie glatt für ein Model gehalten.
Sie war groß, größer als ich mit meinen 1, 70 Metern. Lange Beine, schlanke Figur; lange hellblonde Haare und große, blaue Augen. Um das Gesamtbild abzurunden, wäre da noch ihr göttlicher Schmollmund zu erwähnen.
Ich konnte nicht anders, als sie anzustarren. Heilige Scheiße!
„Hi, ich bin Paris.“
Ich prustete los und meine Augenbrauen schossen in die Höhe. Paris? Das wurde ja immer klischeehafter.
Sie grinste mich frech an. „Meine Mutter war auf nem Trip, als sie mir den Namen gegeben hat.“
„Man kann sich seine Eltern leider nicht aussuchen“ seufzte ich theatralisch.
Dieses Mädel gefiel mir.
Man sollte halt nicht immer nur nach dem äußeren Urteilen. Noch eine wichtige Lektion, die ich auf der Straße gelernt hatte.
„Leider. Naja, wie kann ich … Ihnen … helfen.“ Sie grinste erneut „Miss.“
„Lass das ‚Miss’ mal stecken. Ich bin Adriana. Schön endlich mal einen Erdenbewohner in diesem Haus kennenzulernen. Kannst du mir was zu Essen bringen?“
„Hmm… Abendessen ist in einer halben Stunde im ‚Dinnerroom’…“
„Ich verzichte dankend. Ziehe es vor hier zu essen.“
Die blonde Göttin vor mir überlegte einen Moment und zwinkerte mir schließlich zu „Irgendwie überrede ich den Koch schon. Irgendwelche Wünsche?“
„Apfelpfannkuchen. Und bring dir auch welche mit, ich esse nicht gerne alleine.“
Damit verschwand sie und ich machte mich daran, meinen Koffer auszupacken und die Schränke einzuräumen.
Ich musste erstmal verarbeiten, dass unser Dienstmädchen nicht nur wie Aphrodite persönlich aussah, sondern anscheinend auch super nett war.
20 Minuten später wurde die Tür aufgerissen. Ich schreckte vom Bett hoch.
„’Tschuldigung“ murmelte Paris, während sie zwei Teller auf den Händen balancierend die Tür mit dem Fuß zustieß.
„Das richt geil!“ Ich nehm ihr einen Teller ab und lümmelte mich wieder aufs Bett.
Etwas unschlüssig blieb Paris im Raum stehen.
„Na komm! Ich beiße schon nicht.“ Ich klopfte neben mir auf die Decke.
Sie lachte und machte es sich im Schneidersitz dort bequem.
„Wie alt bist du eigentlich?“ fragte ich mit vollem Mund. Oh Gott! Wenn meine Mutter mich so sehen würde, sie könnte wohl direkt wieder einen Termin beim Beauty-Doc machen, um sich die Zornesfalten wegspritzen zu lassen.
„18. Und du?“
„16. Erst 18? Warum arbeitest du in so einem Scheißjob? Du könntest garantiert Model sein.“
„Und mich von allen nur begaffen und auf mein Aussehen reduzieren lassen?! Ne danke!“
„Hmm. So habe ich das noch nie betrachtet.“
„Weißt du, ich habe in deinem Alter die Schule abgebrochen. War einfach nichts für mich. Meine dauer-besoffene Mutter hat mich rausgeschmissen und ich brauchte dringend einen Job. Master Cedric war so nett, mich hier einzustellen.“
Ich schnaubte abfällig als sie ‚Master Cedric’ sagte. Dieser Schleimbeutel. Es streichelte sein Ego bestimmt ungemein, wenn sie ihn so nannte.
„Übrigens mag ich dein Top.“ Riss sie mich aus meiner gefräßigen Stille. Sie wurde mir immer sympathischer!
„Danke, ich auch.“ Grinste ich. „Ach übrigens, hast du Lust mit mir shoppen zu gehen? Ich brauche dringend neue Sachen und alleine gehen ist so langweilig.“
„Hmm…ich muss jeden Tag von 8:00-18:00 Uhr arbeiten… Sonntags von 10:00-14:00 Uhr.“
Oh man! Was war mein Bruder denn für ein Sklaventreiber?!
Ich überlegte…
„Hast du einen Führerschein?“
„Ähm ja.“
„Sehr gut.“ Sie blickte mich vorsichtig an „Dann möchte ich dich am Samstag als Chauffeurin und exklusive Modeberaterin – einen guten Geschmack scheinst du ja zu haben - engagieren. Um 11:00 Uhr geht’s los. Dann muss mein hochgeschätzter Bruder seinen Arsch halt auch mal bewegen.“ Ich hielt ihr die Hand hin „Deal?“
Einen Moment starrte sie mich noch verblüfft an, aber dann breitete sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht aus und sie schlug ein „Deal!“
Dann sah sie auf die Uhr.
„Oh. Ich muss. Die Wäsche ruft.“
Paris stand auf und griff nach den Tellern. Als sie weg war, ließ ich mich zurück in die Kissen fallen. Vielleicht würde hier doch nicht alles so hoffnungslos scheiße werden, wie ich gedacht hatte.
Kapitelsong von den Scorpions *__*
http://www.youtube.com/watch?v=rMUX_4B-Hr4
(ganz tolle Version, müsst ihr euch unbedingt mal anhören :))
Ich beschloss aufzustehen und mir erstmal das Anwesen anzugucken. Schließlich konnte ich mich nicht den ganzen Tag in meinem Zimmer einigeln.
Durch einen langen Gang gelangte ich letztlich ins Freie auf eine Terrasse und von dort aus in den Garten, den man wohl eher als Park bezeichnen konnte.
Waren das dahinten wirklich Pferde auf der Weide?
Mein Herz begann schneller zu schlagen: Ich war geritten, seit ich mit fünf Jahren das erste Mal auf einem Pferderücken gesessen hatte… bis vor einem halben Jahr. Da starb meine Stute. Meine wundervoller Samira, die ich mit 8 Jahren bekommen hatte. Auf dem alten Mädchen hatte ich alles gelernt. Wie mein Reitlehrer immer mit einem Lächeln angemerkt hatte, war sie eine Lebensversicherung auf vier Beinen gewesen.
Langsam näherte ich mich nun der Weide. Seit Samira war ich mit keinem anderen Pferd mehr in Kontakt gekommen, hatte keines außer ihr gewollt. Aber jetzt wo ich praktisch eine Fremde in dem Haus war, freute es mich, endlich wieder etwas Vertrautes zu sehen. Ich sehnte mich nach dem beruhigenden Gefühl der Tiere um mich herum. Also ging ich weiter, bis ich am Rand der Wiese ankam. Drei Pferde standen auf der Koppel:
Ein großer Fuchs mit sportlichem Exterieur, ein Schimmelpony mit dicker Mähne und Schmutzsprenklern über die ganze Kruppe verteilt und schließlich noch eine braune Stute. Sie stand am weitesten von mir entfernt und hatte den Kopf erhoben und die Nüstern ängstlich in meine Richtung gebläht.
Ich ließ mich auf dem Zaun nieder, beobachtete die drei einfach nur und genoss den vertrauten Duft.
Die Sonne senkte sich langsam und der Himmel bekam einen orangefarbenen Ton. Plötzlich wieherte der Fuchs und kam auf mich zu. Das Pony folgte und auch die braune Stute näherte sich vorsichtig. Ich drehte mich um und sah, dass mein Bruder den Weg entlang ging. Er war alleine und schien mich zu beobachten. Gerade als ich mich aus dem Staub machen wollte, stupste mich der Schimmel energisch an und ich zuckte leicht zusammen. Dann legte ich meine Hand auf sein weiches Fell und streichelte ihn sanft am Kopf.
„Kannst du mir helfen? Sie müssen in den Stall gebracht werden“ fragte mein Bruder. Die übliche Spur von Arroganz oder Abwertung fehlte diesmal in seiner Stimme. Ich nickte stumm und er gab mir einen Strick.
„Nimm am besten Snowy.“ Er wies auf das Schimmelpony. Mein Blick aber blieb an der braunen Stute hängen, die sich möglichst weit weg von mir an den Zaun gequetscht hatte.
„Könnte ich sie vielleicht nehmen?“ ich blickte Cedric nicht in die Augen.
„Ähm…“ etwas unsicher sah er mich an.
„Bitte?“
Er atmete einmal tief durch „Ok, dann nimmst du Catch Me.“
Ich unerdrückte ein kleines Lächeln. Er überwand sich, um mir ein Zugeständnis zu machen. Vielleicht sollte ich ihm auch wenigstens den Hauch einer Chance geben, wenn er sich schon so bemühte.
„Sie ist ein bisschen schüchtern. Am besten probierst du es hiermit.“ Er gab mir einen Apfel und nahm den Fuchs und Snowy. Die Stute blieb wie versteinert stehen und bewegte sich keinen Zentimeter vom Fleck.
„Geh schon mal vor. Wir kommen nach.“ Murmelte ich meinem Bruder zu.
„Weißt du denn, wo die Ställe sind?“
Oh Mist. Sehr schlau, Adriana. Natürlich hatte ich daran gar nicht gedacht…
„Ich komm einfach noch mal.“ Rette mich Cedric da und machte sich dann auf den Weg in Richtung des Hauses.
„Na komm, Kleine. Ich tue dir nichts und außerdem habe ich Bestechungsmaterial!“
Während ich eine gefühlte Ewigkeit auf sie einredete, merkte ich, wie sie sich nach und nach entkrampfte. Schließlich hatte ich sie so weit, dass ich den Strick einhaken konnte und gerade als wir durch Tor gingen, kam mein Bruder und entgegen.
„Ah ja. Sehr schön ihr zwei.“
Schweigend folgte ich ihm, bis er schließlich die Stille brach „Reitest du noch…seit…“
„Nein. Nicht mehr.“ Gab ich kurz angebunden zurück. Über Samira wollte ich jetzt beim besten Willen nicht reden.
„Hmm… weißt du, Catch Me könnte noch wen brauchen, der sich um sie kümmert. Ich habe sie letztes Jahr aus schlechter Haltung gekauft, aber ich habe kaum Zeit für sie.“
„Ich überleg's mir.“ Naja, eigentlich kannte ich die Antwort schon, aber ich wollte ihn noch ein bisschen hinhalten.
Nachdem ich die Kleine in ihre Box gestellt hatte, wandte sich Cedric erneut an mich.
„Man hat mir dir über die Schule gesprochen?“ Ich nickte. Man hatte mich darüber aufgeklärt, dass ich ab jetzt eine exklusive Privatschule besuchen würde, die er natürlich auch besuchte. Damit er besser auf mich ‚aufpassen’ konnte. Das ich nicht lachte.
„Du steigst direkt in der 11. Klasse ein, wir sehen dann, ob das klappte“ zwischen den Zeilen kam deutlich seine ernsthaften Zweifel daran hervor. Idiot!
„Es gibt eine Schuluni-“
„WAS?!“ platzte ich dazwischen. Das konnten die doch nicht ernst meinen.
„-form, die auf deinem Bett liegt. Weitere Garnituren davon hängen bei dir im Schrank. Schwarze Schuhe dazu, keine Sandalen.“
Ich seufzte.
„Gute Nacht, kleine Schwester.“
„Nacht.“
Damit verschwand ich auf mein Zimmer und tatsächlich: auf meinem Bett lag der Graus! Knielanger Rock, eine weiße, hochgeschlossene Bluse und passende Kniestrümpfe im gleichen Farbton. Mein Gott war ich bei Hanni und Nanni gelandet?
Nie im Leben würde ich das anziehen!
Zeit für ein bisschen kreatives Schaffen.
Zwei Stunden später betrachtete ich mein Werk im Spiegel. Na bitte. Mit ein bisschen Fantasie konnte man aus allem noch was machen.
Den Rock hatte ich bis auf Höhe meiner Oberschenkel gekürzt und am Saum ausgefranst. Außerdem wurde er von Löchern geziert, die ich mit schwarzem Stoff hinterlegt hatte. Das dunkle Blau des Rocks war gar nicht so übel. Passte perfekt zu meinen Haaren.
Die Bluse wurde nun von einem schwarzen Totenkopf geschmückt, der den ganzen Rücken bedeckte.
Zufrieden mit meinem Werk zog ich ein altes Schlabbershirt an und ging ins Bett. Müdigkeit überkam mich und ich schließ schnell ein.
Song dieses Kapitels ist von den Evanescence (unbedingt mal reinhören)
http://www.youtube.com/watch?v=9MHGtlEYZBA
Am nächsten Morgen räkelte ich mich ausgiebig. Na dann… neue Schule, neues Glück.
Träge stand ich auf, duschte mich, umrandete meine Augen schwarz und zog mein modifiziertes Outfit an. Zufrieden musterte ich mich im Spiegel. Was mein Bruder dazu sagen würde, war mir ziemlich egal. Langsam schlenderte ich schließlich die Treppen runter. Als ich die Tür vom Speisesaal öffnete, wurde ich bin lautem Scheppern begrüßt.
„Entschuldigen Sie bitte, Master- ach du bist es nur. Scheiße! Wie siehst du denn aus?!“
Paris hockte in der Mitte eines Scherbenhaufens und musterte meinen Look von unten hinauf.
„Dir auch einen wundervollen guten Morgen.“
Sie grinste „Na da haste aber Glück, dass Master Cedric heute erst später Schule hat. Er hat mich gebeten, dich zu fahren.“
„Auch gut. Dann bekommt seine Eminenz den Herzinfarkt halt später. Haben wir was zu Essen im Haus?“
Eine halbe Stunde danach waren wir dann endlich startklar. Ich schlüpfte noch in meine schwarzen Dr.Martens und es ging ab zur Schule.
Paris hielt direkt vor dem riesigen Tor.
„So hop hop jetzt, sonst kommst du noch zu spät. Einfach durchs Tor gehen und du siehst den Haupteingang. Master Cedric nimmt dich heute Nachmittag dann wieder mit nach Hause.
Mit einem lauten Seufzer stieg ich aus. Die hohen Mauern um das Grundstück gaben mir das Gefühl in den Knast zu gehen und nicht in eine Schule.
„Sieht bestimmt schlimmer aus als es ist…“ versuchte meine neu gewonnene Freundin mich aufzubauen.
Ich hievte mich aus den Sitzen und warf ihr ein letztes sarkastisches Lächeln zu, dann machte ich mich auf den Weg. Als ich das Höllentor passiert hatte, befand ich mich auf einem riesigen Hof. Schüler standen in kleineren Gruppen zusammen, allerdings waren es nicht annähernd so viele, wie ich gedacht hatte. Wirklich unverhältnismäßig wenige für das Monster von Gebäude vor mir. Zögerlich ging ich auf den Eingang zu und die Treppen nach oben. Dort öffnete ich die schweren Türen und stand am Anfang eines langen Korridors. In regelmäßigen Abständen waren Türen angereiht. Von wegen Eliteschule…sie unterschied sich bisher kaum von meiner alten! Und wie zum Teufel sollte ich das Sekretariat finden?
Hilflos blickte ich mich um. Verdammt!
Bevor ich anfing hier durchzuirren wie eine Blöde, musste ich wohl jemand fragen. Ohne groß zu fragen wandte ich mich also an die Person links neben mir… was sich als großer Fehler herausstellte.
„Was willst du denn hier, du Emo-Braut?“
Na super, da war ich ja an die richtige geraten. Und dann auch noch als Emo bezeichnet zu werden. Hohle Nuss.
Erst jetzt sah ich sie mir genauer an und musste feststellen, dass ich ein Püppchen mit schwarzer Wallemähne und eisblauen Augen angelabert hatte.
Selbst mit ihren Pumps ging sie mir gerade einmal bis zur Nasenspitze, brachte es aber irgendwie fertig mich abschätzend ‚von oben herab’ zu mustern.
Na da hatte ich ja mal wieder Glück gehabt, direkt auf die Queen und ihren Hofstaat in Form von vier aufgedonnerten Tussis zu treffen.
Ich beschloss pragmatisch zu sein…wollte ja nicht an meinem ersten Tag schon einen Streit vom Zaun brechen.
„Ich möchte zum Sekretariat.“
„Glaubst du ich bin taub?“
Ganz ruhig Ada, beschwichtigte ich mich in Gedanken selbst.
„Natürlich nicht. Könntest du mir nicht bitte einfach erklären, wie ich dahin komme?“
„Hässliche Mädchen wie du gehören nicht hierher.“
Meine Augebrauen schossen nach oben. Gut, hatten ich hatte es friedlich versucht, aber jetzt war das Kriegsbeil offiziell ausgegraben.
Doch bevor ich ihr gepfeffert meine Meinung geigen konnte, zupfte etwas oder besser jemand an meinem Ärmel.
„Komm ich zeig dir, wo es langgeht. Coole Bluse.“ Ich blickte einem Mädchen, das etwa so groß war wie ich, braune Augen und Haare hatte und mich anlächelte, in die Augen.
Wortlos drehte ich mich um und folgte ihr.
„Ich bin Caro. Wie heißt du?“
„Adriana, nenn mich Ada. Vor wem hast mich denn da gerade gerettet?“
„Celine. Fiese Hexe. Hast sie ja schon in Action erlebt.“
„Hmhm…“
„In welche Stufe gehst du denn?“
„11. Du?“
„Cool! Ich auch. Hier sind wir. Ich warte auf dich und zeig dir deine Klasse.“
„Super danke.“
Ich betrat das Sekretariat und räusperte mich.
„Wie kann ich helfen?“
Eine Frau mit einem strengen Knoten musterte mich halb entsetzt, halb fassungslos.
„Ich bin neu hier und brauche meinen Stundenplan. Adriana Landgraf.“
„Ah ja. Eh…“ sie kramte kurz in den Papierstapeln auf dem Schreibtisch.
„Hier das ist er. Die Kurse können sie noch eine Woche wechseln, wenn sie ihnen nicht genehm sind.“
„Ok, danke. Schönen Tag noch.“
Schnell verließ ich den Raum, bevor die arme Frau sich noch so weit sammelte, um mich auf meine ‚Schuluniform’ anzusprechen.
„Und?“ begrüßte Caro mich.
„Keine Ahnung…ich bin so schnell wie möglich raus. Outfit und so.“
Sie grinste „Zeig her.“
Ich gab ihr meinen Plan.
„Gut wir haben einiges zusammen. Als erstes Sowi. Der Lehrer ist spitze.“
„Na wenigstens etwas.“
„Was für Leistungskurse hast du?“
„Physik, Geschichte. Du?“
„Physik?! Bist du lebensmüde?“
Ich lachte „Ein bisschen, ich liebe dieses Fach.“
„Ui, ein Streberlein. Willkommen im Club.“
„Streber? Nur weil ich Physik mag?“
Caro grinste mich frech an.
„Also ich hab Geschichte und Englisch.“
„Klasse, dann haben wir ha wenigstens eins zusammen.“
„Ja, heute in den letzten Stunden. Komm wir müssen uns beeilen.“
Damit hasteten wir durch die Gänge, die mittlerweile leer waren, da es geschellt hatte.
Caro rauschte ohne zu klopfen in den Klassenraum.
„Sorry, Herr Lang. Neue Schülerin. Musste zeigen wohin.“ Keuchte sie.
Der soeben betitelte zog die brauen hoch. „Aja. Setz dich, Caro.“ Dann wandte er sich an mich „So so. Hat die neue auch einen Namen?“
„Ada.“ Gab ich kurz und bündig wieder.
Der Typ sah ok aus: Jeans und Hemd, Ende dreißig, freundliches Gesicht. Hoffentlich würde mein erster Eindruck nicht enttäuscht werden.
„Ada?“ fragend sah er mich an, blickte zur Klassenliste und dann wieder zurück.
„Adriana Landgraf.“ Antwortete ich leicht genervt.
„Also gut, Ada… dann setz dich am besten neben Caro. Übrigens gefällt mir deine Interpretation der Schuluniform.“ Er zwinkerte mir zu und ich grinste zurück.
Ja, eindeutig! Mit dem würde ich gut klarkommen.
Als ich auf meinem Platz saß, wandte sich Herr Lang noch mal an mich „Wir machen gerade Wirtschaft. Was haben Sie denn in ihrer alten Schule denn als letztes behandelt!“
Ich starrte ihn an. Ähm…das war eine gute Frage. Sollte ich ihm etwas vorlügen oder mit der Wahrheit rausrücken?
Er zog wartend die Brauen hoch.
Na gut. Wenn er schon so korrekt war, wollte ich mich auch von meiner besten Seite zeigen.
„Also um ehrlich zu sein, ich habe keine Ahnung. Ich war seit sieben Wochen nicht mehr in der Schule.“
„Na wenigstens bist du aufrichtig! Gut, ich bin mir sicher Caro hilft dir, wenns brenzlig wird und zu mir kannst du auch jederzeit kommen.“
Nach einer kurzen Pause fügte er noch hinzu „Aber einen regelmäßigen Besuch meines Unterrichts kann ich nur wärmstens empfehlen.“
„Na dann legen sie mal los. Vielleicht komm ich ja zu dem Schluss, dass sich ihre Stunden lohnen für einen Schulbesuch.“ Herausfordern verschränkte ich die Arme vor der Brust.
Mittlerweile starrte mich auch der letzte Idiot von Mitschüler an…sollte die doch glotzen!
Caro kicherte leise neben mir.
„Also schön. Für das Fräulein Landgraf muss ich mich heute also ganz besonders ins Zeug legen.“
Die Stunde war gut. Richtig gut. Wir stiegen mit trockener Theorie ein, sondern beschäftigten uns mit der Präsidentenwahl.
In den letzten Wochen hatte ich zig Zeitungen gelesen, die Leute wegschmissen.
Sie waren ein Buchersatz auf der Straße geworden und so war ich ziemlich im Thema.
Als nach 90 Minuten die Klingel schellte, wurde mir bewusst, wie schnell die Stunde umgegangen war.
„Und Fräulein Landgraf? Entsprach mein Unterricht ihren Ansprüchen?“
„Wenn ich gnädigst ein Auge zudrücke, dann so gerade eben.“ Ich grinste, um zu signalisieren, dass das natürlich nur ein Scherz war.
Er nickte uns zu und Caro guckte noch mal auf meinen Plan.
„Oh man…Mathe. Du Arme!“
„Wieso? Mathe ist doch super.“ Rief ich aus.
„Freak!“ sie lachte „Das hab ich nicht mit dir, aber Paul müsste das haben. Er ist ein bisschen …spießig. Aber voll korrekt, wenn man sich an seine Art gewöhnt hat. Komm ich bring dich zum Raum.“
„Auf den Gängen starrten und die Schüler an und es bildeten sich breite Gassen für uns. Man könnte fast meinen, ich hätte Lepra oder so. Faszinierend, wie man die Spießer hier aus dem Konzept bringen konnte.
„Paul!“ brüllte Caro plötzlich los und ich zuckte zusammen.
Ein Junge in Jeans und - scheiße! Konnte das sein?! – Jackett drehte sich um, in der Hand hielt er einen ledernen Aktenkoffer.
Oh man! Was war das denn für ein Alien? Aber ich sollte ja eigentlich wissen, dass der erste Schein trügen konnte.
„Das ist Ada. Ada Paul. Paul Ada.“
Caro gestikulierte wild mit den Händen zwischen uns herum. Paul blickte mich mit einem Gesichtsausdruck, mit dem ein Dreijähriger bei seinem ersten Zoobesuch ein exotisches Tier musterte, an.
„Hi.“
„Guten Morgen, Ada.“
Er zog die As in meinem Namen ganz lang, so als müsse er erst probieren, wie mein Namen ausgesprochen wird.
Ich konnte durchaus verstehen, was Caro gemeint hatte mit ‚man müsse sich an ihn gewöhnen’.
„Sie hat jetzt Mathe und ich habe gedacht, bei dir ist sie in den besten Händen.“ Erklärte das braunhaarige Mädchen „Bring sie danach mit zu unserem Tisch, ok?“
Paul, der mich übrigens immer noch fasziniert musterte, nickte nur.
„Bis dann.“ Damit war Caro verschwunden.
„Dann lass uns mal Platz nehmen.“ Etwas unsicher zeigte der Junge auf die Tür des Klassenraums. Ich seufzte. Na das konnte ja noch lustig werden.
Paul strebte genau den Platz vor dem Pult an. Super! Dann saß ich auch noch auf dem Präsentierteller. Aber da Paul mein einziger Anschluss in dem Kurs war, fügte ich mich wohl oder übel meinem Schicksal und setzt mich neben ihn.
Alle anderen Stühle in der ersten Reihe blieben frei, was das ganze jetzt auch nicht besser machte. Mit dem Gongschlag kam ein grauhaariger, ernst aussehender Lehrer in die Klasse uns knallte die Tür hinter sich zu.
„Guten Morgen!“ meine Güte, das war hier ja wie beim Militär, dachte ich, als alle aufsprangen und im Accord „Guten Morgen, Herr Bracker“ riefen.
„Sie sind neu. Ihr Name?“ er stand direkt vor mir. Meine Güte, war der eine Autorität! Am liebsten hätte ich mich hinter meinem Stuhl verkrochen, doch stattdessen erwiderte ich „Adriana Landgraf.“.
Er nickte und begann wild Zahlen an die Tafel zu schreiben. Bis ich merkte, dass es sich dabei um Seitenangaben und Aufgaben im Mathebuch handelte, brauchte es etwas.
„Alle rechnen. Sie haben 30 Minuten. Los jetzt. Adriana kommen sie zu mir.“ Kommandierte unser Matheoffizier da auch schon.
Etwas zögerlich ging ich zu ihm und setzte mich steif auf den Stuhl neben seinem Pult. „Ja?“ fragte ich eingeschüchtert.
„Haben Sie schon mal etwas von Ketten-, Produkt- und Quotientenregel gehört?“
„Nein.“
„Ok, dann machen wir jetzt einen kleinen Crash Kur. Die Arbeit schreiben wir in zwei Wochen. Ich erwarte keine Wunder aber Bemühungen!“
„Das ist selbstverständlich.“
Die nächsten 20 Minuten erklärte er mir das Mathethema im Schnelldurchlauf und ich stellte mich gar nicht so dumm an. Mit ein bisschen Übung würde das schon werden.
„Sehr gut, Adriana. Ich merke schon, bei ihnen sind Hopfen und Malz noch nicht verloren.“
Ich lächelte und setzte mich wieder neben Paul.
Die Stunde ging noch ziemlich reibungslos über die Bühne, weil Kommandeur Bracker absolute Kontrolle über uns Schüler hatte. Wenn auch streng, war er ok.
Nach dem Gong und einem Haufen Mathehausaufgaben wurden wir entlassen und Paul führte mich in die riesige Mensa. An einem Tisch ganz hinten sah ich schon Caro stürmisch winken. Ich grinste. Gerade als wir uns zu ihnen durchdrängeln wollten, trat uns Queen Celine I. in den Weg. Sie klebte am Arm von - dreimal dürft ihr raten – dem blonden Hottie mit den moosgrünen Augen. Na da hatten sich ja zwei gefunden.
Paul neben mir wich zurück und zupfte vorsichtig an meinem Arm.
„Oh hat die kleine Emo-Schlampe schon Freunde gefunden?“ säuselte Celine.
Ruhig, Ada. Befahl ich mir und wollte mich an ihnen vorbei schieben.
„Sie hat dich was gefragt, Emo.“ Keifte da eine aus ihrer Tussi-Schar.
Na dann ging ich eben auf Konflikt.
„Was hast du für ein Problem, Mädel?“
„Mein Problem ist, dass so eine Emo-Braut wie du hier ist.“
„Tja, was soll man dazu sagen. Mummy und Daddy sind halt stinkreich und haben mich hier eingekauft.“ Gab ich zuckersüß zurück.
„So wie du aussiehst träumst du doch nur davon.“
Oh man. Bei der war Gott wohl eher sparsam mit den grauen Zellen umgegangen.
Ich meine, wie sollte ich sonst auf einer sauteuren Privatschule sein, wenn Mummy und Daddy nicht den Geldbeutel aufmachten?
Da schaltete sich auch Mr. Sexy ins Gespräch ein.
„Babe, sie ist Cedrics Schwester.“
Ein Raunen ging durch die Mädchenschar. Ne mein Nachname hatte sich hier wohl nicht so schnell rumgesprochen.
„Apropos Cedric… da kommt der liebende Bruder ja schon.“ Hottie grinste spöttisch.
Ich drehte mich um und sah ihn tatsächlich auf uns zukommen.
„Adriana! WIE SIEHST DU AUS?!“ brüllte er mich an. Er sah fuchsteufelswild aus und kam auf mich zu gestürmt. Der Arme Paul neben mir wich noch weiter zurück und stellte sich in die erste Reihe der Schaulustigen.
„Guten Morgen, liebster Bruder.“ Meine Stimme tropfte vor Süße. Von ihm würde ich mich nicht runtermachen lassen.
„Verdammt, wieso musst du dich anziehen wie eine Crack-Nutte.“
Oh. Wieder ein neuer Begriff. Erst Punk-Pennerin, dann Emo-Schlampe und jetzt Crack-Nutte? Die waren ja ziemlich einfallsreich.
„Na na, Brüderchen. Andere Ausdrucksweise bitte.“ Tadelte ich ihn grinsend.
„Zieh das sofort aus!“
Ausziehen? Na das konnte er haben!
Ich zog mir die Bluse über den Kopf und fing an, meine Hüften zu wiegen. Mit einem letzten Blick auf sein geschocktes Gesicht, streifte ich langsam mein Top ab. Viel mehr ich wollte es, aber als ich gerade meinen schwarzen Spitzen-BH entblößte, löste sich Cedric aus seiner Starre, stürzte zu mir und hielt meine Arme fest.
„Lass das!“ zischte er mir zu.
Über seine Schulter hinweg konnte ich den Blonden lachen sehen. Na wie schön, dass wenigstens andere hier Spaß hatten. Celine neben ihm glotzte mich mit offenem Mund an.
Tja Tussi, das hast du wohl nicht erwartet, dachte ich schadenfroh.
„Aber Ceddie, du wolltest doch, dass ich mich sofort ausziehe!“ schmollte ich meinen Bruder an.
„Genau Ceddie, lass sie doch machen. War ein sexy Ausblick.“ Pflichtete mir Blondie bei.
„Sei still Seth.“ Fauchte Cedric und wandte sich wieder mir zu.
Dabei blieb sein Blick auf meinem Bauch hängen…besser gesagt auf meinem Bauchnabel. Oh scheiße. Er würde einen Koller bekommen.
„ADRIANA. Was ist das?“
„Öhm…ein Bauchnabelpiercing?“ zögernd blickte ich ihn an. Als Choleriker hatte ich ihn eigentlich nicht in Erinnerung und so langsam begann ich mir Sorgen um sein Herz zu machen. Er atmete einmal tief ein und ließ mich dann los.
„Zieh dich wieder an. Wir reden heute nach der Schule.“ Er drehte sich um und war fast wieder der Alte. Nur seine Hände blieben so fest zu Fäusten geballt, dass seine Knöchel weiß hervorstanden. „So genug jetzt Leute!“ verscheuchte er die anderen und keiner traute sich, weiter stehen zu bleiben. Nur vereinzelt blickten die Leute neugierig über die Schulter zurück.
Langsam zog ich mein Top wieder runter und hob meine Bluse auf. Dann drehte ich mich zu Paul um, der mal wieder wie ein Auto glotzte. „Kommst du?“
Song ist von den Donots. Richtig geil!!!
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Schweigend folgte er mir zu Caros Tisch. In ihren Augen konnte ich Unglauben lesen, aber dann zuckte sie mit den Achseln und grinste „Geile Show.“
Ich zwinkerte ihr zu „Wollte die Feinen Pinkel hier mal aufmischen.“
„Coole Aktion!“ beglückwünschte mich jetzt auch ein dunkelhäutiges Mädchen mit rappelkurzem Krausehaar.
„Freut mich, dass ich dich so entertainen konnte. Ich bin Ada.“ Ich streckte ihr meine Hand entgegen, doch sie zog mich direkt in eine herzliche Umarmung.
„Lisha. Wo hast du deine Schuhe her?“
„Aus einem richtig coolen Laden am anderen Ende der Stadt.“
„Müssen wir UN-BE-DINGT mal hin, ja?“
Caro lachte „Lisha ist absolut schuhsüchtig.“
„Kann ich verstehen. Klar können wir mal dahin.“
„Spitze! So Leutz. Lasst uns gehen. Ein bisschen frische Luft schnappen, solange wir noch die Gelegenheit dazu haben.“
Wir verbrachten den Rest des Schultags zusammen und ich musste mir eingestehen, dass ich nie im Leben erwartet hatte, hier einen so lustigen Haufen zu treffen.
Mit dem Gong, der die letzte Stunde beendete, breitet sich ein mulmiges Gefühl in meinem Magen aus. Gleich wäre ich meinem cholerischen Bruder alleine ausgeliefert. Es gäbe keine Zeugen, wenn er mich auf brutale Weise meucheln würde!
Meine neugewonnen Leidensgenossen bedachten mich mit mitleidigen Blicken. Sie hatten schließlich mitbekommen, dass Cedric unser Gespräch auf nach der Schule verschoben hatte.
„Na dann mal los in die Höhle des Löwen.“ Ich seufzte.
„Das wird schon…“ Caro sah nicht wirklich überzeugt davon aus, aber sie bekam Bonuspunkte dafür, dass sie wenigstens versuchte mich aufzubauen.
Wir betraten den Parkplatz und ich sah meinen Bruder und seine Clique ganz hinten am Auto stehen. Also dann mal Brust raus, Bauch rein und Kopf hoch.
Ich stolzierte auf sie zu, ließ mir nicht anmerken, dass ich mir innerlich fast in die Hose machte. Wortlos ging ich auf die Beifahrerseite des Wagens, öffnete sie und wollte mich gerade hineinsetzen, als der Blonde – Seth hieß er doch – pfiff.
„Heiße Show heute, Süße. Kann man dich buchen?“
WIE BITTE?! Arschloch!
Ich lächelte und musterte ihn von oben bis unten und wieder nach oben. Dabei musste ich mich zwingen, nicht an seiner breiten Brust und dem Waschbrettbauch, den man ganz genau durch sein enges, weißes Hemd sehen konnte, hängen zu bleiben, sonder ihm stattdessen in seine Augen zu blicken.
„Theoretisch ja, aber weißt du.“ Ich machte eine Kunstpause „ich habe ein gewissen Standard, und DU liegst meilenweit darunter.“
Damit glitt ich auf den Sitz und knallte die Tür zu. Ich war stinksauer, hoffentlich machte mein Bruder hinne. Und tatsächlich, ich musste keine zwei Minuten warten, da öffnete sich die Fahrertür und Cedric stieg ein. Schweigend startete er den Wagen und auch nach fünf Minuten später fuhr er noch wortlos durch die Straßen.
„Ähm… wolltest du nicht reden?“ Diese spannungsgeladene Stille brachte mich fast um.
„Nicht. Beim. Autofahren!“ presste er hervor. Oh verdammt!
Dass sich seine Knöchel weiß färbten, weil er das Lenkrad so heftig umklammerte, war bestimmt kein gutes Zeichen. Ich war geliefert.
Endlich kamen wir zu Hause an. Nachdem mein Bruder den Wagen geparkt hatte, ging ich langsam zur Tür.
„Adriana!“ Ich drehte mich zu ihm um „Um 15:30 Uhr in der Bibliothek!“
Ich nickte und verschwand auf mein Zimmer. Meine Sachen schmiss ich in eine Ecke und gammelte mich danach aufs Bett.
Mein Bauch tat weh vor Sorge. Ich hasste es, wenn man sich nicht direkt aussprach und dieses Warten auf die Strafpredigt war die absolute Hölle. Noch 30 Minuten, dann würde es so weit sein.
Schließlich war es Paris, die mich aus meiner bangen Grübelei riss. Sie brachte mir Milchreis mit Zimt und setzte sich zu mir.
„Master Cedric sieht nicht so begeistert aus. Was ist passiert?“
Ich wies an mir herunter „Meine Mode ist passiert…“
Sie sah an mir herunter und grinste. „Na das erklärt einiges.“
„Und spätestens, als ich angefangen hab zu strippen, war’s dann ganz vorbei mit seinen Nerven.“
Sie stieß einen kleinen Schrei aus „Erzähl.“
20 Minuten später wischten wir uns beide die Lachtränen aus den Augen. Dann räusperte sich die Blondine „Ich glaube du solltest runtergehen…Master Cedric legt großen Wert auf Pünktlichkeit.“
„Hmm…Mach ich. Danke fürs Aufheitern. Kannst du mir den Weg zeigen?“
„Klar.“
Kurze Zeit später standen wir vor der Bibliothek. Ohne zu klopfen öffnete ich die Tür und trat ein.
„Setz dich.“ Erklang die scheinbar ruhige Stimme meines Bruders.
Ich nahm in einem der fetten Ohrensessel ihm gegenüber Platz.
Seine Haltung machte mir Angst. Er saß ganz gerade in seinem Sessel, die Hände im Schoß gefaltet und blickte mich an. Seine Gesichtszüge waren beherrscht und trugen diesen gelangweilten Gesichtsausdruck, den man bei ‚coolen Jungs’ so oft sah.
Sein kontrolliertes Äußeres erinnerte mich in beängstigender Weise an meine Eltern: Gefühle zeigen verboten!
Wie ich das hasste. Und nun war er auch so.
Allein das Flackern in seinen Augen wies auf die Wut hin, die in ihm brodelte.
Schweigend saßen wir uns gegenüber und kurz bevor ich es nicht mehr aushielt, setzt er schließlich zum Reden an.
„Deine…Aktion heute in der Schule ist nicht tolerierbar. Du wirst ab sofort die normale Schuluniform tra-“
„Nein.“ Unterbrach ich ihn.
„Wie bitte?“ seine Hände ballten sich zur Faust.
„Nein, ich trage genau das, was ich heute anhatte.“
„Das wirst du nicht. Oder-“
„Oder was, Cedric?“ er zuckte zusammen als ich seinen Namen nannte.
„Ihr habt mir doch schon alles genommen. Glaub mir, es gibt nichts mehr, was du mir noch androhen könntest.“
„Adriana. Es gehört sich nicht, in unserer Gesellschaft solche Klamotten zu tragen!“
„In ‚unserer Gesellschaft’? Wenn du das so sagst, klingt sie ja geradezu edel.“
„Das ist sie auch, verdammt noch mal!“
„Ach ja? Dann sag mir mal, was ich je von ihr gelernt habe! Wie man sich wie ein reiches Arschloch benimmt, wie man scheiß-höflich ist und wie man auf Leute mit weniger Geld herabsieht? Ja, definitiv. Was ist mit Werten? Mit Hilfsbereitschaft, Eigenständigkeit, Zusammenhalt? Nein, denn das habe ich auf der Straße gelernt.
„Hast du da auch gelernt, dich wie eine Hure zu verhalten?“ zischte er abfällig.
„Was tut man nicht alles, um zu überleben…“ gab ich provokant zurück. Natürlich hatte ich nichts dergleichen getan, aber mein Bruder machte mich wütend. Ein Blick in sein Gesicht zeigte mir, dass ihm wohl der Geduldsfaden gerissen war. Äußerst zufrieden beobachtete ich, wie Emotionen sein kontrolliertes Gesicht überfluteten.
„Verdammt Adriana! Du bist 16. Du bist meine süße, rebellische Schwester und nicht irgendeine billige Prostituierte.“
„Entspann dich, Bruderherz. Ich habe mich nie an andere verkauft. Ich wollte dich nur provozieren.“
„Provozieren? Du hast vor der ganzen Schule einen Idioten aus dir und mir gemacht.“ Er schrie nun.
„Es interessiert mich nicht, was die Leute von mir denken. Und es tut mir leid, dass ich dich in das Ganze hineingezogen habe, aber ich werde niemanden entscheiden lassen, was ich trage und was nicht.“
„Aber deine Kleidung ist eine Katastrophe.“
„Nicht für mich, Cedric.“ Ich betonte seinen Namen „Ich habe eine lange Zeit gebraucht, um mich zu lieben. Um mich so zu lieben, wie ich bin. Meinen Haare, meinen Style und meinen Körper. Ich bin, wer ich sein möchte und ich möchte sein, wer ich bin. Bitte versteh das doch endlich!“
Mein Bruder seufzte tief. Ich sah Emotionen über sein Gesicht flackern. Der Zorn in seinen Augen verschwand und Verständnis, gepaart mit einem kleinen Hauch Traurigkeit erschien in ihnen. „Vielleicht hast du recht.“
Ich wusste, wie viel ihn dieses Eingeständnis kostete und innerlich zog ich meinen Hut vor ihm. Der Sturkopf war wohl eine unserer wenigen Gemeinsamkeiten und ich wusste, wie schwer es war, ihn zu überwinden.
„Aber ich bitte dich, ich flehe dich an, nicht mehr auf diese Art und Weise aufzutreten. Bitte Adriana! Mach die Dinge nicht schwieriger, als sie ohnehin schon sind.“
„Ich werde versuchen, mich in der Schule … angemessener zu verhalten, wenn du versuchst mich zu verstehen und mir meine Freiheit lässt.“
„Deal. Aber vergiss niemals, ich bin dein großer Bruder und ich werde alles Notwendige tun, um dich vor anderen und auch dir selbst zu schützen.“
„Das ist das süßeste, was du jemals zu mir gesagt hast. Ich glaube, damit kann ich leben.“
„Gut zu wissen.“ Ein kleines Lächeln machte sich auf seinem Gesicht breit und es war herzerwärmend, meinen normalerweise ernsten Bruder so zu sehen.
„Oh und Ceddie, “ Ich nannte ihn so, weil er es auf den Tod nicht ausstehen konnte „Ich würde mich super gerne um Catch Me kümmern, aber seit Samira bin ich kein Pferd mehr geritten.“
„Das ist super. Du kannst langsam anfangen sie kennenzulernen, wenn du sie putzt und longierst. Solange kannst du dann Snowy reiten, er ist super lieb, aber manchmal ein bisschen stur. Du wirst deine Zeit brauchen, bis du Zugang zu Catch Me findest. Sie ist sehr schüchtern und ängstlich. Also sei geduldig mit ihr.“
„Natürlich werde ich das sein.“
Für einen Moment lächelten wir uns an und ich kann mich nicht daran erinnern, dass wir das jemals gemacht hätten.
„Gut, ich mache jetzt meine Hausaufgaben.“ Murmelte ich und verließ die Bibliothek.
Eine Stunde später war ich fertig mit Mathe und entschied, die Pferde zu besuchen.
Pico und Snowy grasten vor dem Tor, während mein neuer Pflegefall hinter ihnen stand.
Die friedliche Atmosphäre beruhigte meine strapazierten Nerven und ich ließ mich auf dem Holzzaun nieder, um sie zu beobachten.
Nach ein paar Minuten kam Snowy zu mir uns ich streichelte seine weichen Nüstern. Es war ein großartiges Gefühl, wieder Kontakt zu diesen Tieren zu haben.
Ich weiß nicht, wie viel Zeit verging, bis ich lautes Gegacker hörte. Ich ging zum Haus zurück und sah meinen Bruder und seine dummen Freunde. Celine saß auf Seth’ Schoß und ein fremdes, nicht weniger tussig aussehendes Mädchen saß auf Cedrics.
„Paris, bring uns Tee. Beeil dich.“ Hörte ich meinen Bruder rufen.
Idiot! Wie konnte er es wagen, so mit Paris zu sprechen!
Ich ging an dem Grüppchen vorbei, ohne sie eines Blickes zu würdigen, aber ich konnte hören, wie Celine ‚ihrem Jungen’ etwas zuflüsterte, woraufhin er anfing zu lachen.
Auf dem Weg in mein Zimmer traf ich Paris, die mir mit einem Tablett voll mit Tassen und Gebäck entgegen kam.
„Hast du Lust, in mein Zimmer zu kommen, wenn du ihnen den Tee gebracht hast?“
„Würde ich gerne, aber ein Wäscheberg wartet im Waschraum auf mich, sorry.“
„Kein Problem! Ich komm runter und helfe dir. Aber vorher besorge und ich uns auch ein paar Kekse.“
„Bis dann. Ich muss mich beeilen. Sie sind nicht sehr geduldig.“
Hmm….wo bekam ich jetzt Kekse her? Aus der Küche? Konnte ich ja mal probieren.
Ich machte mich auf den Weg und nach einiger Zeit hatte ich es tatsächlich geschafft, einen Teller mit welchen zu besorgen.
Paris war schon da und mangelte die Wäsche. Ich stellte die Plätzchen auf einen kleinen Tisch und begann, die fertigen Teile zu falten. Das hatte ich schon ewig nicht mehr gemacht und so dauerte es eine Weile bis ich das erste T-Shirt in Form gebracht hatte.
Paris grinste spöttisch „Bist wohl ein bisschen aus der Übung, was?“
Ich lachte mit ihr „Kann man so sagen. Warum lässt du dich eigentlich so von denen zur Schnecke machen? Ich meine, verdammt noch mal, sollen die sich ihren Tee doch selbst holen!“
Traurig blickte sie mich an „Ich werde dafür bezahlt, dass ich Master Cedric den Arsch hinterher trage.“
„Du könntest doch bestimmt was anderes machen?“
„Ada, das Thema hatten wir doch schon. Ich habe keinen Schulabschluss. Ich kann froh sein, dass Master Cedric mich hier arbeiten lässt.“
„Willst du denn dein ganzes Leben hier die Wäsche machen und Putzen? Hast du keine Träume?“ ich konnte sie nur ungläubig anstarren. Also ich hätte definitiv keinen Bock darauf, ein Leben lang für jemand anderes zu schuften.
Ohne ihre Arbeit zu unterbrechen, erwiderte sie meinen Blick. Ein kleines Lächeln stahl sich auf ihre Lippen und in ihren Augen blitzte es auf.
„Doch. Ich wäre super gerne Designerin. Mode. Trends. Meine Klamotten auf den großen Laufstegen in Mailand, Paris, New York… aber das wird nicht geschehen.“
„Ich versprech’ dir, dass du mich Samstag stylen darfst, wie du willst. Dann bin ich dein Model.“ Ich grinste.
„Oh ja!“
„Und abends gehen wir tanzen?“
„Hmmm… ich muss Sonntag arbeiten.“
„Aber erst um 10 Uhr… dann dürfen wir halt nicht so viel trinken.“
Unsicher schaute sie mich an, doch schließlich sah ich Entschlossenheit in ihrem Blick.
„Abgemacht. Und ich weiß auch schon ganz genau wo.“
„Das ist gut. Ich war noch nie abends weg.“
Sie starrte mich an, als hätte ich ihr gerade erzählt, dass ich drei Brüste hätte.
„Echt nicht? In deinem Alter war ich jeden Abend feiern. Aber naja, das war wahrscheinlich auch der Grund, wieso ich die Schule nicht gepackt habe.“
Inzwischen war sie fertig mit mangeln, während ich gerade einmal das dritte T-Shirt faltete. Na ich war ja eine große Hilfe.
„Sag mal… du hast doch einen Führerschein…“
Ja.“
„Kannst du mich vielleicht morgen Nachmittag zum Stadtpark fahren?“
„Ja klar, kann ich machen.“
„Und könntest du meinem Bruder bitte nichts davon sagen?“
Sie musterte mich skeptisch „Adaaa. Was willst du denn da?“
„Ein paar Freunde treffen, die machen sich bestimmt schon Sorgen um mich. Ich glaube nicht, dass Ceddie so begeistert von ihnen wäre.“
„Wenn die auch nur annähernd so aussehen wie du, kann ich mir das lebhaft vorstellen.“ Grinste sie. „Ich muss eh einkaufen. Dann setz ich dich um halb vier ab und sammel’ dich um fünf wieder ein.“
Ich strahlte sie an „Du bist ein Schatz!“
Song ist von den *Trommelwirbel* Red Hot Chilli Peppers!
http://www.youtube.com/watch?v=_1hdOMkL6GE
Am nächsten Tag bekam ich schon weniger entsetzte Blicke zugeworden und Dank Caro schaffte ich es auch meinem Bruder bis nach der Schule aus dem Weg zu gehen.
Erst im Auto musterte er mich abschätzig, hielt aber die Klappe. Guter Junge!
Schließlich rang er sich dazu durch, Small Talk zu machen.
„Wie läuft’s in der Schule so?“
„Ceddie, heute war mein zweiter Tag.“
„Ähm ja. Trotzdem! Wenn du irgendwie Hilfe brauchst, sag bescheid.“
Ich zog die Brauen hoch - Mist! Das machte ich ihn letzter Zeit viel zu oft. Nachher bekäme ich noch Falten!
„Du willst mir helfen?“
Er druckste etwas herum „Naja…So…also so meinte ich das nicht. Aber wir engagieren dann einen Nachhilfelehrer oder so.“
„Vergiss es.“ Fuhr ich dazwischen „Ich will keinen Trottel, der mich mit Samthandschuhen behandelt, weil er von dir überbezahlt wird.“
Danach fielen wir in eisiges Schweigen. Als mein Bruder dann 10 Minuten später wieder den Mund aufmachte und zum Reden ansetzte, entfuhr mir ein Seufzer. Konnte er denn seine Klappe nicht mal für mehr als ein paar Minuten halten?
„Was hast du denn heute noch vor?“
Na das wüsstest du wohl gerne! „Ich fahr mit Paris einkaufen.“
Das brachte mir einen missbilligen Blick ein. Konnte ich mir gut vorstellen, dass ihm das nicht gefiel! War es doch etwas ach so niveauloses für jemanden aus unserer Familie, sich mit den eigenen Angestellten in dieser Form abzugeben. Tja, was sollte ich dazu sagen…Pech für ihn!
Zuhause angekommen zog ich mich um: Zerrissen Strumpfhosen, einen schwarzen Minirock, passendes Top und meine abgewetzte Lederjacke. Zufrieden musterte ich mich im Spiegel. Dann machte ich mich auf den Weg zu Paris.
„Fertig?“
„Ja, lass uns starten.“
„Sag mal, kannst du mir ein paar Sachen mitbringen?“
„Alles außer Drogen.“ Grinste sie.
„Ach man, jetzt hast du mich durchschaut!“ ich lachte „Ich brauche nämlich dringend diese Droge, die sich Schokolade nennt. Ich bin absolut süchtig nach ihr, ohne sterbe ich.“
„Na wenn das so ist, kann man das wohl als Notfall betrachten. Da mach ich dann mal eine Ausnahme.“
„Das ist lieb. Bitte fünf Tafeln Milka Vollmilch und vier Packungen Haribo Goldbärchen.“
Paris starrte mich absolut entsetzt an. Ok, ich war ein Vielfraß, aber wollen wir’s mal nicht übertreiben.
„Die sind für meine Freunde. Kannst du sie mir geben, wenn du mich gleich abholst? Du musst die anderen eh mal kennenlernen.“
„Hmm…ich weiß nicht.“
„Och bitte, Paris!“
„Na gut. Aber meinst du nicht, dass sie mich komisch finden werden?“
„Quatsch! Spätestens wenn du den Mund aufmachst, hast du bei ihnen gewonnen.“
Sie lachte „Ok. NA dann viel Spaß. Um 17:00 Uhr wieder hier.“
„Eye, eye Sir.“
Sie hatte mich am Haupteingang rausgelassen, jetzt musste ich meine Freunde nur noch finden, aber ich hatte schon eine Idee.
Und tatsächlich! Als ich an der alten Brücke ankam, wurde ich fast von einem winzigen Geschöpf mit feuerrotem Haar umgerissen.
„Adaaa. Da bist du ja. Wir haben uns schon solche Sorgen gemacht! Geht’s dir gut? Behandelt man dich gut? Schatz, erzähl.“
Ich lachte über ihre Redeflut.
„Jungs kommt mal her. Ada ist da.“
Ein großer Junge mit schwarzen Strubbelhaaren kam auf mich zu.
„Wie geht’s dir, Kleine?“
„Alles ok, Eddi. Wo ist-“ erschrocken zuckte ich zusammen, als sich von hinten ein starkes Paar Arme um mich schloss.
„Hast du mich vermisst, Süße?“ säuselte mir da schon eine tiefe Stimme ins Ohr. Gänsehaut überkam mich und ich musste unwillkürlich an diesen besonders kalten Abend vor zwei Wochen denken. Damals hatte ich noch bei ihnen unter der Brücke ‚gewohnt’ und mir hatte vor Kälte die Zähne geklappert. Jasper war zu mir gekommen und hatte mich eben so umarmt wie gerade. Er sagte in dieser Nacht viele süße Dinge zu mir und küsste mich schließlich. Mein erster Kuss. ES war wunderschön gewesen, ganz sanft und gefühlvoll. Halt so, wie man sich seinen ersten Kuss wünscht. Leider war das irgendwie eine einmalige Sache gewesen und er hatte mich danach behandelt, wie vorher: eben als kleine Schwester.
Als ich mich jetzt in seinen Armen drehte und in seine treuen, braunen Augen blickte, verspürte ich eine tiefe Sehnsucht nach ihm und deshalb konnte ich nicht anders, als meine Arme um seinen Hals zu schlingen und meine Hände in seinem kurzen wasserstoffblondem Haar zu vergraben. Meine Stirn lehnte ich an seine Schulter und nutzte sie Gelegenheit, seinen Duft einzuatmen. Er roch nach Wald und Erde, aber plötzlich nahm ich noch etwas anderes wahr. „Du rauchst wieder!“
Er zuckte nur mit den Schultern und grinste mich an. Dieser Idio- Ich wurde abgelenkt von dem Feuerkopf.
„Jetzt komm mit! Wir machen es uns gemütlich und dann erzählst du uns alles.“
„Ist ja gut, Lili.“
Nachdem wir auf einem Deckenlager platz genommen hatten, fing ich an von meinem Bruder, dem Haus und der Schule und Celine zu erzählen.
Es dauerte eine Weile, weil Lili zwischendurch immer wieder unterbrach um nachzufragen und die Ereignisse zu kommentieren. „Scheint ein schlechtes Karma zu haben diese Celine.“ Ihre mitleidige Miene ließ mich grinsen. Typisch Lili.
Als ich auf die Uhr blickte, war es schon 16:50 Uhr. Die Zeit war verflogen!
„Leute, ich muss zurück. Paris holt mich gleich ab.“
„Paris?“ spöttelte Jasper.
„Ihr müsst sie unbedingt kennenlernen. Bringt ihr mich zum Haupteingang?“
„Sicher doch, Kleine.“ Eddi stand auf und zog Lili mit hoch. Diese verschränkte ihre Hände und wartet darauf, dass ich mich aufrappelte. Ich nahm mir einen Augenblick, um die beiden zu mustern. Sie waren ein süßes Pärchen. Auch wenn sie beide punkig aussahen, hätte sie verschiedener nicht sein können. Die aufgedrehte, etwas naive Lili stellte einen krassen Kontrast zum ruhigen, abgeklärten Eddi dar.
Aber wie heißt es so schön? Gegensätze ziehen sich an.
Als wir am Eingang standen, wartete Paris schon vor dem großen Jeep, zwei Plastiktüten haltend. Etwas unsicher lächelte sie uns an.
„Wow, du siehst ja mal extrem geil aus. Ich bin Lili.“ Begrüßte meine beste Freundin sie.
„Ich bin Paris. Freut mich, euch kennen zu lernen.“
„Paris? Echt jetzt? Kein Witz?“
„Jas!“ ich stieße ihm meinen Ellenbogen in die Rippen, aber Paris lachte nur.
„Meine Mutter war auf ’nem Trip…“
„Achso, ja da macht man natürlich schon mal komisches Zeug.“ Pflichtete Lili ihr da bei. Stirnrunzelnd sah Paris mich an, ich erwiderte mit einem Schulterzucken. Lili war sehr…probierfreudig.
„Ich habe euch was mitgebracht. Oder naja-“ ich grinste „Ich habe Paris darum gebeten, euch was mitzubringen.“
„Oh bitte, sag, dass es Schokolade ist!!“ Lili hüpfte auf und ab. Sie war genauso süchtig nach dem Zeug wie ich.
„Na klar. Ich kenn dich doch.“
Mit einem Freudenschrei fiel sie erst mir und dann der überforderten Paris um den Hals.
„Ähm…hier.“ Stammelte diese, als das andere Mädchen endlich von ihr abgelassen hatte, und drückte dem Rotschopf die Tüte in die Hand.
„Für dich hab ich Gummibärchen, Eddi.“
„Danke, Kleine.“ Er umarmte mich zum Abschied, genauso, wie seine hyperaktive Freundin.
„Komm bald wieder, Schatz. Hörst du? Und lass dich von den schlechten Schwingungen nicht unterkriegen!“
„Mach ich nicht. Versprochen. Bis bald.“
Ich drückte sie ganz fest, dann drehte ich mich zu Jasper. Seine braunen Augen schienen mich zu durchbohren.
„Ciao.“ Setzte ich an, aber er zog mich an seine Brust und küsste mich. Seine Lippen waren genau so weich, wie ich sie in Erinnerung hatte und ich konnte sein kaltes Piercing an meiner Unterlippe fühlen.
Ich schloss meine Augen und legte meine Hände auf seine warme Brust. Nach viel zu kurzer Zeit löste er sich von mir, doch kurz darauf spürte ich seine Lippen noch mal an meinem Ohr.
„Ich habe dich auf jeden Fall vermisst.“
Damit ließ er endgültig von mir ab und ich stand benommen vor ihm. Die Zeit schien stehen geblieben zu sein und alles, was ich wahrnahm, waren das Kribbeln auf meinen Lippen und mein rapider Herzschlag.
„Adriana? Kommst du?“ riss Paris mich schließlich aus meiner Starre.
Ein Lächeln stahl sich auf meine Lippen, bevor ich mich umdrehte und ins Auto stieg.
Verträumt schaute ich aus dem Fenster und hatte eigentlich nur das Bild seiner braunen Augen im Kopf.
„Was war das?“ fragte Paris schließlich vorsichtig.
„Ein Kuss?“ ich bemühte mich möglichst unschuldig zu klingen.
„Wäre ich jetzt nicht drauf gekommen! Aber jetzt mal ehrlich! Du siehst aus, als hättest du im Lotto gewonnen!“
„Das war besser als im Lotto gewinnen.“
„Scheint so, als müsste ich dir jetzt öfter beim Rausschmuggeln helfen.“ Sie grinste mir verschwörerisch zu.
„Jep, unbedingt. Oder auch reinschmuggeln.“
„Na dann kannst du deinen Bruder aber ins Krankenhaus einliefern. Wenn er ihn im Adamskostüm in deinem Bett sieht, bekommt er einen Herzinfarkt.“
„Paris!“ ich merkte, wie mir Röte in die Wangen stieg.
Sie zwinkerte mir frech zu „Was meinst du, wozu so ein großes Bett sonst nötig ist?“
Na da könnte sie recht haben.
„Und jetzt mach dich nützlich und hilf mir auspacken.“
„Eye, eye Sir.“
Während wir gemeinsam auspackten, löcherte Paris mich mit Fragen.
„Wie hast du die Paradiesvögel von eben eigentlich kennengelernt?“
„Das war vor etwa einem Jahr. Ich habe es gehasst zu Hause.“
„Wieso?“
„Es musste immer alles perfekt sein. ICH musste immer perfekt sein. Das war irgendwie noch nie so mein Ding…“
„Kann ich mir vorstellen.“
„Naja, auf jeden Fall verbrachte ich da so wenig Zeit wie möglich und ging lieber raus. Oft abends in den Stadtpark. Da habe ich die Punkt immer gerne beobachtet, mich aber nie getraut, mal näher zu gehen geschweige denn sie anzusprechen.“
„Sie sehen ja auch etwas…wild aus.“ Pflichtete Paris mir sofort bei.
„Ja und sie waren halt unter sich, ohne jemanden, der ‚normal’ aussah dabei. Eines Abends, es war schon ziemlich dämmrig und es regnete, so dass kaum Leute unterwegs waren, wurde ich von einem älteren Mann angemacht. Ich war fünfzehn und total überfordert damit. Als er immer aufdringlicher wurde, fing ich an, um Hilfe zu rufen, aber niemand kam. Ich könnte schwören, dass mich wer gehört hat, aber keiner hielt es für nötig einzuschreiten.
Ich hatte eine Wahnsinnsangst und gerade als ich aufgegeben hatte, kam eine Gruppe von besagten Punks und zog den Typen von mir weg. Nach ein paar Drohungen verpisste er sich dann auch.“ Ich schauderte bei der Erinnerung.
Paris sah mich entsetzt an und nahm mich dann in den Arm.
„Auf jeden Fall war ich total aufgelöst und hab geheult. Lili, die mit den roten Haaren, tröstete mich und sie brachten mich zur Brücke. Dort saß ich dann einfach dabei, während sie erzählten. Das war das erste Mal, dass ich so akzeptiert wurde, wie ich war und mich nicht verstellen musste. Von da an kam ich fast jeden Tag. Lili wurde meine beste Freundin, Eddi mein bester Freund und Jasper, naja mittlerweile irgendwie mehr als das.“
„Ist das der mit den blonden Haaren?“
Ich nickte verträumt „Jep.“
„Er ist süß. Nicht so mein Typ, aber auf jeden Fall hat er was.“
Ich grinste „Was ist denn so dein Typ?“
„Ach…das ist…unterschiedlich.“ Sie wurde knallrot und ich wurde neugierig.
„Paris, raus mit der Sprache!“
„Ähm…also gepflegt und –“ sie druckste herum. War es denn so schlimm?
„Äh…also schon irgendwie kontrolliert und erwachsen. Halt so das Gegenteil von mir. Ich brauche einen Fels in der Brandung, der mich hält, wenn ich auf dumme Ideen komme. Und ich mag blonde Jungs mit…meerblauen Augen.“ Vorsichtig blickte sie mich an.
Fassungslos starrte ich zurück. Echt jetzt? Ihre Beschreibung passte perfekt auf…
„Meinen Bruder? Du stehst auf meinen Bruder?“ schrie ich fast.
„Ada, nicht so laut!“ traurig blickte sie mich an „Ich weiß, ich weiß. Er ist ein Arschloch und würde mich nie im Leben eines zweiten Blickes würdigen, aber Himmel! Er ist der einzige Junge mit dem ich in den letzten zwei Jahren mehr Kontakt hatte, als ein ‚Hallo’ oder ‚Tschüss’. Und er sieht verdammt gut aus!“
„Aber er ist ein Vollidiot!“
„Musst du mir nicht sagen. Aber stehen wir Mädels nicht immer auf die Scheißkerle?“
Ich seufzte. Ja da war schon was dran. Aber trotzdem…mein Bruder war…igitt!!!
„Paris er würde nie was mit dir anfangen, nichts Ernstes zumindest.“
„Jaja. Seine verflixten Vorurteile! Aber es wäre vermutlich eh unklug etwas mit dem Chef zu haben.“
Nun war ich die jenige, die in den Arm nahm.
„Das Leben ist nun mal total unfair.“
Sie wischte sich eine Träne weg und lachte plötzlich.
„Weißt du, wer mich ganz am Anfang mal angebaggert hat? Der beste Freund von deinem Bruder, Seth. Er konnte es nicht lassen, die ganze Zeit auf meine Titten zu schauen und schlüpfrige Kommentare abzugeben. Als er dann eines Tages so weit ging, mich am Arsch zu begrapschen, ist mir ausversehen –“ sie zwinkerte mir zu „eine Tasse mit heißem Wasser vom Tablett gerutscht…genau auf seinen Schoß. Zufälle gibt’s…“
„Das hätte ich dir gar nicht zu getraut, du braves Mädchen!“
„Glaub mir, früher war ich alles andere als brav, glaub mir. Master Cedric hat Seth danach noch mal zur Seite genommen und was immer er ihm gesagt hat…es hat geholfen. Das Ekel hat mit seinen Anmachen aufgehört.“
„Wow. Mein Bruder mal fast gentleman-like.“
„Naja. Wahrscheinlich ging es in die Richtung von ‚Also wirklich. Seth! Wie kannst du dich auf das Niveau einer Angestellten herablassen’.“
Es war zu lustig: Paris imitierte perfekt seinen Ton und wedelte mit der Hand in der Luft herum.
„Wie schön, dass ihr Spaß habt.“ Ertönte da auf einmal die kühle Stimme meines Bruders von der Tür her
Pari warf mir einen entsetzten Blick zu und wurde knallrot. Zu ihrem Glück stand sie mit dem Rücken zu Cedric, sodass er es nicht sah.
„Ähm…Master Cedric…wir ähm…“ stotterte Paris nervös und ich beschloss, die Arme nicht hängen zu lassen.
„Packen gerade aus. Willst du uns nicht helfen?“
Ein entsetzter Ausdruck huschte über sein Gesicht. Oh man, das durfte doch nicht wahr ein! Verwöhntes Blag!
„Ich gehe gleich zu Seth.“ Parallel prusteten wir los und ernteten prompt einen irritierten Blick.
„Hast du deine Hausaufgaben fertig?“
„Ja, Mama.“ Log ich ihn munter an. Deutsch konnte auch noch was warten.
Paris und ich grinsten uns an und etwas verwirrt verließ uns mein geschätzter Bruder dann.
Die Küche war einfach nicht sein Herrschaftsgebiet.
Kurze Zeit später waren wir fertig und ich verkrümelte mich auf mein Zimmer.
Ich hatte einiges zu verarbeiten.
Dieses Kapitel ist mehr ein Lückenfüller, tut mir leid, muss aber sein ;)
Marilyn Mansons Version von Sweet Dreams hat mcih bei diesem Kapitel begleitet.
http://www.youtube.com/watch?v=2zuv98nNVHE
(wirklich toll diese Version!)
Der Rest der Woche verlief ohne größere Vorkommnisse. Dank meiner neuen Freunde schaffte ich es erneut, Cedrics Clique aus dem Weg zu gehen und so gab es auch keinen Stress.
Samstag stand ich um 9:00 Uhr auf, schließlich wollte ich mich ja ein bisschen hübsch machen zum Shoppen und mein Bruderherz musste ich auch noch anpumpen.
Gesagt, getan.
„Wie viel brauchst du denn?“
„Keine Ahnung. Aber ich brauch ne komplett neue Garderobe.“ Ich gab mir Mühe es möglichst beiläufig klingen zu lassen.
„Willst du dir endlich vernünftige Sachen kaufen?“
„Ceddie! Das Thema hatten wir schon. Meine Klamotten gefallen mir so, wie sie sind!“
Er atmete einmal tief durch und ich sah es förmlich hinter seiner Stirn rattern, dann drückte er mir plötzlich was in die Hand.
„Pass gut drauf auf!“
Ungläubig starrte ich auf das Ding in meiner Hand, danach in seine Augen.
„Du gibst mir deine Kreditkarte?“
Er grinste. Bitte was? Musste ich mir Gedanken um seine Gesundheit machen?
„Joah, vielleicht denkst du dann an mich, wenn du shoppst.“
„Ist da ein Limit drauf?“
Sein Grinsen wurde etwas unsicher und ein Stirnrunzeln schmückte nun sein Gesicht.
„Sollte ich mir Sorgen machen?“
„Ne ne. Quatsch. Sooo bekloppt bin ich dann auch nicht.“
„Soll ich dich in die Stadt fahren?“
Mein Gott. Jetzt war es offiziell: Aliens hatten meinen Bruder entführt und durch einen ultra-netten Klon ersetzt.
„Nein danke, Paris kommt mit. Als meine Modeberaterin.“
„Na vielleicht wird’s ja dann nicht so schlimm wie gedacht. Wenn sie will, kann sie auch ein paar Sachen für sich besorgen.“
Ich konnte nicht anders, als ihn ungläubig anzustarren. Was war denn heute los mit meinem Bruder?
„Apropos Paris. Weißt du, wo sie ist?“
„Ja, sie macht gerade mein Bett.“
Ok, das war schon eher mein Bruder. Konnte noch nicht mal die einfachsten Sachen selbst machen. Aber weil er gerade so nett war, wollte ich keinen Streit vom Zaun brechen.
„Ich bring dich zu meinem Zimmer.“
Schweigend folgte ich ihm.
„Ceeeedric.“ Kreischte es da plötzlich.
„Tatjana. Hast du alles gefunden?“
„Ja, euer Whirlpool ist ja DER Kracher. Den müssen wir unbedingt mal zusammen ausprobieren.“
Ah, deshalb hatte er wohl so gute Laune. Ashley Tisdale II. schien ihn gut zu unterhalten haben letzte Nacht. Nun schmiss sie sich erstmal an seinen Hals, um ihn abzuknutschen (wobei schlabbern es wahrscheinlich besser beschreiben würde, naja, wird drauf stand…)
Etwas hilflos stand ich hinter dem turtelnden Paar – hallo? Hier waren Minderjährige zugegen! – bis mich ein Türknallen aus der peinlichen Situation erlöste.
Ich blickte an dem sexelnden Paar vorbei und sah eine wenig begeistert dreinblickende Paris im Gang stehen.
„Bist du fertig?“
„Ja Master Cedric.“ Sie senkte den Kopf und kam auf uns zu.
„Dann wünsche ich euch viel Spaß. Wir fahren gleich zu Seth und ich komme erst morgen wieder zurück.“
„Bis dann.“ Ich nahm die verstummte Paris an der Hand und zog sie mit mir.
Gefühlte 1000 Gänge später blieben wir stehen.
„Er ist ein Idiot.“
„Ada, er kann man machen was er will.“ Traurig blickte sie mich an.
„Trotzdem.“
„Und jedes Mal darf ich sein Laken wechseln, wenn er wieder eines seiner Betthäschen mitgebracht hat.“
Bitte nicht mehr Details. Über das Liebesleben seines Bruders wollte man ungefähr eben so gerne bescheid wissen, wie über das Paarungsverhalten von Ratten – nicht das ich etwas gegen diese possierlichen Tiere hätte, aber…
Ich nahm sie in den Arm.
„Heute Abend suchen wir dir einen süßen anderen Typen, ok?“
„Jap, ein bisschen Ablenkung kann wohl nicht schaden.“
„Ganz genau! So und jetzt zieh dich mal um, du willst doch nicht in dem Outfit shoppen gehen, oder?“ Ich wies auf ihre Dienstmädchen-Uniform.
„Natürlich nicht. Komm mit, ich zeig dir mein Zimmer.“
Kurze Zeit später betrat ich das wohl klischeehafteste Mädchenzimmer überhaupt.
„Ach du meine Güte.“ Ich blickte mich um und von allen Seiten schien rosa und Plüsch mir förmlich entgegen zu schreien.
„Wie gefällt’s dir?“
Ähm…wie brachte ich ihr nur möglichst schonend bei, dass ich gerade meine persönliche Hölle betreten hatte.
„Ähm…also das ist jetzt nicht so ganz mein Fall.“ Versuchte ich es möglichst diplomatisch.
Da fing Paris auch schon an zu lachen.
„Hätte mich auch schwer gewundert, wenn doch. Für mich ist es ein Traum. Weißt du, früher, bei meiner Mutter, hatten wir nur dunkle, traurige Farben in der Wohnung. Passend zur Stimmung.“ Sie lachte hart auf. „Als ich dann hierhin kam und mein eigenes Zimmer zugewiesen bekam, wollte ich, dass es sich so viel wie möglich von meinem alten Zuhause unterschied. Sozusagen ein kompletter Neuanfang.“
Ich ließ mich in einen weißen Plüschsessel fallen.
„Na gemütlich hast du es hier auf jeden Fall.“ Mein Blick schweifte zu ihrem Bett mit Blümchenbettwäsche, die nur an einigen Stellen unter den Kissenbergen hervorblitzte.
„Jap.“ Sie schälte sich aus ihrer Kleidung und schlüpfte in eine hellblaue Hüftjeans, einen weißen Pullover uns Uggs.
„Ich bin startklar.“
„Super, dann lass uns verschwinden.“
Eine halbe Stunde später standen wir in im riesigen H&M.
„Auf geht’s. Jetzt kannst du dich austoben. Aber bitte nichts Rosanes.“ Warnte ich meine Freundin schon mal vorsichtshalber.
Damit stürzten wir uns ins Getümmel. Zwei Stunden und unzählige Anproben später, konnte ich endlich zahlen. Wow, unser shoppen hatte sich wirklich gelohnt.
„Lass uns eben die Sachen ins Auto packen und dann weitermachen.“ Paris Augen strahlten.
Bitte was? Weitermachen? Ich hatte doch genug.
Allerdings blieb mir keine Zeit was einzuwenden, denn sie zog mich schon ungestüm über die Straße. Wie konnte man nur so eine Ausdauer haben?
„Ada, guck mal!“ schrie sie da plötzlich auf.
„Hmm?“ Was meinte sie?
„Guck mal, sind die nicht traumhaft?“
Tatsächlich, da hingen ein paar wunderschöne Kleider im Schaufenster. Lange Abendroben, Cocktailkleider und heiße Minis.
„Da müssen wir rein.“
„Aber ich brauche kein Kleid.“
„Oh man Ada. Sei nicht so spießig.“ Bitte was?! „Komm schon, das macht Spaß. Sei nicht so langweilig.“
Das überzeugte mich dann doch.
Als wir durch die Tür kamen, wurde ich sofort abfällig gemustert. Na super. Arrogante Verkäuferinnen. Wenn die wüssten…
Paris schien das wenig zu stören, denn sie war sofort in ihrem Element.
Das erste Prachtstück, was sie hochhielt war – wie sollte es anders sein - bonbonrosa mit einer fetten Schleife an der Taille.
„Nicht dein Ernst.“
„Hmm…nein, das ist nichts für dich. Rosa passt nicht zu deinen Haaren.“
Na da war ich ja beruhigt.
Ich blieb an einem dunkelgrünen Kleid im Empire-Style hängen.
„Das ist cool.“
„Hmm. Nimm das schon mal mit.“
Eine halbe Stunde später verschwand ich in der Umkleide. Neben dem grünen hatte ich auch noch ein schwarzes, schlichtes Minikleid gefunden, dessen Träger nur über eine Schulter reichte.
Ich betrachtete mich im Spiegel.
Ups. Für das schwarze hatte ich definitiv nicht die Figur. Schade. Aber das grüne sah super aus.
„Und?“ kam es von draußen.
Ich trat hinaus und die Blondine musterte mich kritisch.
„Sieht gut aus, aber da fehlt das gewisse etwas.“ (ver)urteilte sie das Kleid.
„Was ist mit dem anderen?“
„Bin ich zu fett für.“
„Quatsch! Das ist einfach nur für magersüchtige Models geschnitten. Kannst du ja nichts für, wenn du kein brettähnlicher Hungerhaken bist.“ Beruhigte sie mich. Wie süß!
„Ich hab noch eins gefunden. Probier mal.“
Sie zog ein glitzerndes und funkelndes Ding hinter ihren Rücken hervor.
„Ne-“
„Denk an dein Versprechen. Ich darf dich stylen. Einzige Einschränkung war kein Rosa.“
Oh man. Notiz an mich selbst: beim nächsten Mal auch Glitzer, Glimmer und Plüsch Sachen verbieten. Aber jetzt musste ich mich erstmal fügen.
In der Kabine besah ich es mir genauer. Bis auf die discokugelmäßigen Pailletten überall war es schlicht: Zwei breite Träger, gemäßigter V-Ausschnitt.
Ich schlüpfte hinein und suchte nach dem Reißverschluss am Rücken. Mist! Wo war das verdammte teil? Ich bemühte mich, meine Kehrseite im Spiegel zu betrachten.
Kein Wunder, dass ich den Reißverschluss nicht fand…es gab nämlich keinen Stoff, den er hätte zusammenhalten können: Bis etwas auf Höhe des Bauchnabels war mein Kleid rückenfrei. Cool!
„Aadaaaa. Wie weit bist du?“
Mit einem Ruck öffnete ich den Vorhang.
„Tadaaaa… Ladies and Gentlemen. Miss Discokugel!“
„Ada, das sieht hamma aus! Dreh dich mal.“
Ich tat wie mir geheißen.
„Wow. Sexy Rücken. Das ist dein Kleid, glaub mir.“
Zweifelnd blickte ich sie an, dann musterte ich nich nochmals im Spiegel.
Es war schon ziemlich geil.
„Aber wozu brauche ich so ein Ding?“ Ich war halt eher praktisch veranlagt.
„Zu…“ Paris kaute auf ihrer Lippe und hatte nachdenklich die Stirn gerunzelt.
„Zum Abschlussball!“
„Paris! Den hab ich in zwei Jahren.“
„Aber der von deinem Bruder ist in zwei Monaten!“
„Da geh’ ich doch nicht hin!“
„Sicher gehst du da hin und zwar in diesem Kleid!“
„Aber-“
„Kein ‚aber’ Was meinst du, wie die alle glotzen werden? Du siehst fabelhaft aus!“
Das könnte lustig werden.
„Also gut.“ Dann fiel mein Blick auf den Preis „360€? Kommt nicht in die Tüte!“
Tja das war’s wohl mit meinem Mega-Auftritt.
„Ada, dein Bruder hat Anzüge, die sind doppelt so teuer!“
Das war ein Argument. Außerdem zahlte er ja.
„Ok, aber ich will dich auch noch in einem sehen.“
„Nei-“
„Nichts da. Nimm das Blaue dahinten, das passt bestimmt toll.“ Willkürlich deutet ich auf eines weiter hinten im Laden.
„Okeeee.“
Kurze zeit später erschien sie vor mir – Schien so, als hätte Paris mehr Übung im Umziehen.
Und heilige Scheiße!
Das war doch kein einfaches Dienstmädchen was da vor mir stand! Das war ein verdammter Hollywood Star!
Die lange Robe war tiefblau, trägerlos und betonte ihr perfektes Dekoltee.
Bis zur Taille war sie hauteng, um dann gerade bis zum Boden zu fallen.
„Das ist perfekt!“
„Ja, das ist es.“
„Nimm es.“
„Bist du bescheuert? Von welchem Geld?! Nein, es ist ein Traumkleid, aber leider nicht meins.“
„Ich könnte –“
„Nein, Ada. Das ist zu teuer.“
„Aber Cedr-“
„Master Cedric würde es nicht gutheißen, wenn du so viel Geld für mich ausgibst.“
Da könnte sie Recht haben, aber das war einfach IHR Kleid.
„Paris, komm schon!“
„Nein, Ada.“ Entschlossen blickte sie mir in die Augen. „Es geht einfach nicht. Zahl du, ich zieh mich um.“
Ich seufzte und ging zur Kasse.
„Sind Sie sicher, dass das…erschwinglich für Sie ist, Miss…“
„Landgraf. Und ja, dessen bin ich mir äußerst sicher.“
Bei Erwähnung meines Namens wurde sie doofe Zicke sichtlich blasser. Normalerweise würde ich nie meine Herkunft benutzen, um mich wichtig zu machen, aber die unverschämte Kuh hatte es nicht anders verdient.
„Und schicken Sie das, was meine Freundin gerade anhatte bitte an Adriana Landgraf.“ Schnell kritzelte ich unsere Adresse auf ein Stück Papier.
„Schnell, ich möchte zahlen.“ Ich hatte den perfekten Befehlston drauf, meine Mutter wäre stolz auf mich.
Wortlos fertigte meine Gegenüber den Einkauf ab und drückte mir eine Tüte in die Hand, als gerade Paris zurückkam. Die Arme sah immer noch ganz geknickt aus.
„So jetzt gehen wir ein Eis essen und dann widmen wir uns den Schuhen.“
Das zog und sie find wieder an zu strahlen.
„Ich kenne ein total schnuckeliges Cafe.“
„Dann nichts wie los. Ich hab Hunger.“
Zwei Tassen Kakao und einen Früchtebecher später legten wir dann den Endspurt ein und gingen Schuhe shoppen.
„Du brauchst unbedingt welche für heute Abend! Pumps.“
„Ich möchte schlichte schwarze. Die finde ich mega schön.“
„Ja. Guck mal dahinten.“
Und da standen sie: meine Traumschuhe.
Schlichte schwarze Samt-Pumps.
„Die sind perfekt.“
„Los anprobieren.“
Als ich hineinschlüpfte, musste ich mich an Paris festhalten. Ui, die waren ziemlich hoch.
„Stell dich nicht so an. Das sind 10cm.“
„Ja eben.“ 10 verdammte Zentimeter, die Alles, nur nicht einfach auszubalancieren waren.
„Ich hatte noch nie hohe Schuhe.“
„Dann müssen wir gleich noch nen Crash-Kurs machen, wie man darauf läuft.“
„Hab mir schon mal welche von meiner Mum geklaut, um zu üben, aber ein bisschen mehr Übung schadet sicher nicht.“
„Ok, dann also die. Suchst du noch was anderes?“
„So normale zum Rausgehen. Oh guck mal, die sind toll.“
„Normal…ja ne ist klar.“
Paris warf einen skeptischen Blick auf die kanarienvogelgelben Lacksneakers mit pinkem Leuchtstreifen.
„Aber die passen zu dir.“
Jap, das fand ich auch.
„Brauchst du auch noch was?“
„Nope, mein Schuhregal ist eh schon überfüllt.“
„Wir verließen den Laden und befanden uns schließlich endlich auf dem Heimweg.
So ausgiebig war ich glaube ich noch nie shoppen gewesen. Andererseits, war es natürlich früher auch so, dass meine Mutter mich von Boutique zu Boutique geschleppt hatte und jedes Mal, wenn etwas nicht passte, meine ‚überflüssigen Pfunde’ diskutiert wurden. Kann man wohl nachvollziehen, dass das nicht so wirklich lustig war!
„Gleich machen wir zwei hübschen uns fertig.“ Unterbracht Paris plötzlich meinen Gedankengang.
Ein Blick auf die Uhr sagte mir, dass es schon 16Uhr war.
„Wann willst du denn los?“
„So um 21:00 Uhr fahren wir. Dann sind wir um viertel nach neun beim Bermudas und spätestens um halb zehn drinnen.“
„Super. Brauchst du gleich noch Hilfe?“
„Ne ne, gibt eigentlich nichts mehr zu tun. Habe ich gestern schon alles erledigt. Pack du mal in Ruhe deine Sachen aus und so in einer Stunde kannst du dann zu mir kommen und wir basteln an ein paar deiner Sachen rum.“
Stimmt ja. Paris hatte ein paar klasse Ideen für eigene Teile gehabt, unter anderem für mein Outfit heute Abend. Sie wollte ihre Fähigkeiten als Designerin beweisen.
Mit drei schwarzen Leggings, einer Schere und Kakao bewaffnet, machte ich mich etwas später auf den Weg zu Paris Zimmer. Wieder überflutete das ganze rosa Gedöns mich, aber über Geschmack ließ sich ja bekanntlich streiten.
„Da bist du ja. Lass und keine Zeit verlieren.“
Sie schubste mich aufs rosa Plüschsofa und griff zu Schere und Leggins.
Etwas besorgt beobachtete ich, wie Paris wahllos Risse hinein schnitt. Würde ich gleich noch irgendetwas anhaben?
„Los zieh an.“
Paris warf mir ihr Kunstwerk zu und ich schlüpfte hinein, was gar nicht so einfach war, weil mein Fuß dauernd in einem der Löcher hängenblieb.
„Ada. Das ist DER Hamma! Guck dich mal an, Süße.“
Vor dem Spiegel fiel ich bald um.
Das sah geil aus! Etwas gewagt vielleicht, aber mit einem schlichten Oberteil perfekt.
Die Risse waren unterschiedlich lang und entblößten eine Menge Haut an den Oberschenkeln. Mein Bein wirkte so viel schlanker und einfach sexy.
„Paris das ist toll! Du bist ein Schatz.“
„Freut mich, dass es dir gefällt. Lass mir die anderen Hosen mal hier, da brauch ich was länger für.“
„Yep, was zeihst du heute Abend an?“
„Mach die Augen zu und ich präsentier’s dir.“
Ich tat wie geheißen und unglaubliche zwei Minuten später ertönte schon ihr „Fertig:“
Meine Güte. Es war mir ein Rätsel, wie man so schön sein konnte.
Sie hatte eine dünne, schwarze Strumpfhose mit Blumenornamenten aus Spitze darauf an, einen superkurzen Minirock in der gleichen Farbe und eine hellrosa Bluse, die an der Taille gerafft war und Perlen am Ausschnitt besaß.
Ihre Beine schienen endlos lang und sie hatte noch nicht einmal hohe Schuhe an. Außerdem war sie bis auf Wimperntusche ungeschminkt aus und strahlte trotzdem einen Glamour aus, den die meisten Stars nicht erreichten.
„Es ist unfair, wenn Leute so aussehen. Wo ist da die gerechte Verteilung von Genen?“
„Danke. Aber du siehst auch gut aus, nur auf eine ganz andere Weise. Also hör auf, dich ständig mit anderen zu vergleichen!“
„Du hast Recht.“ Ja, das hatte sie wirklich, aber es war nun mal schwierig, selbstbewusst zu sein, wenn man mit einem Mädchen unter einem Dach lebte, das die Tochter von Heidi Klum, Cyndi Crawford oder sonst eines Topmodels hätte sein können. Aber was sollte man machen…
Paris zeigte mir noch eine Weile lang, wie ich am besten auf High Heels lief (am Ende sah es zwar nicht halbwegs so elegant aus, wie bei ihr, aber sie versicherte mir, ich hätte mich gut geschlagen), bis sie plötzlich aufsprang.
„Oh mein Gott! Schon so spät? Wir müssen uns fertig machen!“
Ein Blick auf ihren Radiowecker zeigte mir, dass es gerade einmal 19:00 Uhr war.
Sie wollte doch erst um 21:00 Uhr los? Zwei Stunden reichten ja wohl locker.
Duschen, schminken, anziehen und als letztes die Haare machen. Konnte doch nicht so schwer sein.
Doch schon zweiteres stellte mich auf die Probe. Make-up wollte ich nicht draufmachen, für Rouge war ich zu ungeschickt. Schließlich fand ich einen Abdeckstift, mit dem ich meine pubertären Gemeinheiten an Kinn und Stirn überschminkte.
Lippenstift stand mir nicht, Lipgloss fand ich ekelig. Wenn einem dauernd die Haare daran kleben blieben. Igitt, nein!
Nun zu meinen Augen. Was sollte ich damit machen? Wimperntusche und Kajal war langweilig. Das hatte ich jeden Tag drauf. Mit sogenannten Smokey Eyes sah ich aus wie ein Waschbär. Vielleicht hatte Paris eine Idee. Naja, bestimmt hatte sie die, aber ob sie mir gefiel war eine andere Frage.
Meine Kleidung war relativ schnell gefunden. Die neue Löcherlegging a la Paris, dazu ein weißes Top in A-Form, um meinen Hüftspeck zu kaschieren und eine schwarze durchsichtige Bluse darüber.
Meine Haare ließen nicht so viele Möglichkeiten zum frisieren: offen oder Zopf.
Ich entschied mich schließlich für einen hohen Pferdeschwanz (Lara Croft like) und verteilte etwas Glitzerpuder auf der Seite wo meine Haare ganz kurz waren, was zur Folge hatte, dass bei Lichteinfall kleine silberne Reflexe im Blau zu sehen waren.
Ein letzter Blick in den Spiegel und ich machte mich auf den Weg zu Paris.
„Da bist du ja. Hast dich ja richtig aufgestylt.“ Sie musterte mich kritisch. Irgendwie verhieß ihr Blick nichts Gutes.
„Was soll das denn heißen?“
„Nur, dass ich heute Abend wohl gut auf die aufpassen muss.“
Ich grinste „Too overdressed?“
„Nope, ist dein erstes Mal feiern, da kannste alles geben. Übrigens ist dein Haar spitze.“
„Danke, aber ich hatte eine mittlere Krise beim Schminken. Kannst du meine Augen machen?“
„Sicher doch. Setzt dich hin und halt ruhig.“
Ich schloss meine Augen und Paris fing an, an mir herum zu hantieren.
Wozu brauchte sie denn so lange?
„Aufmachen, angucken und dann fahren wir los.“
Im Spiegel blickten mich braune Augen intensiv an.
Hä? Seit wann konnte ich denn so starren? Nun, seitdem Paris das Braun mit Blautönen intensiviert hatte. So was hatte ich mich nie getraut. Eigentlich passten Braun und Blau doch nicht, oder?
Paris Kunstwerk mit dunkelblauem Liedschatten hatte wohl gerade den Widerleg gebracht. Es sah toll aus.
„Du bist spitze Paris.“
„Und du bist meine Muse. Ich denke ich muss dich öfter zum Ausprobieren missbrauchen. Ab die Post.“
Als wir ins Auto stiegen, war ich mit einem Male total nervös.
Oh mein Gott! Heute wäre mein erstes Mal in einem Club!
Ruhig atmen, Ada. Ganz ruhig.
Song ist von Katzenjammer
http://www.youtube.com/watch?v=O4vopB5BaUM
Nachdem wir über eine Lache aus Erbrochenem gestiegen, zwei total besoffenen Jungs – hallo?! Es war grad mal halb zehn -, die gerade aus dem Club geführt wurden, ausgewichen und am perversen Türsteher, der uns an den Arsch grapschte, vorbeigekommen waren, standen wir eine halbe Stunde später endlich auf der Tanzfläche.
Ich muss zugeben, dass ich etwas überfordert war. Zum Glück schien aber wenigstens Paris sich auszukennen, denn sie quetschte sich durch die Feierwütigen und bedeutete mir ihr zu folgen.
Als wie schließlich am anderen Ende des Raumes waren, zog sie mich in eine einigermaßen ruhige Ecke.
„Also, wir versuchen zusammen zu bleiben, aber bei dem Wirrwarr hier ist das verdammt schwierig. Also falls wir uns aus den Augen verlieren-“
„Oder du mit einem heißen Typen rummachst.“ Unterbrach ich Paris und sie grinste.
„Oder das. Dann treffen wir uns um spätestens 20 vor Zwölf an der Garderobe. Klar?“
„Eye, eye Sir.“
„Und reden bringt nicht viel, wenn wir gleich auf der Tanzfläche sind. Wenn du was willst, dann Zeichensprache.“
Das klang einleuchtend.
„Jetzt komm! Party Rock is in the house tonight.”
„Everybody just have a good time.“
Damit zog Paris mich aus unserer Nische und ich hatte das Gefühl, fast taub zu werden.
Und was jetzt? Tanzen?
Naja, was die anderen konnten, konnte ich ja wohl auch. Hoffte ich zumindest.
Also begann ich einfach mal, mich zur Musik zu bewegen. Meine Begleiterin tanzte, mir zugewandt, ein Stück entfernt und im Gegensatz zu meinem Schaukeln zur Musik, ließ sie es richtig krachen.
Nach kurzer Zeit tauchte ein wirklich süßer Typ hinter ihr auf und legte seine Hände auf ihre Hüfte.
Und Paris? Die tanzte einfach weiter, starrte mich aber plötzlich eindringlich an.
Was wollte sie?
Als das blonde Mädchen dann schließlich ein bisschen über ihr Schulter zu dem Typen nickte verstand ich endlich.
Noch mal musterte ich den Glücklichen, er sah echt nett aus. Braune Wuschelhaare und blaue Augen. Ich grinste und nun legte sie richtig los.
Fasziniert beobachtete ich das Geschehen.
Okeeeeey… jetzt konnte ich nachvollziehen, dass sie ‚früher kein so braves Mädchen war’.
Zur irgendwelchen Electro Beats schwang ich weiter meine Hüften und versuchte die beiden nicht allzu auffällig anzustarren.
Um mich herum bildeten sich immer mehr Pärchen und irgendwie verspürte ich einen Stick Eifersucht. Ich wollte das auch, aber Jasper… tja Jasper würde mit mir nie in so einen Club gehen, selbst wenn wir fest zusammen wären.
Also blieb mir wohl nur das neidische Zuschauen. Immerhin bekam ich dahingehend was geboten: Paris drehte sich in den Armen ihres Typen und auf einmal knutschten die zwei.
Na der Plan sie von Cedric abzulenken war wohl schon mal aufgegangen.
Mit der Zeit kam ich mir schon etwas voyeuristisch vor, sie intensiv zu beobachten, aber was sollte ich schon anderes tun?
Total in meine Beobachtungen vertieft, zuckte ich zusammen, als sie plötzlich zwei Hände auf meinen Allerwertesten legten. Äh…ja?!
Der ging ziemlich zur Sache mit seinen Grapschern, die kräftig zudrückten.
Irgendwie war das ekelig, aber ich wollte keine prüde Spießerin sein, wenn hie anscheinend alle mit völlig Fremden rummachten. Ich beschloss also der Versuchung, ihn loszuwerden, zu widerstehen und mich stattdessen abzulenken, indem ich wieder meine Freundin beobachtete.
Diese starrte mich schon entsetzt an und schüttelte panisch den Kopf.
Ok, das war wohl das Zeichen, den Typen doch auf den Mond zu schicken.
Energisch löste ich seine Grapscher von mir und flüchtete in die Menge.
Über die Schulter hinweg sag ich einen verdutzten Typen, der mindestens zehn Jahre älter war als ich und dessen fettige Haare am Kopf zurückgegelt waren.
Ih ih ih! Und so wen hatte ich mein Hinterteil befummeln lassen.
Besser nicht dran denken!
Ich tanzte weiter nach hinten und beschloss mich jetzt nur noch auf die Musik zu konzentrieren.
Die wurde immerhin besser, sodass nicht mehr nur das Techno Zeug vom Anfang durch den Raum wummerte, sondern auch Mainstream, den ich wenigstens kannte.
Um mich herum bekam ich Kino ohne Geld geboten: ein paar Assi-Mädels mit fetten Sonnenbrillen – ich meine, wir waren in einem CLUB, nicht am STRAND -, ein paar schmierige Typen, die sich in ‚sexy Gesten’ durch die Haare fuhren und zwischen drinnen ein paar echt süße Paare, die hemmungslos rumknutschten und sich von Zuschauern und Remplern nicht aus der Ruhe bringen ließen.
Ich blickte auf mein Handy: 22:15. Noch über anderthalb Stunden.
Irgendwie hatte ich mir das anders vorgestellt.
Spannender, lustiger, aber ehrlich gesagt war mir nur langweilig, meine Füße begannen weh zu tun, die Luft wurde immer stickiger und ein penetranter Schweißgeruch verbreitete sich.
Plötzlich spürte ich wieder Hände auf mir und wollte sie weg schlagen, aber ich stockte.
Das fühlte sich ganz anders an als eben.
Sie lagen nur ganz sanft auf meinen Hüften und wiegten mich zur Musik. Kein Fummeln oder Drücken. Trotzdem wusste ich natürlich nicht, wie er aussah. Sollte ich mich umdrehen?
Mein Blick fiel auf ein Mädchen, was mit ein paar anderen nicht weit entfernt stand und uns musterte.
Ich gab mir Mühe sie möglichst fragend anzusehen und sie schien zu verstehen. Begeistert nickte sie mit dem Kopf und zeigte mir sogar zwei Daumen hoch.
Na dann konnte ich ja auch ein bisschen Spaß haben.
„Na Sexy, Lust ein bisschen zu tanzen?“
Schauer fuhren über meinen Rücken, als ich seine Stimme ganz nah an meinem Ohr hörte. Die Ohren waren meine empfindliche Stelle und seinen Atem daran zu spüren, löste ein Kribbeln in mir aus. Vielleicht würde der Abend doch nicht so übel werden.
Ich nickte als Antwort und wurde an eine breite Brust gezogen.
Ich atmete einmal tief durch, eigentlich um einen klaren kopf zu bekommen, allerdings hatte es nur zur Folge, dass ich sein herrlich männliches Parfüme einatmete, das eine mehr als nette Alternative zu dem Schweißgeruch in der Luft bot.
Seine Daumen beschrieben kleine Kreise an meiner Hüfte und ab und zu berührte ich seine Brust und sein…Becken?
„Leg deine Hände auf meine, Sexy.“
Ertönte plötzlich wieder diese göttliche Stimme an meinem Ohr. Verdammt! Erneut wurde mir ganz warm und ich tat wie geheißen.
Gerade als ich mich wieder entspannte, spürte ich ihn erneut an meiner empfindlichen Stelle. Der Junge wusste, wie er mich in den Wahnsinn treiben konnte.
„Ich habe dich schon eine Weile beobachtet, Sexy.“
„Beobachtet?“ Von wo denn bitteschön?
„Von oben, Sexy. Du bist sehr auffällig.“
Mein Blick schoss nach oben und in dem schwachen Licht konnte ich ein langes Geländer erkennen, an dem einige Leute standen. War dort noch eine Tanzfläche?
„Was ist da?“
„Der VIP-Bereich.“
Oh ok. Na da hatte ich mir ja wirklich wen geangelt.
„Wie gesagt, Sexy, du warst sehr auffällig. Ein wunder, dass dich nur dieser Schleimbeutel angetanzt hat.“
„Ich glaube ich bin einfach nicht so der klassische Männertyp.“
„Nein, Sexy, das wahrscheinlich nicht:“
Immer dieses Wort. Sexy. Irgendwie machte mich das an. Ich meine, noch kein Junge hatte mich als sexy bezeichnet.
„Du bist nicht der typische Männerschwarm, aber heute Abend siehst du ganz unbestreitbar heiß aus.“
Ui. Das wurde ja immer besser.
„Glaub mir, Sexy. Ich konnte meine Augen kaum von dir abwenden.“
„Warum bist du dann erst so spät zu mir gekommen.“
Wäre er früher gekommen, hätte der Abend perfekt begonnen.
„Ich wollte deinen Anblick genießen.“ Das war natürlich ein guter Grund.
„Aber bevor dich noch so ein Schmierlappen anbaggert und meine Aussicht stört, wollte ich sicher gehen auch noch auf meine Kosten zu kommen.“
Mit diesen Worten zog er mich noch enger.
Oh mein Gott! Ich war im Himmel. Ganz sicher.
So tanzten wir noch eine Weile weiter, bis schließlich meine Neugier überwog und ich mich umdrehte.
Grüne Augen blickten mir amüsiert entgegen. Verdammt. Die kannte ich doch…Seth!
„DU?!“
„So sieht man sich wieder, Sexy.“
Dieser…“Perversling! Nimm deine Finger von mir!“
Ich stolperte ein paar Schritte zurück, was auf hohen Hacken sicher nicht so elegant aussah.
„Eben hat es dir doch noch sehr gefallen, dass ich dich berührt habe.“
„Hat es nicht.“
Naja, hatte es ja eigentlich schon. Und das war das Schlimmste daran!
Seine Reaktion war ein spöttisches Augenbrauen-Hochziehen. Verdammt!
„Kusch dich wieder zu deinen anderen VIPs!“
Ich war auf 180. Wie konnte er es wagen? Dieser hinterhältige Lüstling!
Und wie konnte ich das auch noch genießen?
Mit einem letzten tödlichen Blick – wieso konnte er nicht einfach tot umfallen! – verschwand ich so schnell wie es ging in der Menge. Mit etwas Ellenbogeneinsatz hatte ich mich schnell entfernt, aber was jetzt?
Die Lust zum Tanzen war mir absolut vergangen, aber ich hatte noch massig Zeit. Mein Blick fiel auf die Theke an der Längsseite des Raumes. Gut, dann würde ich halt dort die letzten 40 Minuten verbringen. Da sah ich die Typen wenigsten direkt!
Ich ließ mich auf einen der wenigen freien Hocker fallen und blickte zur Tanzfläche.
Vielleicht konnte ich ja Paris entdecken?
Das war natürlich utopisches Wunschdenken bei den ganzen Leuten und in dem schlechten Licht.
Schließlich gab ich es aus und bestellte ein Mixbier. Den Abend hatte ich mir eindeutig anders vorgestellt. Das gab’s doch einfach nicht. Erst machte mich so ein Ekel an und dann tanzte ich auch noch mit dem Arschloch von bestem Freund meines Bruders!
Es hatte mir so gut gefallen. Warum hatte es ausgerechnet Seth sein müssen. Es gab hier doch zum Teufel noch mal genug andere Jungs!
Was wäre wohl passiert, wenn es ein anderer gewesen wäre? Hätte ich dann mit ihm geknutscht? Und was wäre dann mit Jasper gewesen? Oh Gott, Jasper!
Ich ließ meinen Kopf in die Hände sinken. Warum musste mein Leben so verdammt kompliziert sein? Und warum gab es darin plötzlich so viele Jungs?
„Hey du, sieht nicht so aus, als wäre das so dein Abend.“
Ich blickte auf und starrte in die braunen Augen eines großen Typen mit Lederjacke. Lederjacke? Also ich hatte ja praktisch nur ein Top an und mir war höllisch warm. Nunja, jedem das seine.
Er blickte mich mitfühlend an, während ich ihn genauer musterte. Seine Haare waren braun und rappelkurz und im dämmrigen Licht blitzte ab und zu etwas an seiner Braue auf. Cool, ein Piercing! Er passte hier wohl genauso wenig rein wie ich.
„Gut beobachtet, Sherlock.“
„Naja, Sherlock stimmt nicht ganz. Nenn mich Mick.“
„Nett dich kennenzulernen, Mick.“
„Wie heißt du?“
„Ada.“
„Na dann, Ada. Willst du Onkel Mick nicht erzählen, was dein junges Herz bedrückt?“
„Nein, eigentlich nicht.“
Ich drehte mich wieder meinem Bier zu.
„Och komm schon. Sieht nicht so aus, als hättest du im Moment was Besseres zu tun.“
Na da hatte er Recht.
„Weißt du, Jungs sind scheiße:“
„Bestimmt nicht alle. Nimm mich als Beispiel. Wirke ich scheiße auf dich?“
„Vielleicht, vielleicht auch nicht. Ich kenn’ dich nicht. Aber Fakt ist, dass mich im Moment alle Typen verarschen wollen. Und wozu führt das? Ich fühle mich unter den ganzen Leuten hier total alleine.“
„Das ist natürlich nicht schön. Aber warum sollte jemand ein so hübsches Mädchen verarschen?“
„Na weil er sich dann cooler fühlt.“
Ich drehte mich erneut weg und ließ meinen Blick wieder über die Tanzfläche schweifen. Keine Paris in Sicht. Manno.
Ich wandte mich wieder um, nur um feststellen zu müssen, dass er viel näher gerutscht war.
„Soll ich dir was sagen? Ich bin auch alleine. Habe meine Ex eben mit ihrem Neuen knutschen sehen.“
Das war natürlich scheiße für ihn.
„Lass und auf einen Scheiß-Abend anstoßen.“
Er prostete mir zu.
„Stößt man neuerdings auf die schlechten Dinge im Leben an?“
„Hmm…dann halt auf bessere Zeiten und dass die nächste Beziehung besser läuft.“
Na das war doch was.
Wir stießen an und ich nahm ein paar kräftige Schlucke.
Cedric…Jasper…Seth… ja, es mussten definitiv bessere Zeiten kommen. Ich starrte auf meine Flasche und merkte, wie sich langsam etwas Heißes in mir ausbreitete. War das der Alkohol? Aber ich hatte ja praktisch nichts getrunken. Egal, sehr angenehm!
„Hast du eigentlich einen Freund?“
Huch, war Mick eben schon so nahe gewesen? Und hatte er da auch schon so bestechen schöne braune Augen gehabt, fast wie Jasper?
„Ich weiß nicht. Ist alles so kompliziert. Aber nein, eigentlich hab ich keinen.“
Ich verspürte plötzlich die Sehnsucht meine Hand unter seine Lederjacke zu stecken, um zu fühlen, ob seine Brust so gut gebaut war, wie ich hoffte.
„Vielleicht solltest du heute Nacht mal abschalten und alles ganz leicht machen?“
Das klang nach einem wirklich guten Vorschlag. Aber was war mit Jasper? Und Seth? Ach dieser Idiot sollte sich zur Hölle scheren. Was sollte schon mit ihm sein – wieso dachte ich eigentlich an ihn?!
Mick stand nun direkt vor meinem Hocker und blickte mir tief in die Augen.
Er roch gut. Nach Leder. Warum wohl? Ich kicherte. Warum tat ich das?
Meine Hände legten sich wie von selbst auf meine Brust und strichen darüber.
Unter seinem T-Shirt konnte ich wirklich ein paar Muskeln fühlen und - hach, war das ein Piercing? In seiner Brustwarze? Fasziniert versuchte ich mehr zu ertasten.
„Soll ich dir dabei helfen abzuschalten?“ säuselte er an meinem Ohr.
Abschalten? Mit ihm? Das hörte sich vielversprechend an.
Ich schlang meine Hände um seinen Hals.
Song ist von der grandiosen Pink
http://www.youtube.com/watch?v=JbWx2KRjTDQ
(leider nur eine Instrumental Version. Aber lest euch mal die Lyics durch)
Ich tanzte eng umschlungen mit Anton. Wie lange war es her, dass ich jemandem so nah war?
Mindestens zwei Jahre.
Jetzt konnte ich auch wieder nachvollziehen, wieso ich das starke Geschlecht damals so vergöttert hatte. Nicht wegen des Sexes, nein, sondern wegen der Geborgenheit, die ich fühlte, wenn ich danach an sie gekuschelt eingeschlafen war.
Aber soweit würde es heute nicht kommen, dass hatte ich ihm schon klargemacht.
Schließlich hatte ich mich geändert. Ich war nicht mehr das wilde Mädchen von damals und mein Job hatte nun mal einige Ansprüche an mich.
Mit einem Blick auf die Uhr stellte ich fest, dass ich langsam zur Garderobe musste, um mich mit Ada zu treffen. Sie war schon relativ früh in der Menge verschwunden. Ich hoffte mal, dass sie pünktlich war.
„Ich muss gehen.“
„Schade, ich begleite dich noch zu deiner kleinen Freundin.“
Anton lächelte mich an. Süß. Definitiv, aber gegen Cedric hatte er es schwer.
Oh Gott! Ich musste mir endlich diesen Jungen aus dem Kopf schlagen, also erwiderte ich sein Lächeln.
„Lass und gehen.“
Einige Minuten später wanderte mein Blick unruhig durch den halbdunklen Raum.
Wo blieb sie nur?
Verdammt! Das konnte doch wohl nicht wahr sein. Warum hatte ich sie bloß alleine gelassen und mich an den erst besten Typen gehängt?
„Was mache ich denn jetzt?“
Verzweifelt wandte ich mich an meine neue Bekanntschaft, als sie um 24:00Uhr immer noch nicht da war.
Seine blauen Augen bohrten sich tief in meine.
„Beruhig dich. Du bleibst hier stehen, falls sie noch kommen sollte und ich guck mich mal um. Wenn ich sie sehe, sag ich ihr bescheid. Falls sie in der Zwischenzeit zu dir kommt, schreib mir.“
„Ich atmete kurz durch. Eigentlich blieb mir nichts Besseres übrig. Wenigstens hatte er eine Idee. Im Gegensatz zu mir, die ich mal wieder nutzlos in Panik verfiel.
„Ok. Je schneller wir sie finden, desto besser ist es.“
„Komm runter, Süße.“ Er gab mir einen kurzen Kuss auf die Lippen „Wahrscheinlich hat sie beim Tanzen nur die Zeit vergessen.“
Das konnte natürlich sein.
„Bis gleich.“
Die folgenden Minuten waren mit die schlimmsten meines Lebens.
Wie hatte ich nur so verantwortungslos sein können?
Ich wippte auf meinen Füßen vor und zurück, bis ich auf einmal Anton sah, der wild gestikulierend versuchte, zu mir zu gelangen. So schnell, wie die Menge es zu ließ, bahnte ich mir einen Weg zu ihm.
„Sie ist ziemlich beschäftigt. An der Bar. Mit einem Typen, der – mit Verlaub gesagt – viel zu alt für sie ist.“
Ada? Mit ’nem Typen? Aber sie hatte doch ihren Punk! Irgendwas stimmte da nicht!
„An der Bar?“
Oh nein! Hoffentlich war sie nicht dicht. Wie sollte ich Cedric sonst morgen erklären, dass sie mit einem Mordskater im Bett liegt.
„Komm mit.“ Anton – mein Held – zog mich mit sich.
An der Bar bot sich mit ein grausiger Anblick: Ada saß auf einem Hocker, hatte ihre Arme um den Hals und ihre Beine um die Taille eines Typen in Lederjacke geschlungen und knutschte – soweit ich das erkennen konnte – wild mit ihm rum. Gerade als ich zu den beiden hin wollte, hörte ich ein lautes „ADRIANA!!!“
Entsetzt blickte ich mich um und sah Cedric von der anderen Seite auf seine Schwester zustürmen. Konnte es eigentlich noch schlimmer kommen?
„Wer ist das?“
„Mein Chef, ihr Bruder.“
Flüsterte ich Anton kurz zu und ging dann ebenfalls auf die drei zu.
Adriana ignorierte ihren Zornesroten Bruder gänzlich und machte einfach weiter.
Ich hatte ihn noch nie so außer sich erlebt, als er nun den Typen von ihr wegriss, wobei sie beinahe vom Stuhl gefallen wäre. Im letzten Moment wurde sie von einer anderen Person festgehalten – Seth. War etwa die ganze Clique da?
Langsam näherte ich mich dem Geschehen, gerade um mitzubekommen, wie der nun ebenfalls wütende Fremde Cedric anfuhr.
„Man, krieg dich ein. Sie hat gesagt, sie hätte keinen Freund!“
„Ich bin ihr BRUDER, du Perversling!“
„Was hast du dann für ein Problem?“
„Mein Problem ist, dass du Freak mit meiner 16-jährigen Schwester, von der ich dachte, dass sie zu Hause im Bett liegt, liest, fernsieht oder sonst was tut, RUMMACHST!“
„Tja, dann kennst du sie anscheinend schlecht.“ Er grinste dreckig „Sie ist eine verdammt heiße Schnecke. So wie sie rangeht, war sie wohl schon öfter unartig.“
Mit einem Aufschrei stürzte Cedric sich auf den Typen. Oh oh.
Ich eilte zu Ada, die sich an Seths Arm geklammert hatte – irgendetwas stimmte eindeutig nicht mit ihr.
„Trenn die beiden Streithähne, bevor die Security das übernimmt.“
Wies ich ihn an und schlang meine Arme um Ada. Diese lehnte sich an mich.
„Mach das sie aufhören!“ murmelte sie.
Zum Glück schafften Seth und Anton, der ihm zur Hilfe eilte, es kurze Zeit später, die beiden zu trennen.
„Verpiss dich.“ Schnauzte Cedrics Kumpel den anderen noch an, was dieser zu meiner Verwunderung auch tat, nachdem er einen letzten etwas panischen Blick auf das Mädchen in meinen Armen geworfen hatte.
Cedric schien sich langsam zu beruhigen und kam auf uns zu. Seine Augen verengten sich, als er mich sah und am liebsten hätte ich mich hinterm Tresen verkrochen.
„Du auch hier?“ es klang mehr wie eine Drohung.
Ich schluckte „Ja, Master Cedric.“
„Und warum, wenn ich fragen darf?“
„Wir wollten nur ein bisschen feiern.“
„Nur ein bisschen feiern. Soso…“ sein ruhiger Ton ließ mich vor Angst fast in die Hose machen.
„Ich…es tut mir leid, aber Ada ist alt genug und wir wollten einfach Spaß haben.“
Ups, hätte ich doch lieber die Klappe gehalten.
„VERDAMMT NOCHMAL! War das hier gerade deine Vorstellung von SPAß?“ schrie er mich an.
Plötzlich spürte ich, wie sich ein Arm um meine Taille schlang.
„Jetzt komm’ mal wieder runter. Lass sie in Ruhe. Weißt du eigentlich, was für Sorgen sie sich um das Mädchen gemacht hat?“ fuhr Anton dazwischen.
Ich wusste nicht genau, ob ich ihn küssen sollte, weil er mich verteidigte oder doch lieber den Schädel einschlagen, weil er alles noch schlimmer machte.
„Wer bist du denn überhaupt?“ feindselig musterte Cedric ihn.
Gerade als Anton antworten wollte, mischte sich Seth wieder ein.
„Cedric, vielleicht sollten wir das Ganze an einer anderen Location klären. Deine Schwester ist ziemlich im Eimer und die Leute fangen an zu gucken.“
Der Angesprochene atmete tief durch und nickte schließlich.
„Ja das wäre wahrscheinlich das Beste. Seth, kannst du Adriana nehmen? Ich hab noch etwas zu klären.“ Er wandte sich mir zu.
Oh nein, er durfte mich nicht rausschmeißen. Was sollte ich denn dann machen?
„Ich glaub es wäre besser, wenn du jetzt gehst.“ Flüsterte ich Anton zu, der mich noch immer umschlungen hielt.
„Ich ruf dich an.“
Mit einem Kuss verabschiedete er sich und ich fühlte die Blicke der beiden anderen auf mir. Ada hatte ganz abgeschaltet und hing nur noch auf ihrem Platz.
Seth nahm sie auf den Arm und zu aller Entsetzen schnüffelte sie seinem Hals.
„Du riechst so verdammt gut. Hast du Lust rumzumachen?“
Perplex starrte der Junge sie an, dann breitet sich ein Grinsen auf seinem Gesicht aus.
„Hätte nicht gedacht, dass ich das heute Abend noch aus deinem Mund höre. Aber nein, habe ich nicht.“
„Findest du mich nicht schön? Eben hast du noch gesagt, ich wäre sexy!“
Was sollte das denn jetzt heißen?!
„Seth?“ wandte sich auch Cedric fragend an seinen besten Freund.
Der zuckte nur mit den Achseln.
„Keine Ahnung. Sei ist besoffen.“
Na da war ich mir nicht so sicher, immerhin redete sie ja noch ganz normal.
„Ich will aber.“ Protestierte Ada schwach.
„Vielleicht solltet ihr nicht in einem Auto fahren.“ Äußere Cedric zögerlich.
„Hab eh schon was getrunken. Ich bring die Kleine noch zum Auto, dann nehm ich mir ein Taxi nach Hause.“
„Ok, ich kann fahren, ich bin nüchtern.“ Erwiderte Cedric.
„Kommt jetzt.“
Unser Grüppchen drängelte sich durch den Club und erntete viele seltsame Blicke, was wohl an Seth lag, der Ada auf dem Arm trug.
Wenigstens war ich gleich nicht alleine mit ihm im Auto. Trotzdem hatte sich mein Magen schmerzhaft zusammen gekrampft. Oh Gott! Warum war ich so unvernünftig?
„Willst du wirklich nicht mit mir knutschen?“ hörte ich da Ada murmeln.
Was stimmt bloß nicht mit ihr?
„Nicht jetzt.“ Lachte Seth.
Enttäuscht zog sie eine Schnute und vergrub ihr Gesicht an seiner Brust.
Ich sah, wie er sich etwas hinunterbeugte.
„Aufgeschoben ist nicht aufgehoben, Sexy.“
Bitte was? Ich musste Ada morgen unbedingt darüber ausquetschen…vorausgesetzt ich arbeitete dann für die Landgrafs.
Am Wagen gab ich meinem Chef die Schlüssel und neben der Kleinen auf die Rückbank. Sie sank erschöpft auf meinen Schoß und ich streichelte durch ihre weichen Haare. Das beruhigte mich komischerweise und so fuhr ich damit fort, bis wir schließlich zu Hause ankamen. Die ganze Fahrt war kein Wort gefallen und ich war mir nicht sicher, ob das etwas Gutes oder Schlechtes war.
Meine Tür öffnete sich.
„Adriana?“
„Hmm…?“ kam es ganz leise von dem Mädchen auf meinem Schoß.
„Soll ich dich tragen oder schaffst du es alleine?“ fragte ihr Bruder besorgt.
Als Antwort rappelte sie sich auf und krabbelte über mich hinweg aus dem Auto. Draußen hörte ich ein dumpfes Aufprallen und ihren Fluch.
„Scheiß Pumps!“
Cedric seufzte nur und bot ihr seinen Arm.
Leise ging ich hinter den beiden her.
Ob Ada wollte oder nicht, sie hatte es gut getroffen mit ihrem Bruder. Ich wünschte, irgendjemand hätte sich so um mich gesorgt.
In ihrem Zimmer kam unser Tross schließlich zum Stehen.
„Paris kannst du mir helfen? Bad.“ Wandte sich Ada an mich.
„Natürlich.“ Ich beeilte mich zu ihr und nahm sie in den Arm. Dann blickte ich fragen zu ihrem Bruder. War es ok, wenn ich mich jetzt um sie kümmerte?
Mit einem Nicken bedeutete er mir, fortzufahren.
„Wir reden danach. Bibliothek.“ Er verließ den Raum.
Am liebsten hätte ich losgeheult.
Na wenigsten hatte ich jetzt eine Aufgabe, die mich ablenkte und so führte ich meinen kleinen Sorgenfall ins Badezimmer.
„Tun deine Füße sehr weh?“
„Ziemlich.“ Sie sprach so undeutlich, dass ich sie kaum verstehen konnte.
Schnell ließ ich etwas warmes Wasser in den Whirlpool.
„Setz dich auf den Rand und halt die Füße hinein.“
Ohne Widerworte gehorchte sie und ich eilte ins Nachbarzimmer. Nachdem ich Jogginghose und T-Shirt unterm Bett hervorgezogen hatte, schnappte ich mir einen Waschlappen und kehrte zu ihr zurück.
„Halt still, Süße, dann mach ich die Schminke weg.“
Ada zuckte nicht einmal zusammen, als ich ihr Gesicht berührte und schließlich waren alles Spuren beseitigt.
„Ich bin fertig. Guck mich mal an.“
Als sie die Augen aufschlug zuckte ich zurück. Oh mein Gott! Hatte ich vorhin gesagt, es konnte nicht mehr schlimmer kommen? Ich hatte mich geirrt!
Ihre Pupillen waren riesig. Adriana hatte Drogen genommen.
Was sollte ich jetzt machen?
Cedric musste ich auf jeden Fall bescheid sagen. Aber konnte ich sie einfach so alleine lassen?
„Ada? Zieh dich um, ich bin gleich wieder da.“
Damit rannte ich aus ihrem Zimmer und zur Bibliothek. Oh bitte lass ihn schon dort sein.
„Master Cedric? MASTER CE-“
„Warum brüllst du denn so?“ irritiert und leicht verärgert sah er mich an.
„Bitte kommen Sie schnell. Ada steht unter irgendeiner Droge.“ Ich heulte fast.
„Sie…WAS?! Woher weißt du das?“
„I-ihre Pupillen. Sie sind riesig!“
„Oh fuck! Auch das noch. Geh wieder zu ihr, ich bin jeden Moment da.“
Hoffentlich hatte sie in der Zwischenzeit nichts angestellt.
„Ada?“
„Hm hm.“
Ein erleichterter Seufzer entfuhr mir. Dort lag sie in ihre Kissen gekuschelt und blinzelte mich an.
„Kannst du mir ein Glas Wasser geben? Ich habe Durst.“
„Mach ich gleich.“
Ich wollte sie nicht wieder alleine lassen, aber da hörte ich schon die Zimmertür und Cedric trat ein, das Handy am Ohr.
„Ich hole ihr eben was zu trinken.“
Mein Herz schlug bis zum Hals. So einen schrecklichen Abend hatte ich nie im Leben erwartet.
Als ich zurückkehrte sah ich den sonst so kontrollierten Jungen mit tiefen Sorgenfalten auf der Bettkante sitzen.
Ich glaubte ihn „Was machst du nur immer?“ murmeln zu hören, während er seiner Schwester das Haar aus dem Gesicht strich.
„Was machen wir jetzt?“
Er blickte auf „Ich habe eben mit Seth und seinem Vater telefoniert. Der ist Chefarzt in der Uniklinik. Wir sollen heute Nacht aufpassen, dass sie sich nicht übergibt und morgen in der Klinik vorbeikommen.“
Das würde eine lange Nacht werden, aber im Moment wirkte noch das Adrenalin, so dass ich nichts von Müdigkeit spürte.
Nach einigen Minuten ging Adas Atme ruhig und Cedric zog sich aufs Sofa zurück.
„Komm her. Wir wechseln uns ab mit Nachtwache.“
Mit gesenktem Kopf nahm ich so weit wie möglich von ihm entfernt Platz.
Eine Weile saßen wir nur schweigend da und ich nahm die Wärme seines Körpers wahr, auch wenn wir uns nicht berührten.
Da merkte ich erst, wie kalt mir eigentlich war und ich fröstelte.
„Hier.“
Er reichte mir plötzlich eine weiche Wolldecke.
„Weißt du, wo sie das Zeug her hat?“
„Ich habe nicht die geringste Ahnung. Ehrlich gesagt kann ich mir nicht vorstellen, dass sie freiwillig so was nimmt.“
„Wie würdest du dir das denn sonst erklären?“
„Vielleicht hat ihr der Typ was gegeben, ich weiß nicht.“
Nachdenklich starrte er mich an.
Nichts war mehr von seiner Wut zu sehen, nur noch tiefe Sorge konnte ich in seinen Augen erkennen.
Wie sehr wünschte ich mir, dass ich diejenige sein konnte, die diese Emotion in ihm hervorrief.
Wie sehr wünschte ich mir, dass er mich nicht immer wie ein einfaches Dienstmädchen behandeln würde?
Aber nichts anderes war ich schließlich.
Eigentlich hatte ich ihn auch nicht verdient, oder?
Ich hatte mein Leben weggeschmissen. Schon vor mehreren Jahren, als ich als Flittchen, Schlampe, Schulmatratze bekannt gewesen war.
Niemand hatte es damals verstanden. Verstanden, dass ich eigentlich nur Liebe wollte.
Mit einem Jungen zusammen hatte ich sie für einen kurzen Moment bekommen, aber je öfter ich es tat, desto kürzer dauerte das Gefühl des ‚Geliebtwerdens' an. Längst hatte ich keinen Sex mehr in Betten, in denen ich mich geborgen fühlte, nein man benutzte mich als schnellen Fick in Parks, im Club auf dem Männerklo oder wo auch immer ich gerade verfügbar war.
Kein schönes Gefühl. Keine schöne Erinnerung.
In der Schule hatte ich dann auch keinen Anschluss mehr und erst recht nicht den Elan, mich hinzusetzen und zu büffeln.
Als ich schließlich abbrach und von meiner Mutter rausgeschmissen wurde, stand ich mit fast nichts auf der Straße.
Was sollte ich machen? Mich prostituieren, wie meine Mutter es mir hinterher geschrien hatte?
Nicht die beste Lösung und so wanderte ich zwei Tage lang ratlos durch die Stadt.
Schließlich kam ich an einigen protzigen Villen vorbei und überlegte mir, dass sie dort bestimmt jemanden suchen würden. Denn reiche Leute hatten doch immer viele Angestellte. Das war zumindest meine Logik gewesen.
Nachdem mir zweimal die Tür vor der Nase zugeschlagen worden war, sank mein Optimismus. In der letzten Villa, in der ich es probierte, machte ein Junge in meinem Alter auf.
Schon mal eine nette Abwechslung zu den griesgrämigen Butlern vorher.
Seine Augen hatten mich mitleidig gemustert. Als ich von meinem Anliegen berichtete, schüttelte er den Kopf und ich wollte gerade gehen, als er mich zurückrief.
„Ich weiß, wer eventuell noch ein Hausmädchen brauchen könnte. Soll ich ihn anrufen?“
Begierig nickte ich mit dem Kopf und Dante – so stellte er sich vor – bat mich herein.
„Jetzt müssen wir dich erstmal herrichten, Guapa, sonst nimmt Cedric dich nie.“
Das erste Mal seit Tagen duschte ich, bekam schöne Sachen und ein warmes Bett.
Am nächsten tag traf ich Cedric das erste Mal.
Tja, anscheinend hatte ich mich ganz gut verkauft (oder Dante hatte gewaltige Überzeugungsarbeit geleistet) und ich bekam den Job.
Jetzt saß ich hier mit meinem Wohltäter auf dem Sofa im Zimmer meiner Schwester.
Mein Kopf sank auf die Lehne.
Es war der intimste Kontakt, den wir je hatten und wahrscheinlich auch haben würden.
Sooo nochmal Pink als Namensgeberin für den Titel.
Leider hab ich kein gutes Video gefunden :(
Als ich die Tür meines Zimmers öffnete, sah ich Paris noch immer so auf dem Sofa liegen, wie bei meinem Erwachen vor gut vier Stunden.
Die Arme musste ziemlich fertig gewesen sein nach dem Schock von letzter Nacht.
Wie hatte ich auch nur so unvernünftig sein können, meine Flasche nicht im Auge zu behalten?
Ich meine man lernte doch schon in der 5.Klasse, dass man so in Gefahr lief, Drogen zu bekommen.
Naja, zum Glück hatte ich nur wenig getrunken, so dass nicht allzu viel Mist in meinen Körper gelangt war.
Aber eine Strafpredigt stand mir wohl trotzdem noch bevor, sobald mein Bruderherz wieder fit war.
Nunja, sollte ich Paris jetzt wecken oder lieber schlafen lassen?
Ich entschied mich für letzteres und kuschelte mich mit meiner Englischlektüre aufs Bett.
„The Importance of being Earnest“ war ganz unterhaltsam und da wir am Mittwoch unsere Arbeit darüber schreiben würden, hielt ich es für ganz angebracht, es auch zu lesen.
Apropos Arbeit…Spanisch. Morgen!
Ich war geliefert, aber so was von.
Ich konnte diesen Mist nicht, egal, was ich machte. Naja, Vokabeln lernen würde helfen, aber dazu fehlte mir einfach die Lust.
Wenn ich Glück hatte würde ich es noch auf eine fünf oder sogar vier minus schaffen.
„Ada?“
„Hm…?“ ich blickte auf und sah eine verschlafene, sehr süße Paris.
„Mein Gott!!! Geht`s dir wieder gut? Hab ich verschlafen? Wir müssen unbedingt Ced- äh… Master Cedric bescheid sagen, dass du wach bist!
Sie stürzte ans Bett.
„Komm mal runter, Süße. Ceddie war schon mit mir im Krankenhaus und ich bin durchgecheckt worden.“
„Und?“
„Mir wurde 4-Hydroxybutansäure ins Bier gekippt…“
„Bitte was?“
„Liquid Extasy oder auch K.O.-Tropfen genannt.“
„Oh nein, wie konnte ich dich nur alleine lassen? Dir hätte sonst was passieren können!“
„Stimmt, ich hätte vergewaltigt und dann bewusstlos werden können, um dann an meinem Erbrochenem zu ersticken.“ Konkretisierte ich trocken.
Plötzlich hing ein völlig aufgelöstes, blondes Mädchen an meinem Hals und schluchzte lauthals.
„Das ist alles meine Schuld. Du…oh mein Gott…du hättest tot sein können und…und das nur, weil ich nicht besser aufgepasst habe.“
Wovon redete sie?
„Paris! Guck mich mal an! Nichts davon hat etwas mit mir zu tun. Ich bin 16. Kein kleines Kind mehr! Ich kann und muss selbst auf mich aufpassen und wenn ich dafür zu blöd bin, dann musst du dir doch keine Vorwürfe machen. Außerdem ist ja anscheinend nichts passiert, sonst wäre ich nicht in meinem Bett aufgewacht.“
„Nichts passiert? Du hast wild mit irgendeinem Typen rumgeknutscht!“
Scheiße! „Echt?“
Entsetzt blickte sie mich an „Ja! Wie kannst du das so einfach vergessen haben.“
„Das ist nun mal ein kleiner Zusatzeffekt der 4-Hydroxybutansäure.“
„Warum sagst du immer dieses Wort?“
„Klingt einfach spektakulärer als ‚K.O.-Tropfen’…“
„Du hast einen Knall. Wie kannst du das alles so locker nehmen?“
Das war eine gute Frage. Ehrlich gesagt hatte ich das Gefühl noch nicht richtig klar denken zu können.
„Hast du Lust, eine Runde spazieren zu gehen? Ich muss mich mal lüften.“
„Hmm…“ unsicher starrte sie mich an „Wie spät ist es eigentlich?“
„Kurz vor zwei.“
„Oh nein! Dann hab ich ja fast meinen ganzen Arbeitstag verschlafen.“
„Na siehst du, die viertel Stunde macht den Kohl dann auch nicht mehr fett.“
„Ada!“ das blonde Mädchen blickte mich ernst an. „Das ist kein Spiel. Du kannst machen, was du willst. Du bekommst schließlich immer noch eine Chance. Sie sind deine Familie. Ich bin nur die Angestellte und nach dem Mist, den ich jetzt schon verzapft habe, wäre es kein Wunder, wenn ich gefeuert werden würde.“
„Aber-“
„Nein, kein ‚aber’! Meine Zukunft hängt von meinem Job ab! Ich kann mich nicht mehr wie ein sorgloser Teenager verhalten! Bekomm das bitte endlich in deinen Kopf rein!“ fuhr sie mich an.
Das Schlimme war, dass ihre Worte ja schon irgendwie Sinn machten. Sie durfte nicht hier weg! Auf keinen Fall. Schließlich war sie meine einzige Verbündete hier.
„Es tut mir leid, ich weiß nicht, was mit mir los ist. Vielleicht sind das die Nachwirkungen von der 4-Hydro-…äh dem zeug.“
Sofort war ihr Gesicht von Schuldgefühlen überflutet.
Mist! Das war nicht meine Intention gewesen.
„Ist nicht so wichtig. Aber bitte, ich möchte unbedingt wissen, was gestern passiert ist. Du musst es mir erzählen!“
Sie seufzte. „Okay, ich hol mir eben eine Jacke.“
Eine halbe Stunde später wäre ich am liebsten im Boden versunken. Ich hatte tatsächlich mit einem wildfremden Typen rumgeknutscht? Scheiße.
„Ach und noch was…Seth hat dir irgendetwas zugeflüstert, als er dich zum Auto getragen hat…“
„Er hat WAS?!“
„Dich zum Auto getragen.“
Oh nein, das wurde ja immer besser. Wie sollte ich ihm jetzt je wieder ins Gesicht schauen.
„Hab ich da schon gepennt?“
„Äh naja… also du hast fast geschlafen.“ Sie wurde rot „Aber nicht so wichtig. Ähm… auf jeden Fall hat der dich irgendwie ‚Sexy’ genannt.“
„Er hat- NEIN!“
DAS hatte ich ja schon total verdrängt. Konnte wirklich so viel Mist an einem Abend passieren?
„Äh…also du musst versprechen, dass du es NIEMANDEM sagst!“
Mit großen Augen blickte Paris mich an.
„Hattest du was mit ihm? Geht das schon länger? Ich dachte, du hass-“
„Paris, lass mich doch erstmal zu Ende erzählen.“
„Sorry. Ich schweige wie ein Grab.“
Na das wollte ich doch mal hoffen.
„Also…er hat mich…naja, irgendwie angetanzt. Wie dein Typ – was ging eigentlich noch mit dem? Egal, später. Nur warst du ja nicht mehr da, um mir zu zeigen, ob top oder flop. Und so ein anderes Mädchen war voll begeistert.“
„Was man ihr ja auch nicht verübeln darf, denn sie kennt ja seinen Arschloch-Charakter nicht.“
„Ähm, genau. Auf jeden Fall haben wir ein bisschen getanzt und es war ganz ok…“
Paris zog die Brauen hoch „Ganz okeeeeey?“
„Hmm…vielleicht ein bisschen mehr als das.“
„Definiere mehr.“
„Schön?“
Stumm blickte sie mich an. Meine Güte waren wir hier bei der Inquisition?
„Oh man. Richtig schön! Aber dann habe ich mich umgedreht, die Krise bekommen und bin abgehauen zur Bar.“
„Ach Süße, mach das nicht so kompliziert. Er ist ein Idiot, das weißt du doch!“
„Genau das ist ja das Problem.“
„Was ist denn mit deinem Punkfreund?“
Jasper…Oh Gott.
„Hmm…ich müsste ihn einfach öfter sehen. Das würde mich ablenken. Kannst du mich morgen noch mal zum Stadtpark fahren?“
„Wenn ich dann noch hier arbeite, ja.“
Betrübt sah sie mich an.
„Keine Sorge. Ich werde alles dafür tun. So fies kann mein Bruder gar nicht sein.“
Schweigend gingen wir das letzte Stück durch unseren Park zum Haus.
Auf der Veranda stand mein Bruder und blickte uns mit ernstem Gesicht entgegen.
Oh, hatte ich eben gesagt, so fies könne er gar nicht sein? Ich glaube, das musste ich revidieren.
„Adriana, wie fühlst du dich?“
„Ganz gut, die frische Luft hat mir gut getan.“
Er nickte und wandte sich dann an das Mädchen neben mir.
„Paris komm bitte mit, wir müssen reden.“
Damit drehte er sich um und ging ohne sich noch mal umzublicken ins Haus.
Ich blieb zurück mit einer ziemlich zitternden, bleichen Paris.
Oh man! Was hatte ich nur angerichtet?
Wäre ich nicht so blöd gewesen und hätte auf mein Glas aufgepasst, dann würde sie jetzt nicht in so einem Schlamassel stecken.
Es war ungerecht!
Paris musste nun für das hinhalten, was ich verbockt hatte. Entschlossen betrat ich also ebenfalls das Haus und folgte ihr leise.
Wie erwartet führte mein Bruder uns direkt in die Bibliothek.
„Setz dich.“ Wandte er sich an das blonde Mädchen, bevor er mich bemerkte.
„Was machst du denn hier?“
„Was glaubst du denn?“
„Adriana, nein.“
„Ich bleibe hier. Das geht mich genauso etwas an.“
Mit einem Nicken gab er nach.
Oh das hatte ich nicht so schnell erwartet. Ich ließ mich neben Paris in einen Sessel fallen.
Mich ignorierend wandte sich Ceddie direkt an meine Freundin.
„Wie konntest du nur so verantwortungslos sein?“
„Es tut mir leid. Ich…“
„Wie kannst du meine kleine Schwester mit in so einen Club nehmen?“
„Ich weiß nicht.“
„Was zum Teufel ist in dich gefahren, dass du dass auch noch zulässt, dass sie sich einem wildfremden Typen an den Hals wirft und sich von ihm unter Drogen setzen lässt?“
„Ich-“
Fassungslos starrte ich meinen Bruder an.
Wollte er sich wieder mal nur aufspielen oder hatte er sich tatsächlich Sorgen um mich gemacht? Aber um mich ging es gar nicht und was er Paris hier an den Kopf warf, war nicht in Ordnung.
Wie sie sich von ihm fertig mache ließ… wieso wehrte sie sich nicht?
Aber wahrscheinlich hatte sie Recht: Die Konsequenzen, die sie für das Ausdrücken ihrer Meinung tragen müsste, wären bestimmt schlimmer als wenn ich etwas sagen würde.
„Ceddie.“
„Nein Adriana! Das muss ich mit Paris klären.“
„Aber was du machst, ist doch kein ‚klären’! Du wirfst ihr wilde Anschuldigungen an den Kopf.“
„Das stimmt nicht.“
„Doch. Ich bin sechzehn. Ich darf in einen Club gehen und ich wäre auch ohne Paris gegangen.“
Ok, dass war vielleicht eine klitzekleine Notlüge.
„Das bedeutet nichts. Sie hat trotzdem die Verantwortung. Sie ist volljährig, du nicht. Ich hätte mehr von ihr erwartet.“
Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Paris zusammenzuckte. Der verbale Schlag hatte gesessen. Ich musste mir mehr Mühe geben!
Also stand ich auf und ging langsam auf ihn zu. Vielleicht würde es ja über die Gefühlsebene klappen.
„Ceddie, es ist schön, dass du dir Sorgen um mich machst.“
Das war es wirklich!
„Aber es war meine Entscheidung und meine Dummheit. Es wird nicht wieder passieren.“
„Da hast du Recht. Ihr werdet nicht mehr feiern gehen!“ hart blickte er mir in die Augen.
„Ceddie.“ Ich griff nach seiner Hand „Party machen gehört dazu. Wann werde ich später noch mal die Chance haben? Wahrscheinlich nie wieder. Deshalb, bitte, bitte verbiete es uns nicht.“
Er seufzte.
„Paris gehört dazu. Sie ist meine Freundin. Die einzige, die im Moment für mich erreichbar ist. Sie hilft mir, dass ich mich hier wohl fühle.“
Ich hatte es geschafft, ihn zumindest zu verunsichern, gut.
„Adriana, ich habe Angst um dich. Was ist, wenn wir dich nächstes Mal nicht rechzeitig finden? Was ist, wenn du dann so einem schmierigen Typen ausgeliefert bist?“
„Dann müsst ihr einfach gut auf mich aufpassen.“
„Wir?“
„Ja.“ Ich schluckte, was tat man nicht alles… „Vielleicht könnten wir ja mal alle zusammen weggehen?“
„Du würdest mit uns mitgehen?!“
„Wenn Paris mitkäme…“
Er musterte mich „Mal sehen.“
Ich ließ mich wieder in den Sessel plumpsen.
Gut, es schien so, als hätte ich ihn etwas beruhigt (und verwirrt, was sicher auch nicht schlecht war).
„Also Mädels. Bitte nicht noch einmal so eine Aktion. Ähm ja, Adriana, ich muss noch mit dir reden. Paris du kannst gehen.“
„Vielen Dank. Es wird nie wieder vorkommen, Master Cedric.“
Meine Güte, dieses Wort! Wie schaffte man es, jemanden so anzureden? Es war mir schleierhaft.
„Adriana?“
„Hmm?“ ich blickte zu meinem Bruder, der sich müde die Augen rieb.
Erst jetzt vielen mir die dunklen Ringe darunter auf und zum ersten Mal kam mir der Gedanke, dass es für ihn vielleicht auch nicht so einfach war, mit mir zusammen zu leben,
„Mum hat heute Morgen angerufen und sich nach deinem Befinden erkundigt.“
Wow, sie hatte es nach einer Woche geschafft, mal nach mir zu fragen. Echte Leistung!
„Ich habe ihr gesagt, dass alles bestens ist.“ Ceddie seufzte „Sie wollen am Donnerstag zu Kaffee und Kuchen kommen.“
„Super.“
„Reiß dich bitte dann für zwei Stunden zusammen. Adriana, zwei Stunden.“ Beinahe beschwörend blickte er mich an.
„Wieso nennst du mich immer so?“
„Wie?“
„Adriana.“
Mein Bruder musterte mich, als hätte ich meinen Verstand verloren.
„Das ist dein Name.“
„Ja, aber alle nennen mich Ada, selbst die Lehrer.“
„Ich weiß gar nicht, wieso du immer alle Namen verschandeln musst. ‚Ada’, ‚Ceddie’… Mein Gott! Sie sind doch schön.“
„Ich beschwer mich ja auch nicht darüber, aber Kosenamen sind irgendwie…intimer?“
„Intimer.“ Er zog die Brauen hoch und grinste, was natürlich prompt zur Folge hatte, dass ich Tomatenrot wurde.
„Man! du weißt, wie das gemeint war.“
„Klar, Schwesterlein.“
Schwesterlein? Na das war doch schon mal ein guter Anfang.
Song ist von John Paul Young
http://www.youtube.com/watch?v=NNC0kIzM1Fo
Als mein Wecker klingelte, rollte ich mit einem Stöhnen zur Seite.
Schon wieder Montag?
Oh man. Auf Schule hatte ich jetzt echt keine Lust, aber was blieb mir schon anderes übrig.
Langsam quälte ich mich also ins Bad und machte mich fertig.
„Adriana? Können wir los?“ rief mein Bruder von unten.
„Kleinen Moment, ich komme gleich.“
Schnell schnappte ich mir meine Tasche und lief die Treppe runter.
Nachdem wir eine Weile schweigend im Auto verbracht hatte, begann er mit Small Talk.
„Was hast du denn heute für Fächer?“
„Och, nichts Besonderes. Deutsch, Bio, Spanisch-“ Moment mal. Spanisch?! Scheiße, die Klausur! Ich war im Arsch.
„- äh und Kunst.“
„Ok, dann fahren wir zusammen zurück. Wir treffen uns vor dem blauen Tor.“
Damit entließ er mich.
Spanisch. Verdammt! Wie hatte ich das noch mal vergessen können?
Nun hatte ich ein Problem. Sprachen waren einfach nicht mein Ding, erst recht nicht, wenn ich absolut nichts dafür getan hatte.
Naja, vielleicht würde es ja nicht ganz so schlimm werden.
„Adaaaa.“
Ich drehte mich um und sah Caro auf mich zustürmen.
„Wie war dein Wochenende?“
„Joah, ziemlich aufregend.“ So konnte man es wohl bezeichnen.
„Erzähl!“ forderte sie mich auf.
„Hallo Schwesterlein. Wie war dein Tag?“ begrüßte mich man anscheinend ziemlich überaus gut gelaunter Bruder.
„Hätte besser sein können.“ Zum Beispiel, wenn wir keine Spanischklausur geschrieben hätten.
„Och, ohne Schule wäre es eh besser, aber was soll man machen?“
„Sag mal, hast du irgendwas genommen?“
So kannte ich ihn ja gar nicht.
„Wieso?“ entsetzt blickte er mich an.
„Schau nach vorne, wenn du Auto fährst!“ warnte ich ihn.
Was das anging war ich ziemlich allergisch.
„Und ich meine wegen deiner guten Laune.“
„Ist es etwas verboten, gut drauf zu sein?“
„Nein, aber es ist schon ein bisschen seltsam.“
Noch merkwürdiger wurde es, als er anfing ‚I follow rivers’ mitzupfeiffen.
„Cedric! WAS IST LOS?“
„Jetzt entspann dich mal, Schwesterlein.“
„Du machst mir Angst.“
„Naja, eigentlich sollte es ja eine Überraschung werden, aber wenn du mich so löcherst…“
Er machte eine scheinbar endlos andauernde Kunstpause und ich wäre ihm am liebsten an den Hals gesprungen. Geduld war einfach nicht meine Stärke.
„Also… du und ich werden in zwei Wochen übers Wochenende verreisen.“
Bitte WAS?!
„Äh…wohin geht es denn?“
„In Damians Landhaus. Ist fünf Stunden von hier entfernt.“
Wer zum Teufel war Damian?
Wahrscheinlich irgendeiner seiner bekloppten Freunde.
„Fahren wir zu zweit? Also nur wir beide?“
„Nein quatsch, die Jungs kommen mit und wenn du magst, kannst du auch noch eine Freundin mitnehmen, damit du nicht das einzige Mädchen bist.“
Super! Bevor ich noch weiter fragen konnte – zum Beispiel, wer ‚die Jungs’ waren – sprang er schon aus dem Auto.
Oh, wir waren ja schon da.
„Ich muss los, wir sehen uns heute Abend wieder.“
Damit eilte er ins Haus, nur um mir beinahe augenblicklich wieder entgegen zu kommen.
Sollte mir Recht sein, dann könnte ich die Anderen besuche, ohne mir eine Ausrede ausdenken zu müssen.
„Hey, hast du Hunger?“ rief mir Paris entgegen, als ich ins Haus kam.
„Ja total! Was gibt’s denn?“
„Gemüseeintopf. In fünf Minuten im Esszimmer.“
Schnell brachte ich meine Sachen weg und setzte mich zu Paris an den Tisch.
„Kannst du mich gleich zum Stadtpark bringen?“
„Ja, hab ich dir ja versprochen.“
„Passt auch ganz gut, Ceddie ist heute Nachmittag nicht da.“
„Wie viel Zeit brauchst du denn mit deinem Süßen?“
Meinem Süßen? Jasper! Oh Gott!
Wie sollte ich ihm nur ins Gesicht blicken?
Ich meine theoretisch waren wir ja nicht zusammen, aber immerhin hatte er mich geküsst und mir gesagt, er hätte mich vermisst. Und dann hatte ich einen anderen Typen aufgegabelt…Mist!
„Was ist los, Süße?“
„Ich äh, keine Ahnung! Ich weiß nicht, was ich machen soll wegen Samstagabend.“
„Hmmm… ich kann dir nur raten – egal wie schwer es ist – ihm die Wahrheit zu sagen.“
„Leichter gesagt, als getan. Ich meine, wenn ich gar nichts sage, wird er es nie erfahren.“
Da war ich mir ziemlich sicher.
„Aber du würdest es die ganze Zeit wissen… und wärst nicht sonderlich glücklich damit, oder?“ Ernst sah Paris mich an.
Wahrscheinlich nicht.
„Aber ich weiß nicht, wie ich es ihm sagen soll.“
„Letztlich musst ganz alleine du entscheiden, was du machst, Ada.“
Damit räumte sie die Teller ab.
„Willst du jetzt los?“
Ich nickte stumm.
Eine halbe Stunde später saß ich auf einem alten blauen Schlafsack und erzählte zum x-ten Mal die Geschichte von meinem verkorksten Samstagabend.
„Und du hast tatsächlich mit einem fremden Typen rumgemacht? Sah er wenigstens gut aus?“ Fragte Lili ganz aufgeregt.
Ich seufzte und traute mich nicht, Jasper, der links neben mir saß, anzugucken.
„Lili! Ich weiß nichts mehr. Keine Ahnung wie er aussah.“
Naja, Paris hatte mir zwar ein halbwegs klares Bild verschafft, aber ich bezweifelte, dass eine genauere Beschreibung gut bei Jas angekommen wäre.
„Also weißt du noch nicht al mehr, ob es gut war?“
Mit einem Ruck stand der blonde neben mir auf und verschwand in Richtung See.
Verdammt! Manchmal konnte mein Lieblings-Rotschopf so unglaublich unsensibel sein.
Eddi warf seiner Freundin einen mahnenden Blick zu, schließlich hatten beide gesehen, wie Jas mich geküsst hatte.
Ich beobachtete, wie sich ein schuldiger Ausdruck auf Lilis bleiche Züge stahl.
„Oh Gott. Es tut mir so leid.“
„Vielleicht solltest du nach ihm gucken gehen.“ Eddi blickte mich ernst an.
Ja, das war wohl das Beste. Gerade, weil mein Herz sich schmerzhaft zusammenzukrampfen schien. Aber was sollte ich sagen?
Ich meine, ich hatte betont, dass ich unter Drogen gestanden hatte und Seth hatte ich schon gar nicht erwähnt.
Oh man…
Ich atmete tief durch.
„Ok, ich eh mal nachschauen. Irgendeine Ahnung, wo er ist?“
„Also ich würde ja auf den Blitzbaum tippen.“
Lili blickte mich äußerst betreten an. Dabei sah sie so herzzerreißend reuig aus, dass man ihr nie lange böse sein konnte.
Wortlos erhob ich mich.
Der Blitzbaum war ein massiver, abgeknickter Baumstamm am Ufer des Sees.
Als ich einige Minuten später auf die kleine Wiese, auf der der Baum lag, trat, saß Jas dort tatsächlich mit dem Blick starr aufs Wasser gerichtet.
Verdammt, was soll ich denn jetzt sagen?
„Jas?“
Keine Reaktion, noch nicht einmal ein Zucken oder so. Das war schon mal kein gutes Zeichen.
Langsam näherte ich mich und setzte mich schließlich neben ihn auf das morsche Holz.
Er blickte mich nicht an, sondern hatte seinen Blick starr auf die dunkle Oberfläche des Sees gerichtet und warf kleine Kiesel hinein.
Unsucher rutschte ich hin und her. Noch immer kam mir keine Idee, was ich sagen konnte.
Ich meine ich wusste ja noch nicht mal, was er jetzt gerade dachte. War er enttäuscht? Oder traurig? Oder wütend?
Da mir beim besten Willen nichts einfiel, blieb ich einfach schweigend sitzen und beobachtete die Wellen, die das Wasser dort bildete, wo ein Steinchen die Oberfläche durchschlug.
Nach einer gefühlten Ewigkeit seufzte er auf.
„Ich habe Angst, Ada.“
Was? Ich hatte ja mit vielem gerechnet, aber… „Angst?“
Ich musterte ihn, doch er blickte mich immer noch nicht an, sondern starrte immer noch gerade aus auf den See. Sein Gesicht war völlig unbewegt und sah wie gemeißelt aus. Die wenigen Sonnenstrahlen, die sich ihren Weg durch die Wolkendecke bahnten, beleuchteten seine hohen Wangeknochen und machten ihn noch bleicher als sonst.
Unwillkürlich versuchte ich, ihn mir mit einer gesunden Sommerbräune vorzustellen. So wie Seth… Verdammt!
„Ich hab Angst, dich zu verlieren.“
„Mich zu verlieren?“ Was meinte er denn jetzt?
„Ja, vorher warst du immer bei uns und kein anderer Junge ist dir zu nahe gekommen. Du warst schüchtern, so unschuldig.“
Ok, das war jetzt ein bisschen seltsam.
„Ich hab dich immer beobachtet, wenn du geschlafen hast. Ada, du bist das tollste Mädchen, was mir je begegnet ist.“
Jetzt war ich erneut sprachlos. So etwas hatte noch absolut NIEMAND zu mir gesagt.
„Aber du hast nie was in diese Richtig erwähnt, äh, also nur in dieser einen Nacht.“
„Ja, da hab ich's einfach nicht mehr ausgehalten. Ich wollte dich nicht erschrecken oder überfordern. Ich meine du bist schon rot geworden, wenn du nur mit einem Jungen geredet hast. Du konntest mir nie in die Augen gucken und ich wollte einfach warten, bis du dich ein bisschen entspannst.“
Ups, war ich wirklich so schlimm gewesen?
„Und nach unserem ersten Kuss hast du mich noch weniger beachtet als vorher, da wusste ich nicht mehr, ob du mich jetzt genauso magst oder nicht.“
„Oh Jas! Du bist der erste Junge, der mich geküsst hat. Es war wunderschön. So wie ich es mir immer ausgemalt habe, aber ich hatte überhaupt keine Ahnung, wie ich mich danach dir gegenüber verhalten sollte.“
Jetzt erst drehte er den Kopf zu mir und sah mich mit seinen schokoladenbraunen Augen an.
„Ich glaube, ich bin total in dich verliebt.“
Wow. Das war krass! Ich wurde ganz hibbelig und am liebsten hätte ich die ganze Welt umarmt.
Ich konnte nicht anders und strahlte ihn an.
„Oh Jas! Wieso hast du das nicht alles schon früher gesagt, dann hätte wir uns dieses peinliche Anschweigen sparen können.“
Er lachte, aber ich konnte noch immer einen Hauch Traurigkeit in seinen Augen erkennen.
„Meinst du, du könntest mich noch mal küssen?“ fragte ich deshalb vorsichtig.
„Ganz bestimmt.“
Und schon beugte er sich zu mir herüber und legte seine weichen Lippen auf meine.
Es fühlte sich so vertraut an, dass sofort erwiderte und meine Arme um seinen Hals schloss.
Die Wärme die sich in mir verbreitete, ließ mich alles andere vergessen und ich rutschte immer näher zu ihm.
Dann geschah es plötzlich:
Er kippte nach hinten und da ich meine Hände noch immer um ihn geschlossen hatte, folgte ich ihm probt ins kalte Gras.
Einen Moment lang sahen wir uns verdutzt an, bevor wir synchron anfingen zu lachen. Irgendwann rollte ich von ihm herunter, um mir meinen vor Lachen schmerzenden Bauch zu halten. Einige Zeit später lagen wir keuchend nebeneinander auf dem Boden.
Ich wusste nicht, wann ich das letzte Mal so ausgelassen gelacht hatte.
Auf einmal beugte er sich über mich und fing erneut an, mich zu küssen. Ganz sanft legten sich seine Lippen auf meine und liebkosten mich.
Daran könnte ich mich wirklich gewöhnen.
Mit meinen Händen fuhr ich über seine breiten Schultern, bis ich sie schließlich in seinem Haare vergrub. Ich wünschte, seine blonden Strähnen wären etwas länger, dann hätte ich sie schön durchwuscheln könne, aber laut Jas, wäre das zu aufwendig zu pflegen. Naja, ich hatte im Gegensatz zu ihm mein eigenes Badezimmer, da durfte ich mich nicht beschweren.
Schließlich stemmte er sich keuchend über mich.
„Willst“ er gab mir einen Kuss auf die Stirn.
„Du.“ auf die Nase.
„Meine.“ auf meine linke Wange.
„Freundin.“ Nun auf die rechte.
„Sein?“ seine Lippen verharrten dicht über meinen.
Wow, jetzt hatten wir die Verhältnisse wohl endgültig geklärt. Mein erster Freund.
„Ja.“ Hauchte ich auf seinen Mund.
Als er mich nun ganz sanft küsste, war ich wohl das glücklichste Mädchen auf Erden.
„Ähm. Ich will euch ja nicht stören, ich meine ihr seid super süß zusammen, aber deine blonde Freundin wartet unter der Brücke auf dich.“ Unterbrach uns schließlich Lili.
Ups! Das musste verdammt missverständlich aussehen, wie wir hier lagen.
Ohne dass ich etwas dagegen tun konnte, merkte ich, wie ich rot anlief. Peinlich!
Jasper lachte nur und gab mir noch einen kleinen Kuss, bevor er von mir runterrollte und aufstand.
„Ok, dann lassen wir deine Aufpasserin wohl besser nicht länger warten.“
„Sie ist meine Freundin.“
Jas grinste nur, zog mich dann auf die Beine und schlang einen Arm um mich.
Zusammen gingen wir zurück zum Lager, wo eine aufgeregte Paris uns schon erwartete.
„Da bist du ja endlich, ich hab mir schon Sorgen gemacht.“
„Sorry, alles ok.“
„komm wir müssen uns beeilen, Master Cedric kommt bald zurück.“
„Master Cedric?“ mischte Lili sich ein.
„Mein Bruder.“ murmelte ich ihr zu.
„Und du nennst ihn ‚Master Cedric’?“ wandte sie sich entsetzt an Paris.
„Ähm…ja?“ unsicher starrte diese sie an.
„Schräg.“ war Lilis abschließender Kommentar.
Dann schloss sie mich fest in die Arme.
„Du musst unbedingt bald wiederkommen, ok?“
Mit einem Blick auf meinen Freund – wow es fühlte sich toll an, ihn so zu nennen -, der mich erwartungsvoll musterte, nickte ich.
Daraufhin wandte sich Lili an Paris.
„Und du musst auch mal mitkommen, also so richtig, nicht nur zum abholen. Du bist Lustig! Mit dir kann man bestimmt viel Spaß haben!“
„Ähm ja.“ hilfesuchend blickte sie zu mir herüber und ich musste grinsen.
Lili war schon eine Nummer für sich, aber wenn man sich an ihre Art gewöhnt hatte, war sie die beste Freundin, die man sich wünschen konnte.
Da Eddi nicht mehr in Sicht war, verabschiedete ich mich nur noch von Jas, der die Gelegenheit nutzte, um mich noch mal intensiv zu küssen – nicht, dass ich etwas dagegen gehabt hätte.
„Lass mich nicht zu lange warten.“ Flüsterte er mir schließlich ins Ohr und mir liefen Schauer über den Rücken.
„Mach ich nicht, versprochen.“
Mit einem letzten sehnsüchtigen Blick wandte ich mich um.
Es war schon ein tolles Gefühl, wenn man so gewollt wurde. Mein Herz schlug heftig und ich grinste. Endlich!
Wie lange hatte ich mich nach einem Freund gesehnt, der mich so akzeptierte, wie ich war?
Und jetzt hatte ich ihn!
„Scheint ja ganz gut gelaufen zu sein.“ bemerkte Paris, als wir das Auto erreichten.
„Kann man wohl sagen.“
„Hast du ihm von Samstag erzählt?“
„Ja. Das hat dazu geführt, dass wir uns letztlich ausgesprochen haben.“
Paris lächelte. „Ich mag Happy Ends.“
„Oh ich hoffe mal, das war erst der Anfang.“
„Und die Wahrheit hat gesiegt.“ Fügte sie wie in einem Kitschfilm hinzu.
Ja, das hatte sie wohl. Und ich war froh darüber, nichts verschwiegen zu haben. Naja, bis auf Seth, aber mit dem war ja nicht ‚passiert’.
Als wir zu Hause ankamen, stand Ceddies Auto schon auf dem Hof.
„Mist, wenn er fragt, ich war bei einer Freundin. Caro, ok?“
„Ja, lass und schnell reingehen.“
Drinnen angekommen, erwartete uns schon ein ziemlich ernst aussehender Cedric.
Oh man! Doch bevor ich zu einer Erklärung ansetzen konnte, warum wir so spät kamen, ergriff er schon das Wort.
„Mitkommen, Adriana, und zwar sofort.“
Was war denn jetzt los?
Er führte mich in die Bibliothek – mein neues Hass-Zimmer.
„Eben hat die überaus reizende Señora Palma hier angerufen.“
Oh scheiße!
„Ich glaube, du kennst sie. Zur Erinnerung: deine Spanischlehrerin.“
Dumme Kuh! Ich dachte, ich hätte noch etwas Zeit, um ihm das etwas schonender beizubringen.
„Kannst du dir vorstellen, warum sie angerufen hat?“ beinahe drohend musterte er mich.
„Ja, so ungefähr kann ich es mir denken.“
„Meinst du nicht, du hättest das kleine entscheidende Detail erwähnen können, dass du heute BLANKO-BLÄTTER in deiner Spanischklausur abgegeben hast?“
„Ich wollte dir nicht dir gute Laune versauen.“
„Na schönen Dank auch für deine Rücksicht. Adriana, die Arbeit ist ungenügend, SECHS!“
„Das weiß ich. Spanisch ist einfach nicht mein Ding.“
„Nicht dein Ding? Das ist entscheiden für deine Zukunft.“
„Ich habe nicht vor, später mal irgendwas mit meinem Spanisch zu machen, also ist das nicht so schlimm.“
Fassungslos starrte er mich an.
„NICHT SO SCHLIMM? Deine Versetzung ist gefährdet. Señora Palma hat mir erzählt, dass du auch im Unterricht absolut nichts sagst. Da wird sie dir eine fünf geben. Zusammen mit der sechs im schriftlichen hast du da ein großes Problem.“
Oh man. Ich konnte doch nicht in jedem Fach gut sein. Spanisch war halt mein Hass-Fach und irgendwie würde ich es schon ausgleichen können.
„Dann lern ich halt nächstes Mal ein bisschen mehr, dann wird das schon.“ Ich zuckte mit den Achseln.
Eigentlich wollte ich nur noch ins Bett und ein bisschen von Jas träumen, aber wenn ich das Gesicht meines Bruders betrachtete, was gerade purpurrot anlief, würde so schnell nichts daraus werden.
„Von wegen. Ich werde dir morgen einen Nachhilfelehrer besorgen.“
„Nein.“ Das konnte er vergessen.
„Oh doch! Und du fängst noch diese Woche an.“
„Werde ich nicht.“
„Adriana, keine Diskussion.“ Er funkelte mich an und am liebsten hätte ich mich irgendwo verkrochen.
„Du wirst so lange pauken, bis du alles nachgeholt hast!“
„Du kannst mich mal!“
Ich stürzte an ihm vorbei aus dem Raum.
Song von Farin Urlaub
http://www.youtube.com/watch?v=F4zGX5fPd7s
Am nächsten Morgen hatte ich denkbar schlechte Laune. Der schöne gestrige Tag mit Jasper war mir durch Señora Palmas Anruf und Ceddies Reaktion darauf versaut worden.
Ein Nachhilfelehrer! Super. Noch eine Person mehr, die mich abwerten und versuchen würde, mich herumzukommandieren, nur weil ich diese blöde Sprache nicht konnte.
Aber ich hatte mir vorgenommen, es meinem Lehrer – wer immer der- oder diejenige auch war – so schwer wie möglich zu machen. Vielleicht würde ich ihn/sie ja so schnell wieder loswerden.
Wie genau ich das anstellen wollte, war mir noch nicht klar, aber ich vertraute da mal auf meine Spontaneität. Dieser Gedanke munterte mich schon ein bisschen auf, als ich in Richtung Küche ging.
Was ich dort allerdings sah, ließ mich erschrocken aufkeuchen.
Paris saß zusammengekrümmt am Tisch und rührte in einer Schüssel, während ihr Tränen übers Gesicht liefen.
„Was ist los?“
„Morgen, Ada.“ Brachte sie anscheinend mühsam hervor.
„Guten Morgen. Geht’s dir nicht gut?“
Ok, das war zugegeben eine bescheuerte Frage angesichts ihres Zustandes.
„Es geht schon.“
„Willst du mich verarschen! Was stimmt nicht mit dir?“
„Ada, nichts Lebensbedrohliches. Jetzt setzt dich und frühstücke!“ gab das blonde Mädchen ganz entnervt zurück.
Etwas lief hier ganz eindeutig nicht rund; genervt war sie sonst nie.
Trotzdem ließ ich mich vorerst schweigend auf meinen Platz fallen und aß meine Haferflocken. Dabei beobachtete ich Paris allerdings genau.
Als sie schließlich aufstand verzog sich ihr Gesicht und ihr entfuhr sogar ein kleines Keuchen.
Das war genug!
„Paris! Was zum Teufel ist los mit dir?“
Sie schüttelte nur den Kopf und fuhr fort, den Teig in eine Pfanne zu schütten.
Eine Hand ruhte dabei schützend auf ihrem Bauch.
Oh Gott!
„Bist du schwanger?“
Paris ließ die Schüssel fallen und starrte mich entsetzt an. „Schwanger? Wie kommst du denn darauf?“
„Bist du es jetzt oder nicht?“
„Natürlich nicht! Von wem auch?“
„Aber was ist los mit dir?“
Seufzend ließ sich meine blonde Gegenüber auf einen Stuhl fallen.
„Du hörst eh nicht auf, bevor ich es dir sage, oder?“
Da hatte sie verdammt Recht.
„Ich hab einfach nur wahnsinnige Unterleibskrämpfe.“
„Unterleibskrämpfe? Wieso das denn?“
„Oh man, Ada. Denk doch mal nach.“
Verständnislos blickte ich sie an. Woher sollte ich denn wissen, woher sie Krämpfe hatte?
„Ich hab meine Tage und die sind verdammt schmerzhaft.“
Oh. Ups. „Ähm echt?“ bei mir nie.
Sie rollte die Augen, nur um kurz darauf erneut schmerzhaft zusammenzuzucken.
„Ist es jedes Mal so krass?“
„Ja.“
„Und was machst du dann?“
„Zähne zusammenbeißen und weiterarbeiten. Ist ja nichts Bedrohliches und so nach vier Tagen ist das eh wieder weg.“
„Aber du quälst dich hier bei jeder Bewegung. Geh ins Bett und ruh’ dich ein bisschen aus!“
„Ada, du weißt, dass das nicht geht.“
„Wieso denn nich? Dir geht es absolut bescheiden, da musst du doch nicht noch den Haushalt machen.“
„Der macht sich aber nicht von alleine.“
„Ich mach heute Nachmittag die wichtigsten Dinge, aber bitte geh jetzt ins Bett. Das kann man ja nicht mit ansehen.“ flehte ich sie förmlich an.
Ich war mir nicht sicher, ob ich ihre Willensstärke und das Pflichtbewusstsein bewundern oder mich nicht lieber über ihre Dummheit, in dem Zustand noch arbeiten zu wollen, aufregen sollte.
„Aber-“ versuchte sie zu widersprechen.
„Nichts da. Los jetzt. Ich bring dir eine Wärmflasche. Möchtest du auch irgendetwas Warmes zu trinken?“
Etwas hilflos blickte ich sie an. Leider – oder besser gesagt zum Glück – kannte ich mich mit so was gar nicht aus.
Ein kleines Lächeln stahl sich auf ihre Züge.
„Eine warme Milch mit Honig wäre toll.“
„Ok. Jetzt aber ab ins Bett! Ich komme gleich.“
Damit verschwand sie aus der Küche und ich begann, Wasser zu kochen.
Welch Glück, dass ich immer so früh aufstand, jetzt blieb mir genug Zeit um alles fertig zu machen.
Eine halbe Stunde später was Paris versorgt und nochmals beruhig, meine Tasche gepackt und ich stand neben Ceddies Auto.
„Wo bleibst du denn?“ rief ich ins Haus.
Schon eine gefühlte Ewigkeit wartete ich auf ihn und so langsam wurde es hier draußen im kalten Wind echt ungemütlich.
„Ich komme ja gleich. Wo ist nur dieses Mädchen, wenn man es braucht.“
Redete er von unserem blonden Engel?
„Meine Güte. Dieses faule Stück!“ hörte ich ihn weiterschimpfen.
„Führst du Selbstgespräche?“
„Nein. Weißt du, wo Paris ist?“
„In ihrem Bett. Und jetzt komm, ich will nicht zu spät zu Mathe kommen.“
Ein ziemlich gestresst aussehender Cedric erschien in der Eingangstür.
„Was soll das heißen >sie ist im Bett<?“
„Genau das, was laut Duden die Wörter bedeuten. Bitte komm jetzt, ich friere mir den Hintern ab.“
Unwillig entriegelte er das Auto und stieg ein.
„Warum arbeitet Paris nicht? Ich meine für das Rumliegen und ausschlafen wird sie nicht bezahlt.“
Bitte was? Irgendwie hatte sich gestern wohl wieder ein Schalter in meinem Bruder umgelegt… und ich hatte gedacht, er würde ein wenig netter werden.
„Ihr geht es nicht gut.“
Zweifelnd blickte er mich an.
„Sie war noch nie krank.“
Das gab es doch wohl nicht.“
„Ceddie! Sie hat Margenkrämpfe. Ziemlich schmerzhafte.“
„So, dass sie nur im Bett liegen kann?“
„Ja.“
„Geht sie zum Arzt?“
Machte er sich etwa Sorgen?
„Nein, ist nichts Schlimmes. In ein paar Tagen ist das wieder vorbei.“ Beruhigte ich ihn.
„In ein paar Tagen? Das wird ja immer schöner! Und woher weißt du das eigentlich so genau?“
„Oh man Cedric. Hör auf, so ein Idiot zu sein! Das ist ein FRAUEN-Problem, ok? Einmal im Monat.“
„Oh.“
Täuschte ich mich, oder errötete er da leicht?
„Aber wieso fällt sie ausgerechnet jetzt aus? Ist das nicht ein bisschen komisch? Schließlich müsste sie das ja nicht zum ersten Mal haben.“
„Darum geht es ja!“ Jetzt war ich aber echt auf 180. „Sie hat das JEDEN MONAT. Nur ist DIR das bisher nie aufgefallen, weil du immer nur auf dich achtest, ohne dein Umfeld wirklich war zu nehmen. Paris rackert sich ab wie ein Blöde, selbst wenn sie krank ist. Und bekommt dafür was? Eine Tüte Überheblichkeit ihr gegenüber mit einer Prise Verachtung von dir. Sie hat nicht mal in Erwägung gezogen, im Bett zu blei-“
Trotzig unterbrach Cedric mich „Und wieso tut sie dann genau das?“
„Weil ich es ihr angeordnet habe. Zusammen mit einer Tasse Milch und einer Wärmflasche.“
Mittlerweile hatte er mich soweit, dass ich ihn anschrie.
„Wie hast du es nur geschafft, jeden Monat NICHT mitzubekommen, wie es ihr geht? Besitzt du eigentlich irgendwie ein wenig Empathie und Humanität? Wenn ja, dann wäre es schön, wenn du das auch ein bisschen öfter zeigen würdest ‚Master Cedric’!“
Ich sprang aus dem Auto – wir waren mittlerweile vor der Schule angekommen.
So schnell ich konnte, eilte ich ins Schulgebäude. Na der Tag fing ja schon super an.
Verdammt. Wie sollte ich denn jetzt nach Hause kommen?
Von Ceddie und seinem Wagen war weit und breit keine Spur und Paris lag hoffentlich noch zuhause im Bett. Aber jetzt hatte ich ein Problem, denn um ehrlich zu sein wusste ich überhaupt nicht, wie man der Weg von der Schule nach Hause war. Super!
„Hey, Sexy.“
Oh nein. Gerade wenn man dachte, es könnte nicht mehr schlimmer kommen…
„Steig ein. Ich bring dich nach Hause.“
An sein Auto gelehnt stand da doch tatsächlich Seth und besaß die Frechheit, mich anzugrinsen.
„Nein danke.“
„Cedric hat mich darum gebeten. Ihm ging es nicht gut, also ist er heute Morgen direkt wieder nach Hause gefahren.“
Oh. Ihm ging es nicht gut?
Vielleicht litt der Arme ja tatsächlich unter einem schlechten Gewissen? Man sollte die Hoffnung ja nie aufgeben.
Mit seinem besten Freund wollte ich deshalb aber trotzdem nicht fahren. Das war mir anscheinend anzusehen, denn Seth kam auf mich zu.
„Na komm schon. Wenn du läufst, brauchst du über eine Stunde und ich habe ihm versprochen, dich sicher nach Hause zu bringen.“
Eine Stunde laufen oder Seth? Was war das kleinere Übel?
„Ich verspreche dir, dich nicht anzurühren.“
„Und du verkneifst dir deine dummen Kommentare.“
„Von mir aus, wenn du dann mitfährst.“
Einmal tief durchatmend ließ ich mich auf den Teufelspakt ein und glitt auf den Beifahrersitz.
„Na bitte. Geht doch.“
Eine Weile fuhren wir schweigend durch die Stadt. Die Stille war ziemlich unangenehm, aber im Small Talk Machen war ich nie gut gewesen. Erst Recht nicht, wenn mein vermeidlicher Gesprächspartner ein zugegeben ziemlich heißer Typ mit überdimensionalem Ego war, mit dem ich zu allem Unglück auch noch eine ziemlich peinliche Auseinandersetzung am Samstagabend gehabt hatte.
„Geht’s dir eigentlich wieder gut? Also ist der ganze Scheiß aus deinem Körper raus?“ meldete sich eben jener Kerl nun zu Wort.
Wow. Das hatte gar nicht fies geklungen. Vielleicht sogar ein wenig besorgt?
Verstohlen warf ich ihm einen kurzen Blick zu, aber zu meiner Enttäuschung – verdammt, wieso das eigentlich – hatte er den Blick starr auf die Straße gerichtet.
„Ich hoffe schon. Zumindest merk ich nichts mehr.“
„Das ist gut.“
Erneut Stille.
„Ich habe gehört, du fährst auch mit zu Damian.“ Begann er wieder.
„Hmhm.“ Ich wollte nicht mit ihm reden.
Warum zum Teufel brauchten wir so verflixt lange nach Hause? Ich meine sonst ging das doch auch schneller!
„Wird bestimmt lustig mit den ganzen Leuten.“
Jetzt wurde ich hellhörig.
„Wer ist denn alles da?“
„Damian, Jannick, Kilian, Ceddie, du und ich.“
Ok, die ersten drei Namen sagten mir absolut nichts.
„Nimmst du eigentlich noch eine Freundin mit?“ fragte er weiter interessiert.
„Mal gucken. Ich wünschte Paris käme mit.“
„Eure sexy Putze.“
„Sie ist keine Putze.“
„Sondern?“ er sah mich spöttisch an.
„Ähm.“
Seine Brauen hoben sich erwartungsvoll. Verdammt. Wie konnte ich das jetzt moderat formulieren?
„Paris ist meine Freundin.
„Ach jaaa…Da ist unser lieber Cedric aber bestimmt nicht so begeistert drüber, wenn ich mich nicht täusche.“
Tat er nicht.
„Das interessiert mich nicht im Geringsten.“
„Das habe ich mir ebenfalls gedacht. Ich freu mich schon darauf, wenn wir da ein bisschen mehr Zeit zusammen verbringen, Sexy.“
Beim letzten Teil hatte er sich ganz nahe gebeugt, sodass sein Mund fast mein Ohr berührte. Und schon wieder durchfuhren mich doofe Schauer.
Das war echt mein Schwachpunkt.
„Richte deinem Bruder schöne Grüße aus.“ Er lächelte mich wissen an, bevor er sich wieder zurückbeugte.
Oh man. Idiot. Er wusste genau, was er da mit mir anstellte.
Verdammt, ich hatte einen Freund!
Wortlos stieg ich aus und schlug die Tür zu. Auf wen genau ich gerade am meisten böse war, wusste ich nicht. Cedric, Seth oder doch mich selbst?
Als ich das Haus betrat, war es erschreckend still. Meinem Bruder wollte ich jetzt auf keinen Fall über den Weg laufen, also was nun?
Schließlich beschloss ich, Paris einen Besuch abzustatten.
Vorsichtig klopfte ich.
„Herein.“
Schnell trat ich ein und ließ meine Tasche auf den Boden fallen.
„Hey, wie geht’s dir?“
„Im Moment ganz gut. Setz dich.“ Paris klopfte auf den Rand des Bettes, auf dem sie lag und las.
„Jane Fraser?“
„Pseudonym von Rosamunde Pilcher.“
„Dein Ernst? Das liest du?“
„Tzzz. Unterschätz das mal nicht. Das sind Klassiker!“
„Ah ja.“ Ich grinste „Würd’ ich trotzdem nicht lesen.“
Paris lachte „Zwingt dich ja auch keiner.“
„Zum Glück! Wie geht’s deinem Bauch?“
„Im Moment merk’ ich nichts. Dank Ibu.“
„Ibu?“
Wer war das denn?
„Ibuprofen. Schmerztabletten. Die hat Master Cedric mir heute Vormittag gebracht.“
„Er hat WAS?!“
„Ja, ungefähr das war auch meine Reaktion.“ Sie zuckte die Schultern.
„Keine Ahnung, was da in ihn gefahren ist.“
Na ich hatte da so eine Vermutung, aber zugegeben hätte ich das wirklich nicht gedacht.
Das was ich heute zu ihm gesagt hatte, war wohl nicht so fair gewesen, aber entschuldigen, wollte ich mich irgendwie auch nicht.
„Wow. Das ist echt nett von ihm.“
„Ja.“ Ihre Augen leuchteten, „Und er war total süß dabei.“
Meine Nackenhaare sträubten sich; mein Bruder und das Adjektiv ‚süß’ passten einfach nicht zusammen.
„Er hat gefragt, wie es mir geht und sich entschuldigt, dass er die letzten Jahre nichts gemerkt hat und dabei wirkte er total zerknirscht und konnte mir nicht in die Augen sehen.“
Sie war total aufgedreht und irgendwie war ich stolz auf meinen Bruder.
Noch eine Premiere. Er hatte anscheinend doch ein Gewissen und er hatte den Landgrafschen’ Dickkopf – den ich ja nur zu gut kannte – überwunden, um einen Fehler einzugestehen.
„Ich wollte jetzt kochen. Hast du Lust auf irgendetwas Bestimmtes? Vorzugsweise etwas Einfaches, ich bin eine Kochkatastrophe.“ Fragte ich sie und erntete spöttisches Gelächter – es ging ihr eindeutig wieder besser…
„Ich glaube, ich bleibe bei einer Schale Cornflakes.
„Oh. Da schließe ich mich an. Bin gleich wieder da.“
Danach besprachen wir, was dringend erledigt werden musste. Wäsche hatte da die oberste Priorität. Super!
Also fand ich mich eine Stunde später im Waschkeller wieder und versuchte hinter die korrekte Bedienung eines Bügeleisens zu steigen. Nachdem ich das Gefühl hatte, dass das, was ich da mit der Wäsche anstellte, so einigermaßen etwas brachte, entspannte ich mich langsam.
„ADRIANA?!“
Ich ließ vor Schreck das Bügeleisen los, was prompt auf den Boden fiel. Aber nicht, ohne meine Hand zu streifen.
„Aua, Scheiße.“
Oh man tat das weh!
„Schnell unter kaltes Wasser halten.“ Befahl mein Bruder, der Verursacher meines kleinen Missgeschicks.
Das wollte ich dann auch tun, aber zuerst musste ich das Bügeleisen vom Boden aufheben, bevor es noch einen Hausbrand verursachte. Als ich mich danach bücken wollte, wurde ich erneut von meinem Bruder abgehalten.
„Ich mach das schon. Los jetzt. Unter kaltes Wasser halten!“
Als der eisige Strahl meine Hand berührte, stiegen mir Tränen in die Augen.
Das tat so unglaublich weh, brannte immer schlimmer auf meiner Haut.
„Zeig mal her.“
Vorsichtig reichte ich meinem Bruder die verletzte Hand, nur um im nächsten Moment aufzuschluchzen, weil es ohne das kalte Wasser noch viel schlimmer wurde.
Cedric reagierte sofort und schob meinen Arm wieder unter den eisigen Strahl.
„Was machst du nur immer für Sachen?“ vorsichtig strich er mir über den Rücken und es fühlte sich schön an.
Wie zu Hause. Tröstlich.
Nach und Nach entkrampfte ich mich wieder und atmete tief durch.
Meine Hand tat zwar noch immer teuflisch weh, aber der erste Schock ließ langsam nach.
„Ich hol dir jetzt ein Kühlpack, dann gehen wir hoch, ok?“
Ich nickte.
Kurze Zeit später war er wieder da und wickelte den kühlen Umschlag behutsam um meine Hand.
„Krankenschwester Cedric.“ Musste ich da grinsen.
„So fühl ich mich allmählich wirklich.“ Entgegnete er trocken „Komm jetzt. Ich möchte dir jemanden vorstellen.“
Oh, wer das wohl war?
Ceddie führte mich die Treppen hoch zur Bibliothek. Mir schwante schon Übles, aber als wir eintraten stand ich nur einem braunhaarigen Jungen gegenüber. Einem ziemlich süßen braunhaarigen Jungen.
„Das ist Dante. Dante, das ist meine Schwester Adriana.“
„Hallo Adriana.“
Er streckte mich seine Hand entgegen
„Ich würde gerne, aber –“ mit meinem Blick auf meine rechte Hand, die das Kühlpack um die linke hielt „-ich bin gerade unpässlich.“
„Oh, was ist passiert, pequeña?“
Was auch immer das hieß, es hörte sich toll an.
„Habe mir meine Pfote beim Bügeln verbrannt.“
Er runzelte die Stirn.
„Warum bügelst du?“
Oh man. Noch so ein Snob a la Cedric. Aber wieso hatte ich eigentlich etwas anderes erwartet?
„Naja, die Wäsche hat noch nicht gelernt, sich selbst zu bügeln. Deshalb muss ich da helfen.“
Er grinste kurz, wurde aber wieder ernst, als er sich an meinen Bruder wandte.
„Was ist mit Paris? Du hast sie doch nicht gefeu-“
„Nein, natürlich nicht.“ Winkte mein Bruder hastig ab. Scheinheiliger Trottel.
„Ihr geht es nicht so gut, deshalb schmeiß ich den Haushalt in der Zeit.“
Ok, kleine Übertreibung, aber immerhin machte ich mehr als mein Bruder.
„Achso.“ Er klang beruhigt „Dann gucke ich vielleicht nachher mal bei ihr vorbei, wenn wir fertig sind.“
„Fertig womit?“ Drohend sah ich meinen Bruder an.
Song von Gossip
http://www.youtube.com/watch?v=_qLsODmfk6w
(ich garantiere nicht für die Richtigkeit der Spanischensätze... da meine Kenntnisse grottig sind :D)
„Dante wird dir Nachhilfe in Spanisch geben.“ Ließ er die Bombe platzen.
„Nein.“
„Wir hatten dieses Thema schon mal, Adriana.“
„Das weiß ich. Und wenn mich nicht alles täuscht, habe ich meine Position da ziemlich deutlich zum Ausdruck gebracht.“ Wütend funkelte ich ihn an.
„Adriana. Ich habe versucht, einen Kompromiss zu finden. Dante ist Spanier und ein alter Freund. Ich hätte dir auch einen älteren Fachmann vorsetzen können… Also bitte reiß dich zusammen!“
Hmm. Da hatte er wahrscheinlich Recht, mit so einem jungen Typen hatte ich wahrlich nicht gerechnet, aber das änderte nichts daran, dass ich niemanden wollte.
„Das Ganze hat nichts mit dir zu tun. Bitte nimm das nicht persönlich.“ Wandte ich mich kurz an den Spanier, bevor ich mich wieder auf Cedric konzentrierte.
„Ich möchte das nicht. Und es ist mir ziemlich egal, wie ich in diesem beschissenen Fach stehe.“
Damit wollte ich mich umdrehen und den Raum verlassen, aber Cedric hielt mich am Arm fest. Ziemlich Fest. Beinahe schon schmerzhaft. Oh, er war wütend.
Diese Vorahnung wurde mir bestätigt, als ich mich umdrehte und in seine Augen blickte. Oh Scheiße!
„Adriana, du wirst mir jetzt mal gut zuhören. Das alles ist kein Spaß mehr. Wenn du nicht irgendwann endgültig auf der Straße landen und so verdrecken willst, wie du es ja schon einmal getan hast, dann wirst du dir Nachhilfe von Dante geben lassen.“
„Die Straße ist nicht so schlimm, wie ihr immer meint. Wenigstens sind die Leute da anständig.“
„Das mag DEINE Meinung sein. Trotzdem wirst du den Namen unserer Familie nicht so durch den Dreck ziehen.“
„Ach um die tolle Familie der Landgrafs geht es jetzt wieder? Warum habe ich eigentlich für einen kurzen Augenblick gedacht, du wärst an meinem Wohl interessiert? Aber das warst du ja nie! Ebenso wenig wie Mum und Dad. Etikette war doch immer alles. Ihr kotzt mich so an!“
Oh ja, wie sie das taten.
An meinem 18. Geburtstag würde ich dieses Haus, diese Stadt, am besten das ganze Land verlassen und nie wieder zurückkehren.
„Pass gefälligst auf, wie du mit mir sprichst! Ich bin dein Bruder. Und du wirst jetzt diese Nachhilfe nehmen, sonst sorge ich persönlich dafür, dass du auf das strengste Internat des Landes kommst und bis zu deinem Abschluss da bleibst.“
Dieses Arschloch. Wie konnte er mir nur so etwas androhen? Am liebsten hätte ich es aus Prinzip darauf ankommen lassen, aber zu viel stand auf dem Spiel.
Ich würde Paris, Lili und Eddi nicht mehr wieder sehen. Und Jasper! Nein, das ging nicht. Nicht, wo ich gerade so glücklich gewesen war und ganz am Anfang einer wundervollen Beziehung – hoffte ich – mit ihm stand.
Also gab ich seufzend und schweren Herzens nach.
Ich nickte, aber meine Hände waren zu Fäusten geballt. Ich könnte heulen, schreien oder lieber etwas zertrümmern.
Ihm so verdammt hilflos aufgeliefert zu sein, war eine Qual!
„Na wenn das geklärt ist, dann lass ich euch zwei jetzt alleine. Wir reden später noch, Dante?“ fragend wandte sich das Arschloch an seinen Freund.
Oh man. Den hatte ich ja total vergessen. Na, da hatte er doch mal unsere Familie in Aktion erlebt.
„Sicher, Ceddie. Bis später.“
Hatte er ihn gerade Ceddie genannt?
Unwillkürlich wurde er mir immer sympathischer.
Als mein Bruder dann endlich verschwunden war, setzte sich Dante in einen gemütlichen Sessel.
„Ceddie kann schon ein ganz schöner Idiot sein.“ Mitfühlend musterte er mich.
„Kann man wohl laut sagen.“
„Na komm, wir sollten uns vielleicht erstmal kennenlernen.“
Ich setzte mich ihm gegenüber.
„Dann fang ich mal an. Hola Adriana. Me llamo Dante, soy de Barcelona y tengo dieciocho años. Me gusta jugar al fútbol, leer y mi perro Messi.”
Ähm ja.
„Du blickst mich so fragend an, was ast du denn nicht verstanden?“
„Frag mich lieber, was ich davon verstanden habe.“
Dante lachte und entblößte dabei strahlend weiße Zähne.
„Ok, dann schieß mal los.“
„Ähm…also du heißt Dante.“
„Gut erkannt.“ Er grinste spöttisch.
„Blödmann.“
„Estúpido“
„Was?“
„Wir sind hier bei der Spanischnachhilfe, also wenn du mich schon beschimpft, dann wenigstens in meiner Landessprache.“
Och so ein paar Schimpfwörter in einer Fremdsprache konnten bestimmt nicht schaden.
„Komm weiter, chica.“
„Du bist 18 Jahre alt.“
„Stimmt genau. Dieciocho años, tres meses y cinco dìas.” (18 Jahre, 3 Monate und 5 Tage)
Ich lachte “Ok, du spielst Fußball und dein Vorbild ist Messi?” riet ich nun munter drauf los.
Mein kläglicher Versuch wurde mit einem fetten Grinsen quittiert.
„Da hast du Recht, auch wenn ich den letzten Teil nicht so gesagt habe.“
„Tja, ich kann halt wahrsagen.“
„Ich merk das schon. Nein, was ich gesagt habe war in etwas ‚Ich mag Fußball spielen, lesen und meinen Hund Messi’“
Oh, na das war doch gar nicht so falsch gewesen.
„Gut, jetzt du.“
„Ich?“
Verdammt, ich bekam keinen Satz zusammen.
„Versuchs einfach.“
Naja, ich hatte mich ja eh schon blamiert, also was sollte jetzt noch schlimmer werden?
„Also, me llamo Ada. Tengo 16 años. Soy de Alemania y me gusta caballos, encontrarme con amigos, historía y leer, tambien.” (Ich heiße Ada, Ich komme aus Deutschland und ich mag Pferde, Freunde treffen, Geschichte und auch lesen)
„Na siehst du, das war doch gar nicht so schlecht.“
„So, pequeña, Schluss für heute. Ich muss los.”
Mit einem Blick auf die Uhr stellte ich fest, dass wir über zwei Stunden hier gesessen hatten. Wow, es war gar nicht so schlimm gewesen… ich meine, es hatte sogar irgendwie ein bisschen Spaß gemacht.
„Und übrigens…Tu culo es fenomenal en esta pantalón.“ Er zwinkerte mir zu, doch bevor ich noch etwas sagen konnte, war Dante schon zur Tür hinaus.
Was sollte das bedeuten?
Grübelnd machte ich mich auf den Weg in mein Zimmer. Ich würde morgen Mathe schreiben und schließlich hatte ich Herrn Brackler versprochen, alles nachzuarbeiten.
Und das lief schon ganz gut, also war ich zuversichtlich für die Arbeit.
Einige Zeit später legte ich mein Heft zur Seite und beschloss, Paris zu besuchen. Mit einer Kanne Tee und einem Teller frisch belegter Brote bewaffnet machte ich mich auf zu meiner kranken Freundin.
„Oh Ada. Das ist so süß von dir.“
Paris strahlte mich an und wischte sich über die Augen. „So bin ich noch nie bemuttert worden.“
„Wofür sind Freunde denn da.“
Das brachte mir eine feste Umarmung ein.
„Vielen Dank. Gibt’s was Neues?“
„Ich hab’ die heiße Seite des Bügeleisens kennengelernt…“ ich zeigte ihr meine linke Hand, auf der sich eine fette Brandblase gebildet hatte.
„Oh nein. Das tut bestimmt immer noch verdammt weh, oder?“
„Joah, mittlerweile geht es.“
Nachdem ich dick Kühlsalbe drauf geschmiert hatte…
„Dann habe ich mich mal wieder mit Ceddie gefetzt. Er hat gedroht, mich auf ein Internat zu schicken, wenn ich meine Nachhilfe verweigere.“
„Nein, oh bitte Ada. Mach das nicht. Ich will nicht, dass du weggehst.“
„Ich doch auch nicht. Und so richtig schlimm war’s auch nicht. Er hat einen alten Freund von sich gefragt. Der ist echt cool. Apropos Freund. Dante meinte, er würde dich noch besuchen kommen.“
„Dante?“ Paris war auf einmal ganz aufgeregt „Er war hier?“
„Ja, wie gesagt; er gibt mir jetzt Nachhilfe in Spanisch.“
„Aber er war nicht bei mir.“ Sie sah geknickt aus.
„Das ist komisch.“
„Hmm…schade. Aber hoffentlich sehe ich ihn beim nächsten Mal.“
„Woher kennt ihr euch denn?“
Jetzt war ich wirklich neugierig.
„Dante hat mich sozusagen hierhin vermittelt. Mein Engel in der Not. Am Anfang war er jede Woche da, um nach mir zu sehen.“
Ich war beeindruckt. Dann war er wirklich ein netter Kerl.
„Irgendwann wurde es weniger. Leider. Ich glaube er hat sich irgendwie mit Master Cedric gestritten.“ Fuhr Paris fort.
Interessant. Das würde auch seine Bemerkung, Cedric sei ein Idiot, erklären.
Vielleicht konnte ich ihn ja mal fragen, was da vorgefallen war.
„Donnerstag kommen meine Eltern.“
„Ja, hab ich gehört. Wird schon nicht so schlimm werden.“ Versuchte sie mich zu beruhigen. Allerdings sprachen ihre mitfühlenden Augen eine ganz andere Sprache.
„Du hast sie schon mal erlebt?“
„Oh ja. Dreimal um genau zu seien. Da haben sie hier nach dem Rechten gesehen.“
„Hört sich gefährlich an.“ Ich musste grinsen bei der Vorstellung, wie meine Mutter hier jede Vase anhob, um zu sehen, ob auch alles sauber war.
Paris erwiderte gespielt verzweifelt „Ziemlich. Deine Mutter hat ihre Augenbrauen fast bis zum Haaransatz hochgezogen, als sie bemerkt hat, dass die Tischdecke links einen Zentimeter überhing als rechts.“
Oh ja. Das war meine penible Mutter, wie sie leibt und lebt.
„Sie hat uns alle einmal zur Schnecke gemacht und als sie wieder weg war, hat Master Cedric das erste Mal zu uns gesagt, dass wir uns das nicht so zu Herzen nehmen sollten, sondern wirklich gute Arbeit leisteten.“
Sieh mal einer an. Mein Bruder hatte wohl doch nicht so hohe Maßstäbe wie die Schreckschraube von Mutter. Andererseits passte es, dass er nichts offen dagegen sagte, sondern im Nachhinein versuchte, die Gemüter zu besänftigen.
Die nächsten zwei Tage herrschte zwischen Cedric und mir eisiges Schweigen. Bis Donnerstag.
Als ich von der Schule nach Hause kam, verkrümelte ich mich auf mein Zimmer. Ich lag rücklings auf meinem Bett und starrte die Decke an. Meine Eltern. Ich wollte sie nicht wiedersehen. Absolut nicht. Am liebsten nie wieder.
„Adriana?“
Ich schreckte hoch. Mein Bruder stand in der Tür und musterte mich ernst.
„Kann ich reinkommen?“
„Wenn's sein muss.“
Er trat ein und setzte sich zu mir auf die Bettkante.
„Mum und Dad kommen in einer halben Stunde.“
„Großartig.“ Murmelte ich.
Cedric seufzte und fuhr sich durch die Haare. Dann setzte er zum Sprechen an, schwieg dann jedoch.
„Nein, ich werde mich nicht für sie umziehen.“ Nahm ich ihm seine Frage schon vorweg.
Ein kleines Lächeln stahl sich auf seine Züge.
„Ich hätte auch nichts anderes erwartet. Nein, ich wollte dich bitten, dich zu benehmen. Bitte Adriana.“
„Ich soll also meinen Mund halten und die brave Tochter mimen, weil das bisher ja auch so gut geklappt hat.“
Ich beobachtete, wie mein Bruder die Augen schloss und mit der Hand darüber fuhr. Wenn ich ihn genauer betrachtete, sah er noch immer so fertig aus, wie vor ein paar Tagen. Auch die Augenringe waren noch zu erkennen. Geschah ihm Recht, dass er schlecht schlief.
„Adriana bitte. Je weniger passiert, desto schneller sind sie weg. Und desto länger bleiben sie weg!“
Oh, es schien ja fast so, als sei ich nicht die Einzige, die keinen Nerv auf unsere Erzeuger hatte.
„Bitte reiß dich zusammen. Zwei Stunden, länger werden sie eh nicht bleiben. Und je mehr sie davon überzeugt sind, dass hier alles glatt läuft, desto weniger werden sie sich einmischen.“
Solche Töne kannte ich ja gar nicht von meinem Bruderherz. Andererseits hatte ich mit ihm auch nicht mehr über sie gesprochen, seit er vor zwei Jahren ausgezogen war.
Himmel. Damals war er auch erst 16 gewesen. So alt, wie ich jetzt. Und er hatte sich von der Fuchtel unserer Eltern soweit befreit, dass er ein eigenes Leben führen konnte.
Naja, ausnahmsweise waren wir gleicher Meinung – schließlich wollte ich mit den Ober-Snobs so wenig wie möglich zu tun haben – würde ich mich wohl oder übel am Riemen reißen müssen.
„Ich geb’ mir Mühe.“
„Wenn es nicht mehr geht, sag einfach gar nichts mehr. Dann leiste ich schützen Hilfe.“ Er grinste mich kläglich an.
„Deal.“
Wow. Ein Pakt zwischen meinem Bruder und mir. Und dann auch noch gegen meine Eltern. Das war wohl noch eine Premiere.
Dann hatten wir jetzt also Waffenstillstand. Sollte mir Recht sein, denn wie sagte man so schön? >Der Feind meines Feindes ist mein Freund<
„Kommst du mit runter, sie an der Tür begrüßen.“ Bat er mich.
Auch wenn ich überhaupt keine Lust dazu hatte, war das wohl ein guter Anfang.
„Ja, ich kämm’ mir nur noch eben die Haare.“
Gesagt, getan.
Fünf Minuten später standen wir vor der Tür und warteten auf das Schellen der ‚Höllenglocke’, die den Teufel ankündigte.
Die Luft war so spannungsgeladen, dass ich nur auf einen Funkensprung wartete.
Nervös knetet ich meine Hände. Gott! Das Warten war furchtbar.
Plötzlich klingelte es und wir zuckten synchron zusammen.
Cedric atmete noch einmal tief durch und warf mir einen flehenden Blick zu, bevor er dir Tür öffnete.
Da standen sie. Meine Eltern.
Adrett und spießig. Wie immer.
Mein Vater in einem makellosen Anzug und meine Mutter in einem absolut faltenfreien Kostüm mit blütenweißer Bluse.
Ich hätte jetzt schon kotzen können.
Stattdessen bemühte ich mich um einen halbwegs freundlichen Gesichtsausdruck, der zwar nicht an Cedrics Strahlelächeln heranreichte, aber schließlich war auch er der brillante Schauspieler und nicht ich.
„Mum, Dad. Kommt rein. Schön euch zu sehen.“ Ertönte da schon seine honigsüße Stimme.
Oh mein Gott! Bitte erlös mich von der ganzen Prozedur.
Mein Wunsch blieb natürlich unerfüllt und so zwang ich mich, die steife Umarmung meiner Mutter zu ertragen und den eisernen Händedruck meines Vaters zu erwidern.
„Adriana, du siehst ja immer noch so furchtbar aus!“
Dir auch einen wunderschönen Tag!
„Wieso kleidest du dich nicht endlich vernünftig!“ fing meine blonde Erzeugerin da auch schon an. Na dann, auf einen schönen Nachmittag.
„Ich bin mir sicher, dass sie früher oder später wieder zur Besinnung kommt.“ Mischte sich Cedric nun ein.
Ich stand daneben und war fest davon überzeugt, noch im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte zu sein.
„Lasst uns doch in das Speisezimmer gehen. Dort werden Kaffee und Kuchen gereicht.“
Mein Vater schritt voraus und meine Mutter folgte.
Patzig ging ich hinterher und spürte auf einmal Ceddies Hand auf meinem Rücken, die er beruhigend dort verweilen ließ, bis wir den Raum erreichten.
Der Butler Toni erwartete uns schon mit einem Tablett frisch gebackenem Zitronenkuchen.
„Was darf ich euch zu trinken anbieten?“ mimte mein Bruder weiterhin den perfekten Gastgeber.
„Einen Kaffee. Schwarz.“ Meldete sich mein Vater das erste Mal zu Wort. Klar, was sollte er auch sonst trinken?! Kaffee, schwarz wie sein Herz.
„Ich bekomme einen Earl Grey. Ungesüßt.“
Natürlich. Immer schön auf die Figur bedacht. Na, da ließ sich doch etwas machen.
„Dann bring mir doch bitte eine heiße Schokolade…mit Sahne.“ Lächelte ich Toni an, aber nicht, ohne aus dem Augenwinkel die Reaktion meiner Mutter zu beobachten. Leider fiel die mit einem einfachen Lippenschürzen ziemlich schlicht aus, aber was hatte ich schon von einer so wohlerzogenen Dame erwartet.
„Für mich ein Wasser, Toni.“ Fügte mein Bruder hinzu.
Damit verbeugte sich der Butler und verschwand, um und in einer unangenehmen Stille zurückzulassen. Wenig überraschend war es mein werter Bruder, der diese schließlich unterbrach.
„Wie geht es deinen Rückenschmerzen in letzter Zeit.“ Wandte er sich an unsere Mutter.
„Sehr viel besser. Michael hat diesen wunderbaren Physiotherapeuten für mich engagiert. Der versteht etwas von seinem Beruf. Apropos. Wie sieht es mit deinen Schulischen Leistungen aus?“
„Ganz hervorragend. Ich bin mir sicher, dass ich einen ausgezeichneten Abschluss machen werde.“
„Nichts anderes hatten wir von dir erwartet.“ Bekräftigte mein Vater.
Sicher doch. Bloß keine falsche Bescheidenheit hier.
„Und wie sieht es bei Adriana aus?“ fragte meine Mutter weiter.
Natürlich sprach sie nicht mit mir, sondern lieber mit meinem vorbildlichen Bruder. Dieser warf mir einen bedeutsamen Blick zu. Meine sechs in Spanisch. Oh.
„Sie gewöhnt sich überraschend gut ein. Ich bin sicher, ihre Noten werden dementsprechend ausfallen.“
Notiz an mich selbst: Glaube Cedric niemals so ohne Weiteres, er kann Lügen, ohne mit der Wimper zu zucken.
„Na wenigstens etwas.“
Ich wurde mit einem gnädigen Blick bedacht.
Schnepfe. Dumme Kuh. Ich konnte gar nicht genug Schimpfwörter für sie finden.
Plötzlich blieb ihr Blick an meiner bandagierten, linken Hand hängen.
„Was hast du da an deiner Hand, Adriana?“
Es war doch bezeichnend für unsere Familiensituation, dass meine Mutter erst nach etwa 30 Minuten den Verband bemerkt hatte.
„Ich habe mich verbrannt.“
Missmutig zog meine Mutter die Augenbrauen hoch. Das konnte sie wirklich gut.
„Wobei ist das denn passiert?“
Ich wollte gerade antworten, als Ceddie mir zuvor kam.
„Als sie sich die Haare geglättet hat.“
Ach ja. Es wäre wohl nicht so gut angekommen, wenn ich erzählt hätte, dass ich hier im Haushalt half. Das war so unstandesgemäß.
„Du warst schon immer etwas ungeschickt.“ Kommentierte die Hexe ungerührt.
Ich musste mir auf die Lippe beißen, um nicht heftig zu widersprechen.
Ziege. Dumme Pute. Alte Schachtel.
„Wo ist denn das blonde Hausmädchen?“ erkundigte sich mein Vater plötzlich.
Was ging ihn denn Paris an? Wo er doch nicht mal an seiner Tochter interessiert war.
Fragend blickte ich meinen Bruder an, der jedoch eisig geradeaus starrte.
War wohl auch nicht begeistert, von dem eigenartigen Interesse unseres Alten.
„Hast du dieses unfähige Mädchen endlich gefeuert?“ mischte sich nun meine Mutter ein.
Giftspritze, Miststück.
„Nein.“ Ceddies Tonfall war überraschend hart. „Sie ist zurzeit unpässlich.“
„Ein faules Stück. Das habe ich gleich gesehen. Du bist zu nachlässig mit ihr.“ Keifte die blöde Gans weiter, während mein Dad nun wieder gelangweilt seine Fingernägel inspizierte.
„Das ist sie nicht.“
Mein Blick schoss zu Cedric. Widersprach er da gerade unserer Mutter?!
„Sie leistet wirklich gute Arbeit und ist sehr zuverlässig. Es ist das erste Mal, dass sie krankheitsbedingt ausfällt.“
Mein Gott. Er tat es tatsächlich, und das, um Paris zu verteidigen.
Beinahe missmutig mahnte meine Mutter ihn noch, er solle aufpassen, dass dies nicht zur Gewohnheit werde, bevor das Thema für sie beendet war.
So ging es noch eine gefühlte Ewigkeit weiter, bis sie sich endlich verabschiedeten.
„Ich brauche einen Drink. Willst du auch was?“
Mein völlig entnervter Bruder fuhr sich durch die Haare.
„Ne danke.“
Ich beobachtete, wie er irgendetwas Undefinierbares in Schnapsglas schüttete, mit einem Zug trank und kurz das Gesicht verzog, bevor er sich in einen Sessel fallen ließ.
So unsortiert hatte ich ihn noch nie erlebt.
Nach dem heutigen Nachmittag brannte mir eine Frage auf der Zunge.
„Warum bist du damals ausgezogen?“
Song ist von Kelly Clarkson
http://www.youtube.com/watch?v=d9IBz_8U3YI
Er musterte mich eingehend.
„Wundert mich, dass du jetzt erst fragst.“
Ich zuckte mit den Schultern.
„War mir vorher irgendwie egal.“
Naja. Um ehrlich zu sein, war ich damals zu erleichtert gewesen, dass er auszog, um mir über das ‚Warum?’ Gedanken zu machen. Immerhin hatte es einen Snob weniger bedeutet, der mich rumkommandierte.
„Na schönen Dank auch!“
„Gibst du mir jetzt noch eine vernünftige Antwort?“ hackte ich nach.
„Ich war es leid, bei ihnen zu wohnen.“ Antwortete er mir schließlich schlicht.
„Bitte? Wieso bist du es Leid gewesen?“ Ich meine… „Du bist doch immer der Traumsohn gewesen.“
Bitter starrte er mich jetzt an.
„Ja, aber um dahin zu kommen, musste ich hart arbeiten. Du weißt doch, welche Forderungen sie an uns stellen.“
Ja das schon.
„Aber du hast dich doch nie gewehrt. Du warst der brave, wohlerzogene Sohn.“
„Nur weil ich mich so verhalten habe, heißt es doch nicht, dass ich das gerne gemacht habe.“
„Aber-“
„Aber wieso ich nie etwas gesagt habe?“ unterbrach er mich und ich nickte. „Weil ich nicht so bin wie du. Ich habe es vorgezogen mitzuspielen, warum auch nicht? Gutes Benehmen, gepflegtes Äußeres und hervorragende Leistungen sind doch keine Schande.“
„Und was ist mit Gefühlen? Liebe oder so? Hast du dich etwa je geliebt gefühlt von Mum und Dad!“
Das konnte er mir nicht erzählen.
„Nein, habe ich nicht.“ Wehmütig blickte er in sein leeres Glas. „Aber hat dein Protest, deine Rebellion dir Liebe eingebracht?“ fragte er mich sarkastisch.
Nein, das natürlich nicht, aber-
„Es hat dir nur geschadet, Adriana. Du darfst jetzt am eigenen Leib erfahren, wie fies Mum sein kann. Dein Widerstand hat also REIN GAR NICHTS gebracht.“ Schrie er mich nun fast an.
„Doch hat er!“ Da war ich mir ganz sicher.
„Ach, und was bitteschön?!“ spottete er.
„Er hat mir persönlich etwas gebracht. Ich habe mich wieder wie ein Individuum gefühlt, nicht mehr wie ihre Marionette. Ich habe endlich wieder Selbstrespekt gehabt.“
Nachdenklich sah er mich an.
„Das mag sein. Dann hast du so deinen Weg gewählt. Meiner war eben anders.“
„Du bist den Problemen aus dem Weg gegangen.“
„Du doch auch. Wenn ich mich richtig erinnere, warst du diejenige, die von zu Hause abgehauen ist!“
In gewisser Weise hatte er Recht.
„Ja, aber so habe ich wenigstens zum Ausdruck gebracht wie mich ihr Verhalten ankotzt.“
„Das schon. Aber ich persönlich bevorzuge halt eine diplomatische Lösung.“
„Diplomatisch…“
„Ich habe ihnen klargemacht, dass es gut wäre, wenn ich so früh wie möglich Verantwortung übernähme. Dass es meine Fähigkeiten, andere Personen zu leiten, stärken würde, wenn ich selbstständig leben würde.“
„Und weil du ja der Mustersohn warst, hat man es dir zugestanden.“
Er grinste „Genau. Sie haben mir das Vertrauen gegeben und ich habe es genutzt. So bin ich Mum und Dad auf eine ganz friedliche Art losgeworden. Indem ich gezeigt habe, dass ich reif genug bin, habe ich es geschafft, weitgehend unbehelligt von ihnen zu leben“
Zufrieden lehnte Ceddie sich in seinem Sessel zurück und entspannte sich das erste Mal, seit unsere Erzeuger gegangen waren.
Wenn ich so darüber nachdachte, war seine Methode gar nicht so übel. Bis auf eine Sache.
„Hast du nie mal so einen Drang verspürt gegen die Regeln zu handeln? Mum und Dad einfach mal deine Meinung an den Kopf zu werfen?“
„Einfach auszubrechen?“ führte er meine Aufzählung weiter und ich nickte heftig. Genau das.
„Nein.“
Was? Nach all dem, was er mir gerade erzählt hatte, hätte ich darauf schwören können. Wie konnte man denn nicht diesen Drang verspüren, einfach mal etwas gegen die Norm zu machen?
Für mich war er spätestens seit meinem 14. Lebensjahr unleugbar gewesen und schließlich so stark geworden, dass ich einfach etwas tun musste.
Anscheinend sah man mir mein Unverständnis an, denn Cedric rechtfertigte sich lächelnd.
„Da bist du einfach anders veranlagt als ich, Schwesterlein. Ob du es hören willst oder nicht, aber dahingehend bist du Mum sehr ähnlich.“
„WAS?!“
Ich war dieser schrecklichen Frau absolut nicht ähnlich!
Der Schuft vor mir wagte es dann auch noch, mich nach diesem ungeheuren Vergleich schadenfroh anzulächeln.
„Ihr könnt beide euren Mund nicht halten und offensiv. Dir fällt es schwer, dich anzupassen oder einfach mal etwas zu überhören. Passiert mir auch. Aber ich habe auch Dads ruhige Seite: ich muss nicht immer widersprechen und kann auch Dinge ertragen, die ich vielleicht nicht so gerne möchte.“
Na das hatte er ja heute Nachmittag bewiesen, aber trotzdem behagte es mir nicht, mit meiner Mutter verglichen zu werden.
„Ich habe mir eigentlich immer nur eine intakte Familie gewünscht.“ Seufzte Ceddie plötzlich traurig auf.
„Und vielleicht magst du es mir nicht glauben, aber ich bin froh, dass du jetzt bei mir wohnst.“
Oh, das waren ja ganz neue Töne. Bisher war ich eigentlich davon ausgegangen, dass meine Eltern mich mehr zu ihm abgeschoben hatten, damit er mich ‚zur Besinnung’ brachte.
„Aber du wolltest mich auf ein Internat schicken, wenn ich nicht gehorche.“
„Oh, das war eine völlig leere Drohung. Jetzt wo ich dich einmal hier habe, lass ich dich auch so schnell nicht mehr gehen.“
Dieser Idiot. Schauspieler par excellence.
Ich hatte ihm jedes Wort abgekauft!
Mit einem Blick auf die Uhr stellte ich fest, dass es schon fast sechs war.
„Ich geh’ Hausaufgaben machen.“
„Bis später, Schwesterchen.“
Gerade, als ich den Raum verlassen wollte, hörte ich noch ein leises „Danke, Adriana.“
Unwillkürlich stahl sich ein Lächeln auf mein Gesicht. Vielleicht war mein Bruder doch nicht so übel.
Auf dem Weg zu meinem Zimmer überlegte ich es mir noch mal anders. Meine Deutsch Hausaufgaben konnten auch noch ein bisschen warten.
Stattdessen machte ich mich auf zu Paris Reich.
Als ich die Tür öffnete, sah ich, dass sie auf dem Sofa saß und telefonierte.
„Oh sorry.“ Ich wollte gerade wieder hinausschlüpfen, als sie mir bedeutete, da zu bleiben.
„Ich muss jetzt aufhören.“
Sie machte eine Pause und schien ihrem Gesprächspartner zuzuhören.
„Ich freue mich auch.“ Verträumt lächelte sie. „Bis Sonntag.“
Sie legte auf und strahlte mich an.
„Ich habe ein Date.“
„Cool. Wer ist denn der Glückliche?“
„Anton.“
Fragen blickte ich sie an; der Name sagte mir nichts.
„Mein Typ aus dem Club. Er ist total nett. Wir haben seit Samstag noch ein paar Mal telefoniert.“
Na das waren doch mal gute Neuigkeiten.
„Wie ist er denn so?“
„Er wohnt in der Innenstadt und studiert noch. Jura und Französisch. Er möchte später mal Rechtsanwalt werden.“
„Wie alt ist er denn?“
„24. In einem Jahr ist er fertig. Ich mag seine Art total. Er ist süß und total bodenständig und vernünftig. Als du zum Beispiel verloren gegangen bist im Club und ich totale Panik geschoben habe, ist er ganz ruhig geblieben und hat die Initiative ergriffen.“
„Hört sich doch gut an.“
Ein bisschen langweilig vielleicht, aber wahrscheinlich war das der richtige Ausgleich zu ihr.
„Ja. Und er ist ein guter Küsser.“ Sie grinste mir verschwörerisch zu.
„Das ist natürlich auch wichtig.“
„Ich bin mal gespannt auf Sonntag. Er meinte, er würde mich überraschen. Aber jetzt erzähl! Wie war es mit deinen Eltern? Habe ehrlich gesagt gedacht, du kämst hier total niedergeschlagen rein.“
„Ich hasse sie! Wirklich! Vor allem meine Mutter. Sie konnte mal wieder kein gutes Haar an mir lassen.“
„Oh, das ist scheiße.“
„Ja, kann man wohl sagen. Es waren mal wieder zwei Stunden, in denen keine Gelegenheit ausgelassen wurde, auf mir – dem schwarzen Schaf der Familie – herumzuhacken.“
Betroffen schaute sie mich an.
„Was hat Master Cedric dazu gesagt?“
„Als sie da waren, hat er mitgemacht.“
Ich sah, wie sich ihr Gesicht wütend verzog und fügte schnell hinzu „Aber er meinte es nicht so.“
Verteidigte ich hier etwa gerade meinen Bruder?
„Wie kommst du zu der Annahme?“
„Wir hatte ein sehr interessantes Gespräch…Die Kurzfassung lautet: Er kann unsere Eltern eben so wenig ausstehen wie ich, geht aber anders damit um. Er bevorzugt eine ‚diplomatische’ Umgehung des Problems. Deshalb ist er auch ausgezogen.“
„Das ist eine Überraschung.“
Ja, in der Tat.
„Und er hat gesagt, er wäre froh, mich hier zu haben.“
Mir wurde ganz warm ums Herz. Ich war mir nicht sicher, ob Ceddie das so klar gewesen war, aber mit seinen Worten bereitete er mir eine wahnsinnige Freude. Immerhin hieß das, dass ich gewollt wurde. So ähnlich wie bei Jasper.
Paris lächelte mich an, bevor sie aufsprang und ganz aufgeregt vor mir hin und her lief.
„Was hältst du von einem Mädelsabend am Samstag?“
„Klingt gut, was sollen wir denn machen?“
„Hmm…Kino?“
„Ich glaube nicht, dass Ceddie uns so gerne alleine rauslassen würde.“
„Das ist ein Punkt, aber seit wann interessiert dich das?“
„Ähm…“ Gute Frage. „Ich glaube, seit er versucht, mir näher zu kommen.“
„Ok. Aber einem entspannten DVD-Abend steht nichts im Wege.“ Schlug sie weiter vor.
„Nein, das wäre super! Mal gucken, ob ich Ceddie dann ausquartieren kann.“
„Das wäre natürlich optimal. Lass uns eine Liste machen, was wir alles brauchen.“
40 Minuten später kaute Paris auf dem Ende ihres Kugelschreibers herum.
„Haben wir jetzt alles?“
„Ja, ich glaube schon.“
Nach langem Ringen hatten wir uns auf ‚Nur mit dir’, ‚Powder Girl’ und ‚Pretty Woman’ geeinigt, die wir in einem Filmmarathon durchgucken wollten. Dazu kamen noch jede Menge Knabberzeug, Getränke und zur Krönung des Abends noch ein Schokofondue.
„Oh man. Davon bekomme ich ja Hunger. Lass uns was Essen.“
Paris lief zur Tür.
„Du bist aber wieder fit.“
„Ja, meine Periode ist fast wieder vorbei und nach drei Tagen Betthüten brauche ich dringend wieder Bewegung und etwas zu tun.“
Darüber konnte ich nur den Kopf schütteln. Also ich könnte prima wochenlang nur im Bett liegen und lesen.
„Ok, was hältst du von Spaghetti mit Pesto?“
„Hört sich gut an.“
Eine halbe Stunde später deckte Paris gerade den kleinen Tisch in der Küche, ich das Nudelwasser abgoss, als die Tür plötzlich aufging.
„Hey, habt ihr noch etwas für mich übrig.“ Ceddie steckte seinen Kopf hinein.
„Sicher. Nimm dir einen Teller und setz dich. Essen kommt gleich.“
„Was gibt’s denn?“
„Nudeln mit Pesto.“
„Lecker.“
Mit Schwung stellte ich den Topf auf den Tisch und quetschte mich neben die verstummte Paris auf die kleine Eckbank.
„Guten Appetit.“ Wünschte ich noch, bevor erstmal gefräßige Stille eintrat.
Eine Weile später fiel mein Besteck mit einem lauten Klimpern auf den Teller.
„Das war lecker, aber jetzt bin ich pappsatt.“
Paris schaute leicht verschämt auf ihren ebenfalls leeren Teller.
„Kommt das jetzt verfressen rüber, wenn ich mir noch etwas nehme?“
„Ja“ erwiderte ich im gleichen Augenblick wie mein Bruder „Nein“ sagte.
Paris errötete und ich musste lachen. Sie sah sehr süß aus, wenn sie das tat.
„War nur ein Witz. Iss Kind, damit du was auf die Rippen bekommst.“
Zögernd nahm sie nach und ich wandte mich an Ceddie, der ebenfalls fertig war.
„Paris und ich wollten am Samstag einen Mädelsabend machen.“
„Das passt gut. Da kommen die Jungs rüber und wir machen es uns ebenfalls gemütlich.“
Ich runzelte die Stirn.
„Eigentlich wollte ich dich fragen, ob du am Samstag nicht verschwinden kannst.“
Er schüttelte bedauernd den Kopf.
„Nope. Sorry, Schwesterchen, aber das Haus ist doch groß genug.“
Da hatte er Recht.
„Paris dir wollte ich eh noch sagen, dass du ein paar Sachen besorgen müsstest.“
Mit vollem Mund nickte sie und Ceddie fuhr fort, diverse Dinge aufzuzählen.
Nach „[…] außerdem zwei Kästen Bier“ unterbrach ich ihn.
„Was hältst du davon, wenn du mitkommst?“
„Wieso?“ verdutzt sah er mich an.
Ich seufzte „Ceddie! Wie soll Paris das denn alles schleppen?“
Nachdenklich kaute er auf seiner Lippe.
„Darüber habe ich gar nicht nachgedacht. Wann wolltest du denn fahren?“
„Samstagnachmittag
Paris blickte starr auf ihren Teller und ich sah, wie nervös sie war.
„Hmm…das ist schlecht. Da kann ich nicht. Aber ich organisiere etwas und sag dir morgen bescheid.“
Na bitte. Mein Bruder schien so langsam mal wieder auf den Boden der Tatsachen zurückzukehren. Und wo er sich gerade so human benahm, fiel mir noch etwas anderes ein.
„Du hast doch gesagt, dass ich eine Freundin auf den Wochenendtrip mitnehmen kann…“
Paris unterbrach mich gähnend. „Ich geh schlafen. Stellt mir das Geschirr einfach auf die Anrichte, ich kümmer’ mich morgen drum.“
„Gute Nacht.“ Verabschiedeten wir uns, bevor mein Bruder seine Aufmerksamkeit mir zu wandte. „Ja, hast du wen gefunden?“
Ich nickte. Na dann wollte ich die Katze mal aus dem Sack lassen.
„Ich möchte, dass Paris mitkommt.“
Entgeistert blickte er mich an.
„Adriana-“
„Was hast du denn jetzt schon wieder?“
„Ich denke nicht, dass das so eine gute Idee ist.“
„Weil sie deine Angestellte ist?“
Er atmete tief durch und starrte auf seine Hände. Das war mir Antwort genug und ich merkte, wie die alte Wut auf meine versnobte Familie zurückkehrte. Das durfte doch wohl nicht wahr sein!
„Mein Gott, Cedric! Steig doch mal von deinem Hohen Ross runter! Eben hast du noch beteuert, dass du Mum und Dads Art ebenso so wenig magst wie ich und dann bist du haargenau so wie sie. Paris ist meine Freundin. Deshalb kommt sie mit!“
„Darum geht es gar nicht, Adriana!“
Der ernste Tonfall seiner Stimme ließ mich aufhorchen.
„Ah ja. Was ist es denn dann?“
„Paris ist hübsch. Sehr hübsch. Und die ist ein Dienstmädchen.“ Er starrte weiterhin verlegen auf seine Hände. „Und sie wäre mit einem Haufen Jungs da. Glaub mir, das würde nicht gut enden.“
Wie erstarrt saß ich auf meinem Stuhl.
„Was meinst du damit?“
„Ich meine, dass wir sie den Löwen zum Fraß vorwerfen würden.“
„Aber ich bin auch ein Mädchen und um mich machst du dir diese Sorgen ja anscheinen nicht.“
„Stimmt. Weil du meine Schwester bist, respektieren sie sich und werden dich nicht anrühren. Außerdem bist du nicht so ihr Typ.“
Autsch. Das tat weh.
Anscheinen merkte er das „So war das nicht gemeint. Aber Paris verkörpert einfach das naive Blondchen. Das ist das Problem.“
„Ihr werdet euch doch wohl benehmen können!“
Ich musste zugeben, dass ich etwas fassungslos war. Schließlich hatte ich es hier nicht mit einer Horde Primaten zu tun, die nur ihren Trieben folgten, sondern einem Haufen verwöhnter Snobs, die gutes Benehmen doch schon mit der Muttermilch eingetrichtert bekamen.
„Adriana.“ Flehend sah er mich nun doch an „Du verstehst das nicht. Sie werden Paris nur als Angestellte sehen, leichte Beute, und nicht verstehen, wieso sie die Gelegenheit nicht nutzen dürfen.“
„Das kann doch wohl nicht wahr sein!“
„Nunja. Als sie neu war, gab es schon mit Seth kleine Probleme.“ Druckste er herum.
„Ich weiß, sie hat es mir erzählt.“
„Dann weiß du auch, wie unschön das für sie war. Stell dir mal vor, was passiert, wenn fünf solcher Jungs um sie herum sind…“
„Dann müssen wir halt gut auf sie aufpassen!“ energisch blickte ich ihn an. „Und wenn einer seine Griffel nicht bei sich behalten oder seine Zunge zügeln kann, bekommt er es mit mir zu tun.“
Ein kleines Lächeln stahl sich auf Ceddies Züge, konnte aber seine Zweifel nicht gänzlich überdecken.
„Bitte Ceddie. Es würde mir viel bedeuten.“
Diese Worte brachen seinen Widerstand.
„Ok, aber du sprichst erst mit ihr darüber. Über alles, auch die Jungs.“
„Einverstanden. Dank!“
Für einen kurzen Augenblick sahen wir uns in die Augen und ich konnte seine Zuneigung darin erkennen.
Eine Erinnerung, die ich für später konservieren würde.
Song ist von Raid Said Fred
http://www.youtube.com/watch?v=H8Ilzns96H4
Der nächste Tag begann damit, dass ich meine Spanischarbeit mit einem feinsäuberlich geschriebenem ‚Ungenügend’ darunter wiederbekam.
Na so stellte man sich doch den perfekten Tagesanfang vor.
Ich seufzte und Caro beugte sich zu mir herüber.
„Ist doch nur eine Note.“
„Ich weiß.“ Ich zuckte nur mit den Schultern.
Sonderlich entsetzt war ich nicht; schließlich war meine Note ja keine Überraschung. Und trotzdem: Es schwarz auf weiß zu lesen war nicht so erbauend.
„Naja, ich habe jetzt Nachhilfe.“
„Bei einem süßen Spanier?“ sie wackelte mit den Augenbrauen.
„Jap.“
„Jetzt ECHT?!“ baff starrte sie mich an und auf mein Nicken hin seufzte sie verträumt auf.
„Hast du ein Glück! Ich will auch einen heißen Spanier.“
Wie lachten, nur um kurz darauf von Schreckschraube Palma ermahnt zu werden. Dumme Kuh!
Vor der Schule wartete Paris auf mich.
„Da bist du ja! Hast du Lust in der Stadt was essen zu gehen?“ begrüßte sie mich strahlend.
„Klar, was hältst du vom Chinesen?“
„Da bin ich dabei.“
Eine halbe Stunde später versuchte ich mühsam, meine Nudeln mit Stäbchen zu verzehren, während Paris schon längst zu Löffel und Gabel gegriffen hatte und mich spöttisch angrinste.
Schließlich reichte es mir und ich warf die Stäbchen gefrustet auf den Tisch, um mit normalem Besteck weiter zu essen.
„Ich fahre heute Nachmittag einkaufen. Mit Seth.“
Ich verschluckte mich an einer Nudel „Wieso das denn?!“
„Hat Master Cedric organisiert, weil er ja nicht tragen helfen kann. Und du kommst doch mit, oder?“
Auf ihren flehenden Blick hin, konnte ich gar nicht anders als zustimmen. Auf keinen Fall wollte ich sie mir diesem Perversling alleine lassen.
Aber wieso hatte Ceddie auch ausgerechnet Seth fragen müssen? Er hatte doch auch noch andere Freunde.
„Wann wollen wir denn los?“
„So gegen halb fünf.“
Ich blickte auf meine Handyuhr.
Bleiben noch gute zwei Stunden.
Hmm…wenn sie mich jetzt zu ihm brachte, hatte ich noch ungefähr eineinhalb Stunden.
Jasper würde mich bestimmt von Seth ablenken und außerdem hatte ich MEINEN FREUND schon seit drei Tagen nicht mehr gesehen.
„Paris. Kannst du mich zum Stadtpark fahren?“
„Wann soll ich denn dann abholen?“
„Am besten auf dem Weg zum Supermarkt. Dann bleibt mir viel Zeit.“
„Ähm, da hab ich aber dann Seth im Auto.“
Mist! Daran hatte ich gar nicht mehr gedacht.
„Dann sag ihm ich…äh…ich müsse Blätter für ein Kunstprojekt sammeln.“
„Blätter für ein Kunstprojekt sammeln…okeeeeey.“ Skeptisch blickte Paris mich an.
„Ist doch egal. Ich meine, woher soll er denn wissen, was wir gerade in Kunst machen.“
„Okay. Bis später und-“ sie sah mich bedeutungsvoll an „Viel Spaß.“
„Ähm…danke.“
Langsam schlenderte ich in Richtung Brücke. Die Sonne schien und der Himmel war strahlend blau. Allerdings war es nicht wirklich warm, denn ein kräftiger Wind wehte.
Fröstelnd zog ich meine Jacke enger um mich, was leider kaum etwas brachte, denn Dank meiner modifizierten Schuluniform war meine Kleidung mehr als durchlässig.
Trotzdem genoss ich es, einfach durch den Park zu wandern, dem Vogelzwitschern zu lauschen und die kleinen Häschen zu beobachten.
Auf einmal bot sich mir ein ganz besonders süßer Anblick:
Zwei Babyhäschen schnupperten an den unterschiedlichsten Blumen, während die Mutter – wie ich vermutete – sich neben ihnen in aller Seelenruhe putzte.
Ich blieb stehen und beobachtete die drei. Wie gern hätte ich früher auch mal so ausgelassen mit meinem Bruder gespielt. Wie gern wäre ich einmal so vertraut mit ihm gewesen wie diese Hasenfamilie.
Plötzlich schlangen sich zwei Arme um mich und zogen mich an eine warme Brust.
„Was-“, ich zuckte zusammen.
„A penny for your thoughts.“ flüsterte mir jemand ins Ohr.
“Jasper!”
“Hallo, meine Süße.”
Ich schmiegte mich an ihn und genoss die Körperwärme, die er mir bot.
So standen wir eine ganze Weile da. Schweigend.
Ich hatte meine Augen geschlossen und den Kopf nach hinten an seine Schulter gelehnt.
Jaspers Hände lagen auf meiner Hüfte und beschrieben dort kleine Kreise. Schließlich wanderten sie höher, unter den Saum meiner Bluse und verweilten dort auf meiner nackten Haut.
Zunächst verspannte ich mich etwas, aber dann spürte ich seinen warmen Atem an meinem Ohr und entspannte mich.
„Du fühlst dich so gut an.“
Seine Hände glitten höher bis zu meinem Bauchnabel und er fing an, mit meinem Piercing zu spielen.
Dass wir uns hier gerade in einem öffentlichen Park befanden störte mich herzlich wenig. Zudem schienen ohnehin wenige Leute unterwegs zu sein.
Ich presste mich weiter an ihn und genoss einfach die süße Empfindung der Zweisamkeit. Plötzlich spürte ich seine Lippen an meinem Ohr. Das intensive Gefühl ließ mich erbeben und ich merkte, wie er sich langsam in Richtung meines Halses tastete und immer mehr kleine Küsse auf meine Haut drückte. Dabei fühlte ich sein Piercing, das einen kühleren Kontrast zu seiner warmen Berührung bot und mich noch mehr erregte.
Inzwischen hatten seine Arme sich fest um mich geschlossen, was auch zwingend nötig war, denn meine Beine fühlten sich an wie Wackelpudding.
Sein Mund hinterließ eine feuchte Spur auf meiner Haut und mit ihr ein sanftes Prickeln. Ab und zu spürte ich seine Zunge oder auch ganz sanft seine Zähne. Das war mit Sicherheit der intensivste Moment meines Lebens.
Mir wurde warm. Meine Nerven warteten empfindlich auf jede Berührung von ihm und mein Verstand hatte größtenteils abgeschaltet.
Zumindest bis eine bekannte Stimme ertönte.
„Ihr seid ein ganz süßes Paar und ich will euch wirklich“, sie betonte dieses Wort extrem „nicht stören, aber ihr habt Zuschauer.“
Mit einem Schlag war die Magie des Augenblicks vorbei und die Schamesröte schoss mir ins Gesicht, als ich aufblickte und sowohl ein altes Ehepaar sah, dass uns halb entrüstet, halb belustigt musterte, als auch ein paar Jugendliche weiter entfernt.
Hoffentlich waren die weit genug weg gewesen, um die Show zu sehen.
Außerdem war da natürlich der Rotschopf der uns beide anstrahlte. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Jasper Lili mit seinen Blicken aufzuspießen schien, was diese allerdings nicht die Bohne interessierte.
„Kommt ihr zwei Turteltäubchen mit? Eddi wartet schon mit dem Essen.“
Als Antwort darauf knurrte Jas Magen und ich musste lachen.
„Los gehen wir, bevor du mir noch verhungerst.“
Auf einem kleinen Campingkocher hatte Eddi Nudeln zubereitet und eine Flache Ketchup stellte die Soße dar.
Während meine Freunde aßen, saß ich schweigend neben ihnen und beobachtete sie einfach, weil ich ja schon gegessen hatte. Schließlich blieb mein Blick auf Jasper hängen.
Seine kurzen, blonden Haare leuchteten im Sonnenlicht, genau so, wie sein Lippenpiercing.
Es untermalte noch einmal die schöne Form seines Mundes und ließ mich automatisch an seine Küsse denken. Verlegen blickte ich auf meine Hände hinunter, denn mein Kopf entwickelte ein Eigenleben und zeigte mir sehr eindeutige Bilder.
„Willst du auch etwas trinken?“ riss Jas mich aus meinen Gedanken.
„Hm?“ Ich sah hoch und mein Blick fiel auf die Flasche, die er mir entgegen streckte.
„Bier?!“
„Ja, schmeckt gut.“
Um das zu unterstützen nahm er einen kräftigen Schluck aus der Flasche, bevor er sie mir erneut reichte. Ich konnte es mir nicht verkneifen, angewidert das Gesicht zu verziehen.
„Ne danke!“
Jas schien das nicht im Geringsten zu stören, denn er trank munter weiter. Mir hingegen wurde ganz komisch. Ich wollte nicht, dass er trank. Erst recht nicht um diese Uhrzeit.
Aber was sollte ich da groß sagen?
Also seufzte ich nur und versuchte es zu ignorieren.
Lili warf mir einen mitfühlenden Blick zu und beugte sich herüber.
„Am besten lässt es sich aushalten, wenn man mittrinkt.“ Flüsterte sie mir ins Ohr.
Na super. Das wollte ich aber auf keinen Fall.
Plötzlich vibrierte mein Handy.
„Hallo?“
„Ada? Bist du fertig mit…Blätter sammeln?“
„Äh, ja klar. Hab aber keine…ähm…schönen gefunden.“ Antwortete ich hastig, was mir seltsame Blicke von den anderen einbrachte.
„Ich komme jetzt zum Ausgang.“
Damit legte ich auf und verabschiede mich von den Punks.
„Tut mir leid, aber ich muss schon wieder weg.“
„Schade, aber bis bald Kleines.“ Eddi lächelte mir zu, ebenso wie Lili, von der ich eine warmherzige Umarmung bekam.
Mein Freund war mit mir aufgestanden „Komm bald wieder, Süße.“ Er beugte sich zu mir, um mich zu küssen.
Sein Atem roch leicht nach Alkohol und ich zuckte automatisch zurück.
Reiß dich zusammen! Es gibt Schlimmeres! Ermahnte ich mich selbst. Immerhin hatte er nicht geraucht.
Trotzdem fiel der Kuss weniger eindringlich aus, als unsere Letzten.
Song kommt von Skillet
http://www.youtube.com/watch?v=Ouj-xHhqbVw
„Da bist du ja endlich.“ Begrüßte mich Paris.
„Ähm sorry. Hab mich wohl ein bisschen in der…Natur…verloren.“
Der Blick den ich daraufhin erhielt, ließ mich erröten.
Ich glitt auf die Rückbank des Autos, wo mich ein grinsender Seth empfing.
Warum zum Teufel saß er nicht vorne bei Paris?!
„Ah ja. Ich habe gehört du warst,“ er musterte mich eingehend „Blätter sammeln.“
„Ja genau. Für ein Kunstprojekt.“ Fügte ich schnell hinzu.
„Und wo sind deine Blätter?“
Ich starrte auf meine leeren Hände. Idiot!
„Im Wald an den Bäumen. Ich fand es zu schade sie abzureißen.“
„Na sicher.“ Spöttisch musterte er mich. „Wundert mich nicht, dass du eine von diesen ‚Tree Huggern’ bist.“
„Geht dich nichts an und jetzt sei still, Packesel!“
Überraschender Weise war er das dann auch tatsächlich, allerdings waren seine intensiven Blicke beinahe noch schlimmer.
Als wir endlich den Supermarkt erreichten, konnte ich gar nicht schnell genug aus dem Auto kommen.
„Ich geh schon mal einen Einkaufswagen holen. Wir treffen uns vor dem Eingang.“ Nutzte ich die Gelegenheit, um mich aus dem Staub zu machen.
Bevor ich zu ihnen zurückkehrte, atmete ich erst einmal tief durch und ordnete meine Gedanken. Es konnte doch echt nicht angehen, dass dieser Idiot mich so provozieren und aus dem Konzept bringen konnte. Und das auch noch eher mich Blicken, als mit Worten!
Als wir den riesigen Laden betraten, stockte mir für einen Moment der Atem.
Wie um Himmels Willen sollten wir denn hier die ganzen Sachen finden?
Regale – drei bis vier Meter hoch – säumten schier endlose Gänge und waren randvoll mit den verschiedensten Produkten.
„Ada? Alles ok?“
Ich zuckte zusammen, als mich jemand am Arm berührte und sah, dass es nur Paris war.
„Ähm…klar. Alles paletti.“
„Du siehst etwas schockiert aus.“
Das war nicht ganz das richtige Wort. Eher eingeschüchtert. Ich fühlte mich verloren und konnte mich nicht daran erinnern, jemals in so einem großen Supermarkt gewesen zu sein.
Nunja, ehrlich gesagt hatte ich noch nie in meinem Leben einkaufen gehen müssen; früher bei meinen Eltern hatten wir Angestellte dafür gehabt und bei meinen Freunden im Park war es irgendwie nie meine Aufgabe gewesen. Dort hatte ich eher gekocht, wenn man das Erwärmen von Instantnudelsuppe so nennen durfte.
„Na komm.“
„Ich geh das Bier besorgen.“ Grinste Seth uns an und verschwand in Richtung eines Regals mit Flaschen.
Kaum war er weg, beugte Paris sich zu mir herunter.
„Du solltest deine Haare über die Schulter nach vorne legen.“
Verwirrte starrte ich sie an. Was war los?
„Deine Haare! Moment, lass mich mal machen.“
Nachdem sie etwas an meinem Haar herumgezupft hatte, musterte sie mich zufrieden.
„So, fertig.“
„Ähm…was genau sollte das?“ fragte ich sie.
„Jetzt sieht man deinen Knutschfleck nicht mehr.“
„Meinen WAS?!“ schrie ich Paris an, woraufhin sie zurückzuckte.
„Pst, Ada! Schrei doch nicht gleich den ganzen Laden zusammen. Ich habe doch nur den prächtigen Knutschfleck versteckt, der deinen hübschen Hals ziert.“
„Aber woher hab ich bitte einen Knutschfleck?“
„Oh das müsstest du eigentlich besser wissen. Aber da du gerade eben deinen Freund besucht hast, würde ich darauf tippen, dass er etwas damit zu tun hat.“ Grinste mich das blonde Mädchen verschwörerisch an.
Jas…oh verdammt! Als er…als er mich dort geküsst hatte, musste er ihn mir verpasst haben. Und dann warnte mich der Schuft noch nicht einmal vor! Na der konnte was erleben!
Oh Gott! Ich war die ganze Zeit damit rum gelaufen und jeder hatte es sehen können.
Oh Gott, oh Gott, oh Gott war das peinlich.
„Jetzt komm mal wieder runter, Ada. Das ist doch was Schönes! Immerhin zeigt das, dass du zu jemandem gehörst.“
„Ja.“ Das schon. „Aber es ist trotzdem peinlich und wie soll ich das Ceddie erklären?“
„Was er nicht weiß, macht ihn nicht heiß. Zeig ihm den Fleck einfach nicht.“
Na super. Dann musste ich jetzt solange mit Schal rumlaufen?
Hoffentlich ging er schnell wieder weg.
„Komm jetzt, wir müssen noch einiges besorgen.“
Damit schien das Thema für Paris beendet zu sein. Schweigend folgte ich ihr.
Automatisch fuhr meine Hand immer wieder an meinen Hals. Natürlich fühlte ich nichts, aber trotzdem erschien es mir so, als würde die Haut bei jeder Berührung kribbeln. Unweigerlich erinnerte ich mich an seine warmen Lippen im Kontrast zu dem kalten Piercing an meinem Hals, das Vogelgezwitscher um uns herum und seine sanften Hände auf meiner Haut.
„Erde an Ada!“
Ich lief plötzlich gegen etwas und sah Paris, die stehengeblieben war und mich nun mit gerunzelter Stirn anblickte.
„Oh man Ada. Du bist aber heute völlig durch.“
„Ach quatsch. Ich hab nur über etwas nachgedacht.“
„Deinem seligen Blick nach zu urteilen hat dieses etwas wahrscheinlich kurze, weißblonde Haare, graue Augen und ein Lippenpiercing.“
„Vielleicht.“
„Also war’s gut heute Nachmittag?“
„Joah. Ziemlich. Er ist so süß.“
„Kaum bin ich mal fünf Minuten weg, redet ihr über mich.“ Ertönte da plötzlich Seths Stimme.
„Aber danke, so etwas hört man doch immer gerne.“ Er grinste und charmant an, woraufhin Paris nur die Augen rollte und den Einkaufswagen weiterschob. Ein bisschen beneidete ich sie um diese Gelassenheit, als ich die Röte in meine Wangen steigen fühlte.
„Das Kompliment kann ich übrigens nur zurückgeben. Du bist auch sehr süß.“ Flüsterte er mir noch ins Ohr, bevor er Paris folgte.
Idiot! Augenscheinlich machte es ihm Spaß mit mir zu spielen.
Allerdings hatte ich keine Ambitionen mich darauf einzulassen. Schließlich hatte ich einen tollen Freund!
‚Mit Alkoholproblem’ mischte sich da eine böse Stimme in meinem Hirn ein und ich schüttelte unwillig den Kopf, um sie loszuwerden.
Alkoholproblem konnte man das nicht nennen.
Immerhin hatte er nur eine Flasche Bier getrunken.
‚Um 16Uhr nachmittags’ diskutierte die Stimme weiter.
Was sollte ich dazu sagen?
Jeder hatte halt seine Laster. Solange Jas nicht betrunken war, sollte es mir egal sein.
Zumindest versuchte ich, mich so zu überzeugen.
„Erde an Ada. Weilst du noch unter uns?“
Paris wedelte mit einer Hand vor meinem Gesicht herum und sah mich besorgt an.
Da realisierte ich, dass ich mich keinen Zentimeter vom Fleck bewegt hatte. Ups.
„Sie hat wahrscheinlich von mir geträumt.“ Ertönte da wieder die nervigste und leider auch sexieste aller Stimmen.
„Ja genau. Und es war der fürchterlichste Albtraum, den ich je hatte.“ Fauchte ich ihn beinahe schon an. Er war das perfekte Opfer für meinen angestauten Frust und die Sorge um Jas.
„Touché, Mädel.“ Versuchte er mich nicht wirklich erfolgreich zu beruhigen.
„Halt die Klappe.“
Ich drängte mich an ihm vorbei, aber nicht, ohne ihn noch einmal kräftig mit der Schulter anzurempeln. Ich spürte seinen Blick auf meinem Rücken, aber er blieb still. Schade eigentlich. So ein lebendiges Ziel war wohl die beste Methode der Aggressionsbewältigung.
„Also was brauchen wir noch alles?“
Ich bemühte mich um einen freundlicheren Ton, als ich mich an Paris wandte.
Mit hochgezogenen Brauen musterte sie mich und ihr Blick sagte so viel wie ‚Wir reden noch’. Für den Augenblick gab sie sich aber damit zufrieden, mich zum Chipsregal zu schicken.
Als wir eine geschlagene Stunde später zu Hause ankamen, mussten wir den ganzen Kram noch auspacken.
Während Paris und ich uns den leichten Sachen widmeten, musste Seth die Bierkästen die Treppe zum Keller runterschleppen.
Dass sich dabei sein Bizeps ganz ansehnlich spannte, bemerkte ich mit widerwilliger Faszination.
„Bekomm ich hier auch noch etwas zu Essen?“ fragte Seth lässig an die Küchentür gelehnt.
Paris, die gerade Kohlrabi wusch, blickte hoch.
„Ich könnte Ihnen noch eine Suppe machen, wenn es Recht ist.“
“Ja klar. Keine Umstände. Aber ich habe dir schon tausendmal gesagt, dass du mich duzen sollst.“
Erstaunt blickte ich ihn an. Das klang ja beinahe freundlich.
„Ja, aber Master Cedric wünscht es nicht.“ Gab Paris kurzangebunden zurück.
Warum wunderte mich das jetzt nicht…
„Der alte Snob! Aber er ist ja im Moment nicht hier, also tu dir keinen Zwang an.“
Seth zwinkerte ihr zu und irgendwie hatte ich das Gefühl, im falschen Film zu sein.
Flirtete er etwa gerade mit ihr? Oder war er einfach nur nett?
Als ich auf Paris angespanntes Lächeln blickte, kam mir in den Sinn, dass es wohl eher ersteres war. Aber eigentlich hatte er doch seine Annäherungsversuche eingestellt, nachdem Ceddie ihn zur Seite genommen hat. Oder hatte ich da etwas falsch verstanden?
Wütend wandte ich mich an ihn.
„Wenn du hier schon etwas zu essen bekommst, kannst du dich auch direkt mal nützlich machen!“
Etwas schockiert sah er mich an.
„Los komm mit, wir gehen Kartoffeln schälen. Die brauchen wir für morgen.“
Ich schnappte mir einen großen Topf und ging in Richtung Keller.
In Der Tür blieb ich stehen, nur um feststellen zu müssen, dass er sich noch nicht bewegt hatte.
„Heute noch!“
Innerlich zuckte ich bei meinem Ton zusammen, aber ich gab mir Mühe, mir nichts anmerken zu lassen.
„Jawohl Frau Feldmarschall.“
Ich brachte ihn mit einem Blick zum Schweigen.
Wortlos begann ich unten, die Kartoffeln zu schälen und warf sie in den Topf. Nach meiner zweiten Knolle gestattete ich mir, Seth aus dem Augenwinkel heraus zu mustern.
Dieser musterte abwechselnd den Schäler und das braune Gemüse in seiner Hand. Schon doof, wenn man das nicht konnte.
„Wo genau liegt das Problem?“
„Ähm…also ich habe das noch nie gemacht.“
Natürlich nicht.
Leider konnte ich ihm das nicht vorwerfen. Immerhin hatte ich es auch erst bei meinen Punks gelernt.
„Es ist ganz einfach. Kartoffeln in die möglichst flache Hand legen und dann mit dem Sparschäler von dir weg darüberschneiden.“
Artig befolgte er meine Anweisungen und ein klitzekleines Stück Schale löste sich.
„Na bitte.“ Ich nickte ihm zu.
„Aber so dauert es ja Ewigkeiten.“ Maulte er „Was machst du anders?“
„Nichts. Der Rest ist Übungssache.“
Schweigend fuhren wir fort, Kartoffeln zu schälen. Immer wieder konnte ich seinen Blick auf mir spüren, zog es jedoch vor, ihn zu ignorieren.
„Meinst du nicht, dass das reicht?“ meldete sich Seth irgendwann zu Wort.
Mit einem Blick in den überquellenden Topf nickte ich und erhob mich von meinem kleinen Hocker.
„Dann komm. Du nimmst den Topf.“
„Findest du nicht, dass ich heute schon genügend Dinge für dich geschleppt habe?“
„Solange du noch widersprichst, nein. Und jetzt hör auf rumzuheulen und beeil sich!“
„Du bist heute ganz schön unausstehlich.“
„Und du bist jeden Tag ätzend. Beschwer ich mich deshalb die ganze Zeit?“
„Reg dich ab, Sexy.“
„Verdammt noch mal! Nenn mich nicht so!“
„Wieso denn nicht?“
„Weil du absolut kein Recht dazu hast.“
„Ach, hab ich nicht? Wo steht denn bitte geschrieben, dass man eine sexy Frau nicht als solche betiteln darf?“
Klugscheißer. „Lass es einfach.“
Als wir die Küche erreichten, seufzte ich erleichtert auf. Jetzt war ich ihn endlich los.
„Willst du auch noch etwas essen?“ fragte Paris mich und mein knurrender Magen war ihr Antwort genug.
„Rezept von meiner Oma. Bitteschön. Lasst es euch schmecken.“
„Willst du nichts essen?“
„Nein, ich hab keinen Hunger. Aber hau du ruhig ordentlich rein!“
„Besser nicht.“ Mischte Seth sich ein. „Sonst bekommst du noch ein paar Kilo mehr auf die Hüften.“
„Sollte dir das nicht egal sein?“
Mein Gott! Wegen Jungs wie ihm wurden Mädchen magersüchtig.
„Was? Ich mag halt schlanke Mädchen.“
„Das ist schön für dich, aber mich interessiert es nicht!“
Und außerdem war er es doch, der mich sexy nannte. Also konnten ihn Rundungen ja gar nicht so stören.
„Trotzdem solltest du auf deine Figur achten. Nicht, dass du fett wirst.“
Provokant musterte Seth meine Figur.
Was wollte er damit eigentlich erreichen?
Mich auf die Palme bringen? Na das war ihm bestens gelungen. Aber so einfach würde ich ihm nicht die Genugtuung geben, also versuchte ich, ruhig zu bleiben.
„Amüsiert ihr euch schön?“ erklag da eine Stimme von der Tür; Ceddie war nach Hause gekommen.
„Alles super, Alter. Allerdings sollte deine Schwester ein bisschen mehr auf ihre Figur achten, ich meine, die isst wie ein Mehldrescher.“
Jetzt reichte es aber endgültig.
„Was willst du eigentlich?! Lass mich zufrieden und versteh endlich, dass es mir egal ist, was du von meiner Figur denkst.“
Ich knallte mein Schälchen auf die Spüle und verließ den Raum.
Was interessierte es ihn, wie ich aussah? Er hat genug Spielzeug, was seinen Anforderungen entsprach, wenn ich mich da an Klappergestell Celine erinnerte.
Da musste ich doch nicht auch noch in seine Idealvorstellung passen.
Und das wollte ich auch gar nicht! Schließlich wog ich nicht zu viel, ich war gut so, oder?
So sehr ich mich auch über sein Verhalten aufregte, bekam ich die Zweifel nicht mehr aus dem Kopf.
Miene Grübelei endete schließlich damit, dass ich vor meinem Spiegel stand und meine Figur betrachtete.
Ich sah meine Kurven, die man vielleicht auch als überflüssige Pfunde bezeichnen konnte.
Ich sah, was meine Mutter früher immer als Problemzonen bemängelt hatte.
Und ich wurde unsicher.
Im Moment machte ich wirklich wenig Sport und aß gerne. Sah man mir das so an?
Vielleicht sollte ich mich ja doch mal zum Joggen aufraffen?
Aber ich hasste es einfach.
Ich könnte auch wieder mehr reiten. Immerhin hatte ich jetzt die Gelegenheit dazu…und ich müsste definitiv weniger essen.
„Adriana?“
Ich schreckte hoch und zog mein T-Shirt schnell herunter.
In der Tür stand mein Bruder und blickte mich mitfühlend an.
„Kann ich reinkommen?“
Eigentlich hatte ich wirklich keine Lust auf ihn, aber ihn jetzt abzuwimmeln wäre zu kompliziert. Vielleicht würde er ja schnell wieder gehen…
Diese Hoffnung wurde allerdings direkt begraben, als er es sich auf meiner Couch bequem machte.
„Das was Seth eben gesagt hat…“ betreten starrte er auf seine Hände „Äh…weißt du, er ist einfach ein Idiot.“
„Ich weiß.“
So ein Gespräch wollte man wirklich nicht mit seinem großen Bruder führen.
„Adriana, bitte. Nimm dir das nicht so zu Herzen. Er meinte es nicht so.“
„Ja ne ist klar. Ich bin mir ziemlich sicher, dass er es haargenau so meinte. Ich meine, guck dir diese Tussi an, mit der er immer rumhängt. Celine oder so. Die sieht aus wie ein Magermodel.“
„Bist du etwas eifersüchtig?“
„Nein!“
Ich fuhr zu ihm herum, nur um in sein skeptisches Gesicht zu blicken.
Eifersüchtig auf dieses furchtbare Mädchen? Bestimmt nicht!
Und es war mir auch egal, wie Seth mich sah. Schließlich hatte ich einen Freund und dem schien zu gefallen, was er sah.
„Adriana. Komm her und guck mich an.“ Als er meinen Gesichtsausdruck sah, fügte er hastig ein flehendes „Bitte.“ hinzu.
Peinlich berührt setzte ich mich neben ihn und blickte ihm in die Augen.
„Bitte Ceddie. Ich versichere dir, dass ich nichts mit Seth am Hut habe.“
Dabei war ich mir nicht so sicher, ob ich nur ihn, oder auch mich selber davon überzeugen wollte.
„Ok, aber hör mir trotzdem zu. Was er gesagt hat, war dumm! Du bist ein sehr hübsches Mädchen mit einem schönen Gesicht und einer tollen weiblichen Figur.“
Es war süß, dass er das sagte, aber auch unglaublich peinlich, weil er eben mein Bruder war.
„Ceddie…“
Er unterbrach mich „Wenn du nicht so einen ausgefallenen Style hättest, dann würdest du auf jeden Fall in mein Beuteschema passen.“ Beteuerte er.
Fassungslos starrte ich ihn an.
„Und wenn du nicht meine Schwester wärst natürlich!“
„Na das will ich doch hoffen!“
Sein entsetztes Gesicht entlockte mir ein Grinsen.
„Och du wisst, wie das gemeint war.“
„Sicher, Bruderherz. Sicher.“
„Mach dich einfach nicht verrückt deshalb, ok? Seth hat einen komischen Geschmack und du wirst den Richtigen schon noch finden.“
„Danke, Ceddie. Das werde ich.“ Oder hatte ich vielleicht schon, aber das musste ich ihm ja nicht auf die Nase binden.
„Ich habe dir doch gesagt, dass ich auf dich aufpasse.“ Er nahm mich in den Arm.
Ich glaube ich konnte mich immer besser damit abfinden, so einen großen Bruder zu haben.
Song ist von Bruno Mars :)
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Am nächsten Abend stand ich mit Paris in der Küche und erklärte ihr, wie man Kohlrabi-Kartoffel-Gratin machte.
„Essen wir mit den Jungs zusammen?“
„Nein, ich glaube, die sind noch außer Haus. Ich muss dann später noch mal kurz runter und ihnen etwas warm machen.“
„Na das sollte die auch gerade noch so alleine schaffen. Außerdem hast du in einer Minute offiziell Feierabend. Und jetzt lass uns essen, damit unser Mädelsabend anfangen kann.“
Gesagt, getan. 30 Minuten später waren wir auf dem Weg in mein Zimmer, nachdem ich Ceddie einen Zettel auf die Auflaufform mit den Resten gelegt hatte, der besagte ‚Du weißt hoffentlich, wie eine Mikrowelle funktioniert’.
Wir fingen unseren Filmmarathon mit „Powder Girl“ an und konnten irgendwann nicht mehr vor lachen.
„Oh man. Wie kann sie nur mit ihrem Chef schlafen?“ Paris blickte mich entsetzt an.
„Als ob du nicht auch mit ihm schlafen würdest!“ grinste ich sie an.
„Ada! Er würde sich nie dazu herablassen, es mit mir zu tun!“
Also so arrogant wirkte Ed Westwick gar nicht, auch wenn die Wahrscheinlichkeit, dass die beiden sich jemals über den Weg laufen würden verschwindend gering war.
„Aber wenn ihr euch beide irgendwann mal über den Weg läuft, sagt er bestimmt nicht nein zu dir.“
Verwirrt blickte sie mich an. „Ähm Ada, von wem redest du?“
„Na von dem ultraheißen Ed Westwick.“
Ich beobachtete, wie sie rot wurde.
„Ach so. Ne, ich glaube nicht, dass ich so einfach mit dem schlafen würde.“
„Aber gerade meintest du noch… Moment mal, von dem genau hast du denn geredet?“
„Ich ähm…“ sie blickte auf ihre perfekten Fingernägel „…dachte du redest von Master Cedric. Also meinem Chef.“
„Iiih nein! Er ist mein Bruder!“
Und Paris stand auf ihn. Naja, zumindest war er ‚ihr Typ’.
„Warte mal. Heißt das, du würdest mit ihm schlafen, wenn er es wollen würde?“
„Ich weiß es nicht. Immerhin ist er mein Chef. Das wäre kompliziert. Aber da er eh nie willig sein wird, muss ich mir da zum Glück keine Gedanken drüber machen.“
„Sag niemals nie. Vielleicht passiert es ja irgendwann.“
„Hoffentlich nicht.“ Sie seufzte „Ich will kein One-Night-Stand mehr sein. Und etwas anderes wäre ich für ihn nicht, das weißt du.“
Darauf konnte ich leider nichts sagen.
Sie hatte Recht. Dazu war Ceddie (noch) viel zu versnobt.
„Jetzt habe ich ja erstmal Anton. Ich bin so gespannt auf morgen.“ Paris wibbelte mit ihrem Bein.
„Nervös?“
„Ein bisschen. Ich hatte schon ewig kein Date mehr und generell mit einem so anständigen Mann noch nie. Was mache ich, wenn ich ihm nicht genüge?“
„Warum solltest du ihm denn nicht genügen?“
Ernst beobachtete ich, wie sie auf ihrer Oberlippe rumkaute.
„Na er studiert und ich habe gerade einmal einen Hauptschulabschluss.“
„Ja und? Du bist erwachsen und arbeitest sogar schon!“
„Ja, als Dienstmädchen. Er will Anwalt werden. Da liegen Welten zwischen.“
„Warum sollte er sich mit dir treffen wollen, wenn ihm das so viel ausmachen würde?“
„Vielleicht will er auch einfach nur das eine von mir.“
Langsam schien Paris in Panik zu geraten.
Was sollte ich denn jetzt tun?
Zwar kannte ich Anton nicht, aber nach allem, was ich bisher so von ihm gehört hatte, klang er nicht wie ein totales Arschloch.
„Paris.“ Ich packte sie an den Oberarmen „Jetzt hör mir mal zu. Du bist ein ganz tolles Mädchen. Du siehst traumhaft aus!“
Sie verzog das Gesicht und ich fuhr schnell fort.
„Aber du bist noch so viel mehr. Du hast einen tollen Charakter, bist pflichtbewusst, führsorglich und die beste Freundin, die man sich wünschen kann. Also hör auf, an dir zu zweifeln. Und wenn Anton wirklich nur auf Sex aus sein sollte – was ich bezweifle – dann kann er dich mal! Und das sagst du ihm dann genau so.“
Plötzlich fiel Paris mir um den Hals und fing an zu weinen.
„Oh, Ada.“
Dann war außer Paris leisem Schluchzen lange Zeit nichts mehr zu hören. Und während wir uns umklammerten, rannen schließlich auch mir die Tränen übers Gesicht. Ich war schon immer nah am Wasser gebaut und in dieser emotionsgeladenen Situation konnte ich einfach nicht anders.
Schließlich löste sich Paris von mir und sah mich mit einem kleinen Lächeln an.
Ihre Augen waren rotgeweint, aber aus ihnen strahlte eine Lebendigkeit, die ich vorher noch nie darin gesehen hatte.
„Wir sind solche Heulsusen! Ich glaube, wenn wir jetzt noch ‚Nur mit Dir’ gucken, löse ich mich in meinen Tränen auf.“
Da musste ich ihr zustimmen.
„Dann lass uns lieber noch ein bisschen quatschen, ich muss dich eh noch etwas Wichtiges fragen…“
Nachdem ich ihr den Vorschlag, mit ins Ferienhaus zu kommen, unterbreitet hatte, musste ich noch ihre Zweifel bezüglich der Jungs aus dem Weg räumen.
„Wir passen auf dich auf. Versprochen! Ich hab schon mit Ceddie geredet. Der pfeift sie zurück und ansonsten bekommen sie von mir einen drauf.“
„Ada, ich weiß nicht.“
„Sieh es doch als willkommenen Urlaub an.“
„Als ob ich da nicht arbeiten müsste…“
„Du kommst als meine Freundin mit, nicht als unser Dienstmädchen!“
Mir widerstrebte dieses Wort total.
Es war irgendwie erniedrigend, Paris so zu bezeichnen, auch wenn sie anscheinend keine Probleme damit hatte.
„Und außerdem musst du mir bei meinem Racheplan helfen!“
„Deinem Racheplan?“
„Jap. Für Seths dumme Kommentare gestern.“
„Ada! Was hast du vor?“
„Das erzähle ich dir, wenn du stillschweigen wahrst … und zustimmst, dass du mitkommst.“
Gespielt empört stemmte sie die Hände in die Seite.
„Das ist Erpressung, meine Liebe.“
Ein Grinsen schlich sich auf mein Gesicht.
Das hieß dann wohl, ja.
Am nächsten Morgen weckte mich ein Rascheln direkt neben mir. Als ich meine Augen aufschlug, sah ich, wie Paris ihre Beine aus dem Bett schwang und vorsichtig aufstand.
„Wo willst du hin?“
Sie zuckte zusammen und fuhr herum.
„Mein Gott, Ada! Erschreck mich doch nichts so! Wieso bist du schon wach?“
„Och, ich bin gerade erst wach geworden.“
Entschuldigend blickte sie mich an.
„Sorry, ich wollte dich nicht wecken.“
„Ach quatsch, hast du nicht. Also was machst du?“
„Ich muss das Frühstück vorbereiten.“
„In dem Outfit?“
Ich musterte ihr weißes Nachthemdchen.
„Denk dran, da unten sind drei triebgesteuerte Höhlenmenschen und mein Bruder.“
„Meine Hoffnung war, dass sie um die Uhrzeit noch nicht wach sind.“
Ein Blick auf den Wecker sagte mir, dass es gerade einmal 8:00 Uhr war.
„Da könntest du Recht haben…aber wenn du magst, kann ich dir auch etwas von mir leihen.“
„Das wäre super.“
Schnell ging ich zum Schrank und griff eine schwarze Röhrenjeans mit Löchern und Sicherheitsnadeln heraus und gab ihr dazu einen ebenfalls schwarzen Kapuzenpulli.
„Normalerweise nicht sein Style, aber ich wette, dir stehen die Teile besser als mir.“
Paris errötete leicht und schloss sich im Badezimmer ein.
Ich ließ mich auf mein Bett fallen und dachte ans kommende Wochenende.
Irgendwie freute ich mich darauf. Es war mal wieder etwas ganz anderes und sicherlich würde es nicht langweilig werden. Im Gegenteil: Den Jungs, allen voran Seth würden wir mal zeigen, was Frauenpower war!
„Na, was sagst du?“
Ich blickte auf und starrte Paris an.
„Verdammt. Du siehst gut darin aus. Als wärst du einem Katalog entsprungen.“
Ich seufzte. Ihr stand einfach alles. Selbst der düstere Look, der nur ein bisschen befremdlich an ihr aussah.
„Danke.“ Sie strahlte mich an. „So einen Pulli muss ich mir unbedingt auch zulegen. Saubequem das Ding.“
Ihre derbe Ausdrucksweise ließ mich grinsen. Freche Rockerbraut!
„Kannst du behalten, wenn du magst. Ich hab einen ganzen Stapel von denen.“
„Danke, Ada. Jetzt muss ich mich aber beeilen.“
„Ich komm auch gleich, dann können wir zusammen frühstücken.“
„Okay, bis dann.“
Langsam raffte ich mich auf und schlüpfte in eine übergroße Jogginghose und ein rotkariertes Top.
Ein kurzer Blick in den Spiegel sagte mir, dass meine Haare nach Vogelnest aussahen, aber ich war zu unmotiviert, um etwas daran zu ändern. Und außerdem stand ich auf den Wuschellook.
Barfuß schlenderte ich hinunter in die Küche.
„Riecht spitze.“ Der Duft von Omelett schlug mir entgegen.
„Die Herrschaften sind schon wach und äußerst anspruchsvoll. Zwei wollen Omelett, die anderen Pfannkuchen.“ Paris kam mir entgegen, zwei Teller auf ihren Händen balancierend.
„Ich kümmre mich um die Pfannkuchen. Willst du auch einen?“
„Ne danke, ich habe mir Omelett mit gemacht. Kommst du dann in den Speisesaal?“
Damit verschwand sie aus der Tür.
Pfeifend machte ich mich an die Arbeit und schlug ein Ei in die Pfanne. 15 Minuten später hatte ich drei goldbraune Pfannkuchen fertig. Perfekt.
Schnell schnappte ich mir Marmelade und machte mich auf den Weg ins Esszimmer.
Dort wurde ich von vier Jungs angegafft. Wo war Paris?
„Morgen. Wer wollte Pfannkuchen?“
Seth grinste mich an und ich pfefferte den Teller vor ihm auf den Tisch.
„Dankeschön, Adriana.“ Er zog meinen Namen ganz lang.
„Der andere ist dann wohl für mich.“ Meldete sich ein braunhaariger zu Wort.
Ich ließ mich auf einen freien Stuhl neben Ceddie fallen und schon den letzten Teller in seine Richtung.
„Danke. Hast du die gemacht?“
Ich nickte stumm und widmete mich hingebungsvoll meinem goldbraunen Meisterwerk. Ich liebte das Zeug einfach abgöttisch.
„Hast du etwas mit Paris neuem Styling zu tun, Schwesterlein?“
„Ja. Sieht gut aus, ne? Morgen färben wir ihre Haare schwarz.“
„WAS?!“
Ich war zu beschäftigt mit meinem Essen, um seinen Gesichtsausdruck zu sehen, aber seine Tonlage hörte sich schon mal lustig an.
„War ein Scherz. Und jetzt entschuldige mich, ich muss mein Essen genießen.“
In Rekordgeschwindigkeit hatte ich das Teil verschlungen. Jetzt war ich kommunikationenfähig.
„Scheint so, als hätte es dir geschmeckt.“
Ich blickte hoch und bemerkte vier Augenpaare auf mir. Hatten die mir etwa die ganze Zeit zugeguckt?
„Du sahst furchtbar süß dabei aus.“ Meldete sich wieder der braunhaarige Pfannkuchengenosse zu Wort. Ich wurde rot. Anscheinend hatten diese Ess-Fetischisten mich tatsächlich die ganze Zeit angestarrt.
„Ich bin übrigens Damien.“ Stellte er sich vor.
Oh, der Typ mit dem Ferienhaus, wenn ich mich nicht täuschte.
Das bewog mich dazu, ihm dann doch einmal einen zweiten Blick zu schenken.
Aber als ich ihm ins Gesicht sah, zuckte ich automatisch vor Schreck zurück.
„Mein Gott. Wie siehst du denn aus?“
Song von One Republik
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Entsetzt blickte ich den Jungen vor mir an.
„Adriana!“, mahnte mich mein Bruder wütend, aber ich nahm ihn kaum wahr und konnte nur weiter auf Damians, nun mir zugewandtes Gesicht starren
Er blicke mich ruhig an, sogar, als ich mich vorbeugte, um sie genauer zu betrachten.
Sie war eine lange, rötliche Narbe, die sich über seine rechte Gesichtshälfte zog. Von der Schläfe, durch die Augenbraue, ganz knapp an seinem Auge vorbei, über die Wange, bis sie unter seinem rechten Mundwinkel endete.
So etwas hatte ich noch nie gesehen. Als ich noch näher rückte, stellte ich gebannt fest, dass sich ein Netzt aus haarfeinen hellen Narben um die Rote zog.
„Es sieht schrecklich aus.“
Ich hörte ein abruptes Knarren und sah aus dem Augenwinkel, wie Ceddie aufsprang, rot im Gesicht.
„Adriana! Das reicht. Entschuldige dich sofort!“
Ein leises Lachen unterbrach ihn und ich wandte mich wieder dem entstellten Jungen vor mir zu.
„Lass sie, Cedric. Ihre Ehrlichkeit ist erfrischend. Ein Kontrast zu denen, die mir immer peinlich berührt versichern, es sähe nicht so schlimm aus und man würde es eigentlich gar nicht wahrnehmen“, er verdrehte die Augen, „Ich meine, denken die, ich wäre auch noch blind? Jedes Mal, wenn ich in den Spiegel schaue, sehe ich meine Narben!“
Was für ein beeindruckender Junge. Ob er wohl etwas dagegen hätte, wenn…
„Darf ich sie mal anfassen?“
Neben mir hörte ich Ceddie scharf die Luft einsaugen, aber ich zog es vor, ihn zu ignorieren.
Damian starrte mich mit hochgezogenen Augenbrauen an.
„Ausnahmsweise, aber denk dran, ich bin kein Streichelzootier!“
In diesem Moment war ich zu gebannt, um mich meines Verhaltens zu schämen. Ich weiß nicht, woran es lag, aber seine Narben fesselten mich total.
Vorsichtig streckte ich die Hand aus und fuhr mit einer Fingerspitze über das rote Gewebe.
Es fühlte sie unnormal glatt an, ebenso faszinierend, wie es aussah.
Ich ließ meine Finger weiter zu den weißen Narben gleiten.
„Woher hast du sie?“
„Von einem Autounfall vor zwei Jahren.“
Ich kaute auf meiner Unterlippe.
„Das tut mir leid, aber es macht dich einzigartig.“
Ich zog meine Hand zurück und lächelte ihn an.
„Das sag ich mir auch jeden Tag vor dem Spiegel“, er zwinkerte mir zu, „Ist deine Neugierde jetzt gestillt, Frau Professorin?“
„Erst einmal ja.“
Mein Bruder, der sich wohl langsam wieder beruhigt hatte, wandte sie an mich: „Dante kommt heute noch mal zum Lernen. Er wollte gegen 15 Uhr hier sein.“
Oh super, dann hatte ich etwas zu tun, wenn Paris weg war.
„Dante kommt hierher?“, überrascht starrte Seth meinen Bruder an.
Dieser nickte: „Ja, er gibt Adriana Nachhilfe in Spanisch.“
Bedeutungsvoll blickte Seth ihn an und auch die anderen Jungs musterten ihn neugierig.
„Und das macht er so ohne Weiteres? Ich hätte nicht gedacht, dass er dein Haus noch mal freiwillig betritt.“
Was sollte das denn heißen?
„Hab ich was verpasst?“
Seth setzte gerade zum Sprechen an, als Ceddie ihn unterbrach: „Nein, nichts Besonderes.“
Der Blick, den er dabei seinem besten Freund zuwarf, sprach jedoch Bände. Das war interessant. Vielleicht würde ich ja ein paar Antworten von Dante bekommen, aber fürs Erste ließ ich das Thema auf sich beruhen.
„Ich geh’ noch zu den Pferden. Bis später“
Mit einem Blick in die Runde verabschiedete ich mich und brachte meinen Teller in die Küche. Dort sah ich dann auch endlich Paris wieder, die gerade das Geschirr in die Spülmaschine räumte.
„Oh Ada. Du musst nachher unbedingt noch mal meine Klamottenwahl begutachten, ok?“
„Klar mach ich. Ich bin um 14 Uhr bei dir. Aber ganz ehrlich, du könntest im Kartoffelsack zu ihm gehen und sähst noch großartig aus“
„Also ein bisschen schicker wollte ich mich dann doch machen, auch wenn Anton meinte, ich solle mir was Bequemes anziehen“
„Wir finden schon etwas Passendes. Haben wir noch Äpfel da?“
„Ja, stehen im Keller neben den Kartoffeln.“
Schnell zog ich mir eine Jeans an – zwar nicht optimal zum Reiten, aber sie erfüllte ihren Zweck -, griff mir drei Äpfel und machte mich auf den Weg zur Weide.
Catch Me stand wie immer ganz hinten, hob aber den Kopf, als ich an Tor trat. Snowy kam direkt zu mir und forderte energisch seinen Apfel ein. Escuadero, der Fuchs meines Bruders, folgte und holte sich ebenfalls seine Leckerei ab.
Langsam machte ich mich auf den Weg zu Catch Me.
Sie beäugte mich zwar skeptisch, blieb aber ruhig stehen und ließ zu, dass ich sie berührte.
Ich begann am Hals und fuhr mit den Händen langsam einmal über ihren gesamten Körper. Diese Prozedur zog ich, seitdem ich mich bereiterklärt hatte, sie zu versorgen, fast jeden Abend durch.
Heute hatte ich mal wieder etwas mehr Zeit und so nahm ich sie am Halfter und führte sie ein bisschen über die Weide, damit sie sich an mich gewöhnte.
Mittlerweile ließ sie es ganz brav mit sich machen und zuckte nur noch zusammen, wenn ich eine unbedachte Bewegung machte.
Nachdem sie so brav mitgemacht hatte, beschloss ich, noch etwas Neues zu probieren.
Ich legte ihr beide Arme über den Rücken und lehnte mich darauf. Wie nicht anders zu erwarten, sprang sie erschrocken zur Seite.
Ein Seufzer entfuhr mir.
Bis ich sie reiten könnte, würde noch eine Menge Zeit vergehen.
Abschließend strich ich noch mal vorsichtig über ihren Rücken und belohnte sie mit dem Apfel, bevor ich mich Snowy zuwandte.
Dann musste der Racker eben herhalten.
Meinen Helm hatte ich schon vorher mitgebracht und mehr brauchte ich für den Kleinen nicht. Als ich ihn durch das Gatter geführt hatte, schwang ich mich vom Zaun aus auf seinen Rücken und dirigierte ihn mit Hilfe des Stricks in Richtung unseres Parks.
Ich liebte es einfach, dort ein wenig querfeldein zu reiten, auch wenn das meist ein paar Kratzer bedeutete.
Die nächsten zwei Stunden ließ ich mich also gemütlich durch das zum Glück nicht allzu dichte Unterholz tragen. Ich genoss den frischen Duft um mich herum, die Stille, die nur von gelegentlichem Vogelgezwitscher unterbrochen wurde und meine Zweisamkeit mit Snowy, der mit gespitzten Ohren vor sich hertrottete.
Es tat gut, endlich wieder das weiche Fell eines Pferdes zu spüren und den so typischen Stallgeruch einzuatmen. Dabei konnte ich wunderbar abschalten und all die neuen Gesichter, Impressionen und Gefühle der letzten Wochen aus meinem Kopf verbannen.
So war es auch schon kurz nach eins, als ich den Schimmel wieder auf die Weide stellte und mich duschen ging. Pünktlich um 14 Uhr stand ich dann vor Paris Zimmer und wurde bereits freudig erwartet.
„Komm rein, ich hab drei Outfits zur Auswahl.“
Nach und nach präsentierte sie mir ihre Klamotten und ich fühlte mich wie bei einer Modenschau.
„Woher hast du eigentlich das ganze Zeug?“, fragte ich schließlich halb fasziniert, halb verzweifelt.
„Ich hab meinen Lohn halt in mein Hobby investiert“, grinste sie, „Aber jetzt sag, was war dein Favorit?“
Hilflos zuckte ich mit den Schultern. Wie sollte ich mich denn da entscheiden? Sie hatte in allem gut ausgesehen!
Zwar entsprachen die Klamotten nicht so meinem Style, aber darum ging es ja nicht.
Als ich in Paris Gesicht blickte, wurde mir allerdings klar, dass sie ein Ich weiß es nicht auf keinen Fall akzeptieren würde. Also musterte ich noch mal die Sachen, die ringsherum verstreut waren und versuchte, mich zu entscheiden.
„Also äh… ich würde eine Jeans anziehen, am besten die Helle, die du als erstes anhattest“, Paris kramte eine ausgewaschene Röhrenjeans hervor und hielt sie vor sich, „Ja genau. Und dazu das rosa Top mit dem Flatterzeug dran.“
„Ey, das sind Fransen. Die sind in“, kommentierte Paris spitz, zog aber das besagte Top aus einem Kleiderhaufen, „Ich glaube, die Wahl gefällt mir.“
Zehn Minuten später hatten wir uns dann auf die beiden Teile in Kombination mit flachen Ballerinas und einer süßen Halskette geeinigt.
„…und ich soll wirklich keine Sonnenbrille anziehen?“, Paris stand aufgeregt vor dem Spiegel und machte sich selbst immer nervöser.
Ich seufzte: „Nein, definitiv nicht. Damit siehst du aus wie Puck, die Stubenfliege. Außerdem ist es viel schöner, wenn du ihm direkt in die Augen blicken kannst.“
Endlich gab sich das blonde Mädchen geschlagen und ich war wirklich froh, als draußen vor der Tür ein Hupen erklang und sie die Treppe runterstürzte, um endlich zu ihrem Date zu kommen.
„Wenn was schief geht, ruf mich an!“, rief ich ihr noch hinterher, bevor ich aus dem Fenster beobachtete, wie sie Anton mit einer Umarmung begrüßte und er ihr die Autotür aufhielt.
Als sie davonfuhren, legte sich eine Hand auf meine Schulter und ich zuckte zusammen.
„Sorry, Schwesterlein. War das gerade Paris, die da weggefahren ist?“
„Jap.“
„Und wer war das neben ihr?“, etwas in seiner Stimme ließ mich aufhorchen und ich drehte mich zu ihm um. Auf seinem Gesicht konnte ich jedoch nichts Interessantes lesen.
„Anton“, ich musterte ihn ganz genau, „ihr Date.“
Hätte ich ihn nicht so intensiv in Augenschein genommen, wäre mir das Flackern in seinen Augen entgangen, aber so konnte ich es für den Bruchteil einer Sekunde erkennen.
Interessant. Vielleicht konnte man das ja noch ein wenig ausreizen: „Sie hat ihn im Club kennen gelernt und er wollte sie unbedingt wieder sehen.“
Ceddies Kiefer verspannte sich kurz, bevor er mit den Schultern zuckte und – wie ich fand – betont lässig erwiderte: „Was sie in ihrer Freizeit macht, geht mich nichts an.“
Ehe ich noch weiter nachhaken konnte, klingelte es an der Tür.
„Das wird Dante sein. Bittest du ihn herein? Und biete ihm etwas zu Trinken an!“
„Ceddie, ich weiß durchaus, was Gastfreundschaft ist!“, ich drehte mich um und ging zur Tür. Idiot. Irgendwie kränkte es mich schon, dass er mir ein höfliches Benehmen anscheinend nicht zutraute.
„Hola, chica!“
„Hey Dante, komm rein. Möchtest du etwas trinken?“, fragte ich vorbildlich.
„Ja gerne. Ein Wasser, por favor.“
Ich holte eine neue Flasche und zwei Gläser aus der Küche und führte ihn dann auf mein Zimmer.
„Nett hast du es hier, chica. Da lässt sich doch gut lernen. Was macht ihr denn gerade in Spanisch?“
Ich musterte den braungebrannten Jungen vor mir, der mich strahlend anlächelte.
„Äh gute Frage. Irgendeine komische Zeit.“
„Geht das auch noch ein bisschen präziser?“
„Ich kann noch nicht mal im Präsens reden, also bin ich da erst Recht nicht hintergestiegen, aber wir haben ein Blatt bekommen“, ich kramte in meiner Schultasche, „Hier.“
Stirnrunzelnd nahm er ein ziemlich zerknautschtes Stück Papier entgegen und versuchte, es etwas zu glätten.
Nach einer gefühlten Ewigkeit lehnte Dante sich zurück.
„So, fin, chica. Vor deiner nächsten Klausur steht uns noch viel Arbeit bevor, aber für heute war’s das.“
Ich konnte einen erleichterten Seufzer nicht unterdrücken. Wie ich diese Sprache hasste!
Aber ich war so abgelenkt gewesen, dass ich gar nicht mehr an Ceddies Verhalten gedacht hatte.
„Sag mal Dante, wie lange kennst du meinen Bruder eigentlich schon?“
Der Spanier musterte mich eindringlich und zunächst dachte ich, er würde nicht antworten, aber dann: „Seit sieben Jahren, wieso?“
„Eben ist dein Name vor seinen Freunden gefallen und sie waren überrascht, dass du herkommst.“
Nun schien er in Gedanken versunken und reagierte gar nicht mehr. Sein Blick war starr aufs Fenster gerichtet und er war komplett abwesend. Was war hier nur los?
„Dante?“, fragte ich nach kurzer Zeit vorsichtig nach.
Er blickte auf und ich bemerkte, dass sein sorgloses Dauerlächeln verschwunden war und er die Hände zu Fäusten geballt hatte.
„Wir hatten in den letzten anderthalb Jahren keinen Kontakt mehr.“
Das wurde immer kurioser und ich konnte meine Neugierde nicht mehr zurückhalten.
„Warum nicht?“
„Das soll dein geschätzter Bruder dir erklären!“, Dante stand auf und wandte sich von mir ab.
Oh, oh. Da stimmte aber etwas gar nicht.
Aber so wollte ich Dante auch nicht gehen lassen. Er schien ziemlich aufgebracht und das war meine Schuld.
„Sorry, ich hätte nicht nachhaken sollen.“
Song von Diana Ross
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Dante atmete einmal tief durch, bevor sich endlich wieder das typische Grinsen auf seinem Gesicht ausbreitete.
„Schon gut, wahrscheinlich habe ich überreagiert. Was machst du nächste Woche so, chica?“
Um die restliche Spannung, die noch in der Luft lag, zu vertreiben, ging ich auf seinen Small Talk ein: „Nichts besonderes. Ein bisschen reiten, Freunde treffen und eventuell noch lernen.“
„Reiten sagst du? Dann musst du mal zu mir kommen, damit wir zusammen ausreiten können!“, erwartungsvoll blickte er mich an.
Etwas baff starrte ich zurück: „Du reitest?“
„Ja. Um genau zu sein, hat Cedric mich damals auf den Geschmack gebracht. Also hast du Lust?“
Nachdem wir uns auf Mittwoch geeinigt hatten und er mir seine Handynummer gegeben hatte, verabschiedete er sich.
In der Tür drehte sich Dante nochmals um: „Und Ada? Tu culo es fenomenal en esta pantalón“, und verschwand dann.
Wenn mich nicht alles täuschte, war das doch der Satz vom letzten Mal gewesen. Den hatte ich eigentlich noch nachgucken wollen. Egal, später.
Schnell kritzelte ich den Wortlaut auf einen Papierfetzen und blickte auf die Uhr: 17:43.
Wow, da war er ja tatsächlich lange hier gewesen, vielleicht war Paris ja schon wieder zurück.
Auf dem Weg zu ihrem Zimmer traf ich meinen Bruder in Begleitung Damians.
„Ist Paris wieder da?“, fragte ich ihn.
Ceddie schüttelte den Kopf.
„Schade. Was macht ihr jetzt?“
Ich erntete einen neugierigen Blick von meinem Bruder.
„Also eigentlich wollten wir zusammen lernen-“
„Aber jetzt versuche ich, ihn zu einer kleinen Spritztour zu überreden“, fiel ihm Damian ins Wort.
„Spritztour?“
Ich hielt meinen Bruder eigentlich für niemanden, der nur zum Vergnügen mit dem Auto durch die Gegend fuhr. Nunja, um genau zu sein glaubte ich nicht, dass er irgendetwas nur zum Vergnügen tat.
„Ja, ich habe ein Cabrio zum 18. bekommen und dachte mir, dass wir es mal gebührend einweihen!“
„Oh, alles Gute nachträglich. Kann ich mitkommen?“
Damian nickte begeistert und wandte sich triumphierend an meinen Bruder: „Jetzt komm schon, du Spaßbremse! Sonst vergnüge ich mich alleine mit deiner Schwester!“
Ceddie verdrehte die Augen und das interpretierte sein Freund anscheinend als Zeichen der Zustimmung.
„Super, kommt mir ihr zwei.“
„Hey, das war kein ja“, beschwerte sich mein Bruder, aber selbst ich hörte seine Begeisterung.
Damian packte uns beide am Handgelenk und zog uns hinter sich her wie zwei kleine Kinder.
Oh man. Jetzt trieb mich die Langeweile schon dazu, freiwillig etwas mit meinem Bruder und seinem Freund zu unternehmen, auch wenn der zugegebenermaßen ziemlich cool war.
Anscheinend waren die letzten Wochen auch an mir nicht so spurlos vorübergegangen.
Als wir eine Stunde später wieder das Haus betraten, gab es noch immer keine Spur von Paris. Ein ungutes Gefühl machte sich in mir breit und offenbar war ich da nicht die einzige: „Wo bleibt das Mädchen denn? Ich muss noch etwas mit ihr besprechen!“, wetterte mein Bruder, aber das nahm ich ihm nicht so ganz ab.
Seine ständigen Blicke auf die Uhr zeugten meiner Meinung nach eher davon, dass er sich ebenfalls Sorgen machte.
„Jetzt reg dich mal ab. Wahrscheinlich hat sie einfach nur viel Spaß und es wird eben ein bisschen später“, wies ich ihn zurecht, auch wenn meiner Stimme die Überzeugung fehlte.
In den nächsten zwei Stunden blickte ich abwechselnd auf meine Handyuhr und aus dem Fenster, aber kein Zeichen von Paris war zu sehen. Meine Unruhe veranlasste mich schließlich dazu, mein Zimmer zu verlassen und etwas durchs Haus zu wandern. Still sitzen schien mir im Moment unmöglich und so betrachtete ich alte Gemälde, die architektonischen Details und die teure, aber weitgehend schlichte Einrichtung des Gemäuers, bis ich mich vor einer dunklen Holztür wiederfand.
Wage erinnerte ich mich daran, dass Paris mir erzählt hatte, dass das Ceddies Bereich war.
Vielleicht konnte er mich ein wenig ablenken.
Tatsächlich schafften wir es dann, eine Weile Small Talk zu machen, bevor mir Paris wieder in den Sinn kam und meine Sorge erneut aufkeimte.
„Was meinst du, wo Paris bleibt?“, platzte es schließlich aus mir heraus und die Sinnlosigkeit dieser Frage unterstrich nur, wie aufgewühlt ich war.
Ceddie fuhr sich durch die Haare und schüttelte den Kopf: „Keine Ahnung, vielleicht ist es einfach so, wie du gesagt hast: sie haben Spaß und es dauert ’was länger“, wenn mich nicht alles täuschte, klang er etwas verbittert, „Sie ist alt genug, um auf sich selbst aufpassen zu können.“
Theoretisch ja – ich meine, sie war mit einem Jura Studenten ausgegangen, da konnte doch gar nichts passiert sein…
Als ich weitere zwanzig Minuten später vor der Eingangtür auf und ab tigerte, kurz davor, die Polizei anzurufen, zuckte ich zusammen, als sich plötzlich ein Schlüssel ins Schloss schob.
Ungeduldig riss ich die Tür auf und stand vor einer ziemlich strubbeligen Paris, die mich erschrocken anstarrte.
„Da bist du ja endlich. Wir haben uns solche Sorgen gemacht!“
Ich fiel ihr um den Hals.
„Ihr habt euch Sorgen gemacht?“, fragte Paris skeptisch nach.
„Ja, wir haben uns Gedanken um dich gemacht. Glaubst du etwa, ich wäre aus Stein?“, ertönte es da ärgerlich hinter mir.
Als ich mich umdrehte, sah ich, wie Ceddie das arme Mädchen vor mir mit Blicken praktisch aufspießte, so dass sie nur ein leises: „Nein, natürlich nicht, Master Cedric“, hervorbrachte.
Der schnaubte jedoch nur und verschwand sonst wohin.
Verrückter Tag heute!
„Also erzähl!“
Als ich schließlich im Bett lag, konnte ich meine weitschweifenden Gedanken kaum beruhigen.
Paris hatte mir eine gefühlte Ewigkeit von dem romantischen Picknick am See vor geschwärmt, mit dem Anton sie überrascht hatte. Sie hatten sich bei Erdbeeren und Sekt den Sonnenuntergang angeschaut und ein bisschen rumgeknutscht. Kurz um: es war ein Traumdate gewesen, das Paris auf Wolke Sieben schweben und mich ein kleines bisschen eifersüchtig werden ließ.
Wurde Zeit, dass ich Jas noch mal sah.
Das war dann auch schon Dienstag der Fall, denn Paris setzte mich vorm Einkaufen wieder im Park ab. Ich konnte jedoch keinen meiner Freunde erblicken, als ich an ihrem Stammplatz unter der Brücke ankam. Zwar saßen hier und da ein paar bekannte Gesichter, aber niemand, mit dem ich etwas zu tun gehabt hatte.
Plötzlich kam ein bulliger Typ mit orangem Iro und Zigarette im Mund auf mich zu. Weniger sein Aussehen als eher sein intensiver Schweißgeruch hätte mich beinahe dazu getrieben, ein paar Schritte zurückzuweichen, doch seine Worte hielten mich davon ab.
„Du bist die Kleine von Jasper, oder?“, er grinste mich an und spuckte neben sich auf den Boden. Nun musste ich wirklich an mir halten, nicht zurück zu weichen.
„Weißt du, wo er ist?“, fragte ich vorsichtig.
„Ja“, er bedeutete mir, sich ihm anzuschließen und zögerlich leistete ich ihm Folge, „er lag uns schon in den Ohren damit, dass er Sehnsucht nach dir hat:“
Obwohl der Spott klar aus seiner Stimme klang, bereitete sich bei seinen Worten Wärme in mir aus. Jasper vermisste mich!
Automatisch beschleunigte ich meine Schritte, auch wenn ich so den strengen Geruch stärker ertragen musste.
Nachdem er mich in den kleinen Wald geführt hatte, kamen wir zu einem Lager aus kreisförmig angeordneten, umgestürzten Baumstämmen.
Ich kannte den Ort nur vom Hören, denn bisher hatte Lili mich immer abgehalten, her zu kommen: Hier saßen nur die unangenehmen Zeitgenossen.
Das war mir allerdings herzlich egal, als ich die kurzen blonden Haare meines Freundes erblickte, der mit dem Rücken zu mir saß und anscheinend noch nicht mitbekommen hatte, dass wir da waren.
„Jasper, guck mal: Ich hab’ dir dein Prinzesschen gebracht!“, grölte der eklige Typ vor mir und plötzlich wurde mir die ungeteilte Aufmerksamkeit der restlichen Leute im Kreise zu Teil, die meine Anwesenheit mit anzüglichen Pfiffen würdigten.
Ich war froh, als Jas aufsprang und sich zu mir umdrehte.
Er strahlte mich an, warf die Zigarette auf den Boden und kam zu mir. Als er mich in seine Arme schloss und seine Lippen auf meine legte, konnte ich noch den Rauch riechen und verzog kurz den Mund.
Daraufhin löste er sich von mir und ich spürte seine Lippen an meinem Ohr, was mir prompt eine Gänsehaut einbrachte.
„Tut mir Leid. Hätte ich gewusst, dass du kommst, hätte ich nicht geraucht.
Er klang so reuig, dass ich die Hände an seinen Nacken legte und seinen Kopf wieder zu mir herumdrehte, damit ich ihn noch einmal richtig küssen konnte.
Zufrieden schloss er erneut seine Arme um mich und ich spürte, wie seine Hände immer tiefer glitten, bis sie schließlich an meinem Po lagen.
„Nicht“, flüsterte ich an seinen Lippen, doch er ignorierte es und küsste mich einfach weiter. An der Position seiner Hände änderte sich nichts, also zog ich seinen Kopf ein kleines Stück zurück und wiederholte meine Worte.
„Wieso?“, kam es leise zurück; die Enttäuschung klar aus seiner Stimme hörbar.
„Nicht vor den Anderen:“
Mit einem Mal ließ Jas ganz von mir ab und ich dachte zunächst, er wäre böse, aber dann sah ich das fette Grinsen auf seinem Gesicht.
„Jungs, bis später. Ich verbringe jetzt ein bisschen Zeit mit meiner Freundin.“
Unter ziemlich lautem Gegröle und einigen nicht jugendfreien Kommentaren verließen wir den testosteronüberladenen Kreis und ich ließ mich von Jas weiter in den Wald führen.
„Nette Freunde hast du da.“
Er grinste mich an und ich hätte ihn am liebsten wieder geküsst. Im Laufen gestaltete sich dies jedoch schwierig, weshalb ich es auf später verschob.
„Och, die sind ganz ok. Aber sie sehen halt nicht oft ein so schönes Mädchen.“
Liebevoll sah er mich an und nun verstand ich, was gemeint war, wenn es in Kitschromanen hieß ihr Herz setzte einen Schlag aus.
Ich schmiegte mich an ihn und war heilfroh, als wie endlich stehen blieben. Wir befanden uns an einer kleinen Sandstelle am Ufer des Sees, weit weg von den großen Liegewiesen, die die anderen Besucher des Parks zum Sonnen nutzten.
Ich blickte in Jas Augen, die mich erwartungsvoll anstarrten. Die Sonne brachte seine wundervollen, blonden Haare zum Leuchten und die Piercings blitzten im Licht immer wieder auf.
„Mein rechter, rechter Platz ist frei, ich wünsche mir das tollste Mädchen der Welt herbei“, er klopfte mit der Hand neben sich auf den Boden und ich ließ mich in den Sand sinken. Sofort zog er mich auf seinen Schoß und blickte mir tief in die Augen.
„Ich liebe dich.“
Sprachlos schlang ich ihm die Arme um den Hals und küsste ihn.
Der Kuss war intensiver als alle anderen, die wir zuvor geteilt hatten.
Seine Zunge erkundete leidenschaftlich meinen Mund und seine Hände machten dort weiter, wo sie zuvor aufgehört hatten.
Zunächst war ich noch etwas unsicher, aber dann ließ ich zu, dass die Flut der Gefühle mich mitriss und ich fuhr mit den Händen über sein kurzes Haar, versuchte, ihn noch näher zu ziehen. Nach einigen Minuten – oder waren es nur Sekunden? Ich wusste es nicht – schob er mein T-Shirt hoch und löste sich von meinen Lippen. Fragend blickte er mich an: „Darf ich?“
Ich schlucke und hob die Hände über meinen Kopf. Jas Augen funkelten erwartungsvoll und richteten sich auf meinen Oberkörper, den er gerade vom Oberteil befreite. Achtlos warf er das Teil neben uns auf den Boden und starrte auf meine Brüste. Typisch Junge!
Dann grinste er plötzlich: „Sexy Unterwäsche.“
Was? Ich blickte an mir herunter und stöhnte innerlich auf. Na super!
Warum hatte ich ausgerechnet heute meinen mit Abstand langweiligsten BH an? Weil er bequem war… nur leider machte ein hautfarbener BH ohne Spitze oder sonstige Extras rein gar nichts her. Verdammt! Ich würde das Teil wegschmeißen, wenn ich heute nach Hause kam.
Betreten blickte ich Jas an, der mich jedoch nur liebevoll anlächelte: „Mein kleines, unschuldiges Lämmchen“, seine Stimme war sanft wie nie zuvor, „Mir ist doch total egal, was du an hast.“ Dann fügte er mit einem Zwinkern hinzu: „Auch wenn ich wirklich hoffe, dass du noch andere Teile im Schrank hast.“
Dann streifte er sich selbst sein T-Shirt über den Kopf und zog mich an sich, bevor ich Gelegenheit hatte, ihn zu mustern. Leider.
Aber das Gefühl seiner warmen Haut auf meiner machte das eindeutig wieder wett. Als ich über seinen Rücken strich, konnte ich nicht genug bekommen von der glatten Oberfläche unter meinen Fingerspitzen.
Während er mit den Lippen über meinen Nacken fuhr, ertastete ich dort die Konturen von Muskeln und Knochen unter der weichen Haut und schloss die Augen, um die Empfindungen zu intensivieren.
„Hm“, mir entfuhr ein leiser Seufzer, als ich seinen warmen Atem an meinem Ohr fühlte. Kurz darauf zuckte ich zusammen und drückte mich gegen seine Brust. Ich fühlte seine Zähne an meinem Ohrläppchen. Er knabberte an der empfindlichen Stelle und ich wurde fast verrückt.
Kurz bevor ich endgültig durchdrehte schubste ich ihn zurück, so dass er flach unter mir lag und ich ihn ungestört betrachten konnte. Endlich.
Als Jas meinen Blick auf seinem nackten Oberkörper fühlte, faltete er die Hände unterm Kopf und sah mich herausfordernd an.
Natürlich hatte ich schon Jungs oben ohne gesehen. Aber nicht meinen Freund. Nicht Jas. Nicht so nah.
Ich befeuchtete meine Lippen und legte zaghaft die Hände auf seine Brust. Unter meiner rechten Handfläche konnte ich seinen Herzschlag spüren und wenn mich nicht alles täuschte, pochte er ziemlich schnell.
Das war Ermutigung genug, ihn weiter zu erforschen und so folgten meine Hände dem Pfad meiner Augen.
Er war ziemlich schlank – gut, von dem was man hier zu Essen bekam konnte man gar nicht zunehmen -, aber hier und da zeichneten sich ein paar Muskeln ab.
Am spannendsten fand ich jedoch den kleinen Ring in seiner rechten Brustwarze. Ich liebte seine Piercings einfach und konnte nicht anders, als vorsichtig mit den Fingerspitzen darüber zu fahren.
„Trau dich, du tust mir nicht weh“, murmelte mir Jas zu und beobachtete jede meiner Bewegungen neugierig.
Ich wurde mutiger und rieb die kleine Perle zwischen meinen Fingern. Ein leises Keuchen entfuhr meinem Freund und motivierte mich, es ihm noch einmal zu entlocken.
Ich weiß nicht genau, wie lange wir noch am Ufer lagen und uns berührten. Ich kann auch nicht mehr genau sagen, wann ich was fühlte, denn alles in allem war es unbeschreiblich.
So intimen Kontakt hatte ich zuvor noch mit niemandem gehabt und diese neue Erfahrung war etwas ganz besonderes.
Jas gab mir das Gefühl, begehrenswert, perfekt und – am wichtigsten – geliebt zu sein.
Als Paris mich schließlich irgendwann wieder einsammelte schwebte ich auf Wolke Sieben und sie musterte mich kritisch.
„Ada, habt ihr…? Oh mein Gott, du hast doch an Verhütung gedacht, oder?“
Grinsend starrte ich sie an: „Keine Sorge. Wir haben’s nicht bis zum Ende durchgezogen.“
Sie seufzte erleichtert auf, fuhr dann aber entschlossen fort: „Gleich morgen gehen wir Kondome kaufen!“
Musik von Korn
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Als wir abends in der Küche saßen und aßen, öffnete sich plötzlich die Tür und mein Bruder steckte den Kopf hinein: „Habt ihr noch was für uns übrig?“
Uns?
Sehr zu meinem Verdruss schob sich hinter ihm noch Seth mit in den Raum. Hatte der Junge kein eigenes Zuhause? Man konnte ja fast meinen, er wohnte mit hier!
Paris sprang auf, deckte eilig noch zwei weitere Gedecke und kurz darauf hockten wir in angespannter Stille um den kleinen Tisch herum und löffelten unsere Suppe.
Ich rutschte unruhig auf dem Stuhl hin und her und suchte fast verzweifelt nach einem Gesprächsthema…
„Kann mich morgen jemand zu Dante bringen?“, wandte ich mich schließlich an niemand bestimmtes.
Aus dem Augenwinkel sah ich, wie sich Ceddies Faust ballte.
„Wieso das denn?“, fragte er beinahe ruppig. Vielleicht war das das falsche Thema gewesen… Die Stimmung wechselte von ungemütlich zu aggressiv und am meisten störte mich, dass ich nicht die geringste Ahnung hatte, warum.
„Wir wollten uns einfach nur so treffen. Ich meine ohne Nachhilfe.“
„Einfach nur so“, hörte ich ihn murmeln, „Warum?“
Etwas genervt verdrehte ich die Augen. Ließ er jetzt etwa den großen Bruder raushängen?
„Weil ich ihn mag und er mich und man das nun mal so unter Freunden macht!“
Mein bestimmter Tonfall schien langsam zu ihm durchzudringen und ich beobachtete gespannt, wie er durchatmete und nickte: „Ok, ich fahre dich morgen hin und hole dich auch wieder ab.“
Innerlich entspannte ich mich etwas; schien so, als wäre die kritische Lage vorbei.
Als ich meine Augen endlich wieder von meinem Bruder löste, blickte ich geradewegs in ein paar grüne Irden, die mich intensiv musterten. Skepsis aber auch Neugierde lag in seinem Blick und schnell wandte ich mich ab und widmete meine Aufmerksamkeit Paris, die betreten auf ihre Suppe starrte.
Ich konnte es ihr nicht verdenken, mein Versuch des Small Talks war wohl gründlich in die Hose gegangen. Umso erleichterter war ich, als endlich alle fertig waren und die Jungs wieder verschwanden.
Um Punkt drei am nächsten Tag stand ich in Reitklamotten an der Tür und wartete auf meinen Bruder, mit dem ich seit gestern Abend kein Wort mehr gewechselt hatte. Weiterhin schweigend stiegen wir ins Auto, wo ich dann die Stille brach: „Sag mal, was hast du eigentlich für ein Problem mit Dante?“
„Ich habe kein Problem mit ihm“, kam es zu schnell zurück, um glaubhaft zu klingen und auch seine Hände, die das Lenkrad umkrampften und sein Blick, welcher die Straße vor sich aufzuspießen schien, sagten ebenfalls etwas anderes.
Allerdings bezweifelte ich, dass ich irgendetwas aus ihm herausbekommen würde.
Ich seufzte und beschloss, seine Laune zu ignorieren, denn meinen Tag mit Dante wollte ich mir nicht versauen lassen.
Wir fuhren auf die Auffahrt eines großen, aber ziemlich schlichten Hauses, wo Dante uns – oder eher mich – schon mit einem strahlenden Lächeln empfing.
Schnell rief ich meinem Bruder ein „Ciao“ und „Danke“ zu und sprang aus dem Auto.
„Hola, chica. Wie geht’s dir?“
„Noch besser, wenn ich dich sehe“, ich zwinkerte ihm zu.
Hinter uns räusperte sich jemand und ich blickte mich um. Dort stand mein Bruder neben dem Auto – komisch, ich war davon ausgegangen, dass er direkt wieder fuhr.
„Kann ich kurz mit dir reden?“, wandte er sich an den Spanier, dessen Lächeln kurz flackerte.
„Ja sicher. Geh doch schon mal hinters Haus, chica, dann siehst du direkt die Pferde.“
Das hieß dann wohl, dass die Jungs einen Moment für sich brauchten.
Ich schlenderte in den Garten, nur um feststellen zu müssen, dass dort anstelle von Blumenbeeten oder ähnlichem direkt die Weide begann.
Wie cool war das denn, wenn man von der Terrasse aus direkt zu den Pferden kam!
Apropos Pferde, wo waren sie denn?
Weit und breit konnte ich nichts erkennen und das einzige Indiz dafür, dass die Vierbeiner auf der Weide lebten, waren die signifikanten Äppelhaufen hier und dort auf dem Gras.
Da ich nicht wusste, was ich sonst machen sollte, setzte ich mich auf den Holzzaun und wartete. Dabei drifteten meine Gedanken automatisch zu Ceddie und seiner Ablehnung Dante gegenüber. Was hatte er gegen meinen Nachhilfelehrer? Und warum redete niemand mit mir?
Vielleicht würde es sich lohnen, Seth einmal zu fragen… er schien mir noch der redseligste von ihnen zu sein. Doch beim Gedanken an sein spöttisches Lächeln und den abfälligen Tonfall seiner Stimme verwarf ich dieses Hirngespinst schnell wieder.
„Chica, da bin ich wieder.“
Vor Schreck wäre ich fast vom Zaun gefallen, doch eine Hand an meiner Hüfte half mir, das Gleichgewicht zu bewahren.
„Was wollte mein Bruder von dir?“
„Och, nur den Beschützer raushängen lassen“, er grinste, doch ich bemerkte, dass seine Augen ärgerlich funkelten, „Ceddie wollte nur klarstellen, dass ich dich heil wieder zurückbringe.“
Na wenn das mal alles war… ich hatte da meine Zweifel, aber mein Bruder war für heute tabu!
„Wo sind denn jetzt die Pferde?“
Dante blickte an mir vorbei auf die leere Weide und grinste: „Da haben sich die kleinen Racker aber gut versteckt. Pass mal auf!“, er steckte zwei Finger in den Mund und pfiff ohrenbetäubend laut.
Zunächst passierte gar nichts, aber dann vernahm ich plötzlich Hufgetrappel. Sehr schnelles Hufgetrappel. Sekunden später erschienen vier, nein fünf, kleine Ponies, die wild auf uns zu stürmten. Die dicken Mähnen wehten im Wind und es ergab sich eine Szene wie im Film.
Ich blickte auf die schnell taktenden Beine.
„Isländer?“
„Ja, meine große Leidenschaft. Guck mal, dieses Jahr haben wir das erste Fohlen. Skörni.“
Als die Truppe vor uns bremste, konnte ich tatsächlich einen kleinen Kopf unter dem Bauch einer Fuchsstute hervorspähen sehen. Schwarze Knopfaugen blickten mich an und ich wäre am liebsten direkt zu ihm geeilt, um ihn zu knuddeln.
„Welchen Zwerg möchtest du denn gerne reiten?“
„Ich kenne sie ja nicht, aber Hauptsache lieb. Wen würdest du mir empfehlen?“
„Och die sind alle ganz brav“, er musterte die Isis vor uns, „Dann nimm Glofaxi“, er deutete auf einen Rappen, „Sein Fell passt am besten zu deinem Haar.“
Nun, das war natürlich wichtig.
Nachdem er mir den Strick in die Hand gedrückt hatte, folgte er mir mit einem Braunschecken.
Zwanzig Minuten später waren wir unterwegs auf einem abgelegenen Feldweg.
„Wie läuft es mit deinem Spanisch?“
Ich warf ihm einen düsteren Blick zu: „Eher schlecht als recht. Ich bin ein hoffnungsloser Fall.“
„Sag das nicht! Zusammen bekommen wir das schon hin.“
So zuversichtlich konnte ich nicht denken; früher oder später würde dieser Optimist schon noch desillusioniert werden.
„Lass uns das Thema wechseln, ok?“
„Von mir aus. Wie geht es Paris? Die letzten beiden Male, als ich bei dir war, haben wir uns irgendwie verpasst.“
„Ganz gut. Im Moment schwebt sie auf Wolke Sieben mit ihrem neuen Freund. Woher kennt ihr euch eigentlich?“
„Oh, durch mich hatte sie das Glück – oder Pech“, fügte er leiser hinzu, „bei Ceddie zu landen. Ich habe ihr praktisch den Job vermittelt.“
„Ich denke, sie würde sich freuen, dich noch mal zu sehen.“
„Ja, ich mich auch. Wenn ich das nächste Mal zum Lernen komme, schreib ich dir vorher, dann könntest du ein kurzes Treffen arrangieren.“
Wir quatschen den ganzen Ausritt über Themen wir Musik, Urlaub und Zukunftspläne; auch wenn ich bei letzterem ihm das Reden überlassen musste, denn ich hatte noch absolut keinen Plan, was ich nach dem Abi machen wollte…außer zu Hause ausziehen und das möglichst weit weg. Aber wie und wohin wusste ich auch noch nicht.
Als wir gegen halb Sieben wieder am Haus ankamen, rief ich Ceddie an, damit er mich abholte. Gemeinsam mit Dante wartete ich an der Auffahrt. Er hatte mir seine Jacke übergelegt, weil es schon deutlich abgekühlt war und ich etwas unvorbereitet nur ein T-Shirt angezogen hatte.
Als Ceddie schließlich kam, umarmte ich den Spanier fest und bedankte mich.
„Nein Ada, ich hab zu danken. Der Tag war superschön, müssen wir unbedingt wiederholen. Du bist ein echt cooles Mädel“, flüsterte er mir ins Ohr.
Seine Zuneigung entlockte mir ein Strahlen und ich nickte begeistert.
Mein Bruder stieg noch nicht mal aus dem Wagen und setzte zurück, sobald ich die Tür geschlossen hatte.
„Wie war es?“, fragte er angespannt.
Oh nein, jetzt ging das schon wieder los. Diese miese Stimmung, deren Ursache ich noch nicht mal kannte. Also blieb mir auch nichts anderes über, als sie zu ignorieren oder dagegen zu wirken.
„Total super. Wir waren ewig lang ausreiten und haben uns die ganze Zeit unterhalten. Wie war dein Nachmittag?“
„Unspannend“, er seufzte, „Ich habe nur gelernt.“
Ach ja, er machte ja auch bald seinen Abschluss. Was wohl seine Zukunftspläne waren?
„Wie bist du mit Dante klargekommen?“
Diese Frage überraschte mich.
Der feindselige Tonfall seiner Stimme ließ mich zurückschrecken.
„Ja, wir wollen jetzt öfter mal was machen.“
„Er kommt ja eh wegen der Nachhilfe.“
Ich verdrehte die Augen; Ceddie wusste genau, was ich meinte.
„Auch außerhalb vom Schulkram!“
„Wir werden sehen“, murmelte er leise, bevor wir uns erneut anschwiegen.
„Hast du schon gegessen?“, fragte ich ihn schließlich, als wir aus dem Auto stiegen.
„Nein, ich wollte Paris gleich bitten, mir ein Brot zu machen.“
„Oh, dann nehme ich auch eins. Aber komm, das können wir uns auch selbst schmieren.“
Ich zog ihn mir in die Küche, wo Paris allerdings schon dabei war, verschiedene Schnitten zu buttern.
„Hey, wie war’s?“, begrüßte sie mich.
„Gut und Dante will dich beim nächsten Mal unbedingt sehen!“
Ein kleines Lächeln schlich sich auf ihr Gesicht; aus dem Augenwinkel konnte ich sehen, dass mein Bruder das ebenfalls registrierte und nicht sonderlich erfreut darüber wirkte.
Ziemlich verwirrend die ganze Situation.
Ich ließ die zwei kurz alleine, um mich umzuziehen, bevor wir mit essen begannen.
Nachdem ich in eine bequeme Hose angezogen hatte und einen Gammelpulli übergestreift hatte, setzte ich mich mit an den Tisch.
Während aßen, informierte Ceddie uns über den Wochenendtrip und mit einem Zwinkern in meine Richtung bot Paris an, die Einkäufe zu erledigen.
Als mein Bruder zufrieden nickte, blickten wir uns verschwörerisch an.
Teil 1 meines Racheplans war perfekt.
Ich hatte gerade meinen Teller auf die Spüle gestellt, als ich die Stimme meines Bruders vernahm: „Adriana, dir ist was aus der Tasche gefallen. Was ist das?“
Ich blickte mich um und sah den Papierfetzen, auf den ich Dantes komischen Satz geschrieben hatte auf dem Boden liegen.
Den hatte ich ja beinahe schon wieder vergessen.
Stirnrunzelnd musterte ich meine Sauklaue.
„Ist von Dante. Wisst ihr zufällig, was ‚Tu kuhlo es fenomenall in esta pantalon’heißt?“, ich blickte in die Runde.
Während ich plötzlich beinahe schmerzhaft an beiden Armen gepackt wurde, hörte ich Paris noch aufkeuchen.
„Wann hat er das zu dir gesagt?“, kaum unterdrückte Wut – und ein Funke…Panik? – klangen aus der Stimme meines Bruders, der mich umklammert hielt, als hinge sein Leben davon ab.
„Äh…wenn wir uns gesehen haben, also nach der Nachhilfe.“
„Hat er noch etwas gesagt?“
„Ceddie, er hat viel gesagt. Was ist los mit dir?“
„Hat er dich angefasst? Ist er dir irgendwie nahe gekommen?“
„Nein, zum Teufel! Er hat nichts gemacht, aber-“
„Wir werden einen anderen Nachhilfelehrer für dich finden. Ich möchte nicht, dass du Dante noch einmal wieder siehst! Haben wir uns verstanden?“, er schüttelte mich leicht und seine Augen bohrten sich in meine.
Dieser Ausbruch machte mir Angst. Er war nicht wütend, nein, er war außer sich. Noch nicht einmal ich hatte es geschafft, ihn an diesen Punkt zu bringen und jetzt rastete er wegen eines Satzes so aus?
„Adriana?“
Seine Stimme holte mich aus meinen Gedanken zurück und alles, was ich tun konnte, war nicken. Ich war buchstäblich sprachlos.
„Ich muss noch etwas erledigen“, teilte Ceddie uns mit, nachdem er von mir abgelassen hatte, und verließ im Stechschritt die Küche.
Ich blickte zu dem blonden Mädchen rüber, das genauso bleich war, wie ich wahrscheinlich gerade. Ihr Blick wanderte verstört zwischen der Tür, die er gerade zugeknallt hatte, und mir hin und her.
Weiterhin unfähig, etwas zu sagen, räumte ich das Geschirr in die Spüle und verschwand auf mein Zimmer. Auf dem Weg hörte ich die schwere Eingangstür ins Schloss krachen.
Nachdem ich einige Minuten in meinem Zimmer auf und ab getigert war, fasste ich den Beschluss, Seth jetzt zu fragen, was hier vor sich ging.
Ich googelte die Adresse, schlich mich aus dem Haus und nahm den Bus in die Stadt.
Kurze Zeit später stand ich vor dem Tor einer schicken Villa und drückte vorsichtig die Messingklingel.
„Hallo?“
An der Haustür begrüßte mich ein stattlicher Mann mit kurzen grauen Haaren.
„Guten Abend, Dr. Keasing“, begrüßte ich ihn. Im Krankenhaus nach meiner kleinen Drogeneskapade hatte er einen sehr sympathischen, ersten Eindruck auf mich gemacht; ganz anders als sein Sohn.
„Hallo Adriana, wie kann ich dir helfen?“
„Ist Seth da?“
Der Boden war aus dunklem Holz und glänzte wie frisch poliert – was er sehr wahrscheinlich auch war -, die Wände strahlten in einem warmen Gelb und ich konnte einige gerahmte Familienfotos entdecken.
„Seth, du hast Damenbesuch“, rief Dr. Keasing eine Treppe hinauf.
Kurz darauf hörte man ein Poltern und Seth erschien an der Stiege.
Mir stockte kurz der Atem, denn er sah so anders aus.
Seine Haare waren nicht gestylt, sondern standen hier und dort wirr vom Kopf ab, er trug eine Jogginghose und ein scheinbar schon älteres T-Shirt.
Es spannt interessant an seinen breiten Schultern…
Schnell verbot ich mir jeglichen weiteren Gedanken an seinen Körper und konzentrierte mich wieder auf sein Gesicht.
„Hi, ähm…hast du einen Moment Zeit?“
Seth blickte mich überrascht an und mit einem Blick auf seinen Vater, der an der Wand lehnte und uns neugierig musterte, nickte er.
„Klar, komm mit.“
Ich streifte meine Schuhe ab und folgte ihm nach einem freundlichen Lächeln in Richtung des Arztes.
Sein Zimmer war wie nicht anders erwartet groß. Ziemlich groß und sehr modern eingerichtet. Nicht so mein Ding, aber ich wohnte ja auch nicht hier.
Da ich mich nicht neben ihn auf das weiße Ledersofa setzen wollte, machte ich es mir in einem grünen Sitzsack ihm gegenüber gemütlich.
Zwar störte es mich etwas, dass er so von einer erhöhten Position auf mich herabblickte, aber das ging jetzt nun mal nicht anders.
„Um ehrlich zu sein warst du die letzte, die ich erwartet hatte…welchem Umstand verdanke ich also deinen Besuch?“, Irritation klang aus seiner Stimme.
Ich konnte es ihm nicht verdenken. Wäre er eines Abends einfach so bei mir erschienen, wäre ich wohl ähnlich verwirrt gewesen.
„Es geht um Ceddie“, er zog eine Augenbraue hoch, „und um Dante…“
Nachdem ich ihm von den Geschehnissen des heutigen Tages berichtet hatte – ohne, dass er mich auch nur einmal unterbrach -, saßen wir zunächst schweigend da.
Mir blieb nichts anderes über, als ihn dabei zu beobachten, wie er in die Ferne starrte und immer wieder nachdenklich die Stirn kraus zog.
Schließlich hörte ich ihn aufseufzen.
„Adriana, ich kann dir nichts dazu sagen.“
„Wer zum Teufel kann das denn dann?!“, unterbrach ich ihn wütend. Diese ganze Geheimniskrämerei strapazierte meine ohnehin schon schwachen Nerven tierisch.
„Es tut mir leid, aber es ist nicht an mir, das zu erzählen. Glaub mir, ich verstehe, wie scheiße die Situation für dich ist…“
Sein Tonfall, seine Augen, seine ganze Körpersprache schienen mich um Verständnis zu bitten und ich konnte es ihm einfach nicht übel nehmen. Nicht, wenn er sich so verhielt. So nett.
Allerdings half das meiner Situation auch nicht weiter und selbst ich hörte die Verzweiflung in meiner Stimme: „Was soll ich denn nun machen?“
„Gib Cedric etwas Zeit“, sagte er sanft, „Lass ihn etwas zur Ruhe kommen und sprich ihn dann noch mal drauf an. Er macht sich unglaubliche Sorgen um dich, so viel kann ich dir sagen. Sein ganzer Ausbruch hat nur damit etwas zu tun, dass er dich schützen will.“
Aber vor was denn? Oder vor wem?
Auf die Antworten darauf musste ich wohl wirklich warten, auch wenn mich das Gespräch mit Seth noch unruhiger gemacht hatte.
Plötzlich hallte die Vibration eines Handys durch den Raum und ich wäre beinahe zusammengezuckt.
„Sorry, kleiner Moment.“
Seth hob das summende Gerät vom Schreibtisch.
„Hallo?“
Er schwieg eine Weile und ich nahm an, dass sein Gesprächspartner das Wort hatte.
Irgendwann holte er tief Luft und sprach mit ruhiger Stimme: „Ceddie, sie ist bei mir.“
Song ist von Icona Pop
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Kurz danach legte er auf und blickte mich mit hochgezogenen Augenbrauen an.
„Kann es sein, dass du zu Hause vergessen hast zu erwähnen, dass du zu mir gehst?“
Seine rhetorische Frage quittierte ich nur mit einem Schulterzucken, woraufhin er aufseufzte. „Er dachte, du wärst wieder abgehauen.“
„Geschieht ihm Recht“, murmelte ich leise vor mich hin, doch Seth schien gute Ohren zu haben.
„Ada, er war außer sich vor Sorge. Ich bringe dich jetzt nach Hause.“
Er reichte mir seine Hand, um mir aus dem Sitzsack zu helfen. Ich ergriff sie, ohne lange nachzudenken.
Heute war ein Tag der Seltsamkeiten, da kam es auf die eine oder andere auch nicht mehr an.
Als sich seine warmen Finger jedoch fest um meine schlossen, bereute ich meine Entscheidung augenblicklich. Die Berührung ließ meine Haut kribbeln und ich sog erschrocken die Luft ein.
Wenn Seth es ebenfalls spürte, ließ er es sich nicht anmerken, doch sobald ich stand, ließ er von mir ab.
„Komm, es ist schon spät.“
Da hatte er Recht. Körperlich war ich schon ziemlich erschöpft, auch wenn mein Adrenalinpegel vermutlich noch viel zu hoch war, um zu schlafen.
Meinen Einwand, er müsse mich nicht fahren, ich würde auch mit den öffentlichen Verkehrsmitteln nach Hause kommen, tat er mit einer Handbewegung und dem Kommentar „Wir wollen ja nicht, dass du verloren gehst“, ab.
Also folgte ich ihm die Treppe herunter in die Garage und ließ mich auf den Beifahrersitz fallen.
„Ada, sei nicht zu hart zu deinem Bruder, er hat es auch nicht leicht.“
Wenn ich so darüber nachdachte, musste ich ihm sogar zugestehen, dass er Recht hatte:
Ceddie war gerade mal 19 Jahre alt; wohnte nicht mehr zu Hause, sondern auf einem riesigen Landgut; machte im Moment seinen Schulabschluss – mit perfekten Noten, wenn ich ihn richtig einschätzte – und dann hatte er auch noch seine Schwester, das schwarze Schaf der Familie, bei sich aufgenommen…
Sicher war das kein Kinderspiel, auch nicht für den Mustersohn Cedric Landgraf.
Ich beschloss, mich in Zukunft noch etwas mehr zurückzunehmen. Es konnte ja nicht sein, dass er graue Haare bekam, bevor er sein 20. Lebensjahr erreichte.
Vor unserer Haustür stieg Seth als erstes aus und umrundete das Auto, während ich mir noch einen Moment Zeit nahm, um meine Gedanken zu ordnen.
Erst als er mir die Tür aufhielt und eine frische Abendbrise durch den Innenraum fuhr, schwang ich meine Beine aus dem Wagen und richtete mich auf.
Ich konnte nicht leugnen, dass ich so nervös war, Ceddie gleich gegenüber zu stehen, dass ich über die Gesellschaft seines besten Freundes – der heute gar nicht so unausstehlich war - ziemlich erleichtert war.
Als ich meinen Fuß auf die unterste Stufe setzte, wurde die Tür aufgerissen und bevor ich etwas tun konnte, fühlte ich mich von kräftigen Armen umschlossen.
Ein vertrauter Duft umhüllte mich und ich hörte die Stimme meines Bruders flüstern: „Adriana, es tut mir so Leid, ich hätte dich nicht anfahren sollen.“
Nach einem kurzen Augenblick des Schocks, erwiderte ich seine Umarmung.
„Mir tut es Leid, dass ich einfach so abgehauen bin.“
Wie nicht anders zu erwarten gewesen war, lag ich die Nacht wach und grübelte.
Ceddies Beziehung zu Dante, meine Beziehung mit Jas, unsere Familienverhältnisse und Seth’ Verhalten.
Die Gedanken kamen und gingen und leider hatte ich rein gar keinen Einfluss auf sie.
Als Quittung durfte ich am nächsten Morgen meine Augenringe im Spiegel betrachten. So gut es ging, versuchte ich sie zu überschminken, was leider nicht viel brachte, da meine Fähigkeiten mit Make-up auf ein Minimum reduziert waren.
„Wow, du siehst scheiße aus“, entfuhr es Paris am Frühstückstisch und ich schenkte ihr ein trockenes Grinsen: „Dankeschön.“
„Ich gehe heute einkaufen“, bedeutungsvoll zwinkerte sie mir zu.
„Sehr gut.“
„Kommst du mit?“
Ich überlegte kurz: „Ne, sorry. Ich muss noch für meine Chemieklausur lernen.“
Paris verzog so das Gesicht, dass man meinen könnte, ich hätte über eine tellergroße Spinne mit behaarten Beinen gesprochen und innerlich gab ich ihr Recht. Chemie kam dem sehr nahe.
„Aber ruf mich, wenn du wieder da bist, dann helf’ ich dir auspacken.“
Nachdem ich den Großteil des Tages tatsächlich mit Schulzeug verbracht hatte, trommelte uns Ceddie abends alle zusammen.
Gemeinsam mit Seth – wem sonst – saßen wir in der Bibliothek und sprachen über das Wochenende.
„Wir haben beschlossen, mit zwei Autos zu fahren. Ihr kommt mit mir mit und die anderen Jungs übernimmt Damian. Während wir morgen in der Schule sind, kannst du das Auto bitte beladen, Paris.“
Sie nickte und Ceddie fuhr fort: „Wir starten um 16Uhr. Das Haus liegt ziemlich abgelegen; ich denke, die Fahrt dauert um die drei Stunden. Ihr müsst alles einpacken, was ihr braucht, denn bis in die nächste Ortschaft braucht man von da aus rund eine Stunde.“
„Meine Güte! Befinden wir uns da im Niemandsland?“, entfuhr es mir.
Nicht, dass das schlimm wäre. Im Gegenteil, aber heutzutage war es wirklich selten, dass man noch irgendwo so für sich sein konnte.
„Ja“,lächeltemein Bruder…verträumt, „das ist Sinn der Sache. Bevor die Klausurphase beginnt.“
Neben meinem Bruder verdrehte Seth die Augen und hakte sich ins Gespräch ein: „Die Hütte ist im Wald. So ein altes Jagdding. Sie liegt an einem kleinen See und laut Damian kann man darin schwimmen gehen, wenn es ein bisschen wärmer ist. Also packt eure Bikinis ein, Mädels“, er schenkte uns ein strahlendes Lächeln und ignorierte Ceddies Ellenbogen in seiner Seite.
Mir entfuhr ein Gähnen und ich wollte mich gerade entschuldigen, um auf mein Zimmer zu gehen, als erneut Seths Stimme ertönte: „Vielleicht solltest du ins Bett gehen, Ada. Dein Aussehen macht einem Zombie Konkurrenz und du willst dich doch morgen nicht so blicken lassen vor den ganzen Jungs“, und als wäre das noch nicht genug gewesen, setzte er noch hinterher: „Du musst wirklich mehr aus dir machen, sonst klappt das nie mit einem Freund.“
Was war denn jetzt schon wieder los mit dem Jungen? Gestern war er noch so nett gewesen und jetzt so etwas?! Er bereitete mir wirklich Kopfzerbrechen.
Wütend stand ich auf: „Gute Nacht.“
Dann rauschte ich – hoffentlich eindrucksvoll – aus dem Raum.
Im letzten Moment konnte ich noch Ceddies tadelndes „Seth!“ hören, doch das war mir jetzt auch egal.
Der blonde Vollidiot hatte stärkere Stimmungsschwankungen als eine schwangere Frau und leider bekam ich immer alles ab.
Zum Glück bekam ich diese Nacht etwas mehr Schlaf, so dass die Augenringe am nächsten Morgen nicht mehr ganz so tief waren. Hinzu kam, dass Paris sich meiner erbarmte und mir half, mit etwas Concealer die letzten Reste meiner Schlaflosigkeit zu kaschieren.
Sie war es auch, die mich von der Schule abholte und mich beim Packen meiner Sachen tatkräftig unterstützte.
Nicht, dass ich Hilfe gebraucht hätte, aber wir nutzten die Zeit, um noch ein bisschen zu plaudern und uns abzulenken. Offen gab es keiner von uns zu, aber wir waren total nervös.
Wann immer ich gerade stand, erwischte ich mich dabei, wie ich mit meinem Fuß wippte oder mit den Fingern ungeduldig auf dem nächsten Gegenstand rumtippte.
Die Versuche, mich durch tiefes Durchatmen selbst zu beruhigen, scheiterten alle kläglich und so gab ich irgendwann auf.
Ein kleines Problem stellten die Badesachen für mich da. Mir behagte der Gedanke nicht, mich vor den anderen mit so wenig Kleidung zu zeigen, aber ich wollte auch keine Außenseiterin sein und am Rand sitzen, wenn die anderen Spaß im Wasser hatten.
Allerdings war ich noch nie der Schwimmbadtyp gewesen… eher mal mit meinen Freunden in den See des Parks gesprungen, aber da hatte ich einfach meine Unterwäsche und ein T-Shirt angehabt.
So war das einzige Schwimmteil, was ich besaß, ein einfacher Badeanzug, den ich mal für den Sportunterricht gebraucht hatte.
Mit einem Blick darauf beförderte Paris ihn zurück in die Tiefen des Schrankes und verließ mein Zimmer mit den Worten: „Warte mal.“
Kurz darauf stand sie wieder vor mir…mit einem schwarzen Triangel-Bikini, an dessen Enden Perlen baumelten.
„Probier mal an. Den hat mir mal ein Freund geschenkt, aber er passte nicht.“
„Ah ja, ein Freund also“, mein spöttischer Tonfall schien Paris nicht im Geringsten zu stören, denn sie grinste mich nur bedeutsam an.
Ich schnappte mir das schwarze Ding und eilte ins Bad. Es blieb nicht mehr viel Zeit und ich wollte meinen ohnehin schon hektischen Bruder nicht unnötig warten lassen.
Al ich es endlich geschafft hatte, die Teufelsbänder des Outfits zu binden – das hatte ich schon sehr lange nicht mehr getan und war etwas aus der Übung – trat ich hinaus und präsentierte mich meiner Freundin.
„Perfekt. Du hast die Oberweite, von der er nur geträumt hat, dass ich sie hätte.“
Ich blickte nach unten und sah, dass meine Brüste die beiden Dreiecke gut ausfüllten.
Vielleicht sogar ein bisschen zu gut.
„Meinst du nicht, dass er zu freizügig ist?“
Entgeistert starrte sie mich an: „Machst du Witze? Du hast geile Titten, also zeig sie auch!“
Ich schreckte etwas zurück ob ihrer Sprache: „Aber…“, ich war ja keine Schlampe.
„Quatsch, Ada. Guck mal, er bedeckt doch alles und bringt nur deine Reize vorteilhaft zur Geltung, also hör auf, dir irgendetwas einzureden!“
Vermutlich hatte sie Recht. Ich war es einfach nicht gewohnt, so viel Haut zu zeigen. Schnell zog ich mich um und stopfte das schwarze Kleidungsstück noch oben in die Tasche. Dann hasteten wir die Treppe hinunter.
Mein Bruder wartete draußen schon neben dem Auto und fuhr sich nervös durch die Haare.
„Da seid ihr ja. Schmeißt die Sachen einfach hinten rein, ok?“
Schnell taten wir wie geheißen und machten es uns auf der Rückbank bequem.
„Hast du alles, Paris?“, fragte Ceddie ungeduldig.
„Ich denke schon.“
„Denkst du oder weißt du?“, fuhr er sie an.
„Cedric!“
Das gab es doch wohl nicht! Doch bevor ich mich weiter aufregen konnte, ertönte schon ein: „Es tut mir Leid.“
Er klang reuig und seufzte auf: „Ich wollte dich nicht so anfahren, Paris. Meine Nerven sind einfach überstrapaziert.“
Das blonde Mädchen neben mir, was zunächst ganz blass geworden war, nickte nun mitfühlend und gab sanft zurück: „Das verstehe ich, Master Cedric. Ich bin mir sicher, dass ich alles eingepackt habe.“
Bei ihrem warmen Ton runzelte ich die Stirn, aber eigentlich hätte es mir klar sein müssen, dass sie es ihm nicht übel nehmen würde. Dazu hatte sie eine zu gute Seele.
Kurze Zeit später hielten wir vor einem mir nun bekannten Tor und Ceddie hupte zweimal.
Dann warteten wir. Und warteten. Und warteten.
Schließlich sprang mein Bruderfluchend aus dem Auto und verschwand im Haus. Eine weitere gefühlte Ewigkeit später schleppten die Jungs einen großen Koffer und eine nicht minder riesige Reisetasche an.
„Was ist das?“, fragte ich neugierig, als beide endlich saßen.
„Auch einen schönen guten Tag, Fräulein Landgraf“, spottete Seth, bevor er ernst wurde. „Und das ist mein Gepäck.“
„Was? Wir sind doch nur vier Tage weg.“
„Ich bin halt ein Mann mit Bedürfnissen“, entgegnete er trotzig.
Im Rückspiegel sah ich, wie Ceddie mir einen Blick zu warf und die Augen verdrehte.
Das entlockte mir ein Kichern, was ich auf Paris Ellenbogenstoß hin mit einem Räuspern kaschierte. Aus dem Augenwinkel sah ich, dass sie ebenfalls grinste, sich jedoch eines Kommentares enthielt.
Irgendwie musste ich sie dazu bringen, etwas lockerer zu werden, schließlich war sie als meine Freundin mit und musste sich den anderen gegenüber zumindest dieses Wochenende nicht wie ein pflichtbewusstes Dienstmädchen verhalten.
Hilfe bekam ich dabei von unerwarteter Seite:
Als Paris meinen Bruder nochmal nach der Fahrzeit fragte und in dabei wie immer mit Master Cedricbetitelte, mischte er sich mit einem Schlag auf Ceddies Schulter ein.
„Mensch, Cedric! Wieso willst du eigentlich, dass sie dich so nennt? Du bist doch kein alter Schnösel!“
Bei seinen Worten zuckte mein werter Bruder zusammen und wirkte genauso betroffen wie das Mädchen neben mir.
„Jetzt gib dir einen Ruck. Wenigstens für unseren kleinen Ausflug“, ergänzte ich noch und handelte mir damit einen panischen Blick von meiner Freundin ein.
Was war denn mit ihr los?
„Okay“, gab mein Bruder von vorne notgedrungen nach, hörte sich jedoch wenig überzeugt an.
Naja, man konnte halt nicht alles haben. Wenigstens stimmte er überhaupt zu.
Drei Stunden und gefühlte 100km holprige Feld- und Waldwege später erreichten wir ein total schönes, nicht allzu großes Holzhaus.
„Endlich“, seufzte Seth, als er seine Beine aus dem Wagen streckte und sprach uns allen damit wohl aus der Seele, denn ungefähr 80% der Fahrt hatten wir uns um die Musik gestritten.
Ich hoffte mal, dass das nicht schon das erste böse Omen war.
Das Knallen der Autotüren kündigte uns anscheinend so laut an, dass die Tür des hübschen Häuschens aufgerissen wurde.
„Da seid ihr ja!“, begrüßte Damian uns ungestüm und nahm Paris ihren Koffer ab. Dasselbe tat einer der anderen Jungs bei mir – Ceddie und Seth mussten selber tragen – und wir folgten dem vernarbten Jungen die Treppe hoch.
„Ihr schlaft da“, wandte er sich an seine Freunde und wies auf eine Tür im ersten Stock, „Die Ladies bekommen das Penthouse. Den Dachboden mit zwei kleinen aber feinen Zimmern und einem eigenen Bad.“
Begeistert grinste Paris mich an und wir quetschten uns die schmale Treppe nach ganz oben hoch.
Meine kleine Kammer hatte den Namen Zimmer gar nicht verdient.Gerade einmal das Bett, eine Mini-Kommode und ein Nachtschränkchen, auf dem eine Lampe mit wildgeblümten Schirm stand, fanden mit Mühe und Not Platz darin, aber es war so urig, dass ich mich sofort wohlfühlte.
Nachdem ich es mit Paris Hilfe endlich geschafft hatte, mein Bett zu beziehen – ich schämte mich für meine Unfähigkeit und konnte sie nur damit entschuldigen, dass ich es nie zuvor in meinem Leben selbst hatte machen müssen – rief mein Bruder mich hinunter zum Ausladen der Sachen.
„Jetzt haben wir erstmal Pizza bestellt. Zur Verzweiflung des Boten, der eine Ewigkeit bis hierheraus braucht“, grinste ein Junge mit rotbraunen Haaren.
„Och“, Damian lachte, „die kennen uns schon. Solange wir genügend Trinkgeld geben, kommen die immer wieder gerne.“
Plötzlich hörte ich ein komisches Klopfen.
„Was ist das?“
„Dein Bruder versucht sich hinterm Haus im Holzhacken.“
Seth erschien in der Tür und stellte eine Kiste mit allerlei Gemüse vor mich.
„Echt? Das muss ich sehen.“
Zusammen mit Paris stürmte ich zum Ausgang und lugte um die Ecke des Hauses.
Tatsächlich stand mein Bruder dort breitbeinig mit erhobener Axt.
Seine Haare waren unordentlich, seine Hemdärmel hochgekrempelt und an seinem Kragen standen zwei Hemdknöpfe offen.
Zusammen mit dem leichten Schweißfilm auf seiner Stirn bot er ein Bild für die Götter. So unordentlich hatte ich ihn noch nie gesehen, aber es stand ihm außerordentlich gut.
Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Paris ihn förmlich angaffte und musste grinsen: „Meine Güte! Mach ein Foto, das hält länger“, raunte ich ihr zu, sodass sie krebsrot wurde und sich abwandte.
Eine Weile später saßen wir in dem großen Aufenthaltsraum der Jagdhütte. Er war sehr klassisch eingerichtet mit dunklem Parkettboden, einem dicken, weinroten Teppich, einem Kamin, in dem angesichts der Außentemperaturen von über 20 Grad kein Feuer brannte – und sehr zu meinem Missfallen diversen Jagdtrophäen an der Wand.
Der starre Blick aus den leblosen Glasaugen der toten Hirsche und Füchse ließ mir Schauer über den Rücken rinnen, aber irgendwann schaffte ich es, sie zu ignorieren und mich auf meine Pizza Hawaii ohne Schinken zu konzentrieren.
Als wir alle gesättigt waren, schlug Damian erstmal eine kleine Vorstellungsrunde vor und fing dann auch direkt an.
„Ich bin Damian LeGranté, 18 und mir verdankt ihr den Urlaub in diesem Luxuschalet“, fügte er mit einem Augenzwinkern hinzu.
Da ich neben ihm saß, war es wohl nun an mir, mich zu präsentieren: „Ich bin Ada, Ceddies kleine Schwester und joa…ich bin mal gespannt auf das Wochenende.“
„Joel, und ich koche gerne“, meinte der Typ mit den rotbraunen Haaren.
So ging es weiter und ich lernte, dass die zwei Jungs, die ich nicht kannte, Aaron und Louis hießen.
„So Leute. Ich bin fix und fertig, ich denke, ich gehe jetzt besser schlafen“, verabschiedete sich mein Bruder und mit einem Blick auf die Uhr stellte ich fest, dass es erst halb zehn war.
Die Autofahrt hatte ihn wohl wirklich gestresst…oder ich war einfach schmerzfrei, denn mit seinem Verschwinden verabschiedete sich einer nach dem anderen und ich war noch nicht mal annähernd müde.
Als ich jedoch Paris flehende Blicke auffing, nickte ich und wir machten uns ebenfalls auf in unsere Zimmer.
Mit einem „Gute Nacht, Ada“, verschwand sie auf ihr Zimmer und ich tat es ihr gleich.
Allerdings konnte ich nicht schlafen und lag stattdessen auf meinem Bett und starrte aus dem Fenster auf den hellen Mond.
Vielleicht war er ja der Grund für meine Schlaflosigkeit?
Der Vollmond bescherte mir in der Regel wache Nächte.
Schließlich hielt es mich nicht mehr im Bett und ich ging zum Fenster.
Unter mir lag der kleine See glitzernd im Mondlicht und schien mich praktisch einzuladen.
Irgendwie überkam es mich.
Seit meinem kleinen Strip in der Cafeteria hatte ich nichts Verrücktes mehr getan.
Bevor mein rationaler Verstand wieder Überhand nahm, zog ich meinen Bikini an und griff nach einem Handtuch.
Dann schlich ich mich möglichst leise die Treppen herunter – gar nicht so einfach im Anbetracht der Tatsache, dass das alte Holz knarrte wie verrückt – und öffnete die Tür.
Erleichtert seufzte ich auf, als ich endlich vor dem Haus stand.
Ich nahm mir einen Moment und genoss die Stille und die Landschaft um mich herum, die in Mondlicht getaucht fast märchenhaft wirkte.
Zwar war es merklich abgekühlt, aber ich fror nur leicht. Trotzdem war es wahrscheinlich besser, sich etwas zu bewegen und nach meinem nächtlichen Schwimmen eine warme Dusche zu nehmen.
Das Handtuch ließ ich am Ufer liegen und watete dann ins Wasser hinein. Dieses war doch noch kälter, als erwartet und ich biss mir auf die Lippe.
Ich würde das hier durchziehen!
Langsam tastete ich mich vorwärts und zu meinem Glück schien es weiter flachin den See hinein zu gehen.
Als ich gerade bis zur Hüfte im kalten Nass stand, hörte ich plötzlich ein leises Platschen.
„Guten Abend, Sexy.“
http://www.youtube.com/watch?v=ukUL_I14GPw
Innerlich erstarrt, zwang mich aber dazu, mir nichts anmerken zu lassen.
„Hallo Seth.“
Ich hörte ihn langsam durchs Wasser watten und drehte mich um, besser ich behielt ihm im Auge.
Einen Fehler, den ich sofort bereute, als mein Blick auf ihn fiel. Ich konnte gar nicht anders, als seinen glorreichen Körper anzustarren. Jeder meiner Versuche, die Augen abzuwenden, scheiterten, bei dem Anblick seines Sixpacks.
Verdammt! Ich war doch keines von diesen Mädchen, die sich von so etwas aus dem Konzept bringen ließen…hatte ich zumindest gedacht.
Als ich es endlich schaffte, mich von den perfekten Muskeln loszureißen und in sein Gesicht zu schauen, zeigte sein überlegenes Grinsen, dass er ganz genau wusste, welche Wirkung er auf mich hatte. Mistkerl!
Ungefähr einen Meter vor mir blieb er stehen und sein Gesichtsausdruck veränderte sich…wurde…verführerisch?
„Was treibt dich denn so des Nachts allein in den See?“
„Nun ja, genau genommen bin ich ja jetzt nicht mehr alleine…“
Oh nein Mund, was tust du da? Warum zum Teufel flirtete ich zurück? Schnell fügte ich noch ein: „Willst du nicht wieder verschwinden, damit ich meine Ruhe haben kann?“, hinzu, doch leider war meine brüske Zurückweisung so offensichtlich, dass sein Grinsen nur noch eine Spur breiter wurde.
„Ich glaube, du und ich wissen beide, dass du das eigentlich gar nicht willst. Außerdem ist mir nach einem Bad im Mondschein.“
Dagegen konnte ich leider nichts sagen, also blieb ich schweigend stehen und beobachtete ihn. So allmählich wurde es ziemlich kalt und Gänsehaut bildete sich auf meinen Armen.
Sein Blick wanderte nun seinerseits über meinen Oberkörper und ich hätte mich am liebsten verkrochen. Ich fühlte mich komplett nackt, unternahm aber nichts dagegen. Die Genugtuung wollte ich ihm nicht gönnen.
So ließ ich ihn seine Observation in Ruhe beenden und war beinahe erleichtert, als sich seine stechenden Augen wieder in meine bohrten.
„Auch wenn Ceddie nicht so begeistert ist…ich mag dein Piercing.“
Okay, damit hatte ich jetzt nicht gerechnet.
„Lass uns eine Runde schwimmen, dir ist kalt“, fügte er mit einem Grinsen und Nicken in Richtung meiner Oberweite hinzu.
Mein Blick folgte seinem Hinweis und Röte stieg mir ins Gesicht, als ich sah, was er meinte. Unter dem straffen, schwarzen Stoff des Bikinioberteils, zeichneten sich deutlich sichtbar meine Brustwarzen ab.
Schnell ließ ich mich ins Wasser sinken und quietschte auf, als das kalte Nass meine Haut berührte.
Ich hörte ihn leise lachen: „Kein Grund, sich zu schämen. Das ist doch eine ganz natürliche Reaktion.“
Selbstverständlich trug das nicht dazu bei, meine Verlegenheit zu mindern, also drehte ich mich um und schwamm los.
Wie nicht anders zu erwarten, folgte er mir. Ich spürte seine Bewegungen und ab und zu die Berührung eines Arms oder Beins… und jedes Mal durchfuhr mich etwas. Genervt von mir selbst, stöhnte ich auf.
„Hast du es so schwer?“, spottete er.
Du hast ja keine Ahnung.
Eine Weile schwammen wir schweigend, dann begann er erneut ein Gespräch.
„Warum eigentlich blau?“
„Bitte was?“
„Deine Haare…“
„Achso“, ich überlegte, „Wieso nicht?“, war schließlich das Beste, was mir einfiel.
Abwehrend hob er eine Hand, „Ich frag doch nur.“
„Ich weiß nicht, einfach so.“
„Was ist denn deine Naturhaarfarbe?“
„So ein Straßenköterblond, vielleicht auch schon braun.“
„Hmm…“
„Ich glaube, mir wird ist es jetzt zu kalt“, ich steuerte auf das Ufer zu.
Langsam wurde es flacher und ich erhob mich aus dem Wasser. Neben dem kühlen Wind spürte ich auch ein Paar grüner Augen auf meiner nassen Haut und beeilte mich zu meinem Handtuch zu kommen. Ich hörte, wie er hinter mir ebenfalls aufstand und neben mir ins Trockene wattete. Seth erreichte die Handtücher als Erster und hob sie auf.
Fast erwartete ich, dass er damit weglief, um mich zu ärgern, aber das Gegenteil war der Fall. Der Junge trat näher an mich heran und schlang den weichen Stoff um meinen zitternden Körper.
„Du hast ganz blaue Lippen“, murmelte er und zog mich zu sich, „Körperwärme“.
Oh ja. Es schien mir, als strahlte er eine Hitze aus, die in jeden Teil meines Leibes fuhr. Das Gefühl war so atemberaubend, dass ich nichts dagegen tat, sondern nur seine Nähe und die damit verbundene Wärme – das redete ich mir zumindest einredete – genoss.
Zusammen gingen wir zum Haus; er hielt mich die ganze Zeit umschlossen.
„Guck, dass du warm duschst und dann direkt unter die Bettdecke verschwindest“, trug er mir auf und weil in seiner Stimme ein Hauch Sorge mitschwang, nickte ich widerstandslos.
Gerade als ich mich auf den Weg in meine Kammer machen wollte, zog er mich nochmal enger an sich und unsere Blicke trafen sich.
Dann senkte er langsam den Kopf und wie in Zeitlupe sah ich seinen Mund näher kommen. Im letzten Moment bevor seine Lippen meine berührten, erwachte ich aus meiner Starre und drehte geistesgegenwärtig meinen Kopf zur Seite.
Scheiße! Was war da gerade beinahe passiert?
Schnell stieß ich ihn von mir und rannte nach oben.
Mist, Mist, Mist!
Was machte dieser Junge mit mir?
Die Szene hatte sich in mein Hirn eingebrannt und spielte sich wieder und wieder und wieder ab, während das warme Wasser auf meine Haut prasselte. Ich musste mich zusammenreißen. Dafür war ich ja wohl alt genug.
Am nächsten Morgen sah ich zu, dass ich ihm aus dem Weg ging, was sogar erstaunlich gut klappte. Beim Frühstück saß ich zwischen Paris und Damian, mit denen ich mich angeregt unterhielt. Der braunhaarige Junge übte eine unglaubliche Faszination auf mich aus und ich erwischte mich immer wieder dabei, wie ich mehr oder weniger auffällig seine Narben anstarrte.
Die Wetterfee hatte wohl guten Laune, denn die Sonne strahlte bereits jetzt warm durchs Fenster und weckte in den anderen die Lust schwimmen zu gehen.
Nach meinem nächtlichen Ausflug in den See verspürte ich allerdings nicht das Verlangen, mich vor versammelter Mannschaft – und vor allem einem bestimmten Junge - nochmal so freizügig zu präsentieren; da lugte meine prüde Seite hervor.
„Ich gehe ’ne Runde spazieren“, verkündete ich also und erntete kollektiven Missfallen. Da mir allerdings schon immer relativ egal gewesen war, was andere wollten, dass ich tat, fiel es mir nicht schwer, standhaft zu bleiben. Ich meldete mich freiwillig den Tisch abzuräumen und überraschender Weise blieb mein Bruder zurück, um mir zu helfen.
„Ich komme gleich mit dir, dann musst du nicht alleine durch den Wald hier gehen“, meinte er wie beiläufig.
„Ach, Ceddie“, ich grinste, „Glaub mir, so einsam im Walde macht mir nichts aus; das weckt die Abenteuerlust.“
„Trotzdem ich gehe auch gerne spazieren“, mein Bruder klang fast trotzig und soweit ich mich erinnern konnte, zog er Schwimmen dem Laufen um Längen vor.
„Ich finde es wirklich nett von dir, dass du mitkommen willst, aber vielleicht wäre es besser, wenn du doch hier bleibst und mit schwimmst“, gerade als er protestieren wollte, fiel mir noch etwas ein, „und überleg mal: einer sollte bei Paris bleiben. Wir haben ihr schließlich versprochen, auf sie aufzupassen und wenn sie vor den anderen nur so im Bikini steht, wäre es vielleicht besser, wenn du dabei bist.“
Seine Augen verdunkelten sich: „Mist, daran hab ich gar nicht mehr gedacht.“
Da steckte Damian plötzlich den Kopf zur Tür herein: „Hast du was dagegen, wenn ich dich begleite, Ada? Mir ist nicht so nach Schwimmen.“
Mein Bruder sah seinen Freund an, als hätte er ihn am liebsten geküsst und auch mir gefiel die Idee.
„Ja sicher. Dann mach ich uns noch ein Lunch-Paket.“
„Perfekt, wann wolltest du los?“
Ein Blick auf die Uhr sagte mir, dass wir schon fast zwölf Uhr hatten und wie einigten uns auf eine halbe Stunde.
Irgendwie gab meine Kleiderauswahl wenig Sommerliches her, was wahrscheinlich daran lag, dass ich generell lange Hosen und Kapuzenpullis luftigen Shorts und Tops vorzog. Aber von meinem Shopping-Marathon mit Paris hatte ich wenigstens ein paar kurzärmelige T-Shirts auf die ich jetzt zurückgreifen konnte. Trotzdem hegte ich die Befürchtung, dass es wahrscheinlich zu warm werden würde – na ja, mein Pech.
Zum Glück war der Waldweg relativ schattig, so dass ich nicht allzu sehr leiden musste.
„Wie kommt’s eigentlich, dass ich dich jetzt erst kennengelernt habe?“, fragte Damian, „Ich bin schon seit mindestens vier Jahren mit Cedric befreundet und könnte schwören, dass ich dich vorher noch nie gesehen habe.“
Ich zuckte mit den Schultern. Manchmal wunderte es mich selbst, wie wenig ich über meinen Bruder wusste und so gar keinen seine Freunde kannte…allerdings beruhte das wohl auf Gegenseitigkeit.
„Ceddie und ich standen uns nie wirklich nahe, um nicht zu sagen, wir waren uns völlig egal.“
„Das bist du ihm nicht, glaub mir“, kam es sofort von dem braunhaarigen Jungen.
„Ich weiß“, das hatte ich mittlerweile auch verstanden, „aber damals war es halt so. Als er noch zu Hause gewohnt hat, sind wir uns aus dem Weg gegangen und mit seinem Auszug haben wir uns so gut wie gar nicht mehr gesehen.“
„Schade eigentlich, er hat sich ziemlich verändert. Schon als er in das Landgut gezogen ist, aber dann als du weggelaufen bist, war er verrückt vor Sorge. Glaub mir, er hat uns kaum noch in Ruhe gelassen damit. Er hat sogar Schule geschwänzt, um nach dir zu suchen“, sprachlos starrte ich ihn an.
„Was?!“
Damian nickte bekräftigend: „Ja, ihm ging es wirklich dreckig. Dann war klar, dass du zu ihm kommst und Ceddie war aufgeregt wie ein kleines Kind Heiligabend.“
Na davon hatte ich bei der Begrüßung nicht viel gemerkt.
„Er hat uns alle eingeladen, dich kennen zu lernen, aber ich konnte nicht. Später hab ich dann von deinem … eindrucksvollen Auftritt gehört. Um ehrlich zu sein, war ich entsetzt, aber als ich dich dann das erste Mal getroffen habe, warst du ganz anders…sympathisch.“
Joah, mein erstes Aufeinandertreffen mit Ceddie war wohl nicht so optimal verlaufen.
„Ich habe mich auch verändert seit ich zu ihm gekommen bin, glaube ich.“
„Bleibt wohl nicht aus. Aber wo warst du denn jetzt in den acht Wochen?“
„Bei Freunden.“
Aus dem Augenwinkel sah ich, wie er mich neugierig musterte und ich seufzte. Wieso eigentlich nicht?
„Bei Jas, Eddie und Lili. Sie haben mich mit offenen Armen empfangen. Mit ihnen habe ich draußen gelebt.“
Wo genau verschwieg ich erstmal.
„Draußen? Auf der Straße?“, der vernarbte Junge klang entzückt.
„Äh ja genau.“
„Stell ich mir ziemlich abenteuerlich vor.“
Ich musste grinsen; so ähnlich hatte ich am Anfang auch gedacht, aber ich wurde desillusioniert: „Um ehrlich zu sein ist es eher dreckig, kalt und nass. Man hat kaum Wasser, um sich zu waschen, geschweige denn Warmes. Wenn wir Pech hatten, gab es mal nichts zu Essen und von Laptops Handys und Internet konnte man nur träumen.“
„Ist das der Grund, warum du zurückgekommen bist?“
Ich hatte noch mit niemandem so über die Zeit im Park gesprochen und jetzt tat ich es mit jemandem, den ich noch nicht mal richtig kannte. Aber ich mochte Damian wirklich; er schien sehr tolerant zu sein und ich hatte nicht das Gefühl, dass er zu den Tratschtanten gehörte.
„Ja auch. Es hört sich dumm an, das zu sagen, aber ich war einfach etwas Anderes gewohnt und bin mit den Verhältnissen da nicht klargekommen. Ich habe mich permanent schlecht gefühlt, wie eine Last. Die anderen haben immer versucht, es mir so einfach wie möglich zu machen und für mich zurück gesteckt“, Lili hatte mir eine Decke mehr gegeben, wenn es sehr kalt war, oder ein bisschen von ihrem Essen und ich hatte furchtbare Gewissensbisse deshalb gehabt, „Außerdem habe ich mir Sorgen gemacht, was mit meinen Freunden passiert, wenn die Polizei mich bei ihnen findet.“
„Wieso das denn?“
„Na ja. Wer weiß, was meine Eltern ihnen angehängt hätten. Nötigung zu irgendetwas oder sogar Entführung…“
„Scheinst ja nicht sehr viel von ihnen zu halten.“
„Das kann man wohl sagen. Hast du sie mal kennengelernt?“
Dante nickte: „Ja, früher. Euer Vater hat viel gearbeitet, aber Frau Landgraf war zu Hause. Deine Mutter…“
„…hat einen Stock im Arsch und einen Vogel im Kopf.“
Dante keuchte entsetzt auf: „Ada! So was sagt man doch nicht über seine Eltern!“
Sein Gesichtsausdruck entlockte mir ein Lachen, das Entsetzen war irgendwie süß.
„Glaub mir, das sind nur meine Erzeuger, keine wirklichen Eltern.“
Ungläubig schüttelte er den Kopf, beließ es aber dabei. Anscheinend hatte mein Ton deutlich gemacht, dass ich darüber nicht diskutieren würde.
„Wie sind deine Eltern denn so?“
„Toll…“
So ging es die ganze Zeit weiter. Wir quatschten und quatschten und quatschten, bis irgendwann mein Magen knurrte.
„Oh, Zeit für ein Picknick.“
Wir gingen noch ein Stück weiter bis wir einen großen Stein am kleinen Bachlauf sahen. Darauf bereitete Damian eine Decke aus und ich schälte mich aus meinen Schuhen.
Als ich die Converse endlich von den Füßen hatte, fiel mein Blick auf eine fiese, rote Blase an meiner Ferse und mit dem, dass sie entdeckt war, begann sie natürlich zu schmerzen.
Mit einem Seufzen tunkte ich die Füße in den Bach und begann die Brote auszupacken. Damian setzte sich neben mich und griff zu einem Schinkenbrötchen.
„Wie spät ist es eigentlich?“
Ich trug fast nie Uhren, irgendwie konnte ich mich nicht daran gewöhnen, immer etwas am Arm zu haben.
„Halb sechs.“
Ich starrte ihn an: „Was?!“
Er nickte und schlang sein Essen etwas schneller hinunter.
„Wir sollten uns beeilen, in zweieinhalb Stunden wird es dunkel und ehrlich gesagt weiß ich nicht so genau, wie lange wir zum Haus brauchen.“
Also bis jetzt waren wir schon um die fünf Stunden unterwegs gewesen, hoffentlich dauerte es nicht mehr so lange zurück, denn meine Füße würden das nicht ewig mitmachen.
„Ok, dann weiter“, ich raffte mich auf und wollte meine geschundenen Füße wieder in die Schuhe quetschen, als ich es mir anders überlegte. Barfuß gehen würde mir nicht schaden, im Gegenteil.
Also band ich die Schnürsenkel meiner zusammen und hängte sie über meine Schulter.
Damian blickte sich um.
„Was ist los?“
„Um ehrlich zu sein habe ich keine Ahnung, wo wir sind, geschweige denn wie wir nach Hause kommen“, gestand er ratlos.
Zum Glück hatte ich mit so etwas wenig Probleme. Ein bisschen Abenteuer war doch ganz lustig und da es in den Wäldern meines Wissens nach keinerlei gefährlich Tiere gab, war ich ganz entspannt.
„Hast du denn ein Gefühl?“
„Ähm…“, er kratzte sich am Hinterkopf, dann hellte sich sein Gesicht plötzlich auf, „wir können dem Bach folgen, der mündet bestimmt in den See.“
Gesagt, getan.
Während er sich am Ufer des fließenden Gewässers hielt, wattete ich mit nackten Füßen hindurch und hochgekrempelten Hosenbeinen durch das kühle Nass.
Nach einer Weile gesellte sich der Junge zu mir, denn das Gestrüpp am Ufer machte es ihm unmöglich, weiter dort zu gehen.
„Ah“, seufzte er auf, „Wieso habe ich das nicht schon eher gemacht?“
Seine Füße litten wohl auch unter der Belastung; gut, dann fühlte ich mich nicht so unsportlich.
Langsam begann es zu dämmern, als sich plötzlich die glitzernde Oberfläche des Sees in rotorangenes Licht getaucht vor uns auftat. Wir hatten es tatsächlich geschafft.
„Endlich. Meine Füße fühlen sich an, als hätte ich sie schockgefrostet“, entfuhr es mir erleichtert.
Am Anfang war das kühle Wasser ja noch angenehm gewesen, aber mittlerweile hatte ich das Gefühl, meine Füße wären eingefroren.
Damian grinste und ging mit dem Rücken zu mir in die Hocke.
„My Lady, darf ich sie den Rest des Weges tragen?“
Ich grinste.
An meinen letzten Huckepackritt konnte ich mich schon gar nicht mehr erinnern. Kurz fühlte ich etwas Mitleid – schließlich war er ebensoviel gelaufen wie ich und musste auch ziemlich am Ende sein – aber andererseits hatte er es mir ja angeboten und es war auch nur noch ein Katzensprung bis zum Haus.
Also schlang ich meine Arme um seine Schultern und er erhob sich ächzend.
„Fertig? Festhalten.“
Und so wurde ich auf den letzten Metern noch mal ordentlich durchgeschüttelt. Vor dem Haus stürzte mein Bruder auf uns zu.
„Oh mein Gott, Adriana. Ist alles ok mit ihr?“
Vor Schreck ließ Damian meine Beine los und ich rutschte…bis ich mit einem gut hörbaren Klong auf dem Hosenboden landete.
Mein Träger – oder mittlerweile Ex-Träger – starrte mich erschrocken an und fing dann plötzlich schallend an zu lachen. Ich musste ziemlich lustig ausgesehen haben und nun konnte auch ich nicht mehr. Trotz ziemlich schmerzhaften Pochens meines Allerwertesten, kugelte ich mich schließlich auf dem Boden und als ich Ceddies schockiertes Gesicht sah, gab es gar kein Halten mehr. Tränen liefen mir aus den Augen und ich bekam fast keine Luft mehr.
Das stachelte nun seinerseits wieder Damian an, der ebenfalls auf dem Gras angekommen war und den Anschein eines Bekloppten weckte.
Stöhnend rollte ich mich von meinen vier Buchstaben runter auf die Seite und mein Wegbegleiter packte mich unter den Armen, um mich auf die Füße zu stellen.
„Sorry, Ada.“
Ich schüttelte nur beschwichtigend den Kopf, denn mir fehlte der Sauerstoff um zu Antworten.
Ceddie betrachtete uns nur stirnrunzelnd. Anscheinend hatte er gemerkt, dass alles gut war.
„Wir haben schon gedacht, wir müssten Suchtrupps zusammenstellen, um euch zu finden“, äußerte er halb besorgt, halb spöttisch.
„Ach keine Sorge“, Damian schlang einen Arm um meine Schultern, „Wir gehen nicht so schnell verloren, schließlich sind wir ein perfektes Team!“
Nachdem sich alle davon überzeugt hatten, dass es uns gut ging, verschwand ich mit Paris auf ihr Zimmer, was ähnlich eingerichtet war wie meins.
„Und wie war dein Tag?“
Paris begann mit verträumtem Gesichtsausdruck zu erzählen. Anscheinend hatte sie eine Menge Spaß mit den Jungs gehabt und wohl das erste Mal in ihrem Leben so etwas wie Urlaubsfeeling empfunden. Sie war so aufgedreht, dass es ihr schwer fiel, still zu halten, und so hüpfte sie die ganze Zeit auf und ab und gestikulierte wild mit den Armen, um ihren Worten noch mehr Bedeutung zu geben.
Mir war nicht klar, wie man nach einem Tag schwimmen, planschen und Wasserschlachten noch so fit sein konnte; ich war total geschafft nach unserem Spaziergang, wenn auch nicht minder zufrieden.
„…und dann hat Mas- Cedric ihnen gesagt, sie sollten aufhören, mich anzugaffen, wie ein Tier im Zoo“, Paris fuhr sich mit der Hand durch ihre langen, blonden Haare und ein rötlicher Schimmer trat auf ihre Wangen.
„Und? Haben sie auf ihn gehört?“, ich war ernsthaft neugierig, wie mein Bruder seine Jungs im Griff hatte.
„Nun, Seth erstaunlicher Weise schon. Die anderen musste er…handgreiflich davon überzeugen.“
Das war interessant. Ceddie verteidigte Paris also mit vollem Einsatz. War das jetzt nur sein Pflichtgefühl oder vielleicht mehr?
Was mich allerdings zugegebener Maßen noch mehr aufhorchen ließ, war Paris Kommentar über Seth. Er zeigte kein ernsthaftes Interesse an der perfekten Paris – im Bikini wohlgemerkt, flirtete aber mit mir. Irgendwie verlieh das meinem Selbstbewusstsein einen Mega-Boost.
„Was hältst du eigentlich davon, wenn wir unsere kleine Rache heute Nacht vollziehen?“, schlug ich vor und Paris nickte begeistert mit dem Kopf.
„Ja, das ist perfekt. Nach dem anstrengenden Tag heute pennen die bestimmt alle tief und fest.
„Genau. Weißt du eigentlich, wer wo schläft?“
Paris zuckte nur mit den Schultern: „Keine Ahnung. Wir können ja gleich mal dezent fragen, ob sie uns ihre Zimmer zeigen.“
Gesagt, getan. Nach einem leckeren Abendessen, was Paris zauberte, bekamen wir eine Führung von Damian.
„Und hier schlafen Seth und dein Bruder.“
Sie waren also zu zweit in einem Raum untergebracht. Perfekt. Ich musste schwer an mir halten, um nicht los zu kichern und Paris schien ähnliche Probleme zu haben.
Wir verabredeten uns für zwölf Uhr auf ihrem Zimmer…das bedeutete ich hatte noch zwei Stunden zum Schlafen und die gedachte ich auch voll und ganz auszunutzen.
Schließlich riss mich der Handywecker aus meinem wohlverdienten Schlaf und ich war kurz versucht, einfach liegen zu bleiben. Der Gedanke an das Gesicht meines Bruders und seines Freundes trieb mich allerdings aus dem Bett und ich tapste in Boxershorts und Top zu Paris.
Nur mit Mühe konnte ich einen Fluch unterdrücken, als ich mit dem Zeh gegen eine Tür stieß. Verflucht tat das weh! Nach einer gefühlten Ewigkeit hatte ich es endlich geschafft, mich durch die Dunkelheit zu Paris zu tasten.
Diese war schon pikobello fertig und wartete mit schwarzem Edding bewaffnet auf mich.
„Da bist du ja endlich. Los, komm jetzt!“
Ihre Aufgeregtheit steckte mich an, auch, wenn es mich wirklich wunderte, dass sie so Feuer und Flamme war. Irgendwie steckte sie bei mir immer noch in der Rolle des braven (Dienst-) Mädchens.
Ich schnappte mir ein Gläschen mit pinkem Nagellack und folgte ihr barfuß die knarrende Treppe hinunter. So schön wie der Holzbodenbei Tag aussah…er war absolut nicht zum Schleichen geeignet. Es quietschte und ächzte und bei jedem Geräusch zuckten wir beide simultan zusammen.
„Oh man, wir sind echt schlecht“, flüsterte Paris und horchte, ob sich etwas in den Zimmern regte. Zum Glück war das nicht der Fall. Gespenstige Stille hatte sich wieder über das Haus gelegt.
Sie tippelte zur Tür unserer Opfer und drückte behutsam die Klinke hinunter. Vorsichtig öffnete das blonde Mädchen sie und wir quetschten und durch den engen Spalt in den Raum.
„Wo-?“, entfuhr es mir, bevor Paris ihre Hand über meinen Mund schlug.
Ich gestikulierte in Richtung des leeren Bettes: dort, wo sich eigentlich Seth befinden sollte, lagen nur zusammengeknautschte Decken, während Ceddie daneben fröhlich schlummerte.
Mist! Wo war der Mistkerl?
Seinetwegen hatte ich doch das ganze geplant, uns extra mit wasserfestem Kajal, Edding und Nagellack ausgestattet und Paris gebeten, mir mal an ihm als schlafendem Model das Schminken ein wenig zu zeigen…und jetzt war er nicht da?
Zwar war es sicher auch lustig, meinen Bruder etwas zu verunstalten, aber Seth war verdammt nochmal das Hauptziel meiner Rache gewesen.
„Und jetzt?“, flüsterte Paris.
Mein Hirn überschlug sich, was wir jetzt machen könnten.
„Wir probieren's eine andere Nacht nochmal, ok?“, wisperte ich zurück und wir quetschten uns rücklings durch den engen Türspalt. Als Paris diesen schloss, knarrte das Holz laut auf.
Wir erstarrten, als von drinnen ein schläfriges „Hmm?“ zu hören war, bevor wir unisono die Beine in die Hand nahmen und die Treppe hochsprinteten.
Oben angekommen schmiss ich mich neben Paris aufs Bett und versuchte meine Atmung etwas zu beruhigen.
„Meine Güte, wir haben echt Pech“, seufzte meine blonde Kumpanin auf.
„Oder er einfach Glück“, murmelte ich.
Wir quatschten noch eine Weile, aber ich war ziemlich geschafft von der Wanderung und verzog mich wieder auf mein Zimmer.
Dort strahlte wieder der silberne Mond durch das Fenster und ich konnte nicht anders, als den Ausblick zu genießen.
Doch als ich an die Scheibe trat, fiel mir noch etwas ins Auge: ein heller Punkt auf der glitzernden Wasseroberfläche.
Mit angestrengtem Augenzukneifen erkannte ich Seth. Er war also wieder nachts schwimmen und deshalb nicht in seinem Bett.
Widerwillig war ich gefesselt von seinem Anblick, erst Recht, als er kurze Zeit später aus dem See stieg und mein Kopfkino mir Bilder von gestern präsentierte: sein muskulöser Oberkörper, der vom Mond angeschienen feucht glitzerte…
Geschockt von mir selbst, drehte ich mich um und kuschelte mich ins weiche Bett.
Die Erinnerungen wollten allerdings leider nicht so schnell aus meinem Kopf verschwinden.
Am nächsten Morgen weckten mich die warmen Sonnenstrahlen auf meiner Haut; daran könnte ich mich wirklich gewöhnen.
Als ich hinunterging, war noch alles ruhig und ein Blick auf die Uhr sagte mir auch, warum: Es war gerade mal viertel vor sieben; die anderen schliefen noch. Dachte ich zumindest. Doch ich wurde eines besseren belehrt, denn als ich die Küche betrat, empfing mich bereits frischer Kaffeeduft. Ich liebte diesen Geruch, auch wenn ich das Getränk an sich verabscheute.
„Guten Morgen“, begrüßte mich überraschender Weise Ceddie.
„Morgen. Du bist aber früh wach.“
Er nickte: „Ja, irgendwie ist dieses Haus nachts so tierisch laut. Das ganze knarrende Holz macht mich noch verrückt.“
Ich musste schwer an mir halten, um nicht loszulachen, und begann eine Ablenkungstaktik: „Sag mal, gibt’s noch was außer Kaffee?“
„Ja sicher. Soll ich dir einen Kakao machen?“
Das Angebot nahm ich doch dankend an und wartete am Tisch auf ihn. Kurz darauf setzte sich mein Bruder zu mir und stellte eine dampfende Tasse vor mich.
„Dankeschön.“
Wir saßen einen Moment schweigend da, aber das behagte mir gar nicht.
„Wie war dein Tag gestern?“, ich hatte zwar schon Paris Version gehört, aber ein bisschen Small Talk schadete ja nicht und vielleicht hatte er ja noch zwei, drei interessante Dinge u berichten.
„Echt gut. So viel Spaß hatte ich schon lange nicht mehr. Ich war ja erst etwas skeptisch diesem Trip gegenüber, immerhin schreiben wir in zwei Wochen unsere Abschlussklausuren, aber jetzt bin ich total froh darüber, dass ich mich habe überzeugen lassen.“
„Ja, ich auch. Deine Freunde sind wirklich nett.“
„Vor allem Damian?“, er zog bedeutsam die Augenbrauen hoch und ich konnte nicht verhindern, dass ich errötete.
Das gab natürlich einen völlig falschen Eindruck, den ich schnell zu korrigieren versuchte: „Wir verstehen uns gut, also rein freundschaftlich.“
Selbst mir fiel auf, dass es eher schuldig und verdammt unglaubwürdig klang, aber wahrscheinlich würde er alles, was ich sagte, missinterpretierten; also lenkte ich das Gespräche wieder in eine andere Richtung.
„Jetzt erzähl mal von gestern! War das Wasser warm? Gab es da viele Algen?“
Immerhin wusste er ja nicht, dass ich das selbst schon mal getestet hatte.
„Naja, es ist schon noch sehr frisch, aber draußen war es ja ziemlich heiß, da konnte wir uns immer wieder aufwärmen. Algen sind gar nicht da. Am Ufer ist es ein bisschen schlammig, aber das ist ja normal.“
„Und wie war es mit Paris?“
„Och, die anderen waren schon ein bisschen aufdringlich. Es war gut, dass ich dabei war; aber eigentlich ist es ja auch kein Wunder“, ich sah, wie er die Hand zur Faust ballte, „wenn sie da nur in so einem knappen rosa Bikini rumspringt, könnte man ja meinen, sie würde sonst was wollen!“
„Ceddie! Das kannst du so nicht sagen, ich meine Bikinis sind halt einfach nicht dazu gemacht, sehr viel zu verdecken. Das ist doch normal.“
Beinahe trotzig erwiderte er: „Sie hätte ja einen Badeanzug anziehen können!“
Sein Tonfall brachte mich zum Lachen. So kindisch kannte ich ihn ja gar nicht; es war schon ein wenig amüsant, ihn so zu sehen.
„Jetzt krieg dich mal wieder ein. Du weißt, dass das albern ist.“
Er seufzte auf: „Ja, aber ich mag es nicht, wenn andere sie so anstarren, als sei sie ein Stück Fleisch. Immerhin gehört sie zu uns!“
Oh, das war schön zu hören.
„Finde ich auch! Aber sie ist alt genug. Und sie hat einen Freund…da wird sie noch vorsichtiger sein.“
„Apropos Freund. Wer ist der Typ eigentlich?“
„Sie hat ihn im Club kennengelernt…da müsstest du ihn auch gesehen haben.“
„Clubbekanntschaften verheißen selten etwas Gutes“, murmelte er düster, „Sie soll ihn doch mal einladen.“
Oder besser nicht. Ich machte mir gedanklich eine Notiz, Paris vorzuwarnen. Nachher würde mein Bruder Anton noch in einem Eifersuchts-oder-was-auch-immer-Anfall vergraulen.
„Gibt es denn bei dir irgendeine Freundin, von der ich wissen sollte?“, neckte ich Ceddie.
Das machte ihm allerdings wenig aus, denn er zuckte nur mit den Schultern: „Nichts spannendes. Habe im Moment keine Zeit wegen der Prüfungen.“
Ich erinnerte mich an das Mädel zurück, nach dem Paris sein Bett machen musste: „Und was ist mit dieser Tanja?“
„Ach du meinst Tatjana. Nichts Ernstes.“
Damit war für ihn das Thema durch. Paris würde sich sicher freuen zu erfahren, dass mein Bruder derzeit nichts Ernstes pflegte…aber eigentlich hatte sie ja jetzt Anton.
Naja, ich würde es im Hinterkopf behalten, wer weiß, was sich noch so ergeben würde.
Nach und nach kamen auch die Anderen runter und wir deckten den Tisch. Als nur noch meine blonde Freundin fehlte, die sich aber auch nach einiger Zeit nicht blicken ließ, begannen wir zu frühstücken.
Irgendwann öffnete sich die Tür und herein kam eine ziemlich verstrubbelte Paris, die sich krüppelähnlich bewegte und mit Leidensmiene ihre Schulter hielt.
„Mein Gott, was ist denn mit dir los?“, entfuhr es meinem Bruder, bevor auch nur irgendwer sonst etwas sagen konnte.
Sie wollte mit den Schultern zucken, stöhnte allerdings im gleichen Augenblick gequält auf. „Ich habe wohl irgendwie, aua, falsch gelegen diese Nacht oder Zug bekommen.“
Mitleidig blickte ich sie an. Die ersten Nächte auf der Straße – oder eher im Park – hatte mein Rücken auch ziemlich gelitten und ich hatte das erste Mal die Erfahrung gemacht, was richtige Rückenschmerzen waren.
„Soll ich die gleich massieren?“, kam es da plötzlich von meinem Bruder.
Überrascht blickte ihn der ganze Tisch an und Paris stieg die Röte in die Wangen.
„Äh ich weiß nicht, ob-“
„Paris, lass dir die Chance nicht entgehen. Seine Massagen sind einfach traumhaft“, unterbrach ich sie und handelte mir einen überraschten Blick von Ceddie ein.
Natürlich hatte ich keine Ahnung, ob er wirklich so gut war, aber ich konnte mir die Beiden so gut vorstellen.
Zögerlich blickte Paris mich an und ich versuchte, so begeistert wie nur möglich auszusehen. Daran scheiterte ich anscheinend, denn sie wirkte nicht viel überzeugter.
„Du könntest eigentlich auch uns beide massieren, Bruderherz“, kam mir da die rettende Idee.
Der Angesprochene seufzte: „Ja klar, kann ich machen.“
„Oh, bei einer Massagerunde mache ich auch mit“, mischte sich da plötzlich der Junge, dem ich eigentlich aus dem Weg gehen wollte ein, und seine nächsten Worte verursachten eine Gänsehaut bei mir: „Ich habe wirklich göttliche Hände.“
Warum hatte ich das miese Gefühl, dass der letzte Satz ausschließlich mir galt?
Ich wollte ihn nicht angucken, aber irgendetwas zog meinen Blick an wie ein Magnet und schließlich ließ ich mich dazu hinreißen, in seine Richtung zu linsen.
Meine braunen Augen trafen auf grüne und meine Gänsehaut verhundertfachte sich. So ähnlich fühlte sich Paris gerade vielleicht und ich hatte es ihr eingebrockt - nun ja, uns beiden. Ich seufzte auf. Manchmal wäre es vermutlich besser für mich, nicht so impulsiv zu reagieren, sondern erst mal nachzudenken. Aber dafür war es nun zu spät und wir mussten die Suppe gemeinsam auslöffeln.
Eine halbe Stunde später lag ich bäuchlings auf einem Sofa und Ceddie bearbeitete meine Rückenmuskulatur. Paris hatte mir – natürlich ganz uneigennützig – den Vortritt gelassen und saß nun in einem Sessel uns gegenüber.
Nach zehn Minuten beschlossen meine Bruder und ich der Farce ein Ende zu bereiten, damit Paris endlich dran war. Auch wenn ich nichts dagegen gehabt hätte, weiter massiert zu werden, war meine blonde Freundin ja das ursprüngliche Ziel gewesen.
„Jetzt bin ich dran“, meldete sich Seth zu Wort. In mir sträubte sich alles und die Muskeln, die mein Bruder gerade erst gelockert hatte, verspannten sich mit einem Mal wieder.
Auf der anderen Seite stöhnte Paris schmerzhaft auf, als sie versuchte, es sich irgendwie auf dem kleinen Sofa bequem zu machen – was natürlich nicht funktionierte.
„Vielleicht sollten wir in die Küche gehen?“, fragte Ceddie vorsichtig an, „Die Bank da ist lang genug und bequem gepolstert.“
Paris quälte sich also vom Sofa hoch und folgte ihm wortlos.
Nun war ich alleine mit Seth. Mist.
„Kannst du deinen Pulli ausziehen? Der ist beim Massieren im Weg.“
Auch das noch.
„Ähm…ich glaub ich bin schon viel entspannter. Also danke, aber ich…vielleicht ein anderes Mal.“ Oder auch nicht.
Gerade als ich aufstehen wollte, ertönte seine Spöttische Stimme: „Meine Massagen sind wirklich gut.“
„Danke, aber wie gesagt: ich bin schon vollends entspannt, da wäre die total verschwendet.“
„Du wirkst aber nicht so entspannt…“, stichelte er, „Im Gegenteil: ich habe eher den Eindruck du wärst krampfhaft darum bemüht, mir aus dem Weg zu gehen.“
Nun, da hatte er völlig Recht.
„Nein, Quatsch ich-“
„Na komm schon. Die Gelegenheit wirst du vielleicht nie wieder haben und so eine kleines Massage schadet doch niemandem.“
Das würden wir ja noch sehen. Trotz schlechten Gefühls gab ich schließlich nach und legte mich wieder hin.
Vielleicht tat ich es nur, um uns beiden zu beweisen, dass da nichts war.
„Der Pulli?“
Sollte er sich doch zum Teufel scheren! Widerwillig zog ich ihn mir über den Kopf und das auch nur, weil ich darunter noch ein schwarzes Top anhatte.
Dann begann er und ich musste ihm wirklich Recht geben: er war verdammt gut.
Das ich mich nicht wirklich entspannte lag nicht an seiner Technik, sondern eher an dem Prickeln, das seine Hände auf meiner Haut auslösten. Ich wollte diese warmen – beinahe heißen – Schauder nicht fühlen; dieses Kribbeln, was seine Finger überall hinterließen.
Es brachte mich fast um den Verstand, ruhig liegen zu bleiben und mir nichts anmerken zu lassen. Vor allem, weil er nicht die Anstalten machte, aufzuhören, sondern eine Gefühlte Ewigkeit massierte. Irgendwann spürte ich seinen warmen Atem im Nacken und konnte nicht anders, als zusammenzuzucken.
Sein leises Lachen sagte mir, dass er die ganze Zeit gewusst hatte, wie es um meine Gefühlslage stand und es ihm Spaß machte, mich zu reizen. Idiot!
„Ich hab dich gestern Abend vermisst.“
„Hä?“, entfuhr es mir.
„Beim Schwimmen“, flüsterte er, „Ich war die Nach wieder im See.“
Nicht genau wissend, was ich darauf erwidern sollte, schwieg ich.
„Komm heute mit mir. Wenn alle schlafen. Ich warte hier draußen auf dich.“
Damit richtete er sich wieder auf, verließ den Raum und ließ mich völlig konfus zurück.
Oh Gott, womit hatte ich das verdient?
Nachdem ich einen ganzen Tag damit verbracht hatte, darüber nachzudenken, war ich nicht schlauer als vorher. Leider.
Was mich jedoch am meisten an meinem Verstand zweifeln ließ, war sie Tatsache, dass ich mich auf den Weg zum See befand und gerade die unheimlich knarrende Holztreppe hinter mir gelassen hatte. Als ich an die kühle Nachtluft trat, bildete sich eine Gänsehaut bei mir. Vielleicht sollte ich besser wieder umkehren? Klüger wäre es auf jeden Fall…
Leider schien mein Körper auf Autopilot geschaltet zu haben und führte mich geradewegs aufs Wasser zu.
Nein, nein, nein. Ada das ist eine dumme Idee. Dreh um!, flüsterte eine Stimme in meinem Kopf, doch gerade als sie es geschafft hatte, meinen Körper zu überzeugen, machte eine tiefe Stimme hinter mir all ihre Bemühungen zu Nichte: „Schön, dass du gekommen bist.“
Texte: Leonie
Bildmaterialien: Google
Tag der Veröffentlichung: 30.12.2012
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