>Scheiße! Was mach ich denn jetzt?< durchfuhr es mich. Dieses Arschloch! Ich verfluche den Tag, als meine Mum diesen reichen Schnösel kennenlernte.
Das hatte ich nun davon…ich musste mit ihm und seinem Sohn -dem größten Arschloch, dass die Welt je gesehen hatte- unter einem Dach leben. Nun ja, zugegeben unter einem ziemlich großen Dach, das mir mein eigenes Badezimmer bot…und er, also der Freund, nein, mittlerweile Verlobte, meiner Mum war auch gar nicht so übel, aber all das entschädigte kaum für Alec, das Arschloch. Meinen Stiefbruder. Den Obermacho unsere Schule.
So charmant er zu den Mädchen war, die er ins Bett bekommen wollte, so überheblich und kalt war er zu allen Verflossenen und natürlich den Outsidern wie mir.
Outsider so nannten sie, die In-Clique, Leute, die weder durch gutes Aussehen noch durch Daddys prallen Geldbeutel hervorstachen.
Nicht, dass ich gerne zu der In-Clique gehören würde, nein, aber manchmal hegte ich schon den Wunsch nicht immer jedermanns Fußabtreter zu sein. War das etwa zu viel verlangt?
Auch der Umzug in die Villa hatte daran nichts geändert, im Gegenteil:
Die Mädchen waren eifersüchtig (warum auch immer, schließlich hatte mein Stiefbruder noch nie Interesse an mir geäußert…dafür sah ich nicht gut genug aus) und die Jungs zogen Alec damit auf, dass er nun mit einem unbeliebten Freak –wie ich mich betiteln durfte- unter einem Dach leben musste.
Das wollte Mr. Obermacho natürlich nicht so auf sich sitzen lassen und dankte es mir, indem er keine Gelegenheit ausließ, mich schlecht zu machen und zu schikanieren.
So wie jetzt gerade auch wieder…
Eigentlich hätte er mich laut seinem Vater mit in die Schule nehmen sollen…er hatte mit seinen 18 Jahren schließlich schon Führerschein und Auto, während ich noch 2 Jahre warten musste. Aber Arschloch war einfach gefahren und hatte mich vor der Haustür stehen lassen. Mum arbeitete, ebenso wie ihr Verlobter und für den Bus war es zu spät.
>Also laufen< resignierte ich. Super! Eine halbe Stunde Fußmarsch, zu spät kommen, blöd angemacht werden. Konnte ein Tag besser starten?
Naja wenigstens war das Arschloch nicht in meiner Klasse sondern zwei Stufen über mir, so würde ich ihm erst wieder in der Pause oder aber wenn ich Pech hatte früher in den Gängen begegnen.
Wie erwartet kam ich viel zu spät und wollte mich gerade durch die Gänge auf den Weg zum Klassenraum machen, als ich schnelle Schritte hinter mir hörte. Unwillkürlich beschleunigte ich ebenfalls…schnelle Schritte hinter mir bedeuteten selten etwas Gutes.
„Hey, bleib stehen!“ ertönte es prompt hinter mir.
>Hm…kannte ich die Stimme?< Egal. Besser weg hier.
Doch aus diesem Plan wurde nichts:
Eine Hand legte sich auf meine Schulter und bremste mich ruckartig, so dass ich nach hinten kippte.
>Na super!< schoss es mir durch den Kopf, bevor ich plötzlich aufgefangen wurde.
„Was…?“ entfuhr es mir. Das passte nicht in das übliche Konzept.
Normalerweise hätten sie, meine Peiniger –so nannte ich sie manchmal in theatralischen Anwandlungen- mich fallenlassen.
„Sorry, ich wollte dich nicht erschrecken, aber ich könnte echt Hilfe gebrauchen.“
Ich drehte mich zu meinem Verfolger/Retter um. >Wow< dachte ich. Scheiße sah der gut aus. Bevor ich nichts Ordentliches herausbekäme, hob ich lediglich die Augenbraue.
„Ähm…ich bin neu hier und hab nur einen komischen Stundenplan bekommen, so dass ich nicht die geringste Ahnung habe, wo ich jetzt hin muss. Ich bin Chris.“
Mein zum Glück meist pragmatisch denkendes Hirn rettete mich vor der Wortlosigkeit und so reichte ich ihm meine Hand „Lana. Kein Problem. Zeig mal her!“
Er ergriff sie, schüttelte sie aber nicht, wie erwartet, sondern hauchte einen Kuss darauf.
Ich prustete los, woraufhin er mich nur fragend ansah.
„Gott Chris! Wir leben im 21. Jahrhundert. Da reicht es eine dargebotene Hand zu schütteln, du musst sie nicht küssen!“ lachte ich.
„Och, ich weiß, aber manche alte Sitten sollte man unbedingt aufrecht erhalten.“ Antwortete er grinsend und gab mir den Plan.
Nach einem kurzen Blick hatte ich festgestellt, wo er hinmusste.
„Na wenn du meinst. Komm mit, du bist in meiner Klasse.“
„Wie schön, dann kenne ich schon jemanden.“ Freute er sich.
„Glaub mir, da hättest du es für den Anfang kaum besser treffen können, du solltest dich nicht zu viel mit mir blicken lassen.“ Warnte ich ihn spöttisch.
„Wieso?“ spottete er „Angst um deinen Ruf?“
„Wohl kaum, der könnte schlechter kaum werden. Ich will nur nicht, dass du meinetwegen ausgeschlossen wirst.“
„Ich suche mir meine Freunde selbst…und du bist potenzielle Kandidatin. Herzlichen Glückwunsch!“
„Na da fühl’ ich mich aber geehrt, willst du meine Hand noch mal küssen?“
„Zweimal bringt Unglück hab’ ich gehört.“ er grinste. „Aber davon mal abgesehen, meinst du, dass ich in das typische Bild der In-Cliquen passe?“
Langsam musterte ich ihn von oben bis unten. Kinnlange, schwarz (gefärbte?) Haare, jeweils ein Piercing in Augenbraue und Unterlippe. Graue Augen in denen der Schalk funkelte und ein muskulöser Oberkörper, der sich unter dem schwarzen Shirt abzeichnete…Moment mal! Hatte er etwas auch gepiercte Brustwarzen? Sein Gesicht wäre ohne die Piercings wohl als klassisch schön durchgegangen. Mein Urteil: absolut heiß…wenn man auf die bösen Jungs stand.
„Wer weiß, seit Ian Somerhalder als Damon stehen viele Girls auf Bad Boys“ antwortete ich schließlich.
„Ui. Danke für das Kompliment. Du siehst aber selbst auch su…“
„Ich weiß wie ich aussehe“ unterbrach ich ihn. Er sollte mir nicht schmeicheln, nur weil ich ihn gelobt hatte…das hatte so einen erbärmlichen Touch. „Komm jetzt. Du bist meine perfekte Ausrede fürs zu spät kommen.“
„An meinem ersten Tag schon schamlos ausgenutzt.“ Er seufzte tief.
Ich grinste und trat ohne zu klopfen ins Klassenzimmer.
„Ich bitte um Verzeihung, Frau Marek, aber ich habe Chris auf dem Weg aufgegabelt. Er ist neu hier.“
„Ähm…ok Elana. Setz dich.“
Ich schlurfte auf meinen Platz in der hintersten Ecke des Klassenraums und ließ mich auf meinen Stuhl fallen.
Chris hatte sich wohl inzwischen vorgestellt und ich hörte Frau Marek nur sagen „Gut, dann nimm doch bitte neben Elana Platz, ihr kennt euch ja schon.“
Ich grinste ihm entgegen „Mach dich bereit auf die spannendsten 90 Minuten deines Lebens“
>Uff… Pause< wie versprochen war der Unterricht todlangweilig gewesen. Aber egal. Die Pause war immer schlimm, denn dann war sie das beste Ziel für den Spot und die Langeweile der Reichen und Schönen.
„Auf geht’s. Endlich aus diesem Schülerknast hier raus.“ Strahlte Chris sie an.
„Ja, ja. Ganz super.“
„Was ist denn los? Klingst ja nicht so begeistert…“
„Wie schon gesagt, mein Ruf… macht es mir gelinde gesagt nicht einfach auf der Schule.“
„Ach das wird schon nicht so schlimm werden. Ich bin ja bei dir.“
>Gott! Immer diese hoffnungslosen Optimisten< das passte gar nicht zu seinem düsteren Auftreten.
Gemeinsam gingen wir auf den Schulhof. Die Frühlingssonne schenkte uns wenigstens ein bisschen Wärme und so chillten wir uns unter ein paar Bäume an den Rand des Schulhofs.
Knapp 10 Minuten blieben wir ungestört. Ich reckte mein Gesicht dem wärmenden Strahlen entgegen und Chris erzählte mir ein bisschen von sich. Plötzlich schattete es und ich öffnete die Augen. Was ich erblickte ließ mich seufzen.
>Warum war mir klar, dass ich nicht eine Pause ungestört sein kann< dachte ich traurig.
„Na du Freak. Hast du endlich mal jemanden gefunden, der sich mit dir beschäftigt? Und dann auch noch einer vom anderen Geschlecht. Ich muss schon sagen, ich bin beeindruckt.“
Ertönte Arschlochs Stimme.
Wortlos senkte ich den Blick. Sprechen brächte eh nichts, außer vielleicht einen Schubser oder Schlag. So viel hatte ich schon gelernt. Also hielt ich die Klappe und malträtierte lieber meine Lippe, um die aufkeimende Wut zu unterdrücken.
„Sieh mich an, wenn ich mit dir rede!“ aggressive kam er näher.
Verdammt! Warum schüchterte er mich auch so ein?
>Vielleicht weil er riesig ist breite Schultern hat und immer diesen Killerblick?< beantwortete ich mir selbst die Frage.
„Lass sie in Ruhe!“ kam es da von meinem neu erworbenen Freund.
Ruhig trat er hinter mich und…ich fasse es nicht! Er legte mir den Arm um die Taille und zog mich schützend an sich.
„Sieh an. Der mutige Prinz. Lass mich dir einen gut gemeinten Rat geben: Gib dich besser nicht mit ihr ab. Abschaum färbt ab!“ abfällig schnaubte das Arschloch.
Ich atmete einmal tief ein und wollte mich von Chris lösen, um ihm den Weg freizugeben.
„Nichts da. Ich bleib bei dir.“ Flüsterte er mir ins Ohr meine Absicht erahnend. Dann wandte er sich wieder meinem Peiniger zu.
„Danke für diesen Rat. Lass mich dir doch auch einen geben“ seine Stimme wurde schneiden „Lass sie in Ruhe, wenn du dich nicht mit mir anlegen willst. Und glaub mir, das würde ich dir wärmstens empfehlen!“
Damit ließ er mich los und nahm stattdessen meine Hand, um mich an Alec und seiner Clique, die hinter ihm stand, vorbei zu ziehen. Erst als wir das Schulgebäude erreichten, ließ er mich los.
„Magst du mir erklären, wer zum Teufel das ist?“
„Alec!“
Mit hochgezogener Braue sah er mich an „Geht’s auch was konkreter?“
Ich schloss einmal die Augen und verzog den Mund „Er ist mein Stiefbruder.“
„Was?!“
„Hmm…Super oder? So kann ich mich noch nicht einmal von ihm fernhalten.“
„Warum behandelt er dich so?“
„Weil ich ein Outsider bin. Schon bevor ich zur ’Familie’ gehörte, mochte mich niemand. Ich bin anders als sie. Langweiler eben. Nun, dass sein Vater gerade meine Mutter kennen und lieben lernen musste, findet er ebenso scheiße wie ich. Ich bin sozusagen der Fleck auf der Familienehre.“
„Und warum um Himmels willen lässt du dich von ihm behandeln wie ein Stück Dreck? Warum stehst du so stumm da und sagst nichts.“
Dachte er wirklich ich fand es super so behandelt zu werden? Trocken lachte ich auf „Oh glaub mir. Mund halten ist sehr viel angenehmer als sich verteidigen!“
„Soll das heißen, dass er handgreiflich wird?“ entsetzt sah er mich an.
Ich schnaubte „Nicht richtig. Also nicht schlimm. Ich hab 2 Mal eine Ohrfeige bekommen, sie haben mir Beinchen gestellt oder mich auf den Boden geschubst. Könnte wahrscheinlich schlimmer sein…“
„…aber auch besser.“ vervollständigte er meinen Satz.
„Jop, genau. Sag mal hast du Lust, heute zu mir zu kommen?“
Ich hielt die Luft an. Was war in mich gefahren? Ich kannte ihn noch keine fünf Stunden.
„Klar gerne. Direkt nach der Schule?“
„Du musst doch sicher erst deinen Eltern bescheid sagen, nicht, dass sie sich Sorgen machen.“
„Ich wohne alleine. Bin schon 18.“
Erstaunt musterte ich ihn. „Glückspilz“ murmelte ich. „Aber klar, dann komm direkt mit zu mir. Oh, es hat geklingelt. Lass und zu Chemie gehen.“
Wow. Ich hatte jemanden gefunden, der mich nicht verabscheute und fertig machte. Mal gucken, was sich daraus noch entwickelt...
„Mum?“ rief ich in den Flur hinein und zog Chris hinter mir her.
„Ich hab jemanden mitgebracht!“
„Das freut mich, Süße, kommt ihr in die Küche? Essen! Ist Alec auch schon da?“
„Komm mit.“ Wandte ich mich an den etwas verloren dastehenden Chris. „Mum wird dich mögen. Wie sie immer sagt >Deine Freunde sind auch meine Freunde< und da ich noch nie viele Freunde hatte…umso mehr“
„Mum, das ist Chris. Chris das ist meine Mum.“
„Freut mich, Sie kennenzulernen.“ Höflich nahm er ihre gereichte Hand und grinste mich an.
Ich warf ihm hinter Mums Rücken einen flehenden Blick zu und formte stumm die Worte „Bitte nicht küssen“. Ob es nun an meinem Dackelblick lag oder an seinem Respekt vor meiner Mutter, diesmal beließ er es bei einem Händedruck.
„Nenn mich doch bitte Elisabeth.“
„Wie sie wünschen, Madame.“ So ein Schuft, er konnte es nicht lassen! Doch Mum lachte nur und wandte sich wieder mir zu „Kommt Alec denn noch oder nicht?“
„Ich glaube er wollte noch ’pumpen’ gehen“ meinte ich abfällig, was sie mit einem Seufzer quittierte.
„Auch gut. Macht es euch gemütlich. Chris? Ich hoffe du hast nichts gegen vegetarischen Nudelauflauf.“
„Ganz und gar nicht. Meine Güte, wann wurde ich das letzte Mal bekocht?“
„Na dann genieß es.“ Damit ließ sie uns alleine.
„Na wenigstens einer kann kochen in diesem Haus“ lachte ich und begann den Tisch zu decken.
„Lass mich dir helfen.“
„Nein, nein. Setz dich nur. Ich schaff das schon.“
„Wie meinst du das mit dem Kochen?“
„Naja, Ralf, also ihr Verlobter, ist eine Niete im Kochen…ebenso wie ich. Noch nicht einmal Pfannkuchen bekomme ich hin. Und ehrlich gesagt bezweifele ich, dass Alec schon einmal am Herd stand. Gäbe es meine Mutter nicht, würden wir wahrscheinlich verhungern…oder uns gegenseitig mit Essen vergiften.“ Ich grinste.
„Tja wenn man alleine wohnt, lernt man wohl oder übel das Kochen.“
„Da ist was dran. Bitteschön.“ Ich reichte ihm den Teller und setzte mich mit meinem.
„Guten Appetit“
Schweigend aßen wir.
„Schmeckt’s?“ meine Mutter steckte ihren Kopf durch die Tür. Im Gegensatz zu mir hatte sie lange, blonde Haare, zu einem Pferdeschwanz hochgebunden. Meine waren dunkelrot gefärbt, schulterlang und sahen irgendwie immer zottelig aus.
„Ja, das ist total lecker!“ lobte Chris.
Mama grinste wie ein Honigkuchenpferd „Freut mich. Nicht jeder isst gerne vegetarisch.“ Sie sah mich verschwörerisch an und verschwand dann wieder.
„Weißt du, Ralf und vor allem Alec hassen vegetarisches Essen. Aber seit wir hier wohnen und Mama den Kochlöffel schwingt gibt’s das öfter…sehr zum Leidwesen der beiden.“
„Ich finde es gut. Ist doch lecker. Bist du denn Vegetarierin?“
„Ja, zu 100%. Der Tiere wegen.“
Er lächelte mich an. Meine Güte war er süß.
„Lass uns nach oben gehen, ich zeig dir mein Zimmer.“
Dort angekommen, blieb er stehen.
„Woah…ich meine wow…ist das groß!“
„Ja, hat doch einen Vorteil, hier zu wohnen. Mein altes Zimmer war ganz klein…aber da hatte ich eine Schräge vom Dachboden, das war kuschelig.“
„Och dein jetziges Bett ist aber auch kuschelig“ er wackelte mit den Brauen.
„Ich weiß.“ Grinste ich und ließ mich auf mein riesiges Himmelbett fallen. Provokant sah ich ihn an. „Na, was ist.“
Chris lachte und setzte sich neben mich.
„Frageroulett?“
Verwirrt sah ich an. „Was ist das?“
„Abwechselnd Fragen stellen. Wenn du antwortest muss ich auf deine nächste Frage auch antworten…ok?“
„Einverstanden, ich habe nichts zu verbergen…“
„Gut dann fange ich an. Wie lange wohnst du schon hier?“
„Wir sind vor einem halben Jahr hier eingezogen. Wie lange wohnst du schon alleine?“
„Hmm…“ er holte tief Luft „Seit etwas über einem Jahr. Was ist deine Lieblingsfarbe?“ „Schwarz. Warum wohnst du alleine?“
„Können wir die Antwort vertagen?“ Bittend sah er mich an.
„Ausnahmsweise…weil du es bist. Was ist dein Lieblingsessen?“
„Warum fragst du mich nicht nach meiner Farbe?“
„Antworte, dann antworte ich dir.“
„Hmm…der Nudelauflauf deiner Mutter“
Ich lachte „Schleimer. Weil ich davon ausgehe, dass schwarz auch deine Lieblingsfarbe ist. Du bist dran.“
Neckisch sah er mich an „Denkst du…warst du schon mal mit einem Jungen zusammen?“
„Du hast die Aktion in der Schule doch mitbekommen! Und sieh mich an. Meinst du wirklich, dass mich irgendwer so will?“
„Ja. Schätzchen, sieh du dich an.“ Er nahm mich bei der Hand und führte mich vor meinen riesigen Spiegel. Dann stellte er sich hinter mich.
„Ich sehe mich an.“
„Sieh noch mal hin und sag mir, was du mit der Bemerkung eben meintest!“
>Oh Gott ist das peinlich!< warum musste er mich so quälen?
Ich schloss die Augen und senkte automatisch den Kopf.
„Meine Haare sind eine Katastrophe, wie ein Vogelnest! Mein Bauch ist zu fett, meine Beine zu dick. Meine Nase ist…komisch und…“ ich stoppte als er lachte.
„Du siehst dich noch nicht mal an, sondern stehst da mit geschlossenen Augen und rasselst irgendwelche Klischees runter. Jetzt sieh noch mal in den Spiegel. Kopf hoch! Ja so ist’s gut!“
„Und?“ fragte ich zaghaft.
„Deine Augen…“
„Ich mag sie. Ich mag meine Augen.“ Murmelte ich.
„Siehst du. Sie sind schön. Warm, braun und so voller Leben. Weiter! Deine Wangen…“
„Ich mag sie? Ich habe hohe Wangenknochen.“
„Nicht so schüchtern. Weiter.“
„Meine Lippen. Ich mag sie. Sie sind voll und sinnlich!“
„Genau. Und du findest noch etwas na los!“ ermutigte er mich.
„Meine…“ ich wurde rot „Meine Brüste. Ich mag sie, sie sind genau richtig.“
„Na siehst du! Wenn du dich immer nur auf die nicht so perfekten Dinge konzentrierst, werden sie nur noch schlimmer und du vergisst darüber die perfekten Sachen. Ich sag dir mal was Süße. Selbstbewusstsein ist genau der Ausgleich dazwischen. Die Waage deiner Wahrnehmung von Dingen, die du kannst und besitzt aber auch dem Bewusstsein der Negativen Seiten. Überwiegt ersteres bist du arrogant und machst die anderen damit fertig. Aber wenn, wie bei dir, letzteres überwiegt, so machst du dich selbst fertig. Also Kopf hoch, tief einatmen und ein Gleichgewicht schaffen.“
Ich nahm mir seine Worte zu herzen und straffte meine Schulter.
„Na bitte. Jetzt fehlt nur noch das Lächeln.“
Ich sah in den Spiegel, sah mein Ebenbild, wie es mir entgegen lachte und sah die Veränderung. Sie war nicht körperlich, aber irgendwie da.
Chris stand grinsend hinter mir.
„So jetzt wo das geschafft ist, machen wir weiter.“ Damit führte er mich wieder zum Bett, wo wir uns setzten.
„Wer war dran?“ fragte ich.
„Keine Ahnung…aber ich mach einfach weiter.“
„Ist dein Bruder vergeben?“ „Mein Stiefbruder! Ähm…nicht das ich wüsste…also zumindest hat er hier niemanden vorgestellt. Aber eigentlich hat er immer eine am Start.“
„Hmm…“
„Warte mal! Wieso fragst du mich das eigentlich?“
„Öhm…weil dein Bruder verdammt heiß ist?!“
>Bitte WAS?!< hatte ich mich gerade verhört?
Mit offenem Mund starrte ich ihn an.
„Sorry…hät’s dir vielleicht etwas schonender beibringen sollen.“
„Du bist SCHWUL.“ Schrie ich ihn beinahe an.
„Jetzt komm’ mal runter! Ist ja nicht so, als ob das eine Krankheit wär’!“
Ich seufzte tief „Lass mir einen Moment Zeit ok?“
Mein Kopf versuchte gerade das ganze Chaos zu ordnen. Scheiße noch mal!
Da traf ich gerade mal einen Jungen, der verdammt gut aussah, nett war und (als ob das nicht zu schön gewesen wäre) sich auch noch für mich interessierte…und dann war er schwul?! Gott! So ein Pech musste man erst einmal haben.
„Tut mir leid.“ Sagte ich zerknirscht „Meine Reaktion war wohl nicht so super.“
„Schon ok.“ Meinte er versöhnlich. „Weißt du, meine Eltern haben damals viel schlimmer reagiert.“ „Sie haben aber nicht das getan, was ich denke, was sie getan haben?“
„Wenn du meinst, dass sie mich rausgeschmissen haben und nichts mehr mit mir zu tun haben wollten…doch, genau das haben sie getan.“
Ich war entsetzt „Oh mein Gott. Wie konnten sie nur?“
„Wir standen uns nie besonders nah. Sie waren…sind ziemliche Spießer und kamen mit mir nicht klar. Ich halte nun mal nichts davon immer in Reih’ und Glied zu stehen.“
„Sieht man!“ lachte ich.
„Themenwechsel, ok?“
„Ja, hat ja auch seine Vorteile einen schwulen Freund zu haben.“
„Denk aber nicht, dass ich jetzt mit dir shoppen gehe und so weiter! Das ist albernes Schwulengetue, was sicher nur auf einen Teil unserer „Spezies“ zutrifft.“
Ich musste grinsen. „Gut, kein shoppen. Aber bei dir kann ich mich dann ausheulen, wenn ich mal Liebeskummer habe.“
„Klar kannst du machen. Was ist los?“ fragend sah er mich an, da ich wohl grade puterrot geworden war.
>Scheiße das konnte ich doch nichts fragen. Oder…?“ und schon sprudelte es aus mir heraus.
„Du…ähm…hast du denn schon mal was mit einem Mädchen gehabt?“
Er grinste mich fett an „Oh Schatz. Schon mit mehr als ich zählen konnte. Aber mit Jungs ist das einfach was anderes.“
„Es besteht also nicht die Hoffnung, dass du noch mal das Ufer wechselst?“ ich konnte nicht anders, als ihn hoffnungsvoll anzusehen.
„Sorry Süße, aber daraus wird nichts.“
Zum wiederholten Male seit Beginn unsere Unterhaltung seufzte ich.
„Och sei nicht enttäuscht, ein so tolles Mädel wie du wird früher oder später schon jemanden finden.“ „Aber ich will nicht warten! Alle aus meiner Stufe haben schon einen Jungen geküsst, die meisten haben schon mehr gemacht. Mich gucken sie noch nicht einmal an, da fühl’ ich mich ja schon wie eine alte Jungfer.“
„Och wenn's nur das ist. Küssen kann ich dich auch.“ Er grinste und rückte näher.
Verlegen biss ich mir auf die Lippe und war mir nur zu sehr der Wärme bewusst, die er ausstrahlte. Seine grauen Augen funkelten mich an, herausfordernd, aber auch neugierig.
Ich wollte ein Stück abrücken, doch seine Hand hinderte mich daran. Er schlang seinen Arm um meine Taille und zog mich zu sich heran.
„Nicht schüchtern sein. Denk drüber nach. Du hättest die Chance einen Jungen zu küssen, das wolltest du doch schön länger. Noch dazu einen Kussprofi, wenn ich das so sagen darf.“ Das ließ mich grinsen „Ja ne ist klar. Aber ich wollte immer, dass mein erster Kuss etwas Besonderes wird.“
„Meinst du nicht, dass das etwas sehr Besonderes ist gerade?“
Verdammt auf die Gelegenheit hatte ich schon so lange gewartet, aber war es wirklich richtig?
Scheiß auf das Gewissen, mein Körper schien zu sagen ‚Volle Kraft voraus!’
Also senkte ich nur den Kopf und nickte leicht.
„Gute Entscheidung, Süße.“
Er hob sanft mein Kinn an. Und sah mir in die Augen. Unfähig den Blick abzuwenden, starrte ich sein schönes Gesicht an.
Chris beugte sich vor und legte seine Lippen langsam auf meine. Es war ein schönes Gefühl. Sie waren warm und weich und schließlich entspannte ich mich, was ihn dazu ermunterte, mich in eine feste Umarmung zu ziehen, ohne unseren beinahe noch keuschen Kuss zu lösen.
Nach einer Zeit übte er mehr Druck aus. Ich spürte sein Piercing, aber es war nicht störend, nein. Seine Zunge strich nun leicht über meine Lippen, die ich nun für ihn öffnete. Behutsam nahm er nun meinen Mund gefangen, ließ mir Zeit.
Als meine Zunge schließlich mit seiner spielte, wurde er stürmischer. Zügelte sich jedoch dann und ließ von mir ab.
„Wow, du scheinst Talent zu haben.“
Ich strahlte ihn an „Wirklich?“
„Na wenn ich 's doch sage.“ Er grinste, seine Arme lagen weiter um meine Taille.
Glücklich drehte ich mich in der Umarmung und lehnte mich mit dem Rücken an ihn.
Es war ein tolles Gefühl von Geborgenheit. Nichts stand zwischen uns. Aber ich war nicht verliebt. Das glaubte -beziehungsweise hoffte- ich zumindest. Aber ich glaube, dann wäre da noch mehr gewesen, noch mehr als dieses schöne Gefühl. Vielleicht war ich auch nur eine hoffnungslose Romantikerin, aber ich wartete auf ein explosives Feuerwerk.
„Ich glaube damit kann ich gut leben. Einem schwulen, besten Freund mit Sonderbonus:“
„Sonderbonus? Noch besser als ein normaler Bonus? Na da kann ich mich glücklich schätzen. Aber ich glaube, da muss ich dich verkuppeln, nicht dass du dir zu viel Hoffnung machst! Meine Spezies sind und bleiben die Jungs.“ Ich lächelte „Ja ich glaube das ist in Ordnung für mich. Ganz in Ordnung. Würdest du mich trotzdem noch mal küssen? Nur so zur Sicherheit, damit ich auch weiß, dass ich 's kann?“
„Für meine kleine, jungfräuliche Süße tue ich doch fast alles.“ Und er drehte mich wieder um, sodass ich rücklings auf dem Bett lag und er über mir stemmte.
Erneut bewegten sich seine Lippen auf meine zu und erneut fing mich seine geborgene Wärme ein. Diesmal küsste er mich leidenschaftlicher. Unsere Zungen tanzten, mit einer Hand strich er mir über die Wange. Meine wanderten zu seinem Rücken und begannen dort auf und ab zu fahren.
Ich schmiegte mich an in und er lächelte in unseren Kuss hinein.
Plötzlich hörte ich nur ein lautes Krachen. Langsam löste sich Chris von mir und richtete sich in eine Sitzposition auf. „Freak!“ Ertönte es, gefolgt von einem undefinierbaren Laut.
„Was…?! WAS MACHT IHR DA?“ brüllte mein Stiefbruder.
Ups. Das war eine verdammt peinliche Situation. Ich könnte schwören, dass ich rot wurde, doch bevor ich anfing irgendein wirres Zeug zu reden, sah ich wie Chris mir verschwörerisch zuzwinkerte und sich dann dreckig grinsend umwandte.
„Na wonach sah das denn deiner Meinung aus?“
„Aber…aber sie. Du. Erst heute kennengelernt. Knutschen. Was?“ er hatte sich immer noch nicht gefangen.
„Was auch immer du gerade sagen wolltest, du störst! Hättest du die Güte uns jetzt wieder alleine zulassen. Ich habe Zuschauer nicht so gerne.“
Alec funkelte ihn an, drehte sich dann aber gehorsam um und ging langsam die paar Schritte zurück. Mit einem lauten Knall schloss er die Tür und man hörte nur noch ein paar Flüche.
„Oh Gott! Was denkt er jetzt bloß von mir? Das gibt bestimmt noch mehr Gerede.“ Seufzte ich.
„Ach und wenn schon. Man, aber er sieht zu gut aus. Sein Arsch…“
„Oh bitte Chris! Er ist ein Arschloch!“
„Na und? Halt ein verdammt heißes Arschloch. Und vielleicht ist er ja gar nicht so schlimm.“
Ich zog eine Braue hoch „Vielleicht…vielleicht aber doch!“
„Das könnte natürlich sein.“ Räumte er ein. „Er steht denke ich eh nicht auf Jungs. Dafür habe ich ein Gespür.“
„Na wenn du meinst“ ich gähnte. „Ich bin müde.“
„Ich auch, lass uns schlafen.“
Und so rollten wir uns nebeneinander auf meinem Doppelbett zusammen.
Ich erwachte zwei Stunden später, wie ich mit einem Blick auf meine „Ohne dich ist alles doof“-Uhr feststellen konnte. Ausgiebig reckte ich mich und blickte dann den schlafenden Chris an. Seine Haare waren verwuschelt, sein Gesichtsausdruck entspannt. Ich beschloss ihn noch schlafen zu lassen und widmete mich einem Buch.
Kurze Zeit später fühlte ich eine Bewegung neben mir und sah den Jungen langsam die Augen öffnen. „Wow so gut habe ich schon lange nicht mehr geschlafen.“ „Lag bestimmt an mir.“ Witzelte ich.
„Kann schon sein. Sag mal hast du Lust am Wochenende zu mir zu kommen? Freitag feiert ein Kumpel ne Party, du könntest mit und danach mit zu mir?“
„Willst du dort niemanden abschleppen?“
„Nein!“ empört sah er mich an. „Nur Heteros. Außerdem bin ich was so was angeht nicht so schnell.“
„Und was war das dann für eine Aktion eben?“
„Nimm’s mir nicht übel, aber das war eine gute Tat für eine Freundin.“
Ich knuffte ihm in die Seite.
„Also möchtest du jetzt mit? Vielleicht lernst du jemanden kennen? Und Samstag bring ich dir sogar Frühstück ins Bett.“
Ich musste lachen. „Na wenn das sooo ist…gerne. Muss aber erst noch fragen.“
„Ok. Ich glaub ich mach mich mal auf den Weg nach Hause. Es ist schon spät.“
„Ich bring dich zur Tür.“
Schweigend gingen wir zur Tür. Zum Abschied umarmte er mich fest. Er war der erste Junge, der das so tat. „Bis morgen, Süße. Denk dran: Nicht unterkriegen lassen und selbstbewusst sein!“
Lächelnd blickte ich ihm nach.
„Na, kein Abschiedkuss von deinem Lover.“
Ich wirbele herum. Wer außer meinem Stiefbruder hätte es schon sein können?
„Was willst du?“ fragte ich genervt.
Er musterte mich abschätzend von oben bis unten.
„Guck doch mal in den Spiegel! Du siehst ziemlich durchgefickt aus!“
Mit offenem Mund starrte ich ihn an. Was sollte das denn jetzt?
Ich wollte an ihm vorbei gehen, doch er presste mich gegen die Wand. Seine grünen Augen funkelten. Oh oh! So nahe waren wir uns noch nie gekommen. Ähnlich wie Chris strahlte auch er Wärme aus. Aber sie war noch intensiver, heiß. Anders konnte man es nicht sagen. Wieder drohte er mich einzuschüchtern durch seine pure Erscheinung, doch ich erinnerte mich ’Nicht unterkriegen lassen, selbstbewusst sein!’
„Na und? Was geht dich das bitteschön an?“
„Ähm…du bist meine Stiefschwester! Und jetzt nicht nur Freak sondern auch noch Schlampe“
„Na da solltest du doch froh sein! Du lässt doch kein gutes Haar an mir und jetzt lass mich verdammt noch mal in Ruhe!“
„Du kleines Miststück! Na warte.“ Mit dieser Drohung ließ er mich tatsächlich gehen und ich huschte schnell zurück in mein Zimmer. Kaum hatte ich meine Tür geschlossen hörte ich die Klingel.
Scheiße. Meine Mum und Ralf waren nicht zu Hause, also konnten es nur Alecs bekloppte Freunde sein. Hoffentlich ließen sie mich in Ruhe.
Ich legte mich aufs Bett und hörte leise Musik. Billy Idol – Rebel Yell.
Von dieser Musik konnte man ja nichts anderes als gute Laune bekommen. Nicht lange und ich tanzte durchs Zimmer. Als ich das Lied zum gefühlten 500.Mal hörte, holte ich mir etwas zu essen. Immer noch tanzend spazierte ich durch die große Villa in die Küche und holte mir eine Banane. Auf dem Rückweg war es dann so weit: mein Pech war zurück und ich traf auf Alec und zwei seiner Freunde. Zunächst bemerkte ich sie nicht. Zu sehr war ich auf die Musik konzentriert.
„Sieh mal da ist der Freak!“ rief schließlich jemand hinter mir.
In meinen Tanzbewegungen (oder sollte ich besser sagen ’Rumgehüpfe’) wirbelte ich herum und sah die drei hinter mir stehen. Drei riesige, breite Schränke.
Innerlich zitterte ich doch wie mein neues Motto? Richtig! ’Nicht unterkriegen lassen, selbstbewusst sein!’
„Und neuerdings auch noch Schlampe.“ Fügte das Arschloch abfällig hinzu.
„Haha. Wieso? Hat sie sich befriedigt.“ Sein bekloppter Freund lachte.
„Ne das hat dieser neue Typ für die übernommen.“
„Echt?! Ist ja krass! Diesen Freak rührt jemand freiwillig an?“
„Tja, wahrscheinlich hat sie ihn angebettelt. Aber so billig sieht er ja auch aus.“
Das ging nun wirklich zu weit. Ganz ruhig Lana. Aufregen bringt dich nicht weiter. Was würde ein cooles Mädchen jetzt machen? Hmm…keine Ahnung schließlich war ich nicht cool
Naja. Eines konnte ja gar nicht falsch sein: Der gute, alte Mittelfinger. Dazu noch ein provokanter Blick und ein lässiges Umdrehen. Dann schlenderte ich, immer noch im Takt der Musik wippend, in mein Zimmer. Schnell schloss ich die Türe und lehnte mich dagegen.
Puh! Ich konnte immer noch nicht fassen, was gerade mit mir passiert war. Als das Adrenalin abebbte, fing ich an zu zittern und beschloss schon ins Bett zu gehen. Das musste ich erst einmal verdauen! Im Badezimmer fiel mein Blick unwillkürlich wieder auf den Spiegel.
Ich sah meinen kleinen Bauchansatz, meine kräftigen Oberschenkel…doch dann lenkte ich meinen Blick auf meine Augen. Braun. Rehbraun und blickten sie mir entgegen. Meine Lippen waren ebenso wie meine Lippen gerötet. >Kommt wahrscheinlich von der ganzen Aufregung heute< schoss es mir durch den Kopf.
Auch meine dunkelrot gefärbten Haare, die mir bis zum Schlüsselbein reichten sahen gar nicht so übel aus und schließlich fasste ich Mut und lächelte meinem Spiegelbild entgegen. Nicht schlecht. Zufrieden ging ich ins Bett, grübelte noch eine Weile. Auf einmal kam mir ein Gedanke. Das musste ich morgen unbedingt mit Chris diskutieren!
Am nächsten Morgen zog ich mich schnell an und eilte hinunter. Dort frühstückten wir jeden Tag gezwungener Maßen alle zusammen. Mama und Ralf bestanden daraus einen auf „Happy Family“ zu machen. Schweigend aß ich mein Müsli, als Mum mich fragte, was ich heute machen würde.
„Ich wollte gerne in die Stadt.“
„Alleine? Soll ich mitkommen? Dann gehen wir nett shoppen und…“
Ich unterbrach sie lächelnd „Nein, eigentlich hatte ich vor, Chris mit zu schleifen.“
Jetzt strahlte sie förmlich „Den netten, jungen Mann, der gestern hier war? Super!“
„Ja genau den.“
„Den mag sie ja auch so richtig gern.“ Kam es da plötzlich abfällig vom Arschloch.
Mum und ich sahen uns an und verdrehten die Augen.
„Mich freut es jedenfalls.“ Sie stand auf und verabschiedete sich.
„Es wäre nett, wenn du mich heute nicht wieder zur Schule laufen lässt!“ fauchte ich meinen Stiefbruder an.
„Och! Holt dein Lover dich nicht ab?“
„Er ist nicht mein Lover!“ mit diesen Worten verschwand ich nach oben, um meine Sachen zu holen. Wenig später war ich fertig und oh Wunder, Alec hatte tatsächlich auf mich gewartet.
„Biste endlich soweit?“ meckerte er.
„Wow du hast gewartet, darf ich mich geehrt fühlen?“ Na bitte, es tat viel besser im irgendwas zu erwidern als immer nur zu schweigen. Daran könnte ich mich gewöhnen.
Im Auto redete keiner von uns ein Wort. Warum auch? Wir hatte uns nichts zu sagen.
Auf dem Schulparkplatz angekommen sprang ich aus dem Wagen und entdeckte Chris in eine Ecke an die Schulmauer gelehnt. Bevor mich irgendjemand dumm anmachen konnte verzog ich mich zu ihm.
„Na Süße, gut geschlafen“ er zog die Brauen bedeutungsvoll nach oben.
„Oh ja“ grinste ich ihn an „Alec war ziemlich schockiert. Ist echt lustig.“
„Dem kleinen Jungen haben wir wahrscheinlich eine Erinnerung beschert, die er so schnell nicht mehr vergessen wird.“
„Was solls. Du hast du Lust heute mit mir in die Stadt zu gehen? Ich hatte da gestern so eine Vision.“
„Na da bin ich mal gespannt.“
Ich erläuterte ihm meinen Plan. Mit offenem Mund starrte er mich an. „Woah. Bist du dir sicher, dass du das wirklich willst?“ „Ja absolut.“
„So ein Umstyling ist keine Kleinigkeit. Willst du es dir nicht noch mal überlegen?“
„Besser nicht.“ Ich streckte ihm die Zunge raus.
„Na dann. Also ich muss erst noch arbeiten. Aber um fünf hab ich Schluss, dann können wir gehen. Was genau willst du denn alles verändern?“
„Hmm…vielleicht meine Haare. Ein besserer Schnitt. Wimperntusche und Kajal. Andere Klamotten. Und zum Abschluss ein Tattoo.“
„Na das muss deine Mum dir erstmal erlauben.“
„Dazu kann ich sie schon irgendwie überreden. Beim Stechen musst du aber meine Hand halten.“ Flehend sah ich ihn an.
„Immer doch. Holst du mich ab? Ich arbeite direkt in der Stadt.“
„Wo den da?“
„Malvi’s Buchhandlung. Das ist…“
„Ich weiß wo. Sag mal Kennst du einen guten Friseur?“
„Ein Freund kann das. Wenn du willst, frag ich ihn. Ok?“
Abschätzend blickte ich ihn an.
„Er ist wirklich gut!“
Ich lachte „Dann muss ich da ja hin. Freue mich schon.“
Der Gong ertönte. „Oh nein, Kunst!“ seufzte ich.
„Ist doch super.“
„Wenn man’s kann ja, wenn nicht, dann nicht.“ „Ach so schlimm wird es schon nicht.“ Er lachte.
Das war ansteckend und so war meine Laune gar nicht so schlecht, als ich den Kunstsaal betrat. Da neben mir eh niemand freiwillig saß, fanden wir ohne Probleme zwei plätze nebeneinander.
Heute schien auch unser Lehrer gut drauf zu sein, denn er beließ es bei der unkonkreten Aufgabenstellung ein Bild zu malen.
Seufzend saß ich vor meinem leeren Blatt.
„Was ist los?“
„Ich bin einfach sooo unkreativ.“ Jammerte ich.
„Hmm…lass uns ein Bild zusammen malen, ok?“
„Wenn du meinst, ich bin aber grottig.“ Entschuldigend verzog ich meinen Mund „Weist du denn schon, was wir malen?“
„Hast du dir eigentlich schon Gedanken über dein Tattoomotiv gemacht?“
„Nein, eigentlich nicht.“
„Na siehst du, da haben wir ja schon was gefunden!“
Ich lächelte „Eine wirklich, wirklich gute Idee!“ lobte ich.
„Irgendeine Vorstellung?“
„Etwas Dezentes. Kleines.“
„Geht’s noch etwas konkreter?“
„Vielleicht eine Blume. Ja, ich denke schon. Und einen Schnörkel drumherum.“
„Dann eine Rose? Die Königin der Blumen.“
Ich grinste „Ja, wie für mich gemacht.“
„Gut, dann gib mir etwas Zeit.“
Interessiert blickte ich Chris über die Schulter und zu meinem großen Erstaunen entstanden zunächst nur Konturen einer Rose, die er immer weiter ausarbeitete, bis schließlich eine wunderschöne Blume auf dem Blatt prangte.
„Wow! Die ist wunderschön!“ Gerade einmal eine halbe Stunde hatte er dafür gebraucht. Ich hätte es wahrscheinlich nicht einmal in einer Million Jahre so hinbekommen.
„Ok, aber das ist ja nur die Blüte, möchtest du noch etwas dazu haben?“
„Hmm…ja ich denke schon. So einen Schnörkel, der hinter der Blume entlang rankt.“
In kürzester Zeit hatte er meine Idee umgesetzt. Es sah toll aus.
„Dankeschön.“
„Gerne, komm lass uns gehen, es hat gegongt.“
Schnell steckte ich die Zeichnung ein und machte mich auf den Weg. Wir hatten nun Deutsch. Langeweile pur.
Danach ging es hinaus auf den Schulhof. Als wir zusammen hinaus in die Morgensonne traten, starrten uns immer wieder Schüler an. „Was ist denn hier los? Hab ich was verpasst?“ flüsterte mir Chris zu.
Ich zuckte mit den Schultern und wunderte mich selbst.
„Ich habe keinen blassen Schimmer, was das soll. Lass uns in den Schulgarten gehen.“
Während wir über den Schulhof schlenderten, folgten uns die aufdringlichen Blicke der anderen.
„Warum habe ich bloß das Gefühl, dass das irgendwie nichts Gutes zu bedeuten hat?!“
„Kopf hoch kleine. Immer Selbstbewusstsein demonstrieren.“ „Schön! Ich bin gerade alles nur nicht selbstbewusst!“
„Das musst du den anderen aber nicht so deutlich zeigen. Na los. Schultern zurück, Brust raus.“
Mir auf die Lippe beißend leistete ich seinen Anweisungen Folge.
„Na siehst du, ist doch nicht so schlimm.“
„Seht mal, da ist die kleine Nutte ja.“ Ich zuckte zusammen, als die Stimme hinter uns ertönte. Dort stand Matt, Alecs bester Freund. Ebenfalls Mädchenschwarm und Jungenliebling unserer Schule und ein genauso großes Arschloch wie mein Stiefbruder.
Mein Blick glitt von ihm bis zu Alec, der schräg hinter ihm stand und komischer Weise nicht ganz so zufrieden aussah. Was hatte er gehofft? Dass Chris mich heute nicht mehr beachten würde? >Tja! Pech mein Lieber!< dachte ich nur.
Ich ließ es mir nicht anmerken - das hoffte ich zumindest – dass mich Matts Beschimpfung ziemlich mitnahm.
„Was interessiert dich das denn?“ erwiderte ich also.
„Nana, hat die Kleine sprechen gelernt, so mutig ist sie doch sonst auch nicht.“
„Die Kleine lässt sich normalerweise nicht auf dein Niveau herab und tut dies heute nur aus Mitleid.“ Gab ich zuckersüß wieder.
Innerlich applaudierte ich, weil ich noch nicht den Schwanz eingezogen und weggelaufen war. Wahrscheinlich, weil Chris neben mir stand. Schon seine bloße Präsenz schien mir zu sagen ’Nicht unterkriegen lassen, selbstbewusst sein!’
Auch mein Gegenüber stand nun verblüfft da. Bevor er noch etwas sagen konnte, nahm Chris mich am Arm und zog mich weiter.
„Bevor er dich doch noch aus dem Konzept bringt.“ Flüsterte er mir zu, dann erreichten wir den Schulgarten und ich zog ihn an meinen Lieblingsort: eine urige kleine Holzbank hinter ein paar Sträuchern. Warmes Sonnenlicht erwärmte diesen Platz und er bot mir auch sonst immer zuflucht vor dem Gespött der anderen.
„Schön hier.“ Kommentierte Chris und ließ sich neben mir auf die Bank sinken.
Ich nickte nur.
„Jetzt hat’s dir die Sprache verschlagen?“
Ich nickte. Wie schon gestern nach meinem Auftritt vor Alecs ebbte das Adrenalin ab und ließ mich zitternd zurück.
Chris lachte. „Aber du bist auf einem guten Weg.“ Damit zog er mich an sich und lehnte mich an seine Schulter.
„Schätze nach der Szene eben wissen wir, warum alle uns so angucken.“
„Hmhm… scheint so, als hätte mein verdammter Stiefbruder geplaudert.“
„Wundert dich das?“
„Nein.“
„Stört’s dich?“
„Nicht wirklich. Ich meine mir ist egal, was die Leute über mich denken. Viel schlechter könnt’s eh nicht mehr sein.“
„So ist gut, immer optimistisch sein.“ Er lachte. „Steht dein Plan von heute Nachmittag noch?“
„Jetzt noch sicherer als vorher!“ ich nickte entschieden it dem Kopf.
Ein Lächeln stahl sich auf seine Lippen.
„Lass uns wieder in Richtung Klassenraum gehen.“
Der restliche Schultag verlief ereignislos, wenn man von den dummen Blicken absah, die uns zu Haufen zugeworfen wurden.
Nach der Schule sah ich Alecs an seinem Auto lehnen. Er hatte irgendein Mädchen im Arm und irgendwie störte es mich. Sie war hübsch. Braune, lange Haare. Blaue Augen, schlank. Und sie lachte mit ihm. Dann sah ich wie er mir über ihre Schulter einen Blick zu warf und sie plötzlich küsste. Ich biss die Zähne zusammen und ging weiter auf die beiden zu. Daraufhin löste sich das Arschloch von dem Mädel und sagte etwas zu ihr, woraufhin sie wegstolzierte.
„Bist du so großzügig mich auch wieder mit nach Hause zu nehmen?“
„Wolltest du nicht in die Stadt mit deinem Lover?“
„Er ist nicht mein ’Lover’! Wir gehen später.“
So kam es, dass mich mein Stiefbruder tatsächlich einmal mit von der Schule zurücknahm.
Die Fahrt wurde sehr schweigsam. Ich saß zusammengekauert an die Scheibe gelehnt und blickte desinteressiert nach draußen. Im Radio lief Lady Gaga – Pokerface. Schreckliche Musik wie ich fand, aber ein Pokerface zu haben war wahrscheinlich gar nicht mal so schlecht.
>Ich werde meines wohl noch ein bisschen ausbauen müssen< und just in diesem Moment erklang Bruno Mars. „’cause you are amazing just the way you are. “ Ich lachte. Das war nun wirklich meine Musik. Sie schien meinen Plan ‚stark sein zu wollen’ zu unterstützen. Schluss mit dem Verkriechen! Schluss mit der schlechten Laune!
Ich hatte schließlich heute etwas vor. Etwas Bedeutendes. Yeah!
Und entgegen meiner sonstigen Zurückhaltung (erst recht in seiner Gegenwart) fing ich an laut mit Bruno Mars mitzusingen.
„Du singst grausam.“ Ertönte es prompt neben mir.
Das war ja so was von klar gewesen!
„Das weiß ich, aber es ist ja niemand hier, der mich hören könnte.“
Er schnaubte. „Ich bin also niemand?“
„In meinem Leben schon. In anderen Mädchenrealitäten bist du wohl alles.“ Stichelte ich.
„Wenn du meinst.“ Sich so einfach geschlagen zu geben passte nicht zu ihm, das veranlagte mich, ihm einen Blick zuzuwerfen. Mit nachdenklich gerunzelter Stirn blickte er auf die Straße. Niemand sprach mehr ein Wort.
Zu hause angekommen sprang ich aus dem Wagen.
„Hey Mum!“
„Süße was machst du denn schon hier? Hallo Alec.“
Er nickte ihr nur zu und setzte sich an den Küchentisch. Er behandelte sie immer so. Immer so kalt. Das ärgerte mich. Ebenso wie die Tatsache, dass er darauf zu warten schien, bedient zu werden. Aber ich verkniff mir einen Kommentar. Zumindest für den Augenblick.
„Wir gehen später in die Stadt. Chris muss noch arbeiten.“
„Ach so, na dann. Ich geb’ dir gleich Geld. Was möchtest du eigentlich kaufen? Hast du schon was Bestimmtes im Blick?“
Ich begann den Tisch zu decken. „Ja schon was bestimmtes, aber lass dich überraschen. Ach ja und diesbezüglich hab ich noch ne Frage.“
Schon an meinem Tonfall schien sie zu merken, dass es nicht ums Wetter ging. Auch Alec blickte nun halbwegs interessiert von seinem Smartphone auf.
„Oh Gott was kommt jetzt? Elana raus mit der Sprache!“
„Ich möchte ein Tattoo.“
„Du möchtest was?!“ schrien Alec und Mum gleichzeitig.
>Wow so einige sind sie sich ja selten!< fuhr es mir durch den Kopf. Ich konnte nicht anders als zwischen ihnen hin und her zu blicken.
„Öhm…ein Tattoo?“ ich kramte in meiner Schultasche und fand Chris Zeichnung „Guck mal.“ Zeigte ich es Mum.
Sie ließ sich auf einen Stuhl sinken. „Kind du bist 16!“
„Ja, deshalb brauche ich auch deine Erlaubnis.“
„Ich glaub, dass ist mir eine Nummer zu heftig.“
„Ach komm schon Mum.“ Bettelte ich, doch ihr Blick sagte mir schon, dass das Thema aus für sie war.
„Was ist denn mit einem Henna Tattoo, Süße?“
„Hmm… weiß nicht. Ich google das gleich mal. Was gibt’s denn zu essen.“
„Alec hatte sich Lasagne gewünscht. Da ist Fleisch drinnen.“
Ich rümpfte die Nase. „Haben wir noch was von gestern?“
„Ja, einen kleinen Rest. Steht im Kühlschrank.“
Also wärmte ich mir mein Essen auf und setzte mich zu den anderen an den Tisch. Nur Ralf fehlte; er war noch arbeiten.
„Mama, kannst du mich später zu Malvi’s Buchhandlung bringen? Mit dem Bus brauch ich so lange.“
„Klar kann ich machen. Wie kommst du nach Hause?“ Ich zuckte die Schultern.
„Ich kann sie ja abholen. Ich bin später noch in der Stadt.“
Mit hochgezogenen Augenbrauen sah ich Alec an. Hatte ich mich etwa verhört oder hatte er das gerade wirklich angeboten?
„Ok. Ich ruf dich an, wenn ich fertig bin. Und wo du gerade schon mal deine nette Phase hast, kannst du auch abräumen. Mum und ich haben schließlich gedeckt!“ setzte ich direkt noch hinzu und erhob mich. „Können wir so gegen 16 Uhr losfahren?“
„Ja, dann mach dich noch schick. Hast ja noch eine Stunde.“ Rief Mum mir hinterher.
Ich hatte keinesfalls vor, mich jetzt schick zu machen…das kam später.
Aber Hennatattoos googeln wollte ich!
Hmm…so übel sahen die wirklich nicht aus! Schick, wirklich schick. Und Chris konnte bestimmt tolle Muster zaubern. Gut, dann war das also auch beschlossene Sache.
Unruhig lief ich in meinem Zimmer herum. Ich war so aufgeregt.
Schließlich war es so weit und ich sprang die Treppen herunter.
„Mum? Bist du fertig?“
„Ja ich komme, Süße! Hier hast du noch Geld.“
Sie drückte mir einige Scheine in die Hand. Wow! Das war ganz schön viel. Anscheinend sah man mir meinen Zweifel ob der Summe an, denn lachend erklärte sie „Du gehst so selten shoppen und kaufst dir so wenig Sachen, da muss ich die Gelegenheit doch nutzen.“
„Danke.“ Ich lächelte sie an. Von meinem eigenen Gesparten hatte ich auch mitgenommen, schließlich gab ich wirklich wenig aus.
Dann stiegen wir ins Auto und ich war sogar noch etwas früher da. Auch gut, konnte ich Chris beim Arbeiten zusehen. Lächelnd betrat ich die Buchhandlung.
„Hallo du. Immer noch so fest überzeugt?“ begrüßte er mich, ein paar Bücher sortierend.
„Na und wie!“ bekräftigte ich „Nur das mit dem Tattoo klappt nicht so. Da brauch ich noch mal deine Hilfe. Mum besteht auf Henna und das gefällt mir auch ganz gut. Malst du mir dann was auf?“
„Na sicher doch. Wo denn?“
Ich grinste.
„Um Gottes Willen! Aber nicht auf den Arsch oder?!“ schockiert sah er mich an.
Ich konnte nicht anders und wir lachten beide los. Sein Gesicht war aber auch zu herrlich gewesen!
„Nein, nein. Keine Sorge. Ich überleg’s mir noch. Und jetzt arbeite weiter, ich will dich ja nicht davon abhalten. Na los!“ kommandierte ich, woraufhin er nur die Augen verdrehte und anfing Kisten ins Lager – wie ich vermutete – zu tragen.
„Aye, aye Captain.“
Schweigend hantierte er noch 10 Minuten herum, bevor ihn die Besitzerin, Frau Malvi, eine nette, alte Dame ablöste.
„Na dann Schatz, auf ein neues Leben“ scherzte Chris.
Drei Stunden später fiel ich völlig erschöpft auf sein Sofa. Auch er ließ sich neben mich sinken und stieß einen fetten Seufzer aus. „Uff…das war heftig!“
„Aber hat sich gelohnt, meinst du nicht?“
„Auf jeden Fall! So jetzt noch das Henna Tattoo!“
„Oh ja!“
Während wir in der Stadt gewesen waren hatten wir über die richtige Stelle diskutiert. Ich wollte es auffällig haben, großflächig. Also war hatten wir uns schließlich auf meinen rechte Schulter-Nacken-Dekoltee Bereich geeinigt.
Es sollten sich also ganz viele Schnörkel vom Nacken, über mein rechtes Schulterblatt hin bis zu meinem Schlüsselbein ziehen. Das Henna hatten wir in einem dunklen Rot ausgesucht - passend zu meiner Haarfarbe. An der hatte sich nämlich nichts geändert, wohl aber am Schnitt. Ich hatte jetzt einen langen Pony, der mein Gesicht umrahmte. Er bedeckte die Stirn und reichte mir bis zu den Augen. An den Seiten wurde er immer länger und die endete auf Kinnlänge. Mein restliches Haar hatte seine Länge behalten und war ganz gerade geschnitten.
„Du hattest übrigens Recht, Julius ist mindestens so gut wie ein Frisör.“
Chris grinste. „Und die Klamotten sind auch der Hamma.“ „Ja, habe noch nie einen Jungen mit so gutem Geschmack für Mädchenzeugs getroffen.“ Stichelte ich grinsend. Das brachte mir einen sanften Knuff auf den Arm ein.
„Na dann fang mal an du ’da Vinci’“
Ich zog mein T-Shirt aus und sah nur im BH vor ihm.
„Woah! Was geht denn mit dir.“ Er stand auf und holte Pinsel und Handtuch als Unterlage.
„Neu gewonnenes Selbstvertrauen. Das würde ich auch bei keinem anderen machen.“
Und selbst vor Chris war es schwierig. Ich hatte innerlich ewig mit mir gerungen, um es so souverän aussehen zu lassen.
„Welch Ehre…“ murmelte er „Wenn ich die bitte dürfte…“ er wie auf den BH-Träger, der ja noch seine ’Leinwand’ durchzog. Diesmal beließ ich es dabei ihn von der Schulter zu streifen.
„Nicht bewegen, sonst verwackelt es!“ warnte er mich. Der Pinsel kitzelte auf der Haut und ich kicherte, bemühte mich aber ruhig zu halten.
Nach einer Stunde war er fertig. Noch klebte eine feste Paste auf der Haut, aber die würde später abfallen.
„Jetzt noch das Make-up, Süße, dann bist du fertig.“
„Du hast nicht zufällig eine Ahnung davon oder?“ hilfesuchend blickte ich ihn an.
„Von Make-up? Bei Kajal kann ich dir helfen, aber ansonsten kein Plan. Aber du bist ein Mädchen! Du müsstest mit so etwas umgehen können!“
Ich zuckte nur hilflos die Schultern. „Nope. Egal, dann eben ausprobieren!“
Aus der dm-Tüte zog ich ein Kosmetikding nach dem anderen.
„Nicht allzu viel, soll ja noch steigerungsfähig für die Parties sein, auf die ich dich schleppen werde.“ Grinste Chris.
„Und ich hab keinen Bock, morgens stundenlang vor dem Spiegel zu stehen.“
„Ok. Fangen wir damit an. Wimperntusche; schwarz, ’extra long’… und ein schwarzer Kajal.“
„Mit der Wimperntusche müsste ich noch klar kommen.“
„Und ich helfe beim Kajal.“
So brauchten wir noch mal eine halbe Stunde, bis ich fertig geschminkt war.
„Oh Gott. Aber die Prozedur jeden Morgen?“ zweifelnd sah ich ihn an.
„Übung macht den Meister. So viel haben wir ja gar nicht gemacht. Ist nur viel schief gegangen.“
„Da haste auch wieder recht.“
„So und jetzt vor den Spiegel mit dir. Ab! Los!“
Unsicher trat ich vor den riesigen Spiegel in seinem kleinen Badezimmer. Mir stand beinahe der Mund offen. Wow! Scheiße! War wirklich ich das da im Spiegel? Kaum zu glauben.
Meine Augen strahlten mir entgegen. Ich hatte sie vorher schon gemocht, aber jetzt schwarz umrandet, wirkten sie noch mehr, schienen geheimnisvoll zu leuchten. Meine Haare und das Hennatattoo bildeten einen starken Kontrast zu der hellen Haut. Ich wirkte älter, reifer.
„Du bist ein Künstler Chris! Es sieht wahnsinnig toll aus.“
„Du siehst wahnsinnig toll aus!“
„Danke.“ Mehr brachte ich nicht mehr heraus, denn plötzlich liefen mir Tränen über die Wangen.
„Hey Kleines, nicht weinen!“ von hinten nahm er mich in den Arm.
„Scheiße man! Ich kenn dich erst seit zwei Tagen. Verdammt zwei Tage! Und schon bist du der beste Freund, den ich jemals hatte. Der einzige, der mich aufbauen konnte! Und der einzige, dem ich so vertraue.“
Hätte mir vor einer Woche jemand diese Geschichte erzählt, hätte ich sie wohl als nettes Märchen abgetan, aber jetzt…
„Ich bin für dich da, Schatz, wann immer du mich brauchst. Und jetzt hör auf du weinen, sonst verschmiert deine Schminke.“
„Kommst du am Freitag vor der Party und hilfst mir Klamotten aussuchen?“
„Klar. Und dann guck ich, welche Fortschritte du mit dem Make-up erzielt hast. Wie kommst du eigentlich nach Hause?“
„Alec. Er holt mich ab, wenn ich ihn anrufe.“
Chris zog eine Augenbraue hoch.
„Kein Plan, was mit dem los ist. Meinte er wäre eh in der Stadt. Ich spreche dann mal mit ihm, es ist schon spät.“ Mittlerweile war es fast 22 Uhr.
Schnell rief ich ihn an.
„Kannst mich jetzt abholen. Geranienstraße 23. Ich warte vor der Tür, wann bist du da?“
„In 20 Minuten“
Bevor er noch was sagen könnte legte ich auf.
„Oh Gott. Schnell abschminken und umziehen. Wo sind meine alten Sachen?“
„Was? Wieso?“ verwirrt blickte er mich an.
„Erst morgen früh…dann wird’s die größere Überraschung.“
„Du musst mir dann alles haarklein berichten, ok?“
„Aber sicher doch. Alecs Gesichtsausdruck bis ins winzigste Detail.“
Wir lachten. Dann packte ich meine zig Tüten und verabschiedete mich.
Ich bekam kaum alles den Hausflur runter geschleppt, so viel hatte ich gekauft. Eine komplett neue Garderobe.
Dort stand Alec schon mit seinem schwarzen BMW.
Ich öffnete hinten und ließ meine Tüten auf den Rücksitz plumpsen, bevor ich mich selbst nach vorne setzte.
„Na, erfolgreich gewesen? Siehst ja gar nicht anders aus. Hat sich wohl nicht gelohnt.“
Meine neue Frisur sah er nicht, da ich eine Mütze trug und auch meine alten Klamotten hatte ich wieder angezogen.
„Kann dir doch egal sein, oder?“
„Vielleicht wart ihr ja gar nicht shoppen, sondern lieber bei ihm vögeln?“ ein beißender Unterton lag in seiner Stimme und ließ mich hellhörig werden. Meinen Ärger schluckte ich hinunter und grinste in mich hinein.
„Vielleicht…“ ich hüllte mich in bedeutsames Schweigen und lachte mich innerlich halb tot. Was für ein Trottel.
„Was hast du denn hier gemacht?“ fragte ich ihn. Ein bisschen bedeutungslose Konversation konnte ja nicht schaden, wo wir in den letzten Tagen schon mehr geredet hatten, als im halben Jahr davor.
„Ich war bei Tatjana. Vögeln“
Der Name sagte mir nichts, was aber nicht viel bedeutete.
„Na siehst du, dann sind wir heute ja beide auf unsere Kosten gekommen.“ Neckte ich weiter. Ich konnte es mir einfach nicht verkneifen.
Zu Hause angekommen, schleppte ich die Sachendirekt in mein Zimmer und rief den anderen nur kurz zu, dass ich müde wäre, was eigentlich auch stimmte.
„Süße, zeig doch mal her, was du gekauft hast. Und dein Hennatattoo!“ erklang Mamas Stimme von unten. Das Antworten übernahm jedoch Alec.
„Scheint so, als hätte es eine Planänderung gegeben. Aber sie und der Typ hatten trotzdem Spaß.“
Die Doppeldeutigkeit seiner Worte entging mir nicht, aber ich hatte keine Lust das klar zu stellen. Die würden morgen am Frühstückstisch schon Augen machen!
Völlig fertig legte ich mich ins Bett und schlief schon bald ein.
Meinen Wecker hatte ich mir extra eine halbe Stunde früher gestellt. An meinem ’Debüt’ sollte schließlich alles perfekt sein. Schnell ging ich in mein eigenes Badezimmer und duschte. Danach suchte ich mir Klamotten von meinen neuen Sachen.
Nach langem Überlegen entschied ich mich schließlich für eine einfach schwarze Röhrenjeans. Um mein Tattoo auch schön zu zeigen wählte ich eine gewagte schwarze Bluse, die schulterfrei war (spricht die Ärmel lagen auf den Oberarmen), so dass man die Träger meine Spitzen-BHs (schwarz was sonst) sehen konnte, und vorne geschnürt wurde. Dazu meine schwarzen Doc Marten und fertig war mein neues Outfit. Mama würde einen Herzinfarkt bekommen! Aber egal, ich war schließlich alt genug.
Nun zum Make-up.
Chris schien mal wieder Recht gehabt zu haben: Übung machte wohl wirklich den Meister, denn schon heute ging es wesentlich schneller (und besser) als gestern. Schließlich funkelten meine Augen wieder und machten ein völlig neues Gesicht.
Nun mussten nur noch meine Haare in Form gebracht werden. Meinen Pony föhnte ich über eine Rundbürste trocken, sodass er seiden ins Gesicht fiel, gerade kurz genug, um meine Augen nicht zu bedecken. Meine restlichen Haare fasste ich zu einem hohen Pferdeschwanz zusammen, damit man mein Tattoo auch in seiner ganzen Pracht bestaunen konnte.
Dann machte ich mich auf den Weg nach unten.
Ich hatte wohl insgesamt doch etwas länger gebraucht, denn alle saßen schon unten am Tisch.
„Da bist du ja end…“ meiner Mutter blieben die Worte wortwörtlich im Hals stecken und sie starrte mich an. „Kind! Bist du das wirklich?“
Ich lachte. „Ja Mama, ich hab doch gesagt, ich möchte was Neues ausprobieren!“
„Also ich finde es gut.“ Mischte sich da Ralf ein. Alec saß mit dem Rücken zu mir und drehte sich nun auch endlich um.
Er gaffte. Anders konnte man es wirklich nicht nennen. Begann bei meinen Haaren. Wanderte zu meinen Augen, meinem Dekoltee mit dem Tattoo, zu den Schuhen und blieb schließlich an meinem Dekoltee hängen. Seine Augen funkelten eindringlich und er schluckte.
„Das ist…Wow…ok. Anders. Aber du siehst toll aus.“ Meinte schließlich auch Mum.
Ich strahlte und setzte mich ebenfalls.
„Ich hab keinen Hunger, trinke nur was.“ Sagte Alec.
„Du nimmst mich doch mit zur Schule oder?“ fragte ich fröhlich ein Brot schmierend.
„Was? Ach so…jaja.“ kam es abwesend zurück.
Munter schlang ich mein Essen hinunter und holte meine Sachen.
„Können wir los?“ ich wartete an der Tür.
Wortlos kam er die Treppe runter. Auch er hatte sich anscheinend schick gemacht. Die blonden Haare mit etwas Gel zurückgestylt, lässige Jeans mit Löchern und ein T-Shirt mit V-Ausschnitt. Grün. Dieselbe Farbe seiner Augen, die dadurch ebenfalls hervorgehoben wurden.
Aber was interessierte mich das?
Als wir auf den Schulparkplatz fuhren erblickte ich schon Chris lässig ans Eingangstor gelehnt. Direkt gegenüber gammelte Alecs Clique.
Betont langsam stieg ich aus dem Auto. Das hier war mein Auftritt. Ganz allein meiner! Und den wollte ich nun verdammt noch mal genießen!
Lässig schlenderte ich zu Chris, dessen Grinsen darauf hindeutete, dass er meine Gedanken wohl erahnte. Wohl um mir seelischen Beistand zu leisten wackelte er mit den Augenbrauen nach dem Motto >Wow!<.
Ich verzog einen Mundwinkel zum provokanten Lächeln und zwinkerte ihm zu. Nur mühsam konnte er sich ein Lachen unterdrücken. Ups, dass war wohl zu viel des Guten. Also ließ ich das Gezwinker sein. Ich konzentrierte mich nur auf ihn und hakte mich schließlich bei ihm ein.
„Siehst toll aus Schatz.“ Flüsterte er mir noch ins Ohr bevor wir zusammen über den Schulhof gen Klassenraum wanderten.
Oh Verdammt! Von überall starrten uns die Leute an. Selbst einige Lehrer blieben stehen. >Fehlt nur noch, dass sie sich die Augen reiben< dachte ich. Wieder ermunterte nur Chris Präsenz mich, nicht sofort den Schwanz einzuziehen und mich in der hinterletzten Ecke zu verkrümeln.
„Na komm, gehen wir in die Klasse. Dann kannst du erstmal durchatmen meinte er.“
Nach ziemlich langweiligen 90 Minuten Deutschunterricht, mussten wir den Raum wechseln. In die Bio gehen. Auf dem Weg dorthin drängten wir uns durch die Flure und wieder folgten mir neugierige Blicke.
„Na super. Also sooo viel Aufmerksamkeit hatte ich nicht mit eingeplant.“ Raunte ich meinem treuen Freund zu. Dieser quittierte das mit einem Grinsen.
Schließlich war dann auch die Biostunde vorüber und wir gingen auf den Schulhof.
Ich hatte beschlossen, mich nicht wieder zu verkriechen, sondern mein neu gewonnenes Selbstbewusstsein zu festigen und zur Schau zu stellen. Also gingen wir auf die sonnenbeflutete Mauer zu und mit dem Gesicht dem hellen Licht zugewandt, räkelte ich mich darauf. Da mein Outfit oben herum großzügig luftig war, konnte ich froh sein, die Wärme abzubekommen.
„Jetzt erzähl schon, wie hat er geguckt!“ löcherte mich Chris, der neben mir an die Wand gelehnt stand.
Ich grinste ihm zu und zog bedeutsam meine Augenbrauen hoch.
„Er hat geglotzt! Noch schlimmer als diese ganzen anderen Kids hier. Dann hat er mich abgecheckt…von oben nach unten, dann wieder nach oben. Und schließlich meinen Ausschnitt betrachtet, als gäbe es was umsonst.“
Chris lachte „Kann ich ihm nicht verdenken. Wäre ich auch nur die Spur hetero, könnte ich meinen Blick auch nicht abwenden. Und selbst jetzt, fällt es mir schwer dein verführerisches Dekoltee nicht zu beachten!“
„Bettgeflüster am helligten Tage?“ erklang ‚seine’ Stimme da plötzlich.
„Wenn man keine Ahnung hat, einfach mal die Klappe halten.“ Fuhr ich ihn an, bevor ich mich Matt zuwandte „Und du geh mir aus der Sonne.“ Dieser Trottel hatte sich genau so hingestellt, dass sein Schatten nun auf mich fiel.
„Werd nicht frech, Kleine.“ Warnte dieser mich.
’Nicht unterkriegen lassen, selbstbewusst sein!’ sagte ich mir selbst.
„Sonst passiert was?“ Herausfordernd blickte ich zu ihm auf.
„Sonst könnten es sein, dass du einige unangenehme Überraschungen überlebst.“ Mischte Alec sich ein.
„Ach ja? Ich liebe Überraschungen. Gibst du mir einen Tipp?“
Er verzog sein Gesicht und Matt übernahm wieder.
„Du hattest deinen Spaß, jetzt verzieh dich von unserem Platz!“
„Nein.“ Meinte ich ganz pragmatisch.
„Nein?“ Matt starrte mich an.
„Nein! Seid doch nächstes Mal einfach früher hier. Jetzt sitzen wir hier. Aber keine Sorge, der Schulhof ist so groß, da werden eure überdimensionalen Egos schon Platz finden.“
Damit schloss ich wieder die Augen und drehte mich in Richtung Sonne; Matt war nämlich tatsächlich einen Schritt zur Seite gewichen.
Plötzlich spürte ich einen schnellen Luftzug und öffnete die Augen. Das Bild, was sich mir jetzt bot, hatte Seltenheitswert: Ein wütender Matt, dessen Hand, mit der er wohl gerade ausgeholt hatte, von Alec festgehalten wurde und Chris, der schützend vor mich getreten war.
„Lass gut sein Matt. Sie kriegt das schon zurück. Aber nicht hier. Nicht jetzt:“ wies mein Stiefbruder seinen Freund mit kalter Stimme an.
Einen letztens Blick widmete er mir. Abschätzend und wütend, aber es lag noch etwas in seinem Blick. Was? Keine Ahnung!
„Puh. Das war knapp.“
Bis Freitag hatte ich Ruhe vor den anderen, dumme Blicke folgten mir stets, aber ich denke Mal, das ist die natürliche Reaktion von einfältigen Kindern auf etwas Farbe in ihrem langweiligen Leben.
Freitag nach der Schule kam Chris zu mir und wir begannen Klamotten für die Party rauszusuchen.
„Bleibst du eigentlich das ganze Wochenende bei mir?“ Chris hatte sich auf meinem Bett ausgestreckt, während ich nachdenklich vor meinem Kleiderschrank stand.
„Wenn ich darf…“
„Klar, dann können wir Samstag noch mal feiern gehen.“ Freute er sich.
„Meinst du nicht, dass das ein bisschen viel für den Anfang ist?“
„Ach was. Außerdem ist das heute Abend keine Riesenparty. Nur ein paar Freunde, die ein bisschen trinken und Spaß haben.“
„Na wenn du meinst. Was soll ich denn jetzt anziehen?!“ verzweifelt seufzte ich.
So ein Mist! Jetzt wo ich ein ’bisschen’ mehr auf mein Aussehen achtete, stand ich Ewigkeiten vor dem Schrank und konnte mich nicht entscheiden.
Das war vorher irgendwie einfacher gewesen…
„Lass mal sehen.“ Chris trat hinter mich, legte seinen Kopf auf meine Schulter und umfasste meine Taille. Während der letzten Tage waren wir uns noch näher gekommen und er war nun wie ein ‚echter’, großer Bruder (nicht so ein Volltrottel wie Alec) und bester Freund in einem für mich. Grübelnd blickte er nun auf die Haufen von Klamotten.
„Kleid?“ fragte ich. „Ne, zu overdressed. Aber vielleicht für Samstagabend!“
„Minirock…nein zu unbequem.“ Entschied ich. „Was ist denn mit der geilen Löcherjeans?“
„Deinem Lieblingsteil? Gute Idee!“ stimmte ich zu und zog sie aus den Tiefen meines Schrankes. Die hatte er mir ausgesucht: Eine enge Jeans im Used-Look; an den Oberschenkeln ausgewaschen und zur Krönung des ganzen waren überall Löcher.
„Sehr schön.“ „Und ich hab auch schon eine Idee für den Rest!“
Schnell griff ich wieder in die Klamotten und holte schließlich ein schwarzes Top und ein schwarzes Netz T-Shirt raus.
„Ja, ich denke das passt. Jetzt noch die Klamotten für morgen.“ Drängte er.
„Also ein Kleid?“
„Ja, hast du ein schwarzes?“
„Na, klar.“ Ich holte meine neuste Errungenschaft hervor.
Jedes Mädchen brauchte doch früher oder später das ‚Kleine Schwarze’ bei sich im Schrank und als ich dieses Kleid gesehen hatte, war sofort klar: Das ist meins.
Und zu meinem Glück passte es auch noch perfekt und kaschierte die nicht so vorteilhaften Bereiche meiner Figur.
„Wow. Bin mal gespannt, wie du darin aussehen wirst.“
„Morgen, Schatz, morgen. Ich geh jetzt duschen. Möchtest du dann auch noch mal?“
„Ja, ich denk schon.“
Also raffte ich meine Sachen zusammen und verschwand nach drüben.
Ich atmete tief durch. Ich wusste noch nicht genau, was ich jetzt von alldem halten sollte. Vielleicht war es den Hirten auf der Suche nach Jesus damals genauso gegangen? Sie wussten nicht, wohin sie gingen, aber sie taten es, ebenso wie ich mir im Unklaren darüber war, was ich hier eigentlich genau machte. In dieses Unbekannte führt mich Chris, mein Stern. Endlich hatte ich jemanden, der mein Leben erleuchtete, bei dem ich mich wohlfühlte. Und die Veränderung war gut. Ja, das war sie!
Während ich duschte, wanderten meine Gedanken zu Alec. Seit der Aktion in der Schule hatten wir nicht viel geredet, aber ich spürte seinen Blick oft auf mir. In der Schule, im Auto und hier zu Hause. Halt bei den wenigen Gelegenheiten, die wir zusammen verbrachten. Seine Blicke waren immer unterschiedlich: mal neugierig, mal nachdenklich, ab und zu konnte ich Wut in seinem Blick erkennen und wenn ich mich nicht täuschte war auch manchmal, sehr selten zwar, Bewunderung ja vielleicht sogar Faszination in seinem Blick zu erkennen. Und oft etwas anderes, was ich nicht zu deuten vermochte. Ich wusste nur, dass mir warm wurde, wenn er mich mit Blicken aus seinen smaragdgrünen Augen betrachtete.
Warum? Na das wüsste ich selbst mal gerne.
Meine Aufmerksamkeit lenkte sich wieder auf die Realität, als ich ausrutschte und mit dem Hinterkopf leicht gegen die Wand stieß. „Aua!“ Entfuhr es mir automatisch. Verdammt!
Ich schloss einen Moment die Augen und sah rosa Ponies vor mir galoppieren.
Das passierte schon, seit ich klein war. Damals war ich noch pferdeverrückt gewesen und so war es ganz klar, dass ich, als ich mit Mum auf der Kirmes war, mir das bonbonfarbene Karussellpferd aussuchte. Leider war ich wohl sehr aufgeregt und als es losging und sich das Pferd an der Stange hoch und runter bewegte, fiel ich rücklings zu Boden: Mit den Kopf voran.
Dieses Erlebnis hatte mich wohl regelrecht traumatisiert. Nun tauchte dieses verflixte Pferd immer dann auf, wenn mein Hinterkopf unsanft mit einem Widerstand konfrontiert wurde.
Nun ja, wenigsten konnte ich jetzt wieder klar denken. Ich cremte mich mit meiner Lieblingslotion ein (Orchidee-Pfirsich) und trocknete meine Haare. Eigentlich wollte ich sie mir glätten, aber das hatte ich noch nie gemacht und dieses verdammte Glätteisen wollte nicht wirklich so, wie ich.
>Scheiße!< fluchte ich, als ich mir beinahe die Finger verbrannte.
>Dann muss Chris mir eben gleich helfen.<
Ich stellte mich vor den Spiegel, um mich zu schminken: etwas Make-up, ein dezent Rouge, um meine Wangenknochen noch ein bisschen mehr zu betonen. Meine Augen umrandete ich schwarz und legte kaum sichtbar Lidschatten auf. Dunkelgrün. Das passte gut zu meinen Augen und zu meiner Haarfarbe. Noch etwas Wimperntusche, dann war ich fertig. Meine Lippen ließ ich wie sie waren. Lippenstift fand ich zu extrem und Lipgloss zu klebrig. Dann zog ich schnell Unterwäsche an. Auch die war neu. Gewagter als mein alte (Gut, ich gebe zu, dass war bei Snoopy-Slips auch nicht sehr schwierig), aber noch weit entfernt von supersexy geschweige denn nuttig. Genau mein Ding.
Schnell wickelte ich mir noch ein kleines Handtuch um und öffnete die Tür zu meinem Zimmer, um Chris zu bitte mir zu helfen. Ich erstarrte. Mein Mund wurde Trocken und ich konnte mich nicht mehr bewegen. >Scheiße! Was machte das Arschloch in meinem Zimmer?<
Er glotzte mich an. Ganz langsam von oben bis unten. Und wieder nach oben. Wie damals, als ich meinen neuen Look ’präsentiert’ hatte. Nur, dass ich jetzt bis auf ein kleines Handtuch, Spitzenpanties und passenden BH nichts trug. Vor Chris war das irgendwie nicht so schlimm, aber vor ihm?! Chris. Was machte der eigentlich?
>Dieser Schuft!< er saß neben Alec auf dem Bett grinste unverhohlen, konnte sich wohl gerade noch so ein Lache verkneifen. Na der konnte was erleben! Aber erst, wenn ich mich einigermaßen gefangen hatte und nicht mehr vor Scham im Boden versinken wollte.
„Raus!“ ich deutete auf die Tür. Bestimmt war ich so pink wie ein Radieschen. Gott war das peinlich. Warum war er ausgerechnet jetzt in meinem Zimmer?!
Wortlos stand er auf und ging. Einen letzten intensiven Blick in meine Richtung konnte er sich anschienend aber nicht mehr verkneifen.
„Oh Gott! Bitte sag mir, dass ich träume.“ Murmelte ich an Chris gewandt. Und was tat er? Losprusten. Das rauslassen, was er sich bisher so ’manierlich’ verkniffen hatte.
„Du bist UN-MÖG-LICH!“ brüllte ich ihn an. „Sorry. Aber dein Blick. Und sein Blick. Und…das war einfach zu geil.“ Und erneut lachte er los und ließ sich rücklings aufs Bett sinken.
Ich vergaß meine Empörung und fiel mit ein. „Wenn es nur nicht so endlos peinlich wäre…“ seufzte ich.
„Aber was willst du eigentlich in diesem Aufzug? So zur Party? Das wär’ dann schon sehr gewagt, findest du nicht?“ spöttelte er.
Ich boxte ihn in seine harten Bauchmuskeln, woraufhin er wieder zu lachen begann.
„Ach man. Du bist blöd.“ Spielerisch schmollte ich. Er nahm mich scheinbar tröstend in den Arm…bevor er mich heftig kitzelte. Ich schrie und lachte gleichzeitig. Und schließlich lagen wir nebeneinander auf dem Bett. Ich atmete tief durch. „Kannst du mir mit dem Haare glätten helfen? Ich bring mich noch um, wenn ich es weiter alleine versuche.“
„Klar, komm, lass uns uns ein wenig beeilen, damit ich auch noch duschen kann.“
Nach weniger als 10 Minuten lagen meine Haare so, wie sie sollte; glatt umrahmten sie mein Gesicht. Das dunkle Rot schimmerte. Ich packte meine Klamotten zusammen und machte Chris im Badezimmer Platz. In meinem Zimmer, dessen Tür ich vorsichtshalber abgeschlossen hatte – man konnte ja nie wissen - zog ich mich an. Dann suchte ich eine kleine Handtasche, die ich mit Handy, dem überlebenswichtigen iPod und etwas Geld bestückte. In eine große Tasche Packte ich die Sachen für morgen. Das Kleine Schwarze, meinen Kulturbeutel, eine bequeme Jogginghose und ein Top zum Schlafen.
Dann suchte ich meine schwarzen Pumps aus dem Schrank und schlüpfte hinein. Das erste Mal, dass ich sie offiziell trug, sonst war ich nur in meinem Zimmer herumgestöckelt, um das Laufen zu lernen. Ich hoffte mal es würde funktionieren. Zur Sicherheit packte ich noch ein Paar schwarze Ballerinas in meine Handtasche, so wie Blasenpflaster. Die typische Tussitasche. Fehlten nur noch der Spiegel, den ich nun auch noch hineinsteckte, und das Puder, was aber schön hier blieb. Schließlich war ich ja nicht zu so einer aufgetakelten Schönheitsqueen mutiert.
Auch Chris kam nun aus dem Badezimmer und ich musste sagen: Ich hatte einen echt heißen ‚Bruder’. Seine schwarzen Haare waren noch etwas feucht und hingen ihm ins Gesicht. Seine Augen funkelten neckisch und sein Mund war zu einem leichten Lächeln verzogen.
Er trug eine enge, schwarze Hose und ein Graues Hemd, dessen oberste Knöpfe offenstanden. Normalerweise störte mich das bei Jungs. Schließlich mussten sie ihre blasse Hühnerbrust nicht noch betonen, aber Chris war da schon das First-class-Modell. Muskeln zeichneten sich ab. Woher er die wohl hatte? Da musste ich mich unbedingt mal erkundigen.
„Ziemlich heiß.“ Kommentierte ich.
„Dankeschön, Kompliment kann ich nur zurückgeben. Also, packen wir’s.“
Ein bisschen aufgeregt war ich ja schon. Ein bisschen sehr. Aber wie war das noch mal:
’Nicht unterkriegen lassen, selbstbewusst sein!’ Ich hatte schon so viel erreicht, da würde doch eine kleine Party mich nicht umhauen. Hoffte ich zumindest.
Ich verabschiedete mich von Mum (Alec begegnete ich zum Glück nicht mehr) und wir fuhren mit dem Bus zu Chris, damit ich meine Sachen abstellen konnte.
Eine halbe Stunde später standen wir vor einem kleinen Haus. Es lag in keiner Siedlung, ganz alleine stand es am Rande der Stadt mit viel Grün herum. Ich merkte wie Chris sich nervös über die Hose fuhr. Na so was! So kannte ich ihn ja gar nicht. „Hast du etwa Schiss?“ grinste ich und vergaß dabei meine eigenen Bedenken.
„Nein, natürlich nicht.“ Er starrte mich an und ich fing an zu lachen.
„Laber nicht! Du bist voll nervös.“
Chris ließ den Kopf hängen. So bedröppelt sah er beinahe noch süßer aus, wie einem Schmachtfilm von Rosamunde Pilcher entsprungen.
„Ach, das ist so ein Typ…“
„Ich dachte, es sind nur Heteros auf der Party?“ Fuhr ich dazwischen.
„Ja, eben! Aber er ist schrecklich süß. Und jedes Mal, wenn ich ihm nahe komm’ dann irgendwie kribbelt es da und…aber er will mich bestimmt nicht. Weil…“
„Chris!“ ich blieb stehen und drehte ihn so, dass er mir ins Gesicht sah. „Du siehst einfach verdammt geil aus. Wenn er auch nur etwas schwul veranlagt ist, wird er auf dich fliegen! Und selbst wenn nicht, überlegt er es sich dreimal!“
Da musste auch er Lachen und machte ein etwas hoffnungsvolleres Gesicht.
„Also Schatz. Wenn dich jemand dumm angräbt, komm einfach zu mir! Wenn du mich nicht findest, geh zum Hausbesitzer, den stell ich dir gleich vor. Pass auf dein Getränk auf, manche Witzbolde schütten gerne noch mal Alkohol dazu. Ein Wasser zwischendurch hat auch noch niemandem geschadet. Wir treffen und spätestens um 2 Uhr an der Haustür. Falls was passiert, können wir auch eher los.“
Mit offenem Mund starrte ich ihn an. „Noch mal zum Mitschreiben, Mama?“
Er grinste und wuschelte mir durch meine Frisur. „Ey!“ beschwerte ich mich und wollte es ihm gleichtun, doch er hielt meine Hände fest und zog mich vor sich. Just in diesem Augenblick öffnete sich die Tür und ein riesiger Typ mit braunen Haaren stand vor uns und verzog überrascht das Gesicht.
„Was geht denn bei euch?“
„Auch hallo. Lana das ist Marco. Normalerweise hat er bessere Manieren.“ Vorwurfsvoll blickte er zu dem Jungen auf und ich musste grinsen.
Er sah nett aus. Zwar groß, aber mit treu blickenden, braunen Augen, verstrubbelten braunen Haaren und einem smarten Lächeln.
Ich hielt ihm die Hand „Freut mich.“
„Tut mir leid, Madame.“ Und schon zum zweiten Mal innerhalb einer Woche kam ich in den Genuss eines Handkusses. Ich lachte „Soll ich jetzt Knicksen?“
Chris schüttelte belustigt den Kopf, bevor er Marco mit einfachem Handschlag begrüßte.
„Also Marco, hilf mir ein bisschen auf die Kleine aufzupassen ja? Sie zieht den Ärger wohl auch magnetisch an. Und sie ist im Moment ein wenig experimentierfreudig.“
„Alles klar. Ich hab ein Auge auf sie.“ „Hallo? Die Kleine steht neben euch und schätzt es nicht, wenn in der 3. Person über sie geredet wird!“
Die beiden lachten nur.
Dann schob Chris mich durch die Tür und runter in den Keller. Marco nahm mir meine Jacke ab und ich blickte mich neugierig um. „Ihr seid früh. Kommen noch ein paar Leute.“
Also ich fand ja, dass hier schon viele rumliefen. Die Musik war unaufdringlich. Zwar dieser moderne Popschrott, aber immerhin konnte man sich unterhalten.
In einer Ecke standen Sofas und gemütlich aussehende Sessel, eine Bar war vorhanden und sogar eine beleuchtete Tanzfläche gab es hier. Ein echter Partykeller.
„Wenn du irgendwann mal frische Luft brauchst, durch die Tür da kommst du in den Garten. Aber geh am besten nicht zu weit weg. Je nach Grad der Betrunkenheit können hier schon mal welche etwas aufdringlich werden, gerade bei einem so hübschen Mädel.“
Ich errötete bei Marcos Worten und wandte schüchtern den Blick nach unten. Er lachte.
„Na komm. Ich stell dich mal ein paar Leuten vor. Dann fühlst du dich nicht so einsam.“ Und ohne Chris weiter zu beachten, schlang er mir den Arm um die Schulter und führte mich zu der Sitzecke. Dort quatschten einige Jungen und Mädchen.
„Hey, passt mal auf. Das ist Lana. Chris’ Schützling.“ Brüllte Marco in die Gespräche hinein.
„Alter! Schon gut! Wir sind nicht taub!“ meldete sich ein punkig aussehender Typ zu Wort. Dann wandte er sich an sie „Hey Süße, ich bin Chuck.“ Nacheinander fielen jetzt Namen. Nach dem fünften gab ich es auf sie mir zu merken und setzte mich einfach dazu.
„Na wo hast du Chris kennengelernt?“ wandte sich ein Mädchen mit langen, braunen Haaren und Rehaugen an mich. Ich glaub sie hieß Dana. Oder war das Maja? Egal.
„In der Schule. Er ist neu in meiner Klasse und hat direkt mal Partei für mich ergriffen.“
„Wie? Erzähl mal.“
„Na ja, sagen wir mal ich bin nicht gerade beliebt und eigentlich ist er der einzige, der freiwillig mit mir redet. Wir kennen uns erst seit einer Woche und schon bedeutet er mir mehr als alle anderen.“ Gab ich ganz offen preis.
Ein aschblonder Junge klingte sich ins Gespräch mit ein. Vorsichtig begann er „Du solltest dir aber nicht zu viele Hoffnung machen. Er ist…ähm…den Mädchen nicht so zugeneigt.“ Verlegen sah er zu Boden.
Ich musste herzhaft lachen. Er sah so peinlich berührt aus. Niedlich.
„Ich weiß doch. Das hat er schon ganz am Anfang klargestellt. Trotzdem hilft er mir. Woher kennt ihr ihn denn?“
„Schon aus dem Kindergarten.“ Meinte die Brünette zu mir. „Da hat er immer Sandkuchen gebacken und gegessen.“ „Gegessen?“
„Ja, um cool zu sein vor den Weibern.“ Wir grinsten uns an.
„Na ihr unterhaltet euch ja schon schön.“ Marco quetschte sich zwischen uns aufs Sofa.
„Klar du. Und, alle da?“
„Denk schon. Und wer später kommt, soll durch den Garten rein.“
Er drückte mir ein Bier in die Hand.
Ich verzog das Gesicht. „Du lass mal. Bier ist ekelig.“
„Keine Sorge Süße, das ist Pussy-Bier. Probier’s mal.“
„Pussy-Bier? Will ich wissen was das ist?“ ich nahm einen Schluck. Tatsächlich, es schmeckte. Besser als Bier!
Belustigt sah Marco mich an „Nichts Dramatisches. Nur halt Mixbier. Für Pussies.“ Fügte er noch hinzu, woraufhin ich ihn mit dem Ellenbogen in die Seite stieß.
„Hast du Lust zu tanzen?“
„Gott. Das ist alles Neuland für mich.“
„Du hast noch nie getanzt?“
„Ich war generell noch nie auf einer richtigen Party.“
Ungläubig sah er mich an. „Na für alles gibt’s wohl ein erstes Mal. Also komm.“
Er zog mich hoch. Zum Glück war die Tanzfläche rappelvoll. So würde man mich ungeschicktes Entlein nicht so registrieren. Es lief „Taio Cruz – Hangover“ und ich versuchte darauf zu achten, was die anderen Mädchen um mich herum so machten. Also kein richtiges Tanzen: einfach ein bisschen rhythmisch zur Musik bewegen. Das sollte ich hinkriegen.
Marco stand hinter mir und hatte seine Hände auf meine Hüften gelegt. Nicht unangenehm. Wortlos tanzten wir so. Eine Ewigkeit wie es mir vorkam. Dann kam plötzliche ein ruhiger Song. Ich wurde an Marcos Brust gezogen und wir wiegten uns nun eng zum Takt.
Seine Hände verschränkte er vor mir und mir wurde warm.
>Mein erster Tanz mit einem Jungen< dachte ich.
Aber denken wollte ich eigentlich nicht. Und so schloss ich die Augen und lehnte meinen Kopf zurück an seine Schulter.
„Na, alles Ok?“ flüsterte er mir leise ins Ohr und zur Bestätigung lächelte ich leicht.
Das nächste Lied war wieder fetzig und wir trennten uns etwas. „Partyrock is in the house tonight…“ summte ich leise mit und ging total mit der Musik ab. Ich wurde tatsächlich lockerer. So was machte ich eigentlich nur zu Hause hinter verschlossenen Türen, ganz alleine.
Schließlich war es wieder so weit und die Musik wurde ruhiger. Ich wollte näher an Marco rücken, aber er drehte mich um, sah mir tief in die Augen und schließlich schlang ich ihm die Arme um den Hals und verschränkte meine Hände an seinem Nacken. Was sollte ich auch sonst damit machen?
Er lächelte und kam mir näher. Schließlich berührten seine Lippen ganz vorsichtig meine.
Es war schön. Ähnlich wie bei Chris. Das ließ er auch schon wieder von mir ab und sah mich fragend an >Warum nicht? Er scheint nett zu sein. Außerdem gehört das doch zu einer Party.<
So zog ich ihn näher und wieder senkten sich seine Lippen.
Diesmal energischer und seine Zunge berührte meine Unterlippe. Ich ließ ihn ein und schloss die Augen, den Kuss genießend. Er übernahm die Führung. Zeigte mir, was ich mit meiner Zunge anfangen konnte und zog mich schließlich von der Tanzfläche woanders hin. Auf ein Sofa, in einer einsamen Ecke des Raumes. Dort dirigierte er mich auf seinen Schoß.
„Ich bin zu schwer.“ Protestierte ich leise, aber Marco lachte nur und zog mich an seine Brust. „Ach quatsch, Süße. Bist du nicht.“
Wir begannen erneut rumzuknutschen. Mittlerweile konnte man das wohl wirklich so nennen.
Endlich war ich ein normaler Teenager. Hatte meinen Spaß, ohne über Gott und die Welt nachzudenken.
„Stören wir?“ fragte da plötzlich eine bekannte Stimme.
Marco löste sich von mir „Ja.“ Knurrte er, im gleichen Moment wie ich „Nein.“
Chris stand vor uns. Mit einem zierlichen, blonden Jungen.
Ich errötete ertappt, während er mich nur dreckig angrinste und bedeutsam die Brauen hochzog.
„Setzt euch.“ gab Marco schließlich nach, rückte mich jedoch gleichzeitig auf seinem Schoß zurecht.
„Lana das ist Darian. Darian das ist Lana.“
Ich lächelte dem Blonden zu. Ihn konnte man ohne weiteres als schön bezeichnen.
Sanft geschwungene Lippen, Porzellanhaut, meerblaue Augen, zierliches Gesicht. Er sah schon fast weiblich aus. War das wohl Chris Flamme? Nach den schmachtenden Blicken, die dieser ihm zuwarf zu urteilen eindeutig JA.
Darian setzte sich, während Chris uns Getränke holte. Ich hatte noch nicht viel Alkohol getrunken…war ja beschäftigt gewesen und so.
„Wie gefällt dir die Party?“ fragte Marco mich.
„Na was denkst du denn?“ ich grinste. Er erwiderte es und ich rutschte näher an seine Brust.
„Ihr seid ja zwei Turteltauben.“ mischte sich Darian ein.
„Ah da kommt Chris.“ er reichte mir etwas Selbstgemischtes. Ich roch daran.
„Das soll schmecken? Was ist denn da drin?“ zweifelnd blickte ich ihn an. „Besser nicht fragen, Kleine. Einfach trinken.“ meinte Darian zu mir und nahm einen großen Schluck aus seinem eigenen Drink. Der war froschgrün und sah somit noch beängstigender aus als mein knallroter.
Tatsächlich befolgte ich seinen Rat und siehe da, es schmeckte.
Ich lehnte mich also gegen Marcos Brust, trank und hörte den Jungs zu, die über vergangene Parties redeten.
Schließlich stand ich auf „Ich geh mal kurz nach draußen.“ Ohne eine Antwort abzuwarten war ich schon durch den Raum gegangen und drängte mich durch die anderen. Aus dem Augenwinkel sah ich, dass Marco und ich wohl nicht die einzigen gewesen waren, die etwas Spaß haben wollten. Auf der Tanzfläche standen lauter Paare und auch die große Sitzecke war wohl zum Knutschplatz mutiert.
Ich hoffte keiner der Jungs kam mit mir. Ich wollte einfach einen Augenblick alleine haben. Das war alles so neu. Nie hatte ich Alkohol getrunken, geschweige denn einen Jungen so schnell geküsst. Was vielleicht auch daran lag, dass noch nie einer Interesse gezeigt hatte.
Draußen angelangt atmete ich tief ein. Die Nacht war kalt, aber genau das brauchte ich jetzt, um mein erhitztes Gesicht abzukühlen und einen klaren Kopf zu bekommen.
Ich hörte, wie sich hinter mir die Tür öffnete und seufzte.
„Lana?“ Oh. Das war ja Darian.
„Sind die anderen drinnen geblieben?“
„Ja.“ er stellte sich neben mich und zündete eine Zigarette an. „Du auch?“
Abwehrend hob ich die Hände.
„Ne danke. Kann mir nettere Arten vorstellen, krank zu werden.“
Er lachte „Ja, eines meiner Laster.“ „Und die anderen?“
„Sex, Drugs and Rock n’ Roll.“ spöttisch verzog er den Mund.
„Ist klar. Und, jemanden interessantes kennengelernt?“
„Ja, steht gerade vor mir.“
Ich hob die Brauen.
„Ist so. Kommst du morgen auch?“ Damit meinte er wohl die ‚große Party’.
„Ja, Chris schleppt mich mit. Wo ist das eigentlich?“
„Im Mantras. Club in der Stadt. Wird ziemlich viel los sein.“
„Ob wir uns dann überhaupt sehen?“
„Das werde ich schon so einrichten.“ Geheimnisvoll sah er mich an.
Ich musterte ihn nochmals. Er trug ziemlich teure Klamotten. So ein bisschen Alecs Stil.
Und er benahm sich komisch.
„Würdest du mich Küssen?“ fragte er in die Stille hinein.
Ich drehte mich zu ihm. Blickte in sein schönes Gesicht. Seine Augen waren ernst.
„Nein. Das ist nicht so mein Ding. Ich kenne dich nicht.“
Zugegeben, das war eine ziemlich lahme Ausrede. Schließlich hatte mich das ja auch nicht von Chris und Marco abgehalten.
Aber er war seltsam. Wirkte mehr wie ein Jäger und deshalb war ich mir sicher, dass ich bei ihm vorsichtig sein musste. Seine engelsgleiche Perfektion täuschte gewaltig.
„Überleg es dir noch mal. Ich kann mich nur wärmsten empfehlen.“ verführerisch blickte er mich an und ich musste schlucken. Nicht, weil er mich anmachen würde. Er war einfach nicht mein Typ. Zu schön, zu weiblich, zu zierlich. Aber seine Worte bescherten mir eine Gänsehaut. Alles ins allem war er extrem gruselig. „Vielleicht schaffen wir das ja morgen im Club.“ Lächelte er „Kommst du mit rein? Mir wird kalt.“
Wortlos folgte ich ihm.
„Da seid ihr ja wieder.“ empfing Chris uns und schaute uns misstrauisch entgegen.
Wollte wohl wissen, was wir gemacht hatten. Marco sah ich nicht mehr. Ich gähnte. Bisher hatte ich die Müdigkeit die sich einnistete gar nicht gemerkt. Aber jetzt im warmen…
Chris sah mich an.
„Wollen wir gehen? Ist schon spät.“ ich sah auf die Uhr. Halb Zwei. Ja, Zeit zum Schlafen gehen.
Ich nickte und ließ mich gegen ihn sinken. Er nahm mich in den Arm.
„Wird wohl Zeit.“ lachte er. Darian begleitet uns zu den Jacken. Ich schnappte mir meine Handtasche und wartete auf Chris. Über seine Schulter sah ich Marco mit einem anderen Mädchen auf dem Sofa rummachen.
>Ok. So schnell hat er also Ersatz für mich gefunden.<
Aber so wirklich störte es mich nicht. Ich empfand nichts außer freundschaftlichen Gefühlen für ihn. Die beiden Jungs verabschiedeten sich. Dann steuerte der Sonderling auf mich zu und umarmte mich sanft. Ich versteifte mich.
„Bis morgen…“ hauchte er in mein Ohr.
Ich wich zurück und hakte mich bei Chris ein, der die Szene neugierig beobachtet hatte.
„Lass und gehen. Ich will ins Bett.“ murmelte ich noch. Darian sah uns nach.
„Erklär ich dir morgen.“ seufzte ich, als ich Chris Blick sah.
Bei ihm zu Hause, schminkte ich mich schnell ab und fiel dann hundemüde neben ihm ins Bett. Er legte noch einen Arm um mich, bevor wir beide schliefen…
Am nächsten Morgen räkelte ich mich ausgiebig, als ich aufwachte. Warme Sonnenstrahlen fielen durchs Fenster auf mein Gesicht. Ich schlug die Augen auf und blickte zu Chris hoch, der neben meinem - nein Moment mal: Ich lag ja in seinem - Bett stand. Mit einem Tablett in der Hand.
„Wie versprochen, Schatz. Frühstück im Bett.“
Ich seufzte glücklich und setzte mich auf. Dann rutschte ich zu Seite, um ihm Platz zu machen. Er stellte das Tablett auf meinen Schoß und kroch neben mich unter die Decke.
„Wie spät ist es?“
„Gerade mal 11 Uhr.“
„Gerade mal? Normalerweise stehe ich am Wochenende spätestens um 9Uhr auf.“
„Gönn deinem Körper doch die Pause. Hat in der letztens Woche schließlich einigen Stress gehabt. Muss er erst mal aufarbeiten.“
Da musste ich ihm Recht geben und schmierte mir ein Marmeladenbrötchen.
Ich aß genüsslich und merkte deshalb erst spät den Blick, mit dem er mich musterte. „Was?“
„Du siehst süß aus, wenn du schläfst.“
Ich errötete. „Tja, da bist du der Erste der das sagt.“
„Wahrscheinlich auch der einzige, der dich jemals so gesehen hat, oder?!“
Ich grinste „Ja, das auch.“
„Jetzt erzähl mal wegen gestern.“
Stimmt. Da war ja was. Aber was sollte ich ihm erzählen? Dass der Typ, in den er augenscheinlich verknallt war, mich angebaggert hatte? Und dass ich ein ganz mieses Gefühl Darian gegenüber hatte? Vielleicht sollte ich erst mal mit dem harmlosen Teil über Marco anfangen.
„Marco ist nett…“ schon wurde ich unterbrochen.
„Aber du stehst nicht auf ihn.“
Woher wusste er dass den schon wieder? Ich war mir doch da selbst nicht so 100% sicher. Also überlegte ich erst einmal. Marco. War ganz süß, charmant und das Küssen hatte mir wirklich gut gefallen. Aber auch bei ihm war da kein Feuerwerk gewesen. Keine Explosionen in meinem Körper, die Hitze ausstrahlten, keine Gefühle, die mir durch und durch gingen.
„Nein, ich glaub das ist nur freundschaftlich. Er kam an und wollte tanzen…und ich konnte nicht nein sagen. Letztendlich war es ja auch gut. Was hast du denn so gemacht?“
Ich war ehrlich interessiert. Was hatte er wohl mit Darian gemacht? Ich wollte mehr über diesen Jungen wissen.
„Nichts Besonderes. Mich mit ein paar anderen unterhalten, bis mich irgendwann Darian aufgegabelt hat. Er wollte, dass ich euch einander vorstelle.“
Ach, das war ja interessant.
„Hätte er mich nicht selbst anlabern können?“
Obwohl, eigentlich passte es in mein bisheriges Bild von dem Jungen.
„Ist halt seine Art. Wie findest du ihn?“
„Seltsam, wenn ich ehrlich bin. Hab so ein mieses Gefühl bei ihm.“
„Echt? Ich finde ihn super süß.“
„Er ist zu schön!“
Aber wirklich! Kein Mensch sollte so ein Aussehen besitzen. Das war einfach unfair den anderen gegenüber.
„Ich glaub er steht nicht auf Jungen.“ Chris seufzte traurig.
Ich drückte mich an ihn, soweit das mit Tablett auf dem Schoß ging. Der Arme!
„Das glaub ich leider auch.“
„Er hat dich angemacht oder?“
Ich nickte nur.
„Ich finde ihn ziemlich gruselig, gefährlich. Er meinte, er kommt heute auch.“
„Ich weiß. Aber ich denke nicht, dass wir ihn treffen. Er ist im VIP-Bereich.“ „Er meinte, er organisiert was. Seine Eltern sind reich, oder?“
„Ziemlich. Und er wird extrem verwöhnt, ist viel alleine, weil sein Vater arbeitet und seine Mum auf irgendwelche Charity-Aktionen durch die ganze Welt tourt.“
„Er wollte mich küssen.“
„Lass dich besser nicht auf ihn ein.“
Ich und er. Nein. Das verhinderte gar meine Vorstellung. Dafür fühlte ich mich viel zu unwohl in seiner Nähe.
„Keine Sorge, nichts liegt mir ferner. Aber du willst doch was von ihm. Warum warnst du mich dann?“
Er grinste breit. Wie weggeflogen war seine Niedergeschlagenheit.
„Weil ich nicht so naiv und verletzlich bin wie du.“
„Ey.“ Ich zog ihm eins mit dem Kissen über und brachte das Tablett in Sicherheit, bevor er sich revangierte, indem er mich kitzelte. Ich versuchte ihm das Federbett erneut überzuziehen, konnte mich aber kaum bewegen.
Ich lachte und lachte und lachte, bis mir die Tränen kamen.
„Hör auf! Um Gottes Willen!“
…keine Reaktion.
„Hör auf!“ brüllte ich noch lauter.
„Wie heißt das Zauberwort?“
„Aber flott!“
Er legte noch einmal zu und ich wandte mich unter ihm.
„Frieden.“ Keuchte ich. „Frieden bitte.“
Daraufhin ließ Chris von mir ab und hockte sich auf seine Fersen.
Rücklings lag ich auf dem Bett. Die Sonne strahlte ihn mein Gesicht und ich konnte nicht anders als lächeln. Was hatte sich in der letzten Woche nur alles verändert.
So glücklich war ich lange nicht mehr gewesen. Nicht mehr seit dem letzten Urlaub mit meiner Mum. Damals waren wir an der Nordsee. Auch da hatte die Sonne geschienen und Mama hatte mich herum gewirbelt. Und jetzt lag ich hier und war rundum glücklich.
Chris merkte wohl, dass es ein besonderer Augenblick für mich war, denn er stand wortlos aus und ging in die kleine Küche.
Ich ließe noch eine Weile meine Gedanken schweifen. Dachte an meine Mum, die endlich wieder glücklich war, seit die Ralf hatte. Dachte an meine verpatzte Schulzeit bisher und landete schließlich bei Alec. Ich wollte nicht an ihn denken verdammt. Er war ein Arschloch. Aber trotzdem rutschten meine Gedanken wieder in seine Richtung.
Seufzend richtete ich mich also auf, um mich abzulenken und beschloss Chris in der Küche zu helfen.
„Und was machen wir heute?“
„Marco hat gefragt, ob wir aufräumen helfen. Aber wenn du…“
Ich unterbrach ihn. „Klar helfen wir. Muss der Arme ja nicht alles alleine machen.“
Als wir fertig waren verschwand ich im Badezimmer. Duschen und etwas schminken. Jetzt beließ ich es bei Kajal und Maskara. Dann zog ich meine Jogginghose (schwarz, was sonst) an und streifte ein T-Shirt von Chris über.
„Können wir starten?“ kam es aus dem Flur.
„Klar, ich komme.“ Schnell schlüpfte ich in meine Chucks.
„Komm schnell, sonst verpassen wir den Bus.“
Wir stürmten die Straße entlang und Chris konnte gerade noch in die Tür treten, bevor ich hinter ihm hineinstolperte.
„Uff…“ keuchte ich „Meine Güte. Sag das nächste Mal doch fünf Minuten früher bescheid. War das knapp.“
„Knapp? Nein. Knapp ist es, wenn du vor den Bus springst, damit er noch mal anhält!“
„Sag nicht, dass du das mal gemacht hast.“
Sein Grinsen sagte alles. Gott, dieser bekloppte Vogel! Ich war da ja eher bequem veranlagt. Man konnte ja auch noch einen Bus später nehmen.
Zwanzig Minuten später kamen wir bei Marco an. Strahlend öffnete er die Tür.
„Endlich sind die Putzhilfen da. Immer rein spaziert.“
Er winkte uns durch. Chris begrüßte er mit einem Handschlag. Etwas verlegen stand ich dahinter. Wie zum Teufel verhielt man sich einem Jungen gegenüber mit dem man gestern geknutscht hatte…aber irgendwie nur rein freundschaftlich? Damit hatte ich nun mal zu 100% keine Erfahrung. Zum Glück ging Marco das locker an; umarmte mich lediglich und gab mir einen keuschen Kuss auf die Wange. Sofort entspannte ich mich und konnte wieder lächeln.
Er war echt lieb. Und diese ganzen Umarmungen in letzter Zeit. Alles warm und geborgen. Ich spürte, wie mein Herz freudig klopfte. Wie sehr hatte ich mich nach dieser Nähe gesehnt.
Als wir den Keller betraten, riss ich die Augen auf.
Ich blickte entsetzt auf das Bild, was sich mir bot: eine Mischung aus Müllhalde, Innenstadt von Kabul und Schweinestall.
„Wie sollen wir das denn je sauber kriegen?“ entfuhr es mir.
„Mit Fleiß, Spucke und…jede Menge Putzmittel.“
Marco tauschte hinter uns auf und drückte mir ein Paar Handschuhe in die Hand. Dann zauberte er zwei Eimer hinterm Rücken hervor und ein Putztuch. Nur leider hatte ich die Hände schon voll…doch, einfallsreich wie es nur ein primitives männliches Wesen zu sein vermochte, band er es mir um den Kopf, mit einer Schleife an der Schläfe.
Er konnte nicht mehr vor lachen.
„Guck mal Chris. Das Outfit ist wie gemacht für sie!“
Idiot! Aber so wirklich ernst nehmen konnte ich das nicht und so spritzte ich ihn mit Wasser nass und fiel in sein Gelächter mit ein.
Zwei Stunden und etliche, klebrige Flecken, undefinierbaren Ursprungs (über den ich besser nicht allzu genau nachdenken wollte) später, ließen wir uns völlig entkräftet auf die nun wieder ordentlichen Sofas fallen.
„Uff…“ Chris seufzte.
„Danke fürs Helfen.“
„Ist doch selbstverständlich.“ Antworteten Chris und ich unisono.
Außerdem war es wirklich kein großes Opfer gewesen. So viel Spaß wie mit den beiden Jungs, Vollchaoten nebenbei bemerkt, hatte ich schon so lange nicht mehr gehabt.
„Pizza?“ grinste Marco.
Heftig nickten wir und schon 30 Minuten später war gefräßige Stille eingekehrt.
Chris blickte auf die Uhr.
„Wow…schon so spät?! 17Uhr. Lass uns gleich gehen.“
„Wir sehen uns ja dann eh später im Club.“ Verabschiedete uns Marco und so machten wir uns auf den Heimweg.
„It’s Partytime again!“ Chris grinste mich an. „Machen wir dich schick, Prinzessin.”
Gesagt, getan.
Als ich am Ende in den Spiegel guckte, verschlug es mir die Sprache…
Die Musik war laut, aber zumindest lief keine scheiße. Obwohl genau das würde Elana jetzt sagen. Dieses komische Mädchen… seine Stiefschwester.
Verdammt! Was war nur mit mir los?! Dauernd schlich sie sich in meinen Kopf. Erst durch ihre unmögliche Art und diese komische Veränderung an der nur ihr Scheiß-Lover Chris
-wie ich diesen Jungen hasste- schuld war. Und dann hatte ich sie nackt gesehen…das brachte mich doch sonst nicht so aus der Fassung. Zum Teufel!
Ich hatte schon zig Mädchen mit weniger am Leib gesehen, die einiges mehr zu bieten hatten. Und trotzdem hatte ich die Augen nicht abwenden können. Dieses kleine Miststück ging mir nicht mehr aus dem Kopf.
>Aber heute bin ich hier, um die Gedanken loszuwerden. Heute lass ich es mal richtig krachen.< zwar war das nicht der einzige Grund, warum ich heute im Club war, aber Ablenkung in Form von heißen Mädels gab es hier genug.
Im Vipbereich war es bequemer und ich hatte einen guten Überblick über die Tanzfläche unten. Die interessierte mich allerdings weniger. Ich steuerte auf die Truppe meiner Kumpels zu. Aus der Schule war nur Matt dabei.
„Na Alter. Was geht heute bei dir?“ wurde ich begrüßt.
Ich grinste. „Na, was denkst du denn, wieso ich hier bin?“ provokant warf ich ihm einen Blick zu und zog eine Schwarzhaarige Schönheit zu mir und gab ihr einen feuchten Kuss.
>Nicht schlecht für den Anfang<. Parfüm etwas zu aufdringlich, und noch ein wenig mehr Make-up und sie würde ohne Zweifel als Nutte durchgehen, aber was sollte ich hier denn schon erwarten. Und eigentlich war sie genau richtig. Ich hasste es, einigermaßen anständigen Mädels das Herz zu brechen. Zwar nicht genug, um es letztendlich sein zu lassen, aber immerhin befiel mich danach der Hauch eines schlechten Gewissens. Außerdem war ihre Heulerei ätzend.
Ich blickte über den schwarzen, wie ein Seifenladen stinkenden, Schopf des Mädels –wie hieß sie doch gleich? Kathleen? Katarina? Karina? Naja, eigentlich war der Name ja egal- … da fehlte doch einer!
„Wo ist denn unser Jäger?“
„Frischfleisch holen. Etwas Besonderes meinte er. Bin ja mal gespannt…“ Thoma, ein braungebrannter Spanier, grinste mich an. „Da hinten kommst er!“ bewundernd pfiff er.
Ich verdrehte die Augen. Das hieß nichts. Ein Macho, wie es im Buche stand. Pfiff allem hinterher, was Titten hatte.
Was mich irritierte, war Matts fassungsloser Blick. Ich drehte mich um und sah wahrscheinlich so beschissen aus, wie das letzte Mal vor vier Jahren, als mich Dad mit einem Mädchen auf dem Rücksitz seines Autos erwischt hatte. Gott war das peinlich gewesen! Aber sie war scharf, ich war ihr verfallen und sie fand unseren Schlitten so geil…und ich hatte nicht nein sagen können…tja, dass hatte mir einen Monat Hausarrest und einen Riesenärger eingebrockt und zu allem Übel waren wir noch nicht einmal fertig geworden!
Und nun sah ich Darian. Mit einem Mädel im Arm. Nein, nicht mit EINEM Mädchen. Was zum Teufel machte SIE hier? Ich wollte doch die Gedanken freibekommen von ihr.
Aber wie sollte ich diesen Anblick je vergessen?
Ihre Haare waren hochgesteckt und ein Paar dunkelrote Strähnen umrahmten ihr Gesicht, das stolz erhoben war. Braune Augen, verrucht schwarz geschminkt, blitzten mich spöttisch an.
Verdammt, ich musste wirklich ein klägliches Bild abgeben!
Ihr süßer Mund war zu einem kleinen Lächeln verzogen und ihre Lippen schimmerten. Ich war mir ziemlich sicher, dass das natürlich war und nicht wie bei dem Exemplar in meinem Arm von einer halben Tonne Lippenstift fabriziert wurde.
Aber der Hammer war ihr Kleid!
Klassisch schwarz, aber der Schnitt betonte ihre Kurven, die ich ja nur zu gut gesehen hatte.
Es bedeckte nur die linke Schulter und wurde dort von einer Silbernen Schnelle zusammengehalten. Dann fiel es locker an ihrem Körper herunter und war an ihrer Taille gerafft. Schließlich endete es mittig ihrer Oberschenkel und zeigte somit nicht annähernd so viel wie die meisten Mädchen hier. Das Tattoo, das ja neuerdings den rechten Teil ihres Dekoltees betonte lag komplett frei und unterstrich den mystischen Glanz ihrer Augen.
„Alec. Warum wundert es mich nicht, dass ihr euch kennt?“
„Und warum habe ich das Gefühl, dass das kein Kompliment ist?“ fragend sah ihr Begleiter zwischen uns hin und her.
Verdammt! Jetzt war es wohl an mir etwas zu sagen…aber was…uns vor allem wie? Sprechen? Wie ging das noch mal.
Elana, ganz gelassen stand sie da, nahm es mir ab. Dabei hatte ich es doch gerade geschafft, meinen Mund zuzumachen!
„Ich weiß nicht, wie du darauf kommst.“ Die Ironie in ihrer Stimme strafte die Bedeutung ihrer Worte Lügen. „Darian, willst du mich nicht den anderen vorstellen? Die Jungs warten unten.“
’Die anderen’ standen nun im Kreis zusammen und musterten die Szene interessiert, belustigt und teilweise ungläubig.
„Also…ähm…das ist Elana…“
„Nur Lana. Und ihr seid?“ unterbrach sie den perplexen Darian.
Sie hatte es sogar geschafft ihn aus der Fassung zu bringen. Und das war noch nie vorgekommen, soweit ich mich erinnern konnte.
Elegant wendete sie sich Thoma zu und zog bedeutsam die Augenbrauen hoch.
„Ich bin Thoma, Lady. Schön Sie kennenzulernen.“ Brachte dieser amüsiert hervor. Sie quittierte das mit einem verschmitzten Grinsen „Nein, die Freunde ist ganz meinerseits, mein Herr.“
Thoma lachte. Na einen hatte sie schon mal für sich gewonnen.
„Ian. Freut mich ebenfalls. Darian hat ziemlich viel von dir gelabert.“ Ian war sonst eher still, angenehm, ziemlich geerdet und sich nicht zu schade, sie ab und zu von ihrem hohen Ross hinunter zu holen. Das war wohl manchmal auch nötig, wie ich mir eingestehen musste.
„Ach ja, hat er das.“ Sie bedachte Darian mit einem Seitenblick.
„Nur Gutes versteht sich.“ Charmant lächelte er sie an. Hatte seine Fassung wohl zurückgewonnen. Verdammt. Damit sollte ich wohl langsam auch anfangen!
„Natürlich.“ Murmelte Lana und verdrehte die Augen.
„Mich kennst du ja schon.“ Meinte Matt nur, der neben Ian stand. Ihn bedachte meine Stiefschwester nur mit einem kalten Kopfnicken.
„Louis.“
„Rouven.“ „Raoul.“ Sie hatte für jeden einen mehr oder weniger freundlichen Kommentar über.
Wo war bloß das Mädchen von vorher geblieben? Auf der man rumhacken konnte. Sie war ja jetzt fast schon vorzeigbar! Warum sträubte ich mich also dagegen? Warum störte es mich, wenn sie mit Chris zusammen war? Warum regte es mich auf, dass Darian den Arm um ihre Hüfte gelegt hatte? Unwillkürlich zog ich das schwarzhaarige Ding in meinen Armen näher. Sie hatte ich vorher ganz vergessen. Und nun sollte sie mir gefälligst als Schutz dienen!
„Lana!“ ertönte es da plötzlich.
Sie drehte sich um, ohne den Arm des blonden Schönlings zu beachten.
Marco kam auf sie zu. Marco. Den kannte sie auch?
Er war ein Idiot. Hatte auch immer viele Mädchen, aber nicht annähernd so einen Status wie wir. Er war ein billiger Nachmacher, so viel war sicher!
Umso mehr ärgerte mich der warme Blick, mit dem sie ihn bedachte.
Ohne uns zu beachten trat er hinter sie und flüsterte er ihr etwas ins Ohr…
Sie grinste und drehte sich langsam zu ihm um, blickte ihm tief in die Augen und…
WAS?! Sie küsste ihn, schlang ihm die Arme um den Hals.
Darian stand daneben und musterte sie interessiert. Alle anderen gafften. Ebenso wie ich, nahm ich an.
Schließlich löste sie sich von ihm.
„Lass uns gehen, Chris wartet!“ meinte Marco.
Apropos Chris…war er doch nicht ihr Freund? Mit ihm hatte sie doch erst letztens rumgeknutscht…irgendwie entging mir da wohl was.
Mit einem letzten Blick in die Runde, wandte sie sich zuletzt an Darian „Tja, war wohl wieder nichts, aber vielleicht hast du ja beim nächsten Mal mehr Glück.“ Und an mich gewandt fuhr sie fort „Wir sehen uns ja eh noch.“
Damit wandte sie sich um und dieser Idiot führte sie hinunter in den Bereich für die normalen Gäste.
„Was war das?“ brach Thoma das Schweigen, was entstanden war.
Ich schwieg. Zu verwirrt um einen vernünftigen Satz herauszubringen. Dieses Mädchen machte mich verrückt! Vor dieser letzten Woche war sie ein Niemand. Nein, noch weniger! Und jetzt? Darian hatte Interesse an ihr!
„Alec! Jetzt sag mal, woher du die kennst.“ Bohrte Ian.
Ich seufzte. Scheiße! Um eine Antwort kam ich wohl nicht herum.
„Sie ist meine Stiefschwester!“
„Dios mío!“ entfuhr es Thoma „Wieso hast du nicht gesagt, dass du mit so einem geilen Mädel unter einem Dach wohnst! Ist sie gut im Bett?“
Genervt blickte ich ihn an. „Keine Ahnung. Sie ist ein Freak.“
„Ein ziemlicher.“ Meldete sich Matt zu Wort. „Und eigentlich dachte ich sie wäre mit diesem Emo zusammen?!“
„Mit wem? Chris?“ Darian grinste.
„Ja, diesem schwarzhaarigen Volltrottel.“ Knurrte ich.
„Das glaub ich kaum. Der ist so schwul wie Georg Michael!“
„WAS?!“ entfuhr es mir. Schwul? Aber wieso…?
„Wie kommst du denn darauf, dass sie zusammen sind?“
„Ich hab sie im Bett erwischt. Der Typ ist fast jeden Tag bei uns zu Hause, seit sie sich kennen!“ fauchte ich.
„Interessantes Mädchen…“ war Ians Kommentar.
„Sehr interessant. Wie für mich gemacht.“ Darian grinste verschlagen.
„Was hast du vor?“
„Ich will sie, was sonst? Aber vielleicht wird das ja was Ernstes…“
Da konnten wir alle nur grinsen. Darian und eine feste Freundin? Eher würden Kühe anfangen Fahrräder zu stricken!
Und trotzdem…sie hatte anscheinend seinen Jagdinstinkt geweckt. Und mit diesem Jungen war nicht zu Spaßen. Er bekam immer was er wollte und akzeptierte absolut kein ‚Nein’.
Aber was sollte mich das interessieren? Schließlich würde es ihr nur recht geschehen. Aber irgendwie…
„Lasst uns runter zum einfachen Volk gehen. Die Mädels warten.“ Grinste Thoma.
„Dann kann ich die Kleine besser im Auge behalten.“ Fügte der engelsgleiche Junge hinzu.
So wurde ich aus meinem äußerst beunruhigenden Gedankengang gerissen. Außerdem zerrte das parfümierte Etwas an meinem Arm ungeduldig. Die hatte ich ja ganz vergessen.
Ergeben erwiderte ich den Kuss, mit dem sie mich malträtierte. Es machte noch nicht einmal Spaß, verdammt! Dennoch zwang ich mich dazu, ihr meine Zunge in den Mund zu schieben und weiter zu machen.
Ihre Finger glitten unter mein T-Shirt. Ein unwohles Gefühl überkam mich…
Klar. Darian und Alec kannten sich. Natürlich kannten sie sich!
Wie konnten auch zwei ‚Kings’, wie sie es ja waren, sich nicht kennen!
Tja, war ich wohl doch nicht so schlau, wie ich dachte, wenn ich noch nicht einmal in Betracht gezogen hatte, dass sie sich kannten.
Ich hatte so einen Schock bekommen, als ich ihn da bei den anderen sah. Aber klar. Eine Gruppe von reichen, verwöhnten…heißen (wie ich mir leider eingestehen musste) Schnöseln war genau sein Milieu.
Aber ich war stolz auf mich. Kein Stottern, kein Senken des Blickes, ein scheinbar selbstbewusstes Auftreten frei nach dem Motto ‚Brust raus, Bauch rein’
Moment…War Darian schon mal bei uns zu Hause gewesen? Oder einer der anderen? Oh Gott…
„Was ist los?“ Marco beugte sich zu mir herüber, damit ich bei dem Lärm hier überhaupt etwas verstand.
„Nichts. Schon gut. Danke für die Rettung.“
Ich schob die Gedanken bei Seite. Verdammt, ich war hier um Spaß zu haben. Nicht um noch mehr nachzudenken.
„Kein Ding. Sei vorsichtig mit Darian. Er ist…“
„…gefährlich? Ich weiß. Bist nicht der Erste, der mich warnt. Aber keine Sorge, er ist definitiv nicht mein Typ!“
„Pass trotzdem auf. Ich geh mal die scharfe Blondine von eben suchen. Viel Spaß noch, Schatz.“
Mit diesen Worten verschwand er wieder in die tanzende Menge.
Wo war bloß Chris? Suchend sah ich mich um, bis mir irgendwann auffiel, dass es ziemlich lächerlich war, mich mit meinen 1,75m (wenn man die Bonus cm, die meine Schuhe mir verschafften dazu rechnete) in einem rappelvollen Club nach einer Person umzusehen und mich dabei wie ein Karussell im Kreis zu drehen.
Also gut. Dann eben nicht.
Tanzen? Tanzen! jetzt führte ich schon einen Inneren Dialog.
Sieh an, so weit war es schon mit mir gekommen.
Die Musik war absoluter Ohrenkiller, aber immerhin stimmte der Rhythmus.
Nicht denken. Einfach machen. So versuchte ich abzuschalten und einfach nur ein bisschen Spaß zu haben…und siehe da: nach einer Zeit wurde ich lockerer.
Plötzlich legten sich zwei Hände auf meine Hüfte. Bitte, bitte lass es Chris sein.
Aber natürlich war er das nicht. Außer er hatte ein neues Parfüm. Mit Lavendel? Nein, nie im Leben.
„Darian!“
„Warum klingt das denn so enttäuscht, meine Schöne?“ raunte er mir ins Wort.
Ich bekam Gänsehaut, aber sicher nicht, weil er mich antörnte. Gruselig der Junge und abartig…ich meine Lavendelduft?!
„Hätte mir eine angenehmere Überraschung gewünscht.“ Gab ich genervt zurück.
Er zog nur eine Braue hoch.
„Ach ja? Glaub mir, Süße, ich bin so ziemlich die angenehmste Überraschung, die dieser Club zu bieten hat.“
„Aaaaaja.“ Ein spöttisches Grunzen meinerseits.
Verdammt. Wie konnte ich ihn nur davon überzeugen, dass ich nicht im Geringsten etwas von ihm wollte?
Er war ja beinahe noch schlimmer als Alec.
„Du verpasst einiges.“
„Du bestimmt auch, wenn du mich nicht endlich in Ruhe lässt und deine Groupies beglückst.“
Meckerte ich ihn an.
„Wie schön, dass du so um meine Wohl besorgt bist!“
„Purer Eigennutz.“ Winkte ich ab und tanzte ein Stück von ihm weg.
Er grinste. „Das gefällt mir. Wir haben sicher noch die Gelegenheit. Später.“
Damit wandte er sich zum Gehen, drehte aber noch ein letztes Mal den blonden Kopf und meerblaue Augen funkelten mich an „Hier gibt es den besten ’Apricot Blossom’ der Stadt. Nur so als Tipp“
Mit einem letzten verführerischen Lächeln verschwand er in der Menge.
Ähm…Ok. Schön für ihn!
Ich ließ mich nicht weiter stören. Zumindest für die nächste Zeit war ich ihn losgeworden! Das war ja schon mal etwas.
Kurz darauf spürte ich schon wieder zwei Hände, die mich betatschten. ‚Zu früh gefreut’ resignierte ich.
„Dem hast du’s aber ganz schön gegeben, Lady.“
Oder auch nicht. Grinsend drehte ich mich um
„Ja nicht war, mein Herr.“
Wie hieß er noch mal? Tobi? Tommi? Nein, Thoma…oder so ähnlich. Ich hasste Spanisch und Italienisch und das ganze da unten.
„Hast du Lust zu tanzen? Dann lässt er dich in Ruhe und ich habe auch endlich meinen Frieden.“
„Nur, wenn du versprichst, mich nicht anzubaggern. Ich will nichts mit Alecs Freunden haben.“
„Da kannst du dir sicher sein. Ich hab eine Freundin. Und ich kann sehr treu sein, wenn ich verliebt bin. Und das bin ich ziemlich.“
„Freut mich für dich.“
Treu? Na, wenn er meinte.
„Warum bist du ohne sie hier?“
„Sie nur für einen Abend aus Spanien einfliegen zu lassen, erschein mir dann doch ein bisschen übertrieben.“
„Aus Spanien?“
„Ja. Sie lebt dort.“
„Eine Fernbeziehung, wie traurig. Aber lass uns tanzen, diesen Lärm zu überschreien tut meiner Stimmer bestimmt nicht gut.“
Ohne eine Antwort abzuwarten drehte ich mich zu ihm um und tanzte weiter.
Dabei musterte ich ihn. Nicht allzu groß (aber größer als ich), braune Augen, schwarze Haare, die ihm ins Gesicht fielen und tolle dunkle Haut. Nicht schlecht. Aber vergeben und deshalb tabu.
Er zog mich zu sich. Auf meinen fragenden Blick hin antwortete er „Sonst glaubt uns doch keiner unseren Flirt.“
Ich grinste. Jaja, das sagten sie doch alle.
Aber er beließ es dabei und so bewegten wir uns einfach dicht aneinander, ohne zu reden und ohne dauernd nervig angelabert zu werden.
So langsam spürte ich meine Füße unangenehm gegen die hohen Schuhe protestieren.
„Lass uns mal eine Pause einlegen. Meine Füße brauchen Erholung.“
Er stöhnte theatralisch auf „Frauen. Warum lauft ihr auch in solchen Mörderteilen herum?“
Mörderteile? Die waren doch noch verhältnismäßig harmlos!
„Weil das schwanzgesteuerte Geschlecht nun mal drauf steht!“
„Wie wahr.“
Thoma nahm sich noch genügend Zeit meine Beine ausgiebig zu begutachten.
„Und? Für Gut befunden?“ neckte ich ihn.
„1+ mit Sternchen. Nur die von meiner Freundin sind schöner.“
„Dein Glück.“
„Finde ich auch. Komm.“
Damit führte Thoma mich elegant durch die tanzende (obwohl, bei der Musik hier eher hopsende) Menge zu Bar.
Vor der waren kleine Sofas in Sitzgruppen angeordnet und die Akustik etwas besser.
„Ich hol’ und was zu trinken. Was möchtest du?“
„Egal. Ich lass mich überraschen und vertraue auf deinen guten Geschmack und deine Ahnung von Frauenwünschen.“
„Eine gute Entscheidung. Warte hier.“
Ich ließ mich in die weichen Polster fallen und zog meine Füße aus den Pumps.
Oh man. Darin einen ganzen Tag laufen? Nie im Leben. Noch nicht einmal, um dem starken *räusper* Geschlecht zu gefallen!
Eine kurze Zeit später ließ sich Thoma neben mir nieder.
„Na, wie geht’s dem Pflegefall?“
„Gut genug, um dreiste Hotties zu verprügeln.“
„Nana, wer will denn hier gleich gewalttätig werden. Probier mal.“
Damit reichte mir mein Gegenüber, den meine Drohung wohl nicht im Geringsten eingeschüchtert hatte, einen gelborangenen Drink.
Hmm. Der roch aber gut.
Ich probierte einen Schluck.
„Wow. Was ist das? Das schmeckt geil!“
„Ein ’Apricot Blossom’, Spezialität des Hauses.“
„Hab ich schon von Darian gehört.“
„Apropos, warum ist er so verrückt nach dir?“
„Wenn ich das wüsste. Ich hab ihm keine Hoffnungen gemacht. Und viele Mädels hier sind richtig heiß.“
„Wahrscheinlich sein Sammelinstinkt. Er hatte schon viele heiße Weiber…“
„…und da sucht er sich jetzt was unspektakuläreres?“
„So war das nicht gemeint. Du bist interessant.“
Ich nahm mir Zeit einen kräftigen Schluck zu nehmen.
„Bin ich das? Naja, wenn du meinst. Ich hab kein Interesse an ihm.“
„Aber an einem Schwulen und Marco?“
Ich zuckte mit den Schultern. Chris war anscheinend ein geouteter Schwuler…nur auf unserer Schule noch nicht. Naja, er hatte wohl mit mir auch nicht den besten Einstieg dort gemacht und wenn er dann direkt damit rausgeplatzt wäre…ich grinste.
„Das war nichts.“
„Hab ich anderes gehört.“
„Von wem? Alec?“ Volltrottel. „Der hat doch keine Ahnung.“
„Was hast du eigentlich gegen ihn?“
„Och du, weiß nicht so genau. Habe manchmal das ungute Gefühl, dass er mich nicht mag und ein kleines Bisschen gemein zu mir ist, aber ansonsten ist er wahrscheinlich ein ganz netter Kerl.“
Ich funkelte ihn an.
„Wow, wow, wow schon gut. Anderes Thema. Auch wenn er wirklich ok ist.“
„Erzähl mir von deiner Freundin!“
„Sie heißt Sancha. Ich habe sie vor zwei Jahren im Urlaub kennengelernt.“
„Wow. Vor zwei Jahren? Solange seit ihr schon zusammen.“
„Nein. Sie hat mich verschmäht.“
Er setzte eine leidende Miene auf.
Ich grinste „Gefällt mir, das Mädchen.“
„Sie sieht aus wie eine Göttin. Ich glaube ich hab sie fast angesabbert und naja…dann hab ich sie halt angesprochen. Im Eis-Café. Sie war die Bedienung.“
„Oh wie süß.“
„Ja, vor allem, als sie mir dann das Eis dann ’ausversehen’ über die Hose gekippt hat.“
Ich lachte „Sehr sympathisch. Ich bin mir sicher, du hattest es verdient!“
„Danke für deine moralische Unterstützung. Ich arbeite hier gerade mein Jugendtrauma auf!“
„Ich bin sicher, dass schaffst du auch ohne seelischen Beistand.“
Er war lustig, kaum zu glauben, dass seine Eltern wohl stinkreich waren und er mit Leuten wie Alec und Darian rumhing.
„Na gut.“ Er schmollte kurz, fuhr aber fort, als ich ihn auslachte
„Ich war drei Wochen jeden Tag Eis essen, um sie zu sehen. Und nach den ersten Tagen ließ ich sogar die typischen Anmachsprüche weg, aber sie blieb hart.“ Thoma seufzte, wie in einem kitschigen Liebesfilm.
„Und Schwerenöter? Wie hast du sie dann rumbekommen?“
„In dem Urlaub gar nicht mehr. Als wir zu Hause waren, wurde mir klar, dass ich ohne sie absolut nicht leben kann. Verdammt. Ich war zum ersten Mal verknallt. Aber so richtig.“
„Also hast du sie im nächsten Urlaub weiter zu Tode genervt, bis sie nicht mehr anders konnte, als ja zu sagen?“
„Was denkst du von mir!“
Er lachte.
„Ich bin direkt am nächsten Tag wieder hingeflogen, hab mir ihre Adresse vom Ladenbesitzer geben lassen und mich abends mit einer Gitarre unter ihr Fenster gesetzt und ihr gesungen.“
Nein. Das hatte er nicht wirklich oder? Ich sah in sein todernstes Gesicht und konnte nun nicht mehr vor Lachen. „Da wird doch jede schwach!“
„Ja, aber erst nachdem sie mir einen Eimer Wasser überm Kopf ausgelehrt hat. Naja. Vergessen wir diese dunkle Phase meiner Beziehung.“
Ich wischte mir vorsichtig Lachtränen aus den Augen.
„Na ihr zwei Turteltauben. Schon wieder jemanden gefunden, Süße?“ klang plötzlich eine bekannte Stimme hinter mir.
„Chris. Da bist du ja.“
„Und der heiße Typ neben dir ist?“ fragte er sogleich.
„Thoma. Und deine Begleitung?“
„Das ist Maxi. Na komm nicht so schüchtern.“ Er zog einen zarten, braunhaarigen jungen hinter sich hervor.
„Darf ich vorstellen: Lana.“
„Ähm…hi…“ der war ja echt knuffig.
„Na du. Wie läuft’s bei euch denn so?“ nahm ich ihm die schwere Bürde des Gesprächs ab.
„Klasse.“ Chris zwinkerte mir bedeutend zu, was ich mit einem Augenbrauenheben quittierte. Ich würde es im gönnen. Nachdem, was er alles für mich getan hatte. Sich so als völlig Fremder dem Outsider schlechthin anzunehmen…
„Darian nervt.“ Informierte ich ihn.
„Oh. Mein Beileid.´Aber im Moment ist er anderweitig…“ Chris machte eine bedeutungsvolle Pause „…beschäftigt. Aber sei trotzdem auf der Hut.“
„Aye, aye Sir!“
„Ach ja, deinem Stieftrottel scheint es nicht wirklich gut zu gehen.“
„Alec?“ mischte sich nun Thoma ein.
„Jop. Hat wohl ein paar ’Apricot Blossom’ zu viel gehabt. Vielleicht solltest du mal nach ihm sehen…Familie und so.“ murmelte er grinsend.
„Oder so…Naja, Mum bringt mich um, wenn ich ihm die Hilfeleistung verweiger’. Egal wie aussagekräftig mein Argument, dass er ein Idiot ist, auch sein mag.“
„Viel Spaß. Schreib mir, ob du nachher mit zu mir kommst.“
„Ja, erstmal Lage abchecken.“
Damit erhob ich mich wieder und – oh Wunder – meine Füße machten anstandslos mit.
Zusammen mit Thoma bahnte ich mich durch die Menge in die Richtung, die Chris mir gewiesen hatte. Schon von Weitem sah man einen Menschenauflauf, der selbst für diesen Club etwas zu groß für einen Zufall war.
Wir bahnten uns einen Weg durch die Schaulustigen und waren schließlich am Punkt des Geschehens angelangt.
Mir stockte der Atem, als ich das Spektakel sah.
Sollte ich lachen? Oder war ich zu geschockt dafür?
Oder vielleicht doch sabbern, so wie es die anderen Mädchen taten?
Lana! Er ist das Arschloch von Stiefbruder! Wies ich mich selbst zurecht.
Aber warum war er so verdammt heiß?
Wie er das so oben ohne stand, war ein absolut göttlich, männliches Bild.
Alleine die Tatsache, dass er dabei aus vollem Halse in eine leere Bierflasche sang und windmühlenartige Armbewegungen machte, störte den Ausblick.
„Na der hat aber mehr als ein paar ’Apricot Blossom’ zu viel getrunken.“ Lachte Thoma und steuerte geradewegs auf seinen Freund zu.
Wo war Alecs verdammtes Hemd geblieben?
Ich sah mich um und entdeckte es ein paar Meter entfernt auf dem Boden liegen.
Um nicht nur doof herumzustehen und ihn anzugaffen (das würde ich mir später nie verzeihen können), ergriff mein pragmatisch denkendes Hirn mal wieder die Führung und ich hob das Kleidungsstück auf und ging nun ebenfalls auf den unzurechnungsfähigen Betrunkenen zu.
Noch ein anderer Junge stand bei ihm. Ian? Ja ich glaub so hieß er.
„Ihr seid zu spät um seinen heißen Striptease mitbekommen zu haben!“ grinste er und nahm Alec die Flasche aus der Hand.
„Schade.“ Antworteten Thoma und ich gleichzeitig. Verdammt! Warum war das von meiner Seite aus nicht komplett spöttisch gemeint?
Ich musste dringend etwas gegen diese komischen Alec-betreffenden-GUTEN Gedanken tun!
Wenigstens lenkte mich sein schrecklicher Gesang ab, der erst jetzt richtig zu mir durchdrang, nachdem ich mir die Gedanken an sein Äußeres verbot.
Auf dem musischen Gebiet hatte der selbsterklärte Mister Perfect auf jeden Fall einen riesigen Schwachpunkt. Er klang wie eine Katze mit eingeklemmtem Schwanz…oder ein ganzer Haufen von diesen Katzen.
Das schien allerdings die sabbernden Weiber drumherum nicht weiter zu stören.
„Bringen wir ihn hier weg.“ Meinte Ian immer noch lachend.
„Zieh dich endlich wieder an.“ Fauchte ich meinen vermaledeiten Stiefbruder an.
„Warum? Is sooo heiß hier. Du bischso heiß.“
Nun musste ich doch grinsen. Er lallte ja wie im Film.
„Ich weiß, aber du bist cool und deshalb musst du jetzt was anziehen.“
Mein Gott! Ich sprach wie mit ihm wie mit einem Kleinkind. Aber anscheinend half es, denn er strahlte mich nur an. Wow! Dieses Lächeln. In einer anderen Situation hätte es mich garantiert umgerissen, aber dafür war ich gerade zu gestresst, diesen peinlichen Auftritt endlich zu beenden.
„Ooookey. Wenn du dasch saaagst.“
Das konnte anstrengend werden. Ich seufzte.
„Wir nehmen ein Taxi.“
Die beiden Jungs nickten und ich wandte mich an Thoma.
„Sagst du Chris bescheid, dass ich nicht bei ihm schlafe, sondern mit dem Trottel nach Hause fahre?“
„Klar mach ich.“
„Un’ dann machen wir unsch eschs gemüüüütlisch.“ Alec legte den Arm um mich und versuchte wohl verführerisch zu gucken.
Dabei hatte er allerdings solche Ähnlichkeit mit dem schielenden Opossum Heidi -Gott hab sie selig-, dass ich nicht anders konnte, als loslachen.
„Warum la- laschtdu übba misch?“
Ich ignorierte ihn und drängte mich weiter in Richtung Ausgang, als mich plötzlich eine Hand am Arm packte und herumriss.
„WARUM LASCHT DU ÜBBA MISCH????“ brüllte mich ein zorniger Besoffener an.
„Alter, komm’ mal wieder runter!“ Ian wollte ihm die Hand auf die Schulter legen.
Doch Alec taumelte zu Seite und hätte sich beinahe auf seine (sehr knackigen) vier Buchstaben gesetzt.
„FASS MISCH NISCHT AAAN!“
Scheiße! Der war ja mal völlig hinüber.
Weiter weg sah ich, wie sich ein paar stämmige Kerle zu uns durchbahnten.
Ohoh…das würde Ärger geben, wenn er sich nicht beruhigte und wir uns endlich aus dem Staub machten.
Improvisiere, Elana, improvisiere!
„Ich lache nicht über dich. Ich hab mich nur an etwas erinnert…“ er sah nicht sehr überzeugt aus, verdammt! Märchen erzählen war noch nie meine Stärke gewesen… Sollte ich vielleicht mal auf meine imaginäre to-do-List setzen.
„Ähm…außerdem finde ich es toll, dass du mich zum Lachen bringst. Das macht mich tierisch an.“
Was redete ich eigentlich hier? Gleich würde ich vor Scham im Boden versinken.
Hinter Alec grinste mir Ian zu und zeigte den Daumen hoch.
„Wiiiirklisch?“
„Ja total. Jetzt lass und gehen, damit ich dich vernaschen kann.“
„Aber klar doch, Schatz. Alles was du willst.“ Alec strahlte wieder und legte einen Arm um meine Schultern, sich kräftig aufstützend. Na super. Jetzt taumelten wir beide durch die Menge.
Zum Glück war da der Ausgang.
Ian war immer noch hinter uns.
„Mit dem lass ich dich nirgendwo alleine hin.“ Flüsterte er mir zu und ich nickte dankbar.
Der war ja so noch schlimmer drauf als nüchtern. Diese Stimmungsschwankungen…gruselig.
Endlich an der frischen Luft atmete ich erleichtert auf.
Ian steuerte uns zu seinem Auto.
„Bist du noch…“
„…nüchtern? Ja. Ich hab nichts getrunken.“
„Na wenigstens einer.“ Murmelte ich und Ian grinste.
Nachdem wir einen zum Glück nun schweigenden Alec auf die Rückbank von Ians Mercedes verfrachtet hatten, ließ ich mich kraftlos in die Polster sinken.
„Was für ein Abend…“ sinnierte der nüchterne Junge.
Wie sehr musste ich ihm da Recht geben. Wenn das beim Feiern immer so abging, würden mir spätestens nach dem dritten Mal graue Haare wachsen.
„Alec sorgt immer für eine lustige Show.“ Grinste Ian.
„Lustig…und unendlich peinlich!“
„Das auch, aber morgen weiß er eh nichts mehr.“
„Keine Videos, die irgendwo auftauschen?“ das musste doch bei dieser Handy-Bonzen-Generation unweigerlich passieren.
„Nicht das ich wüsste. Die Mädels sind zu gebannt von ihm und die Jungs haben Schiss. Er hat schon einmal ein Exempel statuiert…seitdem kommt keiner mehr auf dumme Ideen.“
Ein Exempel statuiert…wie passend für ihn.
„Wir sind da. Soll ich dir helfen mit ihm?“
„Wäre super. Ich weiß nicht, was Ralf dazu sagt, wenn ein betrunkener Alec die Treppe runterfällt…“
„Begeistert wär’ er bestimmt nicht, also los. Holen wir unseren Kleinen mal hinten raus.“
Ich prustete los, beruhigte mich aber schnell wieder…wer weiß, was Alec sonst wieder anstellte.
Komischer Weise war er mittlerweile ganz umgänglich. Er hielt die Klappe und tat das, was man ihm sagte. Naja, zumindest bemühte er sich. Das mit dem geraden Laufen klappte nicht wirklich und ich fragte mich, wie er heil bis hoch in sein Zimmer kommen sollte, aber Ian schleppte ihn irgendwie dahin und damit war das Thema dann auch beendet.
Ich hatte noch nie seinem Bereich gesehen. Wieso auch? Neugierig war ich, was ihn anging, nie gewesen und eine freiwillige Zimmerführung hatte er mir –oh Wunder- auch nicht angeboten.
Interessiert musterte ich nun aber doch seinen Raum. Er war riesig. Noch größer als meiner. Und natürlich hatte er auch ein eigenes Bad.
Weiße Wände mit grünen Akzenten aufgepeppt (zum Beispiel seinem dunkelgrünen Bettzeug…Satin, wenn ich bemerken darf) und dunklen Holzmöbeln.
Ian brachte ihn zu dem großen Doppelbett, legte ihn darauf und zog ihm die Schuhe aus.
Kaum lag Alec, schlossen sich auch schon seine Augen und sein Atem ging ruhig.
„So gefällt er mir schon besser.“ Meinte ich am Türrahmen lehnend.
„Ich stell ihm noch einen Mülleimer hin, dann lassen wir ihn am besten in Ruhe.“
„Mülleimer?“
„Für die negativen Wirkungen von Alkohol…“
Oh Kotzen…ja klar…
„Ähm…ja, mach das…“
Schließlich zog er leise die Tür hinter sich zu.
„Wie spät ist es eigentlich?“ fragte er mich.
„Keine Ahnung. Moment.“ Ich kramte mein Handy aus der Tasche. „Woah! Schon fast zwei Uhr.“
Er seufzte.
Der Arme musste noch nach Hause, oder…
„Willst du hier schlafen? Dann musst du nicht noch nach Hause fahren.“
„Wäre super, der Weg ist was weiter.“
Hm…bei Alec konnte er schlecht schlafen. Gästezimmer! Nein, Mist, das wurde renoviert.
Verdammt! Warum konnte ich nicht erst denken, und dann erst reden.
Blieb ja nur noch mein Zimmer!
„Ich fürchte, du musst bei mir pennen…geht nicht anders.“
Er grinste anzüglich.
„Wehe du behältst deine Pfoten nicht bei dir!“
„Sonst?“ provokant verzog er die Augenbrauen.
„Sonst…schläfst du auf dem Boden.“
Er lachte.
„Ohne Decke!“ ich bemühte mich vergeblich streng zu klingen.
„Schon gut, schon gut. Du bist nicht so mein Typ.“
„Perfekt. Dann kann ich ja beruhigt sein.“
„Lass uns schlafen gehen, ich bin Hundemüde.“
Ich schminkte mich nur noch schnell ab und schlüpfte in meinen Schlafanzug; eine graue Jogginghose und schwarzes Top.
Als ich wieder kam lag er schon nur in Boxershorts im Bett. Ein Hoch auf die Erfindung dieser Männerunterwäsche; sie verdeckte schön viel.
Ich legte mich möglichst weit von ihm entfernt ins Bett, was er mit einem Lachen quittierte.
„Lana, du hast absolut nichts zu befürchten! Ich bin nicht so wie die anderen, Ok? Ich fall nicht direkt über dich her.“
„Trotzdem kenn’ ich dich nicht und du schläfst nur aus Gastfreundschaft hier im Bett.“
Seufzend gab er auf und schloss die Augen.
Ich würde den Abstand waren, nahm ich mir vor…
Aber eigentlich hätte es klar sein sollen, dass ich meinen Körper im Schlaf nichts aufzwingen konnte.
Am nächsten Morgen erwachte ich also an einer warmen Brust. „Verdammt!“ entfuhr es mir.
8. Fun Day with a bad Twists
Ein Lachen erklang und ich sah, wie mein Bettgefährte mich von oben musterte. Um Größen mäßig nicht mehr im Nachteil zu sein, stützte ich mich auf die Ellenbogen.
Wie hieß er noch mal…Ian? Ja, ich glaub, so war’s.
>Elana! Jetzt weißt du noch nicht mal mehr, wie die Jungs heißen, mit denen du im Bett landest!< schimpfte ich mich innerlich aus.
„Morgen, du Schlafmütze!“ Begrüßte er mich nun.
„Morgen.“ Nuschelte ich.
„Bist du schon fit soweit, oder brauchst du noch was?“
Also eigentlich war ich ja kein Langschläfer, aber gestern war es einfach verdammt spät geworden und außerdem war es hier kuschelig warm im Bett.
Fragend sah er mich an.
„Lass uns mal nach dem Pflegefall gucken.“ Grinste er.
Ha! Das war wirklich ein Grund aufzustehen. Was konnte es besseres geben als den Feind verkatert am Boden zusehen?
Schien so, als hätte meine theatralische Seite mal wieder die Führung übernommen.
Hoch motiviert sprang ich also aus dem Bett.
„Na komm schon!“ forderte ich ihn auf. Bloß nichts verpassen.
Langsam erhob er sich.
Scheiße, er hatte obenrum ja immer noch nichts an…aber wenn man einmal Chris und Alec gesehen hatte, brachte sein gutes, aber doch eher durchschnittliches Aussehen nicht mehr aus der Ruhe. Er angelte sich sein T-Shirt vom Boden und streifte es über. Zusammen mit seinen Socken.
Ich begann zu lachen.
„Was?“
„Guck mal in den Spiegel.“ Brachte ich hervor.
Er grinste. „Die pure Erotik am Morgen.“ Ian wackelte mit den Augenbrauen.
„Total.“ Ich verschwand noch kurz im Bad, um mein Gesicht zu waschen und obligatorisch etwas Wimperntusche aufzulegen, wir hatten schließlich Besuch!
„Also, los geht’s.“ ich grinste ihn an.
Wir traten aus der Tür uns liefen prompt meiner Mutter in die Arme.
„Elana! Ich denk du bist bei Chris? Hallo Ian.“ Sie sah zwischen uns beiden her und schließlich blieb ihr fragender Blick an mir hängen. Auf ihrer Stirn bildete sich eine steile Falte.
Ups, das kam gerade wahrscheinlich sehr falsch rüber und Moment mal.
Woher kannte meine Mutter Ian? Verdammt! Dann war er wahrscheinlich doch schon mal hier gewesen!
„Guten Morgen, Elisabeth.“
Er duzte sie?! Oh Gott! Ich bekam hier wirklich gar nichts mehr mit.
Aber Mum musterte mich weiterhin und seufzend gab ich nach.
„Ian hat mir geholfen Alec hierher zu verfrachten…er hat…nunja, sagen wir mal ein bisschen“, ich grinste „zu tief ins Glas geschaut und weil es schon so spät war, hab ich angeboten, dass er hier schläft.“
Sie seufzte. „Mal wieder. Wegen dieses Jungens bekomme ich noch graue Haare.“
„Wir wollten grade nach ihm sehen.“
„Er wird wohl einen kräftigen Kater haben. Nehmt doch bitte eine Aspirin und frischen Orangensaft mit.“ Sie eilte die Treppe hinunter in die Küche.
Ich verdrehte die Augen. „Ich will ihn leiden sehen.“
„Wieso?“
„Glaub mir, er hat es verdient.“ Ich gab mein diabolisches Grinsen zum Besten.
„Wenn du meinst.“
Doch dann kam meine Mum schon mit den Sachen. Ich nahm sie entgegen und wir machten uns auf den Weg zu seinem Reich.
Vorsichtig öffnete ich die Tür und lugte hinein.
Zu meiner herben Enttäuschung schien er tief und fest zu schlafen.
Wir traten ein und Ian schloss die Tür.
„Wie langweilig.“ Kommentierte ich.
„Besser als wenn er kotzend überm Eimer hängt.“ Lachte Ian.
Da musste ich ihm recht geben. Das wäre schon sehr eklig.
„Alec.“ Sagte ich laut.
Kein Mucks.
„Hey aufstehen!“ ich wurde lauter.
„Vergiss es, der pennt jetzt wie ein Murmeltier.“
„Verdammt!“
„Da gibt es nur eine Lösung.“ Verschlagen grinste Ian.
Er nahm den Eimer, schlich ins Bad und ich hörte Wasser plätschern.
Das lockte ein Lächeln auf mein Gesicht. Na so was. Der nette Ian konnte also auch anders…
Gespannt setzte ich mich auf die Couch, so dass ich perfekte Sicht auf das Bett und baldige Geschehen hatte.
Ian stellte sich neben das Bett und kippte ohne viel Federlesen den Eimer über Alecs Kopf aus.
Prustend schreckte dieser hoch und sah sich um.
Ich konnte nicht anders und lachte laut los. Auch der Übeltäter konnte sich nicht mehr einbekommen und die nächsten Minuten verbrachten wir mit herzhaftem Lachen. Geschah dem Arschloch ganz recht!
Anstatt eines Wutausbruchs oder zumindest eines bissigen Kommentars sank Alec mit einem schmerzvollen Stöhnen zurück in die Kissen.
„Mein Kopf. Seid ruhig!“ murmelte er und drückte sich noch tiefer in die weiche Decke unter seinem Kopf.
„Bitte was? Du musst deutlicher sprechen, man versteht dich so schlecht!“ rief ich laut und er zuckte zusammen.
Ui. Dem musste es ja wirklich der Schädel brummen. Wie amüsant.
Irgendwann kam Ian wohl zu dem Schluss, sein Freund habe genug gelitten. Also nahm er mir das Glas Orangensaft mit der Tablette aus der Hand und reichte beides Alec.
„Hier.“ Seufzend richtete sich dieser auf.
„Was sagt man da?“ stichelte ich weiter.
„Danke.“ Kam es anstandslos von ihm.
Na daran konnte man sich doch gewöhnen.
„Komm Elana, lassen wir ihm noch was Zeit. Kumpel, hast du etwas dagegen, wenn ich mir Klamotten ausleihe?“
Ein absolut undefinierbares Grummeln war die Antwort.
„Super.“ Grinste Ian.
Er wühlte noch ein bisschen in den Schränken und folgte mir aus dem Zimmer.
„Und was machen wir jetzt?“
„Frühstück.“ Ich hatte einen Bärenhunger.
„Klasse Idee.“
Wir gingen also in die Küche.
„Woah Mama du bist ein Schatz.“ Ich drückte ihr einen dicken Kuss auf die Wange.
„Ich kenn’ doch, mein Töchterlein.“ Sie zwinkerte mir zu.
Uns erwartete ein reich gedeckter Tisch, ein Traum. Zumindest meiner.
Kaum saßen wir, bemerkte ich ihre Anspannung. Ah, sie wollte mich also besänftigen. Was würde nun kommen?
„Ralf und ich haben eine Einladung bekommen. Kurzfristig. Von einem seiner Geschäftsfreunde.“ Sie machte eine Pause.
„Ist das ok für dich, wenn wir den heutigen Tag weg sind? Bis morgen Mittag. Es ist wirklich wichtig!“ sie kaute auf ihrer Unterlippe.
„Mama, das ist doch kein Problem! Ich bin schließlich alt genug.“
„Aber so alleine mit…“ eine bedeutungsvolle Pause folgte.
„Ist kein Problem. Ich wollte eh Chris fragen, ob er Lust hat zu kommen.“
Sie strahlte.
„Super. Dann sind wir auch gleich weg. Und guck ein wenig nach unserem Pflegefall, ok?“
„Mum! Er hat einen Kater, dass ist nicht tödlich!“
„Trotzdem! Du kennst doch die Männer. Die sterben schon von einem Mückenstich.“
Wir grinsten uns an.
„Hey. Ich bin auch ein Mann.“
Kam es entrüstet von Ian, der zuvor in gefräßiger Stille am Tisch gesessen hatte.
„Na dann weist du ja, worüber wir reden.“ Lachte ich.
„Bis morgen Schatz.“ Sie wuschelte mir durch die Haare. „Tschüss, Ian.“
„Viel Spaß.“ Wünschte er.
Jetzt hatte ich einen ganzen freien Tag vor mir. Sonntag. Da war nichts los.
„Schon Pläne für heute?“ fragte mich unser Gast.
Ich zuckte die Schultern „Bis auf Chris anrufen? Nein.“
„Was hältst du von ein bisschen Aktion in der Bude?“
„Ich weiß nicht.“
„Na komm schon. Ist doch langweilig so. Einfach einen chilligen Tag machen… ohne irgendwelchen Alkohol.“
Ich lachte „Und ohne Hausabriss.“
„Ok.“ Das klang ja beinahe wie ein Kompromiss
„Wen sollen wir denn alles fragen?“
„Also Chris, dann Thoma, Raoul, Darian…”
“Nein, nicht Darian.”
Mein Kopf ruckte nach oben.
Ein sehr verschlafener, äußerst sexy aussehender Alec war in die Küche getreten und lehnte sich an die Theke.
„Ah, hat also unser kleiner Pflegefall auch den Weg aus dem Bett gefunden.“ Kommentierte ich bissig.
Er erwiderte nichts, sondern schenkte sich lediglich Kaffee ein.
Ich wusste zwar nicht, wie man dieses widerliche Gebräu trinken konnte (vor allem am Morgen…nunja Mittag), aber mein Stiefbruder stürzte es hinunter wie nichts.
„Willst du was essen?“
„Nein.“ Kam es kurz angebunden zurück.
Dann eben nicht.
„Ruft ihr mal die anderen an, ich rede mit Chris.“
Mit diesen Worten verschwand ich in mein Zimmer. Um Tischabräumen könnten die Jungs sich kümmern.
Naja, wahrscheinlich blieb das aber eh wieder an mir hängen. Chauvenisten!
Ich lümmelte mich auf mein Sofa und wählte.
„Hey Süße.“
„Na du, hast du Lust, heute vorbei zu kommen? Wir wollen einen lustigen Nachmittag machen.“
„Wir?“
„Noch ein paar Freunde von Ian und meinem Stiefbruder.“
„Aso. Wird bestimmt cool. Kannst ja auch noch Marco fragen.“
„Super Idee. Bringst du mir meine Sachen alle mit? Lass uns so gegen 2 Uhr hier treffen.“
„Klar Süße. Bis später.“
Ich ging hinunter und beseitigte das Küchenchaos; die Jungs hatten sich wohl zu Alec verkrümelt. Sollte mir recht sein.
Als ich endlich fertig war, sah ich auf die Uhr. Noch eine Stunde. Das reichte für eine Dusche und zum Umziehen.
Ich verschwand also im Bad und nach einer warmen Dusche fühlte ich mich wie neu geboren.
Schnell schlüpfte ich in meine schwarze Jeggins und zog einen dunkelroten Schlabberpulli, der immer über eine Schulter rutschte, an. Meine Augen betonte ich schwarz und puderte mein Gesicht ab, meine Haare blieben einfach offen. Es kamen schließlich ein paar Jungs und da befahl mir meine neu entdeckte weibliche Seite, sich wenigstens ein bisschen Mühe zu machen, was mein Alterego eher unwillig billigte.
Als ich aus dem Bad trat, hörte ich die Türklingel.
Jetzt aber schnell!
Ich eilte nach unten, wo die Jungs schon warteten.
„Lasst uns ins Wohnzimmer gehen.“ Meinte Alec.
„Wir können Activity spielen.“ Schlug Thoma vor.
„Oh ja.“ Das war das lustigste Spiel überhaupt.
„Na super.“ Meckerte Alec, wurde jedoch bedingungslos überstimmt.
Spätestens nach den ersten drei Raterunden lagen alle lachend auf dem Boden…
Ich lag auf dem Boden vor Lachen, während sich Ian vor mir wälzte und euphorisch zuckte. „Ein Mädchen beim Sex mit mir?“ verzweifelt versuchte Alec zu erraten, was um alle Welt der andere hier versuchte, pantomimisch darzustellen.
„Na das hättest du wohl gerne.“ Grinste Thoma
„Ian, du bist grausam.“ Brachte ich hervor, als die Zeit abgelaufen war.
„Scheiße. Dann kann ich wohl die Karriere als Stummfilm Schauspieler vergessen.“ Grinste er. Und brachte sich wieder in die vertikale.
„Was sollte das denn jetzt sein?“
„Na Hitzewelle.“ Klärte der gescheiterte Schauspieler meinen Stiefbruder auf.
Der hob bedeutungsvoll die Augenbrauen und blickte kurz in meine Richtung.
„Dann lag ich ja gar nicht so falsch mit meiner Vermutung.“
Sein Blick ging mir durch und durch. Immer wieder hatte ich ihn zu spüren bekommen. Und er war anders als sonst. Interessierter. Heißer. Nahm er mich endlich als Mädchen wahr und nicht mehr als Freak? Oder bildete ich mir das nur ein?
Verdammt! Warum machte ich mir eigentlich so Gedanken darüber, wie mich das Arschloch anguckte? Weil er verdammt heiß war, kam sofort die Antwort in meinem Hirn. Meine schizophrenen Gedankengänge bereiteten mir etwas Sorge. Wenn das so weiterging, wäre ich in spätestens einem Monat ein Fall für die Klapse!
„Boah. Ich hab Hunger.“ Seufzte Raoul.
„Soll das Mädel doch was machen, dafür ist sie doch da.“
Matt. Wer sonst? Ich bedachte ihn mit einem Blick, der mit absoluter Sicherheit tödlicher als Agent 007 war. Warum fiel der Trottel von Freund des überaus heißen, idiotischen, eingebildeten Arschlochs also nicht sofort um? Verdammt. Ich sollte das wirklich noch mal vor dem Spiegel üben.
Aber zum Glück kam da Hilfe von Alec…naja Hilfe nicht ganz, aber immerhin.
„Wie wärs mit dem guten, alten Pizzaservice?“ warf er ein.
„Guter Plan.“ Grinste Chris und ich holte das Prospekt.
„Salami mit Garnelen, Oliven und…“
„Bah!“ quietschte ich „Ist das dein Ernst?“ entgeistert starrte ich Thoma an.
Dieser entgegnete meinen Blick verdutzt „Öhm…ja.“
Raoul und Chris konnten nicht mehr vor lachen.
„Na dann bestellst du aber!“ grinste ich schließlich und warf ihm das Telefon zu.
„Ich möchte eine Pizza mit Ananas.“
„Wie langweilig.“
„Du musst sie ja nicht essen.“
„Reg dich ab, Miststück. Ich nehme eine Pizza Prosciutto…“ das Arschloch sah mich provozierend an „…mit extra viel Fleisch.“
Ich zog nur betont lässig meine Augenbraue hoch. Das tangierte mich nicht peripher… redete ich mir zumindest ein.
Thoma bestelle schnell und ich kuschelte mich neben Chris auf die Couch. Er nahm mich in den Arm und wie immer fühlte ich mich in seiner Nähe unheimlich geborgen. Ich blickte mich um, sah die Jungs auf dem Boden und den anderen Sofas sitzen und endlich herrschte einmal Frieden. Endlich gehörte ich einmal dazu.
Chris schien zu spüren, dass es mir genau in diesem Augenblick unheimlich gut ging, denn er lächelte mich an.
„Was ist eigentlich aus Maxi und dir geworden?“ fragte ich leise.
Seine Augen strahlten „Der Kleine ist süß oder? Und ich würde zu… 80% sagen, er ist vom anderen Ufer. Hoffentlich steht er auf mich.“
„Chris! Wenn er auch nur irgendwelche homosexuellen Neigungen hat, bist du der personifizierte Traum für ihn.“
„Das hast du jetzt aber schön gesagt.“ Er gab mir einen Kuss auf den Kopf.
„Geht zum Turteln aufs Zimmer.“ Kam es da gereizt von Alec.
Ups. Da war aber einer angepisst.
„Oh ist der Anblick denn so anstößig für das kleine Aleclein? Entschuldige bitte, wir wollten dich doch nicht beschämen.“ Mitleidig sah ich ihn an.
„Mir wird nur schlecht von dem Anblick: Eine Schwuchtel, die mit einem hässlichen Entlein rummacht.“ Giftete er.
Scheiße. Das tat weh. Aber nichts anmerken lassen, Elana! Ermahnte ich mich selbst. Und während ich mit meiner eigenen Fassung beschäftigt war, bekam ich plötzlich Hilfe.
„Alec, das war nicht in Ordnung. Sie können machen was sie wollen und Elana sieht vielleicht nicht wie die dummen Modepüppchen aus, aber dafür hat sie mehr Charisma als alle deine Liebschaften zusammen.“
Ein verächtliches Schnauben kam von meinem Stiefbruder, während ich Thoma dankbar anblickte und Chris mich enger zog.
Verdammt musste Alec jetzt hier alles kaputt machen?! Die schöne Stimmung war auf jeden Fall vorbei.
„Lasst uns den Kindergarten hier verlassen und was Altersgerechtes machen.“ Abfällig musterte uns und wandte sich an seine Kumpel.
Matt stand auf und ging zur Tür. Ian und Thoma blieben sitzen.
„Na kommt schon!“ forderte Alec wütend.
„Sorry Kumpel, aber ich hab hier ziemlich Spaß.“ Meinte Ian und lächelte mir kurz zu.
„Ich mag deine chica total und würde gerne noch mehr Zeit mit ihr verbringen. Pardon, amigo.“ Fügte Thoma hinzu.
Das Arschloch schnaubte abfällig. „Raoul?“
Der angesprochene blickte unsicher in die Runde und kaute auf seiner Unterlippe.
Dann traf mich sein entschuldigender Blick und auch er folgte Alec „War nett. Bis bald Lana.“
Chris musterte mich.
Wow…was war hier denn grade abgegangen. Kleinkrieg?
„Danke Leute.“ Murmelte ich leise.
„Kein Ding. Manchmal ist Alec halt ein bisschen… ungentleman like.“ Meinte Ian.
„Ähm…ja. So kann man das auch nennen.“
„Mach dir nichts draus, Süße. Du hast ja immer noch uns.“
Innerlich lächelte ich. Chris bezog die anderen beiden direkt mit ein, wie eine kleine Familie… Oh Gott. Was ich mal wieder für einen Schwachsinn dachte.
Bevor noch einer von uns etwas sagen konnte, klingelte es an der Tür.
„Pizza!“ rief ich und sprang auf. „Ian du warst schon mal hier, kannst du Besteck und Servietten aus der Küche holen? Dann nehm ich die Pizzen.“
„Klar.“
Froh um die Ablenkung rannte ich in den Flur und nahm unser Essen entgegen.
Die Kartons der anderen ließ ich an der Tür stehen und balancierte nur unseren Stapel ins Wohnzimmer. Vielleicht würde das doch noch ein schöner Nachmittag werden!
„Was haltet ihr von Kino?“ fragte ich in die Runde, als wir alle pappsatt auf den Sofas gammelten.
Es war mittlerweile schon sechs Uhr geworden.
„Oh ja! Ich will unbedingt in American Pie!“
Ich verdrehte die Augen. Da blitzte bei Thoma wohl doch noch der typische Alec-Freund mit sexuellen Vorlieben durch.
„Der soll richtig gut sein.“ Stimmte auch Ian zu.
„Na dann.“ Ich sah Chris an, der mir zunickte.
„Also ab ins Kino.“
„Willst du dich nicht so stylen oder so?“ Ian sah mich an.
„Ich hob meine Brauen. Stylen? Bin ich dir etwas nicht hübsch genug?“ meine Augen blitzten ihn zornig an. Innerlich lachte ich mich schlapp.
„Was nein, natürlich nicht…also du bist…“ überrascht von meiner heftigen Reaktion schreckte er automatisch zurück.
„Was bin ich?“ ich trat auf ihn zu.
Hinter Ian sah ich Thoma grinsend auf dem Sofa sitzen. Tja, anscheinend war ich doch nicht so gut, wie ich dachte. Also mehr Mühe geben!
„…hübsch, umwerfend, atemberaubend?“ mit einem gewinnenden Lächeln blickte er mich vorsichtig an.
Ich trat noch näher und lächelte ihn an und gab dem verblüfften Ian ein Küsschen auf die Wange „Danke, Schatz.“
Nun gab es für Thoma und Chris kein Halten mehr und sie prusteten los.
„Du kleine hinterhältige Hammerbraut.“ Mit einem Funkeln in den Augen sah mich Ian an und plötzlich war er bei mir uns kitzelte mich. Ich sank zu Boden.
„Nicht! Stop. Ian. Frieden.“
„Nichts da Frieden!“ und er machte noch heftiger weiter.
Ich fing an zu kreischen, etwas ganz Elana untypisches, aber verdammt, er hatte meinen absoluten Schwachpunkt gefunden.
Nach einer scheinbar endlosen Tortur hockte er neben mir. „Na, bist du jetzt wieder lieb, du Teufel?“
„Wie…ein…Engel.“ Keuchte ich, völlig außer Atem, als wäre ich einen Marathon gelaufen.
„Lasst uns gehen, sonst verpassen wir den Film.“ Warf Chris ein, und wir machten uns auf den Weg zum Kino.
Zwei Stunden später, es war fast dunkel, verabschiedete ich mich von den Jungs.
„Guckt euch klein Lana an. Vielleicht hätten wir einen Film einer Jungfrau würdig nehmen sollen.“ Stichelte Thoma. Dafür erntete er einen Rippenstoß. „EY!“
„Bist du sicher, dass du nicht zu verstört bist, um zu schlafen?“ setzte Ian hinzu.
„Boah ihr seid sooo doof.“ Grinste ich.
„Ach Schatz. In 10 Jahren, denkst du absolut wie die bekloppten aus dem Film, du kleine Wildkatze.“ Meldete sich jetzt noch Chris zu Wort.
„Nie im Leben. Diese hormongesteuerten, dauergeilen, sex….“
„Jetzt wird sie schon wieder rot. Ich glaub wir können wirklich kaum verantworten, sie mit in diesen Film genommen zu haben.“ Grinste Ian.
Jetzt war aber langsam mal Schluss. Gut, ich hatte war die Augen zu gemacht, als man Jims bestes Stück sah, und ok, ich war jedes Mal rot angelaufen, wenn ein schlüpfriger Kommentar kam (sprich ich war eigentlich dauerrot gewesen, aber wie Chris mir versicherte, habe meine Gesichtfarbe wenigstens verschieden Rotstufen aufgewiesen) und na gut, ich habe die sexsüchtigen Kerle entschieden in ihre Schranken verwiesen (mit einem lauten „Schämt euch, ihr notgeilen, untreuen Idioten“), aber das hieß doch noch lange nicht, dass sie sich so über mich lustig machen konnten.
„Gut Nacht, Kleines. Unanständige Träume wünsche ich dir.“ Hauchte Thoma mir ins Oh und umarmte mich kurz.
„Bye, und wir sollten öfter so etwas gucken. Das Rot steht dir.“ Verabschiedete sich Ian.
Dann zog Chris mich zu sich „Schlaf schön und lass dich von ihm nicht unterkriegen.“
Mir war klar, wen er mit „ihm“ meinte. Aber nicht unterkriegen lassen? Leichter gesagt, als getan. Wenn sie mir heute nicht beigestanden hätten, wäre ich wohl wieder in alte Verhaltensmuster zurückgefallen.
’Nicht unterkriegen lassen, selbstbewusst sein!’ sagte ich mir. Der Spruch hatte doch auch sonst immer weitergeholfen!
Als ich dir Tür aufschloss war es ruhig im Haus. Anscheinend war Alec nicht da. Gut so. Müde ging ich die Treppen zu meinem Zimmer hoch. Heute Abend hatte ich nun wirklich keine Lust mehr auf so eine Situation.
Aber zu früh gefreut…
„Na Schlampe, Spaß gehabt?“ ertönte seine harte Stimme hinter mir.
Ich schloss die Augen. „Fahr zur Hölle, Alec.“ Meine Stimme war laut und klar, obwohl ich mich am liebsten ganz tief in meine Kissen kuscheln würde und vergessen könnte, dass ich mit ihm unter einem Dach leben musste.
„Oh nein, genau da werde ich dich hinschicken, du kleines Miststück!“
Wortlos ging ich den Weg zu meinem Zimmer.
Plötzlich griff mich eine Hand am Arm und wirbelte mich hart herum. Beinahe hätte ich das Gleichgewicht verloren, wenn er mich nicht einen Moment später an die Wand gedrückt hätte. Ich konnte einen leisen Aufschrei nicht unterdrücken. Seine Augen funkelten. Wut und Hass ließ sich darin lesen. „Sieh mich verdammt noch mal an, wenn ich mit dir rede!“
Angst überfiel mich. Lähmende Angst. Ich konnte nicht anders, als ihm in die Augen zu starren, deren smaragdgrün stechender denn je schien und ich hatte das Gefühl, es wäre weniger seine Körperkraft, die mich dort an die Wand presste, als sein Blick, der mich dort aufzuspießen schien.
Ich zitterte. „Was habe ich dir denn getan?“ meine Stimme versagte und ich spürte, wie eine Träne über meiner Wange lief.
Alec erstarrte. Seine Muskeln spannten sich an und ich sah seinen Bizeps, als er sich näher zu mir lehnte.
„Du bist so verwirrend, verdammt noch mal!“ flüsterte er heiser und dann lagen seine Lippen auf meinen. Die Wand ließ mir keinen Platz um zurückzuweichen, als ich seinen heißen mund auf meinem fühlte, seinen Körper an meinen gepresst.
Aber wollte ich das überhaupt beenden?
Noch immer konnte ich mich kaum regen, aber die Angst wich einem Brennen. Die Emotionen schienen Alec Körper und meinen gleich dazu von innen zu verglühen und automatisch strichen meine Hände über seine muskulöse Brust.
Er zog mich näher und ich spürte, wie seine Zunge über meine Unterlippe glitt.
Völlig willenlos und in der Hitze des Kusses gefangen gab ich nach und sofort war er in mir, suchte meine Zunge und fing ein Spiel an, das ohne Sieger bleiben sollte. Ich erwiderte seine wilden Liebkosungen, aber…
…Verdammt das war Alec! Mein verhasster Stiefbruder! Das Arschloch!
Und trotzdem versetzt er dich in Flammen, flüsterte mal wieder die eigenwillige Stimme meines Bewusstseins mir zu.
Aber…wollte der pragmatische Teil einwenden.
Doch Alec schien wohl meinen Zwiespalt bemerkt zu haben und intensivierte den Kuss noch weiter. Seine Hände griffen in meine Haare um mich bei sich zu halten und ich wollte nichts lieber als das.
Mein rationales Denken hatte verloren.
Wir standen Ewigkeiten dort, so kam er mir zumindest vor.
Immer wieder ließ Alec kurz von mir ab und wir keuchten, bevor er meine Lippen wieder eroberte und unsere Leidenschaft erneut begann.
Meine Arme waren mittlerweile um seinen Hals geschlungen und seine Hände ruhten auf meinen Hüften.
Ich stöhnte in seinen Kuss. Mein Körper brannte. Die Welt um mich herum war völlig verschwommen, unwichtig geworden.
Doch plötzlich wich er zurück. Stieß mich von sich. „Scheiße“ entfuhr es ihm und mit einem letzten verstörten Blick auf mich wandte Alec sich um und verschwand.
Sein Stoß hatte mich total überrascht und ich taumelte schließlich gegen die Flurwand, gegen die er mich eben noch gepresst hatte. Sie war unangenehm kalt an meinem erhitzten Rücken, aber die gab mir etwas Halt. Ich rutschte daran zu Boden.
Oh mein Gott! Was war das gewesen?
‚Ein Feuerwerk’ da war sie wieder. Meine unvernünftige Stimme. Aber verdammt. Ich musste ihr Recht geben. Aber warum bei Alec? Warum löste ausgerechnet er solche Gefühle bei mir aus? Warum hatte er mich vorher so angesehen, mit Hass in den Augen? Und warum hatte er mich geküsst?
Viel zu viele offene Fragen und ich war mich sicher, dass mir noch mehr einfielen würden, wenn ich noch weiter grübelte.
Ich rappelte mich also wieder auf und betrat langsam mein Zimmer.
Wie paralysiert machte ich mich bettfertig: Wusch mich, zog mich um und sank schließlich aufs Bett. Ich schloss die Augen und sofort hatte ich ein smaragdgrünes Augenpaar vor mir, fühlte die Hitze seines Körpers erneut.
Schlafen konnte ich vergessen. Vielleicht half ja etwas Musik weiter?
Aber auch nach einer halben Stunde, in der ich alle möglichen Titel durchprobiert hatte, schaffte ich es nicht, mein Hirn dazu zu bewegen, Bilder von ihm aus meinen Gedanken zu streichen.
Rastlos warf ich mich von einer Seite auf die andere. Aber nichts half.
Verdammt. Vielleicht sollte ich mit ihm reden? Aber ob das jetzt die richtige Idee wäre?
‚Elana, reden hilft immer.’ Sagte zumindest Mum immer. Ich atmete tief durch und rappelte mich auf. Leise öffnete ich meine Zimmertür und schlich durch die Gänge der riesigen Villa. Bei dem kleinsten Geräusch zuckte ich. Je näher ich seinem Bereich kam, desto stärker klopfte mein Herz. >Als wäre es ein Detektor für die Nähe Alecs< schoss es mir durch den Kopf und ich lächele kläglich. Ich war wohl wirklich langsam reif für die Klapse.
Zögerlich stand ich also vor seiner Tür, hob meine Hand um anzuklopfen…und ließ sie wieder sinken. Sollte ich wirklich…?
Ich atmete tief durch und klopfte nun endlich.
Stille.
Ich wartete, aber es regte sich nichts. Der feige Teil in mir schrie danach, die Gelegenheit zu nutzen und so schnell wie möglich ins Bett zu kriechen. Wenn ich auch dort nicht mehr die erhoffte Ruhe fand.
Aber eine neue Stimme flüsterte mir mein Motto zu ’Nicht unterkriegen lassen, selbstbewusst sein!’.
Also öffnete ich nun die Tür und trat ein.
Alec lag still auf seinem Bett, die Hände unter dem Kopf verschränkt. Er musterte mich intensiv. Keinerlei Emotionen ließen sich darin lesen. Ebenso wenig wie in seiner restlichen Körperhaltung.
Das verunsicherte mich. Wie konnte er so gelassen sein? Nach dem, was gerade passiert war…
„Früher hättest du dich noch nicht einmal getraut, an meine Zimmertüre zu klopfen.“ Brach er schließlich die Stille. Seine Stimme passte zu seiner Ausstrahlung. Beherrscht und sachlich.
„Früher hättest du mich nicht geküsst.“ Verdammt. Meine Stimme zitterte, als ich ihm antwortete.
„Nein, wahrscheinlich nicht. Was möchtest du hier, Elana?“
Ich starrte ihn an. Das war das erste Mal, dass er mich bei meinem Namen genannt hatte.
„Lana, bitte. Ich möchte reden.“
„Lana.“ Wiederholte er und machte eine einladende Geste auf den Rand des Bettes.
Langsam näherte ich mich Alec. So ganz traute ich ihm nicht und außerdem versuchte mein Herz noch immer, mir aus der Brust zu springen.
Ich setzte mich auf die Kante, wollte ihm nicht näher kommen. Das quittierte er mit einem typischen Alec Lächeln. Nicht einem solchen, wie ich es sonst zu sehen bekam sprich spöttisch und abwertend. Nein, dieses Lächeln war normalerweise Teil seines charmanten Benehmens. Spielerisch und herausfordernd.
Schließlich rückte er aber ein Stück zu Seite und vorsichtig zog ich meine Beine hoch und umschlang sie mit den Armen. Ich kaute auf meiner Unterlippe.
Jetzt war ich hier. Aber wo sollte ich anfangen.
„Das eben. Warum…wieso…wa-…?“
„Warum ich dich geküsst habe?“
Ich nickte stumm.
„Weil ich es wollte.“ Er grinste.
Na super. Das half mir jetzt weiter.
„Aber wieso?“
„Ich weiß es nicht.“ Nun klang er traurig.
„Und warum hast du so einen Hass auf mich? Wieso behandelst du mich so scheiße?“
Ich beobachtete ihn genau. Seine Augen wurden dunkler. Härter. Ohoh, vielleicht war das nicht die richtige Frage gewesen. Aber irgendwann wollte ich es schließlich wissen.
„Da kannst du nicht direkt was für.“ Wich er aus.
„Alec…“
„Es geht dich nichts an!“ wütend starrte er mich an.
Das durfte doch wohl nicht wahr sein. So schnell, wie seine Stimmung schwankte, konnte man ja nicht gucken. „Oh doch, das tut es! Vielleicht kann ich ja was daran ändern, damit mein Leben in deiner Gegenwart wenigstens halbwegs erträglich ist!“ fauchte ich aufgebracht.
„Warum ich dich hasse? Dich und deine scheiß freundliche Mutter?“
„Lass meine Mutter daraus.“
„Du wolltest es doch wissen, oder? Dann hör gefälligst zu.“
Ich schwieg und hob meine Brauen, um ihm zu bedeuten fortzufahren.
„Meine Mutter…“ begann er. Über sie hatte ich noch nie etwas gehört.
„…war unglaublich schön. Wie sagt man heute so schön? Eine wahre Sexbombe. Jung, blond, große Titten, einfach perfekt. Dad war auf dem Weg nach ganz oben auf der Karriereleiter, hatte nun Geld und wollte eine Familie. Er dachte, sie wäre die richtige.“ Er schnaubte abfällig „Schwanzgesteuerter Idiot. Aber ich schätze so sind viele Männer. Er machte ihr einen Antrag. Sie war hin und weg. Ihr reicher Lover wollte sie heiraten. Nach einer pompösen Hochzeit führte sie ein für sie perfektes Leben. Party, Drogen und so viel shoppen, wie sie wollte. Dad war arbeiten. Mit 20 wurde sie schwanger. Zunächst sträubte sie sich, aber Dad wollte natürlich ein Kind, um das ‚Familienglück’ zu krönen. Ich kam also auf die Welt. Meine Mutter war nun happy…endlich konnte sie weiter feiern und Alkohol konsumieren. Ich blieb bei völlig überforderten Au-pairs alleine zurück. Ab und zu unternahmen wir einen Familienausflug...“ - Wieder ein abfälliges Schnauben - „…zum Golfen oder in ein Edelrestaurant zum Kaviar essen. Da war ich fünf. Nun wenigstens beschäftigte sich Dad ab und zu mit mir. Als ich sechs war, ließen sich meine Eltern scheiden. Mein Vater hatte sie in flagranti mit einem jungen Millionärserben gefunden.“
Er schwieg.
Eine unangenehme Stille kam auf. Ich wollte mich gerade erheben „Du musst mir das nicht erzählen“, aber Alec hielt mich zurück „Nein, jetzt habe ich einmal angefangen.“
Ich lehnte mich also wieder zurück in die Kissen.
„Nun ja. Es änderte sich nicht wirklich viel. Miene Mum hatte ich schon vorher fast nie zu Gesicht bekommen, aber auch Dad stürzte sich nun gänzlich in die Arbeit, hatte gar keine Zeit mehr für mich. Ich war also wieder alleine mit meinen Kindermädchen. Mit zwölf überredete ich Dad, dass ich kein Au-pair Mädchen mehr bekommen sollte. Zu schwer war der Abschied jedes Mal. Ich war mehr mit Freunden unterwegs. Mädchen fingen an, mich zu interessieren. Aber ich war gewarnt von meiner Mutter. Affären sind ok, aber mehr nicht. Du warst ein potenzielles Opfer. Das hässliche Entlein, an dem man seine Aggressionen auslassen konnte. Dann hat Dad deine Mutter kennen gelernt. Es war wie ein Fluch. Jetzt sollte ich, beliebtester Junge der Stadt,“ er verzog spöttisch die Lippen „dich Opfer als Stiefschwester bekommen? Das war mir natürlich nicht recht. Ihr hattet nichts. Ihr wart arm. Dad war verliebt. Ich habe das gleiche wie mit meiner Mum wieder auf uns zukommen sehen. Als ihr einzogt habe ich darauf gewartet, dass sie mehr Geld wolle, teure Geschenke, Schmuck, was weiß ich. Das sie meinen Dad ausnehmen würde, wie meine Mutter es getan hat.“ Nun war seine Stimme hart wie Stahl. „Es ist nichts passiert. Verdammt NEIN! Im GEGENTEIL. Sie war von Anfang an so SCHEIß freundlich zu mir. Kümmert sich um mich, bekocht mich. Fragt mich, wie mein Tag war. Schimpft mit mir, wenn ich wieder scheiße bin. Hilft mir, wenn ich ein Problem habe!“
Er sackte zusammen. „Eine wildfremde Frau mit einer Outsiderin als Tochter gab mir zum ersten Mal das Gefühl einer Familie. War eine bessere Mutter als meine eigene. Mein Vater schenkte mir plötzlich auch wieder mehr Beachtung. Du warst noch immer das perfekte Ziel, um meinen Frust, meine Angst, deine Mutter könnte das hier alles beenden, auszulassen. Und dann kam dieser Emo. Plötzlich veränderst du dich. Machst deine Klappe auf, wenn dir was nicht gefällt. Das bringt doch meinen ganzen Rhythmus durcheinander. Dazu kommt noch, dass du plötzlich nicht mehr verlottert rumläufst, eine andere Ausstrahlung hast und mit Jungs rummachst. Meine Freunde so bezirzt, dass sie sich verdammt noch mal gegen mich stellen! Du ziehst mich außerdem an. Was soll ich denn bei den ganzen Gefühlen machen? Eben ist halt alles rausgekommen.“
Ich schluckte. Das war jetzt ziiiiemlich offen gewesen…sehr persönlich.
„Bereust du es? Den Kuss?“ Diese Frage brannte mir auf der Zunge. War es bedeutungslos gewesen? Ein Test für sich selbst?
„Nein, nicht im geringsten.“ Er lächelte leicht.
Ich atmete tief durch. Na das war doch mal was. Sollte ich…? War doch bisher ganz gut gelaufen. Dann konnte ich doch auch…
Ich beugte mich zu ihm rüber und verschloss seine Lippen mit meinen. Aber was jetzt? Er schien erstarrt. Scheiße! Ich hatte wohl doch nicht so viel Ahnung, wie gedacht. Schnell wollte ich zurückweichen und dieser Blamage ein Ende bereiten, aber just in diesem Augenblick umschloss er mich mit seinen Armen und zog mich halb auf seine Brust.
Seine Lippen öffneten sich, aber es war nicht so stürmisch wie eben im Flur. Er schien alle zeit der Welt zu haben und liebkoste mich nur sanft, aber es reichte, um das Feuer von eben erneut zu entfachen. Langsam drehte er sich, so dass ich in den Kissen lag und er sich über mich stützte. Dabei löste er unseren Kuss zu keiner Zeit.
Seinen Körper über mir zu haben war ein unbeschreibliches Gefühl.
Das war wohl das Feuerwerk, auf das ich bei Chris und Marcos Küssen gewartet hatte. Die Wärme, die mir durch und durch ging, mich erfüllte. Meine Hände fuhren auf seinem Rücken hinunter und streichelten ihn, krallten sich in sein T-Shirt.
Ich könnte hier ewig so liegen bleiben und ihn küssen. Und Alec schien in diesem Moment auch nicht viel dagegen zu haben…
Ich wachte von dem nervigen Piepsen eines Weckers auf.
Seit wann hatte ich denn so ein Ding neben dem Bett?
Mit geschlossenen Augen tastete ich danach, doch plötzlich stieß meine Hand gegen einen Widerstand. Einen warmen, sehr lebendigen Widerstand.
Ich riss die Augen auf und sah meinem Stiefbruder ins Gesicht. Oh verdammt! Da war ja gestern noch etwas gewesen.
„Morgen Kleine. Wir haben noch 10 Minuten.“ Und damit schlang er einen Arm um mich und zog mich mit dem Rücken an seine Brust. Seinen Kopf legte er an meine Schulter.
Ich verspannte mich. Konnte das denn wirklich sein? Nachdem, was gestern abgegangen war?
Mein Hirn schrie mir zu, mich aus dem Staub zu machen…möglichst schnell.
Aber die Wärme des Bettes und das Empfinden seines Körpers an meinem fühlten sich so geborgen an, dass ich nicht anders konnte, als liegen zu bleiben.
Einfach genießen.
Viel zu schnell ertönte dieses nervige Ding von Wecker wieder und weckte das Verlangen in mir, ihn kräftig an die Wand zu schmeißen, damit er aufhörte.
„Na, na, na. Keine Mordgedanken am frühen Morgen.“ Tadelte Alec mich sanft.
Anscheinend stand mir die Wecker-Mordlust ins Gesicht geschrieben, denn ich hatte mich zu ihm gedreht und er musterte mich aufmerksam. Langsam schlug er die Decke zurück und stand auf.
Woah. Und mit so einem Prachtkerl hatte ich eine Nacht verbracht? Es war zwar nichts ‚passiert’, aber immerhin hatten wir in dem gleichen Bett geschlafen!
„Wenn du mich noch länger so anguckst, fängst du an zu sabbern.“ Grinste er.
„Das ist nur deine Schuld. Man kann doch gar nicht anders, als dich anstarren.“
„Wieso?“
„Weil du verdammt noch mal absolut geil aussiehst.“ Platzte es aus mir heraus.
Etwas überrascht sah er mich an, bevor ein Grinsen auf seinem Gesicht erschien.
„Du findest also, dass ich geil aussehe?“
„Jetzt tu nicht so überrascht! Jedes weibliches Wesen zwischen 6 und 99 findet, dass du der hamma bist. Also war das eine rein objektive Aussage.“
Er zog nur spöttisch eine Braue hoch und verschwand dann im Bad.
Ich sank zurück in die Kissen.
Wow… Was war nur aus mir geworden?
Ich hatte mit meinem Stiefbruder rumgeknutscht und mit ihm in einem Bett geschlafen… und das, obwohl er mich noch am gleichen Tag wie der letzte Dreck behandelt hatte.
Wahrscheinlich sollte ich mir noch mehr Sorgen um meinen gesunden Menschenverstand machen. Das mit Alec konnte nur schlecht für mich enden.
Gott! Es wurde immer komplizierter.
Ich stöhnte und quälte mich aus dem Bett. Noch im Halbschlaf tastete ich mich bis in mein Quartier vor und betrat mein eigenes Badezimmer.
Dort kippte ich mir erstmal eine Ladung kaltes Wasser ins Gesicht. Das half doch immer, oder?
Spätestens, als ich nun in den Spiegel schaute, war ich hellwach. Ich sah aus wie ein Zombie. Meine zum Vogelnest drapierten Haare waren da noch das harmloseste. Aber um meine Augen waren schwarze Wimperntuschereste verteilt und verliehen mir den Gruftie-Look, zusammen mit meiner blassen Haut. Joah so konnte ich schon fast in der Geisterbahn arbeiten.
Nachdem ich mich schließlich fertig gemacht hatte, schlurfte ich nach unten. Ich hörte Alec pfeifend in der Küche hantieren. Warum zum Teufel hatte er am frühen Morgen so gute Laune?
Ich betrat die Küche und ließ mich auf meinen Stuhl sinken. „Kaffee?“ fragte er mich total aufgedreht.
„Kannst du dir sonst wo hinstrecken.“ Murmelte ich zurück.
Er grinste „Wie bitte?“
„Nein danke. Kakao.“
„Wie lautet das Zauberwort?“ stichelte er.
„Sei still UND MACH KAKAO!“ fauchte ich. Wieso war ich so schlecht drauf? Normalerweise war ich kein Morgenmuffel. >Das ist aber auch kein normaler Morgen< fuhr es mir dann durch den Kopf.
„Na na na. Das war zwar nicht das Zauberwort, aber ich drück heute mal ein Auge zu.“
Er stellte eine warme Tasse vor mir ab. „Wir müssen uns beeilen, sonst kommen wir zu spät.“
Oh. Wenigstens wurde ich schon mit eingeplant. Ich kippte also mein warmes Lebenselexier runter und holte meine Tasche, als ich eine Hupe hörte.
Es konnte doch wohl nicht sein… Doch. Tatsächlich. Das achte Weltwunder war soeben geschehen. Alec stand neben seinem Wagen, genau vor unserer Haustür geparkt, und hielt mir die Beifahrertür auf.
Ein Lächeln stahl sich auf mein Gesicht. Vielleicht war der Tag doch nicht so schlecht.
Elegant (so hoffte ich zumindest) schlenderte ich die paar Treppenstufen hinunter und ließ mich in die weichen Ledersitze sinken.
Im Radio lief „What a wonderful world“ von Louis Armstrong. Wie sehr gab ich ihm in diesem Augenblick Recht!
Als wir in die Straße unserer Schule einbogen, sickerte langsam die Erkenntnis durch mein noch ziemlich benebeltes Hirn.
Was würde in der Schule passieren? Was würden die anderen sagen? Seine Clique? Noch schlimmer…wie sollte ich Chris beibringen, dass mein verhasster Stiefbruder vielleicht gar nicht sooo übel war und ein Wahnsinns-Küsser?
Ich atmete tief durch. >Ganz ruhig Lana! Irgendwie wird sich das schon klären. Ganz ruhig. Ganz ruhig. Ganz ruhig.< Doch je länger ich mir diesen Satz vor Augen hielt, desto panischer wurde ich.
Auf dem Parkplatz angekommen ließ mir Alec jedoch keine Chance mich weiter in irgendwelche Horrorszenarien reinzusteigern. Er stieg aus, öffnete gentlemanlike meine Tür und reichte mir die Hand. Nachdem ich ausgestiegen war, schlang er einen Arm um meine Schulter und wir liefen über den Schulhof. Gott sei Dank waren wir so spät, dass sich kaum ein Schüler blicken ließ.
>Zum Glück. Sonst hätte es nachher so eine peinliche Szene wie in Twilight gegeben, in der alle Bella und ihren armen Glitzervampir anstarrten <… ich wäre gestorben.
Am Schuleingang hielt mein Stiefbruder an. Langsam nahm er mich in den Arm und küsste sanft meine Lippen. Glücksgefühle überkamen mich, als ich seine warme Berührung fühlte. Aber bevor ich es richtig genießen konnte, ließ er von mir ab.
„Wir sehen uns in der Pause, Süße.“
Abwesend schlenderte ich den Gang entlang. Meine Gedanken fuhren gerade Achterbahn und meine Gefühle Karussell… mir wurde leicht schwindelig. Ein Gong riss mich aus meiner Grübelei. Verdammt? Wo war ich eigentlich? Was hatte ich eigentlich?
>Lana! Jetzt reiß dich zusammen!< fuhr ich mich selbst aus und brachte etwas Ordnung in den Haufen aus Alec- und Knutsch- und noch mehr Alecgedanken.
Etwas außer Atem platzte ich schließlich in den Unterricht, stammelte eine Entschuldigung und setzte mich ganz nach hinten neben Chris.
Dieser musterte mich skeptisch. Verdammt! Hatte ich etwas im Gesicht? Hektisch tastete ich es ab. Schließlich ruhten meine Finger auf meinen Lippen.
Sein Mund auf meinem…
Wärme überkam mich.
Als Chris belustigt seine Augenbraue hochzog, wurde ich rot. Er grinste. Ich sah verlegen auf mein Heft. Ich hörte ihn ganz leise lachen. Verdammt!
Wie oft würde ich dieses Wort heute eigentlich noch denken?
„Was…?“ setzte er an.
„Pause.“ zischte ich nur und versuchte meine Aufmerksamkeit auf den Unterricht zu lenken. Dass wir Deutsch hatten, half dabei leider nicht viel weiter, denn dieses Fach hatte einfach den gleichen Effekt wie Schlaftabletten. Ein Seufzer entfuhr mir.
Schließlich klingte es und wir machten uns auf den Weg zu Kunst.
Skeptisch musterte ich den Teil meines Hennatattoos, der unter meinem schwarzen Top hervor lugte. An manchen Stellen war die Farbe schon weniger intensiv.
„Chris?“
„Ja, Süße?“
Süße…so hatte er mich genannt.
„Ähm…“ kurz aus dem Konzept gebracht, musste ich erst noch mal nachdenken, was ich hatte sagen wollen. „Ach ja. Meinst du, du könntest deine kreativen Fähigkeiten noch mal an mir ausüben?“
Seine Brauen fuhren steil nach oben. Beide diesmal.
Was hatte er denn?
Sein überraschter Blick wandelte sich zu Erkenntnis und schließlich Belustigung. Wüsste ich es nicht besser, so würde ich das Grinsen, welches sich auf sein Gesicht schlich, als dreckig bezeichnen.
„Meine kreativen Fähigkeit…“ er betonte jede Silbe der beiden letzten Wörter.
„Welche meinst du denn?“
Röte schoss mir ins Gesicht. „Du versauter…“
Er lachte.
„So wie du heute aussahst, brauchst du doch gar keine…Hilfe…mehr von mir.“
Falls das überhaupt möglich war, wechselten meine Wangen gerade von Tomate zu feuerrot.
„Ich…Du…Tattoo…Henna…nachmalen.“ Verdammt! Ich schloss kurz die Augen.
„Kannst du bitte mein Hennatattoo nachmalen?“
Seiner belustigten Miene nach zu urteilen, schien er mich noch in weitere Peinlichkeit stürzen zu wollen, entschied sich dann aber für ein kurzes „Na klar. Wann denn?“
„Morgen nach der Schule?“
Täuschte ich mich oder überzog nun SEINE Wangen ein Hauch von Röte.
„Ist schlecht. Da treffe ich mich…ähm… mit Maxi.“
Ich grinste ihn an.
„Ok. Donnerstag?“
„Klingt gut.“
Die Kunststunde ging schnell vorbei und noch hatte ich Chris nichts erzählt…
Wie gesagt: In der Pause.
Und schließlich schellte es…
Vor dem Klassenraum stand meine Clique. Matt grinste mich an.
„Alles klar, Kumpel?“
Meine Gedanken hingen immer noch bei Lana. Ihrem süßen Mund und ihrer unmöglichen, morgendlichen Laune. In der Pause würde ich sie wiedersehen…
„Was geht denn mit dir?“ ich blickte auf und sah, dass Matt mich skeptisch musterte.
„Erzähl ich dir in der Pause… Komm, sonst mach die Müller Stress.“
„Seit wann interessiert dich das denn?!“
>Seit sie eine willkommene Ablenkung von unangenehmen Gesprächen bietet…< dachte ich und ging in den Raum.
Während der Stunde schwirrten Gedanken von meiner Stiefschwester in meinem Kopf herum. Wie hatte sie es nur geschafft, mich so weit zu kriegen? Verdammt, wie hatte sie es geschafft, mich so zu verwirren?
Gestern Abend hatte ich mich vor ihr gerechtfertigt. Mit ihr über meine Mutter geredet. Noch nicht einmal Matt kannte die ganze Geschichte.
Und wie sollte ich mich gleich in der Pause ihr gegenüber verhalten?
So viele Fragen und keine Antworten.
Stöhnend legte ich meinen Kopf in die Hände.
„Alec!“ Matt stieß mich an.
„WAS?!“
„Sag mal, was ist los mit dir? Hat das was mit der Schlampe von Stiefschwester zu tun?“
>Na super Matt. Machs mir noch leichter.<
Zum Glück bewahrte mich das „RUHE dahinten!“ von Frau Müller vor einer Antwort.
Oh Gott. Was würden die anderen wohl in der Pause sagen? Sollte ich wirklich Lana in die Clique bringen oder noch damit warten. Das wäre vielleicht besser. Ich könnte sie erst einmal ignorieren und ihr dann zu Hause alles erklären. Sicher wäre es ihr auch lieber, wenn erstmal nicht die ganze Schule davon wüsste… es war ja noch ziemlich neu. Auch für sie. Und wer weiß auf was für Ideen eifersüchtige Mädels kommen würden. Und diesem Chris würde es bestimmt auch nicht gefallen.
Also gut. Erst einmal abwarten und Tee trinken…
Ich versuchte mich auf den Unterricht zu konzentrieren. Mathe. Eigentlich eines meiner Lieblingsfächer, aber mein Blick wanderte immer wieder zu der Uhr neben der Tafel.
Der Zeiger schien über das Zifferblatt zu kriechen, rückte aber dennoch unaufhaltsam an den Pausengong heran. Nervös kippte ich meinen Stuhl zurück. Meine Hände waren leicht feucht.
Was war nur los mit mir?
Schließlich gongte es. Langsam stand ich auf, trödelte, während ich die Sachen in meine Tasche packte.
„Jetzt hau mal rein! Wo bleibst du denn?“ Matt wartete ungeduldig an der Tür des Klassenraums.
Als ich zu ihm ging, kreischte plötzlich ein Mädchen hinter mir auf.
„Aaaaaalec!“ neben mir verdrehte mein bester Freund die Augen. Ich atmete tief durch.
„Shirley.“
„Wie geht’s dir, Süßer? Also mir geht’s so super. Rate mal, was Daddy mir versprochen hat?“ sie ließ mir keine 2 Sekunden, bevor sie weiter plapperte „Er hat gesagt, ich kriege sein Auto. Du weißt schon… diesen meeeega geilen Jaguar.“ Sie rückte näher an mich heran „Und wenn du gaaanz lieb bist, überlass ich dir die Schlüssel auch mal.“ Damit legte sie ihre Hand auf meinen Arsch. Verdammt! Dazu hatte sie kein Recht. Da wollte ich nur Lanas Hand drauf spüren. Mich innerlich ohrfeigend, dass ich so etwas auch nur dachte, fuhr ich herum und sorgte dezent dafür, dass sie ihre Grapscher von mir nahm.
Als ich in ihre Wimpertusche verklebten Augen blickte, fragte ich meinen gesunden Menschenverstand, wie ich mit so etwas überhaupt etwas hatte anfangen können.
„Shirley. Lass endlich deine Hände von mir. Ich steh nicht so auf Fummeln in der Schule. Das weißt du.“
„Na gut… aber dazu haben wir Samstag ja noch genug Zeit oder?“ verführerisch blinzelte sie mich an.
>Samstag?< Ich kramte in meinem Hirn… Scheiße. Da wollten wir ja zusammen feiern gehen und dann noch auf einen ‚Kaffee’ zu ihr.
„Vergiss es. Daraus wird nichts.“
„WAS?!“ kreischte sie los. „Wieso nicht. Alec.“ Sie zog eine Schnute.
„Weil ich keinen Bock drauf habe.“
Verdammt. Mussten Mädchen denn immer so ein Theater machen? Inzwischen schaute uns schon die halbe Schule an. Wir waren auf dem Schulhof angekommen und überall standen Leute und gafften. Na super. Ausnahmsweise wäre ich mal über etwas weniger Popularität um meine Person dankbar gewesen.
„Keinen BOCK? Seit wann hast du denn keinen BOCK mehr darauf?“ so langsam bekam ich Kopfschmerzen von Shirleys Gekreische. Ich seufzte. Leider war im Wortschatz dieser verwöhnten Tussi kein ‚Nein’ enthalten und vermutlich würden wir das Stunden ausdiskutieren. Und darauf hatte ich noch weniger Bock als auf sie. Verdammt!
Während mich nun also eine zwischen Fassungslosigkeit und Wut schwankende Shirley anschrie und ich gerade dachte, dass es kaum noch schlimmer kommen könnte, sah ich sie.
Langsam schlenderte sie aus dem Schuleingang, hatte sich bei ihrem Emo-Typen eingehakt und blieb erstaunt stehen, als sie die Ansammlung der Schüler sah. Langsam wanderte ihr Blick zu mir. Ihre braunen Augen blickten mich fragend an, bevor sie zum blondierten Hinterkopf der Zicke wanderten, die vor mir stand. Ich sah, wie sie ihre vollen Lippen zusammenpresste und eine Hand ballte.
Chris schien es anscheinend ebenfalls registriert zu haben und beugte sich zu ihr runter, um ihr etwas ins Ohr zu flüstern. Ich beobachtete, wie sich ihre Wangen leicht rot färbten und sie den Blick abwendete, um zu Boden zu starren.
Langsam zog sie nun der Emo die Treppen runter.
„Alec? ALEC!“ meine Aufmerksamkeit wurde wieder auf das hysterische Blondchen vor mir gezogen, das mittlerweile hochrot angelaufen war. Also Aufregung stand ihr definitiv nicht.
„Wieso hast du keinen Bock? Ich weiß, dass du mich willst! Du liebst mich doch.“
Hinter mir hörte ich Matt losprusten. Oh Scheiße… wie kam sie denn nur auf die Idee? Lieben? Das war wohl ein bisschen hoch gegriffen. Ich meine, sicher liebte ich ihre Titten und ihren Po…und ihre Bereitwilligkeit. Oder zumindest HATTE ich das einmal, denn im Moment reizte mich ihr Astralkörper kein bisschen. Und ich kannte den Grund…
Er lief gerade 20 Meter weiter an der Menschenansammlung vorbei und blickte traurig zu Boden.
„Wieso?“ begann ich ganz ruhig „Du interessierst mich nicht, weil es jemanden gibt, der mich fasziniert. Von dem ich mehr kennenlernen möchte, als den Körper. Mit der ich meine Freizeit verbringen möchte und die von mir hoffentlich das Gleiche will.“
Damit schob ich mich durch die Menge und steuerte auf Lana zu. Sie hatte mich noch nicht gemerkt, wohl aber ihr Freund, denn der blieb nun stehen und blickte mich an. Fragend. Skeptisch. Schützend zog er mein Mädchen näher. Verdammt. Er sollte endlich seine Finger von ihr nehmen! Sein Verhalten bestärkte mich nur in meinem Entschluss und so zog ich Elana aus seinen Armen in meine. Erschrocken blickte sie zu mir auf und ich nutzte die Gelegenheit, um sie zu küssen…
Ich erstarrte, als seine Lippen plötzlich auf meinen lagen. Was tat Alec er da? Vor seinen Freunden? Nein, vor der ganzen Schule? Vor Chris? Scheiße, vor Chris!
Meine Gedanken rasten, doch äußerlich blieb ich stocksteif stehen. Was zum Teufel sollte ich auch gerade tun? Irgendwie hatte ich das Gefühl, mein Hirn würde bald platzen, so viel, wie mir im Moment durch den Kopf ging.
Eben hatte er doch noch mit der Tussi geflirtet und im nächsten Augenblick küsste er mich?
Mein Stiefbruder schien meine Verwirrung zu spüren und schlang seine Arme fester um meine Taille. Langsam übernahm auch mein Körper die Führung und das warme Gefühl seiner Lippen auf meinen überdeckte den Wirrwarr meines Hirns. Ich lehnte mich an ihn, schlang die Arme um seinen Hals und genoss einfach die schönen Empfindungen, die sich in meinem Körper breit machten. Ich schloss meine Augen, um die Wahrnehmungen zu intensivieren.
Langsam wurde der Kuss fordernder und ich spürte seine Zunge an meinen Lippen. Ich gewährte ihm Einlass und sanft erkundete er meinen Mund, bevor er auf meine Zunge traf und mich wohlige Schauer durchfuhren. Meine Hände wanderten zu seinem Gesicht und liebkosten seine Wangen. Schließlich löste er sich von mir und etwas außer Atem blickte ich ihm tief in die Augen.
Die genauen Gefühle darin konnte ich nicht entziffern, wohl aber die Unsicherheit. Anscheinend war die Situation auch für ihn nicht leicht. Scheinbar eine Ewigkeit hielt unser Augenkontakt, bis mich schließlich ein leises Lachen hinter mir ablenkte.
Als ich mich in Alecs Armen umdrehte, sah ich Chris grinsend hinter mir stehen.
„Na das ist jetzt aber wirklich eine Überraschung…“ brachte er schließlich heraus.
„Hmhm…“ murmelte ich. „Nimmst es ja ganz gut auf.“
„Wieso auch nicht? Aber wenn er dir irgendwie weh tut, dann bekommt er ziemlich Stress mit mir.“ Obwohl Chris mich weiterhin mit einem Lächeln ansah, wussten alle Beteiligten, dass sich seine Drohung auf meinen Stiefbruder bezog. Dieser schloss mich gleich etwas fester in die Arme und funkelte meinen besten Freund an „Misch dich nicht ein, Emo!“
„Sonst…?“ Chris zog nur betont die Augenbrauen hoch.
„Jungs!“ ich unterbrach sie. „Ganz ruhig, ok?“
„Sag mal was geht denn bei dir, Mann?!“ Fuhr plötzlich Matt dazwischen. Es schien so, als hätte er den Kuss nicht so gut verkraftet wie Chris. Er musterte mich abschätzig. Gott! Wie konnte Alec nur mit so jemandem befreundet sein?
„Hör mal, Matt. Wir klären das später, klar?“
„Wir klären das später? Willst du mich eigentlich verarschen?“ Matt trat einen Schritt auf uns zu. „Seit fast zwei Jahren darf ich mir anhören, wie sehr du die Kleine verabscheust. Ich kann gar nicht mehr aufzählen, wie oft du sie in den letzten Wochen als „Bitch“, „Schlampe“ und „Nutte“ betitelt hast. Und jetzt knutscht du sie und jetzt laberst du was von wegen ‚wir klären das später’!?“
Alec ließ mich los und hob beschwichtigend die Hand „Sachen ändern sich, ok? Wir fangen einfach noch mal von neu an…“
„Und machen einen auf happy Family? Ne danke. Kannst dich ja melden, wenn du wieder zu Verstand gekommen bist und sie abgeschossen hast. Mit Opfern hänge ich generell nicht ab.“
Damit drehte er sich um und verschwand durch die Menschenmenge.
Wie vom Donner gerührt stand ich da. >sie abgeschossen hast< … Matts Worte schwirrten in meinem Kopf herum. Tja, wie lange würde es dauern, bis ich Alec zu langweilig wurde?
Bis er mich wie ein ausgedientes Spielzeug fallen ließ? Ich seufzte traurig.
Plötzlich spürte ich jedoch einen Arm, der um meine Schultern gelegt wurde. Alec. „Wir stehen das zusammen durch ok? Ich werd’ mich nicht wieder wie der letzte Volltrottel aufführen. Versprochen!“
Vorsichtig blickte ich ihm in die Augen. Sie schienen mich um Vertrauen an zuflehen.
Verdammt, Lana, dabei kannst du ganz dumm auf die Nase fallen! Warnte mich mein Gewissen und wies mich auf die Hitze hin, die ich jedes Mal empfand, wenn er mich berührte.
Ich begann zu fühlen…für ihn. Und es würde doppelt so weh tun, wenn er mich dann fallen ließ. Andererseits war ich süchtig nach den Emotionen und wollte ihn solange genießen wie möglich, war noch nicht bereit, ihn gehen zu lassen. Gerade erst hatte ich die tollen Gefühle kennengelernt, die ich durch ihn empfinden konnte, die mochte ich nicht missen. Konnte ich nicht missen.
Und damit war meine Entscheidung gefallen.
Ich stellte mich auf die Zehenspitzen und gab ihm einen kleinen Kuss auf den Mund. Traurig lächelte ich den wunderschönen Jungen vor mir an.
„Was ist mit Matt?“ ich wusste, dass er sein bester Freund war – oder gewesen war?
Kurz schien Schmerz in seinen Augen aufzuflackern, aber er fasste sich schnell wieder und murmelte „Der wird sich schon wieder einbekommen.“ Das unausgesprochene ‚hoffe ich’ schwebte danach in der Luft und wir wussten beide, dass es wohl nicht ganz so einfach werden würde.
Aber in diesem Moment war ich nur egoistisch. Dachte nur an die Zeit, die ich nun mit ihm verbringen konnte und das lockte ein echtes Lächeln auf mein Gesicht.
Der Gong, der das Ende der Pause ankündigte, riss mich schließlich aus meiner Träumerei, was die Zukunft anbelangte. War wahrscheinlich auch gut so, bevor ich anfing, unsere Hochzeitspläne zu schmieden.
„Wir sehen uns nach der Schule.“ Sanft gab Alec mir einen Abschiedskuss. „Kopf hoch.“
Damit wandte er sich um und ging langsam ins Schulgebäude. Ich starrte ihm hinterher und bewunderte seine breiten Schultern. Schließlich zog mich Chris weiter, bevor ich noch Wurzeln schlug. „Du verstehst es echt, einen Auftritt hinzulegen, Schatz.“ Grinste er mich an.
Magst du Onkel Chris erzählen, was da zwischen euch Zuckerschnecken abgegangen ist?“
Ich seufzte und begann ihm die Geschehnisse der letzten 24 Stunden zu berichten.
Die folgenden Tage verbrachte ich wie im Traum.
Alec fuhr mich zur Schule, wir verbrachten die Pausen zusammen mit Chris und nachmittags unternahm ich etwas mit einem von beiden. Dass Alec eifersüchtig auf Chris war, ließ mein Herz nur noch wärmer werden, denn es zeigte mir, wie er für mich fühlte. Und das war etwas, das unbegreiflich für mich war. Er, der tolle Typ, interessierte sich für mich. Das grenzte für mich an ein Wunder.
Ich war aufgeregt. Alec nahm mich mit zum Bowlen. Zu seinen Freunden.
Die kannte ich ja größten Teils schon, aber sie mich nicht als Freundin von Alec.
Als wir im Bowling Center ankamen, nahm er meine Hand und lächelte mir aufmunternd zu, bevor er mich zu den anderen zog.
Sie saßen im Kreis auf den Sofas und Thoma sah mir genau in die Augen und zog die Brauen mit einem dezenten auf unsere verschränkten Hände hoch.
„Hey.“ Grüßte ich schüchtern in die Runde.
„Du hast deine Stiefschwester mitgebracht?“ fragte Darian.
Oh Mist, den hatte ich noch gar nicht bemerkt.
Alec sah mich sanft an und zog mich an seine Brust. „Meine Freundin.“ Korrigierte er und küsste mich sanft.
Und in diesem Moment wurde mir erst richtig klar, dass das alles kein schöner Traum war, sondern die Realität. Und die besagte, dass ich gerade mit dem süßesten Jungen der Welt vor seinen Freunden knutschte und das glücklichste Mädchen auf Erden war.
THE END
Texte: herophile
Bildmaterialien: Monchiaffe
Tag der Veröffentlichung: 17.02.2012
Alle Rechte vorbehalten