Arbeit, Arbeit, Arbeit. In meinem ganzen Leben gibt es nichts anderes als Arbeit. Da lernt man die wenigen Momente zu genießen, in denen man Ruhe hat. So wie diesen.
Es ist früher Morgen, nein, eher noch Nacht. Doch diese paar Minuten kurz vor dem Aufstehen sind erfüllt von Ruhe und Geborgenheit. Ich weiß, viele Menschen sagen das von der Nacht. Aber ich kann das nicht. Denn selbst in der Nacht, im Schlaf arbeite ich noch weiter. Ich weiß nicht, ob ihr das kennt, doch wenn man den ganzen Tag dasselbe gemacht hat – ich weiß nicht – Auto fahren. Stellen Sie sich vor, Sie sind den ganzen Tag mit dem Auto unterwegs gewesen und das nur von zwei kurzen Pausen unterbrochen. Dann kommen Sie am Abend zu Tode erschöpft, müde an und fallen ins Bett. Aber glauben Sie mir, das wird kein erholsamer Schlaf. Ich weiß nicht, wie es geschieht, aber sie werden träumen. Sie werden träumen, dass sie Autofahren, immer noch. Und das gleiche passiert mir. Ich arbeite den ganzen Tag. Meine Arbeit ist zwar nicht immer eintönig, aber oft hirnrissig. Und falle ich dann abends müde ins Bett, arbeite ich weiter. So bleibt mir nur diese kurze Ruhepause nach dem Aufwachen und vor dem Aufstehen. Doch auch diese sollte mir nicht vergönnt sein.
„Wo bleibst du, du unnützes Gör?“, erklang schon die gereizte Stimme meiner Arbeitgeberin durch die Gegensprechanlage.
Mit einem resignierenden Seufzer stehe ich auf und drücke den Knopf. „Ich bin gleich da.“
„Gleich ist zu spät. Du solltest dich glücklich schätzen, für mich arbeiten zu dürfen.“
„Das tue ich. Denn nur dafür lebe ich.“, gebe ich zurück und verdrehe die Augen, glücklich darüber, dass man das durch die Gegensprechanlage noch nicht sehen kann. Doch meine Worte haben den gewünschten Effekt erzielt.
„Das ist die richtige Einstellung“, kommt es nun schon deutlich besser gelaunt durch die Gegensprechanlage zurück. „Und nun beeil dich. Ich hab einen wichtigen Termin.“
Mit einem lauten Seufzen lasse ich mich zurück auf das Bett fallen und starre die weiße Decke an. Womit hab ich das verdient? Doch das Grübeln würde nichts bringen, es kostet nur Zeit und Zeit ist das einzige, was ich nicht habe. Nicht wenn ich einer Strafe meiner Arbeitgeberin entgehen will.
Schnell ziehe ich mich an und begebe mich in die Küche. Frühstück zubereiten für meine Arbeitgeberin und ihre zwei Töchter. Denn diesen zweien kann man nicht so leicht Honig um den Mund schmieren, damit sich ihre Laune bessert.
Schnell und gekonnt stelle ich Tee, Kaffee, Müsli, Frühstücksei, Brötchen, Wurst und Käse auf das Tablett und balanciere zu meiner Arbeitgeberin.
Nur jahrelange Übung erlaubt mir dem fetten Kater, der kaum, dass ich die Tür geöffnet habe, in die Küche stürmt auszuweichen ohne dass der gesamte Tablettinhalt auf den Boden landete.
„Es gibt jetzt noch nichts, Prinz. Erst ist das Frauchen dran.“
Anklagend maunzt der schwarze Kater und streift mir den ganzen Weg zum Schlafzimmer des Frauchens um die Beine. Auch hier bewahrte mich nur jahrelange Übung davor hinzufallen.
„Prinz, wenn du nicht sofort aufhörst, bekommst du heute nichts zum Fressen.“, fauche ich, als ich nur schwer einen Sturz verhindern konnte, genervt.
Miauend verzieht sich Prinz und ich habe den Eindruck, er ist beleidigt.
Endlich kann ich die Doppeltür zum Schlafzimmer meiner Arbeitgeberin aufstoßen. Doch das schwierigste steht mir noch bevor. Meine Arbeitgeberin ist nicht gerade eine ordentliche Person – dann bräuchte sie wahrscheinlich auch kein Dienstmädchen. Überall in dem Raum liegen Perücken, Klamotten, Essensreste, DVDs, Schminkutensilien und jede Menge anderer Krimskrams herum. Diese Unordnung, dieser tägliche Hindernisparcours ist ihr Heiligtum, keiner darf ihn aufräumen, dachte und hoffte ich bis jetzt. Auf alle Fälle habe ich es noch nie aufräumen müssen und ich bin dankbar dafür. Wer weiß, was da alles zum Vorschein kommen würde. Mir schaudert schon allein bei dem Gedanken.
Irgendwie habe ich es auch heute geschafft, diesen Hindernisparcours zu überwinden und das Tablett auf dem Bett meiner Arbeitgeberin abzustellen. Sie ist eine grauenvolle Frau. Hexe scheint mir die richtige Beschreibung, sowohl für das Aussehen als auch für den Charakter. Ihr Aussehen würde sich im Laufe der nächsten Stunden verbessern. Aber den Charakter kann man nicht unter tonnenweise Make-up verbergen.
Sie stürzt sich auf das Frühstück wie ein Raubtier. Ich beziehe Posten neben der Tür und warte.
Nach dem ersten Brötchen öffnet meine Arbeitgeberin den Mund und setzt mich Brötchenkrümmel spuckend über den Tagesplan in Kenntnis.
„Zusätzlich zu deinen gewöhnlichen Aufgaben …“
Bereits da hätte ich am liebsten aufgestöhnt. Das bedeutet Arbeit, massig Arbeit.
„… wirst du heute die Eingangshalle putzen, die Auffahrt staubsaugen und …“
„Das ist doch ein Scherz?“, frage ich entsetzt. Das kann nur ein Scherz sein. Die Auffahrt kehren, ja, aber die Auffahrt staubsaugen. Das kann nicht ihr ernst sein.
„Seh‘ ich aus, als ob ich scherze.“ Mit todernstem Gesicht sieht mir die Frau aus dem Bett entgegen. „Ich mache nie Scherze, wenn es um deine Arbeit geht.“
Es ist ihr wirklich ernst, erkenne ich. Na gut, dann wird die Auffahrt eben gestaubsaugt, ergebe ich mich in mein Schicksal.
„Wo war ich stehen geblieben? … Ah ja, und zu guter Letzt wirst du noch mein Zimmer aufräumen.“ Ein boshaftes Grinsen huscht über ihr Gesicht.
„Was?“, frage ich nun wirklich entsetzt.
„Du hast schon richtig gehört. Du wirst hier alles sauber machen. Wenn ich heute Abend nach Hause komme, will ich, dass hier alles blitzblank ist. Hast du mich verstanden, du unnützes Gör?“
„Aber … aber das schaffe ich nicht.“, stottere ich. „Dafür brauche ich eine Woche mindestens.“
„Dann musst du heute zur Abwechslung mal etwas schneller arbeiten. Du trödelst immer nur rum. Also auf, auf. Putzen.“
Wortlos drehe ich mich um und gehe. Meine Gedanken scheinen sich zu überschlagen. Wie soll ich das nur schaffen? Allein für dieses Zimmer bräuchte man eine gesamte Putzkolonie. Wer weiß, was da alles zum Vorschein kommt? Mich schüttelt es schon allein bei dem Gedanken, an das was ich finden könnte. Doch mir bleibt keine andere Wahl. Ich muss tun, was sie von mir verlangt. Ich werde durch das Haus hetzten, um alles zu erledigen und hoffen, dass sie erst ganz, ganz, ganz spät nach Hause kommt. Vielleicht habe ich ja dann alles geschafft. Ich will noch nicht einmal an die Strafe denken, die mich erwartet, sollte ich die Arbeit nicht erledigt haben. Aber es hilft nichts hier zu stehen und zu überlegen. Das kostet nur Zeit und bringt die Bestrafung immer näher.
Ich muss los. Mir bleibt leider keine Zeit mich mit euch zu unterhalten. Doch halt! Habe ich mich überhaupt schon vorgestellt?
Mein Name ist Aschenputtel.
Gott zum Gruße, gehe ich recht in der Annahme, dass sie meine Person kennen? … Ich habe es schon wieder getan, stimmt’s? Ich habe wieder diese alte, längst vergessene Sprache verwendet. Ich muss mich höflichst entschuldigen. Ich bin mit dieser alten und wie ich finde höflichen Sprache aufgewachsen. Ehrlich gesagt, kann ich mich mit diesem neuen Umgangston nicht anfreunden. Aber genug von anderem, jetzt geht es um mich. Wisst ihr, dass ihr seit langer Zeit die ersten seid, die mich betrachten. Ich bin ein Prinz. Ja, durch meine Adern fließt blaues Blut. Und ich könnte noch mehr sein. Ich könnte König sein. Mein Vater ist schon sehr alt. Seine Herrschaft geht dem Ende entgegen. Aber um König zu werden, bräuchte ich eine Frau und um eine Frau zu bekommen, müsste ich beachtet werden. Also wird daraus wohl nichts. Es hilft nichts, Dingen nachzutrauen, die man nicht bekommen kann. Und doch tue ich es. Ich kann mich einfach nicht damit abfinden, nicht beachtet zu werden. All die hübschen Frauen gehen an mir vorbei und selbst die hässlichen beachten mich nicht. „Ich bin ein Prinz!“, will ich rufen. Doch das habe ich schon vor Jahren aufgegeben. Dann bekomme ich zwar Aufmerksamkeit. Aber die ist noch schlimmer als diese Nicht-Beachtung, mit der ich sonst gestraft werde. Das habe ich nicht verdient. Das habe ich wirklich nicht verdient. Aber weiter in der Geschichte. Wo war ich? Ach, ich bin so aufgeregt, dass mal wieder jemand mit mir redet. Ach ja, ich war bei der falschen Aufmerksamkeit. Ich habe in den ersten Jahren die Frauen oft angeschrien. „Ich bin ein Prinz!“ Dann haben sie mich angesehen. Aber der Blick … dieser Blick … mich schaudert es immer noch, wenn ich daran denke. Sie haben mich betrachtet, als wäre ich ein Aussätziger, als wäre ich ein Biest. Diese Blicke werde ich nie vergessen. Ich bin schließlich ein Prinz. Okay, ich sehe nicht unbedingt aus wie ein Prinz. Nicht mehr. Aber ich bin einer, im Herzen werde ich nie etwas anderes sein. Einst, als ich noch im Schloss meines Vaters gelebt habe, war ich ein wunderschöner Mann. Meinetwegen fielen die Damen reihenweise in Ohnmacht. Ich muss gestehen, damals gefiel es mir nicht. Wie sollte man herausfinden, ob eine Dame es wert war, sich weiter mit ihr abzugeben, wenn sie in Ohnmacht fiel. Jetzt wünsche ich mir nichts mehr, als dass dies wieder geschieht. Zu meinem Leidwesen muss ich gestehen, dass die Damen selbst zu Beginn meiner Verwandlung noch in Ohnmacht fielen. Doch nun lag es an meinem widerwärtigem Äußeren und der Gabe zu Sprechen.
Irgendwann begann ich in Gegenwart Fremder und vor allem Damen zu schweigen. Ja, man mag es kaum glauben, aber ich hatte noch einen Freund, meinen treuen Diener Heinrich. Doch nach all den Jahren konnte ich all das Mitleid in seinem Blick nicht mehr ertragen. Ich verließ ihn und kam hierher in die Einsamkeit.
Nun ja, bei genauerer Betrachtung ist es hier gar nicht so einsam wie es scheint. Jeden Nachmittag kommen die drei Königstöchter aus dem nahegelegenen Schloss hierher, um zu spielen. Eine schöner als die andere. Wahrlich, ein Augenschmaus. Aber die jüngste, nun ja, die würde mir gefallen. Doch ich begnüge mich, sie aus dem Dickicht heraus anzuschmachten. Ich will ihr mein Aussehen nicht zumuten. Ich will nicht, dass sie schreiend davonläuft und ich sie nie wieder sehe. So sitze ich hier – tagein, tagaus – auf meinem Stein im Schilf und warte auf ihr Erscheinen. Es ist mein einziges Vergnügen.
Da, still, sie kommt. Die Jüngste. Sie ist allein. Ach, wie ich es liebe ihr zuzusehen, wenn sie mit diesem goldenen Ball spielt … Ich glaube, ich bin verliebt.
... Fortsetzung folgt!
Texte: Die Geschichten gehören mir.
Tag der Veröffentlichung: 15.11.2011
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