Cover


Zurück zu Zodiak



Als die drei Jungen am nächsten Tag zurückkamen, erzählte Hero ihnen schnell von ihrer Vermutung.
„Aber das kann doch gar nicht sein. Wer ist Zodiak? Woher kennt er dich? Wieso sucht er dich? Wieso hat er meinen Vater?“ Verwirrt strich sich Jaden eine Haarsträhne aus der Stirn.
„Zodiak hat deinen Vater, weil er mich will. Er glaubt, dass dein Vater weiß, wo ich bin und damit hat er ja auch Recht.“ Aber wieso sucht er sie jetzt?

, fragte sich Hero verzweifelt. Er hatte eben erst versucht sie umzubringen. Er musste doch glauben, dass sie tot sei. Wieso suchte er sie aber immer noch?


„Wir sollten die Polizei holen!“, meinte Jaden.
„Die Polizei wird da nichts machen können. Wir haben keine Beweise“, meinte Hero traurig. Hero wusste, was in dem Jungen vor sich ging. Er verstand nicht, was nun in seiner kleinen Welt passierte. Hero brachte seine Welt durcheinander.
„Und ihr könnt da was machen?“, fragte Jaden zweifelnd.
Hero überlegte. Doch bevor sie antworten konnte, sagte Juli schon: „Ja.“ Er sagte es mit so einer Überzeugung, dass Jaden zu hoffen anfing.
„Nein.“, widersprach Hero. „Nicht wir. Nur ich.“
„Du kannst ja noch nicht einmal aufrecht stehen. Wir begleiten dich!“, erklärte Atikes
„Aber…“, setzte Hero an, wurde aber sofort von Atikes unterbrochen. „Es hat gar keinen Sinn, es uns auszureden. Du bist zu schwach. Um uns aufzuhalten.“
Hero gab sich geschlagen. Es stimmte, sie war zu schwach, um die Jungs aufzuhalten.


Es war eine Leichtigkeit in Zodiaks Burg einzudringen. Wie damals bei Dr. Engel war es viel zu einfach. Niemand begegnete ihnen auf den Weg ins Verließ. Keine Wachen; die Burg schien wie ausgestorben. Eine Falle! Hero wusste es, aber es hielt sie nicht davon ab, sich den Schlüssel zu schnappen und die einzige verschlossene Tür aufzusperren. Hatten sie denn eine andere Wahl, wenn sie Jadens Vater retten wollten?


Jaden stürmte die Treppe hinunter und holte seinen verwirrten Vater zu ihnen.
Gemeinsam machten sie sich auf den Rückweg. Langsam begann ein Hoffnungsschimmer in Hero aufzukeimen. Dieser wurde aber sofort wieder zerschlagen. Sie wurden bereits in der Eingangshalle erwartet. Zodiak wartete dort, aber er war nicht allein, da waren noch mindestens zwanzig Mann, die hinter Zodiak in Reihen standen.
„Warum haben Sie meinen Vater entführt?“, rief Jaden Zodiak über den großen Raum hinweg wütend zu.
„Er war nur Mittel zum Zweck“, sagte Zodiak ohne die Stimme zu erheben. Dennoch hörte man ihn laut und deutlich. „Ich will sie!“, donnerte er. „Ein letztes Mal will ich dir nun anbieten mit mir zu arbeiten. Ich will vergessen, dass du mich an der Nase herumgeführt hast, will vergessen, dass du eigentlich nicht mehr leben dürftest und das schon seit unserer ersten Begegnung.“ Er schwieg, wartete offensichtlich auf Antwort.
Auch das Mädchen blieb stumm, schien über sein Angebot nachzudenken.
„Niemals!“, antwortete Juli und nahm Hero somit die Entscheidung ab.
„Wenn das deine Antwort ist, …“ Zodiak zuckte mit den Schultern, verhehlte nicht, dass er auf eine andere Antwort wartete. Doch als dies nicht geschah – „Fasst sie!“, gab er seinen Männern den Befehl.
Die Männer, die vor ihnen zu einer erstaunlich geraden, vielfach gestaffelten Schlachtreihe Aufstellung genommen hatten, setzten sich in Bewegung. Rechts, links, rechts, links. Langsam, drohend kamen sie näher. Rechts, links, rechts, links. Viele hatten ein fettes Grinsen auf dem Gesicht. Nur wenige schauten nachdenklich drein. Und diese wenigen

, dachte das Mädchen, hatten schon gegen Juli und sie gekämpft.

Aber bei keinem konnte sie Widerwillen in den Gesichtern lesen. Sie hatten keine Skrupel gegen Kinder anzutreten. Juli, Atikes, Jaden, Hero und Jadens Vater bewegten sich nicht vom Fleck.
„Hero, du bleibst im Hintergrund!“ Das Mädchen wollte Atikes widersprechen.
„Du kannst nicht einmal ohne Hilfe stehen, geschweige denn kämpfen“, fuhr Juli sie an.
Die Gegner trafen aufeinander. Waffen klirrten. Die Kids hatten sich Schwerter von den Wänden genommen. Eigentlich zur Dekoration gedacht, leisteten sie ihnen sehr gute Dienste. Hero musste hilflos mit ansehen, wie ein Freund nach dem anderen zu Boden ging.
Als erstes wurde Jadens Vater zu Boden gestreckt. Das war aber auch nicht verwunderlich. Der Aufenthalt im Kerker hatte ihn geschwächt. Ängstlich beobachtete Hero den weiteren Verlauf des Kampfes.
Als nächstes lag Jaden am Boden und stand nicht mehr auf. Hinterhältig wie die Männer Zodiaks nun einmal waren, hatte einer Jaden abgelenkt und der andere ihm das Schwert ins Bein gestoßen. Gleich darauf bekam Atikes einen derben Schwerthieb in die Seite. Nun stand nur noch Juli und auch er konnte sich kaum mehr auf den Beinen halten. Tapfer wehrte er sich gegen gleich drei Angreifer auf einmal. Doch dieser Übermacht hielt er keine zwei Minuten stand. Als schließlich auch er zu Boden stürzte, wusste Hero was jetzt zu tun war. Sie würde es tun. Ihr war egal was mit ihr passierte. Nur ihren Freunden durfte nichts zustoßen. Sie hatte schon viel zu lange gewartet. Es war schon zuviel geschehen. Sie musste es tun.
„Halt!“, rief Hero. Auf den Stock gestützt humpelte sie in die Mitte des Raumes, stellte sich zwischen ihre Freunde und Zodiak. „Sie wollen doch nur mich. Sie sind doch nur sauer auf mich, weil ich noch lebe. Sie wollen, dass ich für Sie arbeite. Sie haben gewonnen!“ Heros Stimme wurde immer leiser. „Ich schwöre Ihnen Treue. Aber ich habe eine Bedingung. Lassen Sie meine Freunde gehen!“
„Hero, nein!“, sagte Juli leise. „Das darfst du nicht tun.“ Schwach hob er die Hand; wollte das Mädchen aufhalten. Hero aber reagierte nicht. Sie blickte Zodiak direkt in die Augen.
„OK. Lasst sie gehen!“, forderte dieser. Heros Freunde wurden von Wachen auf die Beine gezerrt und aus der Burg geschmissen. Die Türen hinter ihnen verriegelt.
Das Mädchen selbst wurde auf ein Zimmer geführt, in dem ein Bett, ein Schrank und ein Tisch standen.
„Dein Reich.“ Zodiak machte eine einlandende Geste. „Leg dich hin! Du kannst dich ja kaum noch auf den Beinen halten.“ Das Mädchen schlief zu Tode erschöpft ein, verschwendete keinen Gedanken daran, was alles passieren könnte. Sie hätte es doch nicht verhindern können. Sie war zu schwach.
Als sie erwachte, stand Zodiak wieder oder immer noch an ihrem Bett.
„Ich kenne deinen Plan, junger Schüler“, sagte er.
Wie will er wissen, was ich tun werde, wenn ich es selbst noch nicht einmal weiß

, fragte sich Hero.
„Du willst warten bis du wieder bei Kräften bist und dann fliehen.“ Ja, auf so etwas würde es wohl hinauslaufen. „Aber das würde ich an deiner Stelle bleiben lassen.“
„Wieso?“, fragte Hero und sprang auf. Schwankend blieb sie stehen. „Was sollte mich daran hindern?“, fragte sie frech. Aber das war nur ein letztes Aufbäumen, bevor sie zusammenbrach, ein willenloser Sklave wurde.
„Wieso, Meister?, heißt das!“, korrigierte Zodiak. „Du solltest es lieber bleiben lassen, wenn dir das Leben deiner jungen Freunde lieb ist. Jeder ist infiziert. Ich habe sie alle berührt. Ein Knopfdruck und sie müssen dieselben Schmerzen erleiden wie du. Sie werden von innen heraus zerstört. Nur mit einem Unterschied. Du hast überlebt - irgendwie; sie werden daran zugrunde gehen. Kein Arzt kann ihnen helfen. Todesursache: unbekannt“, meinte Zodiak in sachlichem Tonfall. „Aber du kannst sie retten. Du bist doch nur zu mir gekommen, weil du deine Freunde retten wolltest. Ein Knopfdruck von mir“ Er zeigte ihr eine schwarze Schachtel mit drei roten Knöpfen. „bedeutet ihren Tod. Du hast es in der Hand. Geh – ich werde dich nicht aufhalten – und deine Freunde werden sterben; bleib und sie werden leben. Vergiss deine Freunde! Es ist das Beste für dich. Vertrau mir. Ich weiß, es fällt dir jetzt noch schwer. Doch irgendwann wirst du es verstehen.“
Heros Kräfte waren aufgezehrt. Sie konnte nicht mehr. Das Mädchen hatte in letzter Zeit so viel Schreckliches erlebt. Es fiel Zodiak leicht, Hero seinen Willen aufzuzwingen. Das Kind hätte sich – selbst wenn nicht das Leben ihrer Freunde auf dem Spiel gestanden hätte – wohl letzten Endes seiner Macht unterworfen. Sie hatte nicht mehr die Kraft, sich zu wehren; weder körperlich noch geistig. Es fiel Hero immer schwerer, auch nur aufrecht zu stehen. Bald würde sie nicht einmal mehr hierzu die Kraft haben. Sie war am Ende ihrer Kräfte.
Zodiak weidete sich an ihrer Kraftlosigkeit. Hero sah seinen spöttischen Blick. Niedergeschlagen blickte das Mädchen auf ihre Füße. Sie gab sich geschlagen. Sie gab sich selbst auf. Auf einmal sprang ihr der Boden entgegen.


Die Ausbildung



Als sie wieder erwachte, hatte sie das Gefühl, dass etwas anders war … in ihr. Da war etwas, was dort nicht sein sollte, durfte. Und das machte Hero Angst. Auch äußerlich hatte sich etwas verändert. Auf ihrem rechten Oberarm war an der Stelle, an der Zodiak sie berührt hatte, ein Mark erschienen. Drei Punkte, die zusammen einen Kreis bilden. Doch Hero schob es auf den Zauber

, den Zodiak bei ihr angewendet hatte. Zauber, dachte sie. Vor ein paar Wochen noch hatte sie alles Übernatürliche, nicht Normale für Humbug gehalten. Und jetzt war sie mittendrin, lebende Mumien, körperlose Stimmen, unerklärliche Krankheiten samt unerklärlicher Heilung. Ihr Leben war völlig aus den Fugen geraten. Energisch schüttelte sie den Kopf, wollte nicht daran denken.
Hero wurde entgegen ihrer Annahme gut behandelt; nicht eingesperrt oder bewacht.
Sobald es ihre Kräfte zuließen, erkundete sie die Burg. Zodiak hatte sich nicht mehr blicken lassen.
Seit zwei Tagen war sie nun Bewohner dieser Burg, da sah sie Zodiak wieder.
Hero lag mit geschlossenen Augen auf dem Bett, das rechte Bein aufgestellt, um ihre Wade, die immer noch schmerzte, zu schonen und die Arme hinter dem Kopf verschränkt. Das Mädchen versuchte das Beste aus der Situation zu machen. Sie konnte nicht mehr zurück in ihr altes Leben, nie mehr. Wieder einmal hatte sie auf sehr unerfreuliche Weise ihr altes Leben verloren, musste von vorn beginnen.
Hero hatte ihr altes Leben aufgegeben. Sie hatte während ihrer Flucht Freunde gefunden. Doch nun musste sie diese wieder aufgeben, um sie in Sicherheit zu wissen. Sie musste sich in dieser neuen Situation zurechtfinden. Zodiak würde von nun an ihr Meister sein. Einen Vorteil lieferte diese Beziehung. Ihr Leben auf der Flucht war vorbei. Zodiak würde sie vor den Verbrechern schützen. Aber für wie lange war sie sicher?


Die Tür wurde geöffnet. „Zieh das an!“ Etwas wurde ihr auf den Bauch geworfen. „Wir treffen uns im großen Saal.“ Zodiak verließ den Raum wieder.
Widerwillig öffnete das Mädchen die Augen. Sie wollte nicht zu dem Mann. Doch hatte sie eine andere Wahl?


Hero zog sich um. Entsetzt betrachtete sie sich. Der Anzug war nachtschwarz und hatte das verhasste Zeichen – die goldene Schlange – auf dem Rücken. Das T-Shirt war zu klein. Es zwickte unter den Achseln. Die Hose zu lang.
Niedergeschlagen machte sie sich auf den Weg zum großen Saal. Wie gern wär sie jetzt bei ihren Freun-den.
„Nun lass uns mit deiner Ausbildung beginnen. Am Ende wirst du mein Assistent sein, wenn nicht sogar mein Nachfolger. Ich setze große Hoffnungen in dich. Enttäusch mich nicht. Aber wir wollen den Tag nicht vor dem Abend loben“, empfing sie Zodiak.
Hero betrachtete den alterslosen Mann genauer. Es erstaunte sie, dass er bereits über einen Nachfolger nachdachte und noch mehr, dass er sie dafür in Erwägung zog.
„Sturm wird dich ausbilden. Nur die Ausbildung in der Schwertkunst werde ich selbst übernehmen. Sturm wartet auf dem Übungsplatz auf dich. Streng dich an!“
Irrte sich Hero oder war das eine leise Drohung. Hatte er vielleicht noch sagen wollen Oder deine Freunde werden darunter leiden.

Hero war sich sicher, dass so etwas noch kommen würde. Doch Zodiak blieb stumm.
Also drehte sich das Mädchen um und machte sich auf den Weg zum Übungsplatz. Das war ein Gelände etwa so groß wie ein Fußballfeld und es lag mitten in dem Wald, der hinter der Burg wuchs.
Ein Mann von etwa fünfundzwanzig Jahren stand wartend in der Mitte des Platzes. Fassungslos starrte er ihr aus blauen Augen entgegen. Sein blondes Haar wehte im Wind.
„Wie ist er

nur auf diese gottverdammte Scheißidee gekommen mir ein Kind zu schicken. Und noch dazu ein Mädchen. Und dann soll ich auch noch die Ausbildung, die sonst 14 Wochen dauert – bei erwachsenen Männern wohlgemerkt – in vierzehn Tagen durchziehen. Das ist unmöglich.“ Sturm schimpfte noch eine Weile vor sich hin. Hero stand stumm daneben. Sie musste dem Mann zustimmen. Was hatte Zodiak nur geritten, in ihr seinen Nachfolger zu sehen?


Kopfschüttelnd betrachtete Sturm das Mädchen und dann fingen sie mit der Ausbildung an. Sturm ließ sie Runde für Runde um den Platz rennen, Liegestützen machen, einfach alles was Kraft kostete.
Hero hatte die leise Vermutung, dass er dadurch seinen Ärger über sie abreagieren wollte und nur darauf wartete, dass sie widersprach. Doch das Kind ertrug alles ohne Murren. Auch wenn es ihr schwer fiel, sagte sie nichts.
Hero schlich nach Stunden der Schinderei entkräftet in ihr Zimmer. Kaum lag sie im Bett, fielen ihr die Augen zu.

Am nächsten Tag war Sturm schneller mit ihr fertig. Aber Zodiak erwartete sie noch im großen Saal.
Der Mann stand in der Mitte des Raumes. Plötzlich warf er Hero etwas zu und das Mädchen fing es mit einem schnellen Reflex auf.
„Verteidige dich!“, bellte der Mann und sprang auf sie zu.
Hero betrachtete den Stecken in ihrer Hand und sah, dass er in etwa die Form eines Schwertes hatte.
Die zwei Kontrahenten standen sich einen Augenblick lang gegenüber und dann griff Zodiak an. Sein Stock sauste durch die Luft. Hero versuchte, den Angriff zu parieren, war aber zu langsam. Sie schrie auf, als der Mann sie in die Rippen traf, und taumelte rückwärts. Ohne nachzudenken, sprang sie wieder nach vorn, doch Zodiak parierte ihren Hieb mit Leichtigkeit. Hero ließ den Stab auf seinen Kopf zuschnellen, änderte im letzen Moment die Richtung und versuchte, ihn in die Seite zu treffen. Der hohle Aufprall der beiden Hölzer schallte durch den Saal.
„Improvisation – gut!“, rief Zodiak. Sein Arm schoss blitzschnell vor und seitlich an Heros Kopf explodierte ein greller Schmerz. Benommen brach sie wie ein leerer Sack zusammen.

Ein Schwall kaltes Wasser riss sie aus der Ohnmacht und sie setzte sich schwankend auf. In ihrem Kopf klingelte es und an ihrem Gesicht fühlte sie getrocknetes Blut. Zodiak stand über ihr, mit einem Eimer Wasser in der Hand.
„Das war nicht nötig“, sagte Hero verärgert und stemmte sich hoch. Sie hatte weiche Knie.
Zodiak hob eine Augenbraue. „Ach ja? Ein echter Gegner schlägt nicht sanft zu, also tue ich das auch nicht. Soll ich vielleicht auf deine … Unfähigkeit Rücksicht nehmen, damit du dich besser fühlst? Ich glaube nicht.“ Er hob den Stock auf, den Hero fallen gelassen hatte, und hielt ihn ihr unter die Nase. „So, und jetzt verteidige dich.“
Hero starrte mit leerem Blick auf das Stück Holz und schüttelte dann den Kopf. „Vergessen Sie’s. Mir reicht’s.“ Sie machte auf den Absatz kehrt und geriet ins Stolpern, als sie ein grober Stoß in den Rücken traf. Knurrend wirbelte sie herum.
„Kehr deinem Gegner niemals den Rücken zu!“, schimpfte Zodiak, warf ihr den Stecken zu und ging von neuem auf sie los.
Hero wich vor seinem Angriff zurück, umkreiste den Tisch.
„Zieh die Arme ein! Die Knie bleiben leicht gebeugt“, rief Zodiak. Er erteilte ihr noch weitere Anweisungen und blieb schließlich stehen, um Hero in allen Einzelheiten zu zeigen, wie man eine bestimmte Bewegung ausführt, bis sie sich schließlich wieder in einem hitzigen Gefecht verbissen.
Hero lernt schnell, aber was sie auch versuchte, sie konnte Zodiak nicht mehr als ein paar Schläge lang parieren.
Als sie fertig waren, ließ Hero sich stöhnend in ihr Bett sinken. Ihr ganzer Körper schmerzte – Zodiak war mit seinem Stock nicht gerade sanft umgegangen. Ihr wurde schmerzlich bewusst, wie schwach sie war. Es war nicht mehr die Schwäche, die sie noch vor einer Woche ans Bett gekettet hatte. Die war verflogen. Auf wundersame Weise spurlos verschwunden. Nein, es war die Erschöpfung, die diese Ausbildung mit sich brachte.

Am nächsten Morgen fühlte sie sich noch schlimmer. Ihre Arme waren mit blauen Flecken übersät, und die Muskeln taten ihr so weh, dass sie sich kaum rühren konnte.
Zodiak schaute von dem Frühstück auf als Hero eintrat und grinste. „Wie fühlst du dich?“
Hero brummte etwas Unverständliches und schlang das Frühstück hinunter.
Den ganzen Tag verbrachte sie mit Sturm auf dem Übungsplatz, durchlief Parcours, fiel unzählige Male in ein Loch, dass bis oben hin voll mit Schlamm war, kämpfte mit Sturm, erlernte Karate und Judo und den Umgang mit einer Pistole. Aber sie wollte diese Waffe nicht. Sie wollte ihren Gegnern nicht in den Rücken schießen. Wenn schon kämpfen, dann sollte es schon ein fairer Kampf sein. Hero fand es einfach nur hinterhältig und verachtenswert, jemanden zu erschießen. Aber keiner hörte auf ihren Einwand. Sie wurde weiterhin auch an der Pistole ausgebildet.
Eine Stunde vor dem Abendessen beendete Sturm das Training. Hero schleppte sich in ihr Zimmer, wusch sich und ließ sich schließlich entkräftet aufs Bett fallen. Obwohl sie keinen Hunger verspürte, quälte sie sich dennoch zum Abendessen aus ihrem Bett.
Nach dem Abendessen stand Zodiak auf und rief: „Fang!“
Hero blieb kaum Zeit, den Arm zu heben und das auf ihren Kopf zusausende Holzstück zu fangen. Sie seufzte, als sie sah, dass es erneut das nachgebildete Schwert war. „Nicht schon wieder“, beschwerte sie sich.
Zodiak lächelte bloß und bedeutete ihr, aufzustehen. Widerwillig stemmte Hero sich auf die Beine. Dem Mann schien es zu gefallen, Hero sein Wissen beizubringen. Sie entfachten einen Wirbelsturm aus anei-nander prallenden Hölzern und sie wich mit schmerzendem Arm zurück.
Diesmal war das Training kürzer als beim ersten Mal, dauerte jedoch lange genug, damit Hero sich eine neue Sammlung blauer Flecken einhandeln konnte.
Als der Übungskampf vorbei war, warf sie ihren Stecken wütend zu Boden und verließ den Raum.

Schon das Aufstehen bereitete ihr Schwierigkeiten. Ihre Muskeln verkrampften sich bei der geringsten Bewegung und einer ihrer Finger war heiß und angeschwollen.
Als sie mit dem Frühstück fertig waren, sagte sie verkniffen zu dem Mann: „Wenn das so weitergeht, werden Sie mich noch in Stücke schlagen.“
„Ich würde nicht so hart mit dir umspringen, wenn ich dich nicht für stark genug hielte. Du bist ein Krieger, hast es im Blut.“
„Zur Abwechslung hätte ich nichts dagegen, mal für schwach gehalten zu werden“, murmelte Hero. Sie spürte, wie das Blut ihre rechte Wade hinunterlief. Zodiak hatte gestern mit einem gezielten Schlag auf ihre Wade, die Wunde wieder aufplatzen lassen.
„Geh zum Arzt und lass deine Wade verbinden, sonst verblutest du mir noch“, meinte Zodiak mit einem Blick auf den schwarzen Stoff der Beine, der jetzt noch schwärzer war. „Außerdem“, fügte er mit schelmischem Grinsen hinzu, „ruinierst du mir das Parkett.“
Kopfschüttelnd verband der Arzt Heros Wade und betrachtete ihre anderen kleinen Verletzungen mit missbilligendem Blick. Er sagte aber nichts.

Nach Tagen, in denen sie viele Stunden damit zugebracht hatte, mit Zodiak und Sturm zu kämpfen, meinte Zodiak selbstverherrlichend: „Normalerweise benötigt man ein Jahr, um im Schwertkampf gut zu werden und mindestens zwei, um mich zu fordern. Aber du hast es im Blut. Du hast die Gene eines Kämpfers. Du weißt gar nicht, wie sehr du deinen Vater ähnelst.“
Traurig sah Hero auf. „Mein Vater ist tot.“
Doch Zodiak lächelte nur geheimnisvoll.
Nach dieser Übungsstunde, in der sich Hero völlig verausgabte, musste sich wieder einmal der Arzt um ihr Bein kümmern. Die alte Wunde war wieder aufgeplatzt – wie schon so oft. Und auch die Narbe an ihrem Bauch hatte sich wieder geöffnet.
Als sie endlich entkräftet in ihrem Bett lag, kam Zodiak zu ihr. „Da ist Besuch für dich. Der hat aber wirklich keine guten Manieren, einfach so in meine Burg einzubrechen. Sie warten in der Eingangshalle.“ Zodiak ließ sie allein.
Mit schlechtem Gewissen machte Hero sich auf den Weg. Sie wusste, wer es war und sie wollte sie am liebsten gar nicht sehen. Es war besser so. Es würde ihr nur zusätzliche Schmerzen bereiten und dennoch ging sie in die Eingangshalle.
„Hero?“, rief Juli erstaunt. „Du bist ja frei! Komm mit! Lass uns von hier verschwinden!“ Juli nahm ihre Hand. Das Mädchen zog sie erschrocken zurück.
„Nein!“, sagte sie entschlossen. Auf einmal legte sich eine Hand auf ihre Schulter. Hero sah an dem Arm hinauf. Zodiak war plötzlich aufgetaucht. Die Hand schloss sich fester um ihre Schulter. Sie wusste, was Zodiak ihr sagen wollte. Er wollte sie daran erinnern, dass ihre Freunde starben, wenn sie etwas sagte.
„Wie nein?“, fragte Jaden nach.
„Ich werde hier bleiben!“, sagte das Mädchen mit gesenktem Kopf. Die Gedanken der drei Jungs spiegelten sich deutlich auf ihren Gesichtern wieder.
„Ich halte sie nicht auf“, sagte Zodiak und hob in gespieltem Erstaunen abwehrend die Hände.
„Ich bleibe hier!“, sagte Hero noch einmal und sah Juli, Atikes und Jaden diesmal an. Die Jungen konnten es nicht glauben. „Ich … ich will in Frieden leben können. Ich gehöre jetzt zu ihnen.“ Hero wandte den Körper, sodass die Jungs, das Zeichen der Schlange auf ihrem Rücken sehen konnten.
„Hero, so kenn ich dich gar nicht!“, wunderte sich Atikes.
„Ihr kennt mich nicht. Ihr wisst gar nichts von mir und jetzt geht!“ Hero sah auf ihre Füße.
„Willst du … willst du wirklich hier bleiben?“, fragte Juli zögerlich. Er hatte Angst vor der Antwort.
„Geht!“, wiederholte das Mädchen leise, drehte sich um und verließ die Eingangshalle. Kaum war die Tür hinter ihr ins Schloss gefallen, kullerten ihr die Tränen in Strömen übers Gesicht. Sie hatte ihre Freunde angelogen.
Du hast sie angelogen, um ihr Leben zu retten.


Hero schrie erschrocken auf. Gehetzt sah sie sich um.
Keine Panik! Ich bin’s nur.


Das Mädchen hielt sich die Ohren zu, als könne sie so die Stimme aus ihrem Kopf verbannen. Sie wollte sie nicht hören. Sie wollte nichts mehr mit ihrem alten Leben zu tun haben. So wie es jetzt ist, war es einfacher. Es war einfacher, allein zu sein. Hero war kreidebleich und zitterte. Plötzlich kam ihr ein entsetzlicher Gedanke. Meine Freunde … Versprechen Sie mir etwas?, fragte Hero, wartete eine Antwort aber gar nicht erst ab:

Versprechen Sie mir, dass Sie den Jungen nichts sagen. Versprechen Sie es mir! Hero war außer sich vor Sorge.
Aber sie halten dich für … für …

Die Stimme brachte es nicht fertig dieses Wort auch nur zu denken.
Für einen Verräter,

sagte Hero leise und gefasst. Aber die Stimme wusste, was in ihr vorging. Es fiel dem Mädchen immer schwerer ihre Angst, ihre Wut zu verbergen.
Ja

, antwortete der Fremde in ihrem Kopf, aber das stimmt nicht. Du bist kein Verräter, du bist ein Held. Dadurch, dass du sie weggeschickt hast, hast du ihr Leben gerettet. Und dass sollten sie wissen!

, war die Stimme überzeugt.
Versprechen Sie es mir!

, schrie Hero. Das Mädchen könnte es nicht ertragen, Schuld am Tod ihrer Freunde zu sein. Nicht jetzt, wo sie so viel auf sich nahm, um ihr Leben zu retten. Sie sollten sich nicht selbst in den Tod stürzen, indem sie Zodiak angriffen. Was sie unweigerlich tun würden, wenn sie die Wahrheit wüssten, davon war Hero überzeugt.

Der Auftrag



Es war der zehnte Tag ihrer Ausbildung. Oder war es bereits der elfte? Die Tage verschwammen zu einer grauen Masse. Tagtäglich musste Hero durch Schlamm robben, durch Reifen springen, einen Hindernisparcours nach dem anderen durchlaufen, immer wieder Kampfsport und Schießübungen machen.
Wieder einmal stand Hero in dem aus Pappe errichteten Dorf. Sie wusste, jederzeit könnten überall Scheiben auftauchen, auf die sie zu schießen hatte. Doch heute war es anders. Es erschienen nicht die schwarzen Kreise, auf die sie bisher immer geschossen hatte. Heute erschienen Menschen. Plötzlich stand sie einem jungen Mann gegenüber. Er war nicht echt, er war aus Pappe und dennoch zögerte Hero.
Zielen und abdrücken, zögern bedeutet den Tod

, hatte man ihr eingebläut. Diese Worte kamen ihr in den Sinn. Es war nur eine Übung. Der Mann war nicht echt.

Sie drückte ab.

„Sie macht erstaunliche Fortschritte. Sie hat die Ausbildung fast abgeschlossen. Doch es gibt da ein Problem“, sagte Sturm am Abend als er Zodiak Bericht erstattete. Zodiak sagte kein Wort. Er sah Sturm einfach nur auffordernd an.
Der junge Mann setzte seinen Bericht fort. „Hero hatte am Schießstand eine Trefferquote von etwa 90%. Doch als wir die Zielscheiben durch Bilder von Menschen ersetzten, sank ihre Trefferquote auf unter 50%. Ich glaube nicht, dass das Mädchen das Zeug hat, zu töten.“
Zodiak sagte lange kein Wort, dann meinte er: „Schick sie zu mir! Ich hab einen Auftrag für sie.“

„Du sollst etwas für mich erledigen“, sagte Zodiak, als Hero den Raum betrat. Hero hatte damit gerechnet, dass sie irgendwann diese Worte hören würde. Doch sie hatte immer gehofft, sie nicht so früh zu hören. Stumm blieb sie stehen.
„Du wirst nach Gangstertown gehen und einen Mann für mich erledigen.“
„Ich weiß nicht, ob ich das kann“, widersprach Hero leise. „Ich weiß nicht, ob ich einen Menschen umbringen kann.“
„Und ich weiß, dass du es kannst. Du hast bereits drei meiner Leute umgebracht.“
Hero wurde kreidebleich.
„Kannst du dich nicht einmal mehr daran erinnern? Damals als du mit deinen Freunden geflohen bist, war es einer meiner Männer und als du diesen Doktor befreien wolltest, gingen noch zwei Männer auf dein Konto. Und genauso wie du diese Männer umgebracht hast, wirst du jetzt diesen erledigen. Es ist ganz einfach. Ich vertrau dir. Enttäusch mich nicht!“ Zodiak log Hero dreist ins Gesicht. Doch seine Worte verfehlten ihre Wirkung nicht. Hero kam ins Grübeln.

Einsam und verlassen stand das Mädchen in dieser großen Menge. Sie umschlang sich mit den Armen. Ihre Fingernägel gruben sich tief in ihre Oberarme. Blut floss heraus.
Niemand wusste, was sie getan hatte, was sie tun musste, was sie tun wird. Sie hatte einen Menschen umgebracht. Er war durch ihre Hand gestorben.
Angewidert betrachtete sie ihre Hände. Blut klebte an ihren Fingern; ihr Blut. Doch obwohl kein Blut des Mannes an ihren Händen geklebt hatte, konnte sie förmlich spüren, wie sich ihr Blut mit dem seinen vermischte.
Aber du hattest keine Wahl

, flüsterte die Stimme in Heros Kopf.
Das hilft ihm auch nichts. Er ist tot; gestorben durch mich

, erwiderte das Mädchen tonlos. Die Menschen um sie herum betrachteten das Mädchen nicht, sahen nicht den Mörder, der unter ihnen stand.
Du hattest keine andere Wahl. Wäre er jetzt nicht tot, wärst es du ganz bestimmt.
Ob das soviel schlechter wäre?


Der Fremde blieb erschrocken still, dann meinte er: Manchmal ist zu leben schwieriger als zu sterben. Aber ich bin sicher, du überstehst es. Du musstest es tun. Zodiak hat es verlangt, du hast seinen Auftrag ausgeführt.
Aber …
Nichts aber!

, rief der Fremde wütend. Wenn du es nicht getan hättest, hätte er einen deiner Freunde umgebracht. Das ist dir doch klar? Aber wenn du Todessehnsucht hast, bitte schön. Oute dich! Ich bin sicher die Menge wird dich sofort lynchen. Wieso quälst du dich so? Dein Kampf wird Opfer fordern. Du kannst nicht alle retten. Es wird Opfer geben. Du kannst nur verhindern, dass du die Opfer auf deiner Seite beklagen musst. Bei deinem Kampf wird es Verletzungen geben. Das liegt in der Natur der Dinge.
Verletzungen sind nicht so schlimm. Verletzungen heilen. Aber wie heilt man den Tod?

, fragte das Mädchen.
Lange blieb es stumm. Dann …
Ich schaff das nicht.

Das Mädchen war überrascht wie leicht sie diese vier Worte auf einmal aussprechen konnte.
Das will ich nicht gehört haben.

, sagte der Fremde.
Ich sagte, ich schaff das nicht

, sagte Hero noch einmal vernehmlich.
Das ist ein Satz, den wir nicht kennen.


Das ist mir egal. Mir reicht’s. Ich hab echt genug. Ich hab gerade …

Heros Stimme brach. Wieder sah sie die ungläubig aufgerissenen Augen des Mannes, dem sie gerade die Zukunft genommen hatte.
Die Stimme blieb eine unendliche Minute lang still. Dann meinte er langsam: Ich weiß, es ist für ein Kind nicht leicht in der Männerwelt zu überleben. Für ein Mädchen noch weniger.
Ich will nicht mehr. Ich will keine Verbrecher mehr in meinem Leben haben. Ich will weg. Irgendwohin, wo mich keiner kennt.

Nur mit Mühe konnte sie die Tränen unterdrücken.
Das wird nicht gehen. Erstens kennt dich jeder und zweitens hast du die Kraft. Du kannst dich nicht dagegen wehren. Es liegt dir im Blut zu kämpfen. Du kannst nichts dafür. Es ist deine Herkunft.

, widersprach der Fremde.
Meine Herkunft?

, fragte Hero verwirrt. Doch der Fremde ging nicht auf ihre Frage ein.
Hero, du hast dich für dieses Leben entschieden. Mit deinem Schwur nicht mehr zu weinen und keine Unschuldigen mehr deinetwegen leiden zu lassen, hast du bereits eine Entscheidung getroffen. Und mit all deinen Taten hast du diesen Entschluss verfestigt.

Der Fremde schwieg und auch Hero blieb still. Schließlich sagte sie: Bevor Sie mich für einen kompletten Narren halten. Ich weiß, dass Zodiak mich nicht so einfach gehen lässt. Mein Leben wird nie frei von Verbrechern sein. Aber ich bin doch nur ein Kind.

Der letzte Satz war kaum mehr als ein Flüstern.
Du irrst dich, Hero. Du bist nicht nur ein Kind. Du bist mehr; viel mehr. Du bist etwas Besonderes. Du weißt gar nicht wie besonders. Doch alle Besonderheiten nützen nichts, wenn man nicht die Kraft, den Willen besitzt sie einzusetzen. Du hast diesen Willen. Du denkst vielleicht, dass du nur ein Kind bist, aber das bist du nicht; schon lange nicht mehr. Das warst du nie. Ein ganz normales Kind würde bei einer Entführung verängstigt in einer Ecke sitzen und warten, dass es endlich vorbei ist. Auch du hast das getan. Doch dann brach deine Kämpfernatur durch. Jedes andere Kind hätte sich widerstandslos Zodiak übergeben lassen und alles getan, was dieser von ihm verlangt hätte. Du nicht. Deine Entschlossenheit hat dich vor dem sicheren Tod gerettet. Du bist anders. Zodiak wird vielleicht dich in Ruhe lassen aber ganz gewiss nicht deine Freunde. Kannst du es mit deinem Gewissen vereinbaren, wenn sie für dich leiden müssen, es keinen gibt, der sie vor diesen schrecklichen Erfahrungen bewahren kann?


Hero überlegte lange, dann schüttelte sie den Kopf. Nein.
Siehst du, du musst weiterkämpfen. … Von was träumst du?

, fragte der Fremde dann nachdenklich.
Hero überlegte. Von einem ganz normalen Leben.
Für Träume braucht man eine Zukunft. Doch die hast du nicht. Nicht in der jetzigen Welt. Aber du kannst für deinen Traum kämpfen. Und irgendwann, da bin ich mir sicher, wird er in Erfüllung gehen. Doch solange dies nicht der Fall ist, musst du kämpfen. Kämpfe für deinen Traum, deine Freunde, dein Leben.

Hero wollte der Stimme widersprechen. Doch diese redete einfach weiter: Waren es nicht zu allen Zeiten die Träume gewesen, die Menschen dazu brachten, das Unmögliche zu tun? Aber du musst aufpassen!

, warnte er. Die Stadt hat einen höchst zweifelhaften Spitznamen: Gangstertown. Und es ist wahr. Wenn man um diese Stadt einen Zaun ziehen würde, hätte man ein komplettes Gefängnis.



Hero kehrte zu Zodiak zurück, sagte mit tonloser Stimme: „Auftrag ausgeführt!“ und drehte sich weg. Sie wollte nicht, dass irgendjemand ihre Tränen sah.
„Dein Vater wäre stolz auf dich, wenn er wüsste, dass du noch lebst.“
„Mein Vater ist tot.“, sagte Hero. Und wie beim letzten Mal, lächelte Zodiak nur geheimnisvoll.
Der Schock setzte erst später ein. Als Hero endlich ihr Zimmer erreicht hatte, sie allein war, überrollte sie die Welle der Erkenntnis. Das Mädchen fing unkontrolliert an zu zittern und brach nun endgültig in Tränen aus.
Selbst als das Zittern aufgehört und der Tränenstrom versiegt war, war das Kind noch nicht zurechnungsfähig, ihr leerer Blick in weite Ferne gerichtet. Immer wieder durchzuckte derselbe Gedanke sie. Was hab ich bloß getan?

Doch außer diesem konnte sie keinen klaren Gedanken fassten. Aber sie musste es. Es wurde von ihr verlangt. Denn schon eine Stunde nach ihrer Rückkehr erschien Sturm und holte sie ab. Ihre Ausbildung ging weiter.
Hero war nicht gut. Ihre Gedanken drehten sich immer wieder um den Mann, der durch ihre Hand gestorben war, den sie nicht einmal gekannte hatte, von dem sie nichts gewusst hatte. Hatte er eine Frau? Kinder?


Man hatte sie vor seinem Haus abgesetzt, gesagt da drin sei ihr Opfer. Man hatte ihn nicht einmal beim Namen genannt. Für diese Männer stellte das Opfer nur eine Sache da, die beseitigt werden musste. Eine Sache braucht keinen Namen.
Hero war ins Haus gegangen, einem geschockten Mann, der eine Pistole auf sie gerichtet hatte, gegenübergestanden. Er hatte einen Killer erwartet, aber als er dieses vierzehnjährige Mädchen mit der Waffe in der Hand erblickte, zögerte er.
Hero hatte die Pistole auf ihn gerichtet, musste sie mit beiden Händen halten, um das Zittern einigermaßen unter Kontrolle zu bringen. Der Mann hatte auf sie gezielt aber nicht abgedrückt. Er hatte nicht glauben können, dass dieses Kind seinen Tod einleiten sollte.
Endlose Sekunden standen sich die beiden gegenüber, keiner schoss.
Hero hatte ihre Freunde vor Augen, hatte die letzten Worte Zodiaks nicht vergessen. „Enttäusch mich nicht!“ Sie hatte die leise Drohung verstanden. Versagte sie, mussten ihre Freunde dafür büßen. Entweder dieser Mann oder ihre Freunde. Einer von beiden würde in der nächsten Stunde sterben. Hero wusste es. Ihre Hand hatte keine Kraft. Und doch schaffte sie es ihren Zeigefinger zu bewegen. Langsam rückte der Tod des Mannes näher. Sie musste es tun. Sie musste ihre Freunde retten.
Sie schoss.
Die Kugel flog in Zeitlupe durch den Raum. Sie traf den Mann in die Brust. Er taumelte. Seine Augen ungläubig aufgerissen. Diese Augen würde Hero nie wieder vergessen können. Dann stürzte er zu Boden und blieb reglos liegen. Blut lief aus der Wunde in seiner Brust, breitete sich rasend schnell über den Fußboden aus. Hero starrte auf den Mann. Sie konnte den Blick nicht von ihm wenden.
Hero fühlte sich leer. Es war wie in einem bösen Traum. Sie drehte sich langsam um, unfähig etwas zu fühlen.
Und jetzt stand sie auf dem Übungsplatz und trainierte noch effizienter zu töten. Und sie konnte sich nicht dagegen wehren. Sie würde ein Killer werden, werden müssen, wenn sie ihre Freunde retten wollte. Die Leere war nicht aus ihrem Körper gewichen.
Sturm hatte Nachsicht mir ihr. Es war ihr erster Mord. Er schrie sie nicht an, wenn sie wieder einmal von einem Karatehieb in den Sand befördert worden war. Er war nicht sauer, vielleicht etwas verstimmt aber nicht sauer.
Am Ende des Tages fragte er: „Wie hat es sich angefühlt?“
Hero verstand sofort was er meinte. Sie sah die Sänfte in seinem Blick. „Ich hab gar nichts gefühlt.“
„Du wirst es noch genießen lernen. Ich kann mich noch gut an mein erstes Mal erinnern. Ich war danach total fertig. Aber mit jedem weiteren Mord ging es besser, leichter.“
„Wie viele haben Sie schon …“, fragte Hero leise.
„Ich weiß nicht. Ich führe nicht Buch und irgendwann verschwimmen die Gesichter.“
Diese Nacht war die Schrecklichste ihres Lebens. Die Augen des Mannes verfolgten sie in ihre Träume, in ihre Alpträume. Sie konnte diese Augen nicht vergessen. Sie wusste nicht einmal mehr, wie der Mann ausgesehen hatte, es waren seine Augen, seine erschrocken aufgerissenen Augen, als er erkannte, was geschehen war, die Hero nicht mehr losließen.

Sieben Tage waren seitdem vergangen. Das Mädchen lag auf ihrem Bett, gab ihren Wunden Gelegenheit, sich zu schließen und wartete auf den nächsten Kampf. Sie hatte sich mit ihrer Situation teilweise abgefunden. Die Leere nach dem Mord hatte einen Großteil dazu beigetragen. Diese Leere hatte sie nicht verlassen. Das Mädchen hatte sich ihrem Schicksal ergeben, rebellierte nicht mehr.
Hero hatte sich verändert. Diese Veränderung war während ihrer Flucht vonstatten gegangen. Nun war ihre Flucht vorbei, hatte kein glückliches Ende gefunden. Sie war nun Schüler eines Verbrechers. Doch Hero hatte sich verändert, hatte sich verändern müssen. Hätte sie dies nicht getan – wäre sie schüchtern und verängstigt geblieben – wäre sie untergegangen.
Mit einer gewissen Gleichgültigkeit ertrug sie ihr Leben. Ohne diese Abstumpfung wäre es für sie unmöglich ihr Schicksal zu ertragen. Hero hatte schmerzhaft lernen müssen, wie angreifbar man durch Gefühle wurde. Durch den scheinbaren Abstand vom Geschehen verhinderte sie fast diesen Schmerz des innerlich verletzt werdens.

Hero stand allein auf dem Übungsplatz. Zodiak hatte sie herbestellt und jetzt tauchte er nicht auf. Nach dem Mord hatten sie sich nur zu Übungskämpfen getroffen. Hero verstand nicht, was er jetzt von ihr wollte.
Die Dämmerung brach bereits herein. Schatten schienen sich zu bewegen. Sie fühlte sich beobachtet. Hero fröstelte. Teils vor Kälte, teils vor Angst.
Nach einer weiteren halben Stunde machte sich das Mädchen auf den Rückweg. Doch weit kam sie nicht.
Aus einem Busch sprang ein Mann vor ihr auf den Weg. Erschrocken wich das Kind zurück. Ohne Vorwarnung zog Zodiak sein Schwert und stieß zu. Tief bohrte sich der kalte Stahl in Heros rechten Oberarm. Zodiak sprang zurück.
„Was soll das?“, fragte Hero entgeistert und presste ihre Hand auf die Wunde, versuchte die Blutung zu stoppen. Sie spürte keinen Schmerz, dafür war sie viel zu erschrocken. Ihr wurde schmerzlich bewusst, dass sie unbewaffnet war. Sie konnte sich nicht einmal wehren.
Zodiak sprang erneut vor und nahm das Mädchen in den Schwitzkasten. Hero spürte die Kälte der Klinge an ihrer Kehle. Stocksteif stand sie da, unfähig einen klaren Gedanken zu fassen. Das Verhalten Zodiaks irritierte sie zutiefst. Wieso nimmt man jemanden als Schüler, um ihn dann doch umzubringen? Das hätte man auch einfacher haben können.


Sie spürte die Klinge immer fester gegen ihre Kehle drücken. Eine rasche, saubere Bewegung. Zodiak sprang zurück. Sie spürte die warme Flüssigkeit, noch bevor sie den Schmerz wahrnahm. Hero röchelte, stürzte, blieb liegen.
Zodiak bückte sich, widmete Hero keines Blickes, säuberte sein Schwert und ging. Hero blieb liegen und wartete. Langsam verblutete sie, ein letztes qualvolles Aufstöhnen und dann war es vorbei.
Langsam ging die Sonne auf.


Fortsetzung folgt!!!



Impressum

Texte: Die Geschichte gehört mir.
Tag der Veröffentlichung: 27.01.2011

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /