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Kapitel 1:

 Noah

„Aiden!“, brüllte ich durch das ganze Haus. „Du Idiot! Ich bin schon wieder über einen deiner gottverdammten Bälle gestolpert, warum lässt du die auch überall im Haus rumliegen?“

Kaum war ich zu Hause, ging das schon wieder los. Mein kleiner Bruder war ein totaler Basketballfan und spielte ständig mit den Bällen herum und übte, da er endlich in die Schulmannschaft aufgenommen werden wollte. Mein anderer Bruder, Dante, war sein größtes Vorbild und auch wenn er statt Baseball Basketball spielte, wollte er Dante nacheifern, der ebenfalls in der Schulmannschaft gespielt hatte und einer der besten gewesen war.

Ich wütete immer noch, doch hinter mir erschien meine kleine und einzige Schwester Ava und umarmte mich beruhigend. Sofort spürte ich, wie ich merklich ruhiger wurde, keine Ahnung wie sie das machte, aber sie schaffte es immer wieder, mich und meine Brüder zu besänftigen und wir waren alle nicht gerade sanfte Schmusekätzchen.

„Komm schon, Noah, beruhig dich. Du kennst doch Aiden, er wird es nie lernen“, erklang ihre engelhafte Stimme an meinem Ohr. Da hatte sie allerdings Recht, aber das hieß trotzdem nicht, dass ich ihm das durchgehen lassen würde.

„Du hast mir noch gar nichts von deinem Auftrag erzählt, hast du den Typ gekriegt?“

Ihr Versuch mich abzulenken war offensichtlich und ich konnte mir das Grinsen einfach nicht verkneifen.

„Na, willst du das Thema wechseln?“ Sie riss ihre glänzenden, blauen Augen auf und schaute mich unschuldig mit vorgeschobener Lippe an. Verdammt! Diesen Engelsblick hatte sie wirklich verdammt gut drauf.

„Nein, wie kommst du denn auf die Idee?“ Sie drehte eine Strähne ihres goldblonden, lockigen Haares um ihren Finger. Irgendwie musste ich bei dem Gedanken grinsen, dass sie ihre Brüder auch immer so einfach um den Finger wickeln konnte. Jeder von uns fünf würde wirklich alles für sie tun.  Ihre Verehrer, sie hatte wirklich viele, denn sie war einfach wunderschön, mussten immer erst an uns vorbei und die meisten hielten der Probe nicht stand. Ich weiß noch, als Dante einen Freund von ihr mal zum Baseball spielen mitgenommen hatte und ihm „aus Versehen“ der Schläger ausgerutscht ist, als der Typ einer anderen auf den Arsch geglotzt hatte. Danach hatten wir zum Glück nie wieder was von dem Typen gehört.  Ich glaube, wir bereiteten ihr manchmal aber auch ganz schönen Ärger, wie zum Beispiel damals, als Mason, mein Zwillingsbruder, mit ihrer Lehrerin geschlafen hatte, es für ihn aber nichts Ernsteres gewesen war. Aus Rache hatte die Frau meiner Schwester schlechte Noten gegeben und Ava war so wütend gewesen, dass sie Mason mindestens einen Monat lang anschweigen wollte. Doch der hatte wirklich alles getan, um es wieder gut zu machen, da er es nicht ertragen konnte, dass sie sauer auf ihn war. Und weil unsere Schwester auch so ein Engel war, hatte sie dem Idioten natürlich direkt nach einem Tag schon wieder alles verziehen.

 „Na gut, also ja, der Auftrag ist super gelaufen. Der Vampir war wirklich ganz schmierig. Als ich ihn dann in seinem Versteck aufgespürt hatte, bettelte er wie ein kleines Kind um sein Leben und bot mir sogar mehrere seiner Mädchen "zum Vernaschen" an. Aber damit hat er es nicht gerade besser gemacht. Ich war kurz davor dem Typen einfach seinen ekligen Hals umzudrehen, doch der Auftrag lautete, dass ich ihn lebendig abliefern sollte. Ich verabscheue diese Menschenhändler, die einfach irgendwelche armen Mädchen entführen, um sie dann an erbärmliche Vampire zu verkaufen, die sie dann so lange beißen und misshandeln, bis sie elendig zugrunde gehen. Ich kann einfach nicht verstehen, wieso sie sich nicht mit den Blutkonserven zufrieden geben, oder zumindest dann die willigen Blutspender benutzen. Aber so?“

Meine Schwester umarmte mich fester, denn sie wusste, wie sehr ich diese Vampire hasste, die unsere ganze Rasse in Verruf brachten. Und als dieser Typ da vor mir auf den Knie rutschte und ich die ganzen gefangenen, wie Tiere angeketteten, Mädchen sah, die ihre Augen vor Angst und Panik aufgerissen hatten und vor sich her wimmerten, musste ich mir vorstellen, dass eine von ihnen auch Ava hätte sein können. Da fiel es mir noch schwerer, den Typen nicht richtig für seine Taten büßen zu lassen.

„Noah, der Typ wird die Strafe, die er verdient schon bekommen. Und ich bin einfach heilfroh, dass du wieder gesund hier bist. Ich hatte die ganze Zeit Angst, dass dir irgendwas passiert und der Typ dich umbringt.“

Als ich die Sorge in ihrer Stimme hörte, drehte ich sie zu mir um und schaute ihr in die Augen.

„Du musst keine Angst haben, mir wird schon nichts passieren. Ich kann dich doch nicht einfach mit unseren ganzen idiotischen Brüdern alleine lassen, das wäre ja unverantwortlich.“

Das zauberte wieder ein wunderbares Lächeln auf ihr Gesicht, das mir das Herz wärmte. Ich weiß nicht, was ich ohne meine Schwester wäre. Sie ist einer der einzigen Lichtblicke in meinem Leben. Die ganzen Aufträge und die grausamen Anblicke, die ich jeden Tag ertragen musste, setzten mir schon ganz schön zu.

„Noah! Komm mal hoch!“ Mein Zwillingsbruder Mason brüllte durch das ganze Haus. Genervt darüber, dass er den Moment zwischen mir und Ava zerstörte, stampfte ich die schier endlosen Treppen unserer Villa hoch. Da wir so viele waren, hatte das Haus fünf Etagen und Masons Zimmer war ausgerechnet in der Obersten. Unterwegs sah ich Liam, der seine Tür wieder in einem Dunkelblau anstrich. Bis vor kurzem war er in  so einer „Alles ist Scheiße“-Phase gewesen und hatte sein komplettes Zimmer schwarz gestrichen. Keine Ahnung, warum er jetzt schon wieder ein Sinneswandel hatte, aber ich vermutete, dass er endlich die Trennung von seinem Freund überstanden hatte. Ich war aus allen Wolken gefallen, als er auf einmal mit einem riesigen Schwarzen aufgetaucht war. Eigentlich hielt ich ihn nur für einen normalen Freund, doch als ich einfach in Liams Zimmer geplatzt bin, hatte ich die beiden beim Knutschen erwischt. Keine so schöne Erfahrung. Mein jüngster Bruder hatte mich angebettelt, unserem Vater nichts davon zu erzählen, denn der wäre ausgerastet, da er Schwule einfach nicht verstand. Nachdem ich aber darüber nachdachte, fand ich es eigentlich gar nicht so schlimm, wenn das nun mal seine Vorliebe war, dann war das ebenso und ich musste das akzeptieren. Außerdem verurteilte er mich auch nicht dafür, dass ich nie eine feste Freundin hatte.

Meine anderen Brüder waren auch etwas erstaunt gewesen, als ich ihnen die Neuigkeit erzählte, aber niemand verurteilte ihn. Vor allem Ava fand das ganze total süß und freundete sich sofort mit Liams Freund Banjhi an, was ich wiederum gar nicht so toll fand, denn der Typ sah irgendwie ziemlich gefährlich aus, was wir zwar auch taten, aber trotzdem…

Als ich endlich im letzten Stock angekommen war, klopfte ich an Masons Zimmertür. Bis zu der Sache mit Liam war ich einfach immer ungebeten in die Zimmer gestürmt, aber jetzt klopfte ich lieber vorher.

„Ja, komm rein.“ Irrte ich mich, oder krächzte Mason ein bisschen? Hoffentlich war der Typ jetzt nicht krank, wir wollten heute Abend mit seiner besten Freundin feiern gehen. Ich hatte sie noch nicht kennen gelernt, da ich in letzter Zeit einfach zu beschäftigt war.

Schnell stieß ich die Tür auf und leider bestätigten sich meine Befürchtungen. Mein Bruder lag im Bett und hatte sich die Decke bis zur Nase hoch gezogen, sodass nur sein schwarzer Schopf hervorlugte.

Neben ihm lag ein riesiger Haufen von benutzten Taschentüchern und eine dampfende Tasse Tee stand auf dem Nachtisch.

„Noah, ich denke ihr müsst heute Abend allein feiern gehen. Ich bin krank“, kam es gedämpft durch die Bettdecke. Mit ein paar großen Schritten stand ich am Bett und zog ihm verärgert die Decke weg. Ich schaute in mein Ebenbild, die gleichen schwarzen Haare und dunkelblauen Augen. Aber mit einem Grinsen registrierte ich mal wieder, dass ich mehr trainiert war, nicht, dass ich ihm das ständig unter die Nase reiben würde. Ich doch nicht!

„Oh Mann, reiß dich zusammen, so schlimm kann es doch nicht sein“, meinte ich, denn ich hatte keine Lust mit seiner besten Freundin alleine feiern zu gehen. Wie hieß die überhaupt nochmal?

„Idiot, natürlich ist es schlimm. Und ich habe keine Lust feiern zu gehen.“

Verärgert blitzte ich ihn an. „Na gut, dann geh ich eben auch  nicht.“

Ruckartig setzte er sich ein wenig auf.

„Und ob du gehst. Kira bringt mich sonst um, wenn sie alleine gehen muss. Ihre Lieblingsband spielt bei der Neueröffnung der Disko und das will sie sich auf keinen Fall entgehen lassen, die hängt mir schon seit Wochen damit in den Ohren.“ Ah, Kira hieß die Kleine also.

„Seit wann hast du Angst vor einer Frau, Mason? Und du willst dich doch nicht etwa davor drücken mit dieser Nummer hier, oder?“ Ach, ich konnte es einfach nicht lassen  ihn ein bisschen zu ärgern. Er regte sich immer so schön auf. Doch heute rang er sich nur ein schwaches Lächeln ab, scheinbar war er wirklich krank.

„Glaub mir, ihre Rache wäre furchtbar. Letztes Jahr hat sie mir Juckpulver in die Unterwäsche getan. Weißt du was ich durchlitten habe?“ Die Frau musste ich unbedingt kennen lernen! Wenn sie meinen Bruder so ärgerte, hatten wir auf jeden Fall schon mal was gemeinsam.

„Na gut, ich geh ja schon“, gab ich schließlich nach. Mason grinste mich schelmisch an, irgendwas ging gerade in seinem Kopf vor und ich wusste nicht, ob mir das gefiel, denn dieses Grinsen hatte noch nie etwas Gutes bedeutet. Misstrauisch legte ich meinen Kopf ein wenig schief, doch er sah mich nur unschuldig an und kramte in seinem Nachttisch nach etwas. Schließlich zog er einen Zettel und einen Stift hervor und kritzelte etwas drauf. Dann reichte er ihn mir.

„Da wohnt Kira, hol sie bitte ab und die zweite Adresse ist die des Clubs.“

Ich hasste es, wenn er diesen Befehlston anschlug.

„Ok, ok.“ Ohne noch weiter auf ihn zu achten, wollte ich aus dem Zimmer gehen, doch bevor ich die Tür hinter mir zuschlagen konnte, rief er mich noch etwas hinterher.

„Und wehe du verletzt sie auf irgendeine Art und Weise.“ In seiner Stimme klang eine unterschwellige Drohung mit und ich bemerkte, dass sie ihm scheinbar ziemlich wichtig war.

„Sag mal, stehst du auf die Kleine?“ Verblüfft sah er mich an.

„Nein, sie ist einfach nur meine beste Freundin, aber das verstehst du wahrscheinlich nicht, denn für dich sind alle Frauen außer Ava ja nur zum flachlegen da.“

Im ersten Augenblick wollte ich etwas erwidern, doch eigentlich hatte er Recht, also zuckte ich nur mit den Schultern und ging.

Zwei Stunden später hielt ich mein Motorrad an einer unauffälligen Straßenecke und stieg ab. Schnell zog ich den Schlüssel aus dem Schloss und ging zu dem weißen Haus, das einen riesigen Vorgarten hatte. Ich klingelte und keine Minute später stand eine gertenschlanke, ganz hübsche Blondine vor mir. Das musste dann wohl Kira sein.

„Hey Mason, Kira ist oben in ihrem Zimmer. Sie ist schon ganz aufgeregt und nervt mich bereits den ganzen Tag. Ich bin total froh, dass du sie jetzt endlich abholst.“ Und bevor ich noch irgendetwas antworten konnte, war das Mädchen auch schon verschwunden und ich stand mutterseelenallein im Flur. Zögernd stieg ich die Treppe hoch, an den Wänden hingen überall verschiedene Gemälde. Kaum hatte ich die Etage betreten, kam die nächste Blondine auf mich zu. Sie war total aufgetakelt und  hängte sich mir gleich um den Hals. Überrumpelt schlang ich meine Arme um sie, in der Annahme, dass das nun Kira war.

„Oh, Mason. Vergiss doch endlich Kira, wir beide können es uns doch heute Abend auf meinem Zimmer gemütlich machen, alleine.“ Also doch nicht Kira, verdammt! Wie viele Frauen lebten denn in diesem Haus? Schnell zog ich meine Hände zurück und drückte sie von mir weg.

Schmollend schob sie Unterlippe vor.

„Was ist denn Mason?“

„Äh, wo ist Kiras Zimmer?“ Verblüfft sah sie mich an, so als ob sie mich für gestört halten würde.

„Na, das müsstest du doch am besten wissen, so oft, wie du bei ihr bist.“ Beleidigt rauschte sie davon und ich hatte immer noch keine Ahnung was hier überhaupt los war.

Also betrachtete ich die Türen, in der Hoffnung, dass sie mir irgendwie Aufschluss darüber gaben, welches Zimmer das von Kira war. Namenschildchen oder so.

Auf einmal ging eine buntbemalte Tür auf und ein kleines Mädchen mit hellblonden, geflochtenen Zöpfen trat hinaus. Waren die hier eigentlich alle blond? Es ging mir noch nicht mal bis zu Hüfte und starrte mich aus großen, blauen Kulleraugen neugierig an. Also das war definitiv nicht Kira!

Sie musterte mich einige Sekunden lang intensiv und legte dann den Kopf schief.

„Du bist aber nicht Mason, auch wenn du so aussiehst, wie er. Mason bringt mir immer einen Lolli mit.“

Vorwurfsvoll starrte sie mich an. Ich werde hier noch irre! Hätte ich mich doch bloß nicht von meinem Bruder dazu überreden lassen.

Unsicher, wie ich mit dem Mädchen umgehen sollte, ging ich ein wenig in die Hocke und hielt ihr die Hand hin.

„Nein, ich bin nicht Mason, aber ich bin sein Zwillingsbruder und ich will deine Schwester Kira abholen, kannst du mir sagen, wo sie ist?“

Freudig grinsend legte sie ihre minikleine Hand in meine, die im Vergleich zu ihren wie eine Bärenpranke aussah.

„Und wie heißt du?“ Ich unterdrückte ein genervtes Seufzen. „Ich bin Noah und du?“ Ihr Strahlen wurde noch breiter.

„Lilly. So wie Prinzessin Lilli Fee. Nur mit y.“ Wer zum Teufel war Prinzessin Lilli Fee?

„Oh, ok. Toll. Und kannst du mir jetzt sagen, wo Kira ist?“ Langsam war meine Geduld am Ende.

„Aber nur, wenn du versprichst, mir das nächste Mal auch einen Lolli mitzubringen.“

Alles was sie will, wenn ich nur endlich hier rauskomme!

„Aber sicher mache ich das. Und wo ist sie nun?“, meinte ich zuckersüß.

„Du musst die nächste Treppe hoch und dann das erste Zimmer rechts. An der Tür klebt ein Bild von einem Pferd. Das habe ich für Kira gemalt.“ Erwartungsvoll sah sie mich an und ich überlegte krampfhaft, was sie wollte.

„Äh, das ist aber toll. Ich werde es mir gleich mal anschauen.“ Glücklich sah sie mich an, also nahm ich an, dass ich das Richtige gesagt hatte.

„So, ich geh dann mal zu Kira. Tschüss kleine Lilly.“ Sie winkte mir hinterher und ich richtete ich erleichtert wieder auf. Dann lief ich mit großen Schritten zur nächsten Treppe und sprintete sie schon fast hoch. Ich entdeckte das beschriebene Zimmer, doch bevor ich die Tür öffnen konnte, an der tatsächlich ein Bild von etwas hing, was ein Pferd sein könnte, wurde die gegenüberliegende Tür aufgerissen und ein schwarz gekleidetes, etwa 17 Jähriges Mädchen , das – oh, was für eine Überraschung! - blond war, trat hinaus. Als sie mich sah, stockte sie kurz, blickte mich böse an und fauchte: „Nicht du schon wieder!“ Ehe ich mich versah, war auch sie verschwunden.

Also Mason war hier scheinbar Stammgast.

Ich klopfte vorsichtig an der Tür. „Komm rein!“ Bei dem Klang der wunderschönen, engelsgleichen Stimme lief mir ein wohliger Schauer über den Rücken. Schnell öffnete ich die Tür und mir stockte der Atem. Die Frau, die dort vor dem riesigen, eisernen Spiegel stand, hatte lockiges, feuerrotes Haar, das ihr bis zu ihrem sehr wohlgeformten Arsch ging und locker ihre Hüften umspielte. Trotzdem bemerkte ich, dass sie nur einen knappen Tanga trug. Sie hatte unglaublich lange Beine und ich biss mir verzückt auf die Lippe. Ich wünschte mir, dass sie sich umdrehte, doch im nächsten Moment fiel mir wieder ein, dass sie Masons beste Freundin war und der würde mich umbringen, wenn ich mit ihr schlief. Also wäre es wohl keine gute Idee, wenn ich sie jetzt auch noch von vorne sah. Hoffentlich trug sie einen BH.  

‚Bitte dreh dich nicht um, dreh dich nicht um‘, beschwor ich sie in Gedanken, doch sie war scheinbar keine Telepathin. Sie hatte mich im Spiegel entdeckt und drehte sich erfreut um, sodass ihre Haare mit einem Ruck herum geschleudert wurden. In meiner Not klappte ich meine Augen einfach zu, doch der Anblick hatte sich schon in mein Gehirn eingebrannt. Da ihre Haare auf ihrem Rücken lagen, hatten sie den Blick auf ihre wohlgeformten Brüste in dem aufreizenden, roten BH nicht verdecken können. Krampfhaft ballte ich meine Hände zu Fäusten, da ich es nicht gewohnt war, Zurückhaltung zu üben. Was tat man nicht alles für seinen Bruder? Ich hob mein eines Augenlied wieder vorsichtig um den Blick stur auf ihr Gesicht zu richten. Ihre katzengrünen Augen funkelten  mich verwirrt an. „Alles in Ordnung, Mason?“,  meinte sie besorgt. Nein, gar nichts war in Ordnung. Ihr  halbnackter Anblick schwirrte immer noch in meinem Kopf rum und ihre Schönheit machte es auch nicht besser. Ihre Wimpern waren von einem tiefen schwarz und umrahmten ihre großen Augen und ihre kleine, gerade Nase gab ihr etwas süßes. Wie konnte Mason NUR mit ihr befreundet sein? Obwohl, selbst seinen besten Freund erwartete man  nicht nur in Unterwäsche, oder?  Vielleicht war da ja doch mehr zwischen den beiden. „Könntest du dir bitte etwas anziehen?“, räusperte ich mich mit rauer Stimme. Verdutzt sah sie mich an. „Warum das denn? Du hast mich doch oft schon so gesehen. Außerdem wollte ich dich eh fragen, ich konnte mich nicht zwischen dem schwarzen und dem roten Kleid entscheiden.“ Mir war es egal welches Kleid, Hauptsache sie hatte etwas an.

Aber um sie nicht zu verärgern, deutete ich ihr an, dass sie sie mir zeigen sollte. Da fiel mir ein, dass ich ihr auch nach sagen musste, dass ich gar nicht Mason war. „Kira?“ Irgendwie kam ich mir total dämlich vor, wie sollte man so etwas erklären? „Ja?“ Sie drehte sich wieder zu mir um und ich hielt meinem Blick weiterhin starr auf alles oberhalb ihres Halses. „Das wirkt jetzt vielleicht ein wenig komisch, aber ich bin nicht Mason.“ Verdutzt sah sie mich an, bevor sie laut loslachte. „Mason, was soll das? Was ist denn heute los mit dir? Natürlich bist du Mason, wer sollst du sonst sein. Der Präsident?“  So hatte ich mir das nicht vorgestellt. Hatte Mason ihr nichts von mir erzählt? „Ich bin sein Zwillingsbruder Noah“, meinte ich ernst und sie sah mich erschrocken an. „Was? “

„Ich bin sein Zwillingsbruder Noah“, wiederholte ich geduldig, doch sie winkte ab. „Das hab ich schon verstanden! Aber warum sagst du das erst jetzt?“ Sie verschränkte böse die Arme vor der Brust und ich musste mich stark beherrschen um nicht dort hinzuschauen. „Weil ich bis jetzt noch keine Gelegenheit dazu hatte“, grummelte ich. Sie sah mich böse an und nahm dann ein schwarzes Kleid aus dem Schrank, das sie sich überstreifte. Erleichtert entspannte ich mich ein wenig und konnte meinen Blick auch schweifen lassen. Zum Glück hatte sie keinen riesen Aufstand gemacht, ich hasste es, wenn Frauen loskreischten. „Wo ist denn Mason?“ Ich musterte sie genau und merkte, dass ihr die ganze Situation doch irgendwie unangenehm war, auch wenn sie erstaunlich gut darin war, sich nichts anmerken zu lassen. „Der ist krank und er meinte, dass du unbedingt zu dem neuen Club wolltest und er dich nicht enttäuschen wollte. Also bin ich wohl für heute deine Begleitung.“ Sie sah nicht so aus, als ob sie das sonderlich erfreuen würde, aber das wir mir egal. Für mich würde das heute auch kein Vergnügen werden, wenn ich wusste, dass ich sie nicht haben konnte, wegen Mason, aber auch keinen anderen in dem Club finden konnte, weil ich auf Kira aufpassen sollte.

„Na schön. Wenn es denn sein muss.“ Irgendwie kränkte es mich dann aber doch ein bisschen, dass sie es so schlimm fand, mit mir da hin zu gehen. Aber wer weiß, wahrscheinlich war sie doch mit Mason zusammen und würde lieber mit ihrem Freund dort hingehen, als mit dessen Bruder. Aber ich verstand nicht, warum mir Mason das verschweigen hätte sollen.

„Bist du dann jetzt fertig?“, fragte ich kalt. „Nein, noch einen Augenblick.“ Sie zog sich schnell noch hohe, schwarze Schuhe an und stolzierte dann auf mich zu. Das wirkte zwar nicht sonderlich, da sie noch immer deutlich kleiner war als ich, doch das ließ ich mir nicht anmerken.

Unterwegs begegneten wir wieder der kleinen Lilly und als sie Kira erblickte, breitet sich auf ihrem runden Gesicht ein breites Lächeln aus. „Kira“, quietschte sie. „Wo geht’s du hin?“ „Ich gehe mit dem Bruder von Noah heute Abend feiern“, meinte sie liebevoll und hockte sich vor sie. Erstaunlicherweise zuckte sie noch nicht mal mit der Wimper, als die Kleine mit ihren patschigen Händen in ihr glattes Haar fasste und ihre Frisur ruinierte. „Darf ich mit?“ Bettelnd schob sie ihre Unterlippe vor, doch Kira strich ihr bedauernd durchs Haar. „Nein, tut mir Leid, Prinzessin. Aber das geht leider nicht.“ Der Kleinen traten Tränen in die Augen und schaute flehend in meine Richtung. Oh nein! Den Blick kannte ich, meine Schwester hatte das auch ganz hervorragend drauf, aber Kira rettete mich zum Glück. „Aber weißt du was, morgen geh ich mit dir in den neuen Film von Prinzessin Lillifee und dann gehen wir noch auf den Spielplatz, ja?“ Erstaunlich, wie schnell sich ein todtrauriges Gesicht in ein strahlendes, zufriedenes Grinsen verwandeln konnte. „Oh ja!“ Sie klatschte fröhlich in ihre Patschhände und ich bewunderte Kiras Geschick für kleine Kinder. Wenn meine Schwester mich so anschaute, bewies ich gar nicht so ein Geschick, sondern gab sofort nach. „Aber warum darf ich nicht mit?“, hackte sich dann aber trotzdem noch nach. „Weil da nur alte Leute sind und du dich sicherlich langweilen würdest.“ „Nein, das würde ich sicher nicht. Du bist doch da und Mason auch.“ Überrascht sah ich sie an, doch Kira gab nicht nach und schon wieder schlich sich Traurigkeit auf ihr Gesicht. „Ich bring dir auch noch einen Lolli mit, wenn wir wieder kommen, ja ?“

Und schon war die Welt wieder in Ordnung. „Aber einen großen“, forderte sie mit einem süßen Lächeln. „Natürlich.“ Sie war wirklich genau wie meine Schwester. Kira sah mich ein wenig erstaunt an, doch dann stand sie auf. „Bis morgen, Prinzessin. Lydia bringt dich heute Abend ins Bett, ja ?“

Lilly nickte brav und verschwand dann auf ihrem Zimmer. „Wie viele Schwestern hast du eigentlich ?“

„Du hast wohl schon Bekanntschaft mit einigen gemacht?“, schloss sie grinsend aus meiner etwas verzerrten Miene. „Ja, mehr oder weniger.“ Ihr Lachen wurde noch breiter. „Fünf, aber eine wohnt nicht mehr hier“, antwortete sie mir dann. „Wow, dein armer Vater. Dann muss er ja mit sieben Frauen unter einem Dach wohnen.“ Das hätte ich vielleicht besser nicht sagen sollen, denn ihre Miene verdüsterte sich schlagartig. „Ja, deswegen hat er sich ja auch aus dem Staub gemacht.“ Da war ich wohl voll ins Fettnäpfchen getreten. „Tut mir leid.“ Sie bedachte mich einem bösen Blick, so als ob sie glauben würde, dass ich auch so jemand wie ihr Vater wäre, der sich vor der Verantwortung drückt. „Kannst du ja nichts für“, meinte sie dann aber doch noch höflichkeitshalber.

„So, wollen wir dann?“, fragte Kira und ich stimmte ihr nickend zu. Als wir vor das Haus traten, stockte sie kurz, während ich zielstrebig auf mein Motorrad zu lief. „Ist das etwa  ein Iron 883?“, frage sie erstaunt und fuhr bewundernd mit dem Finger über das raue Leder. Sie erstaunte mich immer wieder, sie war die erste Frau, die mein Motorrad gebührend bewunderte. „Ja“, meinte ich stolz. Ich schwang mein Bein über den Sitz und startete den Motor. „Komm steig auf.“ Ich reichte ihr den Helm und während sie ihre Mähne unter dem Helm verstaute, löste ich den Ständer schon einmal. Ich spürte, wie sie sich hinter mir auf den Sitz schwang und wie sich ihre Schenkel an die Unterseite von meinen schmiegten. Krampfhaft versuchte ich diese Tatsache zu ignorieren und gab lieber schnell Gas, sodass ich mich aufs Fahren konzentrieren musste, was mir aber immer schwerere fiel, da sie ihre Arme immer fester um mich schlang, desto schneller ich wurde und ich ihren Oberkörper deutlich an meinem Rücken spürte. Deswegen genoss ich auch den kalten Fahrtwind, der mir ins Gesicht peitschte, da er mich von ihr ablenkte und mein Kopf wieder klarer wurde.

Nach zehn Minuten kamen wir am Club an und ich stellte mein Motorrad am Straßenrand ab. Die Schlange vor dem grell beleuchteten Club war schon meterlang und ich verzog das Gesicht bei dem Gedanken, dort stundenlang anstehen zu müssen. Aber als ich den Türsteher erkannte, lächelte ich erleichtert. Calvin, ein Vampir aus meinem Clan, winkte mir zu und ich ging mit Kira im Schlepptau an der langen Schlange vorbei. „Hey, Noah, lange schon nicht mehr gesehen. Mason hat angerufen und mir gesagt, dass ich für euch beiden VIP Tickets besorgen soll, da ist es nicht so voll.“ Selbst wenn er krank war, dachte mein Bruder an alles. „Gut, vielen Dank, Calvin.“ Er drückte mir die beiden Bändchen in die Hand und schob mich und Kira rein. Für einen kurzen Moment blendeten mich die flackernden Lichter und der undurchsichtig Nebel, doch dann fand ich meine Orientierung wieder und zog Kira mit zur Treppe. „Wie kommt Mason an die Tickets, sind die nicht total teuer?“, fragte sie erstaunt, als wir endlich oben ankamen und die elegante Einrichtung entdeckten. Hier oben war nicht so viel los und auf den mit roten Leder bezogenen Sitzen tummelten sich nur einige Leute, die förmlich nach Geld rochen. Auch einige Vampire waren darunter, von denen ich einige kannte. Während ich ihnen kurz zunickte, lief ich mit Kira in eine ruhiger Ecke, wo noch ein Tisch frei war.

„Vermutlich kennt er den Inhaber oder irgendwen, du kennst doch Mason, er kennt jeden.“

„Stimmt“, murmelte sie und lief neben mir her. Sobald wir uns gesetzt hatten, kam auch schon ein Kellner auf uns zu gelaufen. „Kann ich ihnen etwas bringen?“ Abwartend sah ich Kira an, die sich ein Sex on the Beach bestellte, während ich mir einen puren Wodka gönnte. Die vergangen Wochen waren anstrengend gewesen und jetzt wollte ich wieder ein wenig Spaß, auch wenn ich auf Masons kleine Freundin aufpassen musste. Vampire vertrugen mehr Alkohol, also würde ich durchaus noch in der Lage sein, sie nachher nach Hause zu fahren. Kurz darauf brachte der Kellner uns die Getränke und wir nippten beide schweigend an den Getränken. „Ich geh tanzen, kommst du mit?“, fragend Kira nach einiger Zeit und ich nickte.  Wir liefen die Treppen wieder hinunter und drängten uns an den vielen Menschen vorbei um auf die überfüllte Tanzfläche zu kommen. Schon von weitem drang mir der intensive Geruch nach Schweiß und Alkohol in die Nase, doch da ich es gewohnt war, versuchte ich es so gut wie möglich zu ignorieren. Kira tauchte sofort in die wiegende, tanzende Masse ein und ich verlor sie fast aus den Augen. Nur ihre leuchtenden, roten Haare wiesen mir den Weg und ich fand sie auf der Mitte der Tanzfläche wieder. Sie tanzte bereits zu der schnellen Musik und ich musste bei ihren sinnlichen Bewegungen schlucken. Eigentlich hatte ich vorgehabt, nicht zu nah bei ihr zu tanzen, doch die Tanzfläche war so voll, dass ich förmlich gegen sie gepresst wurde. Ich stemmte mich ein wenig gegen die Leute, sodass ich Kira nicht mehr berührte und tanzte dann angestrengt weiter. Schweren Herzens ignorierte ich die anderen Frauen, die mich antanzten und behielt Kira im Auge. Doch als sich ein anderer Vampir ihr näherte, wurde ich noch wachsamer. Ich kannte ihn  nicht und ich merkte, dass er nicht harmlos war. Er wirkte ziemlich düster und irgendwas stimmte nicht mit ihm. Er rückte immer näher an Kira heran und ich wurde immer unruhiger. Als er sie antanzte, rückte ich wieder auf sie zu und drängte mich so zwischen sie. „Was soll das?“, zischte der Vampir mir zu. „Lass sie in Ruhe, sie gehört zu mir!“, fauchte ich leise, sodass Kira es nicht hören könnte. Sie merkte nicht richtig, was hinter ihr los war. „Aber ich rieche dich nicht an ihr, also gehört sie dir nicht.“ Ich verengte meine Augen zu Schlitzten. „Verpiss dich trotzdem!“ „Nein, sie gefällt mir und ich will sie. Also verpiss du dich.“ Er schupste mich leicht zur Seite und da platzte mir der Kragen. Ich hatte genug von diesen selbstgefälligen Vampiren! Außerdem war sie die Freundin von meinem Bruder und wer weiß, ob er sie nicht sogar als Blutquelle missbrauchen würde.

„Ich habe gesagt, du sollst sie in Ruhe lassen!“ Wütend schubste ich ihn von ihr fort, sodass er auf dem Boden landete und sie drehte sich erschrocken um. Verwirrt sah sie, wie ich den, in ihren Augen unschuldigen, Mann grundlos schubste und dementsprechend reagierte sie dann auch. „Was soll denn das?“, empörte sie sich.

„Er wollte dich angrabschen!“, versuchte ich mich zu rechtfertigen. „Na und? Was geht dich das an?“

Der andere Vampir hatte sich mittlerweile schon wieder aufgerappelt und schaute nun schadenfroh zu mir. „Es geht mich also nichts an, wenn die Freundin von meinem Bruder von einem anderen angefasst wird?“ Überrascht weiteten sich ihre Augen. „Du denkst, Mason ist mein Freund?“, meinte sie ruhiger. „Natürlich, warum sonst sollte er sich so um dich Sorgen und außerdem hast du ihn ja in Unterwäsche empfangen“, grummelte ich wütend. „Er ist nur mein bester Freund, aber von Freundschaft verstehst du wohl nichts, oder?“ Ihre katzengrünen Augen verzogen sich wieder zu Schlitzen und sie funkelte mich an. Als ich ihre Worte wahrnahm, merkte ich, wie ich erleichtert eine Last  von mir abfiel, doch im nächsten Moment ärgerte ich mich darüber. Das änderte nichts, gar nichts. Jetzt hatte ich mich vollkommen zum Idioten gemacht. „Tut mir leid, für mich sah es nun mal so aus“, murmelte ich, doch sie schenkte mir schon keine Beachtung mehr, sondern entschuldigte sich bei dem anderen Mann. Er setzte ein nettes Lächeln an und tat verständnisvoll, doch ich merkte, dass er mir hinter ihrem Rücken gehässige Blicke zuwarf und mein ungutes Gefühl wurde noch verstärkt. Irgendetwas stimmte nicht mit ihm. Er war zu selbstsicher. Vampire, die alleine in einem anderen Revier waren, legten sich nicht mit anderen an, da sie keine Rückendeckung von ihrem Clan hatten. Aber das konnte ich Kira ja schlecht erklären und so musste ich sie wohl oder übel ziehen lassen, als sie mit dem Vampir nach draußen verschwand. Ich folgte ihr unauffällig durch die Menge, doch dann musste ich ein paar Sekunden warten, bis sie aus der Hintertür verschwunden waren.  Zielstrebig steuerte ich auch auf sie zu und öffnete sie aber vorsichtig, da ich nicht von Kira bemerkt werden wollte. Ich würde nur eingreifen, wenn der Vampir zu weit ging und sich an ihrem Hals nähren wollte, denn man durfte sich nicht an Menschen bedienen, die von der Welt der Vampire nichts wussten. Aber wenn man es trotzdem tat, führte es meistens zu dem Tod der Menschen, da man ihre Erinnerungen auch nicht löschen konnte als Vampir, sodass einem nichts anders übrig blieb, als ihn zu beseitigen. Denn das allerhöchste Gesetz war, dass man fremde Menschen nicht einweihen durfte. Ich verachtete Vampire, die sogar über Leichen gingen, nur um ihren Blutrausch nachzugeben. Einmal hatte ich direkt von dem Hals einer lebendenden Frau getrunken, eine freiwillige Spenderin und es war atemberaubend und unglaublich erregend gewesen. Das Blut hatte nicht so abgestanden und geschmacklos geschmeckt, sondern köstlich, frisch und voller Leben. Doch ich hatte schnell gemerkt, dass es zu verführerisch war und ich schnell davon abhängig werden konnte, genauso wie die Vampire, die ich immer im Auftrag des Clans jagte. Nur in dem ich mir das Bild dieser lechzenden Kreaturen ständig vor Augen hielt, konnte ich mich wieder dazu überwinden, Blutkonserven zu nutzen.

Ich folgte Kiras Geruch durch die dunkle Gasse und stellte mich an die Ecke, sodass ich die Straße gut überblicken konnte. Der  Vampir hatte sie schon zu weit vom Club weggeführt und das gefiel mir nicht. So als ob er sie absichtlich von mir und sämtlicher Hilfe weglocken wollte. Aber scheinbar unterhielten sie sich nur angeregt, denn ich hörte Kira ab und zu lachen und der Vampir war ihr auch nicht zu nahe. Vielleicht war ich wirklich paranoid und er war doch noch so schlimm. Auf einmal kam ich mir vor wie ein Spanner und drehte mich schon grummelnd um, als ich ein erschrockenes Keuchen hörte. Aufmerksam lauschte ich und spürte wie Kiras Puls höher schlug. Ruckartig wirbelte ich wieder herum und lief zur Straße. Ich konnte nicht genau ausmachen, was passiert war, doch ich erkannte, dass der Vampir Kiras Arm um fasste und sie erbitterte festhielt. Kira zerrte an ihrem Arm und meinte, dass er sie loslassen sollte, doch er zog sie noch näher heran. Das reichte mir und ich stürmte auf die beiden zu.  Als ob er sich verbrannt hätte, ließ er Kira los und sie wäre fast hingefallen, doch ich konnte sie gerade noch auffangen. Leider verhalf dieser kurze Zeitaufschub dem Vampir zur Flucht und ich wusste, dass es jetzt nichts mehr bringen würde, ihm zu folgen. Leicht verwunderte schaute ich mich um, denn ich bezweifelte zwar nicht, dass ich ihn in die Flucht hätte schlagen können, aber es lag nicht in unsere Natur das wir sofort flohen – es sei denn man war in der Minderheit. Calvin und ein weitere Vampir standen im Schatten der Hauswand und ich hob meine Hand kurz zum Dank, als sie wieder in der Dunkelheit verschwanden. Ich war froh, dass ich mich hier immer auf den Schutz meines Clans verlassen konnte.

Rasch wandte ich mich wieder Kira zu, die sich wieder aufgerappelt hatte und ein wenig mitgenommen aussah. „Alles in Ordnung?“, fragte ich besorgt. Kira schüttelte sich kurz und klopfte ihren Körper ab, während sie ihre Fassung wiederfand. „Ja, ich denke schon. Alles noch dran.“ Sie grinste schief und ich bewunderte sie, dass sie das Ganze doch ganz gut wegzustecken schien. „Dann ist ja gut. Ich hatte schon befürchtet, dass Mason mir sonst meine Eier als Omelett gebraten, serviert hätte, denn er hat mir ausdrücklich klar gemacht, dass ich auf dich aufpassen sollte.“ Ich tat gespielt erleichtert und wischte mir theatralisch über die Stirn, sodass ihr ein kleines Lachen entwich, womit mein Ziel sie aufzuheitern erreicht war.

„Danke, dass du mich vor dem Typ gerettet hast. Ich weiß auch nicht, was auf einmal mit dem war“, grübelte sie, aber ich konnte es mir genau denken. Es fiel einem verdammt schwer, neben jemanden zu laufen, dem bei jedem Herzschlag verführerisch duftendes Blut durch die Adern gepumpt wurde und ich musste mich auch ein wenig zusammen reißen, da ich jetzt umso merkte, dass ich schon länger nichts mehr getrunken hatte. Gleich morgen früh musste ich unsere Kühltruhe plündern.

„Kein Problem“, winkte ich ab. Schweigend starrten wir uns darauf hin an und ich merkte, dass sich die Haare auf ihrem Arm aufstellten, als ein kalter Wind aufkam und ihre Haare zerzausten. Als sie so süß mit ihren großen Augen vor mir stand, wollte ich ihr deutlich machen, dass ich nicht nur der Idiot war, für den sie mich hielt. „Wollen wir nochmal von vorne anfangen?“

 

 

                                              ******

Mason:

Ava kaute nachdenklich auf ihrer Lippe, während sie konzentriert auf die Karten schaute. Ich triumphierte schon, doch dann erhellte sich ihr Gesicht und sie  eine Karte abwarf. „Ha! Ich denke, damit hab ich gewonnen!“, strahlte sie und wollte schon einen kleinen Freudentanz aufführen, als ich ihr meine Karten zeigte und sich ihre Miene schlagartig verdüsterte. „Und ich denke, da hast du dich zu früh gefreut“, meinte ich schadenfroh. „An deinem Pokerface müssen wir echt noch arbeiten.“ Ich grinste sie an, sie spielte schon lange Poker, wie sollte es auch anders sein, bei vier älteren Brüdern, doch sie knabberte noch immer auf ihrer Lippe, wenn sie glaubte, einen guten Schachzug zu kriegen.  Auf einmal schob sie ihre bebende Unterlippe vor und schaute mich aus tränenüberfüllten Augen an. „Mason.“ Oh nein! Das kannte ich – die gefährliche Tränenmasche. Einen Trick den meine Brüder und ich mittlerweile gelernt hatten zu fürchten, denn wir fielen alle immer wieder drauf rein. Aber wer konnte so einem Sonnenschein auch schon etwas abschlagen. „Guckst du morgen trotzdem mit mir und Amy den Film?“ Wenn sie gewonnen hätte, müsste ich mit ihr und ihrer besten Freundin einen Horrorfilm anschauen, denn sie brauchten einen Kuschelbären, an dem sie sich festkrallen konnten, wenn es spannend wurde. Die Kratzspuren nach solchen Abenden, hatte ich immer noch tagelang.  „Bitte, Mason. Wir können das nicht alleine gucken. Du willst doch nicht, dass ich Albträume bekomme.“  Als sie dann auch noch mit ihren Wimpern klimperte, gab ich auf. Naja, eigentlich hatte ich schon bei der bebenden Unterlippe nachgegeben. 

„Na gut, aber nur wenn ihr euch vorher die Fingernägel schneidet“, grummelte ich und Ava fiel mir dankend um den Hals, keine Spur mehr von ihren Tränen. „Danke, danke Mason. Du bist der beste, älteste Bruder den man sich vorstellen kann.“ Sie machte es immer ganz geschickt so, dass sie nie einen von uns bevorzugte. Ich war genau genommen ihr ältester Bruder, da ich ein paar Sekunden eher als Noah auf die Welt gekommen war. Noah war ihr größter Bruder, da er ein paar Millimeter größer als ich war. „Schon gut“, brummte ich. „Spielen wir denn noch eine Runde?“, fragte ich, da mir todlangweilig war. Mitleidig sah sie mich an. „Tut mir leid, ich wollte mich noch mit Amy treffen.“ Das war ja klar, sie wollte mich nur abziehen, um dann direkt wieder zu verschwinden. Sie umarmte mich noch flüchtig und schon war sie wie ein Wirbelwind aus der Tür gestürmt. Seufzend stand ich auf und beschloss mich auf die Suche nach jemanden zu machen, der noch mit mir spielen würde. Doch wenn man dann einmal einen von seinen Brüdern gebrauchen könnte, waren sie alle weg und schließlich landete ich wieder auf meinem Zimmer. Aus lauter Langeweile begann ich mein Zimmer sogar von den leeren, zerknüllten Taschentüchern zu säubern, mein Bett zu machen, nur um mich eine Minute später wieder frustriert drauf zu fallen lassen. Wäre ich doch heute Abend mitgegangen, aber nein, ich musste krank spielen, damit Noah alleine mit Kira war. Und jetzt konnte ich noch nicht mal irgendwo anders hin. Frustrierend. Was tat man nicht alles für seinen Zwillingsbruder?

 

 

Kapitel 2:

Kira

„Wollen wir nochmal von vorne anfangen?“, fragte Noah mich und ich blickte ihn überrascht an.

„Wir hatten keinen so guten Start, also dachte ich, wir könnten noch mal neu beginnen.“  Vielleicht sollten wir das wirklich tun, schließlich war er Masons Bruder und auch Mason hatte ich zuerst für einen oberflächlichen Angeber gehalten, aber ich wusste, dass er viel mehr sein konnte. Ich legte meinen Kopf ein kleines bisschen schief, prustete aber gleich darauf genervt die roten Strähne weg, die mir ins Gesicht fiel. Manchmal hatte ich den Drang einfach zu Schere zu greifen und sie abzuschneiden, da sie mich ständig nervten. Ich musterte ihn genau und legte diesen skeptischen Blick auf, von dem ich wusste, dass er die allermeisten Leute verunsicherte und sie nicht wussten, was sie von der Betrachtung halten sollen. Doch Noah blieb komplett ruhig und ich konnte die definierten Muskeln erkennen, die sich durch sein Shirt abzeichneten. Er war sogar noch kräftiger als Mason, aber mein bester Freund hatte mir erzählt, dass Noah beim Militär war, also dürfte das kein Wunder sein. Meine Augen wanderten seinen Arm entlang hoch und mir fiel auf, dass er von einem leichten, schwarzen Flaum überzogen war, der aber trotzdem nicht die zwei längeren Narben verdeckte, die sich vom Ellbogen quer bis zur Hälfte des Unterarms zogen. Ob er sich die im Krieg zugezogen hatte und noch mehr am Körper trug? Auf seinem Oberarm konnte ich ein Stück von einem schwarzen Tattoo ausmachen, doch nicht das volle Motiv erkennen.

Ich ließ mir extra viel Zeit damit, ihm ins Gesicht zu sehen, da ich ihn nervös machen wollte. Seine Haare verschluckten sämtliches Licht und waren nur wenige Millimeter lang. Langsam wanderte mein Blick von seinen schmalen, trockenen Lippen zu der Nase mit der leichten Erhebung und am Schluss blickte ich ihm direkt in die Augen. Die ganze Zeit über war er stocksteif gewesen und es gab keine Anzeichen, dass er nervös war. In seinen dunkelblauen Augen mit den seltsamen, irritierenden braunen Punkten in der Pupille lag nichts anders als Ernsthaftigkeit und ich beschloss uns eine zweite Chance zu geben. „Einverstanden.“ Seine Haltung entspannte sich ein wenig, aber er ließ sich nicht anmerken, ob ihn das freute. „Ich bin Noah Johnson, der Bruder von Mason“, stellte er sich dann höflich vor und reichte mir die Hand. Belustig zuckte mein Mundwinkel, doch ich ließ mich darauf ein und legte meine Hand in seine riesige, warme Pranke. „Freut mich, dich kennen zu lernen Noah. Ich bin Kira Gannon und die beste Freundin von Mason.“ Er hatte einen festen Händedruck, aber seine Finger waren schwielig, was mich aber nicht störte. „Freut mich ebenfalls dich kennen zu lernen, Kira.“ Ich sah das Lachen in seinen Augen, doch er blieb äußerlich ruhig, während ich es mir nur noch schwer verkneifen konnte. „Willst du wieder reingehen?“, fragte er dann, aber ich schüttelte nur den Kopf. „Nein, mir ist der Spaß vergangen.“ Bei dem Gedanken an den unheimlichen Mann von eben, stellten sich meine Härchen am ganzen Körper auf. Ich wusste auch nicht, warum ich einfach so mit ihm gegangen war. Vermutlich aus Trotz und schlechtem Gewissen, weil Noah ihn angegriffen hat, aber jetzt konnte ich Noah durchaus verstehen. Warum war mir nicht vorher aufgefallen, dass etwas nicht mit dem Typen stimmte?

„Kann ich dich dann noch zum Essen einladen?“, fragte mich Noah lächelnd und ich nickte zustimmend. „Gerne.“

Gemeinsam schlenderten wir zurück zu seinem Motorrad und ich war froh, die dunkle, kalte Gasse hinter mir zu lassen. Ich zog mir die dünne Strickjacke enger um den Körper, da der Wind ziemlich eisig war, doch es nütze trotzdem nicht viel. Ganz der Gentlemen, der er jetzt auf einmal war, reichte er mir übertrieben galant seine dicke Motoradjacke. „Für die frierende Lady.“ Ich hörte das Lachen in seiner Stimme, doch er versteckte es gekonnt, was ich von mir  nicht behaupten konnte, denn ich musste schon wieder breit grinsen. „Danke, mein Held.“ Gespielt schmachtend schaute ich zu ihm auf und jetzt konnte er sein Grinsen auch nicht mehr verstecken. „Aber immer doch, wenn ich dieses bezaubernde Lächeln als Belohnung bekomme.“ Spielerisch schlug ich ihm auf den Oberarm. „Genug geschleimt.“ Empört sah er mich an und strich sich mit schmerzverzerrter Miene über die geschundene Stelle, aber ich sah seine lachenden Augen. „Wie kannst du nur? Ich habe alles vollkommen ernst gemeint.“ „Ja sicher“, winkte ich ab. „Zum Beweis meiner Ehrenhaftigkeit lass ich dich sogar mit meinem Motorrad fahren.“ Perplex blickte ich ihn an. „Was?“ „Du kannst mein Motorrad fahren, wenn du weißt, wie das geht.“  Immer noch vollkommen überrascht, stotterte ich: „Ernsthaft jetzt?“ Ich konnte es einfach nicht glauben, denn normalerweise überließen Männer einem nie - niemals, ihre heißgeliebten Maschinen. „Ja, das ist mein voller Ernst.“ Zum Beweis kramte er nach seinem Schlüssel, schnappte nach meiner Hand und ließ ihn in meine geöffnete Handfläche fallen. Vorsichtig schloss er die Finger wieder darum, da ich immer noch regungslos da stand. Erst als ich das kalte Metall durch meine Finger gleiten ließ, konnte ich es glauben. Trotzdem fragte ich lieber noch mal nach. „Wirklich?“ Belustigt schmunzelte er. „Wirklich.“ „Oh mein Gott, danke, danke, danke! Ich wollte immer schon mal mit einer Iron fahren.“ Ich fiel ihm kurz überglücklich in die Arme, ließ ihn aber schnell wieder los, als mir sein warmer Körper bewusst wurde und drehte mich lieber schnell zu der Maschine um. „Noah reicht, ich fürchte Gott ist ein schlechter Vergleich. Da würde Teufel manchmal besser passen, frag mal meine Geschwister“, winkte er bescheiden ab und ich musste heftig lachen. „So schlimm kann es nicht sein, Mason hat mir zumindest noch nichts davon erzählt.“ Bewundernd fuhr ich mit meinen Finger über das Leder, dass ich sich so unglaublich glatt unter meinen Finger anfühlte. Gleich würde ich diese Maschine fahren und meine Fingerspitzen kribbelten schon vor Aufregung. „Buh, da bin ich ja erleichtert.“

„Können wir dann fahren?“ Er nickte bestätigend. „Du kannst es ja gar nicht mehr erwarten“, schmunzelte er, aber da es nun mal so war, stimmte ich ihm zu. „Na dann, los.“ Freudig schwang ich mein Bein über den Sitz und setzte mich richtig hin. Das Leder fühlte sich kalt auf meiner nackten Haut an, doch das störte mich nicht. Ich spürte wie Noah sich hinter mir auf das Bike fallen ließ, denn es wurde nach unten gedrückt. „Bereit?“, ich drehte meinen Kopf nach hinten, doch ich konnte ihn nicht komplett ansehen. „Bereit“, flüsterte er an meinem Ohr und schlang seine Arme um meine Hüfte. Meine Beine berührten seine, denn er saß ziemlich eng an mir. „Gut.“ Ich versuchte den Ständer mit meinem Fuß wegzudrücken, doch mit Highheels stellte sich das als ziemlich unmöglich raus. Ich versuchte mir vor Noah nichts anmerken zu lassen und drückte mit all meiner Kraft dagegen, doch es ging einfach nicht. „Soll ich dir helfen.“ Sein heißer Atem streifte mein Nacken und mir blieb nichts anders übrig, als zu nicken. Ich spürte wir sein Bein sich an meinem entlang streifte und wie er dann mit einem Ruck den Ständer rumdrückte. Zum Glück stütze der das Motorrad auch gleich, denn ich war nicht auf das schwere Gewicht vorbereitet. „Danke“, nuschelte ich und startete dann sofort den Motor. Was für ein geiles Gefühl! Die ganze Maschine vibrierte unter mir und ich spürte ihre Kraft. Und dann gab ich Gas. Sofort schossen wir los und ich jubelte laut. Es war einfach ein unglaubliches Gefühl, innerhalb einer Sekunde beschleunigte die Iron und wir schossen über die lange Straße. „Oh mein Gott, ist das geil. Wie viel PS hat das Ding?“, rief ich Noah über den Krach der Maschine zu. Das laute Brummen war wie Musik in meine Ohren. „150.“ Ich hörte den Stolz in seiner Stimme und tat ihm den Gefallen, bewundernd zu stöhnen. Ich beschleunigte nochmal und das Bike machte einen Satz nach vorne. Wir fegten wir ein Blitz über die verlassene Landstraße und ich hoffte, dass uns hier keine Polizei begegnen würde. „Wo wollen wir eigentlich hin?“, fragte ich ihn, als ich in der Ferne Straßenschilder ausmachte. „Ist chinesisch ok?“, brüllte er mir ins Ohr, doch ich hätte ihn trotzdem fast wegen dem lauten Wind nicht verstanden. „Klar.“ Meine Haare wurden von dem eisigen Wind nach hinten gepeitscht, aber ich genoss das Gefühl. „Gut, dann hier nach links. Ich kenn ein tolles Restaurant.“ Ich nickte, da es mir zu anstrengend war, ganze Zeit zu schreien.

Leider war die Fahrt viel zu schnell vorbei und ich sah schon die blinkenden Schilder des Chinesen. „Willst du noch eine Runde um den Block drehen.“ Konnte er Gedanken lesen? Zur Antwort gab ich nochmal Gas und schoss an dem Restaurant vorbei. In den Kurven lehnte ich mich weit runter, doch auch dieser Weg war zu kurz. Wohl oder übel hielt ich dann vor dem Gebäude. Noah stieg zuerst ab und dann versuchte ich mich elegant von der Maschine zu schwingen, doch da meine Beine noch zittrig waren, knickte ich ein. Noah griff mir stützend an den Ellenbogen und ich schaute ihn dankbar an. „Was ist mit deinem Gesicht passiert?“, fragte ich erschrocken. Seine Hand wanderte zu den roten Striemen und er fuhr darüber. „Deine Haare sind mir ins Gesicht gepeitscht, während der Fahrt.“ „Oh, verdammt. Das tut mir furchtbar leid!“ Aus Reflex wollte ich meine Hände zu seinem Gesicht ausstrecken, doch auf halbem Weg stoppte ich sie und knetete sie dann unbehaglich. „Tut es weh?“ „Nein, nein. Keine Sorge. Ist nicht so schlimm wie es wahrscheinlich aussieht. Das ist gleich wieder weg.“ Seine dunkle Stimme beruhigte mich ein wenig, doch ich schaute ihn immer noch besorgt an. „Ok, dann lass uns mal reingehen“, meinte er nach einigen Sekunden unbehaglichem Schweigen. „Ja.“ Dankbar für seine Vorschlag, nickte ich und wir gingen gemeinsam zu der bunt beleuchten Eingangstür, die von goldenen Löwenköpfen geschmückt war.

 

                                                ******

 

Noah:

Während wir auf das Essen warteten, schaute ich Kira fasziniert zu, wie sie wild mit den Händen um sich fuchtelte, als sie mir Geschichten von ihren Schwestern erzählte. Ich hatte meinen Kopf auf meinen Händen abgestützt, sodass ich genau auf Augenhöhe mit ihr war. Auf ihrer Stirn konnte ich eine blasse, etwa zwei Fingerkuppen breite Narbe ausmachen, die aber immer wieder von ihrem wilden Pony verdeckte wurde, wenn sie ihren Kopf bewegte. Unwillkürlich fragte ich mich, wie sie dazu gekommen war. „Noah?“ Erstaunt blickte ich ihr wieder in die Augen, denn ich hatte gar nicht gemerkt, dass sie mit mir gesprochen hatte. „Ja?“ Empörung blitze in ihren Augen auf. „Hörst du mir überhaupt zu?“ „Entschuldigung, ich war kurz abgelenkt.“ Ich merkte, wie sie abwägte, ob mir meine Entschuldigung ernst war und sie weiter reden sollte, doch dann schien sie zu dem Entschluss zu kommen, mir noch eine Chance zu geben. „Ich hab mich gefragt, wie es deiner Schwester wohl mit fünf Brüdern gehen muss?“ Breit grinste ich sie an, denn jeder bemitleidete Ava, weil sie fünf Brüder ertragen musste. „Vermutlich treiben wir sie oft in den Wahnsinn, aber sie hat uns eigentlich ganz gut unter ihrer Fuchtel. Du solltest sie mal erleben, wenn sie wütend ist. Dann gehen wir aber alle in Deckung.“ Nachdenklich lächelnd schob sie sich eine Strähne hinters Ohr und ich entdeckte, dass ihre gesamte Ohrmuschel von mehreren Ringen durchlöcherte wurde. Ich konnte nicht verstehen, wie man sich freiwillig Löcher in die Haut machen konnte. Eigentlich war ich ja echt kein Weichei, aber mir war schon schlecht geworden, als ich dabei zugesehen hatte, wie Liam sich ein Zungenpiercing hat machen lassen.

„Das kann ich mir bei der zierlichen Ava gar nicht vorstellen“, murmelte Kira und ich lachte laut. „Das kann niemand, aber ich sag dir, sie kann innerhalb von einer Sekunde von einer süßen Katze zu einer Raubkatze werden. Aber auch nur, wenn wir ihre Raffaellos klauen oder ihre Freundinnen ärgern.“

Sonst war sie echt ein Ruhepol. „Du liebst deine Schwester ziemlich, oder?“ Sie schaute mich mit einem merkwürdigen Gesichtsausdruck an. „Ja, tu ich. Merkt man das so deutlich?“

Sie grinste. „Ja, aber da bist du genauso wie Mason. Der liebt sie auch abgöttisch.“ Wer tat das nicht? Ernsthaft, ich kannte niemanden, der sie nicht mochte.

„Genug von Ava geredet. Was machst du so in deiner Freizeit?“ Verschmitzt zwinkerte sie mir zu. „Außer Mason in den Wahnsinn zu treiben, meinst du?“

Grinsend schaute ich sie an. „Ach ja, stimmt ja. Was hab ich da gehört? Du hast ihm Juckpulver in die Unterwäsche getan?“

„Ja, er hatte es mal wieder übertrieben und Rache ist ja bekanntlich zuckersüß. Ich vergess niemals seinen entsetzten Ausdruck und wie er den ganzen Tag mit verkniffenem Gesicht herum gerannt ist.“

Das war einfach zu genial! „Du hast nicht zufällig ein Foto gemacht?“, fragte ich hoffnungsvoll, doch sie schüttelte bedauernd den Kopf. „Verdammt, das hätte ich wirklich zu gerne gesehen. Auf die Idee bin ich aber auch noch nicht gekommen, sollte ich mir vielleicht mal merken, wenn er mich wieder nervt“, grinste ich schelmisch. „Hast du schon mal ausprobiert, ihm nachts das Gesicht anzumalen? Hier, ich hab sogar ein Foto, das war einfach genial und er hat nichts gemerkt, weil er einfach so einen tiefen Schlaf hat!“ Lachend fummelte sie ihr Handy aus ihrer Tasche und schon hielt sie mir ein Bild von Mason unter die Nase. Ich konnte nicht anders, als laut loszulachen. Mason lag friedlich schlummernd auf dem Rücken, aber Kira hatte ihm einen Schnurrbart mit einem schwarzen Stift gemalt, Gurken auf seine Augen gelegt, seinen Augenbrauen fett nachgezogen und seine Lippen rot angemalt. Als krönender Abschluss hatte sie ihm mit Schaum das Kinn eingerieben, sodass es aussah wie ein Bart. „Ist das Sahne oder Rasierschaum?“, japste ich, da ich vor lauter Lachen keine Luft mehr bekam. Eigentlich eine sinnlose Frage, doch ich konnte nicht mehr denken. Ich erntete schon von den Nachbartischen erstaunte Blicke, als ich mich an der Tischdecke festkrallte, weil ich sonst von meinem Sitz gerutscht wäre. „Sahne.“ Kira wischte sich die Tränen aus den Augenwinkeln, doch es kamen sofort wieder welche nach. Merkwürdigerweise bildete sich nur auf ihrer einen Backe leichte Grübchen und ich hielt kurz inne beim Lachen und betrachtete sie fasziniert, doch dann fiel mein Blick wieder auf Masons Bild und ich prustete wieder los. „Kannst du mir das schicken? Ich brauch ein Erpresserfoto.“ Schnell griff sie nach ihrem Handy. „Ne, ne. Du kannst dir schon ein eigenes machen, das ist schon mein Foto, mit dem ich ihn erpresse“, lächelte sie hämisch und ich schaute sie böse an. „Ach komm schon“, bettelte ich, doch sie zeigte kein Erbarmen. Ich wollte gerade weiter auf sie einreden, als mein Handy klingelte.

Impressum

Texte: Alles mir :D
Tag der Veröffentlichung: 26.05.2013

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
An alle meine Leser und an so.perfekt für das wunderbare Cover ;)

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