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Prolog

„Du passt gut auf sie auf, Jannis, ja?“ Mein Vater sah meinen Bruder ernst an und zog ihn dann zu sich heran, um ihn in eine feste Umarmung zu schließen. Es war das erste Mal, dass unsere Eltern ohne uns weg fuhren und ich hatte ein ganz mulmiges Gefühl. Sonst hatten sie mich immer mit nach Afrika genommen, aber diesmal hatte ich keine Ferien und musste deshalb zur Schule.                      Die sanften, braunen Augen meiner Mutter schauten mich liebevoll und traurig zugleich an. Ich widerstand dem Drang  mich an ihr festzuklammern und zu betteln, dass sie mich doch mitnahmen. Wenigstens blieb Jannis bei mir, der jetzt auf mich zu kam und mir sanft über den Rücken streichelte. Trocken schluckte ich und vergrub mich in seinen starken Armen.  „Ach, Maya" Meine Mutter umarmte uns beiden zugleich und versuchte  mich zu beruhigen. „Wir kommen ja bald wieder und wir rufen jeden Tag an."

„Eben, der Monat geht wahrscheinlich wie im Flug herum. Und wir machen uns hier eine richtig, schöne, Elternfreie Zeit", murmelte Jannis, doch ich hörte, dass seine Stimme auch ein wenig krächzend war. Sein Problem war weniger, dass wir alleine hier blieben, sondern dass er sich Sorgen um unsere Eltern machte. Das Gebiet, das sie besuchten, war ziemlich gefährlich, da dort gerade ein Bürgerkrieg tobte. Trotzdem hatte meine Eltern sich nicht davon abhalten lassen und würden in wenigen Minuten losfahren.

Meine Mutter löste sich von mir und ich ließ sie widerwillig los. Jannis hielt mich zum Glück weiterhin fest und ich war unglaublich froh, dass ich ihn hatte.

„Kommst du, Schatz?" Mein Vater stand bereits mit den zwei Koffern in der Tür und lächelte leicht. Ich merkte, dass es ihm auch schwerfiel, doch es brachte ja alles nichts. Wehmütig lief meine Mutter auf die Tür zu und Jannis und ich schlenderten zur Tür um sie noch ein letztes Mal zu sehen. Mein Vater wuchtete gerade den Koffer in das Taxi und hielt meiner Mutter die Tür auf. Bevor ihr Kopf in dem Auto verschwand, winkte sie noch ein letztes Mal, bevor mein Vater die Tür zuschlug. Dann stieg er selber ein und lächelte uns zu. Sofort drückte der Taxifahrer aufs Gas und wir winkten alle wie wild los.

Es war ja nur ein Monat, versuchte ich mich zu beruhigen. Vorher hätte ich auch ahnen sollen, dass ich meine Eltern nie wieder sehen würde?

 

Kapitel 1: Mayas Sicht




Grübelnd lief ich mit gesenktem Kopf durch den Schulkorridor und starrte auf den grauen Boden,
während ich den klebrigen Kaugummis auswich. Angewidert umging ich ein besonderes ekliges,
großes Exemplar.
Das entfernte Stimmengewirr und das laute Gebrüll eines Schülers, nahm ich nur am Rand wahr. Ich
war vollkommen in Gedanken versunken. Wer kam nur in Frage? Wem konnte ich vertrauen und
wer war gut genug? Gedanklich ging ich sämtliche Informatikfreaks meiner Schule durch. Nick?
Der verpickelte Wuschelkopf war zwar ein Genie, aber er traute sich ja nicht mal, einem Lehrer
Widerworte zu geben. Der würde niemals gegen das Gesetz verstoßen. Eric? Der…
Plötzlich prallte ich gegen etwas Hartes und stolperte einige Schritte zurück. Überrascht hob ich
meinen Kopf und starrte in dunkelblaue Augen, die mich wütend anfunkelten. Als ich erkannte
gegen wen ich da gelaufen war, durchfuhr es mich wie ein Gedankenblitz. David! Er war perfekt,
genau der Richtige für meinen Plan. Ohne darüber nachzudenken, packte ich seinen Arm, ließ
meinen Blick kurz durch den dunkelgrauen gestrichen Flur schweifen und blieb an der blauen Tür
mit der Aufschrift „Besenkammer“ hängen. Perfekt! Ungeduldig zog ich David hinter mir her und
achtete nicht auf seinen wütenden Protest. Glücklicherweise war der Raum nicht abgeschlossen und
ich öffnete ruckartig die Tür, stieß ihn in den dunklen Raum und schloss die Tür wieder. Gut, dass der Flur selten genutzt wurde und niemand das gesehen hatte.

Wir waren in vollkommene Dunkelheit gehüllt, doch ich brauchte kein Licht um zu merken, dass
David ziemlich nah bei mir stand, denn ich spürte seinen warmen Atem auf meiner Haut. Leider war
der Raum total eng und mir drückte ein Stiel in den Rücken. Hektisch tastete ich die Wand neben mir
ab und suchte nach einem Lichtschalter.

„Hätte nicht gedacht, dass du es so nötig hast. Aber du hättest mich nur fragen und nicht
gleich entführen müssen. Aber das hat schon was. So wurde ich noch nie verführt.“ Seine Stimmte
triefte nur so vor Spott und Sarkasmus. Empört schnappte ich nach Luft, wie konnte er es wagen?
Endlich fand ich den Lichtschalter, drückte ihn und ein grelles Licht erhellte den kleinen, zugestellten
Raum. Sein Gesicht schwebte direkt vor meinen und ich konnte nicht anders, als ihn anzustarren.
Mir war noch nie aufgefallen, wie gut er aussah! Klar hatte ich gemerkt, dass er attraktiv war, aber
so aus der Nähe…

Er hatte pechschwarze, kurze Haare, doch sie schimmerten ein wenig bläulich und sein Gesicht
war scharf geschnitten. Alles an ihm strahlte pure Männlichkeit aus und ich musste mich schwer
beherrschen um ihn nicht noch weiter anzustarren.

Nachdem ich mich wieder gefangen hatte und hoffte, dass er mein Starren nicht gemerkt hatte,
wollte ich ihm gerade wütend eine Erwiderung entgegenschleudern, doch ich stoppte noch rechtzeitig. Es war nicht gerade schlau, jemanden den man um einen Gefallen bitten wollte, zu
verärgern. Kurz überlegte ich, ob es das Ganze wert war, doch er war der Einzige, der mir helfen könnte. Es war ein offenes Geheimnis an dieser Schule, dass er sich vor einem Jahr in die Schulrechner gehackt hatte und das ganze System lahmgelegt hatte, doch niemand konnte ihm das nachweisen. Außerdem gehörte seinem Vater einer der größten Programmierfirmen der Welt. Kein Wunder, dass er so viel Ahnung von Computern hat.

Ich im Gegensatz gar nicht, deshalb brauchte ich seine Hilfe.

„Ich will dich garantiert nicht verführen, wer will das schon? Aber deswegen bin ich nicht hier. Ich
brauche deine Hilfe.“

Ok, ich muss zugeben, das war etwas grob rübergekommen.

Spöttisch zog er eine Augenbraue hoch.
„Wie heißt das Zauberwort?“
Will der mich verarschen? Wütend schluckte ich meine zugegebenermaßen nicht sehr nette Antwort runter und schob ein gequältes „Bitte“ hinterher.
„Schon besser. Also, wobei soll ich dir helfen?“
Sollte ich ihn wirklich fragen? Aber er war der Einzige, der mir helfen konnte und ich musste das jetzt
einfach durchziehen.
Also atmete ich noch einmal tief durch und antwortete dann.
„Ich will mich während eines laufenden Fußballspieles in die Computer des Senders einhacken, um
etwas anderes, was ich selbst gedreht habe, einzublenden.“
Jetzt war es draußen. Vorsichtig blickte ich zu ihm und bemerkte, dass er mich fassungslos und sprachlos ansah. Doch dann fasste er sich wieder und lachte lauthals los.
„Der war gut! Das meinst du doch nicht ernst?“ Prüfend sah er mich an, doch ich blieb vollkommen
ernst.
„Du meinst das wirklich ernst! Warum?“ Verwirrt blickte er mich an.
„Ich will die Fußball besessene Welt nur auf etwas aufmerksam machen.“
Genervt stöhnte er.

„Und was? Muss man dir denn alles aus der Nase ziehen?“
Ich wich seinem Blick aus, mehr wollte ich ihm eigentlich nicht sagen.

„Ist das nicht egal?“

„Egal? Meinst du nicht, dass ich ein Recht drauf habe, zu erfahren, warum ich was Illegales machen
soll?“, meinte er spöttisch.

„Das heißt du machst es?“ Hoffnung stieg in mir auf.

„Nein, das heißt es nicht. Erst will ich mehr Informationen.“

Seufzend gab ich nach.

„Na schön; hast du mal darüber nachgedacht dass, während die Fußballvereine Millionen aus
dem Fenster werfen, während in Afrika die Einheimischen und insbesondere die Kinder und Frauen tagtäglich verhungern, misshandelt oder verkauft werden?
Die bezahlen für einen Fußballer neun Millionen, davon könnten dort tausende von Menschen Jahre
überleben. Sorgenfrei! Und wie viele kaufen irgendwelche unnützen Fanartikel und geben ein heiden
Geld dafür aus, nur weil da das Zeichen ihres Lieblingsvereins draufgedruckt ist, aber haben noch nie
im Leben mal ein Euro gespendet?“ Ich redete mich in Rage, wie ich es immer tat, wenn ich auf das
Thema zu sprechen kam.

„Jemand muss ihnen das mal klar machen!“ Vermutlich hörte ich mich total fanatisch an, aber das
Thema machte mich richtig wütend und traurig.

Ich hatte vermutete, dass er mich auslachen würde, doch er blieb ernst und schaute mich fast…
bewundernd an. Bewundernd? Schnell guckte ich genauer hin, doch was auch immer da eben in
seinem Blick lag war verschwunden.

„Ich werde dir helfen.“ Hatte ich richtig gehört?

„Ja? Danke, das ist super! Kannst du vielleicht morgen vorbei kommen, dann…“ Erleichtert bedankte
ich mich bei ihm, doch er unterbrach mich.

„Du weißt meinen Preis noch nicht.“ Was, er wollte was dafür haben? Verdammt, das war gar nicht
gut.

„Was willst du? Geld…“

Er unterbrach mich schon wieder.

„Wer hat denn was von Geld gesagt? Das hab ich selber genug. Nein, ich will etwas ganz anderes.“

Spöttisch sah er mich an und leckte sich mit der Zunge über die Unterlippe. Ich brauchte ein paar
Augenblicke um zu verstehen was er meinte, doch dann blieb mir empört die Luft weg. Er war so ein
verdammtes, gieriges, schmieriges, ekliges, perverses, notgeiles-

„Bevor du mich weiter in Gedanken verfluchst, es ist nicht genau das, was du denkst.“

Woher wusste er das?

„Man sieht dir an, dass du mir gerade am liebsten die Augen auskratzten würdest. Aber keine
Sorge, ich will nur einen Kuss. Auf den Mund.“

Ich wollte ihm immer noch die Augen auskratzen.

„Also wenn du nicht willst, dann kann ich ja jetzt gehen…“

Verdammt! Ich brauchte ihn! Ohne ihn würde das nicht klappen.

Und einen Kuss, das würde ich ja wohl überleben.

Also gab ich zähneknirschend nach.

„Warte. Von mir aus, kriegst du deinen dummen Kuss. Aber nichts weiter, sonst beiß ich dir die
Zunge ab!“, fauchte ich.

Er grinste überlegen und meinte: „Wer weiß, vielleicht bist du ja nachher diejenige, die weiter gehen
will.“

Meine Hand zuckte zu seinem Gesicht, doch er fing sie kurz vorher ab, drückte mich mit seinem
Körper an die Wand, so dass ich bewegungsunfähig war, meinte, dass er eine kleine Vorauszahlung
wollen würde und streifte für eine Millisekunde meine Lippen. Das alles ging so schnell,
dass ich absolut keine Chance hatte, irgendwie zu reagieren. Und während ich noch erstarrt war,
verschwand er aus dem engen Raum und ließ mich vollkommen verwirrt zurück.


Den ganzen Tag grübelte ich darüber nach, ob es wirklich so eine gute Idee gewesen war, ausgerechnet David um Hilfe zu bitten.

Am besten hoffte ich einfach, dass er das Ganze vergaß und ich suchte mir jemand Anderen.
Also versteckte ich mich den Rest der Schulzeit mehr oder weniger vor ihm und war noch erleichterter als sonst, als es endlich zum Schulschluss klingelte. Ich hechtete aus meiner Klasse und rannte fast zum Ausgang. Doch als ich auf den Schulhof kam, verflüchtigten sich all meine Hoffnungen, dass ich ungesehen von David abhauen konnte. Er stand, die Hände tief in der dunkelblauen Jeans vergraben, mitten auf dem Hof. Verdammt! Ich sah mich hektisch nach Fluchtmöglichkeiten um, doch der einzige Weg führte direkt an ihm vorbei. Doch scheinbar war mir das Glück dann doch mal gnädig, denn auf einmal kamen Sarah und ihre Clique angestöckelt und umzingelten ihn. Ich hörte wie er sie wütend anblaffte, doch zu spät. Ich war bereits an ihnen vorbei gehuscht und in letzter Sekunde in den Bus gesprungen. Als sich die Türen bereits schlossen, sah ich wie er wütend auf den Bus zukam, doch da fuhren wir auch schon los. Im Bus war es wie immer total voll, sodass ich natürlich keinen Sitzplatz bekam und eine ganze Viertelstunde lang in jeder Kurve hin und her geworfen wurde.

Erleichtert stieg ich an meiner Haltestelle aus und zog mir die blaue Stoffkapuze meines Pullovers
über den Kopf, da natürlich genau in dem Moment in dem ich aus dem Bus gestiegen bin, plötzlich
heftiger Regen einsetzte. Ich steckte mir die Ohrstöpsel meines roten iPods in die Ohren und
blendete alle Geräusche um mich herum aus. Begleitet von Rihannas Lied Umbrella stapfte ich
also die endlos lange Straße entlang und versuchte möglichst allen Pfützen auszuweichen, da ich
Angst hatte, mir schon wieder eine neue Hose zu ruinieren. Ich hatte leider ein Talent dafür, öfters
hinzufallen und alles schmutzig zu machen. Also richtete ich den Blick auf den Boden, hörte deshalb
das rasende Auto zu spät und konnte nicht früh genug zurückweichen. Genau neben mir fuhr der
pechschwarze, glänzende Ferrari durch eine tiefe Pfütze und – wie sollte es anderes sein – spritzte
das dreckige Wasser in einem hohen Bogen Richtung Gehsteig und durchnässte mich von oben bis unten.

„Verdammt nochmal!“, fluchte ich. Das konnte doch wohl nicht wahr sein! Konnte das dumme
Arschloch da drinnen nicht mit seinem fetten Auto ein wenig aufmerksamer fahren? War sich wahrscheinlich zu schade dafür. Ich schüttelte mich, doch es brachte nichts. Gänsehaut breitete sich auf meinen Körper aus, als das kalte Wasser sekundenschnell meine Klamotten durchweichte. Fröstelnd legte ich einen Schritt zu, denn ich wollte einfach nur noch nach Hause und mich in Jogginghose ins warme Bett kuscheln und versuchen, diesen verdammten Tag zu vergessen. Da ich den Fahrer in Gedanken noch weiter verfluchte, bemerkte ich nicht, dass das Auto ein paar Meter weiter gehalten hatte und die Tür aufging, sodass ich auch noch fast gegen sie gerannt wäre. Doch ich konnte gerade noch rechtzeitig stoppen, trotzdem platzte mir der Kragen und ich brüllte den unbekannten Fahrer, den ich noch nicht sehen konnte, an.

„Sie Arsch, erst machen sie mich komplett nass mit ihrer dummen Karre und jetzt renn ich auch
noch fast gegen Ihre verfluchte Tür. Können sie denn keine Rücksicht nehmen?“

Aus dem Wageninneren ertönte ein wohlklingendes Lachen, das mir einen wohligen Schauer über
den Rücken jagte, obwohl ich ihn noch mehr dafür hasste, dass er mich jetzt auch noch auslachte.

„Was gibt’s da zu lachen? Ich find das gar nicht lustig!“

Als eine, mir wohlbekannte Stimme, ertönte, wuchs meine Wut ins Unermessliche.

David!

„Aber, aber. Ich wollte dir doch nur anbieten mitzufahren. Doch du warst eben so schnell weg, man
könnte fast meinen, du hättest dich absichtlich vor mir versteckt.“

Empört wollte ich ihm ins Gesicht schleudern, dass ich mich sehr wohl vor ihm versteckt hätte, da
ich seinen Anblick nicht ertragen könnte, obwohl das natürlich gelogen war, aber er kam mir wieder
zuvor.

„Aber das würde ja bedeuten, dass du Angst hättest, aber das hast du doch nicht, oder Maya?“

Herausfordernd sah er mich an und mir blieben die Wörter auf halben Weg im Hals stecken. Idiot!
Warum wusste er, wie er mich so reizen konnte?

Trotzdem blickte ich ihm halbwegs selbstbewusst in die Augen.

„Ne, wie kommst du denn darauf? Deal ist Deal und ich habe nicht vor ihn platzten zu lassen.“
„Dann ist ja gut. Ich freu mich schon auf meine Belohnung. Und ich dachte wir könnten das Ganze heute schon abziehen, denn falls du es nicht weißt, aber das Spiel ist heute. Ich hab meine Sachen sogar schon dabei.“
Spöttisch grinste er und warf einen vielsagenden Blick auf meine Lippen.
Wütend kniff ich sie zusammen. Verdammt, hatte ich doch tatsächlich das Datum verwechselt, aber jetzt konnte ich auch nicht kneifen, auch wenn mir das alles auf einmal viel zu schnell ging.
„Dafür musst du es erstmal hinkriegen und davon bin ich nicht überzeugt.“
Gespielt empört sah er mich an und tat so, als ob ich ihn in seiner Ehre gekränkt hätte.
„Autsch, das tat jetzt aber weh. Aber nein, du musst dir keine Sorgen machen, dass du deinen Kuss nicht bekommst, ich werde das schaffen. Und jetzt steig ein und versuch, nicht alles nass zu machen. Ich will jetzt endlich beginnen.“

Ahrrg, er war so ein notgeiles Arschloch! Kurz wägte ich ab, ihn einfach zu ignorieren, doch ich hatte
überhaupt keine Lust so noch weiter zu laufen und außerdem würde das dann so aussehen, als ob ich
kneifen würde.

Mit einem frustrierten Seufzer stieg ich ein. Ich hatte kaum die Tür hinter mir zu geknallt, da drückte
er schon aufs Gaspedal und beschleunigte innerhalb von wenigen Sekunden auf 100 km/h. Angeber!
Der Motor heulte auf und mit den Reifen, die auf dem nassen Boden quietschten, rasten wir die Straßen entlang. Als wir in meine Straße einbogen, fiel mir plötzlich entsetzt etwas ein.

„Woher weißt du, wo ich wohne?“

Herablassend sah er mich an.

„Du fragst mich, ob ich mich für dich in einen Fernsehercomputer einhacken kann, aber hältst mich
noch nicht mal für fähig, mich in den Schulcomputer einzuhacken?“

Ok, touché, einen Punkt für ihn. Ich beschloss, ihn ab jetzt einfach zu ignorieren, um nicht noch weitere Niederlagen zu kassieren.

Mit einer Vollbremsung hielt er vor meinem Haus und eher ich mich versah, war er schon
ausgestiegen und lief zielstrebig zu seinem Kofferraum und holte einen Karton, der sehr schwer
aussah, heraus. Weitaus weniger elegant und schnell stieg auch ich aus und stapfte zu meiner
Haustür. Ich kramte in meiner Tasche nach meinem Schlüssel und fand ihn nach einer Ewigkeit. David
stand schon hinter mir und nervte mich, indem er die ganze Zeit mit seinem Fuß auf den Boden tippte.

Ich warf ihm einen bösen Blick zu und schloss schließlich die Haustür auf. Hoffentlich war mein
Bruder nicht da, denn er hasste es, wenn ich Jungs mit nach Hause brachte und meistens vergraulte
er sie schnell wieder. In diesem Fall fände ich das ja noch nicht mal so schlecht, aber irgendwie
bezweifelte ich, dass David sich von ihm einschüchtern lassen würde.

Eben der betrat soeben hinter mir den engen Flur.

„Wo ist dein Zimmer?“

Ich deutete auf die Treppe und er wollte schon gleich losgehen, doch ich hielt ihn zurück.

„Schuhe aus.“ Verwirrt zog er eine Augenbraue hoch und kam meiner Aufforderung nicht nach.

„Bist du schwerhörig? Du sollst die Schuhe ausziehen, ich muss hier immer alles putzen und du
würdest nur alles dreckig machen.“

„Du musst putzen? Macht das nicht die Putzfrau?“ Ich prustete los.

„In welchem Universum lebst du denn? Vielleicht haben reiche Schnösel“, dabei warf ich ihm
einen bedeutungsvollen Blick zu, “ ja eine Putzfrau, doch die normalen Leute können sich so etwas
komischerweise nicht leisten.“

Er erwiderte merkwürdigerweise nichts, zog sich nur wortlos die Schuhe aus und stellte sie ordentlich nebeneinander auf die Schuhmatte, was mich maßlos verwunderte.

Ich bedeutete ihm, mir zu folgen und lief die Treppe hoch.

„Da ist mein Zimmer, geh schon mal rein. Ich zieh mich mal eben um.“ Mit einer Hand deutete ich auf
die rotgestrichene Zimmertür und schlüpfte ins Bad.

Erleichtert kletterte ich aus meinen Sachen und warf sie einfach in die Ecke. Am liebsten hätte ich
jetzt ein warmes Schaumbad genommen, aber nein, leider saß da ja so ein Arschloch in meinem
Zimmer und ich wollte ihn auf keinen Fall länger als nötig unbeaufsichtigt lassen. Wer weiß, was er
sonst noch anstellte. Bei dem Gedanken, dass er an meine Unterwäschenschublade ging, lief es mir
kalt den Rücken runter. Ich beeilte mich noch mehr, doch ich musste entsetzt feststellen, dass ich
vergessen hatte, mir neue Sachen zu holen. Das durfte doch nicht wahr sein! Das war ja wie in so einer billigen Liebeschnulze! ‚Mädchen zieht sich im Bad um, vergisst ihre Sachen, geht nur in Handtuch raus, Typ fallen die Augen fast aus dem Kopf und er verliebt sich prompt‘.

Na toll, und was sollte ich jetzt machen, damit das nicht genau so ablief? Blieb mir wohl nichts
anderes übrig. Seufzend wickelte ich mir das größte Handtuch, dass ich hatte, was mir aber trotzdem
nur bis kurz über den Knien ging, um den Körper und versuchte leise in mein Zimmer zu schleichen.

Vielleicht war er ja irgendwie abgelenkt und ich konnte schnell wieder verschwinden ohne, dass er
mich bemerkte.

Doch als ich meine Zimmertür öffnete, warf ich alle meine Vorsätze über Bord. Er tat es tatsächlich,
er schnüffelte in meiner Unterwäsche rum!

„Lass das sofort!“ Wütend brüllte ich ihn an und wedelte mit dem Armen, wobei ich vergaß, dass ich
das Handtuch besser festhalten sollte. Und natürlich rutschte es auch ein wenig runter und genau
in dem Augenblick drehte er sich um und hielt gleichzeitig einen roten Tanga in der Hand. Ein fettes
Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus und er ließ seinen Blick ungeniert über meinen Körper
gleiten, wobei er besonders lange auf meinem Ausschnitt weilte. Arsch! Genau SO sollte das ganze hier eigentlich NICHT ablaufen!

„Hallo! Hier oben ist mein Gesicht!“ Sein Grinsen wurde noch ein wenig breiter.

„Das weiß ich, aber da hab ich einen schöneren Ausblick. Und irgendwie hab ich fast das Gefühl, du
willst mich verführen.“, meinte er spöttisch, hielt den Tanga ein wenig höher und zeigte mit der
anderen Hand auf meinen Körper.

Empört blieb mir die Luft weg.

Dieses verdammte Arsch!

„Zum zweiten Mal, wer will dich schon verführen? Eher würde ich einen Affen küssen!“

Wütend riss ich ihm den Tanga aus der Hand, schnappte mir schnell eine Jogginghose und ein
einfaches Shirt aus dem Schrank, während ich mit der anderen mein Handtuch festhielt.

Er antwortete nichts, sondern blickte mich weiter anzüglich an. Also flüchtete ich mehr oder weniger
aus meinem Zimmer und schloss erleichtert die Badezimmertür hinter mir.

Während ich rasch in meine Sachen schlüpfte, musste ich ständig an David denken. Wenn er doch nur nicht so gut aussehen würde, aber leider tat er das und er war sich dessen auch vollkommen
bewusst. Ich wurde aus ihm einfach nicht schlau, in der Schule galt er eher als verschlossen und
geheimnisvoll und soweit ich mich erinnern konnte, hatte er auch noch nie eine Freundin an der
Schule und es gab auch keine Gerüchte, dass er mit Sarah oder so geschlafen hätte, auch wenn diese
das gerne hätte. Doch trotzdem wirkte er auf mich wie ein Typ, der jede Woche eine Neue hatte.
Aber vielleicht machte er das ja auch nur um mich noch mehr zu reizen.

Ich schüttelte den Kopf um diese ganzen Gedanken zu verscheuchen und ging diesmal vollständig
angezogen zu meinem Zimmer. Todesmutig öffnete ich die Tür und hoffte, dass er sich diesmal
benommen hatte. Und tatsächlich saß er brav auf meinem Bett und schaute sich nur in meinem
Zimmer um. Besonders das kleine Bild mit dem roten Bilderrahmen auf meinem Nachtisch schien es
ihm angetan zu haben, denn er studierte es genau. Ich wiederstand dem Drang es ihm vor der Nase
wegzuziehen, denn es ging ihn eigentlich nichts an. Auf dem Foto standen meine Eltern lächelnd und
winkend vor einer afrikanischen Hütte und im Hintergrund tummelten sich ein paar süße schwarze
Kinder. Ein dicker Kloß bildete sich in meinem Hals und ich versuchte ihn runterzuschlucken. Das war
das letzte Bild, das ich von ihnen hatte.

„Maya? Alles ok?“ David riss mich aus meinen Gedanken und ich schreckte hoch. Einen kurzen
Moment huschte ein besorgter Ausdruck über sein Gesicht, doch dann war er wieder ganz der Alte.

„Äh, ja. So, wollen wir dann loslegen? Denn ein Fußballspiel ist schließlich schon heute Abend. Meinst
du, du kriegst es bis dahin hin?“

Spöttisch zog er eine Augenbraue hoch.

„Aber sicher bekomme ich das hin. Gib mir drei Stunden. In vier fängt das Spiel an, oder?“ Er hörte
sich jetzt ziemlich professionell an.

„Äh, ja.“

Er nickte nur und begann, seinen Karton zu leeren. Ich hatte keine Ahnung was das alles
war, für mich war das nur ein riesiges Gewirr aus Kabeln und Computern und Sachen die ich noch
nicht mal kannte. Doch er schien den Überblick darüber zu haben, denn innerhalb von zehn Minuten
hatte er das Ganze aufgebaut und machte sie gleich an die Arbeit. Sein Gesicht hatte sich in eine
konzentrierte Maske verwandelt und ich traute mich noch nicht mal ihn anzusprechen, aus Angst ihn
zu stören.

Also setzte ich mich auf meine Sofa und betrachtete ihn einfach nur. Immer wieder fuhr er sich durch
seine kurzen schwarzen Haare oder knetete nachdenklich seine Unterlippe. So sah er einfach nur
zum Anbeißen aus. Um ihn nicht weiter anzustarren, nahm ich mir schnell ein Buch von meinem
Nachtisch und hielt es mir vors Gesicht. So saßen wir eine Stunde einfach nur da, aber ich konnte
mich kaum auf mein Buch konzentrieren. Auf einmal fluchte er laut und haute mit der Faust auf den
Tisch.

„Verdammt!“

Vorsichtig spähte ich ihn über den Rand meines Buches hinaus an.

„Gibt es Probleme?“

„Die haben ein stärkeres Sicherheitssystem als ich gedacht hätte. Aber das krieg ich schon hin. Keine
Sorge. Aber könntest du mir vielleicht was zu trinken holen?“ Er rieb sich die Augen, soll als ob er
seine Müdigkeit vertreiben wollte und ich sprang hektisch auf, wobei ich fast über meine eigenen
Füße gestolpert wäre.

Das hatte er zum Glück nicht mitbekommen, da er schon wieder wie paralysiert auf den
Bildschirm starrte und auf den Tasten herum kloppte.

Ich rannte fast zum Ende des Flures und huschte in die Küche. Aus dem Schrank holte ich ein Glas
und schütte fahrig Wasser aus einer Flasche hinein. Fast wäre es übergelaufen, doch es schwappte
nur ein bisschen bis zum Rand. Doch als ich wieder losging, merkte ich, dass ich es zu voll gemacht
hatte und so musste ich übervorsichtig den Flur entlang laufen und immer darauf achten, dass nichts
überlief.

Mit der einen Hand stieß ich die Tür auf, doch ich blieb natürlich an dem Rand meines flauschigen,
roten Teppichs hängen, konnte mich gerade noch fangen, aber schüttelte mir dabei das Wasser über
das T-Shirt. Innerhalb weniger Sekunden war es durchnässt und man sah zu deutlich, dass ich keinen
BH angezogen hatte. Verdammt! Sowas passierte auch immer nur mir! David ließ es sich natürlich
nicht nehmen, seinen Blick auf meine Brüste zu richten. Und wieder breitete sich ein arrogantes
Lächeln auf seinem Gesicht aus.

„Oh verdammt! Ich hol die neues Wasser.“, quietschte ich und flüchtete rückwärts aus meinem
Zimmer, bevor er wieder irgendein Kommentar ablassen konnte. Er verunsicherte mich immer
mehr und ich hätte vermutlich nur dumm geguckt, statt was Schlagfertiges von mir zu geben.
Normalerweise fiel mir das immer leicht, aber bei ihm? Er hatte irgendwas an sich….

Fluchend tapste ich in das Zimmer meines Bruders und holte mir eines seiner Shirts aus dem Schrank
und zog es mir über, denn ich wäre jetzt sicherlich nicht nochmal so in mein Zimmer gegangen!

Dann schlich ich wieder in die Küche und füllte sein Glas erneut, nur diesmal weniger voll.

Diesmal gelang es mir auch, das Glas heil bei ihm anzukommen lassen. Ohne mich anzusehen, setzte
er das Glas an die Lippen und trank in gierigen Schlücken.

Leise ließ ich mich wieder auf mein Sofa fallen und erneut verbrachten wir eine Stunde mit
Schweigen, das nur von dem Klappern der Tasten durchbrochen wurde.

Langsam wurde ich nervös, denn es war nur noch eine halbe Stunde bis zum Spiel.

Endlich jubelte er triumphierend auf.

„Ich habs! Bin drin. Jetzt musst du mir nur noch den Film zeigen, denn du einblenden willst.“

Hektisch stand ich auf und wühlte in meiner Sockenschublade nach dem USB-Stick, der ganz unten
versteckt lag.

Mein Hand zitterte ein wenig, als ich ihm den Stick reichte und er ihn reinsteckte.

Er klickte den Film an und machte dann irgendwas, dass ich nicht nachvollziehen konnte.

Vergeblich versuchte ich, aus dem schlau zu werden, was er da machte. Doch scheinbar lief alles glatt, denn er seufzte hin und wieder zufrieden.

Als ich auf die Uhr schaute, erschrak ich. Nur noch fünf Minuten.

Er klickte noch ein letztes Mal mit der Maus und drehte sich dann zu mir um.

„Es ist alles bereit, nur noch ein Klick und dein Film läuft über Millionen von Bildschirmen.“

Ich seufzte erleichterte.

„Aber bevor ich den entscheidenen Klick mache, will ich wissen warum du das Ganze machst.“
Sofort verhärtete sich meine Miene.

„Das geht dich nichts an.“

„Dann klick ich nicht.“ Unnachgiebig sah er mich an.

„Das war nicht Teil des Deals!“, meinte ich wütend.

„Tja, aber ich will es trotzdem wissen, oder willst du so kurz vorm Ziel aufgeben?“

Ich hasste ihn!

„Na schön. Meine Eltern waren beide Helfer bei einer der größten Hungersnöte in Afrika und sind, als
sie gerade einem kleinen Mädchen helfen wollten, ums Leben gekommen. Ein paar Einwohner waren
nicht damit einverstanden, dass fremde Leute in ihrem Revier den Leuten halfen. Also erschossen
sie sie hinterrücks. Da war ich zwölf. Mein Bruder war gerade achtzehn geworden und konnte so
die Vormundschaft für mich übernehmen. Seitdem hab ich mich viel mit der Situation in Afrika
beschäftigt. Meine Eltern sind dafür gestorben und hier spenden Manche noch nicht einmal, sondern
geben ihr Geld lieber für Fußball aus! So, reicht dir das?“

Ich blickte ihm starr in die Augen, ich versuchte alle meine Gefühle tief in meinem Inneren zu
vergraben. Auf seinem Gesicht spiegelte sich Begreifen, Bestürzung und Verständnis ab.

Wehe er kam jetzt mit der Mitleidstur, ich hasste es, wenn Leute, nachdem ich es ihnen erzählt
hatte, keine Ahnung mehr hatten, wie sie mich jetzt behandeln sollten, mitleidig schauten und sich
unbehaglich fühlten. Das konnte ich jetzt gerade nicht ertragen.

Doch er sagte einfach nur: „Ah, darum also das Ganze.“ Und drehte sich wieder um.

Und dafür war ich ihm unglaublich dankbar, normalerweise versuchten die Leute mich dann auch
vorsichtig auszufragen und behandelten mich wie eine Porzellanpuppe. Doch er ließ mich einfach in
Ruhe.

Die letzten Minuten verbrachten wir schweigend und warteten ungeduldig, dass das Spiel begann.

Noch 10 Sekunden… noch 5…noch 3..2..1.. Endlich begann es.

David sah mich noch einmal fragend an. „Sicher?“

Ich konnte nur nicken, wir machten uns gerade strafbar, doch ich wollte die Leute einfach drauf
aufmerksam machen.

Und dann klickte er einfach und innerhalb einer Sekunde veränderte sich das Bild.

Auf einmal wurden Bilder von verhungernden, schwarzen Kindern eingeblendet, die um Geld
bettelten und eine verzerrte Stimme erzählte davon, dass in Afrika Millionen Leute verhungerten und
ihnen mit dem Geld, dass die Leute für Fanartikel verschwendeten, geholfen werden könnte.

Gebannt starrte ich den Bildschirm an, über denn immer grausamere Bilder flackerten. Ich hoffte,
dass diese zwei Minuten die Menschen überzeugen konnten oder wenigstens zum Nachdenken
anregen würden.

Als der Bildschirm kurz schwarz wurde und dann wieder das Fußballspiel eingeblendet wurde, blieb
ich noch sekundenlang stocksteif stehen. Es hatte tatsächlich geklappt! Ich drehte mich zu David
um, doch er stand schon direkt hinter mir und ich landete genau in seinen Armen.

Und als ich ihm in seine wunderbaren blauen Augen schaute, handelte ich einfach.

Ich überbrückte den letzten Abstand zwischen unseren Lippen und legte meine auf seine. Sofort
öffnete er den Mund und unsere Zungen fochten ein wildes Spiel aus. Seine Lippen waren unfassbar
weich und er schmeckte einfach fantastisch. Ich konnte gar nicht genug von dem Gefühl bekommen.
Seine eine Hand krallte sich in mein Haar, als er meinen Kuss heftig erwiderte und seine Andere legte
sich um meine Hüfte und zog mich näher an sich, sodass kein Blatt mehr zwischen uns gepasst hätte.
Wir stolperten ein wenig rückwärts und landeten auf meinem Bett, ich auf ihm. Mit einem Stöhnen
zog er mich zu sich runter. Als ich kurz nach Luft schnappte, meinte er keuchend.

„Müsstest du mir jetzt nicht eigentlich die Zunge abbeißen, ich denke das hier ist schon viel mehr, als
wir abgemacht hatten.“ Erst da fielen mir wieder unser Deal und meine Drohung ein.
„Ach, halt doch die Klappe! Oder willst du es unbedingt?“
Statt einer Antwort legte er wieder seine Lippen auf meine.
Wir wurden immer wilder und so lagen wir immer noch da, als plötzlich Polizeisirenen direkt vor
unserem Haus ertönten und es keine Minute später klingelte.

Kapitel 2: Mayas Sicht




Ruckartig fuhren wir auseinander und ich fiel fast aus dem Bett. Verdammt! Was wenn die uns
erwischt hatten?

Schnell rappelte ich mich auf und schaute panisch zu David. Doch der sah ziemlich gelassen aus,
verdammt, warum war der gelassen? Ich wollte ihn gerade anfauchen, als er meinte: „Keine Sorge, wir kriegen das schon hin. Ich hab keine Ahnung wie die das Signal zurückverfolgen konnten, aber ich muss wohl irgendwo einen Fehler gemacht haben.“ Toll, das brachte ich jetzt auch nicht weiter, dass er seinen Fehler eingestand und überhaupt, ‘keine Sorge‘ schien wohl sein am häufigsten gebrauchter Ausdruck zu sein.

„Ja und jetzt?“, fauchte ich.

„Pass auf, du gehst jetzt runter und lenkst die ab. Völlig egal wie, aber ich brauch noch ca 5 Minuten.“ Rasch lief er zu seinem Computer, doch ich blieb erst noch wie versteinert
stehen. Ich wollte nicht in den Knast!

Als er bemerkte, dass ich immer noch dastand, blickte er mich fordernd an.

„Nun mach schon!“

Hektisch trampelte ich die Treppen zu Tür runter.

„Einen Moment noch, ich muss mich noch eben anziehen“, brüllte ich, sodass die Leute vor der
Tür es hören konnten. Ich blieb eine Minuten lang leise im Flur stehen und drückte dann die Klinke
hinunter. Noch vier Minuten, wie sollte ich die vier Minuten lang aufhalten? Mir rutschte das Herz
nochmal in die Hose, als ich sah, dass es tatsächlich die Polizei war. Erschrocken blickte ich sie an,
wahrscheinlich sah ich so aus, wie eine verschreckte Antilope die gerade in das aufgerissene Maul
eines Löwen schaute.

„Ja?“, piepste ich. Zwei Polizisten in Uniform standen vor der Tür und der eine, braunhaarige, trat ein
wenig vor. Er versuchte einen väterlichen, vertrauensvollen Ausdruck auf sein Gesicht zu legen.

„Hey Kleine, können wir mal reinkommen?“ War ich blöd oder so?

„Nein, zeigen sie mir bitte erst ihre Ausweise.“ Langsam wurde ich mutiger und meine Stimme klang
selbstbewusster, auch Polizisten konnten sich nicht alles erlauben.

Jetzt gab der Typ sich keine Mühe mehr freundlich zu gucken, sondern zog brummig seinen Ausweis
hervor. Mit spitzen Fingern nahm ich ihn und studierte das Ding genau. Vermutlich war das Ding
echt, aber ich sollte ja Zeit schinden. Also schaute ich immer wieder von dem Ausweis zu dem Mann
und dann wieder auf den Ausweis. Langsam wurde der Typ ungeduldig. Unauffällig schielte ich auf
seine Uhr. Noch drei Minuten.

„Ich weiß nicht, auf dem Foto sehen sie irgendwie anders aus…attraktiver und durchtrainierter.“ Der
Polizist fiel aus allen Wolken und schaute mich vollkommen verblüfft an, das war ihm wahrscheinlich
noch nie untergekommen. Der andere Polizist stieß ein Lachen aus, das er schlecht versuchte, als
Husten zu tarnen. Der Oberpolizist schaute ihn bitterböse an und fixierte mich mit dem gleichen Blick.

„Das liegt vielleicht daran, dass ich auf dem Foto noch ein bisschen jünger war.“

Ich wurde immer mutiger, denn ich merkte, dass es ziemlich einfach war, Zeit zu schinden.

„Da müssen sie aber schon viel jünger gewesen sein.“ Der Polizist verengte seine Augen zornig zu
Schlitzen.

„Jetzt hör mal zu, du kleine Göre. Lass uns jetzt endlich rein.“ Er versuchte einzutreten, doch ich
drückte die Tür ein wenig zu.

„Ich kann mir nicht vorstellen, dass Polizisten so sprechen. Sind sie nicht der Freund und Helfer oder
so. Und sie bedrohen und beleidigen mich hier gerade. Und brauchen sie nicht außerdem so einen
Durchsuchungsbefehl da?“ Gut, dass ich immer im Fernseher die Kriminalserien schaute.

Der Mann fuhr sich mit dem Finger über die Schläfe und ballte die andere Hand zur Faust, so als
ob er mich am liebsten geschlagen hätte. Mit den Zähen knirschend zog er einen Zettel aus seiner
Jackentasche und hielt ihn mir hin. Der Durchsuchungsbefehl war mehrere Seiten lang und ich ließ
mir extra lange Zeit um es zu lesen. Bei jedem Fremdwort tat ich erst mal auf dumm und fragte den
Polizisten, was das denn bedeutete.

Es war ziemlich lustig mit anzusehen, wie die Ader an seinem Hals anfing zu pochen und er immer
röter wurde.

Als ich zu dem Teil kam, in dem Stand, aus welchem Grund mein Haus durchsucht werden sollte,
spielte ich die Überraschte.

„Von hier aus soll sich in ein laufendes Fernsehprogramm eingeheckt worden sein? Wer sollte das
denn tun. Mein Bruder hat von so was keine Ahnung und ich erst recht nicht. Das ist doch lächerlich!“

Jetzt grinste mich der Typ überheblich an.

„Trotzdem kam das Signal von ihrem Server.“

„Und was ist, wenn sich jemand in unseren Server gehackt hat und das Ganze dann gemacht hat, nur
um es so aussehen zu lassen, als ob ich das gewesen wäre?“

„Um das zu untersuchen, sind wir ja hier. Also würden sie uns jetzt endlich herein lassen?“ Als ich
wieder auf seine Uhr blickte, merkte ich, dass schon sieben Minuten vergangen waren. Als ich einen
Schritt zurücktrat und sie hereinkamen, sank mein Mut wieder ein bisschen und ich hoffte, dass
David das irgendwie geregelt hatte. Die Polizisten spähten erst mal grob in jeden Raum und meinten,
dass sie als erstes alle Computer konfiszieren würden. Je näher sie meinem Zimmer kamen, umso
nervöser wurde ich. Doch als sie meine Zimmertür öffnete und ich in das Zimmer spähte, klappte mir
der Mund auf. David lag fast nackt auf meinem Bett, er trug nur noch eine Boxershorts und hatte sich
die Decke ein bisschen um seinen Körper gewickelt. Wow, er sah einfach unglaublich gut aus, das
Sixpack… mir lief fast das Wasser im Mund zusammen.

Gespielt verwirrt sah er mich und die Polizisten an.

„Äh Schatz, warum bringst du denn Stripper mit. Gefällt dir unser Sexleben etwas nicht mehr, ist es
dir zu langweilig?!“ Er wedelte verärgert mit den Händen herum und die Polizisten sahen so aus, als
ob sie langsam denken würden: Wo sind wir denn hier bloß gelandet?

Krampfhaft suchte ich nach einer guten Antwort, doch sein Oberkörper lenkte mich fast zu sehr ab.
Fast wäre nur ein „Äh“ aus meinem Mund gekommen, doch ich besann mich noch rechtzeitig.

„Nein Liebling, ich liebe unser Sexleben, warum sollte ich das auch nicht tun, du bist einfach großartig
im Bett. Und dein….. Äh, naja auf jeden Fall sind das keine Stripper sondern echte Polizisten.
Verblüfft stand er auf und lief auf mich zu.

„Aber warum das denn? Waren wir schon wieder zu laut beim Sex, so wie neulich als die Nachbarn
dachten, hier wäre jemand umgebracht worden, weil du so laut geschrien hast, da du es so
genossen hast, dass ich dich gefesselt hatte?“ Ich musste mich arg beherrschen um ihn nicht zu
schlagen. „Davon träumst du wohl nachts“, zischte ich ihm zu. Er grinste mich spöttisch an und
legte demonstrativ seine Hand auf meinen Arsch, sodass die Polizisten, die unbehaglich unserem
Gespräch lauschten, es auch ja sahen.

Der jüngere Polizist, der mittlerweile schon knallrot im Gesicht war, stotterte: „Nein, äh. Wir haben
den Verdacht, dass von ihrem Server ein Hackerangriff in der letzten Stunde ausgegangen ist.“

Jetzt tat David so, als würde er wütend werden. „Nicht schon wieder, nur weil mein Vater einer der
berühmtesten Programmierer ist und ich auch viel Ahnung davon habe, wird mir ständig angehängt,
dass mich in irgendwelche Computer eingehackt habe!“ Der Idiot, warum sagte er das denn?
Doch im nächsten Moment fiel mir ein, dass sie es ja sowieso rausgefunden hätten.

„Und außerdem können sie mir glauben, dass ich in den letzten Stunden besseres zu tun hatte, als in
irgendwelche Computersysteme einzudringen, ich bin in ganz andere Sachen eingedrungen.“

Ich verstand das zweideutige Wortspiel sofort und kniff ihm wütend in die Seite, aber so, dass die
Polizisten es nicht merkten. Doch die brauchten erstmal ein paar Sekunden um die Doppeldeutigkeit
da herauszuhören, doch dann wurden die Ohren des Jüngeren noch röter. Der Andere versuchte
sich nichts anmerken zu lassen und meinte betont ruhig: „Trotzdem müssen wir ihren Computer
konfiszieren und von unseren Spezialisten untersuchen lassen.“

Erst jetzt merkte ich, dass die Sachen immer noch hier standen und ich wurde panisch. Doch David
strich mir beruhigend über den Arsch, was ich allerdings nicht sonderlich beruhigend fand.

„Und wir müssen sie bitten mit aufs Revier zu kommen.“

Verdammt! Und was jetzt?

„Natürlich werden wir mitkommen, damit die Sache schnellstmöglich aus der Welt geschaffen wird“,
meinte David ruhig. Die Polizisten atmeten erleichtert auf, sie hatten vermutlich Angst gehabt, dass
wir nicht freiwillig mitkommen würden. David wollte schon zur Tür marschieren, doch ein Polizist
hielt ihn mit einem Räuspern zurück. „Äh, wollen sie sich nicht erst etwas anziehen?“

„Ach natürlich, hätte ich ja glatt vergessen.“ Rasch schlüpfte er in seine Jeans und zog sich dann sein
T-Shirt über, was ich ein ganz kleines bisschen, aber wirklich nur ein ganz kleines, bedauerte.

Während der eine Polizist die Computer einpackte, dirigierte der Andere uns zum Auto. Der Asphalt
war vom Regen noch immer ziemlich glitschig und ich wäre fast hingeflogen, doch David konnte mich zum Glück in letzter Sekunde noch auffangen.

Beim Streifenwagen angekommen öffnete einer der Polizisten die Tür und schubste mich unfreundlich auf die Sitzbänke, sodass ich auf Davids Schoss landete. Schnell
wollte ich wieder von ihm herunter klettern, doch er hielt mich eisern an den Hüften fest. Arsch! Und
natürlich konnte ich jetzt hier keinen Aufstand machen, weil wir ja ein Pärchen spielten. Vielleicht
genoss ich seine Berührungen sogar ein bisschen, aber trotzdem war mir das Ganze irgendwie
unangenehm, also war ich ziemlich erleichtert, als der Polizist uns einen bösen Killerblick schenkte
und fauchte, dass das hier kein Bordell sei. Wiederwillig gab David mich also frei und ich rutschte
schnell auf meinen Platz. Irgendwann kam dann auch der andere Mann und wir fuhren los. Der
Polizist hatte einen ziemlich heftigen Fahrstil und in jeder Kurve wurde ich gegen David geschleudert,
dem das aber gar nichts auszumachen schien. Ich verkniff mir meinen Kommentar darüber, dass normale Menschen jetzt schon längst angehalten worden wären, wenn sie so fahren würden.

Nach zehn Minuten kamen wir endlich vor dem Polizeirevier an. Es war ziemlich klein und sah
irgendwie mitgenommen aus. An die Wände waren mit Graffiti Beleidigungen geschmiert und ein
Fenster war eingeschlagen. Wir mussten hinter dem Polizisten herlaufen und uns auf schmutzige
Stühle setzten, während die Männer irgendetwas klärten. Währenddessen sah ich mich in dem
kleinen Büro rum. Auf den Bürostühlen saßen korpulente Polizisten, die gelangweilt und deprimiert
auf den Tasten herumhauten und sehnsüchtig auf die Uhr schauten. Je langweiliger mir wurde, desto
mehr Sachen fielen mir auf. Ein Polizist hatte eine dampfende Kaffeetasse auf seinem Tisch stehen,
auf der eine nackte Frau abgebildet war, doch ein paar Zentimeter weiter stand ein unbenutzter
Becher, auf der das Bild einer Frau und zwei Kinder zu sehen war, vermutlich seine Familie. Was für
ein Penner, ich mochte ihn auf Anhieb nicht, obwohl ich noch nicht mal mit ihm gesprochen hatte.

Ein weitere Polizist wischte sich gerade seine Hände an einem Taschentuch an, da sie mit Tinte
bekleckst waren, doch mit einer Hand strich er sich vorher noch durchs Gesicht, sodass er jetzt
Flecken dort hatte.

Endlich kamen die beiden Männer mit ernsten und schadenfrohen Gesichtern wieder.

„Nun ja, wir haben sie gerade überprüft und entdeckt, dass sie sowohl das Motiv als auch die
Möglichkeit zu der Tat hatten und sie müssen deshalb erst mal in eine Zelle, bis wir entscheiden,
wie es mit ihnen weiter geht.“ So ein Idiot, der fand das Ganze auch noch witzig. Ich wollte nicht mit
irgendwelchen Schwerverbrechern in eine Zelle. Und da gab‘s vermutlich nur eine Toilette, ohne
Sichtbegrenzung!

„Da wir leider momentan Platzmangel haben, werden sie Billy und Gerhardt Gesellschaft leisten
müssen.“ Als ich die Namen hörte, war ich irgendwie ein wenig erleichtert, die hörten sich nicht nach
Mördern oder so an.

„Billy hatte gestern Nachmittag versucht eine Frau zu vergewaltigen und Gerhardt hat mit einem
Amoklauf gedroht und einer Frau mehrere Stichwunden zugeführt.“ Mir rutschte das Herz in die
Hose und ich fing an zu zittern, ich wollte hier raus!

David fing meine Hand auf und hielt sie fest mit seiner umschlossen.

„Keine Sorge, ich werde dich schon vor den Typen beschützen“, flüsterte er mir beruhigend ins Ohr
und mein Zittern ließ tatsächlich ein wenig nach.

„Oh, gibt’s auch Handschellen? Ich steh auf Fesselspielchen“, meinte er laut zu den Polizisten.

„Nein, gibt es nicht, zumindest nicht für sie“, blaffte der eine Polizist ihn an.

„Und jetzt kommen sie mit.“ Er führte uns durch einen langen Flur und dann standen wir vor einer
Stahltür. Er kramte in seiner Tasche nach dem Schlüssel und öffnete dann das stabile Schloss. Mit
dem Fuß drückte er die Tür auf und wir standen im Zellentrakt. Insgesamt gab es zehn Zellen, auf
jeder Seite fünf und aus jedem blickten uns böse Gesichter an. Der Polizist schubste mich den Gang
entlang und als die Gefangenen mich endeckten, ging das Gejohle los.

„Hey, hier ist noch Platz. Da könnt ihr die Schlampe noch unterbringen, wir werden uns gut um sie
kümmern, nicht wahr Jungs.“ Zustimmendes Gemurmel ertönte aus der Zelle und ich drückte mich
ängstlich näher an David, der die Männer böse anknurrte. Von überall hörte ich perverse Anmachen
und ich war schon kurz davor die Polizisten anzubetteln, dass sie mich nicht hier einsperrten. Nur
Davids Hand in meiner hielt mich davon ab. Als wir bei der letzten Zelle angekommen waren,
entdeckte ich schon Billy und Gerhardt und sie sahen einfach nur zum Gruseln aus. Beide hatten
lange, verfilzte Bärte, überall Narben, Tattoos und Piercings und jede Menge Muskeln, der Oberarm
von dem einem war dicker als meine beiden Oberschenkel zusammen. Hilfe! Ich geh nicht da rein,
eher bring ich mich um!

Doch ich hatte keine Chance mich zu wehren, der eine Polizist schloss einfach die Tür auf,
schubste uns da rein und machte sofort wieder zu. Der Raum war viel zu klein, mehr als
diese vier Personen würde nicht mal reinpassen und es gab nur zwei Pritschen auf denen Billy und
Gerhardt saßen. Und in der hinteren Ecke stand eine heruntergekommene Toilette, so wie ich es
befürchtet hatte. Jeder konnte mir da zugucken, wenn ich mal musste.

Ich klammerte mich ängstlich an David und krallte mich an sein Shirt. Hoffentlich überlebten wir das
hier.

Er schnaufte belustigt darüber, dass ich mich wie ein Äffchen an ihn klammerte.

„Das ist nicht witzig!“, fauchte ich ihn an. Er musste sich ja keine Sorge machen, von einem
kriminellen, ekligen Mann vergewaltigt zu werden!

Er versuchte sein Lachen zu verstecken, legte seinen Arm um mich und zog mich noch näher an sich.

„Danke, dass du mich beschützt“, flüsterte ich gequetscht an seiner Brust, auch wenn ich mich
ungern bei ihm bedankte und mich wie ein hilfsbedürftiges Mädchen anhörte. Aber diese Typen
waren echt so was von gruselig!

„Bin gespannt, ob du das auch noch sagst, wenn du hörst, was ich dafür als Gegenleistung will“,
nuschelte er mir ins Ohr.

„Was?!“ Wütend riss ich mich von ihm los und machte ein paar Schritte nach hinten.

„Du Arschloch! Was willst du diesmal?“ Empört brüllte ich ihn an und merkte zu spät, dass wir gerade
Theater für die ganzen Kriminellen hier spielten. Vor allem Billy und Gerhardt schien unser Streit sehr
zu gefallen, zumindest die Tatsache, dass sie jetzt besser an mich ran kamen. Billy war von seiner
Pritsche aufgestanden und schlurfte auf mich zu, begleitet von den gierigen und erwartungsvollen
Blicken der anderen Männer, die wahrscheinlich darauf hofften, dass sie dabei zu sehen konnten,
wie der sich mit mir vergnügte, wenn sie es schon selbst nicht konnten. Fast fing ich an zu würgen,
als ich mir die Horrorszenarien vorstellte. Anderseits sträubte sich auch alles in mir dagegen, mich
wieder zu David zu retten, doch als Billy seine riesige, beharrte Hand, an der übrigens ein Finger
fehlte, ausstreckte und mein Haar anfassen wollte, keuchte ich auf und sprang wieder zu David, der
sich sofort schützend vor mich stellte.

Doch davon ließ sich Billy nicht beeindrucken, denn er kam weiter auf uns zu.

„Also, was willst du?“, gab ich flüsternd nach.

Ich konnte es zwar nicht sehen, aber ich war mir sicher, dass sich auf seinem Gesicht ein dickes,
selbstgefälliges Grinsen ausbreitete.

„Ich will nur einen weiteren Kuss, aber ich denke, dass wird dir ja wohl nicht allzu viel ausmachen.
Nehm ich zumindest mal an, nach unserem letztem Kuss“, spottete er.

Er war so ein verdammter Arsch! Dachte er, nur weil ich ihn einmal ein kleines bisschen länger und
heftiger geküsst hatte, als eigentlich geplant, dass ich ihm jetzt um den Hals fallen würde?

Mein Hand zuckte schon wieder, am liebsten würde ihn ohrfeigen, aber ich schaffte es, mich
zurückzuhalten. Irgendwie hatte ich ein kleines Aggressionsproblem, seit ich ihn richtig kannte.

Gerade wollte ich ihn anfauchen, dass er sich den Kuss sonst wo hin stecken könnte, als ich aus dem
Augenwinkel sah, wie Gerhardt auch noch aufstand. Automatisch wich ich noch mehr zurück und
hatte aber sofort die Gitterstäbe im Rücken. Als ich den gierigen Blick auf seinem Gesicht sah, gab ich
nach. Ich machte einen Schritt auf David zu, reckte mich zu ihm hoch und drückte kurz meine Lippen
auf seine unglaublich weichen….Stopp! Bevor ich nicht mehr aufhören konnte, zog ich mich ruckartig
zurück, auch wenn ich sofort das Gefühl vermisste.

„Da hattest du deinen Kuss, jetzt bist du dran“, forderte ich ihn heiser auf und verfluchte mich
gleichzeitig dafür, dass meine Stimme zitterte und ihm zeigte, dass mich der Kuss ganz und gar nicht
kalt gelassen hatte. Und an seinem selbstgefälligen Grinsen erkannte ich, dass er das auch genau
wusste. Aus den anderen Zellen ertönte ein Johlen und ich sah wie die anderen Männer David
anerkennend musterten.

„Na, hast du die Schnecke rumgekriegt? Lust zu teilen?“, meinte Billy mit einem schmierigen Lächeln.

Davids triumphierender Gesichtsausdruck verschwand schlagartig und er zog mich besitzergreifend
an sich. Erst wehrte ich mich, doch als er mir zu zischte, dass ich mitspielen sollte, wenn ich hier
wieder heil aus der Sache rauskommen wollte, erschlaffte mein Wiederstand.

Seine Hand landete auf meinem Arsch und die andere ballte er bedrohlich zu einer Faust.

„Wenn du sie anfasst, kastrier ich dich! Verstanden?“, blaffte er wutentbrannt und seine Augen
verzogen sich zu Schlitzen. Ich musste sagen, er spielte sehr überzeugend, sodass sogar ich fast
dachte, dass eifersüchtig oder so wäre. Doch leider schien Billy davon nicht allzu beeindruckt zu sein,
denn er schlurfte unbeirrt weiter auf uns zu.

„Als ob du in der Lage wärst, mich davon abzuhalten, mich mit der Schlampe zu vergnügen“, höhnte
er abfällig und spannte bedrohlich die Muskeln in seinem tätowierten Arm an. Ach du Scheiße! Ich
warf einen Blick auf Davids Arm, der zwar auch sehr muskulös war, aber in Gegensatz zu Billy nicht
sonderlich furchteinflößend war. Doch David ließ sich davon nicht beeindrucken.

„Glaub mir, ich bin dazu in der Lage“, meinte er bedrohlich leise, doch ich zweifelte trotzdem
angesichts Billy überwältigenden Körpermasse.

Da ich so sehr in meinen panischen Gedanken vertieft war, bekam ich zu spät mit, dass Billy einen
großen Schritt gemacht hatte, jetzt direkt vor uns stand und seine Hand zu Schlag ausholte. Mir
entfuhr entsetzt ein kleiner Schrei, als seine Faust direkt auf Davids Gesicht zu raste, doch dieser
schaffte es erstaunlicherweise noch schnell genug auszuweichen und holte auch zum Schlag aus.
Schneller als ich gucken konnte, landete seine Faust in Billys Gesicht und mit einem ekelerregenden
Knacken brach dessen Nase. Blut spritzte umher und Billy hielt sich mit einem Brüllen die Nase.

„Du Bastard! Du hast mir die Nase gebrochen!“, näselte er schmerzerfüllt und schlug mit der anderen
Hand planlos auf David an, der aber jedem Schlag geschickt auswich und Billy immer wieder traf.

Verblüfft sah ich zu, wie David, der im Gegensatz zu Billy wie ein Zwerg aussah, diesen mühelos in
Schach hielt. Meine Anspannung lockerte sich ein wenig, auch wenn ich immer noch zusammen
zuckte, wenn Billy seine Fäuste schwang und David erst in letzter Sekunde auswich. Doch als
Gerhardt auch aufstand, sank mir das Herz wieder in die Hose.

Gerade als er in den Kampf eingreifen wollte, erklang das Quietschen der großen Stahltür und ehe
ich mit der Wimper zucken konnte, saßen alle Insassen wieder auf ihren Pritschen und versuchten
teilnahmslos zu gucken. Billy wischte sich das Blut mit dem Ärmel ab und versuchte seine Nase ein
wenig zu verstecken. Nur David und ich standen verwirrt mitten in der Zelle, sein Körper war immer
noch in Kampfstellung. Doch als er den groß gewachsenen Mann, mit den schwarzen Haaren und
dem perfekt sitzenden grauen Anzug entdeckte, der gerade durch die Tür hereinstolziert kam, stieß
er einen erleichterten Seufzer aus und entspannte sich.

„Dad!“

Dad? Das war sein Vater? Der Inhaber einer der größten Softwareentwickler? Rasch musterte
ich ihn genauer, sein Gesicht war verschlossen und seine Lippen geschürzte, sodass er einen
missbilligenden Eindruck machte. Auf dem ersten Blick hatte er keine Ähnlichkeit mit David, doch als
er den verletzten Billy und Davids aufgeplatzte Faust sah, blitze es in seinen Augen kurz schelmisch
und stolz auf, doch der Ausdruck war so schnell wieder verschwunden, dass ich dachte, ihn mir nur
eingebildet zu haben. Trotzdem sah er in dem Moment schon eher aus wie David.

„Was hast du schon wieder angerichtet, Sohn?“ Seine Stimme war gefährlich leise und mir lief ein
kalter Schauer über den Rücken.

„Ich war mitten in einem Meeting, als mein Handy losging und mir mitgeteilt wurde, dass du
verhaftet worden bist. Wir haben einen Ruf, meine Firma hat einen Ruf und da kann ich es nicht
gebrauchen, dass mein Sohn diesen zunichtemacht! Kannst du dich nicht zurückhalten? Hab ich dich
so erzogen? Du solltest glücklich über alles was du hast, wovon andere in deinem Alter nur träumen
können! Aber nein! Du verschleuderst dein Talent und bringst dich ständig in Schwierigkeiten, aus
denen ich dich wieder rausholen muss! Du bist mir einfach nur ein Klotz am Bein!“

Erschrocken und mitleidig sah ich zu David, der nach der ersten Verwirrung wie ein geschlagener
Hund aussah und bei den Worten seines Vaters zusammenzuckte. Scheinbar schien es ihm richtig
zuzusetzen. Doch irgendwas an seinem leidigen und reumütigem Gesichtsausdruck stimmte nicht,
seine Augen blitzen irgendwie vergnügt oder bildete ich mir das nur ein?

„Und wie oft habe ich dir schon gesagt, dass du nicht auf irgendwelche dummen, hirnlosen Barbies
reinfallen sollst, die eh nur dein Geld wollen? Und diese bringt dich auch noch in den Knast! Hast du
denn vollkommen den Verstand verloren? Was hat sie dir angeboten, ihren Körper?“

Dieses verdammte Arschloch! Jetzt reichte es aber!

„Wie können sie es wagen, so über mich zu reden? Sein Geld interessiert mich überhaupt nicht und
ich bin auch keine Hure! Also halten sie verdammt noch mal ihren Mund und urteilen nicht über
mich, bevor sich mich überhaupt kennen!“

Davids Vater, der mittlerweile vor das Gitter getreten war, grinste mich kurz an, doch das Lächeln
war so schnell wieder verschwunden, dass ich glaubte, es mir nur eingebildet zu haben. Irgendwas
stimmte mit dem Typ nicht, ich wusste nicht was, aber irgendwie schien er gar nicht so fies zu sein,
wie er tat. Aber warum sollte er nur so tun?

David trat näher an mich heran und legte mir beschwichtigend eine Hand auf die Schulter.

„Beruhig dich, Maya“, flüsterte er mir ins Ohr, sodass sein warmer Atem mein Nacken streifte. Ich
versuchte, mich nicht von dem wohligem Schauer ablenken zu lassen.

„Beruhigen? Der beleidigt mich, nennt mich eine Hure und ich soll mich beruhigen?“, wütete ich und
schüttelte seine Hand ab.

Bevor David oder sein Vater zu einer Antwort ansetzen konnte, meldete sich der schmierige Polizist.

„Mr. Johnson, wollen Sie die beiden jetzt mitnehmen oder sollen sie die Nacht noch hier
verbringen?“, meinte er mit einem hoffungsvollen Grinsen, denn er wollte uns wahrscheinlich am
liebsten hier verrecken lassen.

„Ich werde sie mitnehmen, schließlich habe ich die Kaution schon bezahlt. Aber für die beiden wird
das noch Konsequenzen geben, dafür werde ich schon sorgen. Und jetzt holen Sie sie da raus!“

Gerade wollte ich diesem Monster an den Kopf werfen, dass ich lieber hier drin verrotten würde, als
mit seinem Geld hier rauszukommen. Doch David, der scheinbar ahnte, was ich vorhatte, schüttelte
warnend den Kopf.

„Vertrau mir“, formte er mit den Lippen und irgendwas in seinem Blick veranlasste mich dazu, dass
tatsächlich zu tun.





Kapitel 3: Mayas Sicht




Eine halbe Stunde später, konnte ich endlich wieder in die Freiheit. Total erleichtert trat ich auf die
Straße und holte erstmal tief Luft.

Nach mir traten auch David, der genauso erleichtert wie ich aussah, und sein Vater auf die Straße
und ich wollte diesen gerade nochmal anfauchen, denn ich hatte es ihm immer noch nicht verziehen,
dass er mich für so billig hielt.

Doch auf einmal brach er in schallendes Gelächter aus und hielt sich den Bauch. Verdutzt klappte
mein Mund auf. Was zum Teufel?

Verwirrt schaute ich zu David, doch dieser wischte sich auch die Lachtränen aus den Augenwinkeln.

Stopp! Hatte ich irgendwas verpasst? Davids Vater richtete sich ein wenig auf und schlug David
kräftig auf die Schulter.

„Dad, das war einfach zu genial. Du hast die Bullen voll überzeugt. Du hättest Schauspieler werden
sollen und nicht Informatiker…“

Mr. Johnson lächelte seinen Sohn stolz an.

„Ne, lass mal. Aber vielleicht wäre das ja was für dich, schließlich hast du auch nicht schlecht gespielt.
Aber dann würden wir ja dein Talent verschwenden, das mit dem Film während des Fußballspiels
war einfach zu genial, aber warum hast du dich erwischen lassen? Anfängerfehler, ich schätze mal,
du was abgelenkt, oder?“, meinte er mit einem vieldeutigen Blick auf mich. Obwohl ich immer noch
verdattert da stand, färbten sich meine Wangen ein wenig rot.

„Ich bin übrigens Davids Vater, aber das haben sie ja wahrscheinlich schon mitbekommen und
mit wem habe ich die Ehre?“ Galant hob er meine Hand an seinen Mund und hauchte sanft einen
Kuss darauf. Also das war der seltsamste Vater, denn ich je kennengelernt habe. Aber auch der
gutaussehendste und lockerste, musste ich ihm zugestehen. Er war mindestens vierzig, doch er sah aus wie dreißig.

„Ähmm… ich bin Maya. Vielen Dank, dass sie die Kaution bezahlt haben, Mr. Johnson“, stammelte
ich.

Als er lächelte, blitzen seine strahlend weißen Zähne auf.

„Nenn mich, Steve, sonst fühle ich mich so alt. Und wessen Idee war das nun mit dem Film?“, wandte er sich an uns beide.

Vorsichtig hob ich die Hand, ich traute dem Frieden immer noch nicht ganz.

Doch er schien kein bisschen böse, eher bewundernd.

„Und du brauchtest David, damit er dir hilft?“ Zustimmend nickte ich.

„Aber ich hoffe, er hat dafür nichts verlangt.“ Erwartend sah er mich an und ich konnte nicht
verhindern, dass sich meine Wangen schon wieder rot verfärbten. Ich schüttelte zwar den Kopf, doch
scheinbar glaubte er mich nicht.

„David, was hast du von ihr verlangt?“ Jetzt sah auch David ein wenig peinlich berührt aus.

„Doch nicht etwa Geld? Du wirst es sofort zurückzahlen!“

„Nein, er hat kein Geld verlangt… sondern ähmm… einen Kuss.“ Am Schluss war meine Stimme
immer leiser geworden und ich hatte die absurde Hoffnung, dass er es nicht verstanden hatte.

Doch scheinbar schon, denn er brach schon wieder in schallendes Gelächter aus.

„Das sieht dir ähnlich, David. Aber wer würde es dir schon bei so einer bezaubernden Frau verübeln?“

Ich lächelte ihn leicht an. Er war mir irgendwie sympathisch.

Auf einmal begann es schon wieder zu regnen und ein eisiger Wind fuhr unter meine Sachen, sodass
sich in Sekundenschnelle eine Gänsehaut auf meinem Körper ausbreitete.

Mr….Steve bemerkte es, schälte sich schnell aus seinem Mantel und legte ihn um meine Schultern.

„Danke“, meinte ich.

Als David gerade ansetzte zu reden, erschien plötzlich am Ende der Straße eine schwarze Limousine.
Ich hörte nicht mehr, was David sagte, denn ich war damit beschäftigt die Länge des Autos zu
bestaunen. Mein Gott! Wer konnte sich denn so ein Ding leisten?

Merkwürdigerweise hielt es direkt vor uns an und in mir keimte eine Vorahnung. Das war doch
nicht etwa…

Ein schwarz gekleideter Mann, der wie ein typischer Chauffeur aussah, stieg aus und umrundete
den Wagen mit zügigen Schritten. Er öffnete die Tür, die uns am nächsten war und blickte uns
auffordernd an.

Schnell drehte ich mich um, um zu sehen, ob noch irgendjemand hinter uns stand, doch da war
niemand. David lachte über meinen verblüfften Gesichtsausdruck und meinte:

„Ja, der meint wirklich uns. Los, steig ein. Sonst frierst du noch mehr…“, belustigt sah er mich an und
deutete mit der Hand auf die offene Tür. Eigentlich dürfte es mich nicht wundern, dass sie so viel
Geld haben, um sich so ein Auto leisten zu können, schließlich gehörte ihnen eine der erfolgreichsten
Firmen. Staunend stieg ein und ließ mich auf dem superbequemen, aus edlem Leder gemachten, Sitz
nieder. Fahrig strich ich mit meinem Finger über den weichen Stoff. Das gab es doch nicht! Wie viel
Geld hatten die denn? Hinter mir stieg David ins Auto und ließ sich neben mir auf den Sitz plumpsen.
Irgendwie fühlte ich mich jetzt in seiner Nähe befangen, mir war nie richtig bewusst geworden, dass
er reich war. Klar, war da sein teures Auto, aber irgendwie war das was anderes als eine Limousine.

Nachdenklich betrachtete ich ihn von der Seite. Eine schwarze Strähne fiel ihm ins Gesicht und
unbewusst strich er sie weg, nur damit sie gleich wieder zurückfiel. Ich bemerkte, dass er am Kinn
eine kleine Narbe hatte und kurz wollte ich die Hand ausstrecken, um sie nachzufahren.

Doch als die Tür mit einem Knall zu fiel, zuckte ich zusammen und riss mich aus meiner Starre.
Mr.…ähm…Steve war nun auch eingestiegen und schon drückte der Fahrer aufs Gaspedal und wir
fuhren los.

„Ähmm…wo wollen wir eigentlich hin?“, fragte ich skeptisch mit einem Blick aus dem Fenster. Wir
fuhren von New Yorks Downtown weg in Richtung der reicheren Außenbezirke. Ich sah, wie der
riesige Dom an uns vorbeizog.

Steve zwinkerte mir zu.

„Natürlich zu uns nach Hause, sie sind eingeladen, ich will so eine faszinierende Frau schließlich ein
wenig kennenlernen.“ Meine Wangen verfärbten sich rot, denn irgendwie war es schon
schmeichelhaft von so einem Mann wie Steve faszinierend genannt zu werden. Doch als sich Davids
Gesicht immer mehr verfinsterte, verpuffte meine Freude. Wollte er nicht, dass ich zu ihnen
nach Hause kam? Vielleicht fand er mich ja nicht faszinierend und er wollte mich loswerden, nachdem ich ihm schon den Ärger mit der Polizei eingebrockt hatte, oder ihm hatten die Küsse nicht gefallen…

Verdammt, was dachte ich da für einen Unsinn? Warum sollten ihm meine Küsse nicht gefallen haben, denn schließlich wollte er ja unbedingt nochmal einen Kuss. Außerdem...er hätte ja schließlich auch etwas anders verlangen können und sich besser auf seine Arbeiten konzentrieren sollen, dann
würde ich jetzt nicht mit ihm nach Hause fahren… Ich beschloss, dass es keinen Sinn machte, noch
weiter drüber nachzugrübeln, ich hatte nichts falsch gemacht und vielleicht sollte ich ihn einfach
ignorieren…

„Oh, vielen Dank für die Einladung.“ Charmant lächelte ich, aus dem Augenwinkel sah ich, wie sich
Davids Mine noch mehr verdunkelte, was war denn sein Problem?

„Keine Ursache, ich freu mich. Und dann müssen sie mal erzählen, warum sie sich so für die Leute in
Afrika einsetzen.“ Das versetzte jetzt meiner Laune einen Hieb und als Steve meine Mine sah, guckte
er mich bestürzt an.

„Hab ich irgendetwas Falsches gesagt?“

„Nein, nein“, schnell wiegelte ich ihn ab, “ Es ist nur so, dass meine Eltern da gestorben sind und
mich das Thema immer an sie erinnert. Aber das konntest du ja nicht wissen.“

Mitleidig sah er mich an und ich konnte den Blick kaum ertragen. David hatte kein Mitleid gehabt und
dafür war ich ihm unglaublich dankbar gewesen.

„Oh, das tut mir leid. Entschuldigung, dass ich es erwähnt habe.“

Ich machte einer abwertenden Handbewegung.

„Wie gesagt, du konntest das ja nicht wissen“, lächelte ich und lenkte das Gespräch auf ein anders
Thema, “ Waren sie wirklich in einer Besprechung, als sie uns vom Polizeirevier geholt haben?“

Hoffentlich nicht, denn ich wäre mir das Ganze noch unangenehmer. Schlimm genug, dass er uns
schon daraus holen musste.

„Oh. Wegen der Kaution, ich werde dir das Geld natürlich so schnell wie möglich wieder geben“,
meinte ich hastig, als mir das wieder einfiel.

„Nein, nein. Du müsst mir das nicht wieder geben. Und ja, ich war in einer Besprechung, aber die war
total langweilig, denn meine Geschäftsführer sind einfach solche Spießer“, meinte er großzügig.

David gab auch wieder ein Lebenszeichen von sich, aber es war nur ein verächtliches Schnauben. Ich
verstand nicht was er hatte, vermutlich wollte er nicht, dass sein Vater Geld für mich ausgab.

„Natürlich werde ich dir das Geld wieder geben.“

„Kommt gar nicht in Frage, ich brauch das Geld nicht.“ Beharrlich sah er mich an, doch ich schüttelte
verneinend den Kopf.

„Darüber brauchen wir nicht zu diskutieren, irgendwie werde ich es dir zustecken.“

Um zu signalisieren, dass die Diskussion für mich beendet war, schaute ich aus dem Fenster und
fiel fast aus allen Wolken. Das Straßenschild, an dem wir gerade vorbei gefahren waren, führte zu
dem reichsten Viertel von New Yorks und wenn ich meine reich, dann meine ich im Sinne von
millionenschwer. Hier kam kein normalsterblicher Mensch rein. Fantastische Villen soweit das Auge
reichte. Starke Sicherheitsvorkehrungen überall. Ein paar weitere Limousinen. Pools. Mein Gesicht
klebte förmlich an der Fensterscheibe, weil ich mich von diesem puren Luxus nicht losreißen konnte.
Das gab es doch nicht! Hier wohnten sie? Als ich einen kurzen Blick auf David warf, der immer noch
mit vor der Brust verschränkten Armen und bösen Blick neben mir hockte, fühlte ich mich noch mehr
befangen. Was musste er bloß von meiner Gegend gehalten haben? Ich meine, unser Haus lag auch
nicht schlecht, aber im Gegensatz zu dem hier war das ein Getto.

Auf einmal hielt das Auto vor einer riesigen, umwerfenden Villa und mein Unterkiefer klappte herunter.

Vor dem Haus, befand sich ein sehr großer Pool, der herrlich beleuchtet wurde und neben her
führte ein verschlungener, palmengesäumter Weg zu der Villa. Sie bestand aus mehreren
aneinandergereihten Teilen. Eins war etwas niedriger und hatte ein rundes Dach, die gesamt Front
war verglast und daneben war das Hauptgebäude, das ebenfalls viele Fenster hatte und ein spitzes
Dach hatte. Die Außenwände waren mit einem tollen, dunklen Holz verkleidet und neben dem
Gebäude breitete sich ein riesiger Garten aus. In der Mitte war ein Teich, der einen mit Rosen
verschlungenen Pavillon halb umschloss und ein Steg führte über ihn. Prächtige Rosenbüschen
grenzten das Grundstück ab.

Ein leises Räuspern riss mich aus meiner Betrachtung. Der Chauffeur hielt mir scheinbar schon länger
die Tür auf, doch ich war so abgelenkt, dass ich es nicht bemerkt hatte. Mit wackligen Beinen fiel ich
fast aus dem Auto, doch David konnte mich in letzter Sekunde noch stützen. Kurz war ich an seine
Brust gedrückt, doch sofort ließ er mich wieder los, als ob er sich verbrannt hätte. Was war denn jetzt
los? Fragend sah ich ihn an, doch er trat ein paar Schritte zurück und verschränkte die Arme vor der
Brust.

Seufzend wandte ich mich wieder an Steve, der das Ganze mit einem interessierten Funkeln in den
Augen betrachtet hatte.

„Also euer Haus, ähm…eure Villa….WOW. So etwas hab ich noch nicht gesehen. Es ist wirklich
umwerfend“, stotterte ich immer noch überwältig. Steve grinste mich geschmeichelt an und wollte
schon väterlich ein Arm um mich legen, als David auf einmal so etwas wie ein leises Knurren ausstieß.
Verblüfft hielt Steve inne und schauten ihn an. Doch David stürmte schon mit großen Schritten den
Weg zum Haus entlang. Was war bloß sein Problem, er war doch nicht etwas eifersüchtig? Auf
seinen Vater? Nein! Schnell verscheuchte ich diesen Gedanken, auch wenn ein kleiner Teil in meinem
Inneren ziemlich angetan von dem Gedanken war, dass er eifersüchtig wäre.

Aber warum sollte er? Wie hatten uns zweimal geküsst, aber das auch nur wegen einem Deal und
kannten uns gerade erst seit einem Tag richtig. Da war es völlig absurd, dass er irgendetwas für
mich empfand, und außerdem war das sein Dad! Heftig schüttelte ich den Kopf, um diese Gedanken
endgültig zu verscheuchen. Belustigt sah mich Steve an.

„Ich glaub, ich frag nicht, über was du da gerade so heftig nachgedacht hast“, schmunzelte er.

„Lass uns rein gehen, David wird sich schon wieder einkriegen“, meinte er und lief vor. Rasch kam ich
ihm hinterher, während ich noch weiter das umwerfende Haus bestaunte.

Die Tür war bereits offen und so konnte ich direkt in den fantastischen Eingangsbereich sehen. Das
wurde ja immer besser! Alles war auch hier sehr stillvoll eingerichtet, mit teurem Holz verkleidete
Wände, viel Grünzeug, tolle Bilder, mehrere abstrakte Kulturen und glatte Fliesen.

Während ich alles bestaunte, dirigierte Steve mich ins Wohnzimmer, wo er mich aufs Sofa drückte.

„Mach es dir bequem. Willst du was trinken?“ Abwesend schüttelte ich den Kopf.

„Dann schau ich mal, ob David sich wieder eingekriegt hat.“ Schon war er hinter einer der drei
Holztüren verschwunden und ich sah mich auch hier genau um. An einer Wand hingen mehrere
gerahmte Bilder und als ich näher heranging, bemerkte ich, dass sie von links nach rechts immer
besser gemalt aussahen. Als ich es genauer betrachtete, entdeckte ich die verschlungen Initialen am
unteren Bildrand: David J.

David hatte die Bilder gemalt? Er konnte malen? Das hatte ich ihm irgendwie überhaupt nicht
zugetraut, deswegen schaute ich mir die Bilder fasziniert an. Scheinbar hingen da auch schon Bilder,
die er als kleines Kind gemalt hatte. Grinsend betrachtete ich diese und stutzte als mein Blick auf ein
kleineres Bild fiel. In der Mitte war im kindlichen Stil ein kleiner Junge gemalt, der stolz zu seinen
Eltern hinaufsah, die ihn an den Händen hielten. Darunter stand in krakliger Schrift: Mama, Papa und
David (Ich).

Ich musste schmunzeln, als ich das Bild sah, doch als ich meine Augen weiter durch den Raum
schweifen ließ, sah ich, dass es hier nur gemalte Bilder oder Fotos von David und seinem Vater zu
geben schien. Keine Spur von einer Frau oder Mutter. Warum gab es keine Bilder von ihr?

„Ah, David schmollt immer noch, vielleicht solltest du gleich mal hoch in sein Zimmer gehen,…“,
Steve stockte, als er sah, dass ich vor dem Bild stand. Kurz verschleierte sich sein Blick vor Wut und
Trauer, doch dann legte er wieder ein Lachen auf.

„Ah, du hast Davids Bilder entdeckt“, stellte er stolz lächelnd fest, “ Wenn es etwas gibt, was er noch
besser kann, als sich in Computer einzuhacken, dann ist es das Malen, das hat er von seiner …. Ähm…
Das ist sein großes Talent, er hat immer einen Block mit um überall zeichnen zu können.“

Er hatte gestockt, was hatte er sagen wollen? Ich beschloss, dass es keinen Sinn hatte darüber
nachzugrübeln, also nickte ich lächelnd.

„Ja, die Bilder sind echt toll. Er hat echt ein großes Talent“, murmelte ich abwesend und betrachtete
ein paar Bilder, die etwas abseits hingen und herausstachen, denn sie waren so ganz anders als die
anderen. Die anderen sprühten nur so vor Lebendigkeit und Fröhlichkeit, doch auf diesen waren
nur trostlose Orte, Wälder und Nebel zu sehen. Irgendwie wirkte es so, als ob der Zeichner, in seine
Werke eine tiefe Traurigkeit einfließen lassen hätte.

Steve riss mich wieder aus meiner Betrachtung und ich schlenderte zurück zum Sofa.

Er setze sich zu mir und wir unterhielten uns eine Weile zwanglos, dabei stellte ich fest, dass wirklich
sehr nett und sympathisch war und seinen Sohn sehr liebte.

„Vielleicht solltest du mal hoch gehen, ich habe nicht von ihm erfahren, was er denn hat, aber
vielleicht kriegst du ja mehr aus ihm heraus“, schmunzelte er wissend.

„Ich bin mir sicher, du hast bessere Überzeugungsmethoden als ich.“

Ich konnte nicht verhindern, dass sich meine Wangen wieder ein wenig rötlich verfärbten. Trotzdem
stand ich auf und Steve erklärte mir den Weg zu Davids Zimmer. Ich trödelte auf dem Weg, doch
leider kam ich irgendwann an seiner beige gestrichenen Zimmertür an. Zögernd hob ich die Hand um
zu klopfen, als sie mit einem Ruck aufgerissen wurde.

Vollkommen aus dem Konzept gebrachte, erstarrte ich mit der Faust in der Luft und blickte in die
dunkelblauen, schönen Augen. Auch David stand versteinert da und schaute mich verblüfft an.
Einen Moment lang hatte ich das Gefühl in seinen Augen zu versinken, doch dann schüttelte er seine
Erstarrung ab und wich einen Schritt zurück. Ich kam nicht umher, ein wenig enttäuscht zu sein, vor
allem, als er wieder seine harte Miene aufsetzte, verspürte ich einen unangenehmen Stich im Bauch.

„Hab ich was falsch gemacht?“ Im gleichen Moment, als die Wörter meinem Mund entschlüpften,
verfluchte ich mich auch schon dafür. Warum präsentierte ich ihm nicht gleich meine Gefühle auf
einem Serviertablett? Er würde meine Schwäche wahrscheinlich direkt ausnutzen, weil er nun
wusste, dass es mir zu schaffen machte, dass er so abweisend war. Doch statt, wie ich erwartet hatte,
mich spöttisch anzublitzen, wurde sein Gesichtsausdruck weicher und seine Anspannung lockerte
sich.

„Nein, hast du nicht. Ich habe mich nur über etwas geärgert und wahrscheinlich ein wenig
überreagiert.“ Erstaunlicherweise presste er dann sogar noch ein: „Tut mir leid“ heraus.

Trotzdem wurde ich das Gefühl nicht los, dass es doch etwas mit mir zu tun hatte, doch ich beschloss
das Thema erst mal ruhen zu lassen.

Davids Körper versperrte den größten Teil des Zimmers, doch als ich durch den kleinen Spalt guckte,
weiteten sich meine Augen erstaunt. Ich hatte erwartet, dass es genauso stillvoll, aber distanziert,
wie der Rest des Hauses war, doch es war einfach wunderbar warm eingerichtet. Das riesige Zimmer
wurde von dem großen Wasserbett in der Mitte dominiert und insgesamt herrschte eine leichte
Unordnung. Ich machte einen Schritt mehr auf die Tür zu um einen bessern Blick auf die Einrichtung
zu erhaschen, doch David versperrte mir den Weg.

„Vielleicht sollten wir runter gehen.“ Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass er mich nicht in sein
Zimmer lassen wollte, dass es ihm unangenehm war.

„Ach komm schon, so schlimm kann es doch nicht sein. Hast du Poster von nackten Frauen an der
Wand kleben, oder was? Glaub mir, ich bin mir sicher, dass ich schon schlimmere Jungenzimmer
gesehen habe.“ Ich versuchte mich an ihm vorbei zu drängeln, doch er schob seinen Körper vor mich.
Sein Gesicht hatte sich kurz verzogen, als ich die Jungenzimmer erwähnt hatte, doch da ich mir
keinen Reim darauf machen konnte, versuchte ich weiterhin an ihm vorbei zu kommen. Als ich seinen
Körper so nah an meinem fühlte, kam mir eine Idee. Unauffällig drängelte ich mich noch ein wenig
näher an ihn heran, sodass sein Unterleib direkt meins berührte und als ich mich ein wenig bewegte,
konnte ich nicht verhindern, dass sich mein Körper ausversehen ein wenig an ihm rieb. Er riss
erschrocken die Augen auf und ich provozierte ihn noch ein bisschen mehr, bis ich die erwünschte
Reaktion bekam. Ein fettes Grinsen breitete sich auf meinem Gesicht aus und mit einer letzten
reibenden Bewegung, schlüpfte ich unter seinem Arm hindurch, denn er war wegen seinem ‚kleinen‘
Problem ein wenig abgelenkt, das neben bei gemerkt alles andere als klein war, soweit ich das
fühlen konnte. Triumphierend platze ich in sein Zimmer und ließ meinen Blick durch den Raum
schweifen, überall standen auf Staffeleien Leinwände und auch hier hangen echt fantastische
Bilder. Doch auf einmal blieben meine Augen an einer in der Mitte des Zimmers hängen. David, der
mittlerweile mein Ablenkungsmanöver durchschaut hatte, versuchte nochmal zu protestieren, doch
ich war bereits bei der Leinwand. Mit groben Bleistiftlinien hatte er eine halbfertige Zeichnung von
einem hübschen Mädchen angefertigt, die mir verblüffend ähnelte. Die gleichen langen, gewellten
Haare, die in echt blutrot waren, die gleichen Gesichtszüge, sogar meine verhasste Stupsnase hatte
er perfekt hingekriegt. Vollkommen verblüfft fuhr ich mir durchs Haar.

Selbst meine blau - grünen Augen, die ich sonst immer so langweilig fand, hatte er faszinierend
dargestellt, auf dem Bild sah ich viel geheimnisvoller und besser aus, als in echt. Erstaunt streckte
ich meinen Finger nach der Zeichnung aus. Er hatte mich gezeichnet! Ohne das ich dafür Modell
gestanden hätte, aus der Erinnerung hinaus!

„Wow“, schwärmte ich völlig baff. Das war einfach unglaublich süß.

Mein Herz begann bei diesem Gedanken, schneller zu pochen und ungläubig drehte ich mich zu
ihm um, um ein Anzeichen in seinem Gesicht dafür zu suchen, ob meine Vermutung richtig war.
Ich meine ... wieso zum Teufel sollte er mich zeichnen? Sein Gesicht war wie versteinert und zeigte
keinerlei Regung, doch ich meinte ein verlegenes Flackern in seinen Augen zu sehen. Ihm war das
Ganze unangenehm.

„Bin…bin ich das?“ Am Schluss verschluckte sich meine Stimme fast. Irgendwie hoffte ich, dass er
wirklich mich zeichnen wollte und dass er es auch zugab.

„Hmm…“, grummelte er und wich meinem Blick aus. Doch auf einmal trat wieder das selbstsichere
Funkeln in seine Augen, das gleiche, wie als er mir die beiden Deals vorgeschlagen hatte.

„Natürlich ist das von dir, ich zeichne alle meine Eroberungen.“

Von einer Sekunde auf die andere verpuffte das Glücksgefühl in meinem Bauch wie eine Seifenblase
und meine Augen verengten sich vor Wut.

„Eroberung? Wann bitte hast du mich denn „erobert“? Du hast mich erpresst, sodass ich dich küssen
musste. Freiwillig hätte ich das nie getan. Du bist nämlich das arroganteste Arschloch, das es auf dieser Welt gibt. Und weißt du was? Ich habe keine Lust mehr mir das Ganze hier anzutun. Du hast deinen Auftrag erfüllt, ich hab meine Seite des Deals erledigt. Es gibt keinen Grund, warum ich noch hier sein sollte, oder warum wir überhaupt noch miteinander reden sollten!“

Ohne auf ihn oder seine Reaktion zu warten, wirbelte ich auf dem Absatz herrum, wiederstand dem
Drang die Leinwand einfach umzuwerfen und stürmte aus dem Zimmer, die Treppe runter und
an Davids Vater vorbei, der gerade hochgehen wollte. Verblüfft sah er mich an, doch als er mein
wütendes Gesicht sah, trat Verständnis in seine Augen.

„Der Fahrer steht noch draußen vor der Tür. Er wird dich heimbringen“, meinte er sanft und ich raffte mich dazu auf, ihn kurz dankend anzulächeln. Ich war ihm dankbar, dass er nicht versuchte mich noch
irgendwie aufzuhalten, denn ich würde hier keine Sekunde länger bleiben.

Nur eine Eroberung. Ich war nur eine Eroberung. Eine von vielen. Der konnte mich mal. Glaubte der, nur weil mir der Kuss gefallen hatte, dass ich ihm auch gleich verfallen sein würde? Mir wurde gerade schon schlecht bei dem Gedanken, dass er mit diesen Lippen schon Unzählige vor mir geküsst hatte. Fahrig wischte ich mir demonstrativ über die Lippen und stieg vor Wut kochend, ohne noch einen Blick zurückzuwerfen, in die Limousine. Als ich merkte, dass sich enttäuschte und verletzte Gedanken hinterhältig in meinen Kopf einschleichen wollten, verdrängte ich die sofort mit einer weiteren Hassparade über David. Ich war doch nicht verletzt, nur weil er mich nur als eine von vielen, als unbedeutend bezeichnet hatte!

Vollkommen verwirrt von meinen Gefühlen kaute ich nagend auf meiner Unterlippe herum, sodass
ich schon bald, den kupfernen Geschmack von Blut auf meiner Lippe fühlte, doch trotzdem konnte
ich nicht damit aufhören.




Kapitel 4: Mayas Sicht




Während der ganzen langen Fahrt brütete ich weiter vor mich hin, in Gedanken demütigte ich ihn
gerade auf jede mir erdenkliche Art und Weise. Ich klaute ihm die Sachen nach dem Sportunterricht.
Ich mischte ihm Hormone ins Essen. Ich ließ meine Kontakte zu dem Jungen, der im Schulbüro für
die Lautsprecheranlange zuständig war, spielen und machte eine laute Durchsage durch die ganze
Schule, dass Davids Vater angerufen hätte um ihm zu sagen, dass er einen Termin beim Männerarzt
hätte, wegen seiner Erektionsbeschwerden. Leider schlich sich in dem Moment der Gedanke in
meinen Kopf, dass er garantiert keine Erektionsbeschwerden hatte.

Schnell verdrängte ich ihn wieder mit der Vision, wie jede Menge Kondome mit Bananengeschmack
aus seinem Spind purzelten.

Vermutlich übertrieb ich, denn leider neigte ich ein wenig dazu, was mir mein Bruder immer wieder
vorhielt. Er machte sich immer einen Spaß draus, mich auf die Palme zu bringen, in dem er mir mein
Handtuch klaute, wenn ich gerade in der Dusche war und so weiter.

Aber leider konnte ich nichts dagegen machen, dass ich mich immer so aufregte und außerdem war
die Vorstellung von dem ahnungslosen David, wie er mit einem Zettel am Rücken auf dem steht: „Ich
bin ein perverses Arschloch und habe es nötig, Frauen zu erpressen, damit sie mich küssen!“ durch
die ganze Schule rennt, einfach zu schön. Den Rest der Fahrt versüßte ich mir also mit weiteren
fiesen Träumen.

Eine halbe Stunde ließ ich mich wohlig seufzend in die Badewanne plumpsen. Das schön warme
Wasser umspielte sofort meinen Körper und beruhigte mich. Der Raum füllte sich mit dem Geruch
nach Lavendel, denn ich hatte Badesalz benutzt und bald schäumte das Wasser auch schön. Langsam
konnte ich mich entspannen und David aus meinem Kopf verdrängen. Ich sollte mit der ganzen Sache
einfach abschließen, es war vorbei.

Ich griff auf die Ablage neben mir und steckte mir das köstliche Stück Schokolade in den Mund.
Gedankenverloren ließ ich mir es auf der Zunge zergehen. Kurz kam mir wieder die Erinnerung an
Davids fantastischen Geschmack auf meinen Lippen hoch, doch ich verdrängte sie schnell wieder. Es
war vorbei.

Als ich gerade dabei war, einzunicken, wurde plötzlich die Tür aufgerissen und mein keuchender
Bruder stand auf der Schwelle.

„Jannis! Schon mal was von anklopfen gehört?“, empörte ich mich. Es störte mich zwar nicht, dass er
mich fast nackt sah, aber das war trotzdem kein Grund hier einfach so reinzuplatzen.

„Hast du noch DVD – Rohlinge? Der Technikladen hat schon geschlossen und ich brauch dringend ein,
weil ich mir einen Film drauf spielen will.“

Genervt sah ich ihn an. Mein Bruder war einfach immer so verpeilt und ich musste ihm immer alles
hinter herräumen.

„Ja, hab ich. Die müssten noch irgendwo in meinem Zimmer rumliegen…“ Bevor ich meinen
Satz beenden konnte, fiel die Tür schon mit einem Knallen hinter ihm zu. Ich hörte nur noch
ein gerufenes „Danke“. Ein wenig belustigt schüttelte ich den Kopf, mein Bruder filmte und
fotografierte für sein Leben gerne und war da auch wirklich gut drin. Aber sein Job in einer kleinen Filmindustrie brachte ihm leider nicht viel Geld.
Schnell schüttelte ich die betrübten Gedanken ab und versuchte mein Bad weiterhin zu genießen.

Als ich mir gerade das Handtuch umgewickelt hatte, klingelte es plötzlich an der Haustür.

Ich dachte, dass Jannis dran gehen würde, doch als es erneut klingelte, wickelte ich seufzend mein
Handtuch fester. Jannis hörte wahrscheinlich malwieder mit Kopfhörern zu laut Musik.

Mit tropfenden Haaren stolperte ich die Treppe hinunter und öffnete die Tür halb. Da es draußen
schon ziemlich dunkel war, kein Wunder, es war ja auch schon fast Mitternacht, konnte ich zuerst
nicht ausmachen, wer davor stand. Also öffnete ich die Tür weiter, damit das Licht von innen die
Person erleuchten konnte. Ein junger Mann, vielleicht 18, stand dort und seine Augen weiteten sich
als er mich entdeckte. Natürlich wanderte sein Blick sofort zu meinem Ausschnitt und blieb auch dort
liegen.

„Was kann ich für Sie tun?“ Im gleichen Moment verfluchte ich mich für meine Wortwahl, denn ich
sah förmlich die schmutzigen Gedanken, die ihm dabei kamen. Doch er ließ sie sich nicht anmerken.

„Ich soll Ihnen das hier geben.“ Er überreichte mir eine weiße Papierrolle, die mit einem roten Band
umschlungen war. Zögerlich nahm ich sie entgegen und rollte sie auf. Vollkommen überrascht hätte
ich sie fast fallen lassen.

Mein gezeichnetes Gesicht starrte mir entgegen. Es war die Zeichnung von David! Er hatte die
Zeichnung beendet und sie mir geschickt. Einen Moment konnte ich mich nicht entscheiden, was ich
nun fühlen sollte. Glück, Ärger, Wut, Verletzung, Misstrauen. Als ich genauer in mich hineinhorchte,
bemerkte ich, dass ich immer noch stinkwütend auf ihn war, mich immer noch beleidigt fühlte,
ihn für einen idiotisches Arschloch hielt, mich aber trotz all dem ein kleines, kleines bisschen
geschmeichelt fühlte, denn über dem Bild stand in großen Buchstaben geschrieben: Sorry!

Allerdings war ich lieber vorsichtig, warum sollte er sich auf einmal bei mir entschuldigen, vielleicht
war das ja auch wieder nur eine Masche von ihm. Überlegend biss ich auf meine Unterlippe, was ich
leider immer tat, wenn mich irgendetwas bewegte und zuerst bemerkte ich gar nicht, dass sich mein
Mund mit dem metallenen Geschmack von Blut füllte. Verdammt, jetzt biss ich mir schon wegen ihm
die Lippe auf. Hatte ich mir nicht schon mehrmals gesagt, dass es vorbei war? Wie konnte ich das meinen Gefühlen und meinem Hirn nur klar machen?

Gerade als ich das Bild wieder zurollen wollte, da ich die Entschuldigung nicht mehr sehen konnte,
räusperte sich der Bote noch einmal.

„Ähmm…hier ist noch etwas für sie.“ Er hatte scheinbar gemerkt, dass ich nicht so aussah, als
ob ich David so schnell verzeihen würde. Was kam denn jetzt noch? Gespannt nahm ich ihm den
weißen Umschlag, auf dem mit verschnörkelter Schrift Maya stand. Als ich den Brief öffnete, segelte
eine kleine, weiße Karte heraus und landete auf dem Boden. Rasch bückte ich mich danach, doch
ich bemerkte zu spät, dass ich ja immer nur noch das Handtuch umgewickelt hatte und es sofort
verrutschte. Hastig hielt ich es mit einer Hand fest und versuchte es wieder fester zu knoten,
während ich mit der anderen den Zettel aufhob. In der gleichen verschnörkelten Schrift, die Schrift
eines Künstlers oder Malers, stand dort nur geschrieben: Morgen Abend 20 Uhr

Was sollte das bedeuten? Verwirrt drehte ich das Kärtchen um und sah, dass es bedruckt war. Es
war die Visitenkarte eines der teuersten Restaurants der Stadt. Ich brauchte einen Augenblick um
zu verstehen, was David damit bezwecken konnte, doch als ich kapierte, wurde ich stocksauer.
Arrogantes Arschloch! Ich konnte es einfach nicht fassen, versuchte er mich doch tatsächlich mit
einer teuren Einladung in irgendeinen Edelschuppen zu bestechen. Meinte er ernsthaft, dadurch
würde ich mich besänftigen lassen? Ich wusste nicht, warum es mich so aufregte, denn er hatte
mir ja schließlich auch das Bild geschickt, aber das war irgendwie etwas anders gewesen, etwas
Persönlicheres. Versuchte er jede seiner „Eroberungen“ mit so etwas zu beindrucken oder zu
besänftigen? Wie billig. Wütend zerknäulte ich die Karte mit einer Hand und warf sie dem Boten
an die Brust, der es fast nicht rechtzeitig aufgefangen hätte, da er schon wieder auf meine nackten
Beine starrte.

„Du kannst David ausrichten, dass er sich seine Einladungen sonst wohin stecken kann und dass er es
ja nicht wagen soll, noch einen Boten zu schicken“, fauchte ich aufgebracht, “ Und sie! Spannen
sie nicht so!“ Mit diesen Worten knallte ich ihm die Tür vor der Nase zu.



Kapitel 5: Davids Sicht




Davids Sicht




Nachdenklich lag ich auf meinem Bett und blätterte meinen Zeichenblock durch. Die meisten Zeichnungen oder Skizzen waren nur schwarz oder weiß, doch ziemlich am Anfang des Heftes, befand sich eine mit mehr Farben. Es war an einem Dezembertag gewesen, kurz vor Weihnachten. Ich war neu auf der Schule und wollte gerade ins Sekretariat, als auf einmal ein Mädchen angelaufen kam. Neugierig blickte ich mich zu ihr um und war vom ersten Moment an fasziniert. Die schwarze, flache Mütze bildete einen starken Kontrast zu ihren tiefroten Haaren. Mehrere glitzernde Schneeflocken hatten sich in den wilden Locken verfangen und begannen zu schmelzen. Ihr wundervolles Lachen schnellte zu mir herüber, als sie ihre Haare schüttelte und sich die Mütze vom Kopf zog, als sie an mir vorbei ging und die Treppe mit großen Schritten hinaufging und die Tür zum Büro aufdrückte. Sofort spürte ich den Schwall Wärme der aus dem Inneren des Gebäuden kam, doch er verschwand genauso schnell wieder, als die Tür mit einem lauten Knall hinter ihr zufiel. Die Kälte kroch unter meine Sachen und auf meinem Körper breitete sich eine Gänsehaut aus. Hastig setze ich mich in Bewegung, um auch ins Warme zu kommen und die geheimnisvolle Schöne mit den faszinierenden blau, grünen Augen zu sehen. Ich hatte schon viele schöne Frauen gesehen, doch diese war irgendwie anders, denn sie hatte mich gar nicht beachtet und das kam selten vor. Und ich hatte nicht das Gefühl, dass sie zu stolz war und sich nicht anmerken lassen wollte, dass sie mich heiß fand, sondern sie hatte mich einfach nicht beachtet, weil sie einfach kein Interesse hatte und das war mir noch nie vorgekommen. Rasch hatte ich mich drangemacht, ebenfalls in das Gebäude zu schlüpfen und sofort hatte ich Ausschau nach ihr gehalten, doch sie war schon verschwunden.
Ich glaube, das war jetzt ungefähr ein Jahr her. Anfangs war es eher ein Spaß, der Spaß an der Jagd, der mich dazu veranließ, immer wieder zu versuchen, ihre Aufmerksamkeit zu bekommen. Doch egal was ich machte, sie beachtete mich einfach nicht. Doch ich weigerte mich aufzugeben und erkundigte mich unauffällig, ob sie einen Freund hätte, doch niemand in der Schule konnte mir darüber Auskunft geben, da sie einfach so unnahbar war und mit kaum jemand mehr Worte als nötig redete. Sie war nicht unhöflich, sondern zu jedem freundlich, doch sie hatte einfach keine Interesse mit jemanden befreundet zu sein. Stattdessen krickelte sie in jeder freien Minute irgendetwas in ihr geheimnisvolles Notizbuch, doch ich fand einfach nicht raus, was sie schrieb und das frustrierte mich immer mehr. Dass ausgerechnet dann meine Informatikkünste sie auf mich aufmerksam werden ließen, hätte ich nie gedacht. Aber ich konnte diese perfekte Gelegenheit natürlich nicht verstreichen lassen und versuchte sie gleich zu dem Deal zu überreden, obwohl ich nicht mit großen Erfolgschancen gerechnet hatte. Doch überraschenderweise stimmte sie nach kurzem Zögern zu und ich bemerkte, wie sie mich endlich mal richtig ansah. Ich bereute es kein bisschen für sie gegen ein Gesetz verstoßen zu haben, der Kuss war Belohnung genug. Und ich hatte bemerkt, dass das „kleines“ Problem zwischen mir und Libby, nicht meine Schuld war…worüber ich ziemlich erleichtert war. Ich ließ meinen Blick durch mein Zimmer schweifen und betrachtete eine Leinwand, auf der ich erneut begann, ein Bild von Maya zu malen, denn das andere hatte ich ihr ja auf Rat meines Vaters geschickt. Die Pinsel lagen kreuz und quer auf der Ablage und einige steckten kopfüber in dem Malbecher.
Auf einmal wurde ich jäh unterbrochen, denn die Tür wurde aufgerissen und Peter stürmte hinein. Er war der „Bote“ meines Vaters, eigentlich war er nur der Sohn von einem Angestellten von meinem Vater, doch da er Geld brauchte, hatte ihn mein Vater angestellt um seine wichtige Post immer persönlich zu überbringen. Ich hatte ihm den Brief übergeben, weil ich nicht bei Maya auftauchen wollte, da sie mir ja ziemlich deutlich gemacht hatte, dass ich mich zum Teufel scheren könnte. Sie hätte mir wahrscheinlich noch nicht einmal dir Tür aufgemacht, obwohl ich gerne gesehen hätte, ob sie immer noch so süß aussah, wie eben, als sie wie ein Rachengel aus meiner Tür gestürzt war und sich ihre Wangen so erhitzt hatten.
„Alter, du hast mir ja gar nicht gesagt, wie heiß die ist! Mein Gott, die stand nur im Handtuch an der Tür und ihr Körper…“ Mit einem wütenden Knurren unterbrach ich ihn. Er hatte sie ihm Handtuch gesehen? Wäre ich doch verdammt nochmal selbst gegangen, jetzt hatte er schon mehr gesehen, als ich jemals. Das konnte doch nicht wahr sein! Schon beim Gedanken daran, dass er seinen gierigen Blick über sie gleiten gelassen hat, wurde ich extrem wütend. Wenigstens war er hässlich, sonst hätte ich ihn niemals geschickt.
„Ich hab dich nicht geschickt, um mir mittzuteilen, wie heiß sie ist. Glaub mir, das weiß ich selber!“
Betreten schluckte er. „Ähmm…ja. Also ich habe ihr beide Sachen übergeben. Und ich soll dir ausrichten, ich zitiere, dass du dir die Einladung sonst wo hin stecken kannst und es nicht wagen sollst, sie nochmal zu belästigen oder ihr einen Boten zu schicken.
Ehrlich gesagt, hatte ich das Gefühl, dass sie nicht sonderlich versöhnlich aussah. Also als ich ihr das Bild gegeben hab, dachte ich im ersten Augenblick, dass sie dir verzeihen würdest, aber dann ist sie noch wütender geworden, keine Ahnung warum und wollte mir schon dir Tür vor der Nase zu knallen, doch ich hab ihr rechtzeitig noch die Karte gegeben und da ist sie dann völlig abgegangen. Übrigens sah sie dabei sehr…“ Erneut unterbrach ich ihn knurrend. „ Naja, wie auch immer. Dann hat sie dir halt die Abfuhr verteilt und weg war sie.“
Ich konnte mir ein Schmunzeln nicht verkneifen, hätte mich auch schwer gewundert, wenn sie so leicht nachgegeben hätte. Ehrlich gesagt, machte es mir sogar Spaß, dass sie nicht so leicht zu haben war. Endlich mal ein wenig Anstrengung… Grinsend zwirbelte ich den Bleistift zwischen meinen Fingern.
„Peter, pass auf, hol…….



Kapitel 6: Mayas Sicht




Wütend hatte ich versucht Jannis in Grund und Boden zu starren, doch er hielt meinem Blick furchtlos stand und so fochten wir ein stilles Blickduell aus. Mein Bruder hatte gestern kaum, dass ich die Tür hinter diesem dämlichen Boten zugeschlagen hatte, hinter mir gestanden und mir den Zettel, denn er vor der Tür gefunden hatte und wieder entknüllt hatte, und das Bild aus der Hand gerissen. Daraufhin wollte er natürlich, ganz der neugierige Bruder, unbedingt wissen, von wem das alles war. Leider konnte ich ihn einfach nicht anlügen, wenn er mir in die Augen sah und hatte natürlich direkt alles haargenau ausgeplaudert und gehofft, dass er David jetzt genauso hassenswert fand, wie ich, doch falsch gedacht! Mein mieser, hinterhältiger Bruder fand das Ganze absurderweise urkomisch und meinte doch glatt, dass ich zu dem Date gehen sollte. Mit einem belustigten Schnauben meinte er, dass ich schon zu lange keinen Spaß mehr gehabt hätte, geschweige denn einen Freund oder ähnliches und dringend auch mal wieder an mich und nicht nur an die „böse, schlechte“ Welt da draußen denken sollte. Daraufhin war ich enttäuscht nach oben in mein Zimmer gestürmt und hatte mich dort verbarrikadiert. Jannis drängendes Klopfen an meiner Tür hatte ich nur noch im Halbschlaf mitbekommen, denn sobald ich das Bett berührt hatte, fielen mir die Augen zu, da ich einfach unglaublich müde war. Leider ließ mich David auch in meinen Träumen nicht los und so erschien er immer wieder an meinen Lieblingstraumorten, sodass sie zu Albträumen wurden.
Völlig ausgelaugt schlürfte ich in das Badezimmer und ließ mir erneut ein heißes Bad ein, um richtig wach zu werden. Leider konnte ich nicht verhindern, einen Blick auf mein gerädertes Gesicht zu erhaschen, als ich an dem riesigen Spiegel an der Wand über der Badewanne vorbeiging. Tiefe Augenringe, rote Flecken, auf der einen Seite ein zerknautschtes Gesicht, verklebte Augen, wie konnte ein Tag besser beginnen? Genau, mit einer guten Portion Sarkasmus. Genervt schnitt ich meinem Spiegelbild eine Grimasse und vor mich her grummelnd tastete ich vorsichtig mit dem großen Zeh ins Wasser. Hmm…schön angenehm warm. Rasch ließ ich mich komplett in dem heißen Nass versinken. Sobald mein Körper komplett in der Wanne war, entspannte ich mich. Es gab einfach nichts Besseres als ein heißes Bad. Man konnte prima nachdenken, relaxen, träumen, Rachepläne schmieden, sich ausmalen, wie verhasste Personen richtig einen auf den Deckel bekommen, seine Sorgen und gewisse andere Probleme vergessen und gewisse Personen aus seinem Kopf verbannen.
Einfach nur vor sich hindämmern. Mit geschlossen Augen tastete ich nach meinem Lieblingsbadeschaum und schüttete ihn in Massen ins Wasser, sodass bald wieder Blubberblasen aufkamen und es schön nach Erdbeeren roch. Ich wickelte mir eine Strähne meines nassen Haares, das jetzt die Farbe von Rost angenommen hatte, um den Finger und leider schwenkten meine Gedanken schon wieder zu einem gewissen Thema. Sollte ich, oder sollte ich nicht? Ich hatte zwar abgesagt, aber war das wirklich richtig gewesen. Naja, jetzt war es eh zu spät, eher würde ich sterben, als noch bei ihm anzurufen und ihn darum zu bitten, doch mit mir Essen zu gehen! Außerdem hatte ich ja noch nicht mal seine Nummer, also konnte ich mich ja gar nicht bei ihm melden. So versuchte ich es mir zumindest einzureden. Nein, es war alles gut, so wie es war. Zu Ende, aus, vorbei, finito! Um mich abzulenken, dachte ich an mein gelungenes Projekt. Ich hatte es tatsächlich geschafft, meinen Film zu veröffentlichen. Um den Film zu drehen, hatte ich altes Material meiner Eltern genommen und alle möglichen Videoausschnitte. Leider hatte ich keine eigenen Fotos, da ich ja nicht mal eben einfach nach Afrika fliegen konnte. Verdammte Schule! Seitdem Tod meiner Eltern vor fünf Jahren, war ich auch nicht wieder in Afrika gewesen. Jannis hatte es mir nie erlaubt, weil er mich nicht alleine fliegen lassen wollte und er den Gedanken nicht ertragen konnte, diesen Kontinent nochmal zu betreten. Früher hatten wir quasi dort gelebt, immer wenn meine Eltern dort waren, um zu helfen und zu filmen, waren wir mitgekommen und hatten teilweise bei den Einheimischen gelebt. Der Gedanke an ihre fantastische Gastfreundschaft und an ihre Zufriedenheit, trotz ihrer Armut, zauberte mir immer wieder ein Lächeln aufs Gesicht. Hier gab es Leute, die hatten alles, was man sich mit Geld kaufen kann, waren aber noch lange nicht so glücklich, wie manch Eingeborener in Afrika. Doch auch die Schattenseiten waren mir in Erinnerung geblieben. Täglich starben Kinder vor lauter Hunger. Das Bild einer abgemagerten Leiche eines elfjährigen Mädchens, also genauso alt, wie ich zu der Zeit war, hatte sich für immer und ewig in mein Gehirn eingebrannt. Und das Gefühl der Hilflosigkeit, dem Wissen, dass man nichts dagegen tun konnte, dass anderen Kindern das Gleiche wiederfuhr, war einfach schrecklich. Aber meine Eltern hatten versucht, dagegen etwas zu tun und hatten vielen Kindern geholfen.
Als meine Haut schon zu schrumpeln begann, stieg ich widerwillig aus der Wanne und trocknete mich mit einem Handtuch ab, während ich einen Blick auf die Uhr warf. Schon vier Uhr. Glücklicherweise hatte ich heute nicht viel vor und konnte so gelassen in die Küche schlendern, nachdem ich mir eine komplizierte Flechtfrisur gemacht hatte. Wahllos öffnete ich die Schranktüren auf der Suche nach etwas Essbaren. Unglücklicherweise fand ich nichts und so zog ich mir seufzend meine Sneakers an, holte etwas Geld aus dem Küchenglas und schnappte mir den Regenschirm, da es immer noch am Schütten war. Scheiß Winter! Missmutig stapfte ich in Jogginghose zum nächsten Supermarkt, der zum Glück nicht weit entfernt war und versuchte wieder die Pfützen zu umgehen. Warum bekam es Jannis nur nie auf die Reihe pünktlich einzukaufen? Grübelnd warf ich die nötigsten Lebensmittel in den Wagen und rollte zur Kasse.
„Hey Maya, harte Nacht?“ Will grinste mich breit an, sodass man seine perfekten, weißen Zähne sah. Er arbeitete hier um sich das Geld für sein Studium zu verdienen und irgendwann waren wir dazu übergegangen uns zu begrüßen und so weiter halt.
„Ich hatte schon mal bessere. Aber du siehst auch nicht gerade sehr munter aus“, alberte ich zurück. Er tippte sich vielsagend lächelnd an die krumme Nase.
„Ja, ich hatte ein Date und es war ziemlich gelungen.“ Will war schon seit Wochen hinter einer Mitstudentin her und an seinem glückseligen Lächeln konnte ich erkennen, dass er sie scheinbar endlich erobert hatte.
„Glückwunsch Will, freut mich“ Das tat es wirklich. Er war einer der wenigen Menschen, die ich irgendwie wirklich mochte. Er war so offen und gutherzig und spielte niemanden etwas vor. Und obwohl er wirklich nicht der Hübscheste war, hatte er eine selbstsichere, charmante Art.
„Danke, mich auch“, während er meine Sachen scannte, grinste er mich breit an und erzählte mir ein wenig von dem Date.
Wenig später war ich wieder zu Hause und stellte meine nassen Schuhe in die Ecke. Rasch huschte ich in die Küche und schob mir eine Pizza in den Ofen. Kaum hatte ich die Backofentür zugeklappt, als plötzlich Jannis hinter mir auftauchte. Erschrocken fuhr ich herum und stieß mir dabei den Ellenbogen an der Theke.
„Jannis, du Idiot! Musst du mich so erschrecken?“, fuhr ich ihn immer noch wütend an.
„Tut mir Leid, Kleine. Aber ich habe Hunger und hab die Pizza gerochen. Ich krieg doch sicherlich ein Stück ab?“ Er schaute mich mit seinem Dackelblick aus den schokobrauen Augen an und ich konnte ihm einfach nicht weiter böse sein.
„Na gut, wenn es sein muss“, brummte ich und ließ mich auf den Küchenstuhl plumpsen.
„Und, gehst du jetzt hin?“ Ich wusste sofort, was er meinte, doch ich stellte mich dumm, um ihn ein wenig zu ärgern.
„Wohin?“ Betont fragend sah ich ihn an. Aber er hob spöttisch seine Augenbraue.
„Maya, ich kenn dich jetzt seit fast 17 Jahren, ich weiß ganz genau, dass du weißt, wovon ich rede. Also?“ Mist, hätte ich mir eigentlich denken können.
„Nein, ich geh nicht hin, immer noch nicht. Ich versteh einfach nicht, warum du mich dazu überreden willst. Er hat mich verletzt und beleidigt und eigentlich wäre es jetzt dein Job als großer Bruder, ihm wehzutun und ihn nicht noch zu unterstützen.“
Sanft sah Jannis mich an und strich sich eine schwarze Strähne aus dem Gesicht.
„Das würde ich normalerweise auch mit Freuden machen, aber so wie sich das Ganze für mich anhört, wollte er einfach nur nicht zugeben, dass er dich gezeichnet hat, weil er dich mag. Glaub mir, wir geben sowas nicht gerne zu. Vielleicht solltest du ihm einfach noch eine Chance geben, ich bin mir sicher, dass er dich mag, sonst würde er ja nicht versuchen, dich zu besänftigen, oder?“ Obwohl seine Argumente logisch klangen, war ich noch nicht überzeugt und sprang dann auch rasch auf, als das Klingeln des Ofens erklang. Mit knurrenden Magen holte ich die fertige, leckere Pizza raus und stellte sie auf den Tisch, während ich mit der Hüfte den Ofen wieder zudrückte.
Dann streckte ich mich um an den obersten Schrank dran zu kommen, in dem die Teller standen. Die ganze Zeit über, dachte ich über Jannis Erklärung nach, doch ich kam einfach nicht zu einem befriedigenden Ergebnis.
Schweigend aßen wir die Pizza und das Klappern des Bestecks dröhnte mir in den Ohren, weil es das einzige Geräusch war. Nachdem er fertig gegessen hatte, räumte Jannis sein Geschirr weg, doch bevor er aus der Küche trat, meinte er noch: „Denk nochmal drüber nach, ja?“
Und das tat ich. Den Rest des Tages tigerte ich, mangels einer Beschäftigung, durch das Haus. Egal was ich tat, die Frage, ob ich gehen sollte, spuckte mir ständig im Kopf herum.
Grübelnd lag ich auf dem Bett, die Beine hatte ich an der Wand hochgestreckt und mein Kopf baumelte halb aus ihm raus, meine Nachdenkposition, und hörte laute Musik. Sollte ich, oder sollte ich nicht? Mein Kopf dampfte schon vor lauter Grübeln, aber die Frage verschwand einfach nicht. Mit der einen Hand wühlte ich unter meinem Bett und suchte nach meinem Block. Ächzend fand ich ihn und da ich in meiner jetzigen Position nicht schreiben konnte, schlurfte ich zu meinem grünen Sitzsack und ließ mich bequem nieder. In dem dicken Block schrieb ich immer alle meine Gedanken auf und schrieb Gedichte oder Geschichten, doch nicht mal das, lenkte mich heute von meinen nervigen Gedankengängen ab. Ich griff in mein großes Süßigkeitenglas und angelte mir ein Bonbon, das ich gedankenverloren auspackte und mir dann in den Mund warf. Zum Glück traf ich direkt beim ersten Versuch. Vielleicht könnte ich ja einfach mal hingehen, und wenn es mir nicht gefiel und David mir wieder so dämlich kam, könnte ich Jannis anrufen, dass er mich abholen sollte. Verträumt faltete ich das Papier tausend Mal und schob das Bonbon immer mit meiner Zunge von der einen Backe in die andere. Ich wedelte mit dem Bleistift in meiner Hand ständig hin und her und malte Kreuzchen auf meinen Block. Ja oder Nein? Gott, sonst war ich doch auch nicht so unentschlossen. Abrupt sprang ich wieder auf und tigerte in meinem Zimmer hin und her. In einer Ecke entdeckte ich eine blaue Murmel, die mir mein Vater vor Jahren geschenkt hatte. Vollkommen gefrustet, beschloss ich, einfach die Murmel entscheiden zu lassen. Ich würde sie hochwerfen und wenn sie auf meiner linken Seite landete, würde ich hingehen. Entschlossen hob ich sie auf und warf sie hoch. Mit Adleraugen verfolgte ich ihren Weg und sie landete - rechts. Ich würde also nicht hingehen. Erleichtert darüber, dass ich mich jetzt endlich entschieden hatte, ließ ich mich auf mein Bett plumpsen und schloss entspannt die Augen. Doch irgendwie war ich ein klein wenig, aber auch nur ein kleines bisschen, enttäuscht. Nein! Ich würde jetzt hier nicht schon wieder anfangen zu zweifeln, meine Entscheidung war gefallen. Ein Blick auf meinen altmodischen Wecker mit dem riesigen Ziffernblatt verriet mir, dass es schon sieben Uhr war. Wie schnell der Tag vergangen war. Träge stand ich auf und schlurfte in Jannis Zimmer, das direkt neben meinem lag. Leider waren die Wände in unserem Haus ziemlich dünn und so hatte ich immer laut und deutlich gehört, wenn Jannis eine „Freundin“ da hatte. Irgendwann war mir der Kragen geplatzt und ich hatte ihm bei Frühstück drauf angesprochen. Sein Gesicht würde ich nie vergessen, total überrascht war ihm mit offenem Mund das Brötchen aus der Hand gerutscht.
„Du hast es mitgekriegt?!“ Entsetzt hatte er mich angesehen und ich hatte mir ein Grinsen nicht verkneifen können.
„Natürlich, was denkst du denn. Bei dem Gestöhne?“ Er war sogar ein bisschen rot geworden und hatte sich tausend Mal entschuldig und rumgestottert, dass es nicht wieder vorkommen würde. Schnell hatte ich ihn beruhigt, trotzdem hatte er mir versichert, dass er keine seiner Freundinnen mehr mit nach Hause nehmen würde.
Bei dem Gedanken an den Tag, schlich sich ein Grinsen auf meine Lippen. Manchmal machte es echt Spaß ihn ein wenig zu ärgern, aber er war trotzdem der beste, große Bruder, den man sich wünschen konnte.
Deswegen klopfte ich auch jetzt an seine Tür und trat aber ein, bevor er reagieren konnte.
Er hatte seine fetten Micky-Maus Kopfhörer auf und wackelte fleißig mit dem Kopf zur Musik. Seine Augen waren starr auf den Bildschirm seines Laptops gerichtet. Vermutlich beschnitt er mal wieder irgendein Video oder Lied. Vor zwei Jahren hatte er sein Studium mit Bravur beendet und arbeitete nun bei einer kleinen Filmindustrie. Ich wusste, dass er davon träumte, bei einer größeren zu arbeiten und er hätte dort sicherlich eine Job bekommen, aber da er wegen mir nicht umziehen konnte, musste er vorerst hier bleiben. Obwohl er mir schon tausend Mal versichert hatte, dass ihm das nichts ausmachte, fühlte ich mich bei dem Gedanke doch mies.
Leise schlich ich mich an ihn heran und zwickte ihn dann in die Seite. Ruckartig fuhr er herum und der alte Drehstuhl quietschte wie verrückt.
„Maya, musst du mich immer so erschrecken?“ Aber ich wusste, dass er nicht böse war, denn er zog mit einem belustigten Funkeln in den Augen, die Kopfhörer ab.
„Das musst du gerade sagen, du bist doch hier der Meister des Erschreckens“, lachte ich zurück.
Mit einem unheilvollen Grinsen sah er auf mich herab und ich hatte schon so eine böse Ahnung, was jetzt kommen würde. Ehe ich flüchten konnte, hatte er sich auf mich gestürzt und begann mich zu kitzeln. Ich hasste das! Er machte das ständig um mich zu ärgern, da ich schon lachen musste, wenn man mich nur kitzlig ansah. Vor allem lachte ich dann so heftig, dass ich anfing zu weinen und ich bekam keine Luft mehr. Und ich japste dann immer, dass er aufhören sollte, doch manchmal machte er dann fieser Weise sogar ein Foto, wie ich da so wie ein Fisch auf dem Trockenen zappelte. Er hatte im hinteren Teil seines Zimmers, an der Wand mit dem riesigen Wasserbett, auf das ich mich immer so gerne schmiss, eine große Pinnwand. Und an der hingen Millionen von Fotos von mir in den verrücktesten Positionen. Ich stand ihm manchmal Model, wenn er eine neue Kamera ausprobieren wollte oder neue Techniken. Er war echt der totale Fotofreak, aber ich musste zugeben, dass es mir auch Spaß machte, mit ihm Fotos zu schießen.
Auch bei dieser hinterhältigen Attacke fing ich schon bald wieder an zu heulen und zu lachen, doch bevor ich endgültig um Gnade betteln konnte, klingelte es auf einmal an der Tür. Dankbar für die Rettung, kletterte ich aus Jannis Armen und hetzte die Treppe runter. Im Vorbeigehen sah ich im Spiegel, dass meine ehemals so schöne Flechtfrisur ziemlich ruiniert war und ich überall rote Flecken im Gesicht hatte. Ohne nachzudenken, riss ich die Tür auf, doch als ich sah, wer davor stand, wollte ich sie direkt wieder zuschlagen, doch da wurde ein Fuß dazwischen geschoben. Wütend drückte ich dagegen, doch der Fuß bewegte sich keinen Millimeter. Also öffnete ich die Tür wiederwillig ein Spalt breit.
„Was willst du?“, blaffte ich den Typ von gestern Abend an, der mir das Bild und die Einladung gebracht hatte.
„Ich soll Sie abholen“, meinte er galant und deutete auf die Limousine, die am Bürgerstein parkte.
Verständnislos sah ich ihn an.
„Ihre Verabredung mit David ist gleich. Er hat mir aufgetragen, Sie abzuholen.“
Obwohl seine Worte sehr höflich waren, war sein Ton wieder so … amüsiert und er glotze mich abermals so an. Erst langsam sickerte das Gesagte zu mir durch. Abholen?
„Bist du schwerhörig oder einfach nur dumm? Hatte ich nicht gesagt, dass ich nicht hingehen werde? Und jetzt tu deinen verdammten Fuß da weg!“ Wütend redete ich auf ihn ein. Was bildete David sich eigentlich ein?
„Tut mir Leid. Aber David hat mir ausdrücklich aufgetragen, Sie unter allen Umständen mitzunehmen.“
Ich schnaubte abfällig. „Aber freiwillig werde ich ganz bestimmt nicht mitgehen. Dann müssen sie mich schon kidnappen.“
Auf einmal hörte ich schwere Schritte hinter mir und dann knurrte Jannis: „Wer will dich kidnappen?“
Bitterböse starrte er den Boten an, der unter diesem Blick förmlich zusammenschrumpfte.
„Es hat doch niemand was von kidnappen gesagt, Sir. Ich habe nur den Befehl sie zu der Verabredung zu bringen.“ Ich hoffte, dass Jannis ihn jetzt zusammenstauchen würde und ihn wegjagen würde, doch seine grimmige Miene erhellte sich schlagartig und er grinste den Boten an.
„Aber natürlich kommt sie mit. Sie braucht unbedingt mal wieder ein wenig Spaß. Aber ich warne dich, wenn ihr irgendetwas passiert, mache ich dich dafür verantwortlich.“ Am Schluss seiner Verräterrede, senkte er seine Stimme bedrohlich und spannte seine beachtlichen Oberarmmuskeln an. Der Bote schluckte hastig und wackelte zustimmend mit dem Kopf.
„Natürlich, ihr wird nichts passieren.“
Ich hasste es, wenn sie wie ein Stück Fleisch hier über mich sprachen.
„Verdammt! Ich habe immer noch nicht zugestimmt. Und du Jannis, du bist echt ein mieser Verräter. Du kannst doch nicht einfach so über mich bestimmen!“, fuhr ich ihn an, doch er sah mich nur zärtlich an.
„Maya, du bist seit Monaten nicht mal abends weggewesen. Du musst doch auch mal Spaß haben. Und wenn es dir nicht gefällt, ruf mich an und ich hol dich sofort ab. Aber versuch es doch wenigstens.“
Als er mir so überzeugend in die Augen sah, grummelte ich so vor mich hin.
„Na gut, von mir aus“, nuschelte ich. Daraufhin strahlte Jannis mich an.
Um es schnell hinter mich zu bringen, lief ich auch gleich los zur Limousine an den beiden vorbei.
„Na los. Lass uns fahren“, meinte ich energisch, doch da ich keine Schritte hörte, die mir folgten, drehte ich mich um.
Beide standen noch an Ort und Stelle und starrten mir hinterher.
„Wo bleibst du denn?“, meinte ich an den Boten gewandt. Der sah mich mit großen Augen an und meinte dann: „Ähmm…wollen Sie sich nicht noch umziehen?“ Er ließ seinen Blick über meine Jogginghose, das rote Shirt von Jannis, das mir viel zu groß war und über meine zerstörte Frisur gleiten. Als ich mein Outfit bemerkte, huschte ein diabolisches Lächeln über mein Gesicht. Wenn man mich schon quasi zu diesem Date zwang, wollte ich David wenigstens ein wenig provozieren.
„Aber wieso denn?“ Unschuldig sah ich ihn an und ich bemerkte förmlich, wie die Rädchen im seinen Hirn ratterten. Er konnte mir ja schlecht sagen, dass ich so unmöglich auf ein Date gehen konnte, da er mich wahrscheinlich nicht noch weiter verärgern wollte und dadurch riskieren würde, dass ich doch nicht mitkäme.
„Äh, nur so. Los gehen wir.“ Rasch lief er auf das Auto zu und öffnete mir die Tür. Ich ließ mich auf den Sitz plumpsen und sah belustig zu, wie er ebenfalls einstieg und mir direkt etwas zu trinken anbot.
„Nein, danke“, wiegelte ich ihn ab. Ich fragte mich, was David ihm angedroht hatte, dass er so zuvorkommend war.
„Wie heißt du eigentlich?“, fragte ich ihn neugierig, wie ich nun mal war. Schließlich wollte ich ihn nicht ganze Zeit den „Boten“ nennen.
„Peter“, antwortete er mir überrascht, als ob er diese Frage nicht erwartet hätte.
Ich brummte bestätigend und legte dann äußerlich entspannt meine Füße auf den Sitz.
Doch innerlich war ich ziemlich aufgewühlt. Warum saß ich jetzt hier und ging tatsächlich zu dem Date? Warum hatte ich mich nur von Jannis überreden lassen?
„Ähm…wir sind da“, unterbrach mich Peter aus meinen Gedanken. Rasch blickte ich aus dem Fenster und stellte fest, dass wir tatsächlich schon angekommen waren. Überall parkten Limousinen und edel gekleidete Leute stiegen aus und stolzierten in das hell erleuchtete Restaurant. Als Peter schnell um das Auto herum ging, um mir die Tür zu öffnen, war mein Selbstwertgefühl gerade am Nullpunkt angekommen. Warum zum Teufel hatte ich mich nicht schicker gemacht? So konnte ich doch nicht da raus gehen. Alle Frauen hatten fantastische Kleider an und ich? Ich passte überhaupt nicht hierher. Obwohl Peter die Tür bereits geöffnet hatte, blieb ich erstarrt sitzen. Er schaute mich fragend an und ich wäre am liebsten wieder umgekehrt, doch dann gab ich mir einen Ruck. Jetzt war ich hier und ich wollte David ja provozieren, also Augen zu und durch. Tapfer schwang ich meine Beine aus dem Wagen und lief an Peters Seite ins Restaurant. Von allen Seiten wurde ich wie ein Alien angestarrt und zwei aufgetakelte Frauen mit fetten Diamantenketten um den Hals tuschelten hinter vorgehaltener Hand, als sie mich endeckten. Doch als ich sah, dass sie es nötig hatten, sich so aufzubrezeln, fand ich mein Outfit gar nicht mehr so schlimm. Etwas mutiger hob ich meinen Kopf und lief zielstrebig auf die Eingangstür zu. Das Gesicht des Typens am Eingang verdüsterte sich und sein Strahlelächeln, das er für all die vornehmen Gäste aufsetzte, verschwand.
„Kann ich Ihnen helfen?“, presste er hervor.
„Ja, ich will zu David Johnsons Tisch.“
Misstrauisch schaute der Mann in sein dickes Gästebuch und blickte dann grimmig wieder auf.
„Tut mir leid. Aber Mister Johnson hat heute eine Verabredung mit seiner Freundin und will unter keinen Umständen gestört werden.“
Seine Freundin? Seit wann war ich seine Freundin? Der konnte aber was erleben. Ich war nicht seine Freundin!
„Ich bin seine Freundin.“ Bei dem Widerspruch zu meinen Gedanken, musste ich kurz grinsen.
„Und jetzt sagen sie mir bitte, wo ich ihn finden kann“, meinte ich energisch. Doch er sah nicht sonderlich überzeugt aus und musterte abermals missbilligend meine Kleidung.
Da griff Peter endlich ein. „Ich bin Mister Johnsons Chauffeur und ich kann ihn bestätigen, dass dies seine Begleitung für den heutigen Abend ist.“ Langsam kamen dem Typen Zweifel, denn er steckte ziemlich in der Zwickmühle. Wenn er mich rein ließ und ich wäre nur so eine verrückte Stalkerin würde er Probleme mit David bekommen und damit dann auch mit seinem Vorgesetzten. Anderseits könnte ich ja tatsächlich seine Freundin sein und dann würde das Gleiche passieren. Gehetzt sprangen seine Augen zwischen uns beiden hin und her, aber er kam einfach nicht zu einer Entscheidung. „Peter, kannst du David nicht einfach anrufen. Ich hab nämlich ehrlich gesagt, keine Lust noch länger rumzustehen“, meinte ich irgendwann. Nickend holte Peter sein Handy aus der Tasche und wählte Davids Nummer. Doch scheinbar ging niemand ran, denn er steckte sein Handy wieder ein, ohne dass er etwas gesagt hatte. Er schüttelte den Kopf und meine Geduld war am Ende. „Dann geh ich eben einfach so rein“, grinste ich und stolzierte vornehm, wenn man es denn vornehm nennen konnte, an dem Typen vorbei.



Kapitel 7: Mayas Sicht




Die Glastür öffnete sich automatisch und bevor er mich aufhalten konnte, war ich schon im Restaurant drin. Natürlich wurde ich direkt von mehreren Leuten auffällig beglotzt, doch da ich so selbstverständlich hier rein spazierte, wagte es niemand mich aufzuhalten. Ich sah mich nach David um, doch ich konnte ihn nirgends entdecken. Also lief ich weiter nach hinten und hielt nach ihm Ausschau. Erst als ich schließlich fast in die hinterste Ecke dieses Edelrestaurants gekrochen war, fand ich ihn endlich. Er saß ganz alleine an einer etwas größeren Sitzecke, die unheimlich bequem aussah. Irritierenderweise war es hier sehr viel dunkler als im Rest des Gebäudes, außerdem wirkte es ziemlich abgetrennt. Die dicke, rote Kerze am Tisch warf flackernde Schatten auf sein Gesicht und ich musterte ihn fasziniert. Er sah einfach unglaublich gut aus, auch wenn ich mir ein kleines Grinsen nicht verkneifen konnte, als ich sah, dass er einen Anzug trug. Scheinbar fühlte er sich auch nicht sonderlich wohl darin, denn er zupfte immer wieder an seinem Kragen, lockerte die Krawatte, glättete eine Falte. Die knatsch gelbe Krawatte, die überhaupt nicht in einen solchen Laden passte, wirkte wie eine Trotzaktion von ihm und bei dem Gedanken verzogen sich meine Mundwinkel ein bisschen nach oben. Irgendwie wirkte das Ganze auf mich ein bisschen so, als ob sein Vater ihn dazu gedrängt hätte, mich hier zu treffen. Das passte nicht zu ihm, aber anderseits…was wusste ich schon? Ich könnte nicht sagen, was eher zu ihm passte, denn ich kannte ihn nicht. Wir hatten einen Tag miteinander verbracht. Zwar einen ereignisreichen, an dem ich ein paar Charakterzüge von ihm hatte entdecken können, zum Beispiel, dass er gern spielte und ein Erpresser war und gerne malte. Aber sonst? War er eher der romantische Typ, oder hätte er mich in ein Schnellrestaurant eingeladen? Bei dem Gedanken verzogen sich meine Mundwinkel unwillkürlich wieder kurz nach oben. Da hätte mein Outfit dann besser gepasst.
Auf einmal wandte er seinen Kopf in meine Richtung und als er mich entdeckte, schaute er mich zuerst verdutzt an, aber dann breitete sich ein breites und amüsiertes Lächeln auf seinem Gesicht aus. Rasch sprang er auf und kam auf mich zugeeilt. Desto näher er kam, desto breiter wurde sein Lächeln, sodass ich schon dachte, dass seine Mundwinkel bald reißen würden. Leider konnte ich nicht anders, als sein Lächeln zu erwidern, da es ziemlich ansteckend war. Verdammt! Eigentlich wollte ich ihn doch ärgern, weil er mich hier hin mehr oder weniger gezwungen hatte.
„Hey, tolles Outfit“, meinte er schmunzelnd und musterte mich von oben bis unten.
„Ja, find ich auch. Der Portier konnte es gar nicht abwarten, mich hinein zu bitten.“ Ich konnte nicht anders als auf das ungezwungene Spiel einzugehen. „Da fällt mir ein…warum bin ich hier als deine Freundin bekannt, hmmm?“ Ich versuchte böse zu gucken und scheinbar gelang es mir auch einigermaßen, denn er guckte schuldbewusst, doch ich sah den Schalk in seinen Augen.
„Wie sollte ich dich denn sonst betiteln. Meine erpresste Begleitung?“
„Ha, du gibst es also zu, dass du ein gemeiner Erpresser bist!“, triumphierte ich grinsend.
„Nein, ich gebe nur zu, dass ich deinem Kommen hierher vielleicht einen kleinen Schupser in die richtige Richtung gegeben habe“, grinste er unschuldig.
„Einen kleinen? Ich glaube, du hast Peter ziemlich fertig gemacht. Der Arme hätte mich wahrscheinlich sogar verschleppt, nur um sich nicht deinen Zorn auf sich zu ziehen. Wo wir doch alle wissen, was für ein Arsch du sein kannst“, gurrte ich und mit voller Absicht deutete ich auf sein Verhalten von gestern hin.
Schlagartig verdüsterte sich seine Mine und er schaute mich schuldbewusst an.
„Das wegen gestern tut mir leid. Du bist auf keinen Fall nur eine meiner Eroberungen. Und normalerweise zeichne ich diese auch nicht.“ Abwartend sah er mich an, doch ich war nicht überzeugt. Aus irgendeinem Grund mochte ich ihn, denn er war lustig und irgendwie anders, aber trotzdem vertraute ich ihm nicht. Auf keinen Fall. Dazu kannte ich ihn noch nicht gut genug und das, was er gestern abgezogen hatte, war echt scheiße gewesen. Außerdem hatte er schon so einen Ruf an unserer Schule nicht sonderlich vertrauenswürdig zu sein. Normalerweise gab ich nicht so viel auf Gerüchte, aber ich hatte ja selber gemerkt, dass er ein Arsch sein konnte.
„Wollen wir nicht erstmal etwas essen? Ich hab gehört hier soll es super leckeres Essen geben“, meinte ich und wich damit seiner Entschuldigung aus. Den Ausdruck, der daraufhin in seinen Augen auftauchte konnte ich nicht wirklich deuten. Verletztheit, Traurigkeit, Enttäuschung, Wut?
Aber scheinbar hatte er verstanden, dass ich vorerst erst mal nicht mehr darüber reden wollte und ihm noch nicht verziehen hatte, denn er deutete auf den Tisch und meinte:
„Ja, das Essen ist wirklich lecker. Mein Vater nimmt mich manchmal bei Geschäftsessen mit, das ist dann das einzige Gute an dem sonst todlangweiligen Besuch hier.“
Hatte ich als doch recht, ihm gefiel es also auch nicht so sonderlich hier.
Wir schlenderten zum Tisch und ließen uns auf dem weichen Sitzpolster der Bank nieder. Die Bank stand entlang drei Seiten des Tisches, sodass wir uns gegenüber saßen. Ein riesiger Blumenstrauß aus lila Lilien versperrte uns aber ziemlich die Sicht. Verwundert sah ich mich um, auf den anderen Tischen standen keine Sträuße, warum also auf unserem? Lila Lilien waren meine Lieblingsblumen, aber das konnte David doch nicht wissen.
Der schob den Strauß betreten ein wenig zur Seite.
„Ähmm…mein Vater meinte, ich sollte dir Blumen mitbringen. Und da ich in deinem Zimmer die Lilien gesehen habe, dachte ich, ich bring dir solche mit.“ Verblüfft sah ich ihn an. Er hatte sich solche Details aus meinem Zimmer eingeprägt? Ich versuchte, das nicht süß zu finden. Ich hatte ihm nämlich immer noch nicht verziehen.
„Nett. Machst du immer das, was dein Vater dir vorschlägt?“ Ich konnte es nicht lassen, ihn ein wenig zu provozieren, denn ich hatte das Gefühl, dass sein Vater wirklich versuchte, ihm bei allem Ratschläge zu geben und ihn dann aber auch dazu drängte.
Doch ich hatte nicht damit gerechnet, dass sich Davids Miene bei der Erwähnung schlagartig verdüsterte.
„Nein, tu ich nicht“, fauchte er schon förmlich und ich schaute ihn ein wenig erschrocken an. Was hatte er denn jetzt?
Als er merkte, dass er mich erschreckt hatte, wurde seinen Gesichtszüge wieder weicher.
„Tut mir leid. Ich hatte nur ein wenig Ärger heute mit meinem Vater“, murmelte er und griff dann nach der Speisekarte. Selbst die war edel. Dickes schwarzes Leder umhülle das Heft und die Ränder waren mit Gold verziert. Gott, wurde einem von dem ganzen Prunk hier nicht schlecht?
„Hmmm“, brummte ich nur, da ich nicht wusste, was ich darauf antworten sollte.
Als ich ebenfalls die Speisekarte aufschlug, musste ich feststellen, dass ich kein Gericht identifizieren konnte.
„Ähmm…kannst du irgendetwas empfehlen?“, fragte ich unschuldig. Er grinste mich amüsiert an.
„Am Anfang hab ich auch keins der Gerichte gekannt, aber ich würde dir das zweite von oben empfehlen. Das Unaussprechliche. Hört sich zwar komisch an, ist aber köstlich“, schwärmte er.
„Und was ist es?“, schmunzelte ich.
„Lass dich überraschen. Ich bin mir sicher, dass es dir schmeckt“, tat er geheimnisvoll.
„Ich hasse Überraschungen, sags mir!“ Doch er schüttelte nur den Kopf und ich versuchte es nicht erneut. David winkte dem Kellner zu, der halb versteckt hinter einer großen Pflanze wartete.
Die waren hier aber echt diskret und erfüllten jeden Wunsch nach Privatsphäre. Hastig kam er zu unserem Tisch und fragte nach unseren Wünschen. Fasziniert starrte ich ihn von der Seite an. Ich hatte nicht geglaubt, dass es tatsächlich Kellner gab, die so aussahen, wie so richtige aus Filmen. Er hatte einen schwarzen Anzug an und ein weißes Tuch über den Arm hängen. Pikiert betrachtete er mich auch, ließ sich aber bei Davids nichts anmerken. David bestellte für uns und schon war er wieder verschwunden. Als mein Blick auf sein teures Handy fiel, das er kurz rausholte um auf die Uhr zu schauen, erinnerte ich mich wieder an etwas.
„David, du hast deine ganzen Sachen noch bei mir liegen. Dein Computer und so…“
„Keine Sorge. Ich brauche sie nicht, hab noch genug zu Hause. Und wer weiß, vielleicht brauchen wir sie ja nochmal bei dir. Hast du vor dich in nächster Zeit irgendwo einzuhacken?“ Belustigt schüttelte ich den Kopf und er guckte gespielt enttäuscht, wie ein Hund, dem man seinen Spielball weggenommen hatte.
„Na, dann hab ich wenigstens ein Vorwand um in den nächsten Tagen nochmal bei dir vorbeizukommen“, grinste er. Seine Offenheit überraschte mich, normalerweise war er doch eher geheimnisvoll und verschlossen, oder nicht?
„Ich glaube, da muss dir aber ein bessere Grund einfallen, damit ich dich nochmal in mein Haus lasse“, neckte ich ihn und er nahm grinsend die Herausforderung an. Im selben Moment wunderte ich mich über die Vertrautheit zwischen uns beiden, die ich eigentlich gar nicht wollte. Aber irgendwie … ich mochte seine Gesellschaft. Er war schlagfertig, ironisch und humorvoll. Ärgerlich gab ich mir innerlich eine Ohrfeige. Ich war immer noch sauer auf ihn! Ich hörte seine Antwort auch nicht, denn aus dem Augenwinkel lenkte mich eine grelle Gestalt ab. Eine hochgewachsene, schlanke Frau mit wasserstoffblond gefärbten Haaren und einem kurzen, pinken Kleid lief an unserer Nische vorbei und tippte etwas auf ihre pinkes Handy ein. Aber als sie uns entdeckte stockte sie überrascht, schaute noch mal hin und dann wurde sie wütend. Stocksauer kam sie auf uns zu gestöckelt und ich schaute sie verwirrt an. Wer war das denn?
„David! Wie kannst du mir das nur antun?“, kreischte sie und deutete mit einer herablassenden Handbewegung auf mich.
„Willst du mich total demütigen? Erst meldest du dich nicht mehr und ich verteidige dich auch noch vor allen meinen Freundinnen, die meinen, dass du mich sitzen lassen würdest und jetzt tauchst du auch noch mit so einer asozialen Schlampe in unseren Lieblingsrestaurant auf? Damit beschmutzt du all die schönen Erinnerungen an unsere Beziehung.“ Empört schnappte sie nach Luft. „Wieso gibst du dich überhaupt mit so einer ab? Bei mir kriegst du keinen mehr hoch, aber bei der, oder was? Was ich nicht lache! Wahrscheinlich will dich sonst keine mehr, wegen deinem Problem mit deinem …“
David unterbrach sie, denn sie steigerte sich immer mehr in ihre Hasstirade rein und kreischte laut.
Wahrscheinlich wollte er nicht, dass die gesamte Oberschicht San Diegos von seinem Potenzproblem erfuhr.
„Libby, beruhig dich doch…“ Doch sie kreischte schon wieder los.
„Beruhigen? Wo du mich doch öffentlich demütigst? Alle werden denken, dass du dich lieber mit so jemand abgibst, als mit mir. Was für eine Schande!“ Dann wandte sie sich an mich. „Hat er dich dafür bezahlt, dass du hier mit ihm bist? Wer will denn sonst schon einen, der keinen mehr hochbekommt?“ Oh Mann, langsam reichte es mir. Die beleidigte mich ja am laufenden Band. Jetzt bereute ich es, dass ich kein schickes Kleid anhatte, so gab ich ihr ja noch mehr Anlässe mich zu beleidigen.
„Nein, er mich nicht dafür bezahlt. Denn es liegt ganz sicher nicht an ihm, dass er bei dir keinen mehr hochbekommt! Ich kann dir versichern, dass er sehr wohl dazu in der Lage ist. Und wie!“, meinte ich mit einem vieldeutigen Blick auf seine Hose. Keine Ahnung, warum ich das jetzt tat, aber es war wie ein Reflex oder Drang und wenn ich heute nur daran dachte, stieg mir die Röte noch ins Gesicht, aber meine Hand landete genau da, wo wir beiden gerade noch gebannt draufgestarrt und drüber diskutiert hatten. Genau zwischen Davids Beinen. Zischend holte David Luft und in Zeitlupe schwenkte sein Kopf in meine Richtung und dann auf seinen Schoß. Libby erstarrte und hörte mitten in ihrem Gekeife auf. Keiner sagte etwas oder atmete und mein Gehirn fuhr gerade Achterbahn. Was tat ich da, verdammt? Warum nahm ich meine Hand nicht weg? Diese Libby hatte mich einfach so sehr gereizt mit ihren ganzen Beleidigungen und da wollte ich ihr eins auswischen. Aber ich nahm meine Hand einfach nicht weg.
„Libby, könntest du jetzt bitte gehen?“, zischte David, aber er schaute sie nicht an. Sein Blick war starr auf meine Hand gerichtet. Und ich glaubte sogar, dass sich bei ihm etwas regte. Oh mein Gott, er war erregt. Erst das riss mich aus meiner Trance und ich wollte schlagartig meine Hand wegnehmen, doch auf halben Weg packte er meine Hand und hielt sie einfach fest. Als sein Adamsapfel hüpfte, sah ich, dass er angestrengt schluckte. Als er seine Finger bewegte, dachte ich zuerst, er wollte meine Hand wieder auf seinen Schoss legen und ich hielt angespannt die Luft an, denn die Situation war irgendwie…atemberaubend. Doch ruckartig ließ er meine Hand los, als ob er sich verbrannt hätte. Schnell zog ich meine Hand zurück und legte sie verunsichert auf den Tisch. Aber als sein Blick darauf fiel, nahm ich sie sofort zurück und schob sie unter meine Oberschenkel. Ich traute mich gar nicht ihm in die Augen zu sehen. Was musste er jetzt bloß von mir denken? Ich war eine perverse Kriminelle mit ungepflegtem Aussehen. Am liebsten wäre ich im Boden versunken, als mir bewusst wurde, dass es tatsächlich auf ihn diesen Eindruck machten musste. Rasch blickte ich zur Seite und entdeckte, dass Libby tatsächlich nicht mehr da war. Wahrscheinlich hatte sie es hart getroffen, dass es scheinbar tatsächlich an ihr lag und nicht an ihm. Oh verdammt… ich machte mir eindeutig zu viele Gedanken über seine Erektion. Das war so peinlich. Am liebsten wäre ich jetzt einfach abgehauen, aber das würde die Situation nicht gerade verbessern. Wie hieß es noch immer so schön? Angriff ist die beste Verteidigung. Obwohl, vielleicht eher Ablenkung.
„Ähm…ich nehme an, Libby ist deine Ex-Freundin?“ Erst da registrierte ich das erst so richtig. Das war mal seine Freundin gewesen? Mit so einer war er mal zusammen gewesen? Das konnte ja nicht von einem guten Charakter zeugen. Und scheinbar stand er ja auf Barbies. Betreten blickte ich an mir runter, doch dann strafften sich meine Schultern wieder. Es war mir vollkommen egal auf was für Frauen er stand. Ich würde dieses Desaster Date jetzt noch irgendwie hinter mich bringen und dann versuchen ihn nie wieder zu treffen.
„Naja, wirklich so nennen kann man es nicht. Wir hatten eher eine lockere Beziehung“, versuchte er zu erklären, doch als er meinen Gesichtsausdruck sah, wusste er, dass er sich noch tiefer reingeritten hatte. Die beiden hatten eine Sexbeziehung? Und dann war sie ihm zu langweilig geworden und jetzt brauchte er ein neues Spielzeug, oder was?
„Und warum erpresst du mich dann, dich zu küssen, wenn du doch schon eine hast, die du küssen kannst und mit der du schlafen kannst?“, meinte ich mit gefährlich leiser Stimme. Ich verspürte einen kleinen Stich, als ich merkte, dass er scheinbar doch so war, wie viele aus unserer Schule erzählten. Er war ein Arsch. Verdammt! Und mir hatten die Küsse auch noch gefallen.
„Maya, ich will nur dich küssen. Ich hab mit Libby schon davor Schluss gemacht, weil ich sie nicht mehr ertragen konnte“, meinte er ernst und blickte mir direkt in die Augen. „Es tut mir leid, dass du das mitgekriegt hast und sie dich so beleidigt hat. Ich wusste nicht, dass sie hier ist.“ In seinem Blick lag wirkliche Reue, aber trotzdem war ich irgendwie noch…angeekelt. Gott, diese Libby war einfach schrecklich gewesen und total anders als ich. Das musste doch bedeuten, dass er entweder vorher oder nachher eine eindeutige Geschmackverirrung erlitten hatte. Mein dummes Herz hoffte natürlich auf vorher, aber mein Verstand blieb weiterhin zurückhaltend.
Als ein weiteres aufgetakeltes Pärchen an uns vorbei lief und uns abfällig anschaute, hatte ich endgültig keine Lust mehr, hier zu sein.
„Können wir woanders hinfahren?“, fragte ich David also einfach. Ich war kurz davor, ihn einfach zu bitten, mich nach Hause zu bringen, doch irgendwas hielt mich davon ab. Leider hatte ich die Angewohnheit immer vor allem wegzulaufen, doch diesmal wollte ich es zumindest mal versuchen. Jannis hatte Recht, ich wirklich schon seit Ewigkeiten nicht mehr wirklich viel Spaß gehabt.
„Natürlich, wohin willst du denn?“, meinte er hektisch und stand auf. Es sah fast so aus, als ob er sich wirklich Mühe geben wollte, dass das Date doch noch gelang.
„Vielleicht einfach zum Dönermann? Ich hätte gerade so richtig Hunger auf einen Döner“, schmunzelte ich. Zwar störte mich die ganze Sache mit Libby immer noch gewaltig, aber ich würde nie erfahren, ob David wirklich so war, wie alles sagten oder nicht, wenn ich jetzt einfach gehen würde.
„Klar, ich sag sofort Peter Bescheid“, meinte er ernst und stand auf.
„Maya, es …“, setzte er aber kurz darauf wieder an.
„Lass es einfach gut sein, ja?“, unterbrach ich ihn aber. Ich wollte keine Entschuldigen mehr hören, die Sache mit Libby wollte ich erstmal vergessen. Stumm nickte er und lief vor in Richtung Ausgang. Ich beeilte mich hinter ihm her zu kommen und hörte, wie er zu dem Mann am Eingang sagte, dass wir kurzfristig weg müssten und sie ihm die Rechnung schicken sollten.
Er winkte Peter heran, der auf dem Parkplatz in der Limousine herumgammelte und wir warteten schweigend in der Kälte auf den Wagen. Sobald das Auto hielt, sprang Peter heraus und hetzte um das Auto herum um uns die Tür aufzuhalten. Trotzt meiner immer noch nicht so tollen Stimmung, verzogen sich meine Mundwinkel ein wenig nach oben, wegen seiner Übereifrigkeit. Rasch stieg ich ins Warme und ließ mich auf den bequemen Sitz nieder. Als David Anstalten machte, ebenfalls einzusteigen, rutschte ich aber schnell ans andere Ende, damit wir nicht direkt nebeneinander saßen. Ich wollte meine Ruhe und die hätte ich nicht, wenn ich direkt neben ihm sitzen würde und ganze Zeit seine Anwesenheit spürte. Aber der Idiot machte mir einen Strich durch die Rechnung, er setzte sich nicht einfach ans anderen Ende der Sitzbank, sondern mir schräg gegenüber, sodass ich ihn genau im Blickfeld hatte. Jetzt verfluchte ich die Limousine mit ihren gegenüberliegenden Sitzplätzen. Rasch wendete ich meinen Blick und schaute einfach stur aus dem Fenster. Aber da es dunkel war, konnte ich nicht viel erkennen, nur ein paar Häuser die im schummrigen Schein der Straßenlampen ein wenig erhellt waren. Die fünf Minuten, die wir jetzt schon unterwegs waren, kamen mir wie eine Ewigkeit vor, da es mucksmäuschen still in dem Raum war, da niemand von uns redete. Peter hatte sich wohl nach vorne auf den Beifahrersitz verkrümelt, da er der gespannten Atmosphäre entkommen wollte. Eigentlich hatte ich gedacht, dass ich die Sache mit Libby einfach ignorieren könnte, doch in der jetzigen Stille, musste ich wieder darüber nachdenken. Verdammt, warum regte mich das eigentlich so auf? Ist ja nicht so, dass ich irgendetwas für ihn empfinden würde, oder? Nein, ich kannte ihn ja noch nicht mal richtig. Irgendwie wusste ich gerade einfach nicht was ich fühlte und was ich wollte. In meinem Kopf herrschte Chaos. In der Stille hallte mein lautes Magengrummeln auch umso lauter in dem Wagen wieder. Verdammt! Ich schlang einen Arm um meinen Bauch in der unsinnigen Hoffnung, dass er es dadurch nicht mitkriegen würde. Tat er natürlich trotzdem. „Du hast Hunger“, stelle er fest. Was war er doch für ein kluger Junge. Das hätte ich jetzt nicht gedacht. Schließlich hatte ich ja im Restaurant nichts mehr bekommen. Verdammt. Wir hätten erst essen sollen, bevor wir gehen. Wenn ich schon mal so eine Gelegenheit habe, das leckerste Essen der Stadt zu kosten. Was bin ich nur für ein Idiot? Wütend und sarkastisch grummelte ich vor mich hin. Meine Laune hatte mittlerweile Minusgrade erreicht. Aber es war ja mein Vorschlag, dass wir woanders hingehen. Warum wollte ich zum Dönermann? Dafür könnte ich mich schlagen.
„Peter, können wir noch ein wenig schneller fahren, wir haben Hunger.“ Sofort gab der Fahrer Gas und wir bogen in die nächste Straße ein. Stumm schaute ich wieder aus dem Fenster, in dem ich mich verzerrt spiegelte. David konnte ich auch erkennen. Er machte immer wieder leicht den Mund auf, so als ob er immer wieder ansetzte, etwas zu sagen oder sich weiter zu entschuldigen. Ein wenig amüsiert sah ich ihm dabei zu, denn er sah wie ein Fisch aus, wie er ständig den Mund aufmachte. Aber natürlich ignorierte ich ihn weiter, so leicht würde ich es ihm nicht machen. Ich wollte ihn noch ein wenig schmoren lassen, sodass er glaubte, dass ich noch sauer oder so war, was ich ja eigentlich auch noch war.


Kapitel 8: Mayas Sicht






Schon bald hielten wir an der Dönerbude und diesmal stieß ich die Tür auf, bevor Peter herbeieilen konnte. Gemeinsam liefen wir auf den Eingang zu. Als ich die anderen Leute, die gammlig dort reingingen, verzogen sich meine Mundwinkel ein wenig nach oben, denn diesmal würde David angestarrt werden, mit seinem Anzug fällt er hier zwischen den heruntergekommen Stammgästen auf wie ein bunter Hund. Ich hingegen würde mit meiner Jogginghose kaum auffallen. Also schlüpfte ich schnell durch die bedruckte Glastür und sofort schlug mir der typische Dönerbudenduft entgegen. Pommes, Döner, Fett…
Als ich meinen Blick auf das Schild über der Theke, wo die Angeboten standen, stellte ich erleichtert fest, dass ich hier mit jedem Gericht etwas anfangen konnte und nicht auf Davids Hilfe angewiesen wäre.
„Was möchtest du essen?“, fragte mich David, der unerwartet nah an mir stand.
„Eine türkische Pizza“, murmelte ich und schaute ihn ausdruckslos an. Ich musste feststellen, dass ich eigentlich gar nicht mehr wirklich sauer war. Klar hatte er eine komische Exfreundin, aber das war ja scheinbar auch schon ein paar Wochen her und ich konnte ihn ja nicht wegen seiner Freundin verurteilen.
Ich hörte David seufzen und dann bestellte er. Schweigend setzten wir uns an einen Tisch, wo noch Krümel von den letzten Gästen vor sich hin vegetierten. Was für ein Unterschied zu dem vorherigen Restaurant. Ich redete weiterhin nicht mit ihm und schaute ihn auch nicht an, denn ich befürchtete, dann würde er wieder anfangen sich zu entschuldigen und er hatte diesen Hundeblick, der um Entschuldigung bettelte, wirklich gut drauf. Und ich wollte ihm nicht sofort zeigen, dass ich ihm verziehen hatte. Eigentlich hatte er ja noch nicht mal was angestellt, sondern er hatte einfach eine dämliche Freundin gehabt.
Nachdem der Dönermann durch den Raum gebrüllt hatte, holte David unser Essen und wir aßen schnell. Wie immer, wenn ich soetwas aß, kleckerte ich mit der Soße und leckte mir ständig über die Lippen um die Soße zu erwischen. Als ich aufblickte, sah ich, dass David gebannt auf meine Lippen starrte. Wie in Trance beugte er sich zu mir rüber und wischte die Soße mit dem Zeigefinger weg und sein Mund näherte sich automatisch auch mit. Meine Augen weiteten sich und ich konnte mich nicht regen. Stocksteif starrte ich ihn an und wich nicht zurück, als seine Lippen sich plötzlich auf meine legten. Erst versuchte ich noch dagegen anzukämpfen, denn das würde meinen Plan, ihm nicht so schnell zu verzeihen, eindeutig vernichten, aber er fühlte sich einfach so gut an. Als er auch noch aufstöhnte und seine Hand in meinen wilden Locken vergrub, war es dann aber leider endgültig vorbei. Automatisch öffnete sich mein Mund und ich konnte an nichts anders mehr denken, als seine Lippen auf meinen. Seinen wunderbaren Geschmack, der von der Kräutersoße kaum überdeckt wurde. Göttlich. Scheiß auf seine Exfreundinnen, wir waren im hier und jetzt und dieser Kuss war fantastisch.
Doch als auf einmal der Dönermann laut etwas zu seinem Kollegen brüllte, schreckte ich ruckartig zurück. Ungläubig strich ich mir über die Lippen und spürte immer noch seine Lippen auf meinen. Ich fühlte, dass sie etwas geschwollen waren und noch kribbelten. Unter gesenkten Gliedern schaute ich zu ihm. Kurz sah ich noch die Enttäuschung, vermutlich darüber, dass wir unterbrochen wurden, in seinen Augen aufblitzen, doch dann war seine Miene wieder ausdruckslos. Da ich keine Ahnung hatte, wie ich jetzt reagieren sollte, aß ich einfach schweigend weiter. David verwirrte mich irgendwie vollkommen. Ganze Zeit grübelte ich über den wunderbaren Kuss nach. Warum hatte er mich einfach so geküsst? Und seine Lippen waren einfach so wunderbar weich… Vor lauter Nachdenken, vergaß ich sogar zu essen. Deswegen versuchte ich die Gedanken erstmal abzuschütteln, was mir ziemlich schwer fiel. Als ich erneute aufschaute, sah ich, dass er mir beim Essen zuschaute, da er selbst schon fertig war. Schlagartig fiel es mir schwerer zu essen und ich kaute stundenlang auf einem Stück rum. Ich hasste es, wenn mir jemand beim Essen zusah, vor allem wenn ich so etwas Schwieriges aß. Deswegen versuchte ich ihn einfach zu ignorieren, doch ich konnte es einfach nicht.
„Musst du mir beim Essen zuschauen?“, meinte ich beschämt. „Ich kann mich dann nicht konzentrieren.“ Da ich meinen Blick auf den Teller gerichtet hatte, hörte ich nur sein leises Lachen.
„Tut mir leid, aber du siehst einfach so süß aus, wenn du isst“, grinste er. Was sollte das denn werden? Wollte er mich jetzt total durcheinander bringen? Ich sah sicherlich nicht süß aus, wie denn auch, wenn überall Soße um meinen Mund verschmiert war und ich mein Mund sperrangelweit aufriss, um gut abbeißen zu können.
„Trotzdem, sonst kann ich nicht essen“, murmelte ich in der Hoffnung, dass er endlich weggucken würde.
„Ich störe dich doch gar nicht dabei“, versuchte er mich zu überzeugen, obwohl er ganz genau wusste, was ich meinte.
„Eben hast du mich aber gestört.“ Vielsagend blickte ich ihn an, in der Hoffnung zu erfahren, warum er mich so plötzlich geküsst hatte und mich damit in tiefe Verwirrung gestürzt hatte.
Schlagartig erlosch sein neckiges Grinsen und er schaute mich ernst an.
„Tut…nein, es tut mir nicht leid. Ich konnte nicht anders.“ Erst war mir mein Herz in die Hose gerutscht, als er ansetzte sich für den Kuss zu entschuldigen, aber dann konnte ich nicht anders, als ihn anzulächeln. Dumme Mundwinkel, geht wieder runter! Das war keine wirkliche Erklärung, er konnte nicht anders? Abwartend sah ich ihn an, doch er setzte zu keiner weiteren Erklärung an. Sollte ich nochmal nachfragen? Da ich mich nicht traute, senkte ich schweigend wieder meinen Kopf und versuchte weiter zu essen, während ich immer noch über unseren Kuss nachgrübelte. Irgendwann hatte ich es dann auch endlich geschafft, fertig zu essen. Es war zwar noch nicht genug Zeit gewesen um mir über all meine Gefühle klar zu werden, doch ich schaffte es wenigstens, den Mut aufzubringen, ihn wieder anzuschauen. Das war mal wieder einer der seltenen Momente, wo ich mich dafür verfluchte, das ich nicht so viele Freunde hatte, mit denen über sowas reden könnte. Generell war ich leider nicht so gut darin, mit Menschen umzugehen. Ich mochte es nicht, wenn zu viele Leute um mich herum waren und ich fand auch nie wirklich ein Gesprächsthema, dass beide interessierte.
Trotzdem blickte ich ihm direkt in die Augen und stellte fasziniert fest, dass er eine kleine Narbe direkt über der dunkeln, rechten Augenbraue hatte. Erst in dem grellen Licht des Ladens, war mir das aufgefallen. Seine dunkelblauen Augen funkeln mich an und so starrten wir uns minutenlang einfach nur gegenseitig an und ich musste erneut feststellen, dass er selbst in diesem ekligen Licht, in dem man jede kleine Falte sehen konnte, unheimlich gut aussah. Meine Haut sah wahrscheinlich leichenblass, kränklich und zombiemäßig aus, doch seine gebräunte Haut lockte einfach nur dazu, sie zu berühren. Allerdings fühlte ich mich unter seinem faszinierten Blick, auch nicht so wie ein Zombie, vor allem als seine Hand zuckte und mein Zopfband löste um dann bewundernd durch meine extrem gelockte Mähne zu fahren. Lustigerweise drehte er sich eine Locke um den Finger und grinste, so dass sich Grübchen auf seinen Wangen bildeten. Keine Ahnung was da gerade zwischen und war oder generell zwischen uns war, aber irgendwie war der Moment echt schön.
Auf einmal wurde die Tür wieder aufgerissen und ein lautes Stimmengewirr ertönte, mindestens 20 lautstark auf Türkisch diskutierende Männer kamen herein und wurden von dem Mann hinter der Theke freudig begrüßt. Peinlich berührt wollte ich mich ein wenig von David weg lehnen, da unsere Gesichter sich fast berührten, doch ein Ziepen in meinen Haare, hielt mich davon ab. David hatte noch immer meine Strähne um den Finger gewickelt und sah kein bisschen so aus, als ob er sich aus der Position weg bewegen wollte. Die Türken schauten schon in unsere Richtung und grinsten nett, als sie uns so sahen. Sofort bemerkte ich, wie sich eine leichte Röte auf meine Wangen schlich.
„David“, zischte ich. „ Nimm deine Finger aus meinen Haaren, die schauen schon alle. Außerdem müssen wir gehen. Wir sind ja fertig und die brauchen einen Tisch, sonst sind nämlich alle besetzt.“
Keine Reaktion, zumindest nicht die, die ich mir erhofft hatte. Denn er zog mich leicht an meiner Haarsträhne wieder zu sich. Eigentlich wäre es nicht genug Druck gewesen, um mich nach vorne zu kriegen, doch da ich es hasste, wenn meine Haare unangenehm an meiner Kopfhaut ziepten, ruckte ich automatisch mit dem Kopf vor.
„Lass sie doch schauen, interessiert mich nicht“, murmelte er abwesend. Was war denn mit ihm los, hatte er irgendwas genommen oder war er ein Haarfetischist? So fasziniert wie er meine Haare anstarrte.
„Aber mich interessiert es. Mir ist das peinlich“, erwiderte ich. Das schien ihn aus seinem Rauschzustand zu reißen.
„Ich bin dir peinlich?“, fragte er entsetzt und gekränkt. Ich brauchte ein paar Momente, bis ich merkte, dass das nur gespielt war, denn ein schelmisches Funkeln trat in seine Augen.
„Idiot!“ Ich schlug ihm leicht auf den Unterarm, denn im ersten Augenblick hatte ich echt Angst gehabt, dass er jetzt wirklich beleidigt war.
„Nein, das nicht, aber ich mag es nicht, so angeschaut zu werden und in der Öffentlichkeit zu stehen“, nuschelte ich immer noch peinlich berührt, denn die Türken starrten immer noch zu uns rüber.
„Das wundert mich, warum gefällt es dir nicht, angestarrt zu werden? Müsstest du doch eigentlich gewöhnt sein.“ Überrascht und fragend sah ich ihn an.
„Du bist unglaublich schön, wirst du nicht ständig von irgendwelchen Jungs angestarrt?“, antwortete er auf meine unausgesprochene Frage und ich hatte das Gefühl, dass ihm der Gedanke nicht gefiel. Leider trug das Kompliment nicht dazu bei, dass meine Gesichtsfarbe wieder abnahm. Verdammt! Ich hasste es, rot zu werden. Normalerweise war ich auch nicht so. Echt nervig.
„Danke, aber ist mir eigentlich noch nicht aufgefallen.“ Den Gesichtsausdruck, der nun über sein Gesicht huschte, konnte ich absolut nicht deuten. Klar, schauten mich manchmal ein paar Jungen an, aber nicht so auffällig wie die Türken uns gerade anstarrten.
„Also, können wir jetzt gehen?“, hackte ich nach.
„Aber nur, wenn wir danach noch irgendwo hingehen.“ Abwartend blickte er mich an und ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen. In der letzten Stunde gab er sich echt Mühe mir zu schmeicheln und mich von der Sache vorhin abzulenken. Und zugegebenermaßen, es gelang ihm ganz gut.
„Na schön.“ Endlich rang er sich dazu durch, aufzustehen. Ich tat es ihm gleich und lief um den Tisch herum richtig Ausgang. Als ob es ein Startsignal geben hätte, stürmten die Männer fast gleichzeitig auf uns zu um zu unserem Tisch zu kommen. Die meisten schauten uns immer noch grinsend an und ein junger Mann starrte mich auffällig an. Irritiert blickte ich ihn an und spürte deshalb nur, wie sich warme Finger um meine schlossen und David auf einmal meine Hand fest mit seiner drückte.
Ich konnte den Ausdruck auf seinem Gesicht nicht erkennen, doch er musste scheinbar furchteinflößend sein, denn der Kopf des Mannes ruckte sofort wieder geradeaus. Was hatte David denn für ein Problem, wir waren nicht zusammen und er hatte absolut keinen Grund den Mann so böse anzufunkeln, er hatte mich doch nur angeschaut. Um ihm mein Unverständnis über sein Verhalten, zu verdeutlichen, wollte ich ihm meine Hand entziehen, doch er ließ sie keine bisschen locker und verstärkte den Griff noch. Fast hätte ich was gesagt, doch er schaute mich entschuldigend und bittend an und mein Wiederstand erschlaffte. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass er selber nicht wusste, warum er sich so verhielt. Eigentlich hätte ich das Ganze total verwirrend finden müssen, tat ich eigentlich auch, aber es fühlte sich so richtig an mit ihm hier, warum also Gedanken drüber machen?
Sobald wir die Tür öffneten, schlug mir die eisige Kälte entgegen. Kein Wunder, es war mittlerweile schon wieder ziemlich spät. Ich spähte auf Davids Handgelenk, seine teure Armbanduhr, die nicht mehr von seinem Hemdärmel verdeckt war, da er sich das Hemd hochgekrempelt hatte, zeigte mir, dass es mittlerweile sogar schon halb zwölf war. Da die Zeit wie im Flug vergangen war, hatte ich gar nicht gemerkt, dass es schon so spät war und prompt musste ich auch Gähnen. Zittrig zog ich die Ärmel meines Pullovers länger, sodass sie meine Hände bedeckten. Trotzdem fuhr mit die Kälte noch unter die Haut und ich bekam eine Gänsehaut. Natürlich hatte David das mitbekommen und er murmelte etwas von „keine Jacke“, woraus ich schloss, dass er mir gerne irgendetwas zum Überziehen angeboten hätte. Tja, also keine typische, romantische Szene. Doch ich hatte nicht mit seinem Einfallsreichtum, wenn man es denn Einfallsreichtum nennen konnte, gerechnet. Ehe ich mich versehen konnte, hatte er mich an sich gezogen. So dicht, dass nicht mal mehr ein Blatt Papier zwischen uns gepasst hatte. Nun hing ich mit dem Gesicht halb unter seinem Arm und er legte seine großen Hände auf meinen Rücken.
„Ist dir jetzt wärmer“, fragte er. Da ich ihn ein wenig ärgern wollte, nuschelte ich an seine Schulter:
„Ne, nicht wirklich. Außerdem stinkst du.“ Ok, beides eine Lüge. Überall, wo er mich berührte, und das war an vielen Stellen, kribbelte es wohlig und mir war auf einmal eher sehr warm. Und er roch einfach wunderbar, so …fruchtig, männlich. Ich konnte seinen Gesichtsausdruck zwar nicht sehen, da mein Gesicht in sein Hemd gepresst war, doch ich spürte wie sein Körper vor Lachen vibrierte.
„Na dann ist ja gut, dass Peter jetzt gerade kommt und wir ins warme Auto steigen können.“ Och ne, dabei war es doch irgendwie doch ganz angenehm hier. Leise brummte ich und drückte meine Nase unauffällig noch ein wenig mehr an seine Schulter. Er roch einfach so gut. Als das Quietschen von Reifen ertöne, lockerte David seinen Griff ein bisschen, ließ mich aber nicht los und schlenderte langsam zum Auto. Das riss mich aus meinem dämlichen Rausch und ich schüttelte einmal kurz meinen Kopf, der von seinem Duft ganz benebelt war, um wieder klar zu werden. Ich wollte mich mehr von ihm losmachen, doch sein Griff blieb eisenhart. Unfair, er war viel stärker als ich. Warum war ich bloß immer so schwächlich? Vielleicht sollte ich echt mal mehr trainieren, denn Jannis fragte mich regelmäßig ob ich mit ins Fitnessstudio wollte. Tja, wenn ich nur nicht so extrem sportfaul war. Ich lebte eher nach dem Motto: Sport ist Mord!
Also versuchte ich gar nicht erst, mich weiter von ihm loszureißen, da es eh nichts genützt hätte. Deswegen wurde es auch ein wenig umständlich, als wir einsteigen wollten. Ich schaute ihn böse an, doch er schüttelte nur verbissen den Kopf und ließ meine Hand nicht los. Idiot! Irgendwann hatten wir es dann geschafft und Peter brauste sofort wieder los.
„So, wo wollen wir denn noch hin“, nuschelte David in meinen Haaren, denn er hatte sein Gesicht darin vergraben. Was hatte er denn mit meinen Haaren, ich glaube er ist echt ein Haarfetischist.
Sein warmer Atmen kitzelte mich am Nacken und als er mit seinem Kinn meine Wange streifte, spürte ich, dass er einen leichten Bart hatte. Ich wunderte mich über die Vertrautheit, die zwischen uns herrschte, wo ich doch eben noch am liebsten geflohen wäre, aber wenn wunderst, wir saßen zusammen im Knast. Wir waren quasi Knastbrüder und er hatte mich beschützt. Bei dem Gedanken musste ich voll schmunzeln, denn es hörte sich so an, als ob wir 4 Jahre im Gefängnis waren, dabei war es vielleicht eine Stunde, auch wenn es sich nach wesentlich mehr anfühlte.
„Was ist los?“, fragte mich David, denn er hatte wohl das Grinsen gesehen.
„Oh, ich hab nur irgendwie gerade dran gedacht, dass wir eigentlich Brüder sind“, schmunzelte ich.
Irritiert blickte er mich an. „Wir sind Knastbrüder“, antwortete ich auf seine ungestellte Frage.
Erkenntnis blitzte in seinen Augen auf und seine Mundwinkel verzogen sich nach oben, bevor er auf einmal bitterernst wurde.
„Weißt du, mir würde es aber gar nicht gefallen, wenn wir Geschwister wären“, murmelte er.
„Dann könnte ich das hier nämlich gar nicht machen.“ Und sein Mund landete auf einmal hauchzart auf meinem Mundwinkel, eher ich überhaupt verstand, was er meinte. Vorwitzig kitzelte er mich mit der Zunge am Mundwinkel, bevor sich seine Lippen richtig auf meine legten. Im ersten Moment war ich ein wenig erstarrt, doch dann fielen meine Augen zu, ohne dass ich es verhindern kann und ich erwiderte ihn. Gedankenlos landete meine Hand in seinen Haaren und krallte sich daran fest, während mein Magen kribbelte, als ob eine Horde Ameisen durchlaufen würden. Ich konnte mich nur noch auf die Stelle konzentrieren, wo seine Lippen mich berühren. Verdammt, wehe dieser Kuss hört irgendwann wieder auf! Verzückt stöhne ich in seinen Mund, seinen Lippen sind so warm und weich und er kann unglaublich gut küssen. Das einzige, was ich noch am Rand mitbekam ist, dass er schon wieder durch meine Haare streichelte, doch wann wurde ich schon wieder von seinen Lippen abgelenkt. Hmm…so süß. Auf einmal blieb das Auto ruckartig stehen und ich wurde gegen ihn geschleudert, sodass ich von seinen Lippen abrutschte und mit der Nase gegen sein Kinn knallte. Ruckartig riss ich die Augen auf und starrte in seine dunkelblauen Augen, die erregt funkelten. Ich zog mich ein bisschen zurück, ein wenig außer Atem und rieb mir die Nase. Wir hatten uns schon wieder geküsst! Und es wurde von Mal zu Mal besser. Kurz schalte ich mich, denn wir kannten uns gerade mal zwei Tage. Aber anderseits, es war ja auch keine Rede von Liebe oder so etwas ähnlichem!
Als David mich nachdenklich musterte, musste ihm wohl irgendetwas aufgefallen sein, denn er versuchte nicht, mich nochmal zu küssen und obwohl ich das Gefühl seiner Lippen ein wenig vermisste, war ich doch ganz froh darüber, denn ich musste erstmal wieder ein wenig klar werden. David brachte mich einfach so durcheinander, ich konnte meine Gefühle überhaupt nicht mehr beschreiben. David merkte wohl, dass ich schon wieder ins Grübeln geriet, denn er unterbrach mich:
„Du hast mir eben nicht auf meine Frage geantwortet, was wir jetzt machen wollen“, meinte er. Dabei übersah ich das Funkeln in seinen Augen nicht, er sah so aus, als ob ihm eine Idee unter den Fingernägeln brennen würde. Also tat ich ihm den gefallen und schüttelte nur ratlos den Kopf.
„Keine Ahnung, hast du vielleicht eine Idee?“ Er strahlte mich über beide Wangen an und schwärmte schon los.
„Ja, ganz hier in der Nähe gibt es einen super schönen, großen Park in den ich oft gehe um zu malen oder einfach den Kopf frei zu kriegen. Und jetzt im Winter gibt es da eine Eislaufbahn.“ In seiner Antwort klang eine Frage mit und über seine Begeisterung musste ich schmunzeln. Trotzdem tat ich so, als ob ich kurz überlegen müsste, obwohl ich schon wusste, dass ich auf jeden Fall zusagen würde. Ich war zwar wie in allen Sportarten eine Niete in Eislaufen, doch es machte mir schon Spaß.
„Das ist doch eine gute Idee, aber mach dich auf etwas gefasst, ich werde wahrscheinlich übers Eis schlittern und bremsen kann ich auch nicht“, murmelte ich ein wenig peinlich berührt. Gott, warum hatte ich zugesagt? Erst jetzt war mir klar geworden, dass ich wahrscheinlich wie ein trampelnder und betrunkener Elefant auf den Eis laufen würde.
„Keine Sorge, dafür bin ich doch da, um dich zu beschützen“, flüsterte er ganz nah an meinem Ohr.
„Hmmm…dann ist ja gut. Aber ich kann mich auch einfach gegen die Banden prallen lassen, sonst bremse ich auch immer so“, neckte ich ihn ein wenig. „ Ich will dich ja nicht überfordern.“
Böse schaute er mich an und brummte: „ Glaub mir, du kannst mich nicht überfordern und eigentlich will ich dich auch gar nicht bremsen, ich mag es, wenn du etwas ungebremst bist.“ Vieldeutig sah er mich an und ich wurde – nicht rot! Danke lieber Körper, endlich stehst du mal auf meiner Seite.
„Oh, und wenn ich dich umfahre?“, schnurrte ich und ging auf das Spiel ein.
„Dann zieh ich dich mit mir und wir landen beide auf dem Eis, in einer Position, die ich garantiert nicht ablehnen würde.“ Ok, jetzt wurde ich rot. Verdammt, ich dachte, ich würde es durchhalten.
„Idiot!“ Ich schlug ihn erneut auf den Arm und er heulte gespielt schmerzerfüllt auf.
„Oh, wir haben noch nicht mal eine Beziehung und schon geht es mit häuslicher Gewalt los“, lachte er, aber ich stockte. Er hatte gesagt „noch nicht“! Ich rang mir ein Lächeln ab um ihm nicht zu zeigen, dass ich natürlich, ganz wie ich nun mal war, sofort seine Worte genau analysieren musste. Meinte er damit, dass er mit mir zusammen sein will? Und schon ratterten die Rädchen in meinem Gehirn wieder los, wo sie doch gerade eben erst einmal ihre Ruhe hatten. Warum musste ich bloß immer so viel nachdenken und konnte nicht einfach mal genießen?
„Maya? Alles in Ordnung, du bist so abwesend“, fragte David auf einmal besorgt. Verdammt, es war ihm aufgefallen.
„Ähmm…ja klar, war nur gerade in Gedanken“, haspelte ich rasch.
„Achso, ok.“ Mit einem seltsamen Nicken, drehte er seinen Kopf in Richtung Fahrerkabine und klopfte an die Trennscheibe. Ganz wie in einem Film, fuhr sie mit einem Summen herunter und Peters Hinterkopf erschien.
„Peter, fahr uns bitte zum Park. Wir wollen Schlittschuhfahren“, wies er diesen an. Sein Kopf nickte bestätigend und die Scheibe fuhr wieder hoch. Wie cool das war!
„Wir müssten in fünf Minuten da sein.“ Ich brummte nur bestätigend, da ich nicht wusste, was ich darauf antworten sollte.
Auf einmal richtet sich David in seinem Sitz auf, nachdem wir eine Minute geschwiegen hatten und klatschte sich mit der Hand gegen die Stirn.
„Hab ich mich eigentlich schon entschuldigt?“ Fragend sah ich ihn an, was hatte er denn jetzt?
„Ähmm…wofür?“ Ärgerlich brummte er vor sich hin.
„Für mein Verhalten gestern? Also nachdem mein Vater uns bei der Polizei abgeholt hat? Tut mir leid, dass ich mich so daneben benommen habe, glaub mir, mein Vater hat mir auch gründlich den Kopf gewaschen, es ist nur so, dass…“ Als Peters Stimme, die verkündete, dass wir angekommen sind, ertönte, hätte ich ihn am liebsten erwürgt. Warum musste er uns unterbrechen, David wollte mir gerade sagen, warum er gestern so komisch war. Peter öffnete die Tür, doch ich machte keine Anstalten aufzustehen, denn ich wollte erst noch den Grund erfahren. Abwartend sah ich David an, doch er sah nicht so aus, als ob er noch zu Ende reden würde.
„Ja…? Es ist nur so, dass…?“ Auffordernd blickte ich ihn an, doch an seinem leichten Kopfschütteln erkannte ich, dass ich wohl keine Antwort mehr bekommen würde. Ah! Ich könnte Peter köpfen!
„Nichts. Es tut mir einfach leid, ja?“ Ich legte meinen Kopf leicht schief um zu überlegen, ob ich noch weiter nachhacken sollte, doch ich wollte ihn nicht drängen oder so.
„Ok“, murmelte ich also nur und rutschte zur Tür. Seinen erleichterten Gesichtsausdruck sah ich nur aus dem Augenwinkel. Rasch schwang ich meine Beine aus dem Auto und stand bald darauf neben Peter. David kroch ebenfalls aus dem Wagen und wir machten uns auf den Weg zum Eingangstor des Parks, während Peter wieder ins Auto stieg.



Kapitel 9: Mayas Sicht





Der Rand des Parks war von hohen Fichten gesäumt, sodass man nur an wenigen Stellen einen Blick durch die Bäume auf die großflächige Rasenfläche dahinter erhaschen konnte. Wir liefen gemächlich unter dem Schmiedeeisernen Torbogen hindurch, der Weg wurde von alten Straßenlampen erhellt. Jetzt verstand ich, warum David hier so gerne hin kam, irgendetwas Magisches hatte der Park. Erstaunt sah ich mich um und bemerkte nicht, wie David auf einmal rechts abbog, während ich fleißig weiter geradeaus ging.
„Maya, wo willst du denn hin?“, schallte Davids Stimme amüsiert zu mir herüber. Verwirrt drehte ich mich zu ihm und entdeckte ein hüfthohes, blaues Schild, das den Weg zur Eisbahn wies. Leise grummelte ich vor mich her und lief dann die paar Meter zurück um zu David zu gelangen. Er wartete breit lächelnd auf mich und der Schalck stand ihm breit ins Gesicht geschrieben.
„Das ist nicht lustig, du Idiot!“, meckerte ich, doch auch ich konnte das unterschwellige Lachen in meiner Stimme nicht unterdrücken. Warum musste mein Körper mich immer verraten?
„Doch, ist es“, brummte er knallhart und zog mich dann weiter, in dem er erneut nach meiner Hand griff. Ich versuchte das Kribbeln, das sofort von der Stelle ausging, zu ignorieren und wir schlenderten weiter. Es war ziemlich dunkel und der Weg wurde nur ab und zu von einer Lampe erleuchtet, deswegen musste ich mich auf meinen Tastsinn verlassen, was dazu führte, dass ich Davids Berührung noch intensiver spürte. Nach sieben Minuten bogen wir um die Ecke und ich sah eine große, matt erleuchtete Eisbahn. Eine lange Lichterkette war um die Eisbahn herum geschlungen und neben der Bahn stand ein kleiner Pavillon, in dem vermutlich die Schuhe verliehen wurden, von dem mehrere Laternen und Lampions herunterbaumelten. Insgesamt sah es einfach nur wunderschön aus und wir waren komplett ungestört, da weit und breit keine Menschenseele zu sehen war.
„David, hier ist ja gar keiner mehr. Wie sollen wir denn da reinkommen und Schuhe bekommen?“
Doch David grinste mich nur lässig und holte seinen Schlüsselbund heraus, mit dem er dann vor meiner Nase herum wedelte. Er deutete auf einen Gegenstand und da es so dämmrig war, musste ich meine Augen stark anstrengen, um ihn zu identifizieren. Bevor ich richtig registrieren konnte, was er vorhatte, war er schon mit großen Schritten auf die Tür des Häuschens zugegangen und in die Hocke gegangen. „David!“, rief ich entsetzt und stürmte ihm hinter her, doch er fummelte den Dietrich ungerührt in das Schloss.
„Bist du wahnsinnig? Du kannst doch da nicht einbrechen! Falls ich dich erinnern darf, wir waren gestern schon mal im Gefängnis, wenn du dich erinnern kannst. Und ich kann getrost darauf verzichten, Billy und Gerhardt und die anderen Knastis, jemals wieder zu sehen!“, faucht ich ihn panisch an, doch er ignorierte mich weiterhin und richtig auf die Palme brachte mich dann, dass er auch noch die Unverschämtheit besaß, selbstgefällig zu grinsen.
„Komm schon David, wir können doch auch einfach so ein bisschen durch den Park schlendern, wir müssen nicht unbedingt Schlittschuh fahren.“ Keine Reaktion. „Verdammt! David, lass das oder ich gehe!“ Endlich ließ er sich dazu herab, mir zu antworten, doch er hielt nicht in seinem Tun inne.
„Maya“, meinte er sanft und beruhigend. „Was: Maya?“, blaffte ich ihn an, denn ich hatte echt kein Bock, noch mal mit der Polizei in Kontakt zu kommen, nur weil er es nicht lassen konnte.
„Maya, niemand kann uns verklagen oder ähnliches.“ Er zuckte noch nicht mal mit der Wimper, als ich ihn so anmachte.
„Und wie kannst du dir da so sicher sein? Ich wette, der Besitzer wird nicht gerade begeistert sein, wenn wir bei ihm einbrechen. David, der wird dich verklagen“, versuchte ich ihm klar zu machen, scheinbar war er ja jetzt komplett durch gedreht und ich wollte ihm am liebsten das fette Grinsen auf unsanfte Art aus dem Gesicht wischen. In meiner Wut hörte ich seine nächsten Worte nur am Rande.
„Oh, dann müsste ich mich ja selbst verklagen.“ Bumm! Fassungslos und ein wenig belämmert, starrte ich ihn an.
„Häh?“
„Ich bin der Besitzer, Maya. Da ich diesen Park liebe, hab ich der Stadt eine großzügige Summe „Spendengelder“ zukommen lassen und schon durfte ich hier meine Eisbahn bauen.“ Breit grinste er mich an und langsam dämmerte es mir.
„Du Idiot“, keuchte ich. „Weißt du, was für einen Schrecken du mir eingejagt hast? Verdammt!“, fauchte ich ihn an. Er war so ein Arsch.
„Komm schon, das war lustig, wie du gedacht hast, ich würde hier wirklich einbrechen.“ Man, musste er immer alles lustig finden? Das nervte tierisch, ich fand das nämlich ganz und gar nicht lustig.
„Ich fands nicht lustig“, betonte ich ernst und machte einen Schritt zurück, als er aufstand und seine Hand nach mir ausstreckte. Demonstrativ verschränkte ich die Arme vor der Brust. Scheinbar bemerkte er, dass ich wirklich sauer war und er es zu weit getrieben hatte, denn sofort nahm sein Gesicht einen reumütigen Ausdruck an. Verdammt! Er hatte diesen Dackelblick echt gut drauf, doch ich würde mich nicht erweichen lassen! Vor allem da ich mir sicher war, dass es ihm nicht wirklich leid tut.
„Das Gesicht kannst du dir sparen“, fauchte ich ihn also an. Angriff war die beste Verteidigung und ich hoffte, dass er schnell wieder normal gucken würde, sonst würde ich echt fast nachgeben. Doch stattdessen guckte er noch entschuldigender.
„Es tut mir leid. Ich wollte dich nicht erschrecken, sondern nur ein wenig necken.“ Er machte einen Schritt auf mich zu und obwohl ich eigentlich zurück weichen wollte, blieb ich knallhart stehen, denn ich würde nicht nachgeben! Also blieb ich stur und antwortete nicht. David seufzte theatralisch bevor er sich vor mir auf die Knie schmiss. Verblüfft sah ich ihn an und er schnappte nach meinen Händen.
„Oh holde Maya, es tut mir wirklich unglaublich leid und ich werde bis zum Ende meiner Tage vor die auf den Knien im Drecken robben, solange bist du mir verziehen hast. Nur bestrafe mich nicht mit deinem eiskalten Blick, denn das fühlt sich so an, als ob sich tausend Stacheln einer Rose in mein Herz bohren würden. Was kann ich tun, damit du mir verzeihst?“ Unterwürfig sah er mich an und neigte leicht den Kopf.
„Lass das, du Idiot! Verdammt, steh wieder auf“, zischte ich mit zusammengebissen Zähnen, denn ich musste mir das Lachen verkneifen. Doch er dachte gar nicht dran, melodramatisch presste er seine Hand auf seine Brust, während er mit der anderen meine weiterhin fest umklammerte.
„Ich werde erst wieder aufstehen, wenn du mir verziehen hast. Und wenn ich hier verrotte. Spürst du nicht meine schnell schlagendes Herz, das nur für dich schlägt.“ Ehe ich meine Hand zurückziehen konnte, hatte er sie schon auf seine Brust, genau aufs Herz gelegt und ich konnte nicht verhindern, dass ich rot wurde, als ich sein Herz tatsächlich laut und schnell pumpen fühlte. Verdammt! Ich biss mir verzweifelt auf die Lippe, sodass ich schon dem metallischen Geschmack von Blut spürte, um nicht zu lachen. Warum musste er auch so dämlich spielen und sich wie ein Ritter aus dem Mittelalter ausdrücken? Und warum schlug mein verdammtes Herz schneller?
„David, steh auf. Ich verzeih dir, aber bitte steh auf.“ Kaum hatte ich das gesagt, stand er schon wieder auf seine Füßen und überragte mich um mehrere Zentimeter.
Er strahlte mich an. „Danke, dass du mir verziehen hast.“ Doch ganz so leicht, wollte ich es ihm dann auch nicht machen. Erneut verschränkte ich meine Hände abwartend vor der Brust und blickte ihn tadelnd an. „Und?“
Verwirrt sah er mich an. „Was und?“ Doch ich antwortete ihm nicht, sondern sah ihn nur weiter hin auffordernd an. Er sollte mal selbst nachdenken und das tat er auch, denn ich sah förmlich, wie er grübelte. „Und….ähmmm“, stotterte er, bis ihm plötzlich ein Licht aufgehen zu schien.
„Und die Tür ist so gut wie offen, wir können uns jetzt die Schuhe holen.“ Ich fasse es nicht! Verstand er es nicht oder was?
„Nein! Das meinte ich nicht. Ich wollte, dass du mir versicherst, dass du so eine Scheiße, nicht noch mal abziehst.“ Verblüfft sah er mich an, doch dann schüttelte er entsetzt den Kopf.
„Das kann nicht! Komm schon, ein bisschen Spaß muss sein. Sonst wird es ja langweilig“, brummte er so entsetzt, dass ich mir ein Schmunzeln nicht verkneifen konnte. Eigentlich hatte er ja schon Recht, ein wenig lustig war es gewesen, nur dass ich ein riesen Schreck bekommen hatte, trotzdem gab ich nicht nach.
„Es muss aber kein Spaß auf meine Kosten sein, denk an mein armes Herz.“ Theatralisch griff ich mir ans Herz und schob meine Unterlippe vor. Doch das rief nicht die gewünschte Reaktion bei ihm hervor, sondern er wurde auf einmal total ernst und starrte ausdruckslos auf meine Lippe.
„Du blutest“, stellte er schlicht fest, doch ich hatte das Gefühl, dass in seinen Augen kurz Besorgnis aufblitzte. Er hob seine Hand und strich mir sanft über die Lippe. Stocksteif konnte ich nichts erwidern, sondern schielte einfach nur auf seine Hand. „Warum hast du dir die Lippe aufgebissen?“, murmelte er abwesend, während er weiter über meine Lippe fuhr.
„Weil du mir so einen Schreck eingejagt hast“, hauchte ich.
„Das tut mir leid“, erwidert er ebenfalls leise.
„Tja, also wirst du mich in Zukunft nicht mehr so erschrecken?“, fragte ich keck, als ich meine Beherrschung wieder gefunden hatte und den Nebel in meinem Hirn vertrieben hatte.
„Nein, auf den Spaß kann nicht verzichten, aber ich könnte dich anders davon abhalten, dir auf die Lippen zu beißen.“ Sein Blick war dabei ganze Zeit auf meine Lippen gerichtet und ich wusste, was er schon wieder vorhatte, als er sich zu mir rüber beugte. Doch diesmal würde ich mich nicht von ihm einwickeln lassen, er hatte ja keine Belohnung dafür verdient, dass er mich so erschreckt hat.
„Na gut, wollen wir dann jetzt auf Eis?“ Ich wich seinem Gesicht aus und trat einen Schritt zurück.
Enttäuscht sah er mich an, doch er sagte nichts und lief auf die Tür zu. Ich trabte hinter ihm her und ließ sich wieder auf die Knie fallen um weiter im Schloss zu stochern.
„Warum hast du eigentlich ein Dietrich dabei? Brichst du öfters irgendwo ein?“ Misstrauisch schaute ich ihn an, denn ich hatte wirklich das Gefühl, dass er das nicht zum ersten Mal machte.
„Keine Sorge, ich breche nicht ständig irgendwo ein.“ Das beruhigte mich jetzt nicht irgendwie, doch an seinem Blick konnte ich erkennen, dass er keine weiteren Fragen mehr beantworten würde. Keine Minuten später, hatte er die Tür endgültig aufgebrochen und sie schwang mit einem unheilvollen Knarren auf. Im inneren des Pavillons war es stockdunkel und David tastete fluchend nach dem Lichtschalter. Irgendwie erinnerte mich die Situation an unser erstes richtiges Treffen, als wir in der Abstellkammer waren. Ich hörte, wie er in dem Raum rumorte. Kurz darauf kam er grinsen wieder raus und hielt zwei Schlittschuhpaare in der Hand. Sie waren von einem hellen weiß und als er sie nebeneinander hielt, erkannte ich, dass das eine Paar um mindestens 8 Nummern größer war. Erstaunt blickte ich an ihm herunter und entdeckte ich, dass er tatsächlich riesige Füße hatte. Das war mindestens 46 und ich hatte gerade mal 38. War mir noch gar nicht aufgefallen, vermutlich weil ich damit beschäftigt war, sein Gesicht anzustarren. Als er meinem Blick folgte, grinste er leicht und hielt mir die Schuhe vor die Nase. „Ich hab jetzt einfach mal 39 genommen, ich hoffe sie sind nicht zu groß“, spöttelte er, mit einem vielsagenden Blick auf meine Füße die im Gegensatz zu seinen Elefantenfüßen, winzig aussahen.
„Haha, sehr witzig. Wenigstens hab ich keine Kindersärge an meinen Beinen hängen“, giftete ich gespielt zurück.
David ließ sich einfach auf den Boden plumpsen und zog sich seine schwarzen Schuhe von den Füßen.
„Hey, kein Grund beleidigend zu werden, deine Füße sind halt zu klein.“
Empört brummte ich, doch ich setzte mich ebenfalls auf den Boden und schlüpfte aus meinen Schuhen. Ich angelte nach dem kleineren Paar und quetschte mich in die Schlittschuhe. David war mittlerweile schon wieder aufgestanden und eierte so komisch den Weg zum Eingang entlang, dass ich nicht anders konnte, als laut loszulachen. Ruckartig drehte er seinen Kopf zurück nach mir und schaute mich verärgert an, doch ich verkniff mir mein breites Grinsen nicht. Es sah aber auch zu komisch aus. Doch als ich ebenfalls aufstand, musste ich feststellen, dass ich wohl genauso eirig laufen würde, wie er. Hoffentlich wurde er mich dabei nicht sehen, wäre echt peinlich, nachdem ich ihn so ausgelacht hatte. Doch natürlich war das Glück nicht auf meiner Seite, denn just in dem Moment, wo ich den ersten Schritt machte und mein Fußgelenk einknickte, blickte er sich erneut um.
Natürlich bildete sich ein spöttisches Grinsen auf seinem Gesicht und ich bemühte mich darum, nicht beschämt zu Boden zu schauen. Endlich hatte ich es geschafft und ächzend stützte ich mich an der Bande ab, während ich mit Schwung über die kleine Kante, die zur Bahn führte, stieg. Mir entfuhr ein kleiner Schrei, als mir sofort die Beine wegrutschten und ich mich in letzter Sekunde noch an der Bande festhalten konnte. Ärgerlich fluchte ich und richtete mich wieder auf. Dann sortierte ich meine Füße und glitt auf David, der schon in der Mitte war und auf mich wartete, zu. Es war ewig her, dass ich zu letzt mal auf dem Eis war und demensprechend unsicher war ich. Glücklicherweise rutschte ich nicht aus und kam so einigermaßen unbeschädigt von David zum Stehen. Seine Augen funkelten mich glücklich an und er griff, als ob es selbstverständlich wäre, nach meiner Hand. Sie war eiskalt, aber es machte mir überhaupt nichts aus. Abermals fing die Stelle an zu kribbeln, aber ich hatte keine Zeit, mich auf das Gefühl zu konzentrieren, denn da fuhr er auch schon los und zog mich mit sich. Erschrocken glitt ich hinter ihm her und brauchte einige Sekunden, bis ich die Balance wieder gefunden hatte. David drehte sich grinsend zu mir um und zog mich näher heran. Ich konnte nicht anders, als zurück zu lächeln und so glitten wir schnell über die Fläche. David wirbelte mich immer wieder herum und nur dann seiner schnellen Reaktionsgabe, fiel ich nicht hin, da er mich immer wieder auffing. Nach einiger Zeit war ich auch nicht mehr so verkrampft und genoss es einfach mit ihm über das Eis zu düsen. Ständig lachten wir los und taten so, als ob wir professionelle Eiskünstler wären. Sprich, wir alberten herum und landeten öfters auch am Boden. Ich wusste nicht, wie viel Zeit schon vergangen war, doch irgendwann spürte ich wie die Müdigkeit in meine Knochen kroch und mir auch immer kälter wurde. Immer öfters fuhr ich mir reibend über die Augen und versteckte hinter meiner Hand mein Gähnen, doch schon bald bemerkte David meine Müdigkeit. Eigentlich hatte ich das verhindern wollen, weil ich noch ein wenig Zeit mit ihm hier verbringen wollte. Mein Kopf war nämlich gerade so schön klar und ich machte mir mal ausnahmsweise nicht so viele Gedanken.
„Jetzt halte ich dich schon wieder von Schlafen ab. Tut mir furchtbar leid, gestern ist es ja auch so spät geworden“, murmelte er und klang ernsthaft besorgt – bis ich das belustigte Funkeln in seinen Augen sah.
„Oh ja, du hältst mich wirklich vom Schlafen ab. Ich hab sogar schon Albträume von dir, weswegen ich nicht schlafen kann“, neckte ich ihn. Doch er schaute mich bitterernst an und ich keuchte erschrocken auf, als er mich plötzlich zu sich heran zog und ich an seine Brust geschleudert wurde.
„Sicher, dass es Albträume waren? Und du hast nicht vielleicht davon geträumt, wie wir das hier gemacht haben?“ Als seine Mundwinkel verhängnisvoll nach oben zuckten, wusste ich, was er vorhatte. Er beugte sich zu mir herab und presste seinen Lippen zart und kurz auf meine.
„Oder das hier?“ Er streichelte hauchzart mit seinen Lippen meinen Mundwinkel, über die Wange und den Halsansatz entlang, als würde er einer unsichtbaren Linie folgen und knabberte schlussendlich an meinem Hals. Und ich brachte nicht genug Wiederstand auf um ihn daran zu hindern, da es sich einfach toll anfühlte.
„Oder sind wir in deinem Traum sogar noch weiter gegangen?“, hauchte er schmunzelnd und als seine Hand meinen Rücke hinabwanderte, schaffte ich es endlich mich aus seinem Bann zu reißen.
Ich rückte ein wenig von ihm ab und schob seine Hand wieder höher.
„Nein, weißt du. Ich bin mir ziemlich sicher, dass es ein Albtraum war. Glaub mir, dazwischen kann ich entscheiden. Und wer sagt dir, dass dein Kuss nicht auch ein Albtraum wäre?“ Ich konnte nicht anders, als ihn zu reizen, denn es machte einfach so Spaß, vor allem da er immer eine passende Antwort hatte. Aber das hätte ich besser nicht gesagt, denn eher ich mich versah, zog er mich wieder heran, sodass meine Nase zuerst förmlich in seine Brust gepresst wurde, doch dann hob er mit der einen Hand ein wenig grob mein Kinn an und zögerte keine Sekunde, als er seine Lippen hart und fordernd auf legte und mir keine Chance gab Wiederstand zu leisten. Nicht, dass ich mich großartig gewährt hätte. Reflexartig öffnete ich meine Lippen einen Spalt breit und sofort drängte er seine Zunge in meinen Mund. Doch bevor ich das Gefühl wirklich genießen konnte, zog er sich ein wenig zurück. Keuchend sah ich ihn an, denn der Kuss war noch atemberaubender und intensiver als die anderen. Doch ehe ich wieder zu Atem kam, hatte er seine Lippen erneut auf meine gelegt. Aber diesmal war er total sanft und zärtlich. Seine Hand streichelte meine Wange und ich fragte mich, warum er auf einmal so anders war. Trotzdem genoss ich den Kuss, doch auch dieser war schnell wieder vorbei. Von dem ganzen hin und her war mir schon ganz schwummrig.
Atemlos sah ich ihn an und ich war mir sicher, dass mein Gesicht ganz fleckig und rot war. Überheblich sah er mich an und ich verstand, was er mit den Küssen hatte bezwecken wollen.
„Und ich bin mir sicher, dass meine Küsse garantiert keine Albträume sind, oder soll ich es dir nochmal beweisen?“, meinte er mit einem vielsagenden Blick auf meine geschwollenen Lippen und kam mir erneut gefährlich nah. Hektisch schnappte ich nach Luft, aber ich schaffte es nicht meinen gebannten Blick von ihm zu nehmen, deswegen brauchte ich auch zu lange, um eine passende und schnippische Antwort zu finden. Geistesabwesend schüttelte ich den Kopf, um wieder klar zu werden, doch das hätte ich besser nicht getan. „Also hältst du meine Küsse nicht für Albträume?“ Triumphierend schaute er mich an und erst da verstand ich, dass ich unfreiwillig nachgegeben hatte. Ärgerlich schaute ich ihn an.
„Nein, ich meinte, nur, du sollst es mir nicht nochmal beweisen. Ich bin mir auch so sicher, dass deine Küsse Albträume sind“, versuchte ich mich noch zu retten, doch ich befürchtete, dass ich trotzdem verloren hatte und an seinem immer noch stolzen Gesichtsausdruck sah ich, dass er es auch wusste.
Doch zum Glück ging er nicht weitere darauf ein. Als sich die Stille zwischen uns ausbreitet und wir uns nur gegenseitig reglos anstarrten, spürte ich, wie mir immer kälter wurde.
„Willst du nach Hause?“, fragte er mich da auch schon. Zögerlich nickte ich. Schließlich war es auch schon ziemlich spät und die Müdigkeit machte sich immer mehr bemerkbar. Außerdem waren wir ja jetzt auch lange genug zusammen unterwegs gewesen und ich wollte jetzt erstmal meine Zeit, um über all das nachzudenken, dass ich gerade während des Schlittschuhlaufens verdrängt hatte. Warum fühlte es sich zwischen uns so vertraut an, warum konnte ich bei ihm mein sonstiges Misstrauen so leicht nehmen? Warum ließ ich mich ständig von ihm küssen, obwohl wir uns doch kaum kannten?
„Ok, dann bring ich eben die Schuhe weg und dann laufen wir zurück, ja?“ Wieder nickte ich nur stumm und vergrub meine Hände in meinen Taschen. Als er wieder kam liefen wir schweigend nebeneinander her, jeder in Gedanken versunken. Ich fragte mich, ob er auch so viel über uns nachdachte, wie ich. Da es so still war, erschrak ich tierisch, als es auf einmal laut im Gebüsch raschelte und kurz glühende Augen aufleuchteten. David hatte es mitbekommen und legte mir beruhigend eine Hand auf die Schulter.
„Das war nur ein Tier“, meinte er und ich nickte zur Bestätigung. Als ich vor ihm wieder losging, rutschte seine Hand von meiner Schulter und er kam mir schnell nach, aber berührte mich nicht mehr.
So kamen wir bald wieder am Ausgang an und warteten auf Peter, dem David schnell eine Nachricht geschickt hatte. Als ich ein Blick auf das Display seines Handy warf, entdeckte ich, dass wir über zwei Stunden unterwegs waren und es jetzt bereits schon weit nach Mitternacht war.
Müde stieg ich ins Auto und schnallte mich an. David rutschte neben mir auf den Sitz und erneut schwiegen wir uns an. Mir die Augen reiben, legte ich meine Ellbogen auf der Einbuchtung in der Tür ab und starrte nach draußen in die Dunkelheit.
Schon nach kurzer Zeit hielten wir vor unserem Haus und obwohl es im Dunkel lag, da kein Licht an war, wusste ich, dass Jannis sicherlich noch im Wohnzimmer lauerte, um mich auszuhorchen.
Auch diesmal stieg ich von alleine aus und lief den Weg zum Haus entlang, ohne auf David zu warten. Doch schon kurz darauf, ertönten seine Schritte hinter mir und bevor ich die zwei Treppen zur Haustür hochgehen konnte, hielt er mich auf.
„Jetzt warte doch mal, Maya. Hast du Lust, dich morgen wieder mit mir zu treffen?“ Hoffnungsvoll sah er mich an, doch ich musste ihn leider enttäuschen.
„Nein, tut mir leid, David. Ich will morgen erst mal meine Ruhe um Nachdenke zu können“, murmelte ich.
„Worüber?“, fragte er erstaunt.
„Darüber, was zwischen uns ist?“, antwortete ich und er schaute mich ernst an.
„Warum lässt du uns das nicht gemeinsam herausfinden. So können wir uns doch besser kennen lernen“, erwiderte er nicht locker lassend.
Eigentlich hatte er Recht. „Trotzdem, ich brauch erst mal meine Ruhe, ich sag ja nicht, dass ich mich nicht mehr mit dir treffen will. Nur morgen erst Mal nicht.“
Er sah mich immer noch ernst an, doch dann huschte ein Schmunzeln über sein Gesicht.
„Na gut, aber Montag. Und dann werde ich dich nicht ausweichen lassen.“ Und bevor ich darauf noch etwas erwidern konnte, hatte er sich schon zu mir herunter gebeugt und mir einen Kuss auf die Wange gehaucht. Mit einem sanften „Gute Nacht und träum süß“, verschwand er dann. Ich hielt mich nicht damit auf, ihm verdattert hinter her zu schauen, sondern kramte schnell meinen Schlüssel aus der Tasche, da mit total kalt war. Leise öffnete ich die Tür und achtete darauf, sie nicht ins Schloss fallen zu lassen. Sanft drückte ich sie zu und zog mir dann die Schuhe aus. Ich stellte sie ab und wollte dann auf Zehenspitzen die Treppe hochgehen und verschwinden, um Jannis Befragung zu entgegnen. Als ich fast oben war, dachte ich schon, dass ich es tatsächlich geschafft habe, doch da hatte ich mich zu früh gefreut.
„Maya“, erschloss seine belustigte Stimme von unter hoch. Verdammt!
„Warum schleichst du dich denn so hoch?“
„Ähmm…ich wollte dich nicht wecken?“, antwortete ich, obwohl ich genau wusste, dass er mir eh nicht glauben werde.
„Aber da ich ja noch wach bin, kannst du ja auch runter kommen und mir ein bisschen was von deinem Date erzählen“, meinte er scheinheilig, doch ich hörte die ernstgemeinte Drohung. Wenn ich nicht freiwillig käme, würde er mich holen.
Trotzdem zog ich Erwägung, einfach schnell in meinem Zimmer zu verschwinden. Wenn ich mich einschloss, würde ich zumindest bis morgen meine Ruhe haben. Denn jetzt wollte ich einfach nur noch meine Ruhe. Leider machte mir Jannis einen Strich durch die Rechnung, denn er hatte sich langsam zum Anfang der Treppe geschlichen und hetzte jetzt mit großen Schritten die Treppe herauf. Da er solange Beine hatte, nahm er immer sofort vier Stufen. Ich hatte ihn zu spät bemerkt, deswegen rannte auch ich los und versuchte noch schnell genug zu meinem Zimmer zu kommen, das leider am anderen Ende des Flurs lag. Hinter mir hörte ich, wie Jannis die obere Treppenstufe erreichte und mir hinter her rannte.
„Maya, bleib hier. Ich werde es eh aus dir rauskriegen und vorher keine Ruhe geben. Die ganze Nacht durch, werde ich dich nerven, solange bis du nachgibst“, brüllte er spielerisch, doch ich hörte nicht auf ihn und rannte weiter, fast hatte ich die Tür erreicht.
„Dafür musst du mich erst mal kriegen!“, kreischte ich und griff nach meinem Türgriff, drückte ihn nach unten und wollte schon eintreten – doch ich lief gegen die Tür. Sie hatte sich nicht geöffnet und so knallte ich mit voller Wucht mit der Stirn dagegen. Schmerzerfüllt ruckte ich zurück und landete genau in Jannis Armen, der mich sofort umschlang und an seine Brust zog.
„Wolltest du etwa vor mir fliehen? Und meiner Befragung entgehen?“, flüsterte er mir ins Ohr und schob mich wieder etwas weiter von sich weg, sodass er nur noch meine Arme festhielt.
„Nein, ich wollte nur schnell ins Bett“, erwiderte ich rasch.
„Aber ein bisschen zu schnell, bist ja vor lauter Hektik gegen die Tür gerannt.“ Breit und spöttisch grinste er mich an und ich wusste, dass ich nicht allzu bald zum Schlafen kommen würde.
„Na und? Kannst du mich jetzt bitte los lassen?“, fauchte ich ihn an und wollte mich losreißen, doch er ließ mir kaum Bewegungsfreiheit, sodass ich gerade noch die Klinke runterdrücken konnte. Aber sie ließ sich nicht runter drücken und verwirrt schaute ich sie an. Dann blickte ich in Jannis grinsendes Gesicht und er hielt mir einen Schlüssel unter die Nase. Mein Schlüssel!
„Du Arsch.“ Wütend schlug ich ihm auf die Schulter, doch er zuckte noch nicht mal mit der Wimper.
„Nein, ich bin kein Arsch, ich wollte nur vorsorgen. Ich muss schließlich wissen, wie das Date meiner kleinen Schwester gelaufen ist.“ Jetzt hatte ich endgültig die Hoffnung aufgegeben, ihm ausweichen zu können.
„Soll ich es erst aus dir herauskitzeln?“, drohte er mir wirkungsvoll und ich seufzte auf.
„Na gut, ich erzähl es dir, wenn du mir den Schlüssel gibst“, gab ich nach.
Jannis grinste triumphierte und steckte den Schlüssel in die Tür. Dann ließ er mich endlich los und ich unter nahm noch einen letzten Versuch ihn endlich los zu werden. Hastig sprang ich ins Zimmer und versuchte die Tür hinter mir zu werfen, doch da stemmte er sich auch schon gegen die andere Seite und da ich einfach keine Chance gegen ihn hatte, musste ich nachgeben. Schon zum zweiten Mal an diesem Tag regte es mich auf, dass ich gegen ihn oder David einfach zu schwach war.
„Wolltest du mich etwa aussperren?“, fragte Jannis bedrohlich und eher ich reagieren konnte, hatte er mich an sich gerissen und begann hinterhältig mich zu kitzeln. Sofort musste ich wieder anfangen tierisch zu lachen, und zu weinen und nach Luft zu japsen.
„Aufhören, bitte hör auf, Jannis!“, kreischte ich.
„Ich sags dir, bitte, ich sags dir ja schon.“ Trotzdem hörte er nicht auf und ich krümmte mich panisch zusammen.
„Schwörs mir“, meinte er mit einem Lachen in der Stimme.
„Ich schwörs.“ Meine Luft wurde schon knapp und als er seine Hand auch noch zur meiner Seite bewegte, war es vollends mit meiner Beherrschung vorbei, denn das war meine kitzligste Stelle.
„Bitte, ich schwörs!“, hickste ich, da er nicht aufhörte.
Mit einem letzten extra starken Kitzeln, ließ er endlich von mir ab und ich rutschte an ihm herunter auf den Boden, da ich keine Kraft mehr in meinem Körper und in meinen Beinen hatte, da ich so heftig um mich gestrampelt hatte.
Jannis, der Idiot, störte sich natürlich nicht an meiner Notlage und setzte sich einfach knallhart in meinen Sitzsack, seinen Lieblingsplatz in meinem Zimmer. Er ruckte ein bisschen herum, bis er es total bequem hatte und besaß dann noch die Frechheit mich abwartend anzuschauen, während ich immer noch nach Luft ringend, am Boden lag.
Geschlagene zwei Minuten brauchte ich, um wieder aufstehen zu können, auch wenn mich das Gefühl seiner kitzelnden Finger noch verfolgte. Bitter böse schaute ich ihn an, während ich mich seufzend auf einen Stuhl fallen ließ. Als ich einen Blick auf die große, altmodische Uhr mit dem riesigen Ziffernblatt warf, stellte ich fest, dass es schon drei Uhr nachts war. Sehnsüchtig warf ich einen Blick auf mein Bett, doch ich befürchtete, dass ich sobald, ich den weichen, kuschligen, bequem, gemütlichen, warmen, breiten…Untergrund berühren würde, auf der Stelle einschlief.
Also machte ich es mir wohl oder übel auf dem Stuhl bequem.
Jannis saß immer noch abwartend in dem Sitzsack und versuchte eine bequeme Position für seine Beine zu finden.
„Also, dann schieß mal los!“, befahl er mich frech grinsend und verschränkte die Arme in seinem Nacken.
„Hmmm“, grummelte ich, „Also Peter hat mich zum Restaurant gebracht, dort habe ich David getroffen. Nachdem Davids Exfreundin aufgetaucht ist, war uns die Lust nach dem peniblem Restaurant verdorben und wir sind zum Dönermann gefahren. Danach waren wir noch Schlittschuh laufen und dann sind wir nach Hause gefahren. Zufrieden?“ Natürlich war er das nicht, aber ich wollte ihn zur Strafe für seine Folter eben, noch ein bisschen ärgern. Spöttisch zog er eine Augenbraue hoch und mal wieder ärgerte ich mich darüber, dass er das konnte und ich nicht.
„Seh ich so aus, als ob ich zufrieden wäre?“ Nein, so sah er nicht aus und ich seufzte abgrundtief.
Da ich wusste, dass doch noch eine lange Nacht werden würde, beschloss ich doch, mich ins Bett zu legen, da der Stuhl einfach zu unbequem war, als dass man drei Stunden auf ihm hocken könnte.
„Na gut, na gut, ich werde ja schon ausführlicher“, gab ich nach und stand auf. Als ich auf den Boden die blau, rot karierte Boxershorts und mein schwarzes Schlaftop entdeckte, begann ich mich schnell auszuziehen.
„Du sollst mir jetzt eigentlich nicht nachspielen, was zwischen euch so abgelaufen ist, wenn du es mir erzählst, würde es mir schon reichen“, spöttelte Jannis, der absichtlich missverstand, warum ich mich auszog. Ich warf ihn einen bitterbösen Blick zu, der ihn zum Schweigen brachte und zog mir schnell meine Schlafsachen an und schlüpfte dann ins Bett.
„Haha, sehr lustig“, murmelte ich sarkastisch und zog die Bettdecke über mich. Kurz fragte ich mich, ob ich ihn einfach ignorieren und schlafen könnte.
„Ja, find ich auch.“ Manchmal brachte mich Jannis trockener und sarkastischer Humor echt auf 180.
Probehalber schloss ich die Augen und vergrub meinen Kopf im Kissen.
„Eye, einschlafen gibt’s nicht. Jetzt wird erzählt, oder ich fang wieder an dich zu kitzeln.“ Schlagartig riss ich meine Augen wieder auf und sah ihn erschrocken an. Seine Mundwinkel zuckten und er forderte mich mit einer Handbewegung auf, zu erzählen. Also stopfte ich mir ein Kissen unter den Nacken und begann endlich und viel zu ausführlich zu berichten. Immer wenn ich etwas aussparen wollte oder ihm z.B. von den Küssen nicht erzählen wollte, merkte er es mir sofort an und quetschte es aus mir heraus. Irgendwann wurde es ihm zu kalt und er zog sich bis auf die Boxershorts aus, um sich neben mir ins Bett zu quetschen. Gut, dass mein Bett breit genug war. Als sein kalter Körper mich umschlang und seine Eisfüße sich zwischen meine Unterschenkel schoben, quietschte ich entsetzt auf.
„Jannis, lass das!“, fauchte ich und versuchte von ihm abzurücken. Doch er ließ mich nicht los.
„Aber mir ist kalt“, quengelte er gespielt und schaute sich mit seinem Hundeblick an.
„Ich hasse dich“, meinte ich nachgebend und er grinste mich triumphierend an. Trotzdem rutschte er von mir weg sodass ich ihn zwar noch berührte, doch nicht mehr so engumschlungen.
„Nein, tust du nicht!“ Gutmütig und liebevoll sah er mich an und ich machte es mir an seiner Schulter bequem und begann wieder zu erzählen.
Wie ich befürchtet hatte, wurde es eine lange Nacht und kurz nachdem ich das letzte Mal auf die Uhr geschaut hatte, so um 5, war ich dann eingeschlafen. Doch es war echt schön gewesen, mit Jannis über alles zu reden und nachher hatten wir noch über seinen Traum, bei einer größeren Filmindustrie zu arbeiten, geredet. Und darüber waren mir irgendwann die Augen zugefallen.




Kaptiel 10: Mayas Sicht




Als ich fünf Stunden später meine Augen wieder aufschlug, spürte ich ein schweres Gewicht. Jannis lag schnarchend und mit offenem Mund halb auf mir. Lächelnd betrachtete ich ihn ein wenig, denn er sah so einfach zu süß aus. Doch leider hinderte mich sein lautes Schnarchen daran, weiter zu schlafen und so wollte ich schon mal aufstehen, doch ich konnte mich einfach nicht unter ihm herauswinden ohne ihn zu wecken. Ärgerlich ruckte ich hin und her, doch es gab kein Entkommen. Also beschloss ich noch ein wenig liegen zu bleiben, doch ich konnte nicht mehr einschlafen, da mein Magen immer lauter knurrte. Wunderte mich, dass er davon nicht aufwachte. Trotzdem blieb ich noch eine geschlagene Viertelstunde so liegen, bis er endlich begann, sich zu bewegen. Träge schnurrte er und schlug seine Augen auf. Als er mich entdeckte, lächelte er, blieb aber einfach liegen.
Ich räusperte mich. „Ähmm…Jannis, könntest du mal von mir runter gehen? Du bist tonnenschwer und außerdem hab ich Hunger!“ Überlegend sah er mich an, seine Augen blitzten frech auf und dann schüttelte er den Kopf. Aber er sagte nichts.
„Was soll das Kopfschütteln? Beweg dich endlich von mir runter!“, blaffte ich ihn wütend an. Er konnte so eine Nervensäge sein. Schrecklich!
„Das bedeutet, dass ich mich nicht bewegen will, ich finde es gerade ziemlich bequem hier“, meinte er gelassen.
„Bequem, gleich kriegst du mal ein bequem. Meine Hand landet bequem in deinem Gesicht! Außerdem ist es gar nicht bequem, ich bin doch viel zu hart!“, versuchte ich es dann am Ende dann doch noch mit Argumenten und ohne Drohungen. Aber leider wirkte beides nicht sonderlich.
Er legte sich zwar wieder richtig hin, sodass er nicht mehr auf mir lag, doch da er mich noch am Arm festhielt und ich aus Erfahrung wusste, dass er sehr viel Kraft hatte, wusste ich, dass ich wegkommen würde.
„Und was, wenn ich nicht aufstehe?“ Provozierend sah er mich an.
„Dann, dann, dann….werde ich dich hassen!“, stotterte ich und verfluchte mich dafür, dass mir nichts Besseres eingefallen war und er mich jetzt sicherlich nicht ernstnehmen würde, vor allem da meine Stimme auch nicht fest geklungen hatte.
„Kleine, du wirst mich nie hassen können. Ich bin doch dein Lieblingsbruder“, schmunzelte er und tippte mir mit seinem Zeigefinger frech auf die Nase.
„Thh…ich hab nur einen Bruder. Also ist es keine Leistung, wenn du mein Lieblingsbruder bist!“, entgegnete ich genervt, denn ich wollte endlich aufstehen, da mein Magen immer lauter knurrte.
„Trotzdem liebst du mich“, meinte er belustigt. „Und ich werde nicht eher gehen, bist du sagst, dass ich der beste Bruder bin, den es geben kann“, erpresste er mich einfach hinterhältig.
„Dann würde ich lügen!“, fauchte ich wütend. Würde ich zwar nicht, in meinen Augen war er tatsächlich ein guter Bruder, aber gerade ging er mir so auf die Nerven, dass ihm das garantiert nicht so unter die Nase reiben würde.
„Sicher?“, meinte er gespielt bedroht und seine Finger, die bisher ruhig auf meinem Arm gelegen hatten, fingen an ihn runter zu krabbeln. Aus Reflex, da ich wusste, dass er mich in die Seite kneifen und kitzeln wollte, zuckte ich zurück und versuchte auszuweichen. Das hätte ich besser nicht getan, denn so wusste er, dass ich Angst vor seinen kitzligen Fingern hatte. Er packte mich mit der anderen Hand fester, sodass ich nicht ausweichen konnte und näherte sich immer mehr meiner Seite. Als der erste Finger meine Seite berührte und ich zurückzuckte, wusste ich, dass ich verloren hatte. Ich würde eh nachgeben, wenn er anfing mich zu kitzeln.
„Du bist so ein Arsch, immer erpresst du mich!“ Als er mich drohend ansah und über meine Seite strich, aber nicht auf eine anzügliche, sondern auf eine bedrohende Art, presste ich noch hinterher: „Aber du bist trotzdem der beste, große Bruder, denn man sich wünschen kann! Zufrieden?“ Meine Stimme war eher ein Fauchen und er schaute mich erneut spöttisch an.
„Naja, es hätte noch ein wenig überzeugter sein können, aber ich will ja mal nicht so sein. Ich lass dich frei“, tat er großspurig und ließ mich endlich los. Zufrieden verschränkte er seine Arme hinter seinem Kopf und betrachtete mich von Kissen aus. Ausstehende könnten vielleicht denken, dass unser Verhältnis etwas zu eng war, aber nachdem unsere Eltern gestorben waren, hatten wir nur noch uns beide gehabt und mein Bruder war der einzige gewesen, der mich verstanden hatte. Er war mein bester Freund und ich konnte immer alles mit ihm bereden.
„Danke, das ist aber sehr nett. Wie überaus freundlich von dir“, brummte ich und quälte mich stöhnend aus dem Bett.
Ich schnappte mir frische Unterwäsche und eine neue Hose und einen dicken Pullover aus meinem Schrank und schlürfte ins Bad. Meine Haare kringelten sich wie jeden Morgen schrecklich, ich wusste nicht, wie viele Bürsten ich schon zerstört hatte, in dem vergeblichen Versuch, meine Haare zu bändigen. Jannis schenkte mir immer als Insiderwitz zum Geburtstag und Weihnachten mehrere Haarbürsten.
Nach kurzer Zeit schlenderte ich wieder runter und sah, dass Jannis sich mittlerweile wohl auch aus meinem Bett bequemt hatte und in seinem Zimmer verschwunden war.
Müde schmierte ich mir schnell ein Brötchen, setzte mich dann an auf einen Stuhl und legte meinen Füße auf einen anderen. Nach kurzer Zeit kam mein Bruder die Treppe runtergepoltert und zog mir den Stuhl, auf den ich meine Beine abgelegt hatte, weg, sodass meine Füße hart auf dem Boden aufknallten. Wütend schaute ich ihn an, aber ignorierte ihn dann, um weiter mein Brötchen in mich hinein zu schaufeln.
„Hast du nichts für mich gemacht“, hörte ich Jannis fragende Stimme.
„Sag mal spinnst du? Ich bin doch nicht deine Dienerin!“ Mein Kopf ruckte hoch und ich funkelte ihn ärgerlich an, doch da sah ich sein Schmunzeln.
„Weiß ich doch, war ja auch nur ein Scherz.“ Ich ging nicht weiter darauf ein und beschäftigte mich wieder mit meinem Brötchen.
„Ich geh heute ins Fitnessstudio“, hörte ich Jannis sagen, während er mit dem Geschirr klapperte.
„Hmm….“, brummte ich bestätigend. Doch dann erinnerte ich mich wieder daran, dass ich gestern gegen Jannis und David keine Chance hatte, mich irgendwie zu wehren. Vielleicht wäre es ja eine gute Idee, auch mal ein wenig zu trainieren, auch wenn ich der absolute Sportmuffel war. Aber das konnte ja echt nicht sein, dass ich immer so schwach war.
„Ich komm mit!“, entfuhr es mir, bevor ich mich wieder umentscheiden konnte.
Jannis, der gerade einen Orangensaft trinken wollte, verschluckte sich überrascht und spuckte ein bisschen des Saftes gleich wieder aus. Er hustete los und ich überlegte kurz, ob ich aufstehen sollte und ihm auf den Rücken schlagen sollte, doch da hatte er sich auch schon wieder gefangen.
„DU willst ins Fitnessstudio? DU?“, fragte er vollkommen verblüfft. Gekränkt sah ich ihn an. War ich wirklich so schlimm, dass es so verwunderlich war, dass ich trainieren wollte.
„Ähmm…ja? Was ist daran so schlimm?“ Jannis sah mir wohl an, dass er jetzt besser nichts Falsches sagen sollte.
„Nichts…nichts. Hat mich nur ein wenig gewundert. Aber wenn du mitkommen willst, musst du dich beeilen, ich will in zehn Minuten los.“ Hastig nickte ich und schlag den Rest meines Brötchens herunter. Dann stürmte ich hoch und stopfte meine einzige, kurze Sporthose, die ich sonst nur für den Sportunterricht in der Schule brauchte, und ein einfaches, blaues Top in meine Tasche.
„Ich bin fertig“, rief ich und eilte runter. Im Flur zog sich Jannis bereits seine Schuhe an und ich beeilte mich, auch schnell in meine zu schlüpfen.

Eine viertel Stunde später, hielt Jannis Wagen, eine alte, schwarze Klapperkiste, vor dem riesigen, verglasten Stadtcenter. Jannis parkte am Straßenrand und wir stiegen aus. Das war das erste Mal, dass ich hier war um ins Fitnessstudio zu gehen, normalerweise ging ich immer ins Kino, eine Etage darüber und bemitleidete die armen Schweine, die man wegen den verglasten Wände schuften sehen konnte, wenn man die Rolltreppe hochfuhr. Diesmal würde ich wohl so ein armes Schwein sein. Warum musste auch alle Wände verglast sein? So würden nicht nur die Leute im Studio meine Blamage sehen, sondern auch alle, die zum Kino oder höher wollten.
Am liebsten wäre ich schreiend wieder weggerannt, doch die Blöße würde ich mir vor Jannis nicht geben, der schon ganze Zeit belustigt vor sich her grinst.
„Na, alles klar“, bohrte er dann auch noch in der Wunde. Arsch. Ich schenkte ihm ein sarkastisches Lächeln und flötete: „Natürlich, ich freu mich schon total.“ In seinen Augen sah ich, dass er genau wusste, dass ich hier log wie gedruckt.
„Na dann ist ja super. Los, komm!“ Fröhlich sah er mich an und stürmte ins Gebäude. Seufzend zockelte ich ihm hinterher. Wir mussten eine Etage hochfahren und schon von weitem sah ich die leuchtend gelbe Farbe, des Eingangschildes. Darauf war ein strahlendes Paar zu sehen, dass in sportlich gekleidet war und an merkwürdigen Geräten trainierte, die ich nicht identifizieren konnte. Seltsamerweise schienen sie kein bisschen zu schwitzen und übermotiviert zu trainieren und natürlich hatten beide einen super trainierten Köper. Hah, das ich nicht lache! So würde ich garantiert nicht aussehen. Ich werde bereits nach den ersten Minuten wie ein Hund hecheln und mich verzweifelt fragen, warum ich mir das antat, während ich wie verrückt schwitzte. Und das einzige was ich davon haben würde, wäre ein tierischer Muskelkater.
In meinen pessimistischen Gedanken versunken, merkte ich gar nicht, dass wir jetzt schon direkt am Eingang standen. Jannis grinste mich siegessicher an, so als erwartete er förmlich, dass ich jeden Moment die Flucht nach hinten antrat. Aber diesen Triumph würde ich ihm nicht gönnen. Ich würde das hier durchziehen, auch wenn ich mich die nächsten Tage vor lauter Muskelkater nicht mehr bewegen könnte!
„Los, lass uns reingehen!“, meinte ich mit neuem Elan und Jannis schaute mich kurz verblüfft an, doch dann drückte er die Tür auf und trat natürlich als erstes ein, statt mir den Vortritt zu lassen. Also Manieren hatte er wirklich nicht. Ich fragte mich immer, was seine ganzen Frauen so charmant an ihm fanden.
Sobald ich meinen Fuß über die Schwelle gesetzt hatte, schlug mir der ekelerregende Gestank von Schweiß entgegen. Über fünfzig Leute schwitzen hier vor sich hin. Ich verkniff es mir, die Nase zu rümpfen bei dem Gestank und folgte schnell Jannis, der zielstrebig auf den riesigen, mit Muskeln bepackten Mann, am anderen Ende zu lief. Als dieser ihn entdeckte, lächelte er ihn strahlend an, wobei er mehrere Goldzähne entblößte, die funkelten. Sein Schädel war kahlrasiert und er hatte mehr Piercings im Gesicht, als ich zählen konnte, doch er hatte irgendetwas Anziehendes. Auf seine Art sah er sehr gut aus.
„Jannis, wie schön dich zu sehen. Und welche Schönheit hast du denn da mitgebracht, doch nicht etwa deine Freundin“, dröhnte seine laute Stimme, die genauso wie der Rest seines Körpers überhaupt nicht zu seinen Worten passte. Er beugte sich zu mir herunter und ehe ich mich versah, hatte er meine Hand genommen und einen Kuss darauf gehaucht.
„Egal, was er ihnen verspricht, retten sie sich, solange sie noch können. Er ist ein Idiot, der so eine fantastische Frau wie sie nicht verdient hat“, schmeichelte er mir und schmunzelnd ging ich auf ihn ein. „Ach, und wer hätte mich dann verdient?“, meinte ich mit einem vielsagenden, schweifenden Blick durch den Raum. So als ob ich jemanden suchen würde.
„Och, da würde ich jemanden kennen.“
„Javier, lass sie Finger von meiner Schwester, ich würde dir höchst ungern wehtun, doch wenn du sie nicht in Ruhe lässt, werde ich mich wohl oder übel dazu überwinden müssen. Denn wir wissen doch beide, dass DU hier der größte Playboy bist“, lächelte er belustigt, auch wenn ich merkte, dass er es durchaus ernst meinte. Doch der Riese, der scheinbar Spanier war, ließ sich nicht wirklich beeindrucken, auch wenn ich das Gefühl hatte, dass er sofort alle Absichten mir gegenüber fallen ließ, denn dem flirtenden Ausdruck in seinen Augen, wich einem belustigten.
„Ach, du bist also seine Schwester. Kein Wunder, dass er dich mir nie vorgestellt hätte, wenn ich so eine schöne Schwester hätte, würde ich sie auch nicht meinen verdorbenen Freunden vorstellen“, murmelte er belustigt.
„Und du bist verdorben?“, fragte ich ihn mit schief gelegtem Kopf. Einen Moment huschte ein ernster Ausdruck über sein Gesicht, doch dann kam das Lächeln wieder, das aber nicht so ganz seine Augen erreichte. „Und wie, schöne Lady, bis auf den tiefsten Grund meiner schwarzen Seele, deswegen wäre es tatsächlich besser, wenn du dich von mir fernhältst. Auch wenn ich das wirklich sehr bedauern würde“, setzte er dann noch hinter her.
Gerade wollte ich zur Antwort ansetzen, als Jannis uns unterbrach.
„Das reicht jetzt. Maya, geh schon mal da hinten in die Ecke, wo die freien Geräte sind, die kannst du benutzen. Sie sind quasi für mich reserviert. Ich muss hier noch was klären“, scheuchte er mich davon und ich fügte mich murrend. Während ich dorthin schlurfte, warf ich immer wieder einen Blick über meine Schulter. Nicht, dass Jannis ihn jetzt irgendwie schlug, oder so. Doch ich sah die beiden nur laut lachen und beruhigte mich.
Desto näher die Geräte kamen, umso langsamer wurde ich. Ich gab vor, mich für die andren Trainierenden zu interessieren, doch in Wirklichkeit wollte ich nur Zeit schinden. Doch irgendwann kam ich an und ich musste wohl oder übel beginnen, wenn ich mich nicht total vor Jannis blamieren wollte. Seufzend legte ich meine Tasche ab und zog mir meine dicke Jacke aus. Dann sah ich mich nach einer Umkleide um und entdeckte sie ein paar Meter weiter. Ich packte mein Top und die Sporthose und schlurfte lustlos dahin. Zweifelnd stand ich dann vor zwei Türen und fragte mich, welche die Frauenumkleide waren. Auf beiden Türen stand in großen Buchstaben „Umkleide“, doch nicht, wessen Umkleide. Verdammt! Ich konnte ja auch nicht einfach die Tür aufmachen und reinspähen. Verzweifelt biss ich mir auf die Lippe und suchte nach einem kleinen Schildchen.
„Die rechte Tür führt zur Frauenumkleide“, ertönte dann auf einmal eine laute Stimme hinter mir. Dankbar drehte ich mich und entdeckte eine Horde Männer, die scheinbar zusammen trainierten. Sie brachen alle in Gelächter aus, aber ich dachte mir nichts dabei, als ihn ihnen dankbar zu nickte und die Tür aufstieß. Erst als mir plötzlicher ein halbnackter Mann gegenüberstand, der gerade in seine Hose schlüpfen wollte und deswegen nur auf einem Bein hüpfte, und fast hingefallen wäre, als er mich entdeckte, wusste ich, warum sie so gelacht hatten. Hochrot entschuldigte ich mich bei dem Mann und flüchtete schnell wieder nach draußen, wo mich schallendes Gelächter erwartete. Ich warf einen bitterbösen Blick zu den Männern herüber und verschwand dann rasch in der anderen Umkleide. Peinlich, peinlich, peinlich.
Kurz darauf trat ich wieder aus der Umkleide und blickte die Männer erneut böse an. Auf einmal trat einer aus der Menge heraus und kam auf mich zu, immer noch breit grinsend.
„Tut mir leid, dass wir dich reingelegt haben, aber es war einfach eine super Gelegenheit. Und es war ziemlich lustig“, meinte er und seine hellblauen Augen, blickten mich freundlich an. Scheinbar schien er hier Stammgast zu sein, denn auch er besaß ziemlich viele Muskeln. Er war mir sofort sympathisch und ich konnte ihm gar nicht mehr böse sein. So verzogen sich meine Mundwinkel automatisch ein wenig nach oben.
„Schon gut, hätte ich wahrscheinlich in euer Situation auch gemacht“, grinste ihn an. Er sah ehrlich erleichtert aus und reichte mir die Hand. Während er meine schüttelte, zerquetschte er mir fast die Finger, doch ich versuchte mir nichts anmerken zu lassen.
„Ich bin übrigens Phil und du?“
„Maya“, antwortete ich ihn. „Ich hab dich noch nie hier gesehen.“ Obwohl es keine Frage war, schaute er mich auffordernd an.
„Konntest du auch nicht. Normalerweise bin ich leidenschaftlicher Sportmuffel, doch heute hab ich meinen Bruder mal begleitet.“ Gerade, als er etwas erwidern wollte, hörte ich auf einmal: „Maya!“
Ich drehte ich um und entdeckte Jannis, der auf mich zu geeilt kam. Über sein Gesicht huschte ein breites Lachen und scheinbar schien er Phil zu kennen, der grinste auch ihm zu.
„Hey ihr beiden, ich seh schon, ihr habt euch schon kennengelernt.“ Scheinbar schien Jannis hier so gut wie jeden zu kennen, denn auch die anderen Männer aus Phils Gruppe kamen auf uns zu und begrüßten ihn per Handschlag.
„Dann war es also deine Schwester, die wir eben verarscht haben. Schade, dass du nicht da warst, Jannis, du hättest ihren Gesichtsausdruck sehen müssen!“, lachte einer aus der Gruppe und ich schaute ihn gespielt böse an.
„Oh, war habt ihr denn gemacht.“ Jannis sah kein bisschen böse aus, sondern grinste immer breiter.
In den nächsten Minuten erzählten die Jungs ihm von meiner Blamage und Jannis lachte sich kaputt. Dann redeten sie über irgendwelchen Männerkram und ich wurde immer gelangweilter. Das wiederum führte dazu, dass ich wieder an gestern dachte und an David…Dabei wollte ich mich doch hier eigentlich von ihm ablenken.
„Jannis, wollen wir dann jetzt hier trainieren?“, fragte ich dann meinen Bruder, weil er keinen Anstalten machte, sich von den anderen Männern loszureißen.
„Was ist denn heute mit dir los? Normalerweise hast du es doch auch nicht so eilig, Sport zu machen?“, fragte er mich belustigt und die anderen kicherten los.
„Haha, sehr witzig, aber wenn wir schon mal hier sind, dann können wir es ja auch schnell hinter uns bringen“, murmelte ich. Jannis nickte, aber riss sich immer noch nicht von den anderen los.
„Du kannst ja schon mal mit Javier üben, ich bin mir sicher, dass er dir liebend gerne helfen würde“, meinte er mit einem vielsagenden Wackeln der Augenbrauen und ich steckte ihm verärgerte die Zunge entgegen. Er war so ein Idiot.
„Tja, dann werde ich eben ohne euch Spaß haben“, brummelte ich und drehte mich melodramatisch auf dem Absatz um und machte mich auf die Suche nach Javier. Ich schlängelte mich an tausend Geräten mit schwitzenden Männern vorbei, es gab hier erstaunlich wenige Frauen, die waren wahrscheinlich zu vernünftig, als sich das hier anzutun. Immer wieder wurde mir irgendwas zu gerufen, aber ich ignorierte sie einfach alle und blieb stur auf der Suche nach Javier. Endlich konnte ich seinen kahlrasierten Schädel entdecken. Soweit ich das erkennen konnte, trainierte er gerade seine Bein und Armmuskeln gleichzeitig. Das Gerät sah gemein gefährlich aus und er hatte mindestens sechs Gewichte dran hängen. Als ich einen Blick auf das Gewicht warf, fielen mir fast die Augen aus dem Kopf. Der trainierte mit mehr Gewicht, als ich wog. Wenn ich mich an das Ding hängen würde, würde es mich mit hochziehen. Und auf seinem Gesicht war keine Spur von Anstrengung zu sehen, im Gegenteil, er lächelte sogar, als er mich entdeckte. Als er meinem überwältigten Gesichtsausdruck sah, wurde das Lachen sogar noch breiter.
„Na, beeindruckt?“, fragte er mit glänzenden Augen und ich konnte die Überheblichkeit förmlich aus seiner Stimme tropfen hören, doch ich wusste, dass er es nicht allzu ernst meinte, auch wenn es ihn wahrscheinlich freute. Arrogant. Er war arrogant, aber irgendwie mochte ich ihn.
„Hmmm…“ Überlegend legte ich meinen Kopf schief. „Schaffst du es noch mit einem Gewicht mehr?“, fragte ich ihn dann frech. Kurz sah er mich verblüfft an, doch dann brachte er in schallendes Gelächter aus.
„Weißt du was, ich schaff es sogar mit drei mehr, das war hier nur zum Aufwärmen.“ Ehe ich mich versehen konnte, war er aufgestanden und hatte zwei weitere Gewichte dran gehängt. 90. Obwohl ich ehrlich beeindruckt war, als er mühelos diese komische Stange runter zog und noch nicht mal rot vor Anstrengung wurde oder schneller atmetet, verschränkte ich betont unbeeindruckt meine Arme vor der Brust. Das war doch nicht normal. Auf einmal griff er unter das Gerät und statt das er weiter seine Arme trainierte, begann er seine Füße samt so komischer Polster immer wieder zusammen zu drücken. Immer noch, war er nicht wirklich angestrengt, auch wenn ich merkte, dass er langsam begann zu schwitzen. Um ihn zu ärgern, setzte ich mich auf das gegenüberliegende Gerät und begann mit genau einem Gewicht an zu arbeiten. Glücklicherweise bekam ich das mühelos hin und als ich ihn auffordernd und spöttisch anblickte, legte er tatsächlich noch ein Gewicht drauf. Unfassbar! Doch jetzt begann er ernsthaft zu schwitzen und schneller zu atmen. Außerdem nahm sein Gesicht eine rötliche Farbe an. Hämisch trainierte ich weiter mit meinem wenigen Gewicht und sah ihm weiter zu. Ich wusste ganz genau, dass er nicht eher aufhören würde, als dass er wirklich nicht mehr konnte. Dafür war er viel zu stolz und wollte sich vor mir nicht die Blöße geben. Tja, selber schuld. Aber leider musste ich feststellen, dass ich auch nach ein paar Minuten schwächer wurde, obwohl ich nur mit einem Zehntel seines Gewichtes trainierte. Ich versuchte mir das nicht an zu merken lassen. Dummerweise kam dann bald der Zeitpunkt, wo ich erstmal eine Pause brauchte, da ich einfach nicht mehr konnte. Das führte mir mal wieder vor Augen, wie schwach ich war. Ich sollte echt öfters hier hinkommen. Als sah, dass ich aufhörte, lächelte er mich breit und spöttisch an und zog zur Demonstration, dass er noch nicht müde war, nochmal extra heftig an der Stange. Da konnte ich einfach nicht umher, ihn bewundernd anzustarren. Noch ein paar Minuten saßen wir so, als er kurz seine Hände von dem Gerät löste um sich das Shirt über den Kopf zu ziehen. Bevor ich einen Blick auf seinen nackten Oberkörper werfen konnte, hörte ich auf einmal wie die Tür laut aufgeschlagen wurde und mein Blick glitt automatisch dahin. Mein Mund klappte auf und vollkommen verwirrt starrte ich die Person an, die dort gerade hereingekommen war.




Kapitel 11: Davids Sicht




Davids Sicht


Grübelnd schlenderte ich den Eingangsflur zu meinem Fitnessstudio entlang. Da ich mich ablenken wollte, hatte ich beschlossen, mal wieder trainieren zu gehen. Ich hatte zwar zu Hause ein eigenes Studio, aber ich mochte es lieber, mit anderen gemeinsam zu trainieren, wenn ich genug Zeit hatte.
Maya wollte in Ruhe nachdenken. Phh…. Warum musste sie denn nachdenken? Was gab es denn da zu überlegen oder zu grübeln. Und warum brauchte sie dafür eine „Auszeit“? Frauen. Ratlos schüttelte ich den Kopf und versuchte mich wieder auf das bevorstehende Training zu konzentrieren.
Unaufmerksam schweiften meine Augen an den Glaswänden entlang und ich betrachtete kurz die Trainierenden. Doch auf einmal stockte ich. Überrascht starrte ich ins Innere des Studios und konzentrierte mich auf einen rothaarigen, welligen Haarschopf und das mir sehr bekannte Seitenprofil eines schönen Gesichtes. Maya! Was machte sie denn hier? Gerade wollte ich einfach zu ihr reingehen, als ich erstarrte. Vor ihr auf dem Gerät saß ein Riese von Mann, der unglaublich durchtrainiert aussah und scheinbar mit sehr viel Gewicht übte, denn sie starrte ihn bewundernd an, hatte sich ein wenig vornerüber gebeugt und hatte so einen Glanz in den Augen. So hatte sie mich nicht angeschaut! Wer war der Typ? Heiße Eifersucht kochte in mir hoch und ich ballte meine Hände zu Fäusten. Wollte sie mich deshalb heute nicht sehen? Hatte sie einen anderen Typen? Der noch dazu, scheinbar viel muskulöser war als ich. Und jetzt zog er auch noch sein Shirt langsam aus und glotzte sie dabei auffordernd an, als würde er erwarten, dass sie ihn anhimmelte und um den Hals fiel. Arsch! Da ich nicht mehr nur einfach hier dämlich rumstehen konnte, stürmte ich förmlich ins Studio und schleuderte die Tür auf. Mayas Kopf ruckte in meine Richtung und ihre Augen weiteten sich überrascht. Sie machte einen ertappten Gesichtsausdruck, so als hätte ich sie bei etwas erwischt, oder bildete ich mir das nur ein? Aber ich hatte sie ja bei was erwischt, wie sie mit einem anderen Typen was machte und ihn anhimmelte.
Und ich hatte gedacht, sie wäre nicht so eine hinterhältige Schlange. Zornig verengten sich meine Augen zu schlitzen und daraufhin sah sie mich verwirrt an, so als ob sie nicht wissen würde, warum ich so wütend war.
„Was soll das?“, brummte ich. Verständnislos sah sie mich an.
„Was soll was?“, fragte sie mich. „Na, das ich nicht lache, du willst ein Tag Ruhe um Nachzudenken? Wahrscheinlich wolltest du dir direkt den nächsten Typ anlachen, nachdem du mich rumgekriegt hast!“ Sie brauchte eine Sekunde um zu verstehen und dann huschten mehrere Emotionen über ihr Gesicht. Fassungslosigkeit, Traurigkeit, Empörung, Enttäuschung, Verletzung und schließlich…Wut. Aber kein bisschen Reue oder Schuld.
„Wie kannst du es wagen?“, blaffte sie mich entrüstet an.
„Ich hab mir weder den nächsten Typ angelacht, noch hab ich dich rumgekriegt. Was denkst du dir eigentlich?“ Empört schnappte sie nach Luft und da mischte sich dann auch dieser Idiot ein.
„Was bist du denn bitte für einer? Machst hier ein riesen Aufstand und beleidigst die Lady hier ungerechtfertigt. Ich bin ein Freund ihres Bruders und sie hat mir nur beim Trainieren zugeguckt!“, grollte mich der Mann an. Was mischte der sich denn jetzt ein?
„Das geht dich gar nichts an“, brüllte ich ihn fast an. Obwohl ich ihn nicht kannte, hasste ich ihn jetzt schon abgrundtief, da er sich an Maya rangemacht hatte.
„Und ob es mich was angeht, wenn du sie wegen mir zusammen stauchst. Bist du ihr Freund oder was?“ Gerade wollte ich zur Antwort ansetzten, als Mayas wütenden Stimme ertönte.
„Nein, ist er nicht. Deswegen weiß ich auch nicht, warum er sich hier so tollwütig aufführt!“
Wie konnte sie das sagen? Wie sollte ich mich den sonst aufführen? Etwas lieb und verständnisvoll. Und musste sie dem Typen jetzt auch noch unter die Nase reiben, dass ich eigentlich kein Recht auf sie hatte?
„Ich führe mich tollwütig auf? Falls ich dich daran erinnern darf, wir haben uns gestern mehrmals geküsst und ich hatte nicht den Eindruck, als ob es dir nicht gefallen hätte. Aber vielleicht bist du ja einfach auch nur eine gute Schauspielerin!“ Empört schnappte sie nach Luft.
„Was ist bloß mit dir los? Du bist ja total durchgeknallt. Wo liegt dein Problem, ich hab doch überhaupt nichts gemacht! Ich hab keinen anderen geküsst und dich auch nicht betrogen, auch wenn ich dich theoretisch gar nicht betrügen könnte, weil du nicht mein Freund bist!“ Hektisch schnappte sie nach Luft.
„Aber vielleicht hast du ja auch Recht, vielleicht bin ich nur eine gute Schauspielerin, denn deine Küsse haben mir überhaupt nicht gefallen. Du bist echt wiederwertig!“ Sie redete sich immer mehr in Rage und beleidigte mich heftig. Wütend knirschte ich mit den Zähnen.
„Als ob sie dir nicht gefallen hätte. Du warst ja regelrecht begierig da nach!“ Vor Empörung riss sie ihre Augen auf. Gerade wollte ich noch einen hinterhersetzten, als ich auf einmal von hinten gepackt und herumgeschleudert wurde. Ich stand einem weiteren muskelösen Typen gegenüber, der aber glücklicherweise nicht so stämmig wie der andere war. Er hatte braune Haare und erinnerte mich irgendwie an jemanden, doch ich kam nicht drauf, an wen.
„Eye, was soll das!“ Wütend riss ich mich von ihm los und versetzte ihm einen harten Stoß.
„Ich mag es nicht, wie du mit Maya redest“, meinte er betont, aber gefährlich, ruhig.
„Ach, bist du auch noch ein Typ von ihr?“, fragte ich provozierend. Seine Augen verengten sich zu wütend Schlitzen.
„Ich bin ihr Bruder und wenn du nicht sofort aufhörst, sie zu beleidigen, dann kastrier ich dich, verstanden?“
„Bah, als ob du das schaffen würdest!“, lehnte ich mich weit aus dem Fenster, denn auch Mayas Bruder war ziemlich kräftig.
„Eigentlich hatte ich mir ja unser Treffen auch anders vorgestellt, vor allem da Maya so von dir geschwärmt hat, aber jetzt kannst du dir sicher sein, dass ich sie garantiert nicht mehr mit dir ausgehen lassen werde!“ Er ging nicht auf meine Provokation ein, sondern blieb äußerlich ruhig.
Sie hatte von mir geschwärmt? Bei den Worten hatte ich gestockt und langsam beschlichen mich Zweifel, vielleicht hatte ich ja Unrecht. Aber sie hatte den Typen ja wohl ganz eindeutig total angehimmelt! …oder?



Kapitel 12: Mayas Sicht




Fassungslos schaute ich von David zu Jannis und wieder zurück. Was ging hier nur ab? Warum rastete David bloß so aus? Ich hatte Javier doch nur bei trainieren zu geschaut und mich nicht an ihn heran gemacht. Er hatte überhaupt kein Recht dazu, irgendwie eifersüchtig zu sein oder hier so eine Nummer abzuziehen. Das nervte total. Vor allem, dass er mir dann auch noch vorwirft, dass ich einen neuen Typ hätte und beleidigt mich. Das konnte doch wohl nicht wahr sein! Hatte ich gestern den Eindruck gemacht, dass er mir auf die Nerven ging und ich nichts mehr mit ihm zu tun haben wollte? Nein, also warum rastete er dann so aus? Wenn er so wütend war, wirkte er irgendwie total verändert und ich hatte fast ein wenig Angst vor ihm. Er sah so aggressiv aus. Außerdem hatte er mich total beleidigt. Als ich wieder daran dachte, kochte der Zorn in mir wieder hoch. Was für ein Idiot!
„David, jetzt komm mal wieder runter. Ich hab keine Ahnung, warum du hier so einen Aufstand machst, aber ich sehe nicht ein, mir den Scheiß hier noch länger an zu tun. Also verschwinde jetzt entweder hier oder reg dich ab“, stellte ich ihn vor die Wahl und schaute ihn ernst an, während ich auffordernd die Arme vor der Brust verschränkte.
Wütend sah er mich an. „Willst du mich loswerden, oder was?“, fauchte er.
„Nein, ich will einfach nur, dass du dich wieder beruhigst. Du hast überhaupt keinen Grund, dich so aufzuregen.“
„Ja, sicher. Und warum wolltest du mich dann heute nicht sehen?“, fragte er immer noch wütend, obwohl er schon etwas entspannter aussah.
„Darauf antworte ich jetzt nicht, hab ich dir doch schon ausführlich erklärt.“, meinte ich schlicht, da es mir echt zu dumm war, da wieder drauf einzugehen. Also sah ich ihn nur auffordernd mit hochgezogener Augenbraue an.
„Na gut, ich habe vielleicht etwas überreagiert“, presste er zwischen zusammen gebissenen Zähnen hervor. Obwohl er sich endlich etwas einsichtig zeigte, schaute ich ihn weiterhin abwartend an.
„Und?“, fragte ich ihn der Erwartung, dass er sich entschuldigte. Ich sah, wie es förmlich in seinem Gehirn ratterte. Er wusste genau, dass ich im Recht war, doch er wollte es nicht zugeben. Das erinnerte mich irgendwie an meinen Bruder, der war auch immer so stur.
„Jaja, es tut mir leid, dass ich so ausgerastet bin.“ Er schaute mich aus seinen dunkelblauen Augen entschuldigend an, aber ich war immer noch misstrauisch, denn der Blick, dem er Javier zu warf, war alles andere, als freundlich.
„Schön, so…kannst du dann jetzt gehen?“, fragte ich ihn knallhart, da ich ihm immer noch nicht ganz verziehen habe. Außerdem wollte ich ihn heute eigentlich nicht sehen um über das Ganze mal nachdenken zu können.
Aber er sah mich vollkommen verblüfft an.
„Warum soll ich gehen?“ Das fragte er jetzt nicht ernsthaft, oder?
„Weil ich erstens in Ruhe mit meinem Bruder trainieren will und es immer noch dabei bleibt, dass ich erst mal nachdenken will.“ Er warf einen auffälligen Blick zu Javier, als ich meinte, dass ich trainieren wollte, doch er verkniff sich ein Kommentar, wofür ich ihm sehr dankbar war.
„Sicher, in einem Fitnessstudio?“, fragte er spöttisch und misstrauisch. Jannis, der sich, nachdem David wieder ruhiger geworden war, zu Javier gewandt hatte um uns ein bisschen Privatsphäre zu lassen, drehte sich jetzt wieder bedrohlich zu uns um, als David wieder lauter wurde.
Da ich nicht wollte, dass er sich wieder aufregte, zog ich David am Arm ein wenig weg.
„Es ist ganz allein meine Sache, wie ich nachdenken will. Warum regst du dich jetzt schon wieder auf? Tut mir leid, wenn es an deinem Ego kratzt, dass ich dich einen Tag nicht sehen will um über uns nachzudenken, aber du hast kein Recht, dich darüber…“ Bevor ich mich weiter in Rage reden konnte, hatte sich auf einmal zu mir runter gebeugt und legte einfach frech seine Lippen auf meine, um sie zu versiegeln. Wie konnte er es wagen? Empört wollte ich mich wegziehen, doch er krallte seine Hand in mein Haar und zog mich wieder näher. Doch dann erstickte er meine Prostet auch schon, denn seine Zunge glitt rau über meine Lippe und ich öffnete automatisch meinen Mund einen Spalt. Seine Lippen waren einfach so weich und er schmeckte so lecker männlich. Erst als er noch drängender wurde, schaltete sich mein Gehirn, das vorher vielleicht ein klein wenig von seinem Körper benebelt war, wieder kurz ein. Aber das reichte, als ich das ich mich ruckartig von ihm losriss und ihm aus Reflex ins Gesicht schlug. Wie konnte er es wagen?
Vollkommen überrumpelt sah er mich an und rieb sich eher aus Reflex, als wirklich aus Schmerz seine Wange. Seine Verwirrtheit nutzte ich aus und wirbelte auf dem Absatz herum, eher er mich zurück halten konnte. Er war gefährlich! Obwohl er mich beleidigt hatte und einfach so geküsst hatte, gefiel mir der Kuss und ich spürte immer noch das leichte Kribbeln. Er braucht mich total durcheinander und ich hasste es, nicht zu wissen, war ich wirklich fühlte.
Ich flüchtete mich zu Jannis in der Hoffnung, dass er davon nichts mitbekomme hatte, doch natürlich hatte er jede unsere Bewegungen mit Argusaugen beobachtete und als er mich wissend angrinste, wurde ich ein wenig rot.
„Scheinbar muss er wirklich gut küssen können“, meinte er belustigt. Empört sah ich ihn an.
„Woher willst du das denn wissen?“, fragte ich hektisch.
„Du hast den Kuss ein wenig zu lange genossen, bevor du ihm eine gescheuert hast, Kleine.“ Spöttisch blickten mich seine schokobraunen Augen an und ich senkte beschämt meine Lieder. Es war mir irgendwie peinlich, dass Jannis uns gesehen hatte.
„Ich will nicht mehr drüber reden, ja? Und ich will ihn nicht mehr sehen, also falls er gleich ankommt, schick ihn bitte weg, ja?“ Bitten schob ich meine Unterlippe vor und Jannis nickte nur wie selbstverständig. Erleichtert setzte ich mich wieder auf so ein Monstergerät und versuchte mich drauf zu konzentrieren mit einem Gewicht zu trainieren. Obwohl mein Gehirn anfangs noch zu vollgestopft war mit lauter Empfindungen, Erinnerungen, Gefühlen und Gedanken, lichteten sie erstaunlicherweise langsam und mein Kopf war herrlich her und ich spürte nur das Ziepen an meinen Muskeln. Zu mindestens solange, bis David wieder auftauchte. Da ich die Augen vor Anstrengung geschlossen hatte, konnte ich nur hören wie er mit Jannis diskutierte und Javier sich dann auch noch einmischte. Scheinbar wollte er zu mir, doch meine beiden Bodyguards nahmen ihren Job sehr ernst. Bei dem Gedanken schlich sich unwillkürlich ein kleines Lächeln auf meine Lippen. Ich versuchte die drei so gut wie möglich zu ignorieren, doch David schien ziemlich hartnäckig zu sein. Und leider konnte ich nicht verhindern, dass ich mich darüber freute. Er gab nicht so einfach auf und das brachte mein albernes, dummes Herz dazu ein wenig, aber wirklich nur ein klein wenig zum Stolpern.
Sie wurden immer lauter, doch ich als ich kurz die Augen dann doch noch aufschlug, sah ich, dass es schlecht für David aussah. Sowohl Jannis als auch Javier hatten sich vor ihm aufgebaut und ließen ihm keine Chance, an ihnen vorbei zu kommen. Und obwohl ich wusste, wie stark er war – die Gefängnisszene war mir noch bildlich vor Augen – bezweifelte ich, dass er eine Chance gegen beide hatte. Das sah er scheinbar schließlich auch ein, denn nachdem er noch einmal erfolglos versuchte, die beiden weg zu drängen, gab er schließlich auf – aber nicht ohne ihnen noch einen bitterbösen Blick zu zuwerfen. Kurz sah ich, wie er Richtung Ausgang schielte, doch dann steuerte er ein Trainingsgerät im hinteren Teil des Raumes. Ich konnte nicht erkennen, für welches Gerät er sich entschied, doch er zog sich kurzer Hand sein Shirt über den Kopf und obwohl ich ziemlich weit entfernt war, sah ich, dass er auch nicht schlecht trainiert war. Ich konnte meinen Blick gar nicht mehr von seinem Oberkörper losreißen, doch als er mit undeutbaren Blick in meine Richtung schaute, schloss ich meine Augen wieder ruckartig und lehnte meinen Kopf wieder zurück.
Eine Stunde lang sah ich weder noch hörte ich etwas von David. Still trainierte ich mit Jannis und Javier vor mich hin. Irgendwann konnte ich einfach nicht mehr und obwohl Jannis so aussah, als ob er noch Stunden trainieren könnte, sprang er sofort auf, als ich fragte, ob wir gehen könnten. Wir verschwanden kurz in den jeweiligen Umkleiden und ich vermied es, mich nach David umzusehen. Doch als wir auf den Ausgang zusteuerten, konnte ich nicht vermeiden, ihm einen Blick zu zuwerfen. Er trainierte immer noch und von hier aus konnte ich sein Sixpack sogar noch besser sehen. Es fiel mir schwer meinen Blick von ihm loszueisen, doch ich wollte nicht, dass er sah, wie ich ihn anstarrte. Also trat ich schweren Herzens hinter Jannis aus dem Fitnessstudio und wir machten uns schweigend auf den Weg nach Hause. Leider konnte ich es nicht verhindern, dass ich ständig über David nachgrübelte, obwohl er mich so beleidigt hatte und übertrieben eifersüchtig war, mochte ich ihn immer noch. Aber warum? Ich kannte ihn doch immer noch kaum, aber so frei und glücklich wie gestern mit ihm auf der Eisbahn war ich schon lange nicht mehr gewesen. Aber ich zweifelte trotzdem, das war eine Schwäche von mir, die ich schon oft verflucht hatte. Ich dachte immer stundenlang über etwas nach, bevor ich mich auf etwas einlassen konnte.
Jannis unterbrach mich aus meiner Grübelei, als er den Motor ausstellte. Wir stiegen schweigend aus und ich packte meine Sachen und verschwand im Haus, während ich David so gut wie möglich aus meinen Gedanken verbannte. Schnell verschwand ich in der Dusche und genoss das heiße Wasser, dass mir fast die Haut verbrannte, aber wenigstens lockerten sich meine Muskeln wieder und ich konnte einfach vor mich in träumen ohne nachzudenken. Ich gönnte mir ein Verwöhnprogramm und probierte verschiedene Cremen und Bodylotions aus, während ich extrem laut Musik hörte, sodass mir der Bass im Kopf dröhnte und ich gar nicht mehr denken konnte. Nach einer Stunde trat ich entspannt aus dem Bad und schlurfte in mein Zimmer. Ich zog mir meine Lieblingsjogginghose an und ein einfaches Top und machte es mir in meinem Sitzsack gemütlich, während ich mir ein Buch aus meinem großen Bücherregal, das die rechte Wand meines Zimmers einnahm, holte. Ich hatte kaum die erste Seite umgeblättert, als auf einmal ein Klopfen an meiner Tür ertönte.Jannis. Wann lernte er eigentlich, dass es nichts brachte, wenn man klopfte, aber nicht auf eine Bestätigung wartete? Sekunden später stand er mit den Armen hinter dem Rücken in meinem Zimmer.
„Rechts oder links?“, fragte er gutgelaunt. Och ne, das war wieder seine alte Nummer. Immer wenn irgendetwas war, machte er Lebkuchenparfait. Das war das einzige, was Jannis kochen konnte und es war der köstlichste, beste, fantastischste Nachtisch aller Zeiten. Dafür würde ich töten. Leider bekam man den dafür benötigten Lebkuchen meistens nur um die Winterzeit und deswegen kauften wir immer massenweise im Winter ein und horteten sie das Jahr über, damit wir uns immer unseren Lieblingsnachtisch machen konnten. Glücklicherweise war ja jetzt bald wieder Weihnachten, denn unsere Vorräte neigten sich dem Ende zu. Jannis machte ihn immer, wenn er irgendwas von mir wollte oder wenn wir Probleme hatten.
„Es ist doch egal, was ich sage, du hast eh in jeder Hand ein Schälchen“, murmelte ich schmunzelnd.
Aber er sah mich unerbittlich an.
„Rechts oder links.“ Seufzend gab ich nach, dieses Spielchen gehörte einfach dazu und an seinem triumphierenden Gesichtsausdruck erkannte ich, dass er wusste, dass er mal wieder gewonnen hatte.
„Links.“ Meine Standartantwort. Grinsend holte er seine linke Hand hinter seinem Rücken hervor und hielt mir ein verführerisches Schälchen voller Lebkuchenparfait vor die Nase. Rasch griff ich zu, doch er zog es kurz vorher wieder weg.
„Jannis!“, nörgelte ich, da ich keine Lust hatte, mir das Schälchen erst zu erobern.
„Erst reden, dann die Belohnung.“ Ich könnte ihn…! Er war immer so hinterhältig.
„Na schön, was ist?“, meinte ich mir über die Lippen leckend, während ich auf das Schälchen wie ein verhungertes Eichhörnchen schaute.
„Ich wollte mit dir über David reden.“ Er ließ sich auf mein Bett plumpsen, behielt aber den Nachtisch weiterhin bei sich. Hungrig schielte ich darauf und er zog es mit einem fiesen Grinsen noch näher an sich.
„Darüber will ich nicht reden“, brummte ich. Dazu hatte ich gerade echt keine Lust. Ich hatte mich heute genug mit dem Thema auseinandergesetzt.
„Ja, kann ich mir vorstellen. Doch ich wollte dir nur klar machen, dass ich seine Reaktion nachvollziehen kann. Klar, finde ich es nicht gut, dass er dich so beleidigt hat und ich würde ihm dafür am liebsten eine reinhauen, aber denk doch mal drüber nach. Du sagst ihm knallhart, dass du ihm am nächsten Tag nicht sehen willst, weil du erstmal nachdenken willst. Dann sieht er dich aber am nächsten Tag im Fitnessstudio und du siehst nicht gerade so aus, als ob du nachdenken würdest. Er hatte wahrscheinlich vermutet, du sitzt mit einer Packung Schokolade zuhause, ziehst dir mehrere Liebesschnulzen rein und telefonierst stundenlang mit hysterischen Freundinnen. Und nicht gerade, dass du ins Fitnessstudio gehst und andere Typen anhimmelst.“ An der Stelle unterbrach ich ihn empört: „Ich hab ihn nicht angehimmelt!“
„Ach komm schon, kann ja sein. Aber was soll er denn denken, wenn du ihm beim Trainieren zusiehst und er sich gerade sein Shirt auszieht? Da wird er natürlich eifersüchtig, ist doch logisch. Wäre ich auch gewesen, wenn du meine Freundin wärst.“ Erneut unterbrach ich ihn. „Ich bin nicht seine Freundin.“ Tadelnd sah er mich an. „Du weißt, was ich meinte, also unterbrich mich nicht ständig. Und eigentlich solltest du dich geschmeichelt fühlen, dass er so eifersüchtig reagiert. Außerdem bewundere ich ein wenig sein Mut. Nicht jeder Typ würde so eine Nummer starten, wenn Javier daneben steht. Ich meine, hast du dir den Typen mal angeschaut? Bei dem hätte sogar ich Schwierigkeiten, der kann einem echt unheimlich vorkommen. Und er hat sogar versucht, gegen mich und Javier anzukämpfen, also echt nicht ohne der Typ. Ich glaube, ich mag ihn, auch wenn er ja sich heute ja nicht gerade wie der nette Schwiegersohn von nebenan aufgeführt hat. Wenigstens ist er nicht so ein Weichei.“ Ohne weiteres Zögern, reichte mir Jannis die eine Schale und ich haute sofort rein. Köstlich erschmolz die sahnige, lebkuchige Creme in meinem Mund, während ich über seine Worte nachdachte. Vielleicht hatte er ja sogar Recht. Wenn ich das Ganze aus der Perspektive betrachtete, wirkte Davids Reaktion zwar immer noch übertrieben, aber ein wenig nachvollziehbarer.
Aber immer noch kein Grund, mich so zu beleidigen, er hat mich eigentlich indirekt beschuldigt, eine Schlampe zu sein. Und das würde ich ihm nicht so schnell verzeihen, auch wenn er mich auf Knien anbetteln würde. Obwohl, die Vorstellung hatte schon was. Trotzdem, so leicht würde er mich nicht davonkommen.




Kapitel 13: Mayas Sicht




Als ich am nächsten Morgen aufwachte, stöhnte ich bei dem Gedanken, dass ich heute wieder in die Schule musste. Nur noch ein viertel Jahr und dann hatte ich es endlich hinter mir. Dann würde ich nach Afrika gehen und an einem sozialen Projekt teilnehmen. Ich hatte schon mit Tanja geredet, die beste Freundin meiner Mutter, die ebenfalls für die soziale Organisation meiner Eltern gearbeitet hatte. Sie hatte mir angeboten zu einem Projekt in Gambia zu kommen, dort arbeitet sie auch aktuell. Jannis war alles andere als begeistert davon, er wollte nicht, dass ich auch dort half. Er hatte Angst, dass mir auch etwas passieren könnte. Eigentlich wollte ich sogar in das Land, in dem meine Eltern gestorben sind, um an ihrem Projekt weiter zu arbeiten, doch da war er total ausgerastet. Und da ich ihn nicht unnötig beunruhigen wollte, hatte ich mich dazu entschieden, nach Gambia zu gehen. Leider gab es viel zu viele Brennpunkte in Afrika, deswegen hatte ich eigentlich freie Wahl gehabt. Aber erst Tanjas guter Zuspruch, hatte Jannis erst seine Erlaubnis geben lassen. Auch wenn er mich nur äußerst ungerne allein gehen ließ, aber er konnte wegen seiner Arbeit nicht mit. Aber er würde mich so oft er konnte besuchen kommen.
Nur dank dem Gedanken an meine bevorstehende Reise und ganz vielleicht auch dem Gedanken daran, dass ich David heute wieder sehen würde, aber wirklich nur ein klein wenig, konnte ich mich aus meinem warmen, gemütlichen Bett quälen. Schnell machte ich mich im Bad fertig und kippte mir tonnenweise eiskaltes Wasser ins Gesicht um wach zu werden. Als ich einen Blick nach draußen warf, stellte ich fest, dass es wahrscheinlich wieder sehr kalt werden würde, denn es hatte gefroren. Ich hasste den Winter, noch etwas, was ich an Afrika liebte. Es war warm dort. Das einzige, was ich da anziehen musste, waren kurze Hosen und Tops und keine tausend Schichten um sich irgendwie warm zu halten. Rasch schnappte ich mir einen schönen warmen, roten Pullover und einen schwarzen Schal. Dann schlurfte ich die Treppen runter in die Küche, wo Jannis genauso unmotiviert wie ich auf seinem Stuhl hang und geistesabwesend seinen Löffel zum Tausendsten Mal in seiner Kaffeetasse umrührte. Er war ein echter Morgenmuffel und nahm nie etwas anderes als Kaffee, um wach zu werden, morgens zu sich. Wir hatten gestern Abend noch stundelang geredet, das Thema David hatten wir zwar vermieden, doch über seine Fotos und Filme und meinen Wunsch nach Afrika zu gehen, hatten wir noch lange diskutiert, während wir jede Menge Lebkuchenparfait genossen. Ich verschlang unseren Lieblingsnachtisch nach dem ersten Löffel immer direkt, aber Jannis war ein richtiger Genießer. Jedes langsame Abschlecken des Löffels quittierte er mit einem genießerischen Seufzer, was ich vor allem immer sehr fies fand, wenn mein Schälchen schon leer war.
„Guten Morgen“, brummte er, als er mich entdeckte. Ich murmelte nur eine Begrüßung und holte mir dann eine Müslischale und den Toaster hervor. Während ich auf das Klingen des Toasters wartete, schüttelte ich Milch und Müsli in die Schale. Ich tat immer zu viel Milch rein, sodass die Müslistücken immer an der Oberfläche schwammen. Dann tauchte ich den Löffel immer wieder rein und angelte mir einige Stücken. Jannis sah mir dabei angeekelt zu, denn er hasste Frühstück am Morgen genauso wie gute Laune am Morgen. Endlich war das Toast fertig und ich stopfte es schnell ich mich rein, denn mit einem entsetzten Blick auf die Uhr stellte ich fest, dass ich nicht mehr viel Zeit hatte. Hektisch sprang ich auf und lief nach oben. Unachtsam fegte ich meine Sachen vom Schreibtisch in meinen Rucksack und stürmte wieder runter. Hoffentlich verpasste ich nicht den Bus.
Als ich die Tür aufriss, kam mir ein Schwall kalter Luft entgegen und presste mein Gesicht automatisch mehr in meinen Schal und zog die Schultern hoch. Vorsichtig lugte ich auf den Boden um möglichen Eisstellen zu entgehen, denn ich hatte absolut keine Lust auch noch hinzufallen. Deswegen schaute ich auch nicht hoch, nachdem ein Auto gehupt hatte, als ich gerade die Straße betrat. Ich lief einfach weiter, doch das Hupen blieb hartnäckig und irgendwann musste ich einfach neugierig kurz ein wenig hochgucken. Verblüfft fiel mir die Kinnlade runter, was machte der denn hier?
David stand breit grinsend an sein Auto gelehnt und war ebenfalls so dick eingepackt wie ich. Doch obwohl er wie ein Eskimo aussehen müsste, war er noch immer absolut heiß. Das war doch ungerecht! Warum konnte er nicht wie alle anderen scheiße aussehen in Wintersachen?
„Komm, steig ein, Maya.“ Mein Name kam genießerisch über seine Lippen gerollt und er blickte mich auffordernd an. Er war so ein …arroganter Idiot.
Kurz überlegte ich, ihn einfach stehen zu lassen. Warum war er überhaupt hier aufgetaucht? Dachte er, ich hätte ihm bereist verziehen, oder was?
Doch dann erhaschte ich einen Blick in das warme Innere im Wagen. Ich würde pünktlich kommen, müsste mir die stickige Luft im Bus nicht antun und hätte es wärmer. Er war so fies! Er wusste genau, dass ich das Angebot so gut wie nicht ausschlagen konnte, doch dann würde es so aussehen, als ob ich nachgeben würde. Verzweifelt dachte ich nach, aber schließlich überwog das Kälteargument, denn ich hatte schon das Gefühl, meine Finger nicht mehr zu fühlen. Wie von selbst setzten sich meine Füße in Bewegung, aber sein triumphierendes Gesicht, als er es bemerkte, ließ mich fast wieder umkehren.
„Komm, ich nehm dich mit zur Schule. Du erfrierst ja gleich“, ertönte dann auf einmal seine besorgte Stimme. Das zufriedene Lächeln hing zwar immer noch in seinen Mundwinkel, aber es schien ihm ernsthaft darum zu gehen, dass ich jetzt ins Warme kam. Außerdem würde ich den Bus jetzt eh verpassen, also blieb mir wohl nichts anderes übrig.
„Wenn du mich nicht aufgehalten hättest, säß ich jetzt schon im Bus und würde nicht frieren.“
Leider kam mein Argument nicht sonderlich überzeugend rüber, da mir dabei die Zähne klapperten.
„Ja, alles meine Schuld, könne wir darüber weiter ihm Auto diskutieren“, meinte er entschlossen.
Bibbernd nickte ich und erleichtert hielt er mir die Tür ein wenig auf, sodass ich auf den Sitz rutschen konnte. Er ging um das Auto herum und stieg auf der Fahrerseite ein. Erst jetzt nahm ich richtig bewusst wahr, dass das Auto ein schwarzer BMW war und nicht die Limousine von gestern. Außerdem fuhr er diesmal selber und nicht ein extra Chauffeur.
Sofort wärmte mich die Hitze im Auto und ich atmete erleichtert auf. David startete den Motor und gab Gas. Mit dem Auto würden wir es auf jeden Fall rechtzeitig zur Schule schaffen.
„Danke fürs Mitnehmen“, würgte ich hervor, auch wenn es mir gegen den Strich ging, mich bei ihm zu bedanken.
„Kein Problem.“ Schweigen umhüllte uns, denn wir wussten beide nicht, was war jetzt noch sagen sollten. Ich überlegte, ob ich das Thema von gestern anschneiden sollte, aber eigentlich musste er doch mit der Entschuldigung anfangen, oder?
Aber ich wartete vergeblich auf eine, denn kein Laut kam in den fünf Minuten zur Schule über seine Lippen. Ständig huschten meinen Augen kurz zu ihm und ich betrachtete sein Seitenprofil. Da er sich auf den Verkehr konzentrieren musste, konnte er es nicht sehen, was mich beruhigte. Obwohl ich immer noch sauer auf ihn war, musste ich mir eingestehen, dass er immer noch unheimlich anziehend auf mich wirkte. Sein markantes Kinn kam von der Seite sogar noch besser zur Geltung und der kleine Knick auf der oberen Hälfte seiner Nase, fiel zwar deutlicher auf, störte mich aber nicht wirklich. Er hatte ein Knick im Ohr, war irgendwie …niedlich aussah. Es war mir bis dato noch gar nicht aufgefallen, doch normalerweise verdeckten seine Haare es auch gut.
Eine kleine Falter war auf seiner Stirn erschien, so als ob er angestrengt über etwas nachdenken würde. Gerade als ich immer noch am Überlegen war, ob ich ihn ansprechen sollte, hielten wir auch schon auf dem Parkplatz. Als ich die ganzen Schüler vor ihren Autos endeckte, wurde mir bewusst, dass sie alle mitkriegen würde, wie ich bei David aus dem Auto steige. Und meine Schule war eine Gerüchteküche, innerhalb einer Stunde würde überall in der Schule getuschelt werde. Adieu meine schöne Ruhe! Tausend Mädchen würden sich auf mich stürzen und versuchen mich auszuquetschen. Verdammt, warum war ihn nur zu ihm ins Auto gestiegen?! Panisch überlegte ich, wie ich dem Unvermeidlichen ausweichen konnte, doch da war David auch schon kommentarlos ausgestiegen und hatte meine Tür geöffnet. Jetzt konnte ich ja schlecht sitzen bleiben und so griff ich schweren Herzens nach meiner Tasche und stieg mit weichen Knien aus. Sämtliche Augen in der Schule richteten sich auf mich, doch in dem Moment war ich abgelenkt, denn David öffnete seinen Mund und begann endlich zu sprechen.
„Es tut mir leid.“ Er hatte leise und sanft gesprochen und ich merkte, dass es ihm wirklich leidtat, denn er schaute mich direkt an und in seinen Augen lag keine Unaufrichtigkeit. Aber es kamen keine weiteren Worte, er starrte mich nur unentwegt an.
„Was tut dir leid?“ Eigentlich wusste ich, was er meinte, doch ich wollte, dass er sich richtig entschuldigte.
„Du weißt, was ich meine“, murmelte er. Jetzt fing er an meinem Blick auszuweichen und ich merkte, dass es ihm unangenehm war. Es hatte ihm wahrscheinlich schon einige Mühe gekostet, sich überhaupt bei mir zu entschuldigen.
„Ich will es hören.“ Man sah ich sichtlich an, dass er nicht antworten wollte, doch ich war gnadenlos. Er konnte nicht einfach immer ankommen, sagen, dass es ihm leidtut und dann einfach so tut, als sei alles wie zuvor.
„Es tut mir leid, dass ich dich gestern beleidigt habe, denn ich meinte es eigentlich gar nicht so. Es hat mich nur so aufgeregt, dass du den Typen angehimmelt hast und er deine Aufmerksamkeit genossen hat. Ich wollte an seiner Stelle sein! Ich war wütend, dass du ihn fasziniert angeschaut hast, so hast du mich noch nicht angeschaut!“ Zu Anfang hatte er genuschelt, doch am Schluss war er lauter geworden und ich war verblüfft über seinen ehrlichen Ausbruch. So viel hatte ich gar nicht erwartet.
Verblüfft antwortete ich das erst Beste, was mir in den Sinn kam. "Du denkst echt, dass ich Javier angehimmelt hätte? Sag mal, hast du eigentlich Augen im Kopf - wenn du das schon anhimmeln nennst, dann müsste ich dich ja vergöttern!" Im selben Moment hätte ich mich für diese Worte schlagen können, ruckartig schlug ich mir die Hand aus Reflex vor den Mund, bevor ich noch mehr Peinliches von mir geben konnte. Aber es war bereits zu spät, auf Davids Gesicht breitete sich ein großes Lächeln aus, seine Augen strahlten richtig glücklich, stolz und selbstzufrieden.
„Ah, so ist das also. Du vergötterst mich?“ Obwohl seine Worte spöttisch waren, sah ich, dass es ihn echt freute, dass ich ihn scheinbar mehr als Javier mochte. Trotzdem wünschte ich mir, dass mir die Wörter nie so stürmisch rausgerutscht wären. Er sollte doch gar nicht wissen, wie anziehend ich ihn fand. Das war nicht gut. Jetzt würde er das knallhart ausnutzen, dass sah ich an seinem Gesichtsausdruck. Verdammt. Und ich sah eigentlich auch kaum eine Möglichkeit, dass irgendwie zurück zu nehmen.
„Nein, ich vergöttere dich nicht. Ich wollte nur klar stellen, dass ich Javier nicht angehimmelt habe. Ich habe ihn nur ganz normal angeschaut.“ Schwach, das war ein ganz schwacher Versuch und das wusste David auch. „Ahha, na gut zu wissen.“ Sein Tonfall war spöttisch und mir war klar, dass er mir nicht glaubte und noch immer extrem selbstzufrieden war, doch glücklicherweise ritt er nicht weiter darauf rum.
Endlich fand ich Zeit dazu, mich umzusehen. Wie ich erwartet hatte, wurden wir von allen Seiten neugierig gemustert. Überall sah man Leute, die ihre Köpfe zusammengesteckt hatten und mit vieldeutigen Blicken in unsere Richtung tuschelten. Alle wunderten sich, dass wir es so „öffentlich“ machten. Sowohl David als auch ich hatten den Ruf, eher verschlossen zu sein. David hatte jedes Mädchen an dieser Schule in dem einen Jahr, das er jetzt schon hier war, einfach abblitzen lassen.
„Oh man, die starren schon alle“, meinte ich peinlich berührt, ich mochte es nicht sonderlich alle Aufmerksamkeit zu haben. Aber David schien das nicht zu stören, denn er legte seinen Arm um meine Schulter und zog mich näher zu sich. „Na und?“, fragte er ahnungslos.
„Na und? Ich will nicht der Gesprächsstoff für heute sein“, grummelte ich. Keine Ahnung warum, aber bei meinen Worten glommen Davids Augen überzeugt und vorfreudig auf. Ohoh, ich wusste nicht, was er vorhatte, aber es war sicherlich nicht gut.
„Nur für heute? Was hältst du davon ihnen Gesprächsstoff für die ganze nächste Wochen zu geben?“, meinte er listig und ich ehe ich begreifen konnte, was er damit meinte, hatte er sich auch schon zu mir herunter gebeugt und seine Lippen auf meine gepresst. Einen Augenblick lang war ich wie erstarrt, doch noch funktionierte mein Gehirn und aus Reflex holte ich mit meiner Hand aus und gab ihm eine Ohrfeige. Sofort schwoll die Lautstärke des Getuschels um uns herum an, aber ich betrachtete nur David fuchsteufel wild. Wie konnte er es wagen?
„Da hast du dein Gesprächsstoff! Fahr zur Hölle!“ Mit diesen Worten drehte ich mich um und stolzierte zum Eingang der Schule. Dabei versuchte ich sämtlicher meine gaffenden Mitschüler auszublenden. Wie konnte er es wagen mich vor der Ganzen Schule zu küssen? Und das obwohl ich ihm noch nicht mal richtig verziehen hatte. Eigentlich hatte ich das sogar schon, ich hatte es ihm aber noch nicht gesagt, also sollte er eigentlich nicht davon ausgehen, dass alles wieder gut war. Aber das tat er, weil mir die peinlichen Worte eben rausgerutscht waren. Und das hatte sein Ego verstärkt. Verdammt! Meinen Blick starr geradeaus gerichtet, lief ich direkt in meinen Kursraum, ich ging noch nicht mal bei den Spinden vorbei, weil sich da vor dem Unterricht alle tummelten und ich auf die Blicke der Leute verzichten konnte. Im Kursraum selber war vorm Unterrichtsbeginn noch niemand, die meisten kamen erst, wenn es schon zum zweiten Mal geklingelt hatte. Nur die Streber hatten sich schon hier versammelte und ordentlich ihre Sachen auf den Tisch gepackt. Eigentlich hatte gedacht, dass ich bei ihnen sicher sein würde, denn sie hatten sicherlich noch nichts von dem „Drama“ eben auf dem Parkplatz zwischen mir und David mitbekommen und wenn doch, würde es sie sicherlich nicht interessieren.
Doch als ich den Klassenraum betrat, verstummten sie und starrten mich aus großen Augen an. Als ich sie ebenfalls anschaute, wurden sie knallrot und fingen an zu tuscheln. Da sie es wahrscheinlich nicht gewohnt waren, leise zu tratschen und keine Übung hatte, leise genug zu sprechen, konnte ich hören, wie sie über eine Ohrfeige und einen Kuss redeten.
Verdammt! Das konnte doch nicht wahr sein! Selbst die Streber zerrissen sich das Maul über mich und David. Ich würde ihn so was von umbringen, köpfen, vierteilen. Warum tat er mir das an?
Schnell setzte ich mich auf meinen Platz und konnte mich gerade noch davon abhalten, meine Stirn auf den Tisch zu hauen. Stattdessen bettete ich ihn meine, auf dem Tisch verschränkten, Arme, sodass ich niemanden ansehen musste. So verharrte ich, bis es klingelte und sich der Klassenraum langsam füllte. Normalerweise saß ich hier alleine, doch auf einmal hörte ich, wie der Stuhl neben mir zurückgezogen wurde und sich jemand auf der anderen Sitzseite des Tisches breit machte. Auch das noch! Jetzt hatte ich noch nicht mal an meinem Platzt Ruhe. Vermutlich war es irgendjemand Aufdringliches, der wissen wollte, was zwischen mir und David war. Doch ich hatte nicht den Mut aufzublicken, denn ich konnte demjenigen nicht ins Gesicht sehen.
„Süße, was ist denn los? Warum ist dir das so peinlich?“ David! Ich vergaß, dass ich eigentlich vorhatte, den Rest der Stunde nicht aus meinen Armen hervorgekrochen zu kommen, um niemanden anzusehen und riss wütend den Kopf hoch. Er saß breit grinsend neben mir und schaute mich fragend an. Mit Genugtuung stellte ich fest, dass seine Wange gerötet war und noch leichte Abdrücke meiner Finger zu sehen waren. Hatte er verdient!
„Was los ist? Du hast mich vor der gesamten Schule geküsst und auch noch ja so, dass es jeder sehen konnte. Weißt du, ich hätte nicht gedacht, dass du so ein Typ bist, der solche Aufmerksamkeit braucht. Erbärmlich. Aber dafür musst du dir jemand anders suchen, denn ich hab kein Bock mich der Öffentlichkeit preiszugeben!“, fauchte ich wütend. Als seine Mundwinkel herabsanken und seine Augen sich verdüsterten, hatte er wohl endlich begriffen, dass er ernsthaft Mist gebaut hatte.
„Ich hab doch nicht geahnt, dass es dir so unrecht sein würde. Ich wollte dich doch nur ein wenig ärgern. Es tut mir leid.“ Irgendwie war es ja Dauerzustand, dass er sich bei mir entschuldigen musste.
„Na, das hättest du dir vielleicht mal früher überlegen sollen. Jetzt ist es eh zu spät“, meinte ich hart und rückte zur Unterstreichung ein wenig von ihm weg. Enttäuscht sah er mich an, doch bevor er noch etwas sagen konnte, hatte ich noch etwas hinterhergesetzt.
„Und könntest du dich jetzt bitte wieder auf deinen richtigen Platzt setzten?“
Ärgerlich blitzten seine Augen auf und er setzte schon zu einer protestierenden Antwort an, als unsere Mathelehrerin voller Elan den Raum betrat. Sofort war es mucksmäuschen still, denn sie griff zu drastischen Maßnahmen, wenn man auch nur flüsterte. Alte Hexe. Eigentlich sah sie gar nicht so aus. Sie war ein Zwerg, auch ihre hochhackigen Schuhe änderten nichts daran, und ihre Haare waren hellblond. Generell sah sie aus wie ein Engel, doch sie war in Wirklichkeit der Teufel.
„Schlagt Seite fünf im Buch auf. Sofort!“, herrschte ihre helle, aber strenge Stimme. Eilig machten wir uns dran, ihr zu gehorchen. Als ich bemerkte, dass David noch etwas sagen wollte, stieß ich ihm den Ellenbogen in die Rippen und deutete mit dem Kopf nach vorne. Ich hatte keine Lust mir wegen ihm noch eine Stunde Nachsitzen einzuholen. David schloss den Mund wieder und ich sah ein, dass ich ihn jetzt auch nicht mehr dazu bewegen konnte, sich weg zusetzen, da die Lehrerin das mitkriegen würde und nicht begeistert sein würde. Verdammt!
Also saß ich den Rest der Mathestunde neben ihm ab und konnte mich überhaupt nicht konzentrieren, da er immer näher rutschte und mir dann auch noch einen Zettel zu schob. Unauffällig warf ich einen Blick darauf. „Warte nach dem Unterricht auf mich, ich hab was für dich…Es tut mir Leid.“ Abfällig schnaubte ich und schob den Zettel zurück, dadurch, dass er sich entschuldigte, wurde es auch nicht besser. Aber leider war ich von Natur aus neugierig und so wollte ich unbedingt wissen, was er für mich hatte. Ich focht innerlich einen Zweikampf aus. Sollte ich auf ihn warten und so erfahren, was er für mich hatte oder einfach gehen, da ich eigentlich nicht nachgeben und noch ein bisschen schmollen wollte. Ich entschloss mich, ihn erst mal einfach zu ignorieren, doch ich hatte seine Hartnäckigkeit unterschätzt, er schob mir ständig Zettel rüber, in denen er darauf bestand, dass ich auf ihn warten sollte und dass es ihm leidtat. Nach einiger Zeit machte ich mir noch nicht mal die Mühe, sie zu lesen. Ich blickte starr geradeaus an die Tafel und ignorierte ihn. Die Uhr schien still zu stehen, denn die Stunde zog sich wie Kaugummi und David neben mir machte es nicht besser, da es mir echt schwer fiel nicht zu ihm hinzuschauen. Endlich klingelte es und ich sprang hektisch auf, schnappte mir meine Tasche und verschwand aus dem Klassenraum, bevor sich die anderen überhaupt in Bewegung gesetzt hatten. Ich flüchtete aufs Klo, da ich nicht in Versuchung geraten wollte, doch noch zu David zu gehen. Schnell schloss ich mich dort ein und setzte mich tiefluftholend auf den zugeklappten Klodeckel. Verdammt! Ich wollte wissen, was er für mich hatte. Meine verfluchte Neugierde! Gerade, als ich mich nicht mehr zurück halten konnte und zu David gehen wollte, hörte ich auf einmal, wie die Tür aufging. Zwei Mädchen kamen tuschelnd rein und jetzt hatte ich keine Lust mehr rauszugehen, da ich ihnen nicht gegenüber treten und in ihre neugierigen Gesichter schauen wollte. Also blieb ich noch in der Kabine und hoffte, dass sie bald wieder verschwanden. Doch scheinbar schienen sie das nicht vorzuhaben. Nach den Geräuschen zu urteilen, begannen sie sich zu schminken und schon bald fingen sie an zu tratschen.
„Hast du es heute Morgen mitbekommen. Das mit David?“ Theatralische Pause.
„Nein, was denn?“, fragte die andere aufgeregte, helle Stimme, die sich förmlich nach Neuigkeiten zu verzehren schien.
„Rat mal mit wem er zur Schule gekommen ist und wen er dann geküsst hat.“ Erneut machte sie eine Pause.
„Jule?“ Jule war die Queen der Schule, sie wurde förmlich mit Aufmerksamkeit der Jungs überschüttet.
„Nein. Maya.“ Entsetztes Aufkeuchen der Einen.
„Diese Zurückgezogene aus dem Abschlussjahrgang? Was will er denn mit der?“
„Keine Ahnung, hübsch ist sie ja, aber ziemlich arrogant, denn scheinbar ist sie sich ja zu fein, sich hier mit irgendjemand anzufreunden.“ Bei ihren Worten, musste ich grinsen, denn sie machten mir nichts aus, da sie Unrecht hatte. Dachte sie wirklich, dass ich arrogant sei, nur weil ich keine Lust hatte, mich hier mit jemand anzufreunden? Ich kam nun mal nicht so gut mit Leuten klar und Freundschaften gingen bei mir leider schnell den Bach runter, weil ich einfach nicht der Typ war, bei jeder Kleinigkeit zum Telefon zu greifen und meiner Freundin begeistert zu erzählen, dass mein Traumtyp mir zugezwinkert hat. Vor zwei Jahren, war ich ganz gut mit einem Mädchen aus meiner Klasse befreundet, die mich immer anrief. Und da hatte sie mir halt erzählt, dass der Typ ihr zugezwinkert hatte. Und ich hatte natürlich, unsensibel wie ich nun mal war, gemeint, dass er vielleicht einfach nur was im Auge hatte. Sofort war sie in entsetztes Schweigen ausgebrochen und hatte kurz darauf schnell aufgelegt.
„Uh, das wird Jule aber stinken, sie ist doch schon ganze Zeit scharf auf David. Und er hat ihr mal ein Korb gegeben und jetzt kommt er mit dieser Maya an, ich kann mir richtig vorstellen, wie Jule vor Wut dampft“, kicherte die Eine und ich musste ihr zustimmen. Jule würde wütend sein und versuchen, mir das Leben hier zu Hölle zu machen, doch sie war mir egal.
Ich beschloss, dass ich mich lange genug hier drin verkrochen hatte. Außerdem wollte ich die beiden ein wenig ärgern, denn sie würden erschrocken sein, wenn sie merkten, dass ich alles gehört hatte. Es war mir zwar immer noch unangenehm ihren neugierigen Blicken ausgesetzt zu sein, aber da musste ich jetzt durch. Also stand ich auf und schloss die Tür auf. Bei dem Geräusch drehte sich die Eine zu mir um und erstarrte entsetzt. Ertappt blickte sie mich an, auch wenn sie rasch versuchte ein unbeteiligtes Gesicht aufzusetzen. Schnell drehte sie sich wieder um und stieß der anderen „unauffällig“ den Ellenbogen in die Rippen. Diese schaute unauffällig in den Spiegel und auch ihre Augen weiteten sich, als sie mich entdeckte. Hoch erhoben Kopfes stolzierte ich aus der Kabine und stellte mich ans Waschbecken. Ich grinste ihnen übertrieben freundlich zu und sah mit Befriedigung, wie sie sich verwirrt und unbehaglich anschauten.
Wie in Zeitlupe wusch ich mir die Hände und summte vor mich hin. Ich spürte, wie die anderen immer unruhiger wurden, da sie nicht wusste, wie sie jetzt reagieren sollten. Langsam hob ich meinen Arm und riss mir ein Tuch ab. Gemächlich trocknete ich meine Hände ab und warf das Tuch elegant in den Mülleimer. Ohne sie nochmal anzuschauen, öffnete ich die Tür und trat aus dem Raum. Ich wollte schon weiter gehen, doch auf einmal schlossen sich Finger um mein Handgelenk.
Überrascht drehte ich mich leicht zur Seite und schaute direkt in Davids Gesicht, der mich wütend anschaute.
„Warum bist du gegangen?“, fauchte er. „Vielleicht, weil ich keine Lust hatte!“, blaffte ich zurück, da ich es ungerecht mäßigt von ihm fand, dass er so wütend wurde.
„Du bist ja förmlich vor mir geflohen.“ Mist, er hatte es gemerkt.
„Nein, ich musste nur schnell auf Toilette“, versuchte ich mich rauszureden, doch er sah nicht überzeugt aus.
„Also willst du nicht wissen, was ich für dich habe.“ Er schaute zerknirscht und enttäuscht, doch ich sah das listige Funkeln in seinen Augen. Leider wusste er genau, dass er mich bei meiner Neugierde packen musste.
„Na, von mir aus. Dann zeigs mir mal eben.“ Ich blieb gespielt gleichgültig, aber auf seinem Gesicht breitete sich trotzdem ein Lächeln aus.
„Aber gerne doch.“ Er kramte in seiner Tasche und förderte ein zusammen gerolltes Blatt zutage. Schon bevor ich es komplett sah, wusste ich, dass es ein neues Bild war. Jetzt konnte ich nicht mehr unberührt tun und streckte meine Hand aus, als er mir das Bild reichte. Genau in dem Moment ertönte das schrille Klingeln der Schulglocke und ich zuckte zusammen, sodass mir das Bild fast aus der Hand gerutscht wäre. Gerade noch rechtzeitig konnte ich sie auffangen und packte sie fest.
Kurz überlegte ich, ob ich das Bild sofort aufrollten sollte, doch um David noch ein wenig zu ärgern und auf die Folter zu spannend, beschloss ich, erst zum Unterricht zu gehen.
Also packte ich meine Tasche und wollte schon an David vorbeigehen.
„Wo willst du denn hin?“, fragte David erstaunt. „Na zum Unterricht.“ In seinen Augen sah ich, dass es ihn ziemlich ärgerte, dass ich es nicht jetzt schon aufmachen wollte, aber er unterdrückte ein Kommentar.
„Sehen wir uns in der nächsten Pause?“, fragte er dann aber doch noch. Kurz wägte ich es ab, zuckte dann aber mit den Schultern. „Vielleicht“, meinte ich schelmisch. Wütend verzogen sich seine Augen zu schlitzen, da er genau wusste, dass ich ihn ärgern wollte. „Schön.“ Das meinte er so überzeugt, dass ich ihn erstaunt ansah. Er war so arrogant, warum nahm er an, dass ich kommen würde? Ich nahm mir vor, auf keinen Fall zu erscheinen.
Ohne ein weiteres Wort lief ich an ihm vorbei in meinen Kursraum. Geschichte hatte ich nicht mit ihm, also hatte ich wenigstens da Ruhe vor ihm und konnte mich auf den Unterricht zu konzentrieren – dachte ich zumindest. Aber nein, selbst hier verfolgte er mich in meinen Gedanken. Während der ganzen Stunde kreisten meine Gedanken um das Bild. Was er wohl gemalt hatte? Meine Finger kribbelten schon, ich wollte es unbedingt aufmachen. Endlich klingelte es und ich griff rasch nach dem Bild und rollte es ohne weiteres Zögern auf.
Als ich sah, was er gezeichnet hatte, breitete sich ohne meinen Willen ein breites, belustigtes Grinsen auf meinem Gesicht aus. Das gabs doch nicht! Er war so ein Idiot, zwar ein süßer, aber ein Idiot!
Mit Bleistift waren zwei Personen gezeichnet. Die eine Person, die David „zufälligerweise“ erstaunlich ähnlich sah, kniete vor der anderen Person, die wohl mich darstellen sollte. Obwohl es nur grobe Bleistiftstriche waren, hatte er alles ziemlich genau dargestellt. Der gezeichnete David hielt in der einen Hand eine weiße Flagge und reichte mir mit der anderen eine weiße Rose. Was mich noch weiter zum Grinsen brachte, war, dass er sich selbst Teufelshörner und Schwanz gemalt hatte, während ich in meinem weißen, langen Kleid und dem Heiligenschein wie ein Engel aussah. Das sollte wohl eine Anspielung sein und die weiße Flagge stand wahrscheinlich für eine Friedensangebot oder eine Entschuldigung. „Es tut mir leid! Kannst du mir verzeihen?“, stand in einer Sprechblase über Davids Kopf und er schaute mich reumütig an, während mein Gesicht unnahbar gezeichnet war. So, als ob ich meine Entscheidung noch nicht getroffen hätte. Eine leere Sprechblase war über meinen Kopf gezeichnet.
Ich konnte das breite Grinsen einfach nicht von meinem Gesicht wischen, denn das war einfach zu süß. Er stellte sich selbst als Teufel da und hatte sich merklich Mühe gegeben. Außerdem fand ich es gut, dass er mir die Antwort selbst überlassen hatte, statt schon eine hinzuschreiben. Wahrscheinlich hatte er genau gewusst, dass mich das reizen würde. Zielstrebig griff ich nach meinem Bleistift, stockte dann aber, als der Stift das Blatt berührte. Sollte ich wirklich drauf eingehen? Bevor ich mich zu sehr von meinen Zweifeln beeinflussen ließ, setzte ich den Stift auf und schrieb meine Antwort.
Dann rollte ich das Bild schnell wieder zusammen und steckte es in meine Tasche. Ich hatte direkt noch eine Stunde Geschichte, deswegen konnte ich direkt sitzen bleiben. Irgendwie war eine Last von mir abgefallen und ich konnte mich jetzt auch besser auf den Unterricht konzentrieren.
Diese Stunde ging schneller rum und als es endlich klingelte stürmte ich erneut aus dem Raum. Kurz überlegte ich, direkt zu David zu gehen, doch ich wollte ihn noch ein wenig zappeln lassen. Also schlenderte ich zu den Spinden und holte mir ein Buch. Leider hatte ich vergessen, dass ich diesen Ort eigentlich meiden wollte, um nicht von den ganzen neugierigen Leuten belagert zu werden. Glücklicherweise sprach mich keiner direkt an, auch wenn mir sämtliche Blicke folgten. Trotzdem lief ich mit hocherhobenem Kopf zu meinem Spind, der genau in der Mitte des Flurs stand. Gerade als ich meinen Kopf halb in den Spind steckte, spürte ich auf einmal einen warmen Luftzug in meinem Nacken. Und wieder. Da atmete jemand und er war direkt in meinem Nacken. Hektisch wollte ich meinen Kopf aus dem Ding ziehen, aber leider stieß ich mir ihn an der oberen Kante. Ich versuchte mich zusammenzureißen, doch trotzdem entkam meinen Lippen ein leiser Fluch.
„Hast du dir wehgetan?“, hauchte David und ich spürte, wie nah er mir war. Diesmal ging ich die Sache langsamer an und drehte mich schließlich zu ihm um. Er stand dicht vor mir und als ich meinen Kopf in den Nacken legte, konnte ich in seine dunkelblauen Augen schauen. Sie funkelten geheimnisvoll und bevor ich mich in ihnen verlor, schüttelte ich mechanisch den Kopf, als Antwort.
Ich zog mich ein bisschen zurück, aber behielt ihn weiterhin im Auge. Er starrte mich abwartend an, doch da ich meine Fassung wiedergefunden hatte, tat ich ihm natürlich nicht den Gefallen.
„Ist irgendetwas?“, fragte ich gespielt ahnungslos und er funkelte mich wütend an.
„Hast du das Bild schon gesehen?“ Kurz wägte ich ab, einfach mit dem Kopf zu schütteln, um ihn zu ärgern, doch ich wollte es nicht übertreiben.
„Ja“, sagte ich also schlicht und er wurde immer aufgeregter und ärgerlicher, weil ich ihn so auf die Folter spannte.
„Und?“ Ich konnte es einfach nicht sein lassen und musterte ihn, statt einer Antwort, erstmal von oben nach unten. Sein Shirt war hell, beigefarben und seine Hose enggeschnitten und von einem tiefen schwarz. Die Marken kannte ich noch nicht mal, also waren sie wahrscheinlich von so teuren Designern, dass ich noch nicht mal von solchen Sachen träumen konnte. Als ich bei seinen Schuhen ankam, platzte seine Geduld scheinbar, denn er drängte mich gegen den Spind und drückte seinen Körper eng an mich
„Und?“, knurrte er um Fassung ringend. Ich fand es immer wieder lustig, wie leicht man ihn reizen konnte und wie schnell er ungeduldig wurde.
„Was und?“ Ich glaube, jetzt war ich zu weit gegangen, denn seine Augen verformten sich zu Schlitzen und er stütze seine zu Fäusten geballten Hände neben meinem Gesicht ab. Er beugte sein Gesicht zu mir herunter, sodass seine Nase genau vor meiner schwebte und nur noch ein paar Zentimeter fehlten, bis sich unsere Lippen berühren würden. Atemlos starrte ich ihn an und er grinste grimmig.
„Na, hat es dir jetzt die Sprache verschlagen? Ich frag dich jetzt ein letztes Mal, sonst…!“ Seine Stimme klang bedrohlich, doch trotzdem hatte ich keine Angst vor ihm. „Sonst?“ Ich wollte ihm demonstrieren, dass ich keines Wegs sprachlos in seiner Nähe werde. Wie kam er denn auf so eine dämliche Idee? Doch er brauchte nicht zu antworten, denn sein Gesicht wurde – wenn das überhaupt noch möglich war – noch grimmiger. Ich beschloss es nicht drauf anzulegen und antwortete ihm endlich.
„Es ist … ok.“ Das würde ihm so passen, dass ich ihm jetzt vorschwärmte, dass das Bild absolut genial war. Außerdem liebte ich es zu spielen und mit seiner Geduld konnte man so schön spielen.
„Ok?“, fauchte er wütend. Scheinbar glaubte er mir echt, dass ich es nicht so atemberaubend fand und war enttäuscht. Seine Arme rutschen an dem glatten Stahl der Spindtür hinter mir runter und er rückte von mir ab. Ich merkte, dass ich ihm wirklich wehgetan hatte, denn er hatte sich wahrscheinlich ziemlich viel Mühe damit gegeben. Doch als ich den Mund öffnete um ihn zu beruhigen, klingelte es. Langsam ging mir diese Klingel echt auf die Nerven. Bevor er sich abwenden konnte, zog ich das Bild aus meiner Tasche, beugte mich zu ihm und flüsterte ihm ins Ohr: „Ich finde es wunderbar. Vielen Dank.“, während ich ihm das Bild in die Hand drückte. Mit diesen Worten verschwand ich und lief in mein Kurszimmer.
Den Rest des Tages sah ich ihn nicht mehr, da ich keinen Kurs mehr mit ihm zusammen hatte. Ein wenig bedauerte ich das und ich hielt unauffällig in den Pausen nach ihm Ausschau, doch ich konnte ihn nirgends entdecken. Aber als ich in Biologie meine Tasche öffnete, fiel mir eine weiße Rolle entgegen. Das Bild! Wie hatte er das in meine Tasche geschmuggelt? Lächelnd rollte ich es auf und fing an zu grinsen, als ich entdeckte, dass er etwas geändert hatte.
Sein Gesicht glühte jetzt förmlich vor Freude und Erleichterung, während sich meine Mundwinkel ebenfalls nach oben verzogen hatten. Grinsend fuhr ich mit meinem Finger federleicht über das Bild und betrachtete es glücklich. Die weiteren Stunden überstand ich alle mit einem Grinsen und ich kam mir ein wenig dämlich vor, aber ich konnte einfach nichts dagegen tun. Aus irgendeinem Grund war ich glücklich. Als ich bei Schulschluss auf den Parkplatz lief um nach David Ausschau zu halten, sackten meine Mundwinkel schlagartig nach unten. David stand an sein Auto gelehnt da und wurde von einem Haufen Mädchen umringt. Was war denn jetzt los? Doch mein Grinsen wurde sogar noch breiter als vorher, als David, sobald er mich entdeckte, die Mädchen einfach zur Seite stieß und auf mich zukam ohne ihnen noch ein weiteren Blick zu gönnen. Er riss mich einfach an sich und ich wurde an seinen Körper gepresst. Normalerweise hätte ich ihn von mir gestoßen, da ich ihm bereits erklärt hatte, dass ich nicht wollte, dass die ganze Schule das so mitbekam, doch als ich die hasserfüllten und enttäuschten Gesichter der Mädchen sah, die David gerade noch so angehimmelt hatten, erwiderte ich seine Umarmung.
„Danke, dass du mir verziehen hast“, murmelte er an meinem Ohr und ließ mich dann los, aber sein Arm ruhte weiterhin locker auf meiner Hüfte.
„Lass uns zum Auto gehen. Hier erfrieren wir noch“, meinte er vernünftigerweise. Ich nickte nur zustimmend und so liefen wir an allen vorbei zum Auto. Er hielt mir sogar gentelmanlike die Tür auf und ich stieg ein. Sobald er ebenfalls auf seinem Platzt saß und die Tür hinter sich geschlossen hatte, prusteten wir beide los. Denn die Leute an unsere Schule hatten scheinbar wirklich nichts Besseres zu tun, als uns zu betrachten. David startete den Motor und mit quietschenden Reifen legten wir dann einen filmreifen Abgang hin. Die ganze Fahrt lang lästerten wir über unsere Mitschüler und erzählte, dass die Mädchen eben ihn wegen dem Kuss heute Morgen belagert hätten, da sie wissen wollten, ob wir zusammen sind. Ich überlegte, ob ihn fragen sollte, was er geantwortet hatte, aber ich wusste nicht, ob mir die Antwort gefallen würde.
„Was hast du denn geantwortet?“, versuche ich möglichst harmlos und uninteressiert zu fragen.
"Was willst du denn, dass ich geantwortet habe?" Sein Blick wanderte mit einem schelmischen Lächeln zu mir, das sofort noch breiter und spöttischer wurde, als er die gesunde Röte in meinen Wangen entdeckte. Im ersten Moment realisierte ich gar nicht, dass er es tatsächlich gewagt hatte, die Gegenfrage zu stellen. Doch als ich es dann tat, hatte ich auch schon eingesehen, dass ich mich in einer Zwickmühle befand - entweder ich gestand meine Gefühle für ihn, obwohl ich mir derer selber nicht sicher war, oder ich stritt alles ab, was mich nur noch unglaubwürdiger machen würde. Ich entschied mich nach reiflicher Überlegung für die goldene Mitte und hoffte einfach, dass wir bis dahin bei meinem Haus angelangt wären.
"Also, das kommt ganz darauf an ... was definierst du denn unter einer Beziehung?" Sofort stutzte David und ich konnte im Glanz seiner dunkelblauen Augen erkennen, dass ihn diese Frage ganz schön aus dem Konzept brachte. Er trat sogar ein wenig zu fest aufs Gas, nachdem die Ampel wieder grün geschaltet hatte, und würgte somit beinahe den Motor ab. Ha! So langsam hatte ich raus, wie ich ihn ärgern konnte. Das Grinsen auf meinem Gesicht wurde wie selbstsicherer.
"Na, wie soll man eine Beziehung schon definieren?"
"Naja, es gibt ja verschiedene Arten von Beziehungen", erläuterte ich mit geschäftigem Ton und rieb mir innerlich bereits die Hände. Der Weg zu mir nach Hause konnte gar nicht lange genug sein! "Da gibt es ja die offene Beziehung, die Swinger-Beziehung, die Nudisten-Beziehung, die "Nur-Sex-aber-keine-Gefühle-Beziehung", die "Hach, ich bin ja so verliebt"-Beziehung, die „Mir ist alles egal, solange ich nur einen Freund habe, um anzugeben „Beziehung …“
"Ähm ja ... und?" Er war eindeutig verwirrt. Ich hatte das erreicht, was ich wollte, denn nun konnte ich den Spieß umdrehen, und auch das listige Lächeln nicht mehr von meinen Zügen fegen. "Na - welche Beziehung willst du denn mit mir haben?"
"Eine normale natürlich", kam sofort seine Antwort, glücklich darüber, dass ich mit dem Schwachsinn aufgehört hatte. Und so schnell die Worte seinen Mund verlassen hatten, so schnell merkte er auch, was er da eben gesagt hatte und was ich getan hatte, denn seine Augen verengten sich und er sah mich von der Seite her böse an.
"War das dein Plan?" Oh ja! Und wie das mein Plan war. 100 Punkte für mich, denn er ist voll aufgegangen. Da kam auch schon mein Haus in Sicht und erleichtert atmete ich auf. Zum Glück hatte ich mir jetzt eine peinliche Szene erspart und jetzt konnte ja nichts mehr passieren.
"Jap. Und da vorne ist schon mein Haus, wenn du mich also bitte rauslassen würdest ..." Ich schnallte mich schon ab und hatte eine Hand an der Türklinke, als er hart meinte: „Nein!“ Erschrocken sah ich ihn an.
„Wie nein?“ Verwirrt sah ich ihn an. „Nein, ich werde dich nicht rauslassen.“
"Was. Soll. Das?", warf ich ihm wütend an den Kopf, doch er lächelte nur spitzbübisch.
"Du bist mir noch eine Antwort schuldig, Kleines", meinte er großspurig und blickte mich dabei so unschuldig an, dass die Wut sofort die Kontrolle über mich übernahm.
"Du willst also wissen, ob ich mit so einem arroganten, selbstverliebten Schnösel zusammen sein will? Nein - und daran können auch deine wunderbaren Küsse nichts ändern!" Bäm! Eigentor! Wie konnte ich nur so dumm sein? So eine schöne, gelungen Schimpfparade und dann sagte ich ihm ins Gesicht, dass seine Küsse umwerfend waren. Am liebsten hätte ich mir die Hand vors Gesicht geklatscht. Jetzt wirkte das gar nicht mehr so überzeugend, was mir auch sein überhebliches Grinsen verriet. Idiot!
„Meine Küsse sind also wunderbar?“, fragte er schelmisch und beugte sich zu mir herunter. Na toll! Und ich dachte, ich komme hier heile raus, ohne das noch etwas Peinliches passiert.
„Möglich. Aber kannst du mich bitte jetzt rauslassen? Ich ertrage es nicht mehr länger mit dir hier drin“, fauchte ich. Ich drückte die Klinke herunter, doch die Tür öffnete sich immer noch nicht.
„Jetzt lass mich endlich hier raus!“, wütete ich. Langsam nervte es mich, hier eingesperrt zu sein.
„Nein. Willst du nicht vielleicht noch eine Kostprobe meiner wunderbaren Küsse?“, fragte er überheblich.
Ich wurde rot, aber diesmal nicht vor Scham, sondern vor Wut. Ich hasste es, wenn er immer so auf den Sachen, die mir ausversehen rausgerutscht waren, rumritt.
Abwartend verschränkte er die Arme vor der Brust und starrte mich undurchdringlich an.
„Nein, will ich ganz sicher nicht! Das Einzige, was ich jetzt will, ist, dass du mich hier endlich rauslässt!“, fauchte ich aufgebracht, da ich mich in die Enge getrieben fühlte.
„Sicher?“ Er ließ mich keine Sekunde aus den Augen und ich starrte zurück, ohne mit der Wimper zu zucken. Diesen Kampf würde ich gewinnen!
„Sicher!“, beharrte ich fest, aber ich konnte nicht verhindern, dass sich meine Augen weiteten, als er auf einmal näher kam und ich schon seinen warmen Atem im Gesicht spüren konnte. Warum wich ich nicht zurück, verdammt? Aber gerade noch rechtzeitig konnte ich mich zusammenreißen und rutschte so weit wie möglich von ihm weg. Kurz sah ich Entsetzen in seinen Augen aufblitzen, doch es war so schnell wieder verschwunden, dass ich es mir wahrscheinlich nur eingebildet hatte, denn dann stand nur noch die Enttäuschung in ihnen.
Mit einem Klicken wurde die Tür wieder geöffnet und ich riss hektisch an der Klinke. Die Tür schwang auf, aber ich blieb wie erstarrt noch sitzen. Er sah mich so hoffnungsvoll an, dass ich einfach nicht so gehen konnte. Natürlich war ich noch sauer, weil er mich eingeschlossen hatte, aber sobald ich es wirklich verlangt hatte, waren die Türen ja offen gewesen. Aber ich würde trotzdem gehen.
„Danke, dass du mich nach Hause gefahren hast“, murmelte ich und beugte mich ganz kurz nach vorne um mit meinem Lippen seine Wange hauchzart zu streifen und bevor er überhaupt reagieren konnte, war ich schon ausgestiegen. Ich schaute nicht mehr zurück, da ich sonst wahrscheinlich in Versuchung geraten wäre. Rasch schloss ich die Tür auf und betrat den Flur.





Kapitel 14: Mayas Sicht




Ich wurde von einem lauten Gepolter vor meiner Tür wach. Im ersten Moment war ich etwas orientierungslos, aber dann hörte ich Jannis fluchen. Kurz überlegte ich, ob ich aufstehen sollte, um nachzuschauen, was er jetzt schon wieder anstellte, doch mit einem Blick auf meinen Wecker stellte ich fest, dass ich noch sieben Minuten liegen bleiben könnte, bis ich aufstehen musste.
Also kuschelte ich mich nochmal in meine schöne, warme Decke und betrachtete die zwei neuen Bilder, die an meiner Fotowand hingen. Sie waren umzingelt von unzähligen Fotos von Jannis und mir, unseren Eltern und von Afrika. Teilweise waren es Schnappschüsse, aber unteranderem waren auch Fotoshooting Bilder von Jannis dabei, die auch bei ihm im Zimmer hingen.
Trotzdem stachen die Bilder von David heraus und ich betrachtete sie lächelnd. Jetzt hatte er mich schon zum zweiten Mal gezeichnet und mir das Bild geschenkt.
Leider waren die paar Minuten viel zu kurz und ich musste mich aus dem Bett quälen. Nur noch eine Woche, dann hatten wir endlich Weihnachtsferien. Etwas motivierte schwang ich meine Beine aus dem Bett und lief dann ins Bad, um mich fertig zu machen.
Erstaunlicherweise saß Jannis nicht unten in der Küche und grummelte wie jeden Morgen vor sich hin. „Jannis?“, rief ich laut, während ich mir mein Müsli machte und mich an den Tisch setzte.
„Ja?“ Seine brüllende Stimme kam von oben, von ganz oben. Was machte er denn auf dem Dachboden? Er musste doch jetzt auch gleich zur Arbeit.
„Was machst du denn?“, rief ich zurück, während ich mir fleißig ein Löffel nach dem anderen in den Mund stopfte, denn ich war schon wieder mal spät dran. Ob David mich wohl wieder abholen würde? Schnell verbat ich mir diesen Gedanken, damit ich nicht enttäuscht wurde, wenn er doch nicht da war. „Ich bin auf der Suche nach meiner alten Kamera, aber ich finde sie unter diesem ganzen Gerümpel nicht. Heute Nachmittag räumen wir hier erstmal auf, ich wette die Hälfte kann weg!“ Entsetzt stöhnte ich auf, der Dachboden war seit Jahren nicht entrümpelt worden und wir stellten da einfach immer alles ab, war wir nicht mehr brauchten, aber noch nicht wegschmeißen wollten. Na das konnte ja ein Spaß werden, da aufzuräumen. Heute würden wir da garantiert nicht mit fertig. Aber jetzt hatte ich keine Zeit mehr darüber mit Jannis zu diskutieren, denn mein Bus würde bald kommen. Ich fragte mich, ob ich es jemals schaffen würde, pünktlich aus dem Haus zu gehen. Wahrscheinlich nicht.
Fünf Minuten später ließ ich die Haustür hinter mir zuknallen und lief den gepflastert Weg bis zur Straße entlang. Ohne es verhindern zu können, hielt ich automatisch Ausschau nach David. Als ich den schwarzen BMW entdeckte, breitete sich automatisch ein dickes Grinsen auf meinem Gesicht aus. Er war gekommen. Als ich näher kam, ging die Tür auf und David kam ums Auto herum, doch um ihn zu ärgern, machte ich ein unbeteiligtes Gesicht und tat so, als ob ich einfach weiter laufen wollte.
„Wo willst du denn hin?“, fragte er mit spöttischer Stimme und ich drehte mich frech grinsend zu ihm um. „Na zum Bus, wohin denn sonst?“ Böse schaute er mich an.
„Wollen wir das jetzt wirklich erneut diskutieren?“ Kurz neigte ich meinen Kopf ein wenig, so als ob ich überlegen würde. „Natürlich.“ Verdutzt sah er mich an. „Wirklich? Du willst also nochmal die gleichen Argumente von mir wie gestern hören und dann schließlich nachgeben und bei mir ins Auto steigen?“ Spielerisch sah er mich an und zog herausfordernd die Augenbraue hoch. Doch so schnell würde ich nicht aufgeben. „Wenn ich jetzt einfach weiter gehe, komme ich noch rechtzeitig zum Bus.“ Ich lief ein paar Schritte weiter und schaute ihn spöttisch an. „Kommst du nicht. Der Bus fährt in einer Minute und die Bushaltestelle ist noch fünf Minuten entfernt.“
„Dann renn ich eben.“ Trotzdem setzte ich mich nicht in Bewegung, denn ich wollte wissen, was er antwortete. „Und dann kommst du verschwitzt und erschöpft in der Schule an. Und wir haben auch noch in der ersten Sport. Da hast du dann ja überhaupt keine Kraft mehr.“ Triumphierend sah er mich an, wahrscheinlich glaubte er, jetzt würde ich endlich nachgeben.
„Ach, ist doch egal. Ich hab ja im Bus genug Zeit um mich wieder zu erholen. Und ich muss dann jetzt aber auch mal“, meinte ich und setzte mich in Bewegung.
„Ach komm schon, sei doch nicht so stur. Es tut mir leid, dass ich dich gestern kurz eingesperrt habe. Ich werde es nie wieder tun und du hast den Bus jetzt eh verpasst. Also steig ein!“
Das hatte ich hören wollte. Seine Geduld war am Ende und er hatte nachgeben. Mit einem strahlenden Lächeln drehte ich mich wieder zu ihm und lief zurück.
„Ok“, meinte ich einfach leichthin und kam auf ihn zu. Etwas verblüfft, dass ich tatsächlich nachgegeben hatte, hielt er mir schnell die Tür auf. Dann lief er ums Auto herum und stieg ebenfalls ein. Er startet den Motor und fuhr los, aber wir schwiegen. Aber ich suchte nicht verzweifelt, nach einem Gesprächsthema, denn die Stille war nicht unangenehm. Als die Schule in Sicht kam und alle sofort ihre Köpfe in Richtung des Autos drehten, musste ich grinsen. Sie wollten alle wissen, ob ich auch diesmal wieder mit David gekommen war. Kurz überlegte ich, ob ich ihnen jetzt schon wieder eine große Schau bieten sollte, doch eigentlich wollte ich nicht noch mehr Aufmerksamkeit auf mich ziehen. Aber ich merkte, dass David mich unsicher von der Seite anschaute und ich fing an zu grübeln. Was hatte er denn jetzt?
„Schlägst du mich wieder, wenn ich meinem Arm um deine Schulter lege, wenn wir ausgestiegen sind?“ Im ersten Moment schaute ich ihn verblüfft an, doch dann sah ich das Lächeln auf seinem Gesicht. Doch auch ein wenig Ernst in seinen Augen, vermutlich befürchtete er doch ein wenig, dass ich es peinlich fand mit ihm zusammen in der Schule gesehen zu werden. Einen Augenblick fühlte ich in mich herein. Würde es mich stören? Nein, ich mochte es, wenn er mich berührte, auch wenn ich mir das ungern eingestand.
„Nein“, meinte ich also mit einem leichten Grinsen und er tat gespielt erleichtert, denn er wischte sich theatralisch über die Stirn und seufzte laut auf. „Dann ist ja gut.“ Mein Lächeln wurde breiter und schließlich grinsten wir uns beide wie verrückt an. Mir fiel auf, dass er kleine Grübchen hatte. Bevor er merken konnte, dass ich ihn fasziniert anstarrte, riss ich mich los. David schüttelte etwas benommen den Kopf, beeilte sich dann aber auszusteigen. Diesmal war ich auch schnell genug und machte mir die Tür selbst auf. Als David mich böse anschaute, grinste ich ihn frech an und stieg langsam aus. Ich hatte irgendwie schon gar nicht mehr dran gedacht, aber sobald ich die Tür hinter mir zugeschlagen hatte, legte David seinen Arm um meine Hüfte und zog mich bestimmend an sich. Selbst die, die sich bis jetzt noch bemüht hatten, uninteressiert zu tun, drehten nun ihre Köpfe zu uns, aber diesmal störte es mich seltsamer weise nicht ganz so viel, auch wenn sie mir noch immer auf die Nerven gingen. Hatten die kein eigenes Privatleben? Ohne irgendjemanden zu beachten, liefen wir den gepflasterten Pfad, der im halben Bogen um die Schule zur Sporthalle führte entlang. Der Weg war von großen Eichen gesäumt, die voll Feuchtigkeit waren, da es heute Nacht heftig geregnet hatte. Auf einmal zuckte David neben mir zusammen und als ich den dicken Wassertropfen, der nun seine Nase hinunterlief entdeckte, lachte ich amüsiert. Ich war froh, dass ich ihn nicht abbekommen hatte, da ich das Gefühl hasste, wenn so plötzlich Feuchtigkeit auf meiner Haut landete. „Du findest das lustig?“, meinte er gespielt bitterböse. „Ja“, gab ich einfach frech zu. Als er mir deswegen mit der linken Hand, da seine rechte noch immer auf meiner Hüfte ruhte, in die Seite piekte, konnte ich nicht verhindern, dass ich wie ein gequältes Schwein auf quietschte. Mist! Er hatte meine Schwachstelle entdeckt und würde das jetzt wahrscheinlich gnadenlos ausnutzen.
„Uh, ist da jemand empfindlich?“, fragte er spöttisch grinsend. „Nein, ich war nur überrascht“, log ich. „Sicher, also würdest du nicht wieder so entzückend quietschen, wenn ich dich jetzt in die Seite stechen würde?“ Entzückend? Das war sicher nicht entzückend. „Nein, natürlich nicht. Aber lass es sein, denn es ist trotzdem nicht sonderlich angenehm.“ Zu meiner Überraschung unternahm er erstmal tatsächlich keinen Versuch mehr, sondern begann wieder loszugehen. Also schlenderten wir entspannt weiter und lästerten schon mal ein wenig über unsere fiese Sportlehrerin, die keine Gelegenheit ausließ um uns zu triezen und zur Tode zu foltern. So kam es mir zumindest vor, denn da ich keine Kondition besaß, starb ich jedes Mal tausend Tode, wenn wir 20 Mal um das gesamte Gelände laufen mussten. Und das Gelände war riesig! Zum Glück war es jetzt Winter und sie konnte uns nicht mehr draußen laufen lassen. Aber ihr würden sicherlich andere Gemeinheiten einfallen.
„Schwingt eure Ärsche hoch, sonst mach ich euch Feuer unter ihnen!“ Ich konnte mich nicht mehr halten vor Lachen und prustete los, während ich mir die Hände auf den Bauch drückte. Gott, David konnte Frau Fritz wirklich göttlich nachmachen. Sogar den russischen Akzent beherrschte er einwandfrei und er wedelte genauso dämlich wie die Sporthexe immer mit ihren Händen. Gerade als ich mich wieder einigermaßen beruhigt hatte und sein zufriedenes Lächeln sah, startete er auf einmal seine hinterhältige Aktion. Er pikste mich schon wieder in die Seite und schon wieder entwich mir ein Quieken. „Ey, was soll das! Das ist nicht lustig!“, fauchte ich und starrte ich bitterböse an, doch er machte sich noch nicht mal die Mühe, sein gefälliges Grinsen verschwinden zu lassen. „Ich wollte nur prüfen, ob das eben wirklich nur Zufall war und ich wollte nochmal dieses süße Quieken hören.“
Diesmal konnte ich ihm nicht böse sein, auch wenn ich ihn natürlich weiterhin sauer anschaute. „Und, zufrieden?“, grummelte ich. „Oh ja, sehr.“ Er legte wieder seinen Arm um mich und zog mich näher, da ich mich von ihm gelöst hatte. Ich protestierte nicht, da ich es einfach zu sehr genoss und ließ das Thema ruhen, doch er würde es noch bereuen!
Als ich die Sportkabine betrat, verstummte das Getuschel schlagartig, doch ich ließ mich nicht dran stören. Langsam wurde es echt lächerlich. So was Unglaubliches war es ja jetzt wohl auch nicht, dass David und ich zusammen zur Schule gekommen waren. Man könnte ja glauben, wir wären Aliens und mit einem Ufo hier gelandet. Rasch zog ich mich um und lief dann runter zur Sporthalle. David war schon fertig und ich ließ mich neben ihm auf die lange Holzbank fallen. Wie automatisch glitt sein Arm um meine Schulter, als er die Blicke der anderen Jungs auf uns sah. Es war noch kein weiteres Mädchen unten, aber das war normal, denn die meisten schminkten sich erst noch. Frau Fritz war leider schon da und starrte uns böse an. „Sitzt nicht so faul da!“, brüllte sie uns alle an. „Geht in den Geräteraum und holt die Bälle!“ Die meisten ignorierten sie einfach, nur ich und David standen auf, doch da hatte sie schon wieder etwas zu meckern. „Nein, nur einer von euch beiden. Ich geb euch doch nicht auch noch die Gelegenheit im meinem Geräteraum ungestört rumknutschen zu können!“ Empört sah ich sie an. Wie kann sie es wagen? Gelächter von den Junge auf der Bank ertönte und Marcel, ein Ekel, aber leider ein beliebter Ekel, mischte sich natürlich ein. „Ich geh mit ihr, ich will doch nicht, dass irgendetwas passiert!“ Sein schleimiger Blick landete auf mir und ich hatte ihm am liebsten geschlagen. Auch David neben mir spannte sich an, doch ich warf ihm einen beruhigenden Blick an. Ich wollte keinen Streit hier. Also ging ich wohl oder übel mit Marcel zu den Geräteräumen, aber ignorierte seine Fragen.
„Du bist also jetzt mit David zusammen? Hätte nicht gedacht, dass du dir ihn angeln kannst. Aber jetzt, wo ich dich mal so genau anschaue, du bist schon ziemlich heiß. Vielleicht hast du ja sogar richtiges Temperament. Wie wärs, wenn ich das mal austeste und du David die Schlaftablette abschreibst. Der bringst wahrscheinlich eh nicht im Bett, sonst hätte sich Jule ihn schon längst geholt.“ Ignorier ihn! Ignorier ihn! Immer wieder wiederholte ich diese Worte um ihn nicht zusammenzubrüllen. Ich stieß die Tür zum Geräteraum vielleicht etwas zu fest aus, sodass sie hart gegen die Wand knallte, doch die Alternative wäre gewesen, dass ich Marcel so schnell schupste. Rasch holte ich den Bällewagen und wollte ihn wieder durch die Tür schieben, doch Marcel versperrte mir den Weg. „Nun, was hältst du von meinem Angebot?“, fragte er scheinheilig. „Gar nichts. Lässt du mich jetzt bitte hier durch?“ Wütend starrte ich ihn an, ich wusste gar nicht, was auf einmal mit ihm los war. Sonst hatte er sich auch nie für mich interessiert. „Ne. Wollen wir uns nicht noch ein bisschen unterhalten?“ Da war meine Beherrschung vorbei und ich gab dem Wagen „ausversehen“ einen zu festen Schupser, sodass er schräg mit der Kante „zufällig“ genau zwischen seinen Beinen landete. Er stöhnte schmerzerfüllt auf und genau den Moment nutze ich, um an ihm vorbei zu kommen. Schnell lief ich wieder zur Halle und war erleichtert, als ich merkte, dass Marcel mich nicht eingeholt hatte. Ich stellte den Wagen eilig ab und setzte mich wieder neben David, der finster vor sich her grummelte. „Was hat das denn so lange gedauert?“, fragte er hart. Verdutzt sah ich ihn an. Was hatte er denn jetzt? „Ach, Marcel hat mich…“ Ich stockte kurz, denn eigentlich hatte ich belästigt sagen wollen, aber David sah irgendwie jetzt schon so aus, als ob er Marcel am liebstem schlagen würde. „…genervt und versucht mich aufzuhalten. Dann hab ich zur Seite geschupst. Nichts weiter.“ Vorsichtig sah ich ihn an, denn er hatte seine Hände zu Fäusten geballt und sein Gesicht hatte sich ziemlich verdüstert. „Hat er dich angefasst? Ich bring ihn um, wenn er dich angefasst hat“, knurrte er. Ich glaube er neigte zur übertriebenen Eifersucht und obwohl ich Marcel nicht mochte, wollte ich nicht, dass David ihm die Nase einschlug. „Nein, hat er nicht. Es ist nichts passiert. Du kennst doch Marcel. Große Klappe und nichts dahinter“, meinte ich beruhigend und legte ihm meine Hand auf den Unterarm. Er bebte immer noch, wurde aber langsam ruhiger. Etwas erleichtert seufzte ich und stellte fest, dass auch gerade die letzten Mädchen eintrudelten. Kaum das alle da waren, fing Frau Fritz schon an uns zu foltern. Das würde eine sehr lange Stunde werden.
Eine Dreiviertelstunde später trat ich total erschöpft auf den Schulhof und wartete auf David. Er war das Einzige Gute an der gesamten Sportstunden gewesen, denn wir hatten Volleyball gespielt und in der gegnerischen Mannschaft war leider Marcel, der es sich zur Aufgabe gemacht hatte, sich zu rächen und mich mit jede Menge harten Bällen zu bombardieren. Glücklicherweise war David immer in meiner Nähe und wehrte die Bälle ab, denn selber würde ich die Bälle nie parieren können, dazu war ich einfach zu schlecht. David seinerseits ließ in seiner Wut auch Dampf ab und schleuderte die Bälle genauso heftig zurück, sodass Marcel einige Schwierigkeiten bekam. Ich hatte Frau Fritz noch nie so begeistert gesehen, denn sie feuerte die Beiden regelrecht an, sich umzubringen und fester zu werfen. Nach einer Stunde war der Horrorvolleyball endlich zu Ende gewesen und ich hatte den Gong noch nie so gerne gehört.
David wartete schon draußen auf mich und lächelte mich an. Scheinbar war er seine Aggressionen losgeworden, denn er hatte Marcel deutlich öfters getroffen, als dieser ihn.
„Na, hast dich wieder abgeregt?“, fragte ich ihn lächelnd. „Ja, tut mir leid. Aber er ist echt ein Widerling.“ Ich nickte zustimmend. „Ist er wirklich und ich konnte mir die Schadenfreude nicht verkneifen, als der eine Ball ihn voll ins Gesicht getroffen hat.“ Auf Davids Gesicht breitete sich ein zufriedenes Grinsen aus. „Oh ja, sein Gesicht war wirklich göttlich. Ich hoffe, der wird dich in Ruhe lassen, sonst haben wir ein ernstes Problem.“ Auf einmal wurde er wieder ernst, doch ich versuchte ihn zu beruhigen. „Wird er schon nicht. Ich glaube, er kann darauf verzichten, jedes Mal einen Ball ins Gesicht zu bekommen.“ Als Davids Mundwinkel zuckten, war ich erleichtert, doch dann sagte er: „Glaub mir, das nächste Mal wird er nicht nur mit einem Ball im Gesicht davon kommen“, murmelte er leise, doch ich hatte es trotzdem gehört. „Versprich mir, dass du kein Ärger baust. Das ist er nicht wert.“ Bittend sah ich ihn an und er nickte wiederstrebend, obwohl er es mir nicht versprach, doch mit einem Blick in sein Gesicht merkte ich, dass es mehr nicht geben würde.
Wir liefen schweigend in Richtung des Schulgebäudes, denn wir hatten jetzt beide Mathe, die letzte Stunde für heute, die wir gemeinsam hatten. „Was machst du heute Nachmittag?“, fragte er dann auf einmal. „Wieso, fragst du nach einem Date?“, gab ich frech zurück, doch er öffnete ernst seinen Mund. „Ja, genau das will ich.“ Etwas überrumpelt, antwortete ich: „Jannis und ich wollten eigentlich unseren Dachboden entrümpeln.“ Scheinbar schien das für ihn kein Hindernis zu sein, denn er grinste. „Da kann ich doch helfen.“ Überrascht sah ich ihn an. Er wollte ernsthaft dabei sein, den Dachboden aufzuräumen, nur um mit mir etwas zu machen. „Ähm…wenn du wirklich willst…warum nicht?“ Etwas irritiert lächelte ich ihn an. „Super! Dann können wir ja direkt nach der Schule zu dir fahren.“ Er schien sich ja wirklich zu freuen und ich konnte nicht verhindern, dass mich seine Vorfreude ansteckte. „Ja, können wir machen.“ Er grinste fröhlich und da klingelte es auch schon, sodass wir uns beeilen mussten, in die Klasse zu kommen. Die Mathestunde ging erstaunlich schnell rum, denn es war ziemlich lustig, neben David zu sitzen, da er immer sarkastische Kommentare zu unserer Lehrerin abgab und sie nachspielte. Leider hatten wir danach kein Fach mehr zusammen und wir sahen uns erst wieder, nachdem die achte Stunde zu Ende war.
David wartete schon beim Auto auf mich und ich beeilte mich, zu ihm hinzukommen. Rasch stieg ich ein und David fuhr mit quietschenden Reifen vom Parkplatz.
„Warum wollt ihr den Dachboden entrümpeln?“, fragte mich David, während er konzentriert auf die Straße schaute. „Jannis hat sich heute Morgen aufgeregt, weil er zu zugemüllt ist und er nichts mehr wiederfindet. Das muss er zwar gerade sagen, da er selber der größte Chaot ist, aber es wird wirklich mal Zeit. Und wer weiß, vielleicht finden wir ja noch was Schönes.“ Ich grinste ihn an und diesmal blickte er auch mal kurz von der Straße weg zu mir. „Genau, vielleicht finden wir ja einen verborgenen Familienschatz“, witzelte er. Ich lachte und den Rest der Autofahrt über, malten wir uns aus, was wir alles so ausgraben könnten.
David parkte den Wagen am Straßenrand und wir liefen lachend ins Haus. Er schien sich daran zu erinnern, dass er die Schuhe ausziehen sollte, denn sobald er den Flur betreten hatte, streifte er sie sich von den Füßen und stellte sie ordentlich auf die Fußmatte. So tapsten wir auf Socken in die Küche und ich erklärte ihm, dass ich kochen musste. Wie vermutet, hatte er noch nie gekocht, doch trotzdem bat er mir an zu helfen. Hätte ich doch bloß nicht angenommen!
Ich wollte nur eine einfache Pizza machen, doch David schaffte es, die Tomatensoße auf meinem T-Shirt und auf der Wand hinter mir zu verteilen, als er versuchte die Dose zu öffnen. War doch nicht zu fassen! Er hatte noch nie vorher eine Konservendose aufgemacht. Er entschuldigte sich tausend Mal bei mir, aber ich winkte ab und holte mir ein frisches Shirt und beauftragte ihn in der Zeit damit, die Ananas zu schneiden. Als ich wiederkam, hatte er sie geköpft und versuchte jetzt mit einem Löffel sie auszuhöhlen. Der Saft lief ihm über die Finger und der Tisch sah schon ganz verklebt aus. Mehrere Brocken hatten sich schon zu der Tomatensoße an der Wand gesellt, aber er schaute so verzweifelt, dass ich lachen musste. „Tut mir leid.“ Er machte ein niedergeschlagenes Gesicht und ich konnte ihm gar nicht böse sein. „Kein Problem“, meinte ich hicksend, da es einfach zu lustig aussah. „Das ist nicht lustig“, meinte er gespielt gekränkt, doch ich konnte es mir einfach nicht verkneifen. „Doch!“, kicherte ich. Böse nahm er ein kleines Stück Ananas und bewarf mich damit. „Ey!“ Leider konnte ich nicht mehr rechtzeitig ausweichen und die Ananas rutschte genau in meinen Ausschnitt. „Das hast du doch extra gemacht!“, fauchte ich. Unschuldig blickte er mich an. „Was meinst du?“ Bedrohlich kam er auf mich zu. „Wenn du willst, kann ich dir helfen, das Ananasstück zu entfernen.“ Ich brauchte eine Sekunde, um seinen belustigten Blick zu verstehen. „Du Idiot! Nein, da brauch ich sicherlich keine Hilfe!“, fauchte ich und wedelte mit dem Tuch, dass ich mir genommen hatte, um die Wand zu säubern. „Dann eben nicht.“ Sein Grinsen wurde immer breiter, deswegen wollte ich ihn mal ein bisschen ärgern. Elegant legte ich das Tuch neben mich und zog mit der einen Hand meinen Ausschnitt ein bisschen tiefer und fuhr mit der anderen Hand grazil meinen Hals hinab in mein Dekolleté. Langsam angelte ich das Ananasstücken und beugte mich etwas vor. Ich sah, wie seine Augen dort hinstarrten und er schluckte. Da lachte ich, richtete mich wieder gerade auf und warf ihm das Stücken zu. „Hier hast du es wieder!“ So verdutzt wie er war, konnte es natürlich nicht mehr auffangen und ich brach in schallendes Gelächter aus. Er schaute mich böse an, aber das konnte mich nicht schocken. „So, soll ich die mal zeigen, wie man eine Ananas richtig fertig machte?“ Grummlig nickte er und in den nächsten fünf Minuten weihte ich ihn in die hohe Kunst des Ananasschälens ein. Danach belegten wir die Pizza noch fertig und endlich konnte ich sie sicher in den Backofen tun. Ich schaute David an, dessen T-Shirt mit roten Flecken übersäht war. Also Talent fürs Kochen hatte er ja überhaupt nicht. Ich konnte mir das Grinsen einfach nicht verkneifen. „Soll ich dir ein T-Shirt von Jannis geben?“ „Ja, das wäre vielleicht gut.“ Also lief ich hoch in Jannis Zimmer, der scheinbar noch nicht wieder von der Arbeit da war. Ich kramte in seinem Schrank nach einem Pullover und lief dann wieder runter. Doch auf einmal ertönten lautere Stimmen aus der Küche. Jannis war wieder da.Rasch lief ich runter und sah, wie Jannis sich vor David aufgebaut hatte, der sein Oberteil schon ausgezogen hatte. Kurz bekam ich Panik, dass Jannis das falsch verstehen könnte, doch auf einmal hörte ich ihn lachen und ich atmete erleichtert auf. Trotzdem beeilte ich mich, schnell zu ihnen zu kommen. Die beiden verstummten schlagartig, als sie mich entdeckten, wahrscheinlich hatten sie über mich gesprochen, doch ich wusste, dass ich keine Chance hatte, zu erfahren, über was genau sie geredet hatten. Also versuchte ich es gar nicht erst und begrüßte Jannis.
„Ich rieche…Pizza?“ Es war eher eine rhetorische Frage, denn Jannis Geruchssinn war beim Essen erstaunlich gut. Sobald er irgendwas roch, stand er innerhalb einer Sekunde hinter mir in der Küche.
Also nickte ich nur kurz bestätigend und reichte David dann den Pullover. Aber ich konnte es mir nicht verkneifen, doch noch etwas zu fragen. „Und ihr beiden versteht euch also?“ Damit spielte ich auf Sonntag an, als David so ausgerastet ist. „Ja, natürlich.“ Irgendwie gefiel mir die Betonung von Jannis nicht und David lächelte auch so seltsam, trotzdem fragte ich nicht weiter nach. „Wann ist die Pizza fertig? Ich habe tierischen Hunger.“ Mit einer übertreibenden Geste rieb sich Jannis über den Bauch. „Jaja, sie ist jetzt gleich fertig. Wenn du schon mal den Tisch decken würdest?“ Jannis lächelte mich an und marschierte dann zum Schrank um mit großem Getöse drei Teller zu holen, mit der anderen Hand holte er aus der Schublade das Besteck und planzierte dann beides zum Tisch. Ich musste grinsen, denn manchmal benahm er sich echt wie ein kleiner Junge.
David, der mittlerweile den Pullover übergezogen hatte, sodass ich seine wohldefinierten Bauchmuskeln nicht mehr bewundern konnte, schmunzelte ebenfalls über Jannis. Da klingelte auch schon der Ofen und ich beeilte mich, mir die dicken Kochhandschuhe überzuziehen und die Platte aus dem Backofen zu holen. Kaum hatte ich sie auf dem Tisch abgestellt, hatte sich Jannis auch schon auf seinen Platz fallen lassen und den Pizzaschneider angesetzt. Rasch teilte er sie in mehrere Stücke und nahm sich dann direkt das Erste. Herzhaft biss er schon hinein, als ich mir gerade erstmal meins nahm. „Köstlich!“, schwärmte er und ich musste schon wieder lächeln. Wenn es um Essen ging, war er wirklich wie ein Kind. Aber ich musste ihm zustimmen, trotz der Schwierigkeiten bei der Zubereitung, war sie wirklich lecker. Als David mich ansah und vielsagend grinste, merkte ich, dass er das Gleiche gedacht hatte.
Schnell aßen wir die Pizza auf, da wir uns an die Arbeit machen wollten. Nacheinander liefen wir die enge Treppe hinauf. Als ich oben war, traf mich fast der Schlag. Ich war schon lange nicht mehr auf dem Dachboden gewesen, doch er war noch zugestellter, als ich ihn in Erinnerung hatte. Das würden wir definitiv nicht heute schaffen. Ich stöhnte auf, doch Jannis war scheinbar übermotiviert. „Auf gehts.“ Doch auch er schaute sich ratlos um, wo sollten wir nur anfangen?
„Ähmm…vielleicht räumen erst mal den einen Raum komplett leer und stapeln die Kisten hier. Und dann lagern wir alles, was wir behalten wollen in dem leeren Raum und den Rest schmeißen wir weg.“ Der Dachboden war ziemlich groß und verwinkelt. Wenn man die Treppen hochging, betrat man zuerst einen weiten Raum, der aber nur schwach von einem Fenster im hinteren Teil erleuchtet wurde. Alles war von einer dünnen Staubschicht überzeugen, denn seit meine Mutter gestorben war, hatte hier niemand mehr geputzt. Die Decke war ziemlich niedrig, sodass Jannis und David schon fast Schwierigkeiten bekamen, gerade zu stehen und wenn ein Strebebalken kam, mussten sie sich ducken. Ich hatte glücklicherweise keine Probleme, da meine Größe mir hier mal vom Vorteil war. Der Raum breitete sich zur beiden Seiten der Treppe aus und rechts, weiter hinten, war ein großer Rundbogen in die Wand eingelassen, der in einen weiteren Raum führte, der aber im Dunkeln lag. Auf der anderen Seite waren zwei Türen die, wenn mich meine Erinnerung nicht täuschten, zu zwei kleinen Kammern führten, in denen sich auch Kisten und alte Möbel stapelten. Überall wo man hinschaute, herrschte Unordnung und man merkte, dass hier einfach alles ohne System abgestellt wurde.
Jannis deutete auf die eine Tür auf der linken Seite. „Mit dem Raum beginnen wir.“ Er wartete unsere Reaktion nicht ab, sondern stiefelte auch schon um die ganzen Kartons herum, um die Tür aufzustoßen. Geölt wurde hier auch schon lange nicht mehr, denn die Tür schwang mit einem grauenvollen Quietschen um. Erst konnte ich nichts erkennen, doch dann hatte Jannis den Lichtschalter ertastet und als ich näher trat, sah ich, das an allen Wänden deckenhohe Regale standen, die aber schon ziemlich alt erschienen und auch nicht sonderlich stabil aussahen. Zu gestaubte und vergilbte Bücher standen aufgereiht auf den Brettern, zumindest weiter hinten. In einem Regal weiter vorne, lagen kreuz und quer alte Schallplatten und Heftchen. Jede Menge Krempel lag einzeln herum und in der Mitte des Raumes standen Plattenspieler und Kerzenständer und sogar Gießkannen. Man merkte deutlich, dass hier der Krempel von mehreren Generationen unserer Familien gelagert war. Mein Ururgroßvater hatte das Haus gebaut.
„Ähmm…wollen wir nicht vielleicht doch lieber in dem anderen Raum beginnen. Für diesen Raum brauchen wir ja allein schon eine Tag um ihn nur leer zu räumen. Vielleicht gibt’s ja nebenan mehr Kisten, die man schneller wegräumen kann.“ Jetzt meldete sich auch David zu Wort und Jannis nickte bestätigend. „Nichts wie raus hier“, lachte er und zog die Tür schnell wieder hinter sich zu. In dem anderen Raum standen glücklicherweise tatsächlich mehr Kisten. „So, jeder schnappt sich eine Kiste und bringt sie einfach noch irgendwo da hinten unter, damit wir diesen Raum leer bekommen.“ Jannis machte sich auch so gleich an die Arbeit und schnappte sich eine große Kiste. David schien ihm in nichts nachstehen zu wollen, denn er griff nach einer gleich großen Kiste. Als er sie hochhob, verzog er kurz das Gesicht und ich konnte mir vorstellen, dass sie ziemlich schwer war. Doch er war genauso ein stolzer Idiot wie Jannis und setzte sie nicht wieder ab, sondern schuftete sich mit ihr ab. Schnaubend schüttelte ich den Kopf und nahm mir eine kleine Kiste, die leichter aussah. Gerade als ich aus der Tür getreten war, kam Jannis schon wieder und holte die nächste Kiste.
Die ganze folgende Stunde schleppten wir die Kisten vom einen Raum in den großen Mittelraum, der schon vorher überfüllt aussah, aber jetzt konnte man schon froh sein, wenn man überhaupt noch eine Lücke fand, durch die man gehen konnte. Als ich gerade auf dem Rückweg über eine Kiste kletterte, blieb ich auf einmal mit einem Fuß hängen und sah mich schon auf dem Boden landen, doch David, der gerade aufgetaucht war, ließ seine Kiste los und fing mich in letzter Sekunde noch auf. Die Sachen fielen mit einem lauten Getöse aus der Kiste auf dem Boden, doch das nahm ich kaum war, denn ich hatte David mit zu Boden gerissen und lag jetzt genau auf ihm. Ich konnte spüren, wie er sich unter mir anspannte und aus Reflex seine Hände auf meine Hüfte legte. Seine dunkelblauen Augen funkelten mich an und nach dem ersten Schock verzogen sich seine Mundwinkel zu einem Lächeln. Mein Blick glitt wie automatisch zu seinen Lippen und ich erinnerte mich an das Gefühl, als sie auf meinen waren. So weich und köstlich. Als ich wieder in seine wundervollen Augen schaute, merkte ich, dass sein Blick auch auf meine Lippen gerichtet war. Sein Blick wurde sehnsüchtig, wahrscheinlich hatte der das Gleich gedacht, wie ich. Sein Kopf ruckte ein wenig hoch, sodass wir uns fast berührt hatten, doch da ertönte auf einmal Jannis Stimme. „Was macht ihr denn solange…?“ Er stoppte, als er den Raum betrat und uns in liegender Position entdeckte. Jeder andere wäre jetzt einfach wieder gegangen, doch Jannis war leider nicht jeder. „Oh, tut mir leid, wenn ich euch beim Rummachen störe, aber wir sind hier am Arbeiten und nebenbei gesagt: David, musst du vor meinen Augen meine Schwester begrabschen? Auch wenn ich dich mag, bedeutet das nicht, dass ich sehen will, wie du sie küsst!“ Manchmal könnte ich ihn echt umbringen, denn er war so taktlos. David rückte sofort von mir ab und auch ich rappelte mich peinlich berührt wieder auf.
„Sag mal, hat Maya dich angefallen, weil sie es nicht mehr aushalten konnte, oder warum liegt die Kiste am Boden?“ Spöttisch grinsend, schaute er David an. Ich wurde rot vor Wut und fauchte: „Nein, er hat mich nur aufgefangen, als ich gestolpert bin.“ Jannis zog nur eine Augenbraue hoch, sagte aber zum Glück nichts mehr. Gut für ihn, sonst hätte ich ihn vermutlich geschlagen.
„Ok, dann packt den Krempel wieder ein, ich mach schon mal weiter.“ Erleichtert atmete ich aus, als er endlich weg war und schaute David an, dem das Ganze scheinbar gar nicht peinlich war, denn er grinste mich einfach nur fröhlich an. „Wollen wir da weiter machen, wo wir aufgehört haben?“ Empört sah ich ihn an, doch er ruderte zurück, als er meinen Killerblick sah. „Ey, ich meinte nur, dass wir mit den Kisten weiter machen sollten.“ Doch an seinem listigen Grinsen sah ich, dass er das bestimmt nicht gemeint hatte. Idiot! Trotzdem konnte ich nicht verhindern, dass sie ein Lächeln auf meine Züge stahl, aber ich hockte mich schnell hin, damit er es nicht sah. Rasch fegte ich das Silber Besteck, das aus der Kiste gefallen war, wieder in den Karton und machte ihn dann wieder zu, als sich David neben mich gehockt hatte und sich unsere Hände berührten, da er auch helfen wollte. Das machte der doch extra! Aber er sah mich unschuldig an und hob dann die Kiste mit einem heftigen Ruck hoch. Mit einem letzten Grinsen ging er weiter an mir vorbei um die Kiste noch irgendwo unterzubringen. Währenddessen holte ich mir selber eine neue Ladung, aber als ich den Raum betrat, stellte ich fest, dass er schon fast leer war. Nur in der hinteren Ecke lagerten noch ein paar große Kisten, doch ich befürchtete, dass sie für mich zu schwer waren. Nach ich prüfend versucht hatte, sie hochzuheben, stellte ich fest, dass ich sie wirklich nicht tragen konnte. Also mussten David und Jannis das wohl erledigen. „Was stehst du denn so faul hier rum.“ Wem man vom Teufel redete! Jannis und David hatten den Raum hinter mir betreten. „Die Kisten sind zu schwer“, grummelte ich, denn ich wusste, dass Jannis jetzt spotten würde. Und tatsächlich grinste er überheblich und hob dann mit gespielter Leichtigkeit eine Kiste hoch. Beim Rausgehen meinte er noch: „Na, der Besuch im Fitnessstudio Sonntag scheints ja nicht wirklich gebracht zu haben, du warst wahrscheinlich zu abgelenkt.“ Sein vielsagender Blick landete auf David und ich verfluchte ihn erneut. „Tut mir leid“, murmelte ich entschuldigend an David gewandt, doch der grinste breit. „Wieso denn? Ich finde ihn lustig.“ Haha, ja, wirklich sehr lustig. Ich konnte mich gar nicht mehr halten vor Lachen.
„Lustig? Eher peinlich.“ David schnappte sich ebenfalls eine Kiste und meinte: „Find ich nicht. Da gibt es Schlimmeres.“ Obwohl sein Gesicht hinter der großen Kiste verborgen war, merkte ich, dass er kurz ernst wurde. Wahrscheinlich meinte er seinen Vater, der ja auch ziemlich offen mir gegenüber gewesen war, auch wenn ich immer noch nicht verstanden hatte, was ihn daran so aufgeregt hatte.
Aber bevor ich noch etwas erwidern konnte, war er auch schon durch die Tür verschwunden. Kurz darauf kam Jannis wieder rein und holte die letzte Kiste. „Komm schon mal mit, jetzt müssen wir die Kartons systematisch durchsuchen und aussortieren.“ Also trotte ich hinter Jannis her und fragte mich, ob wir es jemals schaffen würden, die alle zu durchwühlen.
David hatte es sich schon auf einer Kiste gemütlich gemacht und schaute uns jetzt erwartungsvoll an.
„Also, ich nehme mir eine Kiste vor und ihr beiden euch eine zusammen, da David ja nicht weiß, was wir noch brauchen. Wir machen hier“, er machte eine Pause und stapelte eine Kiste über einen anderen um Platz zu machen, „den Müllhaufen und hier Sachen, die wir vielleicht noch auf einem Flohmarkt loswerden können. Die Sachen, wie wir behalten wollen, kommen in die Kiste zurück und diese werden dann beschriftet.“ Ich nickte zustimmend, denn es hörte sich logisch an und gerade als ich mir schon eine Kiste aussuchen wollte, fing Jannis schon wieder an mich zu provozieren. „Aber hier wird richtig gearbeitet, nicht dass ihr beiden wieder abgelenkt werdet.“ Böse schaute ich ihn an und er lachte los. Ich beschloss, dass es klüger war, darauf nicht zu antworten, denn er würde mir eh jedes Wort im Mund verdrehen.
Ich wusste gar nicht, bei welcher Kiste wir anfangen sollten, denn es waren einfach tausendende.
„Na, was meinst du, bei welcher sollen wir anfangen?“, schmunzelte David mit einer ausschweifenden Handbewegung über die ganzen Kisten. „Keine Ahnung, lass einfach mit der anfangen, auf der du sitzt.“ Schmunzelnd schaute ich ihn an und er stand übertrieben stöhnend auf.
Die nächsten Stunden packten wir eine Kiste nach der anderen aus, aber es war nie wirklich etwas Interessantes dabei. Meistens irgendwelches altes Besteck oder ältere Schallplatten. Das meiste landete auf dem Müllhaufen und manches auf dem Flohmarkthaufen, doch behalten wollten wir eigentlich so gut wie nichts. Erst bei der sechsten Kiste endeckten wir etwas Besseres.
Alte Fotoalbumen, jede Menge alte Fotoalbumen. Sie waren in einem schlichten beige gehalten, doch vorne drauf war in verschnörkelter Schrift geschrieben: Fotos von Familie Connor und darunter war ein kleines Bild und als ich meine Eltern sah, die meinen Bruder an der Hand hielten und mich als Baby auf den Armen schaukelten, traten mir die Tränen in die Augen. Sanft strich ich mit den Fingern über das Foto und lächelte traurig.
„Sind das deine Eltern?“ Zärtlich legte David seine Hand auf meinen Arm und streichelte ihn leicht. Er klang nicht drängend und schaute mich einfach nur ernst an. Ich nickte leicht und wischte die Tränen mit einem energischen Ruck weg. Ich würde immer traurig sein, dass sie gestorben waren, doch ich durfte daran nicht zerbrechen, denn das hätten meine Eltern sicherlich nicht gewollt. Also lächelte ich leicht und schlug das dicke Album, auf dessen Einband eine schwarze eins zu sehen war, auf.
Ein rundes, schreiendes Babygesicht schaute uns entgegen und daneben stand in Mums schnörkliger Schrift, Jannis Geburtsdatum und wie groß und schwer er gewesen war. Auf der anderen Seite klebten bunt bedruckte Glückwunschkarten und ein weiteres Bild, wo mein Vater seinen Sohn glücklich strahlend in den Armen hielt. Es folgten jede Menge weitere Babyfotos, auf denen Jannis breit und zahnlos grinste und schon genauso fröhlich aussah wie heute.
Nach einiger Zeit setzte ich mich in den Schneidersitz und legte das Album halb auf mein Bein und halb auf Davids, der direkt neben mir saß. Unsere Beine berührten sich und ich schaute immer wieder verstohlen zu ihm. Seine Hand hatte er hinter meinem Rücken abgestützt und wenn ich mich ein Stück nach hinten beugen würde, könnte ich mich an ihm anlehnen. Seine blauen Augen waren auf das Album gerichtet, doch ab und zu spürte ich, wie sein intensiver Blick mich streifte. Seine ganze Anwesenheit war mir überaus bewusst, doch ich versuchte mich auf die Fotos zu konzentrieren und musste heftig lachen, als ich Jannis als ungefähr ein jähriges Kind entdeckte, wie er versuchte Bobby Kar zu fahren. Er grinste über beide Backen und seine schokobraunen Augen funkelten lebenslustig. David neben mir schmunzelte, legte dann einfach seinen Arm um mich und zog mich an seine Schulter. Ich währte mich nicht und lehnte meinen Kopf bei ihm an. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie er noch breiter grinste. Rasch blätterte ich um und wir schauten uns die weiteren Bilder an, wie Jannis langsam zu einem 6-jährigen Kind heranwusch. Immer wieder musste ich lachen, denn Jannis war ein verrücktes, spielerisches Kind. Dann erschien das erste Bild, auf dem ich als Baby zu sehen war. Ich lag friedlich in dem bunt gemusterten Kinderbett und starrte den Fotograf aus großen blau-grünen Augen an. „Du warst ein unheimlich süßes Baby“, flüsterte David und ich spürte seinen warmen Atem seitlich an meinem Hals. Er drehte sich eine rote Locke um den Finger und zog mich näher an sich. „Und du bist jetzt auch noch sehr süß, zum vernaschen süß.“ Sein warmer Atem kitzelte mich im Gesicht und ich starrte ihn atemlos an. „Darf ich an dir knabbern?“, fragte er dann verführerisch, doch ich sah den Schalk in seinen Augen. Etwas überrumpelt, ging ich auf das Spiel ein. „Sehe ich etwa aus wie Schokolade?“, fragte ich spöttisch.
„Nein, du siehst nicht aus wie Schokolade und deswegen soll er es auch nicht wagen, an dir zu knabbern!“ Erschrocken zuckte ich von David zurück und vergaß, dass er noch meine Strähne um den Finger gewickelt hatte, sodass es ziemlich schmerzhaft ziepte. Jannis stand schräg hinter uns und schaute uns vorwurfsvoll. Was hatte er eigentlich für ein Problem? Erst wollte er unbedingt, dass ich mit David ausgehe und Spaß habe und jetzt ist er der total Spaßbremser.
„Nimmt euch gefälligst ein Zimmer. Wie gesagt, auch wenn ich dich mag, David, will ich trotzdem nicht sehen, wie du mit meiner Schwester rummachst! Außerdem sollt ihr arbeiten!“ David ließ endlich meine Strähne los, bewegte sich aber nicht von mir weg.
„Ja, wir sind am arbeiten“, grummelte ich und rutschte unbehaglich ein wenig von ihm weg, weil es mir vor Jannis peinlich war. Doch David kam einfach unverfroren hinter mir her, sodass ich ihn böse anblickte.
„Das will ich aber auch hoffen. Kann ich euch allein lassen?“ Jetzt richtete sich mein ärgerlicher Blick auf Jannis, der sich dann auch schnell mit einem letzten warnenden Blick verkrümelte.
Ich bemühte mich, Davids Blick auszuweichen und schlug das Fotobuch zu.
„Ok, diese Kiste mit den Albumen will ich auf jeden Fall behalten. Ich beschrifte sie nur kurz und dann kannst du sie ja schon mal in den leeren Raum bringen, dort wollen wir ja die Sachen lagern, die wir behalten wollen.“ Schnell krickelte ich auf den Karton: Fotoalben und schob ihn dann zu ihm rüber. Er lächelte mich an und stand dann mitsamt dem schweren Karton mühelos auf. Ich konnte nicht anders, als zurück zu lächeln und machte mich dann an die nächste Kiste, während David die andere wegbrachte.
In den weiteren Kisten war leider nichts mehr besonderes, sondern nur weitere, langweiliger Krempel und so schafften wir die nächsten zehn Kisten innerhalb zwei Stunden. Die meisten landeten auf dem „Verkaufen“ –Stapel, denn es waren alte, bestickte Tischdenken oder andere Sachen, die sicherlich noch irgendjemanden haben wollte. Insgesamt hatten es nur drei Kisten in den einen Raum geschafft, denn eine Kiste war mit weiteren Fotobüchern gefüllt und eine mit Postkarten. Irgendwie berührten sich unsere Hände immer wieder „zufällig“, wenn wir eine Kiste öffneten oder etwas rausholten. Manchmal merkte ich, wie David auf meine Lippen starrte und es fiel mir unheimlich schwer ihn nicht zu küssen, aber ich wollte nicht, dass Jannis uns nochmal erwischte.
„So, ich denke für heute haben wir genug. Wir haben ja schon ein wenig geschafft.“ Jannis sah relativ zufrieden aus. „Jetzt lasst uns erstmal essen.“ Also stiegen wir alle nacheinander die enge Treppe hinunter und betraten dann die Küche. Die Pizza war leider alle, aber wir hatten keine Lust etwas Neues zu machen, also holten wir uns einfach einen leckeren Kuchen aus der Kühltruhe. Als ich einen Blick aus dem Küchenfenster warf, stellte ich fest, dass es in den vier Stunden, die wir jetzt ungefähr gebraucht hatten, heftig zu schneien begonnen hatte. Na toll, jetzt war der Winter endgültig dar. Es war zwar schon die erste Dezemberwoche, aber bis jetzt hatten wir noch Glück mit dem Wetter gehabt. Ich hasste Schnee und immer besonders um diese Zeit wünschte ich mich nach Afrika, wo gerade Hochsommer war.
Man konnte kein bisschen mehr von dem Grün der Wiese erkennen und auf der dicken Schneeschicht entdeckte ich Tierspuren. Wahrscheinlich wieder die Katze der Nachbarn. Da sich die Bäume unter ihrer Schneeschicht ziemlich beugten und immer wieder Schneeböhen verweht wurden, nahm ich an, dass der Wind auch ziemlich stark war.
Ich war ziemlich froh, dass ich bei dem Wetter nicht mehr raus musste, aber David…er musste sogar noch mit dem Auto fahren.
„Maya, wo kommt nochmal das Kuchenmesser hin?“ Jannis Stimme riss mich aus meinen Gedanken und ich drehte mich vom Fenster weg.
„Jannis! Wie lange lebst du jetzt schon in diesem Haushalt? Seit 23 Jahren und seitdem hat sich nichts geändert. Warum weißt du also immer noch nicht, wo alles hinkommt?“ Spöttisch sah ich ihn an. „Ohne mich wärst du wirklich aufgeschmissen. Hilflos wie ein Baby“, setzte ich dann auch noch hinterher um ihn zu necken. Ich riss ihm das Messer aus der Hand und legte es in die richtige Schublade.
„Ach, aber andersrum auch. Wer repariert immer alles und schlägt die Nägel in die Wand, wenn du neue Bilder aufhängen willst. Noch nicht mal das kannst du!“, spöttelte er gutmütig zurück, drückte mich aber gleichzeitig einmal fest. Eher ich zur einer Erwiderung ansetzten konnte, war er schon aus der Küche verschwunden. Etwas ratlos sah ich zu David und wurde nervös, als ich merkte, dass er mich intensiv anstarrte. Ich stellte mich von einem Bein auf das andere und grübelte, was ich jetzt sagen könnte. Doch ich musste mir darüber gar nicht den Kopf zerbrechen, denn sobald die zuschlagende Zimmertür von oben zu hören war, stürmte er auf einmal auf mich zu und riss mich an sich. Eher ich mich versehen oder wehren konnte, lagen seine Lippen schon hart auf meinen und er küsste mich gierig. Überrascht öffnete ich meinen Mund und spürte sofort seine Zunge. Er fühlte sich einfach so wunderbar an, so warum und köstlich. Genauso gierig wie er, ging ich auf den Kuss ein.
„Darauf warte ich schon den ganzen Tag, aber Jannis hat mir das ja ganze Zeit vermiest!“, keuchte David, als er kurz von mir abließ um Luft zu holen. Auch ich schnappte hektisch nach Luft, doch mir blieb kaum Zeit, da ich schon wieder seine Lippen fühlte. Automatisch landete meine Hand in seinen Haaren, durchwühlte sie, in dem verzweifelten Versuch mich an ihm festzuhalten, da meine Knie schon Wackelpudding waren. Seine Arme waren um meine Hüften geschlungen und wanderten immer tiefer. Trotz meines benebelten Gehirns, merkte ich, dass er jetzt nicht mehr so zärtlich wie bei den zu vorigen Küssen war. Er nahm sich gierig das, was er wollte, aber ich konnte nicht sagen, dass es mir etwas ausmachte. Im Gegenteil, es war einfach fantastisch. Er war ein göttlicher Küsser.
Mittlerweile war seine Hand auf meinem Hintern gelandet und er zog mich noch fester an sich, was eigentlich kaum noch möglich war. Ich schnurrte auf, als er mich kurz hochhob, nur um mich dann auf der Tischplatte abzusetzen. Er stellte sich zwischen meine Beine, ohne damit aufzuhören, mich zu küssen, und ich wickelte sie zittrig um ihn. Heftig küsste er mich weiter und alle meine Sinne waren nur auf ihn eingestellt. Sein Geruch war so männlich und er war so stark. Langsam rutschte seine Hand unter mein T-Shirt und als er meine nackte Haut berührte, stellten sich alle meine Härchen auf und ich war wie elektrisiert. Als seine Lippen sich von meinen lösten, stieß ich ein protestierenden Stöhnen aus, doch schon eine Sekunde später spürte ich, wie er die Linie meines Kinns sanft entlang knabberte und seine Hand unter meinem T-Shirt immer höher rutscht. Wohlig seufzte ich, als sein Mund meinen Hals erreichte und er jetzt heftiger knabberte. Das würde wohl ein Knutschfleck geben, aber das war mir egal.
Auf einmal ertönte oben ein lautes Geräusch und ich zuckte erschrocken zusammen. Verspätet sickerte durch mein vernebeltes Gehirn, dass Jannis und jederzeit hier, mitten in der Küche, erwischen könnte. Auf Davids Gesicht zeichneten sich Enttäuschung, Wut und Verlangen ab, wahrscheinlich befürchtete er, dass ich ihn jetzt wieder abweisen würde, aber das hatte ich nicht vor. Ich rutschte wieder etwas näher an ihn heran und versuchte meine Stimme verfüherisch klingen zu lassen, als ich ihm über den Arm strich. „Hmm…ich befürchte dein Auto ist ziemlich zu geschneit und es wäre ja ziemlich aufwendig, dass jetzt noch zu räumen. Außerdem ist es jetzt draußen gefährlich. Was hältst du davon, wenn du über Nacht hierbleibst?“ Ich konnte nicht verhindern, dass ich ein wenig rot wurde, doch meine Stimme hatte nicht gewackelt und so wartete ich jetzt gespannt auf seine Antwort.
Vollkommen verblüfft sah er mich an und schien in meinem Gesicht zu forschen, ob ich es auch wirklich ernst meinte. Dann breitete sich ein strahlendes Lächeln auf seinem Gesicht aus. Als er sich wieder zu mir herunter beugte und mir einen gierigen Kuss auf die Lippen drückte, wertete ich das als ein „Ja“.
„Davon halte ich sehr, sehr viel. Du weißt gar nicht, wie sehr ich mich darüber freue“, murmelte er an meiner Halsbeuge. Auf einmal hob er mich ruckartig hoch und ich quietschte erschrocken. Haltsuchend klammerte ich mich an ihn, während er mich mit großen Schritten die Treppe hinauftrug. Ich ließ Jannis Zimmertür nicht aus den Augen, weil ich befürchtete, dass er jeden Moment auftauchen könnte. Glücklicherweise schafften wir es aber, ohne bemerkt zu werden, auf mein Zimmer. Meine Haut prickelte an allen Stellen, wo wir uns berührten und mein Herz pochte vor Aufregung. Gott, ich würde jetzt tatsächlich mit ihm schlafen! David stieß meine Zimmertür hinter uns zu und war mit wenigen Schritten am Bett. Da ich ihn nicht loslassen wollte und er mich nicht so aufs Bett werfen konnte, ließ er sich mit mir fallen, aber stützte seine Arme rechtzeitig neben mir ab, sodass ich unter ihm nicht zerquetscht wurde. Ich lachte kurz atemlos und starrte ihn aus großen Augen erwartungsvoll an.
Er beugte sich wieder zu mir herunter und drückte mir einen heftigen Kuss auf die Lippen. Mit der einen Hand durchwühlte er meine Haare, während er mit der anderen mein T-Shirt langsam hochzog. Verlangend schlang ich meine Arme um ihn und verschränkte sie hinter seinem Hals. Protestierend grummelte ich, als er den Kontakt unser Lippen kurz unterbrach, als er mir das T-Shirt über den Kopf zog. Ich hob mein Kopf ein wenig um wieder an seine Lippen zu kommen, doch er drückte mich zurück und setzte sich ein wenig auf, sodass er den Blick ungehindert über meinen halb entblößten Körper wandern lassen konnte. Jetzt wand ich mit etwas unter ihm, da es mir ein wenig unangenehm war so vor ihm zu liegen, während er mich so intensiv betrachtete. Doch dann beugte er sich glücklicherweise wieder zu mir runter und setzte unseren Kuss fort. Sofort vergaß ich meinen Scham und erwiderte den Kuss. Nachdem wir einige Minuten uns nur heftig geküsst hatten und er mit seinen Händen zärtlich über meine Seite fuhr, aber immer kurz vor dem BH-Verschluss stoppte, merkte ich, dass er zögerte, weil er nicht sicher war, ob ich das wirklich wollte. Also begann ich meinerseits ihn zu berühren und schlüpfte mit meinen Händen unter sein T-Shirt. Bewundernd fuhr ich seine Muskeln nach, aber da es ziemlich umständlich war ihn so zu berühren, schupste ich ihn zur Seite, sodass er auf dem Rücken landete und setzte mich dann auf ihn. Er keuchte überrascht auf, lächelte mich dann aber schelmisch an und legte sich entspannt hin. Ich schob sein T-Shirt so weit wie möglich hoch und berührte ihn überall. Als ich mich zu ihm herunter beugte, sah ich, wie seine Augen sich weiteten und ich grinste zufrieden. Während ich langsam mit meinen Lippen über seinen Bauch glitt, schaute ich ihn weiter lasziv an. Seine Augen lagen erwartungsvoll auf mir, doch seine Hände waren zu Fäusten geballt, als ich immer weiter runter rutschte. Als ich dann langsam zu seinem Hosenknopf wanderte und ihn aufmachte, verkrampften sich seine Finger und drückten sich ins Bettlaken. Gespielt unschuldig blickte ich ihn an und musste grinsen, als er mich böse anschaute.
Langsam zog ich seine Hose ein wenig runter und fuhr den Bund seiner Boxershorts entlang. Als ich mir dabei unendlich Zeit ließ, merkte ich, wie er ungeduldig wurde. Also zog ich auch die Boxershorts etwas weiter runter, aber als ich mit dem Handgelenk seinen großen Ständer streifte, hielt ich kurz verblüfft inne. Der fühlte sich riesig an! Davids Stöhnen war rau und männlich. Mein Zögern nutzte er aber schamlos aus und rollte sich einfach kurzerhand mit mir zusammen um, sodass ich wieder unten ihm lag. Sein „kleiner David“ presste sich an meine Hüfte und obwohl er beängstigend groß war, musste ich bei meinem Gedanken grinsen. Doch schon gleich darauf war ich wieder abgelenkt, denn Davids Hand lag auf einmal auf meinem Rücken und mit einem Klacken sprang der BH-Verschluss auf. Überrascht sah ich ihn an und er hielt inne, so als ob er auf meine Erlaubnis warten würde, weiter zu machen.
„Ist alles ok?“, fragte er ein wenig unsicher. Kurz überlegte ich, doch bis jetzt fühlte sich alles perfekt an. „Natürlich“, strahlte ich ihn an und er wirkte erleichtert. Vorsichtig und langsam streifte er mir die Träger von den Schultern und ich kam ihm entgegen, sodass er den BH problemlos ausziehen konnte. Kurz fühlte ich mich wieder unwohl, da ich jetzt mit komplett nacktem Oberkörper vor ihm lag, doch er schaute mich so verlangend und bewundernd an, dass meine Unsicherheit schnell verflog. Doch als er nach meiner Brust greifen wollte, verschränkte ich die Arme vor ihnen und schaute ihn abwartend an. Sofort zog er seine Hände zurück und schaute mich entschuldigend an. „Tut mir leid, ich wollte nicht….also...“ Unsicher fing er an zu stottern, doch ich grinste ihn beruhigend an. „Nein, das ist nicht das Problem. Aber findest du es nicht auch ungerecht, dass du noch immer alles anhast und ich mein Oberteil schon verloren habe?“ Als ich spöttisch lächelte, schien er zu begreifen und mit einem schnellen Ruck lag sein Oberteil genau auf meinem – nämlich neben dem Bett. Als ich meine Arme wieder wegnahm, begann er gegen meine Erwartungen erst wieder an meiner Seite. Sanft streichelten seine Fingerspitzen hauchzart über meine Haut, immer langsam höher. Als ich mein Becken ein wenig ungeduldig hob und schnaufte, war er es, der mich spöttisch anlächelte. Seine Stimme war heiser vor Erregung. „Nicht so ungeduldig. Ich will mir Zeit nehmen für deinen wunderbaren Körper. Wir haben die ganze Nacht Zeit.“ Das klang wie ein wunderbares Versprechen und die Erfüllung war noch unglaublicher.




Kapitel 15: Mayas Sicht




Verschlafen wollte ich mich am nächsten Morgen umdrehen, doch da war ein warmer, aber harter Widerstand. Im ersten Moment realisierte ich nicht, was da in meinem Bett war und patschte mit meiner Hand dagegen. Es bewegte sich! Ruckartig schlug ich die Augen auf, doch da ich von der Helligkeit in meinem Zimmer geblendet wurde, schloss ich sie stöhnend wieder. Hinter mir ertönte ein amüsiertes Kichern und warmer Atem streifte meinen Nacken. Sofort überkam mich ein wohliger Schauer. David! „Na, gut geschlafen und was Schönes geträumt?“ Seine Stimme klang noch ein wenig verschlafen, aber so sexy, dass ich am liebsten da weiter gemacht hätte, wo wir gestern Abend aufgehört hatten.
„Ich hab sogar sehr gut geschlafen“, schnurrte ich und rollte mich zu ihm um. „Nur ein wenig zu kurz.“ Ich lächelte in freudig an und streckte mich ein wenig. Seine Hände, die bisher locker auf meinen Hüften geruht hatten, verstärkten den Druck und er zog mich fest, näher an sich. „Das freut mich. Vielleicht sollte ich dir öfters beim….einschlafen helfen.“ Er wackelte bedeutungsvoll mit den Augenbrauen und seine Augen blitzten vorfreudig. Ich konnte mir mein Grinsen nicht verkneifen und beugte mich statt einer Antwort zu ihm, sodass ich ihm einen Kuss auf die Lippen drücken konnte. Eigentlich sollte es nur ein kurzes Streifen seiner Lippen sein, doch er fuhr mir sofort vorwitzig mit der Zunge über die Lippe und forderte Einlass. Leicht öffnete ich meinen Mund und küsste ihn heftig zurück. Dieser Kuss war zärtlicher, sanfter als die von gestern Abend, doch am trotzdem hätte ich ihm am liebsten ewig geküsst. David drückte mich wieder runter und stützte seine Hände rechts und links von mir ab. Sein eines Bein legte er halb über mich, sodass ich ihm nicht entwischen konnte, was ich eigentlich auch nicht vorhatte. Sein Kuss wurde wieder verlangender und nun legte er sich fast komplett auf mich, aber ich merkte, dass er sich abstützte, sodass ich nicht unter ihm zerquetscht wurde. Er zupfte an der Bettdecke, die ich mir wahrscheinlich im Laufe der Nacht geklaut und dann um mich gewickelt hatte, sodass meine Brüste bald darauf wieder frei wurden. Gerade als seine Hand meine Seite entlang hoch fuhr, klopfte es auf einmal heftig an der Tür. „Ich verzichte jetzt mal darauf rein zu kommen, aber da Davids Auto noch vor der Tür steht und er sicherlich nicht im Gästezimmer geschlafen hat, will ich nicht sehen, wie ihr beide nackt rummacht. Aber da wir schon sieben Uhr haben, würde ich vorschlagen, dass ihr mal bald aufsteht.“ Davids Gesicht spiegelte meine Enttäuschung wieder. Irgendwie hatte Jannis echt ein Talent die schönsten Momente zu ruinieren, auch wenn es diesmal berechtigt war. Stöhnend rollte David sich von mir herunter, während ich Jannis antwortete: „Jaja, wir kommen schon.“ Ich schlug die dicke Bettdecke zurück und fröstelte, als die kalte Luft meinen nackten Körper umspielte und sich meine Härchen aufstellten. David, der gerade dabei war, sich vom Bett hochzustemmen, erstarrte und betrachtete mich ausführlich von oben bis unten. Aber nach der letzten Nacht war mir das nicht mehr unangenehm, im Gegenteil, ich musste zugeben, dass mir sein begehrlicher Blick sogar ein klein wenig schmeichelte. Also stand ich elegant auf und beschloss, ihn ein klein wenig zu ärgern. Er saß immer noch auf der Bettkante, den Kopf in meine Richtung gedreht, sodass er genau sehen konnte, wie ich hüftschwingend auf meinen Kleiderschrank zuging. Übertrieben und mit geraden Beinen bückte ich mich zu meinen auf dem Boden liegenden Sachen. „Maya!“, knurrte wütend und ich konnte mir genau vorstellen, wie sich seine Hände im Bettlaken verkrampften, so wie es in der Nacht immer wieder geschehen war, wenn er um seine Beherrschung gerungen hatte. Doch ich beschloss ihn noch ein klein wenig zu reizen. Also wackelte ich noch ein wenig mit meinem Arsch und hörte ihn leise stöhnen. „Maya, ich warne dich, oder willst du, dass ich da über dich herfalle?“ Aber da ich es einfach nicht lassen konnte, machte ich noch einen letzten Hüftschwung. Das hätte ich besser sein lassen, denn auf einmal war er aufgesprungen und mit großen Schritten auf mich zugelaufen. Eher ich mich wieder aufrichten konnte, hatte er mich schon an den Hüften gepackt und mich an sich gezogen. Er war immer noch nackt, genauso wie ich. „Das hast du jetzt davon“, murmelte er rau an meinem Ohr. „Und wenn wir jetzt nicht gleich zur Schule müssten, würde mich nichts davon abhalten, hier und jetzt über dich herzufallen.“ Er schaffte es tatsächlich, seine Stimme bedrohlich klingen zu lassen, aber trotzdem lief mir ein warmer Schauer den Rücken herunter. „Na dann hab ich ja aber noch mal Glück gehabt“, spöttelte ich, auch wenn ich mir ein Stöhnen nicht verkneifen konnte, als er mich noch näher an sich drückte. „Glück? Da muss ich dir aber wohl heute Abend, dass das alles anderes als Glück ist“, versprach er verheißungsvoll, eher mich mit einem letzten Ruck losließ. Gerade noch rechtzeitig konnte ich mich halten, da meine Knie mittlerweile zu Gummi geworden waren. Wacklig drehte ich mich zu ihm, doch er hatte seinen Blick aufmerksam auf meine Fotowand gerichtet.
Dort hingen seine beiden Bilder, die er mir gemalt und geschenkt hatte. Als er sich wieder zu mir umdrehte, lächelte er mich glücklich an und hauchte mir kurz einen Kuss auf die Lippen. Seine Augen funkelten begeistert. „Freut mich, dass du meine Bilder aufhängst“, murmelt er an meinen Lippen und ich lächelte ihn an. Aber als ich einen Blick auf die Uhrzeit warf, verging mir das Lächeln.
„Verdammt! Schon zehn nach sieben. Wir werden zu spät kommen!“, fluchte ich und packte schnell meine Sachen. Dann griff ich noch nach dem nächst bestem Shirt aus meinem Schrank und eilte ins Bad. Ich warf die Tür nur hinter mir zu und schloss nicht ab, sodass David einige Minuten später ungehindert ins Bad spazieren konnte. Irgendwie fühlte es sich komisch, aber auch wieder ein klein wenig gut, an, dass wir uns zusammen im Bad fertig machten. Fast, als ob wir eine Beziehung hätten, aber das hatten wir doch nicht. Oder?! Verflucht, ich hatte jetzt keine Zeit darüber nachzudenken, aber ich konnte die Gedanken einfach nicht vertreiben. Wir hatten wunderbaren Sex gehabt und verstanden uns doch auch so prima. Irgendwie fiel mir auf, dass ich ihn auf seine Art wirklich mochte, auch wenn er mich manchmal nervte. Er war witzig und auch liebevoll. Und wenn er mich berührte, überlief mich immer ein warmer Schauer. Eher ich weiter über meine Gefühle nachdenken konnte, stand auf einmal David vor mir, der schon komplett angezogen war und sich gerade nur noch ein wenig durch die Haare fuhr. Ich hatte gerade mal meine Unterwäsche an, mich ein wenig geschminkt und mir die Zähne geputzt. Fluchend fuhr ich auch noch schnell im meine enge Hose und zog mir den schwarzen Pullover drüber, der am Rücken ein etwas weiteren Ausschnitt hatte. Eigentlich wollte ich noch einen Schal anziehen, aber ich hatte jetzt keine Zeit mehr, ihn noch zu suchen. Also stürmten wir nach unten und aßen noch schnell ein Toastbrot. Gerade als ich mir die Schuhe anziehen wollte, klingelte das Telefon. Ich überlegte, einfach so zu gehen, aber Jannis war schon weg und was, wenn es wichtig war. Also hüpfte ich auf einem Bein, da ich am anderen Fuß schon den dreckigen Schuh an hatte und den Boden nicht verschmutzen wollte, zum Telefon. „Maya Connor?“




Kapitel 16: Davids Sicht




David


Fasziniert und gedankenverloren starrte ich auf die zarte, makellose Haut von Mayas Rücken, die zwischen der lockigen, roten Haarpracht aufblitzte und durch den Kontrast noch heller wirkte. Der tiefe Ausschnitt war wirklich eine Versuchung, ihr Rücken war echt schön und ich konnte es mir nicht verkneifen, nach einer der wunderbaren, weichen Locken zu greifen und sie mir um den Finger zu drehen. So hatte ich sogar noch bessere Aussicht auf ihre zarte Haut. Zu gerne wäre ich jetzt mit meinen Fingerspitzen darüber gefahren, doch da wir im Matheunterricht saßen, wäre es nicht gerade gut, wenn mich das noch mehr in Versuchung führen würde. Und wir hatten noch drei Stunden vor uns. Wir hatten es natürlich nicht pünktlich geschafft, aber es war nicht weiter schlimm gewesen, da es unseren Biolehrer eh nicht interessierte, wer da war. Mittlerweile hatten wir schon vier Stunden hinter uns, aber die hatten wir nicht zusammen gehabt. Erst wieder Mathe, hatten wir gemeinsam und nun saß ich mit meinem Stuhl nach hinten gelehnt und beobachtete Maya fasziniert. Heute konnte ich mich noch weniger auf den Unterricht konzentrieren, als die letzten Tage, da ständig die Szene unserer gemeinsamen, wunderbaren Nacht in meinen Kopf aufblitzten. Es war einfach göttlich gewesen, sie war wie eine Amazone, wunderschön und leidenschaftlich. Und sie war einfach wunderbar. Selbst im Bett konnte ich mit ihr Lachen und sie war so schön unvorhersehbar. Immer wieder überraschte sie mich und wir konnten uns einfach super unterhalten. Und ständig waren wir umeinander herum geschlichen und sie wollte nicht nachgeben, es war ein tolles Spiel gewesen, aber jetzt waren wir zusammen und ich würde sie nicht mehr so schnell loslassen!
Ich hatte heute Morgen befürchtet, als sie aufgewacht war, nachdem ich sie schon mehrere Minuten in ihrem süßen Schlaf beobachtet hatte, dass sie mich wieder von sich gestoßen hätte, doch sie hatte mich schon wieder überrascht. Sie war locker, zufrieden und glücklich gewesen. Hoffte ich zumindest. Sie hatte nicht enttäuscht gewirkt und ich war überglücklich. Naja, zu mindestens solange, bis sie diesen geheimnisvollen Anruf bekommen hatte. Auf dem Bad war noch alles in Ordnung gewesen, wir hatten gelacht und sie war mir nicht ausgewichen, als ich sie noch einmal flüchtig geküsst hatte. Doch nachdem sie nochmal ins Haus gestürmt war, um den Anruf entgegen zu nehmen, war sie abwesend gewesen. Sie hatte mir nicht gesagt, wer angerufen hatte und ich wollte sie auch nicht drängen, auch wenn ich vor Neugierde starb. Bevor ich das Auto gestartet hatte, küsste ich sie nochmal, da ich von ihrem süßen Geschmack einfach nicht genug bekommen konnte und sie war mir auch nicht ausgewichen, doch ich hatte gemerkt, dass sie nicht aktiv dabei war. Sie war irgendwo anders mit den Gedanken. Es fiel mir echt schwer, mich zurück zu halten und nicht nachzubohren, doch ich wollte sie nicht unnötig drängen. Also gab ich mich damit zufrieden ihre wunderschönen Haare zu berühren. Sie reagierte überhaupt nicht, sondern starrte nur gedankenverloren vor sich hin. Was war bloß los? Langsam machte ich mir Sorgen, vielleicht war ja etwas passiert, aber dann hätte sie es mir doch sicherlich gesagt, oder?
Da es nichts brachte, wenn ich noch weiter darüber nachgrübelte, versuchte ich mich auf den Unterricht zu konzentrieren. Unsere Lehrerin versuchte gar nicht erst, richtigen Unterricht zu machen, da eh schon alle in Ferienstimmung waren und die restlichen drei Tage abzusitzen. Wir hatten zwar erst Mittwoch, aber der Freitag rückte zum Glück näher. Da fiel mir ein, dass ja auch bald Weihnachten sein würde und ich noch kein Geschenk für Maya hatte. Sie war so plötzlich gekommen und obwohl ich schon seit ungefähr einem Jahr versuchte, ihre Aufmerksamkeit zu bekommen, hätte ich nie damit gerechnet, dass es tatsächlich klappen könnte, da sie immer so unnahbar gewirkt hatte. Ich hatte sie lange beobachtet und nie gemerkt, dass sie wirkliche Freunde an der Schule hatte. Sie war zwar immer überaus freundlich und nett gewesen, doch hatte nie was von sich preisgegeben, doch trotzdem hatte sie mich von Anfang an fasziniert. Aber ich hatte gewusst, dass es nichts bringen würde, wenn ich zu offensichtlich um ihre Aufmerksamkeit kämpfen würde und sie direkt ansprechen würde. Deshalb war ich in dem Filmkurs gewesen, den sie auch belegt hatte, aber sie hatte mich nie bemerkt. Sie hatte immer an ihrem Computer gesessen und an irgendwas herumgebastelt, aber niemand hatte gewusst, wodran. Jetzt vermutete ich, dass sie an dem Film über Afrika gearbeitet hatte und ich musste lächeln. Sie war so bewundernswert, wie sie sich für die armen Menschen einsetzte und sogar die Gefahr, dafür verhaftete zu werden, auf sich nahm. Maya war wirklich etwas Besonderes und jetzt gehörte sie mir!



Kapitel 17: Mayas Sicht




Ich registrierte nur am Rande, dass David schon wieder mit meinen Haaren spielte. Ständig grübelte ich über Tanjas Anruf nach. Sie hatte mir nur bis heute Abend Bedenkzeit gegeben, länger konnte sie den Platz nicht freihalten. Im ersten Moment, als sie mir Angebot machte, wäre ich am liebsten vor Freude in die Luft gesprungen. Das war eine einmalige Chance! So käme ich schon viel früher nach Afrika und ich konnte endlich wieder in das Land meiner Träume. Und ich müsste nicht noch über sechs Monate warten, bis ich die Schule abgeschlossen hatte! Es waren zwar nur zwei Wochen, aber das würde reichen. Einer von der Hilfsorganisation war kurzeitig abgesprungen, da er mit Grippe im Bett lag und bis Freitag, wo der Flieger ging, nicht wieder fit sein würde. Also war noch ein Ticket übrig und ich konnte mit. Nach zwei Wochen müsste ich zwar wieder zurückfliegen, aber Hauptsache ich war überhaupt da! Aber im nächsten Moment war ich dann wieder auf dem Boden der Tatsachen, statt sofort ins Telefon zu brüllen, dass ich mit wollte, bat ich sie um ein wenig Bedenkzeit. Die beste Freundin meiner Mutter merkte sofort, was das Problem war. „Jannis, oder?“ Sie wusste, wie er über Afrika dachte, seit unsere Eltern ermordet wurden und er mich niemals freiwillig dahin lassen würde. Wenn ich im Frühling mein Auslandsjahr dort antreten würde, war ich bereits 18, doch bis dahin hatte Jannis noch das Sorgerecht für mich. Ich nickte geistesabweisend, doch kurz darauf bejahte ich auch noch, als mir einfiel, dass sie mich ja gar nicht sehen konnte.
„Weißt du was? Ich ruf heute Nachmittag noch mal an und dann überrede ich ihn“, beruhigte sie mich und ich glaubte ihr. Wenn es einer schaffen konnte, dann sie. Aber ich hatte noch ein Problem…David. Obwohl ich nicht wusste, ob wir jetzt zusammen waren, würde ich ihn trotzdem vermissen. Und so wie ich ihn einschätzte, würde er enttäuscht sein, wenn ich so bald gehen würde und besorgt, weil Jannis wahrscheinlich direkt versuchen würde, ihn auf seine Seite zu ziehen. Normalerweise war Jannis nicht so fies, aber wenn es um das Thema ging, zog er echt an allen Registern. Ich wusste, dass er es nur gut meinte und er es einfach nicht ertragen konnte, mich auch noch zu verlieren, aber es war nun mal mein Traum wieder nach Afrika zu kommen.
Den ganzen Tag lang grübelte ich darüber nach und ich konnte es nicht fassen, aber ich zweifelte, ob ich wirklich fahren sollte. Seit langer Zeit war ich hier auch endlich mal wieder ziemlich glücklich und ich wollte das eigentlich nicht aufs Spiel setzten. Aber es war doch eine einmalige Chance! So etwas konnte ich doch nicht ausschlagen, oder? Und außerdem waren es doch nur zwei Wochen, danach würde ich ja wieder hier sein. Aber danach…ich würde noch die fünf, sechs Monate bis zu dem Abschluss warten und dann mindestens für ein ganzes Jahr nach Afrika. Und ich hatte geplant, dass ich danach noch da bleiben wollte. Ich kannte bereits viele der Leute aus der Organisation, da meine Eltern einen hohen Posten dort gehabt hatten und ich konnte sicherlich noch länger da bleiben und eine Ausbildung als Sozialhelferin machen. Eigentlich hatte ich sogar schon mal drüber nachgedacht, ein Medizinstudium in Südafrika zu machen, denn Medizin interessierte mich auch sehr. Meine Mutter war auch Ärztin gewesen und ich war immer voll stolz auf sie gewesen, wenn sie jemandem in Afrika geholfen hatte. Das würde bedeuten, dass ich lange Zeit nicht wieder hierher zurückkehren würde, oder nur ab und zu um Jannis zu besuchen, also hatte das mit David und mir doch eh keine Zukunft.
„Maya!“ Davids Stimme riss mich aus meinen niedergeschlagenen Gedanken. „Es hat bereits geklingelt.“ Überrascht schaute ich hoch und blickte in seine tollen, dunkelblauen Augen. Er schaute mich besorgt und neugierig an, doch ich war froh, dass er nicht nachfragte, weil ich ihn nicht anlügen wollte, aber ich konnte es ihm auch noch nicht erzählen, da ich noch keine Entscheidung getroffen hatte. Langsam stand ich auf und warf mein Mäppchen in die Tasche. Ich lief um den Tisch herum und David griff wie selbstverständig nach meiner Hand. Mein Magen schlug glücklich ein Salto und meine Haut kribbelte. Irgendwie überkam es mich einfach und ich umarmte ihn dankbar und glücklich. Dann lehnte ich mich wieder etwas zurück, ließ ihn aber nicht los, sondern küsste ihn impulsiv. Er war zwar etwas überrascht, doch er küsste mich heftig zurück. Es fühlte sich einfach wunderbar an, meine Lippen kribbelten und meine Haut stand in Flammen. Einfach unglaublich, was David bei mir anrichten konnte, so was hatte ich noch nie gefühlt. Mehrere wunderbare Momente lang, konnte ich den Kuss einfach nur genießen, bis die nervigen Gedanken wieder kamen. Konnte ich ihn wirklich verlassen?
Als es erneut klingelte, rissen wir uns schwerfällig voneinander los, aber es half nichts. Die restlichen Stunden hatten wir leider nicht mehr gemeinsam und ich grübelte die ganze Zeit weiter über das Thema nach. Vielleicht war es wirklich besser, wenn ich ging. Ich konnte ja auch nicht meine ganzen Zukunftspläne auf den Kopf stellen, weil ich mit David zusammenbleiben wollte. Vermutlich war es besser, wenn ich jetzt schon mal fuhr, bevor ich mich noch richtig in ihn verliebte und es alles noch schwerer werden würde, aber ich befürchtet, es war schon fast zu spät…. Ich konnte zwar nicht beurteilen, was ich genau fühlte, aber es war so intensiv… Schnell vertrieb ich diese Gedanken. Ich würde fahren, sonst würde es mir nachher das Herz brechen! Außerdem waren wir ja eigentlich eh nicht zusammen, er hatte es ja noch nicht mal erwähnt.
Nachdem es endlich zum Ende geklingelt hatte, stürmte ich befreit nach draußen. Ich weiß nicht, wie David es machte, aber war schon draußen und lehnte sich an sein Auto. Er strahlte mich an, als er mich entdeckte und ich konnte das Lächeln, das sich auf mein Gesicht schlich, nicht verhindern. Den Kuss, den er mir abluchste, konnte ich trotzdem nicht richtig genießen, weil ständig in meinen Hintergedanken herumschwirrte, dass ich eigentlich nur noch drei Tage mit ihm hatte. Ich musste es ihm sagen, aber als ich meinen Mund öffnete, kam einfach kein Ton heraus. Es würde wahrscheinlich alles ruinieren, er würde sauer sein, auch wenn er eigentlich kein Recht dazu hatte, aber ich wollte die restliche Zeit mit ihm noch genießen und nicht mit Streit verbringen. Also schwieg ich, auch wenn es mir falsch vorkam, ihm nichts davon zu erzählen.
Diesmal fuhren wir nach David zu Hause, da er sich frische Sachen anziehen wollte. Ich wartete ganze Zeit darauf, dass endlich ansprach, was zwischen uns beiden waren. Waren wir jetzt zusammen? Aber irgendwie traute ich mich nicht, das Thema selbst anzuschneiden, da mich beide Ergebnisse wahrscheinlich nicht zufrieden stellen würden. Wenn er meinte, dass wir zusammen wären, würde es mir noch schwerer fallen, zu gehen, auch wenn ich glücklich sein würde. Aber wenn es für ihn nicht so bedeutend war, wenn er einfach nur eine lose Beziehung mit mir habe wollte. So wie mit seiner Exfreundin? Ich würde todunglücklich sein. Also blieb mein Mund zu und ich starrte gedankenverloren aus dem Fenster und sah den leichten Schneeflocken dazu, wie sie ans Fenster schneiten. Auch David war erstaunlich ruhig und ich fragte mich, ob er auch darüber nachgrübelte.
Doch er sah nicht unentschlossen oder nachdenklich aus, als er aus dem Auto aufsprang und mir die Tür aufhielt, als wir angekommen waren. Seine Augen funkelten glücklich, auch wenn ich gemerkt hatte, dass er mich zwischendurch immer wieder nachdenklich und besorgt gemustert hatte. Erneut bewunderte ich sein tolles Haus, es war wirklich umwerfend. Hier hatte echt jemand ein tolles Händchen für die Außeneinrichtung gehabt. David kramte aus seiner Tasche nach dem Schlüssel und kurz darauf betraten wir das Haus. Diesmal hielten wir uns nicht im Wohnzimmer auf, sondern gingen direkt in sein Zimmer. Die Leinwände standen immer noch überall herum und ich grinste glücklich, aber gleichzeitig auch wehmütig, als ich die Leinwand entdeckte, die in der Mitte seines Zimmers stand. Dort hatte David mit Bleistift eine neue Zeichnung begonnen und man konnte schon einen lockigen Haarschopf entdecken, der meinem erstaunlich ähnlich sah. Mein Kopf ruckte in Davids Richtung, als er seine Tasche in die Ecke warf und mich freudig angrinste. Ich legte meine Tasche vorsichtiger ab und schaute mich dann weiter um, doch ich kam nicht weit, da er mich von hinten umarmte und an sich zog. Tief atmete ich seinen wunderbaren, männlichen Geruch ein und kuschelte mich an ihn. Er begann an meinem Nacken zu knabbern und seine eine Hand rutschte unter mein Pullover. Kurz überlegte ich ihn abzuweisen, da ich nicht noch stärkere Gefühle für ihn entwickeln wollte, auch wenn es sich wirklich traumhaft anfühlte. Aber warum sollte ich unsere restliche, gemeinsame Zeit nicht noch genießen?
Also hinderte ich ihn nicht daran, mir den Pullover langsam und genüsslich auszuziehen. Hauchzart fuhr er mir mit den Fingern den Rücken hoch und öffnete den BH-Verschluss. Doch er streifte mir ihn nicht ab, sondern knetet erstmal meine Schultern. Er konnte super gut massieren, sodass ich schon bald darauf entspannt aufstöhnte. Erst jetzt befreite er mich von dem BH und dirigierte mich zum Bett. Mein Rücken war immer noch an seine Brust gepresst, sodass ich mit dem Bauch aufs Bett fiel, da er mich nicht loslassen wollte. Doch er stützte sich sofort ab, sodass ich nicht unter ihm zerquetscht wurde. Dann setzte er sein Streicheln fort und ich genoss es einfach nur.
Ungefähr eine Stunde später lagen wir aneinander gekuschelt in seinem Bett und David strich mir sanft immer wieder den Rücken hoch und runter. Währenddessen blickte ich mich träge in seinem Zimmer um und entdeckte auf seinem Nachtschränkchen ein kleines, gerahmtes Foto. Eine schwarzhaarige, etwa dreißig-jährige Frau war darauf abgebildet, die gerade vertieft dabei war, ein Bild zu malen. War das etwa Davids Mutter? „David?“ Als Antwort bekam ich nur ein bestätigendes Brummen und ich spürte einen Ruck an meinen Haaren. Dieser Haarfetischist!
„Ist das deine Mutter?“, fragte ich vorsichtig und deutete auf das Bild. Kurz stockten die Finger, die gerade auf meinem Rücken kreisende Bewegungen ausführten und ich befürchtete, etwas Falsches gesagt zu haben. Doch er antwortete mir zum Glück. „Ja, das ist meine Mutter“, murmelte er und bevor ich mich zurück halten konnte, fragte ich: „Was ist mit ihr?“ Im nächsten Moment hätte ich mich dafür schlagen können, es war doch offensichtlich, dass er nicht wirklich darüber reden wollte.
Ich spürte, wie Bewegung in David bekam, aber als ich mich zu ihm umdrehen wollte, hinderten mich seine stahlharten Arme daran, die mich plötzlich von hinten umschlungen. „Sie ist tot.“ Erschrocken biss ich mir auf die Lippen, seine sonst so belebte Stimme, klang so …gefühlslos, eiskalt. Als er nicht weiter sprach, nahm ich an, dass er mich nicht mehr erzählen wollte, doch nach einiger Zeit erklang seine Stimme erneut.

„Meine Mutter ist bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Sie war betrunken am Steuer und hat das entgegenkommende Auto zu spät gemerkt.“ Schweigen. Ich hörte, wie er mehrmals schluckte, bevor er weitersprach. Krampfhaft zeichnete er Kreise auf meinen Rücken und ich merkte, dass es ihn nicht so kalt ließ, wie er tat.

„An dem Abend hatte sie erfahren, dass mein Vater eine Affäre mit seiner rothaarigen, jungen Sekretärin gehabt hatte.“ Ich spürte seinen Blick auf meinen Haaren und glaubte zu verstehen, warum er sich so aufgeregt hat, als sein Vater so vertrauensvoll  mit mir geredet hat. Ich traute mich noch nicht etwas zu sagen, da vielleicht noch etwas kam.

„Meine Mutter war immer schon ein wenig instabil gewesen. Sie war eine atemberaubende Frau, liebevoll, eine wunderbare Künstlerin und ….eine tolle Mutter, aber sie war nie wirklich glücklich. Mein Vater war oft weg, wegen seiner Arbeit, auch wenn sie sich geliebt haben. Und in der Zeit hat meine Mutter sich immer in ihrer Kunst vergraben. Ich habe nie verstanden, warum sie irgendwann begonnen hat zu trinken, aber es wurde immer mehr. Mein Vater hat es erst nicht gemerkt, weil sie die Flaschen versteckt hat, wenn er da war, aber als er es dann begriffen hat, war es zu spät. Auch wenn er alles versucht hat, um ihr zu helfen, aber sie wollte sich nicht helfen lassen. Irgendwann hat er es einfach nicht mehr ertragen und ich glaube, er hat Trost bei der anderen Frau gesucht. Damals habe ich ihn dafür gehasst, denn ich gab ihm die Schuld, aber nachher hab ich verstanden, dass meine Mutter krank war und mein Vater einfach nicht mehr die Kraft hatte, ihr zu helfen. Ich habe ihm verziehen.“ In seiner Stimme klang ein „Aber“ mit und ich wartete gespannt darauf, was jetzt noch kam. Mir waren zwar die Tränen in die Augen getreten bei seiner Erzählung und ich hätte ihn gerne umarmt, aber er hatte mich mit seinem Mitleid auch verschont und ich war mir sicher, dass er selber auch keines wollte. Also hielt ich still und war froh, dass er mein Gesicht nicht sehen konnte.

„Aber als er dann direkt so vertraut mit dir war, ist bei mir eine Sicherung durchgebrannt. Weißt du, seine Frauen sind alle rothaarig und ich hätte es nicht ertragen können, wenn …wenn….ich weiß, es war albern, sowas würde mein Vater  nie machen, aber es hat mich so stark an meine Mutter erinnert.“  Jetzt konnte ich mich nicht mehr zurückhalten und drehte mich zu ihm um. Tröstend schlang ich meine Arme und er ließ es zuerst verkrampft zu. Ich blieb still, da ich nicht wusste, was ich hätte sagen sollen. Nach einiger Zeit entspannte er sich, aber er zeigte mir sein Gesicht nicht, sodass ich nicht erkennen konnte, wie es ihm ging. Irgendwann flüsterte ich ihm ins Ohr: „Danke, dass du es mir erzählt hast.“ Und ich war echt froh, dass er mir dieses Vertrauen entgegen brachte, auch wenn ich mich im nächsten Moment schlecht fühlte, weil ich es ihm immer noch nicht erzählt hatte. Erneut öffnete ich meinen Mund, doch es kam kein Ton heraus. Ich verstand nicht, warum ich es ihm nicht einfach erzählen konnte, aber ich wollte unsere verbleibende Zeit nicht ruinieren.

 

Drei Stunden später schloss ich die Haustür auf und winkte David, der noch im Auto saß und wartete, dass ich drin war. Ich hatte gemerkt, dass er enttäuscht war, als ich ihn gebeten hatte, mich nach Hause zu fahren, auch wenn er nichts gesagt hatte. Eigentlich wäre ich noch gerne über Nacht bei ihm geblieben, aber ich musste noch mit Jannis sprechen und Tanja meine Bestätigung geben, dass ich mitflog. Also hatte ich mich mit einem letzten, langen Abschiedskuss begnügt und war dann aus dem Auto gestiegen. Sobald Jannis die Tür hörte, stürmte er in den Flur und sah fuchsteufelswild aus.

„Nein, Nein! Das kannst du vergessen! Du wirst nicht da hinfahren, niemals! Du bleibst hier. Nur über meine Leiche fährst du jetzt schon da hin! Weißt du, was du mir damit antust? Meinst du, ich hab eine ruhige Sekunde, wenn du direkt im Krisengebiet bist? Tanja hatte mich schon fast so weit, als sie erwähnt hat, dass da gerade heftige Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Dörfern sind. Was, wenn dir etwas passiert?“ Erschrocken zog ich den Kopf ein, denn so einen Ausbruch hätte ich nicht erwartet. Aber dann ging ich beruhigend auf ihn zu.

„Jannis, ich weiß, dass du dir Sorgen machst und das will ich ja auch gar nicht. Aber das ist nun mal mein Traum. Ich möchte dich nicht hier alleine lassen, aber ich möchte auch nach Afrika. Außerdem sind es ja nur zwei Wochen.“ Aber Jannis beruhigte sich kein bisschen.

„Nur? Das sind schon genau zwei Wochen zu viel. Also ob es einen Unterschied machen würde, ob du zehn Wochen oder zwei da bist. Das ist genauso gefährlich.“

„Bitte, Jannis. Nächstes Jahr bin ich eh da, warum also nicht jetzt schon?“ Ich starrte ihn stur an und die Verzweiflung  in seinen Augen tat mir in der Seele weh. Ruckartig zog er mich in seine Arme und erdrückte mich fast. „Ich weiß, du hast ja Recht und ich will dir ja auch deinen Traum nicht nehmen, aber ich will dich einfach nicht verlieren.“ Seine Stimme klang sehr rau und ich bemerkte, dass er sogar zitterte. „Jannis, ich verspreche dir, dass ich so vorsichtig bin, wie möglich. Außerdem bleibe ich ja bei Tanja im Camp. Ich komme gar nicht richtig in das Krisengebiet.“ Als er nichts mehr erwiderte, wusste ich, dass er nachgegeben hatte. Ich konnte mir vorstellen, dass es unheimlich schwer für ihn war, aber er wusste, dass er es eh nicht mehr lange entscheiden konnte.

„Du rufst mich jeden Tag an und du bleibst nur in dem Camp. Und keine unnötige Risiken, verstanden?“ Eifrig nickte ich, erleichtert, dass er es erlaubte.

„Ich ruf Tanja an“, meinte er dann noch. Wahrscheinlich würde er ihr aber auch nochmal einprügeln, dass sie mich nicht aus den Augen lassen sollte. „Ok“, meinte ich freudig und begleitete ihn ins Wohnzimmer, wo er nach dem Telefon griff. Schon nach dem ersten Klingeln nahm Tanja ab und ich hörte ihre Stimme durch den Lautsprecher dröhnen, da Jannis auf laut gestellt hat. 

Als Jannis ihr mitteilte, dass ich doch mit durfte, ertönte ihr freudiger Ausruf. „Super. Ich freu mich schon.“ In der folgenden halben Stunde besprachen wir die genauen Details, wann der Flug ging und an was ich alles denken musste. Danach begann ich schon mal meine Koffer zu packen und wurde wieder wehmütig, als mein Blick auf die Bilder von David fiel. Kurzerhand packte ich das Bild, wo wir zusammen drauf waren, auch noch ein. Ich würde das jetzt durchziehen!

Dann setzte ich mich in meinen Sitzsack und griff nach einem Zettel und einem Stift. Zögerlich setzte ich den Stift an, kaute aber kurz darauf an dem Ende, da ich nicht wusste, was ich schreiben sollte.

„Lieber David!“ Durchgestrichen. „Es tut mir leid.“ Wegradiert. „Ich konnte es dir einfach nicht sagen.“ Blatt zerknüllt und weggeschmissen. „David, ich weiß, ich hätte es dir sagen sollen!“ Satz bis zur Unkenntlichkeit mit dem Bleistift durchgestrichen. „ Ich bin in Afrika.“ Da ich zu fest aufgedrückt hatte, war ein Loch in das Blatt gebohrt wurden. Verzweifelt fuhr ich mir durch die Haare. Das konnte doch nicht so schwer sein, aber ich brachte einfach nicht mehr als zwei Sätze aufs Papier.


Kapitel 18: Mayas Sicht

Am nächsten Morgen wachte ich wie gerädert auf. Ich hatte die halbe Nacht damit verbracht, denn Abschiedsbrief für David zu schreiben, bis ich halbwegs zufrieden war.

Morgen Abend saß ich schon im Flugzeug und ließ Amerika  und David hinter mir. Schnell stand ich auf um die bedrückten Gedanken zu verdrängen. Aber leider brachte es auch die kalte Dusche nicht sonderlich. Schnell machte ich mich fertig, aber es war so trostlos ohne David. Gestern Morgen waren wir zwar im Stress gewesen, doch es war toll gewesen, neben ihm aufzuwachen.

Rasch steckte ich den Brief unten in meine Tasche und hüpfte über die zwei Koffer, die ich mitnehmen würde. Unten in der Küche schmierte ich mir ein Toast und entdeckte dann einen Zettel, der auf dem Küchentisch lag.

„Mach dir noch einen schönen letzten, richtigen Tag hier, Schwesterherz.“ Gerührt betrachtete ich den Zettel, er hatte sogar einen Smiley darunter gekritzelt, obwohl er noch immer unglücklich mit meiner Entscheidung war. Als ich auf die Uhr schaute, merkte ich, dass es Zeit war und ich zog mir meine Schuhe an. Sobald ich die Haustür hinter mir zugezogen hatte und ein paar Schritte gegangen war, entdeckte ich David, der wie die Morgen davor an sein Auto gelehnt stand und mich erwartete. Glücklich lächelte ich ihn an und er grinste zurück. Er kam auf mich zu und raubte mir einen Kuss, denn ich in vollen Zügen genoss, bevor er mich einstiegen ließ. Ich verbat mir jeden Gedanken an unsere baldige Trennung und konnte aber trotzdem nicht verhindern, dass ich es vermissen würde, wie unser beider Lachen durch das Auto scholl, wenn er mich mal wieder zum Lachen brachte. Sanft streichelte seine Hand über meinen Oberschenkel, wenn er gerade nicht die Kupplung benutzen musste. Er erzählte mir, dass er an dem Bild weitergemalt hatte und es wahrscheinlich morgen Abend fertigstellen würde, wenn ich ihm heute Abend Model stehen würde. Ich versuchte meine Traurigkeit darüber, dass ich das fertiggestellte Bild wahrscheinlich nicht sehen würde, zu verdrängen und lächelte ihm nickend zu. „Klar, steh ich dir Model. Aber ich weiß nicht, ob ich solange still sitzen kann.“ Schmunzelnd sah er mich an. „Das geht schon. Ich unterhalte dich dann solange, damit du dich auch nicht langweilst.“ „Ach, also bist du  nicht der schweigsame Künstler, der ganz in sein Bild vertieft ist?“ Er schüttelte den Kopf. „Nein,  meistens dröhn ich mich mit lauter Musik voll und sing mit.“ Ich musste kichern, als ich mir vorstellte, wie er voll mitging und mit dem Hintern wackelte, während er tanzte und sang. „Was ist daran so lustig?“ Ich schüttelte unter Tränen den Kopf, da das einfach zu lustig war. „Nichts“, hickste ich. Er hob zweifelnd eine Augenbraue hoch, doch er erwiderte nichts. Kurz darauf kamen wir an der Schule an, sogar mal pünktlich und gingen in unseren jeweiligen Klassenraum. Leider hatten wir heute keine einzige Stunde zusammen, sodass wir uns nur in den Pausen kurz sehen konnte. Er lehnte schon an meinem Spind und erwartete mich.

„Sag mal, wie machst du das eigentlich immer so früh zu sein?“, fragend sah ich ihn an, aber er grinste nur schelmisch. „Ich schleich halt nicht so wie du“, spöttelte er. Empört stemmte ich meine Hände in die Hüfte. „Ich schleiche nicht!“, fauchte ich. Sein Grinsen wurde noch breiter. „Doch, tust du, meine kleine Schnecke.“ Wütend, aber auch zugegebenermaßen ein klein wenig gerührt, wegen dem „meine“, bohrte ich ihm meinen Zeigefinger in die Brust. „Du hetzt halt einfach nur.“  Ich wollte nicht zugeben, dass ich manchmal ein wenig trödelte, aber so schlimm war es ja jetzt auch wieder nicht. „Nein, du schleichst“, meinte er unerbittlich weiter. Bevor ich zu Protest ansetzten konnte, hatte er meinen Lippen mit seinen versiegelt. Ich versuchte gar nicht erst, mich zu währen, sondern genoss den Kuss und öffnete meinen Mund, sodass er mit meiner Zunge spielen konnte. Alle meine Sinne waren auf ihn konzentriert und es fühlte sich wie ein Feuerwerk an. Ich stellte mich auf die Fußspitzen, um ihn besser berühren zu können. Leider unterbrach uns da auch schon die Klingel und ich ließ widerwillig von ihm ab. Während er nach links musste, bog ich nach rechts ab und sofort überkamen mich wieder die zweifelnden, niedergeschlagenen Gedanken. Die ganzen weiteren Stunden hatte ich immer wieder Zweifel, aber jetzt war es zu spät, ich würde fliegen. Am Ende des Schultages wartete David bereits wieder am Auto auf mich und als ich näher kam, meinte er: „Na, meine kleine Schnecke.“ Wütend schaute ich ihn an und schlug ihm auf den Oberarm. „Lass das!“, grummelte ich, doch er grinste nur ignorant. „Was ist denn bloß, meine kleine Schnecke?“, fragte er gespielt unschuldig, doch ich schaute ihn nur finster an, bevor ich mich ins Auto setzte. David lachte laut  und stieg dann ebenfalls ein. „Fahren wir nach dir?“, fragte ich, als wir vom Parkplatz fuhren.

„Wenn du willst?“ Ich nickte schnell, denn ich wollte nicht, dass wir zu mir gehen, denn da würde er meine Koffer sehen. Er grinste mich und gab Gas. Nach einiger Zeit kamen wir an und wollte sofort in sein Zimmer gehen, doch auf einmal hielt uns Davids Vater auf.

„Maya. Schön dich zu sehen.“ Er lächelte mich an, aber ich grinste ihn nur zurückhaltend an. Ich wollte David nicht verärgern, seit dem ich wusste, was passiert war. „Hallo.“ David griff fest nach meiner Hand und zog mich an sich. Als sein Vater das bemerkte, leuchteten seine Augen auf.

„Seid ihr jetzt zusammen?“, fragte er neugierig. „Ja, Dad, sind wir“, antwortete David stolz. „Glückwunsch!“ Ich bekam den Rest ihrer Unterhaltung gar nicht mehr richtig mit, da ich noch darauf fixiert war, dass er so selbstverständlich meinte, dass wir zusammen waren. Er wollte mit mir zusammen sein! Innerlich führte ich einen Freudentanz auf, bis mir einfiel, dass wir das morgen sicherlich nicht mehr waren. Sofort verpuffte meine Euphorie und ich richtete meine Aufmerksamkeit wieder auf Davids Vater. Er schien sich wirklich für uns zu freuen und nun lächelte ich ihn auch ein wenig mehr an. „Danke“, meinte David und nach dem wir uns von seinem Vater verabschiedet hatten, gingen wir hoch in sein Zimmer. Ich konzentrierte mich nur auf David, um die miesen Gedanken zu vertreiben.

 Das Bild von mir war wirklich schon weiter als gestern und als ich ihn fragend anschaute, wich er meinem Blick ein wenig aus. „Ich hatte gestern Abend viel Zeit.“ Ich grinste ihn an und zog meine Jacke aus. „So, wo soll ich mich denn dann hinsetzten?“ Sofort wurde er eifrig und zog mir einen Stuhl heran. Dann spitzte er seinen Bleistift nochmal und legte los. Und tatsächlich langweilte ich mich nicht. Im Hintergrund lief leise das Lied „Hall of Fame“ und David sang wirklich fleißig mit, obwohl er überhaupt nicht singen konnte. „Oh Gott, hör auf! Das ist schrecklich!“, rief ich unter Lachanfällen. Doch David kreischte noch weiter und ich konnte nicht mehr. „Du musst schon stillsitzen“, unterbrach er seinen Gesang –oder seine Ohrfolter, wie man es nahm. „Kann ich nicht, wenn du mich so zum Lachen bringst“, japste ich. „Na gut, dann  hör ich eben auf“, meinte er gespielt beleidigt und  nach einem letzten Lacher konnte ich mich dann auch wieder gerade aufrichten, auch wenn mein Bauch noch vor Lachen schmerzte. Ich versuchte still zu sitzen, doch David brachte mich immer wieder zum Heulen, da ich so kichern musste. Er erzählte mir, wie er seine ersten Bilder gemalt hatte und seine Kunstlehrerin regelrecht überforderte, weil er ihr ständig Bilder schenkte und wie er einmal in einen Farbtopf gefallen war und kopfüber drin stecken geblieben war.

Gott, seinen Humor würde ich auch vermissen. Schlagartig verging mir das Lachen und ich setzte mich ein wenig ernüchtert wieder hin. David schaute mich verwirrt an, doch er sagte zum Glück nichts.

Nach einiger Zeit legte er den Stift weg und kam auf mich zu geeilt. „So, jetzt reicht es mir nicht mehr, dich nur anzuschauen.“ Eher ich mich versehen konnte, hatte er mich mit Schwung hochgehoben und drehte sich mit mir im Kreis, bevor er mich auf das weiche Bett warf. Rasch war er über mir und küsste mich verlangend. Ich schlang meine Arme um seinen Hals und wollte ihm am liebsten nie wieder loslassen. Unsere Zungen fochten ein atemberaubendes Spiel aus und meine Haut kribbelte erwartungsvoll, als er mir den Pullover über den Kopf zog. Rasch zog ich ihn auch aus und ich weiß nicht, ob es mir nur so vorkam, aber heute waren wir beide wild, verzweifelter. Es fühlte sich wie ein Abschied an, obwohl David doch davon gar nichts wusste. Oder ahnte er es vielleicht. Kurz darauf waren wir beide nackt und ich presste mich verlangend an ihn. Er fühlte sich einfach wunderbar an und ich stand förmlich in Flammen. Überall wo er mich berührte, überkam mich Gänsehaut und schnell wand ich mich stöhnend unter ihm. Ich würde die letzte Nacht mit ihm noch genießen und wie!

Kapitel 19: Mayas Sicht

Am nächsten Morgen wachte ich in einer starken Umarmung auf. Zwischen Davids warmen Köper und meinem passte noch nicht mal eine Feder und ich genoss seinen warmen Atem im meinem Nacken. Die letzte Nacht war wundervoll gewesen und ich hatte sie in vollen Zügen genossen. Vorsichtig drehte ich mich in seiner Umarmung, sodass ich sein schlafendes, entspanntes Gesicht sehen konnte. Er sah glücklich aus und ich konnte nicht anders, als mit meinen Fingerspitzen über sein Gesicht zu tanzen. Mindestens fünf Mintunten verharrte ich so, bis er sich auf einmal ein wenig regte und seine Atmung unregelmäßiger wurde. Er öffnete zwar seine Augen nicht, aber er streckte sich meiner Berührung ein wenig entgegen und genoss sie sichtlich. Irgendwann schlug der dann seine Lider auf und ich starrte in seine wunderbaren, dunkelblauen Augen. „Guten Morgen“, hauchte ich und konnte nicht widerstehen, ihm ein Kuss auf die Lippen zudrücken. Gierig öffnete er seinen Mund und schnappte nach meiner Zunge. Eher ich mich zurückziehen konnte, legte er seinen Hand in meinen Nacken und zog mich zu ihm runter. Ich kostete den ausgiebigen Kuss voll aus und seufzte, als er von mir abrückte. „Gute Morgen, Süße.“ Er schaute mich noch ein wenig verschlafen an, bevor er seine Beine aus dem Bett schwang. „Wir müssen aufstehen, sonst kommen wir wieder zu spät“, lachte er. „Wir können ja heute Abend weiter machen!“ Bumm! Meine gesamte Glückseligkeit verschwand und mein Bauch zog sich zusammen, als ob mich jemand getreten hatte. Heute Abend würde ich nicht mehr hier sein. Ich konnte mich nicht dazu durchringen zu antworten, sondern starrte ihn nur wortlos an. Doch er ließ sich nicht daran stören, sondern spazierte gut gelaunt ins Bad, das direkt an sein Zimmer angrenzte. Traurig schaute ich ihm hinter her, bevor ich selbst aufstand und das Bett ein wenig machte. Da fiel mir der Brief ein und ich hechtete zur Tasche. Mit einem vorsichtigen Blick zur Badezimmertür, holte ich ihn raus und legte ihn unter seine Bettdecke, sodass er ihn auf jeden Fall finden würde – wenn ich schon weg war.

Dann machte ich mich ebenfalls genickt auf den Weg ins Bad und sah ihm belustigt beim Zähneputzen zu. „Was guckst du denn so betrübt?“, fragte er, nachdem er fertig war und drehte sich lächelnd zu mir um. „War der Sex so schlecht?“, meinte er gespielt betroffen. „Nein, der Sex war einfach wunderbar!“ Ich zwang ein Lächeln auf meine Lippen und hoffte, dass es ihn überzeugte. Damit er nicht weiter darüber nachdenken konnte, küsste ich ihn schnell und heftig. Das brachte ihn tatsächlich zum Schweigen. Zehn Minuten später saßen wir zusammen in der Küche und schaute David belustigt dabei zu, wie er in dem riesigen Kühlschrank nach Toastbrot suchte. Ich tauchte hinter ihm auf und griff zielsicher ins unterste Fach, wo sich die Tüte befand. Direkt auf dem ersten Blick hatte ich sie erkannt.

„Wie kann es sein, dass du in deinem eigenen Haus das Brot nicht findest?“, spöttelte ich, doch er schaute mich ein wenig verlegen an und ich fiel aus allen Wolken. „Jetzt sag nicht, dass du normalerweise das Essen gemacht kriegst!“ Als er betreten guckte, lachte ich ein wenig verblüfft. „Das gibt’s doch nicht. Ihr habt sogar jemanden, der euer Frühstück macht?“ David verzog seine Mundwinkel zu einem schiefen Grinsen. „Hältst du mich jetzt für einen verwöhnten Schnösel?“

Ich schmunzelte und legte ihm die Arme um den Hals. „Nein, wie kommst du denn auf die Idee. Ich würde dich niemals für verwöhnt halten, wo ich doch weiß, wie eigenständig du bist.“ Mein Lächeln versteckte ich an seiner Schulter, doch er kitzelt mich empört. „Warum hört sich das so ironisch an?“

„Ironisch? Ich? Niemals!“ Gespielt unschuldig schob ich meine Lippe vor und wedelte mit meinen Händen. „Jaja, sicher.“ Er stupste mir auf die Nase und grinste. „So, jetzt lass uns schnell essen. Heute ist der letzte Schultag, da wollen wir doch nicht zu spät kommen.“ Ich grinste und schnappte ihm die Tüte aus der Hand. Während wir auf das Floppen des Toasters warteten, spielte David mal wieder mit meinen Haaren. „Du Haarfetischist“, neckte ich ihn, doch er blieb ungerührt. „Jeder will dein Haar berühren, weil es einfach so unglaublich ist, aber nur ich hab die Ehre mit ihm zu spielen“, grollte er besitzergreifend. Bevor ich ihm sagen konnte, was ich davon hielt, war das Toast fertig und ich holte es. „Aber selber schmieren kannst du es, ja?“ Ich schmunzelte breit, aber er schaute mich empört an. „Natürlich!“ „Das will ich sehen.“ Rasch ließ ich mich auf den Stuhl neben ihm plumpsen und starrte ihn abwartend an. Ich wusste, dass es einen nervös machte, wenn man bei so was intensiv gemustert wurde, aber das wollte ich ja auch bezwecken. Und tatsächlich rutschte das Messer mehrmals ab und die Butter fiel von der Klinge und landete neben dem Teller. Er sah verzweifelt aus, vor allem als ich auch noch leise lachte und versuchte konzentriert sein Brot vernünftig zu schmieren. Endlich hatte er es geschafft und er schaute mich mit zusammengezogenen Augenbrauen an. „Das war nicht fair“, grummelte er, doch ich grinste nur. Natürlich war es fies gewesen, doch ich konnte einfach nicht widerstehen. Nachdem wir dann beide endlich gegessen hatte, schlüpfte wir in unsere Schuhe und fuhren zur Schule. Als mir bewusst wurde, dass es das letzte Mal für längere Zeit war, dass wir gemeinsam zur Schule fuhren, wurde ich wieder wehmütig. Vielleicht hätte ich es ihm doch besser erzählen sollen, sonst war er vielleicht so sauer, dass er nachher nichts mehr mit mir zu tun haben wollte. Aber wenn ich es ihm jetzt sagte, würde er sauer sein und versuchen, mich davon abzuhalten. Und dann würde ich wahrscheinlich nachgeben, aber genau das wollte ich nicht. Ich war unabhängig und wollte mein Leben ja nicht wegen irgendjemand ändern. Und wenn er es wüsste, würde mir der Abschied noch schwerer fallen. So würde ich einfach stillschweigend, nur für mich Abschied nehmen.

Glücklicherweise hatten wir heute nur vier Stunden und auch noch zwei zusammen. Ich genoss die letzten Stunden mit ihm und als die Vierte sich dem Ende neigte, wurde ich immer nervöser. Jannis würde mich gleich abholen, da wir direkt zum Flughafen mussten. Gleich würde ich David nicht mehr sehen und wir würden nicht mehr zusammen nach Hause fahren. Zittrig griff ich nach seiner Hand und er schaute mich fragend an. Als es dann klingelte, meinte er: „Was ist denn los?“ Verdammt! Wie war das mit, sich nichts anmerken zu lassen. „Nichts.“ Ich verfluchte meine Stimme dafür, dass sie schwach klang, doch eher er fragen konnte, drückte ich meine Lippen noch ein letztes Mal auf seine. Warum fühlte es sich wie ein Abschied für immer an? Zwei Wochen waren ja keine Ewigkeit, aber wer weiß, ob es nachher noch genauso wie vorher sein würde? Willig öffnete ich meinen Mund und ließ seine Zunge ein, die sofort mit meiner zu spielen begann. Er kitzelte meine Mundwinkel, so als ob er mich aufheitern wollte und es schlich sich tatsächlich ein kleines Lächeln auf meine Züge.

Als ich mich endlich von ihm losreißen konnte, gingen wir Hand in Hand aus dem Gebäude und ignorierten die anderen Schüler, die alle laut und aufgeregt redeten, da jetzt endlich Ferien waren. Ich entdeckte Jannis schwarzes Auto und drehte mich zu David um. „Da ist Jannis, wir wollen eine Freundin besuchen. Kommst du heute Abend noch zu mir?“ Das mit der Freundin war eigentlich nicht gelogen, nur die Wahrheit war ein wenig abgeändert, da ich mit Tanja wegflog. Und Jannis würde heute Abend da sein und ihm alles erklären, da mein Brief nicht wirklich viel aussagte. David nickte ein wenig enttäuscht. „Klar komme ich.“ Jannis hupte laut und ich wusste, dass es Zeit wurde. Panisch umarmte ich David nochmal und küsste ihn wie eine Ertrinkende. Etwas überrumpelt erwiderte er ihn zwar, drückte mich dann aber ein wenig von sich, sodass er mich betrachten konnte. „Was ist denn los? Wir sehen uns doch heute Abend, Süße. Oder soll ich mitkommen, wenn du scheinbar solche Sehnsucht hast.“ Ich gab einen verzweifelten Hickser von mir, schüttelte dann aber meinen Kopf. „Nein, es geht schon.“ David sah mich zweifelnd an, doch da er sich keinen Reim darauf machen konnte, was los war, hackte er nicht nach. „Ok, dann bis heute Abend.“ Er streichelte noch mal über meine Wange und verschwand dann in Richtung seines Autos. „Tschüss!“, rief ich ihm hinter her und er winkte nochmal. Das „Ich werde dich vermissen“ flüsterte ich wesentlich leiser, sodass er es nicht hören konnte. Ich widerstand dem Drang ihm hinter her zu rennen und mich in seine Arme zu werfen, stattdessen wankte ich zu Jannis, der schon auf mich wartete. „Na endlich, Maya. Los, beil dich, sonst kommst du noch zu spät!“ Ich störte mich nicht an seinem schroffen Ton, da ich wusste, dass es ihm alles andere als leicht fiel. Schweigend saßen wir im Auto und fuhren zum Flughafen. Ohne einen Ton zu sagen, stellte Jannis den Wagen ab und wir liefen zu meinem Terminal. Auf einmal hörten wir unsere Namen, die laut gerufen wurde. Eher wir uns versehen konnte, war ein blonder Wuschelkopf in unserem Sichtfeld aufgetaucht und wir wurden stürmisch von einer Riesin umarmt. „Da seid ihr ja! Ich hab euch total vermisst! Maya, das wird super!“ Der stürmische Wirbelwind war Tanja, die das genaue Gegenteil von meiner Mutter war, die immer ruhig und besonnen war. „Hallo Tanja, wir freuen uns auch dich zu sehen“, brummte Jannis mit seiner tiefen Stimme. Sie ließ uns widerwillig los und trat ein wenig zurück um uns betrachten zu können. „Groß seid ihr geworden!“ Ich lächelte ihr mild zu, da mir der Abschied  von David immer noch in den Knochen saß. „Aber immer noch nicht so groß wie du“, grinste ich. „Nein, für mich bist du immer noch ein Zwerg“, spöttelte sie und ich lächelte. Ich hatte sie echt vermisst, aber sie war ständig unterwegs, sodass wir uns selten sahen. „So, bist du bereit, Maya?“, meinte sie hibbelig und ich nickte entschlossen. „Ja, bin ich.“

Der Abschied von Jannis fiel mir fast so schwer, wie der von David, doch der einzige Trost bei ihm war, dass er nachher immer noch da war und alles so wie immer sein würde. Ich wünschte mir verzweifelt, dass David nicht allzu sauer nachher sein würde.

„Ich werde dich vermissen, kleine Schwester“, nuschelte er an meinem Ohr und ich drückte ihn noch fester. „Ich dich auch“, murmelte ich. „Das mit David regle ich schon, ja?“ War ja klar, dass er mitbekommen hatte, wie mies es mir deswegen ging. „Danke, Jannis. Du bist der beste, große Bruder, denn man sich wünschen kann!“ Jannis strengte sich an und schenkte mir ein Lächeln, zwar ein Trauriges, aber wenigstens etwas. Dann drehte er sich um und ging, ohne noch etwas zu sagen. Und ich war froh darüber, ich wollte den schmerzhaften Abschied  nicht noch in die Länge ziehen.

Schweigend lief ich neben Tanja her, die mich volllaberte, aber ich hörte nicht wirklich zu, da meine Gedanken bei David waren. Ob er den Brief wohl schon gefunden hatte? Ich wurde immer nervöser, so näher wir dem Terminal an sich kamen und ließ die Kontrollen ungerührt über mich ergehen. Tanja schupste mich und auf einmal waren wir schon auf dem direkten Weg ins Flugzeug. Das ging gerade alles so rasend schnell, gerade war ich doch noch bei David gewesen und wir hatten zusammen gelacht. Ich zeigte den Leuten am Eingang meine Karte und mit einem Lächeln, ließen sie mich eintreten. Tanja drängelte mich zu unseren Plätzen und als wir auf die anderen Leute, der Organisation trafen, gab es ein großes „Hallo“, doch ich ließ alles teilnahmslos über mich ergehen. Erleichtert ließ ich mich endlich in meinen Sitz fallen und starrte nach draußen. Die Ansage des Piloten erklang, der uns einen schönen Flug wünschte und dann erklärte eine weibliche Stimme das Sicherheitssystem. Da ich es schon kannte, hörte ich nur mit halbem Ohr zu und zuckte erschrocken zusammen, als die Triebwerke angelassen wurden und wir losrollten. Der Weg zog sich endlos und dann fühlte ich diesen Ruck, als die Räder den Boden verließen. Wir waren in der Luft und es gab kein Zurück mehr und ich würde in das Land meiner Träume kommen. Warum hinterließ das so einen schalen Beigeschmack in meinem Mund? Schweigend starrte ich aus dem Fenster und als ich die vielen Lichter New Yorks unter mir erblickte, dachte ich nur an David. Anfangs hatte ich gedacht, er wäre ein selbstgefälliger Tiger, da er so arrogant und unnahbar wirkte, aber anderseits war er auch jemand, der gerne spielte. Und jetzt war er nur noch mein Tiger….oder…er war mein Tiger gewesen. Mein verspielter Tiger.

David,

Wenn du diesen Brief liest, bin ich wahrscheinlich bereits in Afrika. Es tut mir leid, dass ich dir nichts gesagt habe, aber es ging einfach nicht. Sei mir bitte nicht böse, immerhin gehe ich dieses Mal  ja nur für zwei Wochen, aber bald werde ich für viel länger dort bleiben und dann hätte das mit uns ja eh keine Chance.

Trotzdem möchte ich, dass du weißt, dass du mir nicht egal bist. Eigentlich bedeutest du mir sogar sehr viel - ich habe mich in dich verliebt, David. Ich weiß, jetzt ist es zu spät dafür, doch ich habe es nicht früher geschafft, es mir selbst einzugestehen.

Ich liebe dich. Und ich hoffe, du hasst mich jetzt nicht.

Maya

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Epilog: Davids Sicht

Fröhlich pfeifend kam ich in mein Zimmer geschlendert. Ich würde an Mayas Bild weiter malen und konnte es ihr vielleicht schon heute Abend mitbringen! Es hatte mich gefreut, als ich gesehen hatte, dass sie die beiden Bilder sogar aufgehängt hatte. Gerade als ich meinen Stift zur Hand nahm, viel mein Blick auf einen weißen Umschlag, der unter meiner Bettdecke hervor lugte. Verwundert lief ich zum Bett und zog ihn hervor.

„Für David“ stand in Mayas verschlungener Schrift auf dem weißen Briefumschlag.

Rasch nahm ich ihn in die Hand, stockte aber, als ich ihn einfach aufreißen wollte. Warum sollte sie mir einen Brief schreiben, wenn es nicht um irgendetwas Unangenehmes ging? Trotzdem, ich musste es lesen. Zögerlich öffnete ich den Verschluss und ein weißes Blatt fiel hinaus. Ich bückte mich danach und erstarrte, als ich die ersten Wörter las. Ich brauchte ein paar Sekunden um es wirklich zu begreifen und immer fassungsloser las ich mit geweiteten Augen die restlichen Wörter. Geschockt ließ ich mich auf mein Bett plumpsen und realisierte, was sie getan hatte. Dann sprang ich fuchsteufelwild wieder auf und schlug vor lauter Frust mit meiner Faust gegen die Wand.

Fluchend rieb ich mir die Hand, weil die Wände ziemlich stabil waren, aber ich nahm es kaum war, weil ich unglaublich zornig war. Wie konnte sie mich nur so hintergehen?  Warum schrieb sie, dass sie mich liebte, aber erzählte mir nichts davon? Warum rannte sie bloß vor unsere Zukunft davon? Wir hätten das sicherlich irgendwie hinbekommen  - zusammen!

Aber sie haute einfach ab, einfach so. Ohne mir etwas zu sagen. Ich fühlte wie mein Herz wütend schlug und sich Schmerzen in meinem Körper ausbreiteten. Wie konnte sie mir das nur antun?

Verzweifelt wanderte ich in meinem Zimmer herum und dann rannte ich an meinen Laptop, um zu prüfen, wann ihr Flug ging. Als ich sah, dass sie schon in der Luft war, schleuderte ich meinen Laptop wütend von dem Tisch. Ich sprang wieder auf und zerriss den Brief in zwei Hälfen, bevor ich ihn in meiner Faust zerknüllte. Als nächstes warf ich die Staffelei mit ihrem Bild zornig um, sodass es auf dem Boden aufschlug. Das konnte doch nicht wahr sein! Sie war tatsächlich einfach gegangen. Trostlos ließ ich mich auf mein Bett plumpsen und starrte mit einem dumpfen Gefühl an die Decke.

Nach meinem Ausbruch stieg ich ins Auto und mit quietschenden Reifen fuhr ich zu Jannis. Ganze über kochte ich vor Zorn. Dabei hatte ich gedacht, dass gerade alles gut werden würde.

Als ich den Wagen vor Mays Haus parkte und den Kiesweg zur Haustür entlang ging, überkam mich ein wehmütiges Gefühl. Normalerweise war sie immer den Weg entlang auf mich zu gekommen, wenn ich morgens auf sie gewartet. Dumpf strich ich über mein Herz, um das schmerzende Gefühl loszuwerden.

Jannis stand in der Tür und hatte mich schon erwartet .Ich wurde noch wütender, alle hatten es gewusst, nur ich nicht!

Doch er ließ sich von meinem Ärger nicht beeindrucken und bat mich ruhig rein.

„Ich war auch dagegen. Es ist einfach zu gefährlich, was ihr alles passieren könnte. So wie unseren Eltern…“, murmelte er, bevor ich irgendetwas sagen konnte.

„Warum hast du sie dann nicht daran gehindert!“, schleuderte ihm entgegen.  Obwohl ich stinksauer auf sie war, war ich auch besorgt. Was, wenn ihr was passierte?

„Weil das ihr Traum war und ich ihr den nicht verderben wollte“, antwortete er ruhig, aber ich hätte ihm am liebsten trotzdem noch geschlagen. Wie konnte er Maya nur dieser Gefahr aussetzen?

Ich tobte noch lange weiter rum, bis ich mir irgendwann so weit beruhigte, dass wir uns normal unterhalten konnten und er ihre genauen Gründe erklärte. Trotzdem konnte ich sie nicht nachvollziehen, vielleicht hätte ich ja sogar mit nach Afrika gekonnt. Das Thema interessierte mich ja selber, nachdem mich Maya darauf aufmerksam gemacht hatte. Sie hätte es mir einfach nur erzählen müssen. Enttäuscht fuhr ich mir mit der Hand über die Stirn. Hatte sie so wenig Vertrauen in mich?

Es tröstete mich zwar ein wenig, dass es ihr schwergefallen war, aber schlussendlich hatte sie sich doch gegen mich entschieden. Das Problem war ja eigentlich noch nicht mal, dass sie weggeflogen war, sondern dass sie mir nichts gesagt hat.  Kurz überlegte ich, ob ich ihr nicht einfach hinterherfliegen sollte, aber dann würde ich mich ihr aufdringen, wo sie doch so offensichtlich nicht wollte, dass ich mit ihr da war. Außerdem würde ich nicht einfach so nachgeben. Wahrscheinlich würde ich noch nicht mal eine Postkarte bekommen. Verbittert lachte ich auf.

Spät in der Nacht fuhr ich wieder nach Hause und die nächsten zwei Tage verließ ich das Haus nicht. Deprimiert lag ich auf meinem Bett und versuchte mich mit Fernsehen abzulenken.

Leblos starrte ich auf den flackernden Bildschirm, während ich auf meinem Bett lag. Es machte mich wahnsinnig. Alles erinnerte mich an sie. Ich hatte die Bettwäsche zwei Mal gewechselt und ich bildete mir immer noch ein, dass es nach ihr roch. Das konnte doch nicht wahr sein!

 Noch nicht mal zeichnen wollte ich, auch wenn ich ihr Bild wieder aufgehoben hatte und den Brief wieder zusammensetzt und entknittert hatte. Ich las ihre Worte immer und immer wieder und das „Ich liebe dich.“ tröstete mich ein wenig.

Als ich auf einmal das Wort „Afrika“ im Fernsehen hörte, spitzte ich die Ohren. Ich stützte meine Ellenbogen ab und richtete meinen Blick auf den Bildschirm.

„Gerade kam die Meldung, dass ein amerikanisches Hilfcamp in Ghana von einer Horde Einheimischen überfallen würde. Es waren bekannte Extremisten, die nicht wollten, dass fremde Leute den Dörfern halfen. Sie töteten mehrere der Organisationsmitglieder und entführten viele weitere, vermutlich für Erpressung, auch wenn darüber noch keine Meldungen gemacht wurden. Generell sind die meisten Fakten  noch nicht bekannt. Es soll eine bekannte, amerikanische Organisation sein, „HPP“, laut der afrikanischen Polizei. Die genaue Anzahl der Opfer ist noch nicht bekannt. Ein Besucher des Camps konnte sich rechtzeitig retten und konnte diese Aufnahme mit seinem Handy machen.“ Panisch hielt ich die Luft an, als sie ein schlechtes, verwackeltes Video einblendeten. Man sah überall verzweifelte Menschen herum laufen und schreien, schwarze Männer mit Maskierungen ballerten wild mit ihren Maschinengewehren herum und ich sah erschrocken, wie mehrere Menschen leblos zu Boden fielen. Blut, überall Blut. Kurz verwackelte das Bild so sehr, dass man gar nichts mehr sehen konnte, doch dann war wieder etwas erkennbar und ich bekam einen Schlag, als ich zwischen der Menge, die von den bewaffneten Männer zusammengetrieben wurden, ein roter Haarschopf aufblitze. Dann war er auch wieder verschwunden, doch ich suchte verzweifelt weiter. Als die Aufnahme stockte, brüllte ich erschrocken. Im nächsten Moment versuchte ich mich zu beruhigen. Das war sie nicht! Das konnte nicht sein! Das wäre ein zu großer Zufall, ihr ging es sicherlich gut. Sie war sicherlich gerade draußen und genoss die Sonne. Gerade als ich meine verkrampften Hände, wieder etwas lockerte, klingelte das Telefon. Hektisch griff ich nach dem Hörer und hätte es fast fallen lassen, als Jannis Stimme ertönte. Das hatte sicherlich nichts zu bedeuten!

„David, es ist etwas Schreckliches passiert!“ Keuchend brüllte ich innerlich vor Schmerz auf. Das konnte nicht sein. Bitte nicht Maya!

 

 

Ende

 

So, ich kann es gar nicht fassen, aber ich hab es tatsächlich geschafft, das Buch zu Ende zu schreiben. Vielen, vielen Dank das ihr mich alle so toll unterstützt habt und mich mit euren Kommis aufgeheitert habt. Über jedes Kommi und Herzchen hab ich mich wie wahnsinnig gefreut. Danke! Natürlich kann ich das Ende nicht so stehen lassen, also wird es auf jeden Fall einen zweiten Teil geben ;)

Ich hoffe, wir sehen uns da alle wieder ;)

LG Jana

Impressum

Texte: Alles mir :D
Bildmaterialien: Vielen Dank an Laila, die mir das Cover gemacht hat ;)
Tag der Veröffentlichung: 29.09.2012

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
An meine Leser ;)

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