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Titel

 

 

 

ROT sehen

und sterben

 

 

Indienkrimi

Hermann Brünjes

 

 

 

 

Gewidmet meinen lieben

Freundinnen und Freunden in Indien.

Ihr habt mir über Jahre den Stoff geliefert,

aus dem Abenteuer, Herausforderungen

und Spannung entstehen -

aber auch Träume, Faszination, Glaube und Liebe.

 

Danke.

 

 

 

 

1.Auflage 2018

Kontakt: HBruenjes@t-online.de

Info: www.Hermann-Bruenjes.de

Verlag: bookrix

Layout und Foto: H. Brünjes

copyright: H.Brünjes

Prolog

Ein Hauch von Orange legte sich auf den grauen Nebel über dem Fluss. Kurz darauf wurde ein sanftes Rot daraus. Dravida fror ein wenig. Die Nächte waren eigentlich zu kalt für nackte Haut. Sie aber mochte es, den Kontrast zwischen Licht und Dunkel nicht nur zu sehen, sondern am ganzen Körper zu spüren. Nichts kam dem Streicheln der Sonne gleich, wenn sie am Morgen zärtlich über die fröstelnden Poren glitt. Weil sie dieses Gefühl so liebte, stieg sie an jedem Morgen bereits kurz vor Sonnenaufgang hinab an den Fluss, um das erste Trinkwasser für den Tag zu holen. Ihr Bruder und ihre Mutter warnten sie immer wieder. Auch Bären und Tiger liebten den frühen Morgen, besonders am Fluss. Doch Dravida wusste, dass die Tränke der meisten Wildtiere weiter oben lag. Hier an der Sandbank hielten sich nicht einmal die Krokodile mit dem merkwürdigen Kolbenmaul auf und wenn überhaupt, gab es nur einige der völlig ungefährlichen und an Land auch unbeweglichen Riesen-Schildkröten. Seit zwei Generationen hatte sich ihr Volk hier nach langen Wanderzeiten niedergelassen und es schien, als hätten sich Mensch und Tier ihren Lebensraum in gegenseitigem Respekt geteilt.

 

Nun stellte sie ihren leeren Tonkrug in den noch kühlen Sand direkt am Wasserlauf. Sie reckte sich der Sonne entgegen, warf die Arme in die Höhe und freute sich über das Leuchten ihrer weißen Armbänder aus Elfenbein. Mit klarer, lauter Stimme jubelte sie den ersten Strahlen ein Morgenlob entgegen. »Willkommen großer Gott des Lebens, Willkommen lichter Tag!«

So stand sie dort, allein, schön, mit dunkler Haut und langem schwarzen Haar. Zähne, Augen und das Elfenbein an Hals und Handgelenk blitzten weiß, wenn ein Strahl des Morgens durch die Dämmerung brach. Bekleidet war Dravida mit einem schlichten, weich gegerbten Ledertuch um die Hüften. Dies waren ihre Minuten, die Zeit der Königstochter.

 

Leider war diese Zeit begrenzt. Sehr langsam, und doch viel zu schnell wurde der Nebel stärker und die Dämmerung verlor ihr Rot. Je höher die Sonne stieg, desto mehr zog sie den Fluss zu sich hinauf, so als wolle sie trinken. Dravida sah das klare Wasser bald nur noch direkt in ihrer Nähe und hörte es freundlich plätschern. Schon wenige Schritte entfernt und erst recht in der Ferne war der Fluss gänzlich vom Dunst verhüllt. Vielleicht trank die Sonne auch nicht, sondern sie versteckte sich zu Beginn eines jeden Tages im Nebel, um Menschen und Tieren noch ein paar erholsame Momente zu gönnen. Dravida wunderte es nicht, dass ihr Volk dem großen, hellen Gott des Tages unzählige Feste weihte und gerade diese Gottheit von ihnen tief und dankbar verehrt wurde. Ihr Licht bedeutete Leben.

Nun war es an der Zeit, Wasser zu schöpfen.

 

Sie ging ein kleines Stück in den Fluss hinein, beugte sich hinab und hielt den Krug vorsichtig in die Strömung. Das kostbare Gut musste sorgsam aufgefangen werden, damit nicht zu viel Sand hinein kam. Jetzt war es soweit: Den Krug aufrichten, hochwuchten und gleich auf den Kopf damit. Doch dazu kam es nicht.

 

Plötzlich tauchte ein schwarzes Ungeheuer vor ihr auf. Es war breit wie eine Hütte und lang wie ein Baum. Ruder ragten heraus, platschten sanft ins Wasser und knarrten dann etwas. Ein Boot, wie Dravida es noch nie gesehen hatte, steuerte direkt auf sie zu. Bisher kannte sie nur aus einem Baum geschlagene schlanke Kanus. Dies aber schien aus vielen Bäumen gefertigt zu sein. Vorne war ein Balken mit einer schrecklichen Fratze angebracht.

Das Ungeheuer rauschte mit knirschendem Schaben aufs flache Ufer. Dann war es still, so als habe jemand für einen Moment die Zeit angehalten.

Dravida stand starr, hatte den schweren Krug nur bis zur Hüfte hinauf gehievt und er schien ihr nun das Einzige, an dem sie sich festhalten konnte.

Ein großer Mann sprang aus dem Boot. Er ging ein paar Schritte durchs Wasser und stand jetzt direkt vor ihr. Ein Fremder.

Ihre Augen trafen sich. Ihre Blicke schienen sich für einen Moment zu verfangen, so wie sich Kleider im stachligen Gestrüpp verhakten. Doch dies war angenehm und ohne jeden Schmerz. Seltsamerweise verlor Dravida in diesem Moment jede Angst vor dem Fremden.

Dabei war dieser Mann ein Krieger. In der Hand hielt er einen kurzen Speer mit schwarzer Metallspitze, am ledernden Gürtel steckte ein krummes Messer. Gekleidet war er mit einem Obergewand aus hellem Stoff, wie ihn Dravida noch nie gesehen hatte. Sein Beinkleid war mit Leder verstärkt, seine Füße standen auf ledernden Sohlen und alles wurde von Lederschnüren gehalten.

Nun sprangen auch vier andere Männer aus dem Boot. Sie waren viel älter, viel härter und nicht nur ihre Bewaffnung, auch die Narben an Armen, Beinen und Brust wiesen sie sofort als erfahrene Kämpfer oder gar Soldaten aus. Der Jüngere allerdings schien ihr Anführer zu sein. Er gab ihnen ein Zeichen, das Boot zu sichern und an Land zu gehen.

 

»Namaste!«

Der Mann lächelte und sagte noch irgendetwas. Seine Stimme klang angenehm.

Dravida blickte zunächst zu Boden, ganz so wie man es von jungen Mädchen erwartete. Aber was hatte sie zu verlieren? Zögernd erwiderte sie das Lächeln des Fremden.

»Namaste!« sagte er noch einmal und legte dabei die Handflächen aneinander. Offenbar war es ein Gruß in einer fremden Sprache. Nach richtigen Lauten tastend wiederholte Dravida das fremde Wort.

»Namaste.«

Es klang gut.

Der Mann zeigte auf sich selbst.

»Arya!«

Er wiederholte es und zeigte dann auf Dravida. Offensichtlich wollte er ihren Namen wissen und hatte sich eben mit seinem vorgestellt. Sie blickte zu Boden. Vermutlich war ihre tiefbraune Haut jetzt rot wie Chili. Doch warum schämen?

»Dravida, ich heiße Dravida!« sagte sie und sah dem Fremden in die dunklen Augen. »Und ich bin eine Königstochter!« konnte sie sich nicht verkneifen zu sagen, obwohl sie natürlich wusste, dass sie und der fremde Besucher eine andere Sprache sprachen. Beide mussten plötzlich lachen. Da sprachen sie miteinander, ohne ein einziges Wort zu verstehen.

 

Der Fremde beeindruckte sie. Und er gefiel ihr. Sie hatte bereits gehört, dass aus dem Norden während der letzten Jahrzehnte immer mehr hellhäutige und sehr große Volksgruppen in Dschungel und Berge vorgedrungen waren. Ihr Vater hatte von seinen Wanderungen erzählt und davon, dass er weiter im Norden und an der Küste solche Menschen angetroffen hatte. Für Dravida jedoch war dieser Arya die erste Begegnung mit solchen Menschen.

Eine Begegnung, der sie vom ersten Moment etwas Besonderes anspürte.

 

Der Mann war noch recht jung, vermutlich nur wenig älter als sie selbst. Nur zögernd hatte sich um sein Kinn herum und über den vollen Lippen Bartwuchs gebildet. Er war schlank, muskulös und mehr als einen Kopf größer als sie. Dabei war doch Dravida das größte Mädchen im Dorf. Sie überragte sogar die meisten jungen Männer. Selbst ihr jüngerer Bruder, der körperlich allen im Dorf überlegen war, erschien neben diesem Fremden wie ein kleiner Junge. Auch schien Arya es gewohnt sein, zu gebieten. Die starken Krieger jedenfalls gehorchten ihm aufs Wort. Ob auch er ein Königskind war? Ob Königskinder es spürten, wenn sie einander begegneten?

Plötzlich griff Arya nach ihr. Nein, er wollte ihr nichts tun, sondern ihr nur den schweren Wasserkrug abnehmen. Sie drehte sich weg. Doch er gab nicht auf, sondern lächelte weiter und sagte hörbar freundliche Worte. Da ließ sie zu, dass Arya ihren Krug nahm. Er rief einen seiner Männer und der übernahm das schwere Gefäß, als sei es mit leichtem Laub gefüllt.

 

Arya wies zum Pfad, der die steile Küste hinauf führte. Dravida verstand die Geste.

Sie verbeugte sich leicht, verließ das flache Wasser und führte die Männer über die weite Sandbank. Der körnige Sand fühlte sich lebendig und frisch an. Wie konnten es diese Männer mit Ledersohlen unter den Füßen aushalten, so ganz ohne jedes Gefühl. Und wie konnten sie ohne wirkliche Verbindung zur Mutter Erde ihren Weg finden?

Ein kurzer Blick nach hinten überzeugte sie, dass ihr Krug gebracht wurde. Außerdem war sie beruhigt, weil nicht noch weitere Männer aus dem Boot gestiegen waren. Sollten diese Krieger hier in feindlicher Absicht gekommen sein, wäre eine Begegnung mit ihnen zwar sehr gefährlich, aber die Krieger ihres Volkes waren treffsichere Bogenschützen. Die Pfeile würden die Kleidung der Männer durchdringen und töten, wer oder was ihrem Volk schaden wollte. Außerdem beruhigten sie die Augen des wunderbaren Fremden, den sie gerade kennengelernt hatte.

 

Ob dieser Mann wie sie ein Königskind war? Sie spürte es. Natürlich war man dadurch nichts Besonderes, jedenfalls nicht in ihrem Volk.

Eigentlich war sie wie alle Mädchen im Dorf aufgewachsen. Sie tollte mit den Hunden herum und lernte dabei, sich gegen wilde Tiere zu behaupten. Stock gegen Bisse. Sie trug die üblichen Armreifen und eine Halskette, wenn auch nicht mehr aus gebleichten Knochen, sondern aus kostbarem Elfenbein. Auf Suche nach Essbarem streifte sie mit ihren Freunden täglich durch den Wald, suchte Früchte, Pilze und frische Bambussprossen. Sie hatte als junges Mädchen vielfältige Kräuter für den Schamanen gesammelt und von ihm gelernt, diese zur Heilung einzusetzen. Sie lauschte noch immer gerne den Geschichten der Alten am abendlichen Feuer. Und sie holte bis heute, fast schon eine erwachsene Frau, Wasser vom Fluss.

Das Leben einer Königstochter stellte sie sich manchmal natürlich auch anders vor. Diener, hübsche Felle, vielleicht gar Stoffe, Leben in einer steinernen Festung ... Solche Legenden und Märchen von reichen Kulturen, wie es sie irgendwo im Norden geben sollte, wurden am Feuer gerne fantasievoll ausgemalt. Gesehen hatte diese Pracht noch niemand, den sie kannte, noch nicht einmal ihr Vater.

Aber ganz gleich, ob mit oder ohne Prunk - ihr Vater war der Taluk, der König ihres Volkes. Also war sie eine Königstochter.

 

Der Aufstieg, währenddessen ihr diese Gedanken durch den Kopf strömten, war steil und anstrengend. Eigentlich gut, dass die Männer ihren schweren Krug trugen.

 

Oben angekommen, blieb Dravida stehen und schaute zurück. Gewohnt, diesen steilen und rutschigen Weg zu gehen, hatte sie die fünf Männer hinter sich gelassen. Sie musste schmunzeln. Waren diese Lederfüße wohl doch etwas ungeeignet für Wege, die bewegliche Füße und Zehen erforderten? Arya lachte ihr von unten zu und rief etwas in seiner unverständlich komischen Sprache.

 

Von hier oben bot sich ein völlig anderes Bild, als vom Fluss aus. Der breite Strom zerteilte den Dschungel. Wie eine mythische Schlange zog er weiter hinten seine nächste Schleife. Am Horizont, sofern man durch die Bäume hindurch einen Blick darauf erhaschte, sah man Berge. In der Nähe gab es nur leichte Hügel oder flaches Land. Der Wald war dicht, gefährlich und unheimlich - und doch war er die wichtigste Lebensquelle ihres Volkes. Über dem Strom lag noch Nebel. Er verschwand jedoch mehr und mehr irgendwo in einer anderen Welt. Sie sah kurz zum gleißenden Ball der Sonne hinauf, würde es jedoch niemals wagen, dieser Gottheit länger in die Augen zu schauen. Sie spürte die Kraft und die Wärme, die von ihr ausging - aber auch die Möglichkeit, alles was lebt zu zerstören.

 

Nun waren die Fremden oben angekommen. Die noch vom Tau feuchten Bäume griffen nach ihnen, sobald das Steilufer bewältigt war. Dravida triumphierte ein bisschen. Die starken Krieger keuchten, während sich Dravidas Atem auch durch den Aufstieg kaum verändert hatte. Noch ein kurzer Blick auf Arya, dann drehte sie sich um und trat schnellen und sicheren Schrittes in den Dschungel hinein. Vermutlich hätten die Fremden den Weg zu ihrem Dorf nicht gefunden und konnten von Glück sagen, dass sie ihnen nun half.                                                                                                                                                                                                            

Arya hatte nach dem Aufstieg wieder gelächelt, diesmal mit einem Hauch von Bewunderung. Sie spürte seinen Blick in ihrem Rücken. Und natürlich kannte sie längst ihre Wirkung und den Zauber ihres fast perfekten Körpers auf die Männer. Ob auch er ein Königskind war? Dravida wusste, dass sie diese Frage weiter beschäftigen würde, bis sie eine Antwort fand.

 

 

 

 

1. Die Demo

»Indien ist rot.«

Hatte sie das nicht einmal gesagt? Und ihre schwarzen Mandelaugen hatten begeistert vor Freude und Stolz über ihr Land gestrahlt?

Gleich würde er ihre Stimme über die Lautsprecher im Fernseher hören, hoffte er zumindest. Nun stand er am Fenster seines Büros und genoss den weiten Blick über den Fluss. Er hatte noch etwas Zeit, bis die wichtigste Frau seines Lebens ans Mikrophon treten würde. Hinter ihm lief bereits die Direktübertragung der Demonstration an der Baustelle des Staudamms bei Polavaram. Rote Fahnen wurden geschwenkt, mit Hammer und Sichel. Die Kommunistische Partei (CPI) war Mitveranstalter. Kumari allerdings hatte die Großveranstaltung nicht im Auftrag einer Partei, sondern eines Netzwerkes von Nichtregierungs-Organisationen (NGO) koordiniert. Selbst der Collektor war angereist. Er würde als verantwortlicher Regierungsbeamter die Zusagen auf Entschädigung wiederholen. Vermutlich würde ihm allerdings keiner der anwesenden Kleinbauern und Kulis auch nur ein einziges Wort glauben.

 

Der Inspektor schaute über den Fluss. Wenn der Staudamm bei Polavaram gebaut war, würde auch hier flussabwärts alles anders. Vielleicht kam gar kein Wasser mehr an. Auf einer der Inseln im breiten Flussbett blühten mehrere große Bäume. ‚Flame of the forest’ wurden sie genannt. Ganze Wälder davon gab es weiter flussaufwärts. Um diese Zeit sah es aus, als schwebten Flammen über dem Wald, rote Flammen. Im Vordergrund, auf dem schmucklosen Beton der Promenade, hatten findige Farmer Chilischoten zum Trocknen ausgebreitet. Der Inspektor hatte einmal Satellitenfotos von der Godavari gesehen. Selbst vom All aus konnte man auf den weißen Sandbänken im Fluss oder in den anliegenden Dörfern die riesigen roten Flächen ausgebreiteter Chili ausmachen. Indien ist rot. Im Januar und Februar stimmte das wirklich.

 

Es klopfte. Sich umzudrehen oder »Herein!« zu rufen, erübrigte sich. Schon ging die Tür auf. Wie immer kam Babu mit strahlendem Lächeln und einem Tablett in der Hand ins Büro.

»Hallo Chef! Gleich geht es los, schätze ich. Da ist ganz schön Dampf drin!«

Der Inspektor wandte sich vom Fenster ab und erwiderte das Lachen des erwarteten Eindringlings.

»Meinst du deinen süßen Tee?«

»Na, den natürlich auch! Einen besseren kriegst du in ganz Indien nicht! Aber ich meine diese Demo. Drei Hundertschaften haben sie dorthin geschickt. Sie schätzen, es sind zehn- bis zwanzigtausend Menschen - und alle sind sie sauer!«

Babu hatte das Tablett auf dem Tisch der Sitzecke abgestellt. Er schenkte bereits ein.

»Ich habe auch ein paar Kekse organisiert. Ist doch toll, dass wir uns einen Fernsehvormittag in deinem Büro gönnen! Grund genug gibt es ja, oder Chef?«

Er grinste mehrdeutig.

 

Der Inspektor nahm seinem Assistenten diese Anspielung nicht übel. Wann immer Kumari eine Rolle spielte, fehlten auch entsprechende Bemerkungen Babus nicht. Babu kannte die bewegte Geschichte des Paares, wusste um den stürmischen Beginn dieser großen Liebe, die dramatisch-traurige Trennung und später die erneute, vorsichtige Annäherung. Chidambaram wusste, dass sein Sekretär Kumari mochte und ihnen beiden von Herzen wünschte, dass sie endlich wieder zusammenkamen.

Vermutlich gab es ohnehin kaum eine bessere Beziehung zwischen Chef und Assistent, als bei Chidambaram und Babu. Er leitete inzwischen als Superintendent die gesamte Polizeidienststelle in Rajahmundry. Babu war sein Sekretär in der Abteilung Kapitalverbrechen, die Chidambaram als leitender Inspektor selbst verantwortete. Heute war Sonntag und sie hatten eigentlich keinen Dienst. Trotzdem hatten sie sich im Büro verabredet, um Kumaris Auftritt als Rednerin zu verfolgen.

 

»Vielleicht sollten wir es etwas lauter machen.«

Der Inspektor hatte den Ton herunter gedreht, um noch etwas Ruhe zu haben. Babu, der einen Kopf kürzer war als sein schlanker, sportlicher Chef, reckte sich und stellte den Fernseher lauter. Chidambaram musste schmunzeln. Babu war auch heute wieder gekleidet, als ginge er zu einem offiziellen Empfang: Dunkle Bügelfaltenhose, schneeweißes Hemd, schwarze Lackschuhe. Am Finger einen silbernen Ring mit dunkelblauem Stein, die schwarzen Haare streng nach hinten gekämmt, akribisch frisiert und umgeben vom herben Duft eines Männerparfüms - das war ‚sein’ ziviler Sekretär. ‚Zivil’, weil nicht Staatsbeamter, sondern ihm als angestellter Assistent zugeordnet. Manchmal war Babu das zu betonen wichtig ...

 

»Das gibt noch Ärger!«

Vor der mit einem eindrucksvollen roten Baldachin beschatteten breiten Bühne gerieten die Massen in Bewegung. Vor allem waren es Männer, die dort demonstrierten. Frauen sah man nur, wenn die Kamera in den hinteren Bereich des großen Areals schwenkte. Dann sah man auch Polizei. Beamte in üblichen kakifarbenen Uniformen versuchten die Menge mit ihren Schlagstöcken und meist grimmigen Gesichtern zu kontrollieren. Zu beiden Seiten der Bühne sah man zusätzlich die geschlossene Linie einer Einsatztruppe, die mit Schilden, kurzläufigen MPs, Schlagstöcken und Sturmhauben ausgestattet war. Diese Männer waren für die Sicherheit der Redner und VIPs zuständig.

Jetzt versuchte jemand am Mikrophon, für Ruhe zu sorgen. Es gelang nicht besonders gut. Besonders die hunderte Männer der ersten Reihen, die allesamt roten Fahnen schwenkten, ließen sich nicht beruhigen, sondern brüllten ohne Pause: »Stoppt Polavaram!«

 

»Schau mal!« meinte Babu. »Da sind ganz sicher auch einige Scharfmacher der Marxisten dabei!«

Tatsächlich hatte der Inspektor diese auch ausgemacht. Manche von ihnen trugen Stoffmützen, die nur die Augen freigaben, andere waren mit Streifen und Symbolen bemalt, als wollten sie in den Krieg ziehen – was womöglich ja auch so war. Das sah nach übler Gewalt aus und in Chidambaram stiegen sorgenvolle Gedanken wegen Kumari auf.

 

Kaum dachte er an sie, da füllte ihr Porträt plötzlich den Bildschirm. Sie war ans Rednerpult getreten. Chidambaram war wie immer fasziniert von seiner Geliebten. Für ihn war sie die Schönste aller Schönen: Lange schwarze Haare, tiefe Mandelaugen, gerade Nase, voller Mund, tolle Figur und vor allem die Ausstrahlung einer Königin. Sie war durch und durch Aktivistin. Sie lebte für ihre Aufgabe, für ihr Volk, für ihr Land. Das spürte man ihr sofort ab.

Ganz offenbar ging dies nicht nur den beiden Männern vor dem Bildschirm so, sondern auch den Tausenden bei der Demonstration. Es wurde schnell ruhig, als die junge Frau in dunkelgrünem Pundjaby und ganz ohne Schmuck vor ihnen stand. Dann wurde es sogar still.

Kumari sprach nicht laut, aber klar und mit viel Gefühl in der Stimme. Ihre Rede war sachlich und nüchtern. Und sie kam schnell auf den Punkt.

 

»Ihr Lieben, warum sind wir hier? Nicht, weil uns demonstrieren Spaß macht. Nicht, weil wir uns politisch auch mal ein bisschen einbringen wollen. Nicht, weil jemand uns hergeschickt oder uns gar dafür bezahlt hat, hier zu demonstrieren!«

Babu rieb sich die Hände. Der Inspektor war froh, dass Kumari jetzt eine Atempause einlegte.

»Klasse, Kumari! Damit triffst du genau den Nerv. Alle diese Gründe werden euch vorgehalten und oft genug stimmt das auch. Aber diesmal nicht.«

»Wir sind auch nicht hier, weil wir einer bestimmten Partei angehören und unseren Führern nach dem Mund reden. Nein! Wir sind hier, weil es um unsere Existenz geht! Es geht für die meisten von uns nicht um Etwas, sondern um Alles. Es geht ums Überleben.«

 

Nun unterbrachen Beifallsstürme die Rede. Sie hatte getroffen, worauf es ankam. Die Kamera schwenkte über die Hörerschaft. Es gab niemanden mehr, der am Boden saß. Alle standen und klatschten Beifall oder schwenkten Fahnen und Hände.

Kumari hob den Arm. Wenige Sekunden später war es still und sie konnte ihren Vortrag beginnen. Sehr sachlich beschrieb sie die Situation. Mindestens 276 Dörfer und fast eine halbe Millionen Menschen sollten gemäß dem R&R-Programm, also Rehabilitation & Resettlement, umgesiedelt werden. Manche waren bereits vor Jahren entschädigt worden, allerdings zu knapp. Heute waren die Preise für Land um ein Vielfaches gestiegen und das Geld von damals ist nichts mehr wert. Die meisten hatten nichts bekommen. Millionen Rupien waren von der Regierung eingesetzt worden, nur ein Bruchteil war bei den Leuten angekommen. Korruption und Vetternwirtschaft bestimmten nicht nur den Umgang mit den Milliarden für das Groß-Staudammprojekt, sondern auch die gerade erst anlaufende Umsiedlungs- und Entschädigungspraxis.

 

Ihre Rede dauerte etwa eine halbe Stunde. Babu nickte immer wieder.

»Gute Beispiele! Harte Fakten, bestens recherchiert! Diese Zahlen nennt kein Politiker.«

Als wäre er ihr Kommentator, begleitete Babu die Rede der Aktivistin mit Bemerkungen und Kommentaren.

Auch der Inspektor war von der Gründlichkeit und Sachlichkeit Kumaris sehr angetan. Sie machte das sehr, sehr gut! Es lagen natürlich Emotionen drin – aber sie hatten ihre Gründe in der Realität. Seit dieses Projekt diskutiert wurde, seit der Staudamm und all das Drumherum dann gebaut wurde und nun beinahe fertig sein sollte, ging es immer wieder um die Frage der Finanzierung, des Termins der Fertigstellung und politischer Zuständigkeiten. Die Themen um die Entschädigung und Umsiedlung der betroffenen Bevölkerung wurden immer wieder zurückgestellt, kleingeredet und verschwiegen. Nun aber war genau dies endlich das zentrale Thema.

 

»Ich bin gespannt, wie die anderen Redner nun weitermachen.« Babu verzog das Gesicht.

»Vermutlich kommt jetzt faktisch nichts mehr, außer Gebrüll oder große Versprechen! Diese erste Rede von Kumari war mit Sicherheit das Highlight der gesamten Demo.«

 

Leider hatte Babu recht. Die Kamera schwenkte über die große Menschenmenge, als diese applaudierte. Kumari hatte das Pult verlassen und man sah sie hinten auf der Bühne neben den anderen VIPs und Rednern Platz nehmen. Der schwere, mit großen Ornamenten und Jagdszenen dekorierte Baldachin über der Bühne verlieh der Szene etwas Königliches. Der Inspektor musste an Elefanten denken, an Maharadschas und deren Pracht im früheren Indien.

 

Der Redner der Kommunisten, der nun ans Pult trat, hatte damit allerdings nichts gemein außer der Vorliebe für die Farbe rot. Sein Stil war völlig anders als der seiner Vorrednerin. Der Parteigänger tat das, was Babu befürchtet hatte. Er schrie, schimpfte und agitierte unsachlich und ohne jede Struktur gegen die Politiker, die anderen Parteien, die Bauunternehmer und Betreiber des Dammes, die Behörden und alle anderen. Manchmal überschlug sich seine Stimme. Beifall gab es vor allem vorn an der Bühne, bei seinen Anhängern mit den Fahnen. Die Leute weiter hinten schienen sich eher zu langweilen. Die meisten von ihnen hatten sich längst wieder gesetzt. Einige packten sogar schon ihre mitgebrachte Verpflegung aus.

 

Dritter Redner war ein gewisser Javanna S.Raj. Er war der Chief Revenue Officer (CRO) aus Bhadrachalam und dem Yetapaka-Distrikt. Das Gebiet, für das er zuständig war, würde fast vollständig im Stausee untergehen. Er wollte und sollte vermutlich etwas über die Verteilung der Entschädigungen sagen, bekam jedoch keine Chance. Kaum stand der etwas rundliche Mann, gekleidet in weiß mit Dothie und Seidenhemd, am Rednerpult, wurde er ausgepfiffen. Diesmal waren es nicht nur die Fahnenschwenker vorn, sondern vor allem die Leute weiter hinten, die ihn nicht hören wollten. Der Inspektor vermutete, dass hinten vor allem die angereisten Farmer und Kulis saßen, bei denen es wirklich um nichts als ihre Existenz ging. Sie waren es, die direkt mit dem CRO zu tun hatten und sich betrogen fühlten.

 

»Wollen wir wetten, wie es mit dem Collektor läuft?«

Babu zeigte auf den stämmigen Mann, der sich jetzt ächzend von seinem Stuhl erhob und auf Bitte des Moderators ans Mikrophon ging. Die Leute hatten sich noch nicht wieder beruhigt, da lieferte Babu für seine Fragen auch gleich eine Antwort.

»Ich vermute, er wird wegen seines Amtes angehört. Immerhin ist er so etwas wie die letzte Instanz! Bei ihm laufen alle Fäden des R&R-Programms zusammen. Auf ihn kommt es letztlich an, wie die Entschädigungen und Umsiedlungen laufen – und ich schätze, das wissen die Demonstranten auch.«

Der Inspektor sah das anders.

»Ich schätze, auch er kommt nicht durch!«

»Gut, wetten wir um ein Mittagessen in meinem, nicht in deinem Restaurant!«

Chidambaram stieß Babu lachend in die Seite.

»Okay, und wenn ich gewinne, isst du in meinem mit und bezahlst für uns beide!«

 

Der Collektor war allen Anwesenden aus den Medien bekannt. Als solchen Polit-Star stellte der Moderator Ramu Ashoka jedenfalls vor. Ashoka war eine stattliche Gestalt mit ausgeprägtem Kinn, breiten Schultern und einem gut sichtbaren Bauchumfang. Bekleidet war er mit einem hellgrünen Pagenanzug, weißem Hemd und hellem Schal. Der Mann wusste, wie man mit Menschenmassen umging.

»Ich verstehe euch!« begann er seine Rede. »Ich selbst bin auf einem kleinen Bauernhof in einem kleinen Dorf aufgewachsen. Wir hatten zwei Kühe, mehr nicht.«

Vermutlich wollte der Chef des R&R-Programms erst einmal Vertrauen wecken. Geschickt!

 

Hier allerdings lag er falsch, völlig falsch. Diesmal begannen die Parteigänger vorne mit dem Pfeifkonzert, vermutlich einfach deshalb, weil der Collektor nicht ihrer, sondern der Regierungspartei angehörte. Die anderen weiter hinten schienen es jedoch genauso zu sehen: Diesem Mann konnte und wollte man nichts glauben. Immer lauter wurden Pfiffe und Rufe. Einige kleinere Trupps bewegten sich auf die Bühne zu. Aus der Menge flogen plötzlich Eier. Eins traf den Moderator an der Schulter. Auf seinem weißen Hemd erstrahlte wie aus dem Nichts eine schmutzig gelbe Sonne.

Der Collektor hatte nach wenigen Minuten genug. Der Moderator brüllte ins Mikrophon und befahl Ruhe. Die Menge ließ sich jedoch nichts mehr befehlen, von niemandem.

Dann flogen Steine. Einer der Ordner an der Bühne blutete an der Stirn. Die Polizisten mit den Schilden rückten vor. Der Collektor wurde von ihnen und einem riesigen Kerl, vermutlich seinem Leibwächter, abgeschirmt. Er verschwand hinter der Bühne.

Ein letzter Schwenk der Kamera zeigte, wie vor der Bühne Polizei und Vermummte aufeinander prallten. Knüppel sausten auf ungeschützte Köpfe hinab, ein Polizist wurde von zwei Vermummten zu Boden gerissen und mit Tritten traktiert. Mehrere Uniformierte schossen in die Menge. Auch weiter hinten schienen sich Menschen zu prügeln.

Dann brach die Übertragung jäh ab.

 

Der Sprecher des Senders übernahm.

»Bitte entschuldigen Sie die Störung und den Abbruch unserer Lifeschaltung zur Demonstration für die Rehabilitation der Polavaram-Opfer. Wie Sie gesehen haben, wurde die bis dahin friedliche Veranstaltung von marxistischen Chaoten und Terroristen missbraucht. Wegen der Ausschreitungen und des Polizeieinsatzes mussten die TV-Teams ihre Arbeit einstellen.«

 

Der Inspektor schaltete den Fernseher aus. Für einen Moment saßen sie schweigend nebeneinander. Vermutlich wusste Babu, dass sein Chef sich Sorgen um Kumari 8machte.

»Chef, du hast gewonnen und ich opfere mich für ein Essen in deinen Schnellimbiß!«

»Danke, lieber Babu! Die Antwort der Demonstranten hat mir erspart, in deinem Nobelrestaurant viel Geld zu lassen und trotzdem nur wenig auf dem Teller zu haben. Aber mal zurück: Wie denkst du, geht es an der Baustelle aus?«

»Ich denke, die lösen die Demo auf. Kumari wird sicher auf sich aufpassen!«

»Ja, das hoffe ich auch.«

»Aber ich sagte es ja: Ihr Beitrag war der entscheidende Inhalt der Demo. Ist nur dumm, dass alle Medien jetzt von den Ausschreitungen berichten werden und das berechtigte Anliegen der Demonstranten dabei vermutlich völlig untergeht.«

Chidambaram nickte. Auch ihn ärgerte das.

»Mehr, die Demonstranten werden als Naxaliten und Terrorgruppen denunziert. Niemand wird mehr überprüfen, ob Kumari mit ihrer sachlichen Sicht der Dinge und dem angeprangerten Unrecht richtig liegt. Alle werden sie nur über die Gewalt reden.«

Babu räumte das Tablett weg und verlies das Büro. Chidambaram setzte sich an seinen Schreibtisch, konnte sich jedoch nicht auf seine Akten konzentrieren. Außerdem war ja Sonntag.

Er versuchte, Kumari anzurufen. Kein Netz. Vielleicht war es überlastet.

Er stellte sich wieder ans Fenster. Draußen zog der weite Strom vorbei, als interessiere ihn das alles nicht. Dabei ging es auch um ihn! Ein hager-muskulöser Fischer mit freiem Oberkörper zog seine Netze vom Einbaum aus durchs Wasser. Unten an der Treppe vor der von Chili rot betupften Promenade lagen zwei Touristenboote, hier Launches genannt. Vielleicht fuhren sie morgen früh flussaufwärts. Dann würden sie Polavaram passieren und durch die Berge vorbei am Ashram Perentapalli bis nach Koyda oder Sriramagiri fahren. Die Touristen an Bord wären dann mittendrin im zukünftigen Stausee. 276 Dörfer, davon weit mehr als die Hälfte von Adivasi, den Stammesleuten bewohnt – es war ein Trauerspiel!

 

*

 

Das Telefon klingelte etwa eine halbe Stunde später.

Zuerst hatte er das Klingeln nicht gehört. Rote Fahnen, roter Baldachin, rote Chili, rote Blüten ... irgendwie ging ihm die Farbe Rot nicht aus dem Sinn.

 

»Inspektor Chidambaram, Polizeichef Rajahmundry.«

»Superintendent, gut, dass ich Sie heute in der Dienststelle erreiche, obwohl ja Sonntag ist. Shiva Kumar ist mein Name. Ich bin der Einsatzleiter bei der Demonstration in Polavaram. Vielleicht haben Sie davon gehört.«

»Ja, ich habe die Demonstration vorhin im TV verfolgt.«

»Dann wissen Sie auch, dass es viel Gewalt gab – und noch gibt.«

»Ja. Aber warum rufen Sie an?«

Chidambaram musste wieder an Kumari denken. Hoffentlich galt der Anruf nicht ihr!

»Wir haben bisher leider vier Tote zu beklagen und eine noch unbekannte Anzahl von Verletzten.«

»Warum sagen Sie mir das? Wir hier sind die Mordkommission. Für Opfer bei Ausschreitungen sind wir nicht zuständig.«

»Diesmal doch.« Der Mann am andern Ende klang sachlich bestimmt. »Ein Demonstrant ist durch ein Gummigeschoss getötet worden, einer ist in eine Baugrube gefallen, ein Polizist wurde von einem Stein tödlich getroffen – aber einer der Toten ist Ihr Fall: Als wir die Demo aufgelöst hatten, haben wir einen jungen Mann aufgefunden. Er wurde erstochen.«

 

2. Verletzte Erde

»Die Wahl des Jeeps war genau richtig!«

An Eigenlob sparte Babu ungern. Es war sein Vorschlag gewesen, nicht den neuen Tata-Aria zu nehmen, sondern den alten, geländegängigen Jeep.

 

Ganesh, ihr bewährter junger Fahrer, war sofort bereit gewesen, seinen freien Tag zu opfern. Aus einem gemeinsamen Mittagessen, nicht einmal im ‚Imbiss’ des Inspektors, war nichts geworden. Ganesh hatte sie vor dem Büro aufgesammelt und sie waren mit Blaulicht durch die wegen des Sonntags wenig belebte Innenstadt gebraust. Jetzt überquerten sie den Fluss auf der fast zwei Kilometer langen, alten Straßenbrücke. Es war, wie Babu zu recht bemerkte, eher eine holprige Piste, als eine Straße. Querrinnen und Löcher ließen Fahrzeug und Insassen erbeben.

»Ich dachte, wir sollten den Jeep wegen der Sandwege auf der Baustelle nehmen!«

»Stimmt, Chef. Dafür auch. Aber warum wegen der Schlaglöcher und Abgründe erst auf eine Baustelle fahren, wenn man sie doch auf unseren Straßen genauso findet!«

Auch Ganesh musste lachen. Er drückte noch ein bisschen mehr aufs Gaspedal.

»Mal sehn, was die alte Kiste noch hergibt!«

 

Am Ende der Brücke standen wie immer Blumenverkäufer und boten Girlanden aus Blüten an. Neben den gelben gab es diesmal auch viele rote. Als sie an dem christlichen Friedhof zwischen Straße und Fluss vorbeifuhren, musste Chidambaram an jenen Fall mit dem ermordeten Pastor denken. Damals ging es um Korruption und Spendenbetrug. Worum würde es wohl diesmal gehen. Vermutlich auch ums liebe Geld - oder doch um etwas Politisches? Wir werden sehen, dachte er.

Über zwanzig Kilometer fuhren sie, direkt an der Godavari entlang, immer weiter nach Nordwest. Rechts lag der Fluss, wegen des Deiches nur gelegentlich zu sehen, links fruchtbare Felder und idyllische Dörfer. Bananen, Baumwolle, Tabak, Reis, Zuckerrohr - hier wuchs alles, womit man als Farmer gutes Geld verdienen konnte. Manchmal wurden sogar zwei Ernten eingebracht - guter Boden und vor allem ausreichend Wasser machten es möglich.

 

Endlich erreichte der Inspektor Kumari telefonisch.

Sie war zwar wegen des Ausgangs der Demonstration frustriert und verärgert, aber unversehrt. Er erzählte von dem Toten. Sie war geschockt. Davon hatte sie nichts gemerkt und die Sicherheitskräfte hatten die Veranstalter nicht informiert. Vermutlich wollte man schlechte Presse vermeiden.

Zwar war Kumari bereits mit zwei Kollegen aus Hyderabad Richtung Bahnhof aufgebrochen, wollte nun aber doch noch bleiben. Vielleicht konnte sie sich nützlich machen, sowohl als Mitorganisatorin der Veranstaltung als auch sonst ...

Chidambaram freute sich über ihr Angebot. Sie wollten sich bei den Pattiseema-Pumpen treffen.

 

Immer mehr Fahrzeuge kamen ihnen auf der schmalen Straße entgegen. Sie konnten nun nicht mehr so schnell fahren. Zwei Krankenwagen mit Blaulicht bremsten sie aus. Sie selbst verzichteten auf die Nutzung ihres mobilen Blaulichts. Rikschas, Kleinwagen, Busse, Kleinbusse, Motorräder – die Demonstranten zogen ab. Die meisten waren Männer, aber auch viele Frauen und sogar einige Kinder waren mitgekommen. Viele standen eng an eng auf der Ladefläche eines LKW oder offenen Kleinlasters. Wenn so ein Fahrzeug einmal überraschend bremsen musste ... gar nicht auszudenken! Rikschas und Busse waren allesamt überfüllt. An manchen hingen Menschentrauben, wie Weintrauben an ihren Reben.

 

Sie überquerten einen Kanal. Von der Brücke aus konnte man endlich ungestört über den Fluss schauen. Welche Weite! Hier musste das Flusstal mehr als drei oder vier Kilometer breit sein. Auf einer Insel leuchteten die weißen Türme eines Tempels. Lange, oft auch breite Sandbänke und große oder schmale Ströme meist braunen Wassers prägten den Anblick des weiten Tals. Jetzt, im Winter, führte die Godavari nur wenig Wasser. In dieser Region erinnerte sie mehr an eine Wüstenlandschaft mit überraschend entstandenem Wadi, als an einen der längsten Flüsse Indiens. Während und nach der Regenzeit war dies völlig anders. Da war das gesamte Tal überflutet und vermittelte den Eindruck, die wenigen Inseln lagen inmitten eines riesigen, langsam dahinströmenden Sees.

 

Chidambaram erinnerte sich, dass man bereits vor vielen Jahrzehnten über einen Staudamm an der Godavari diskutiert hatte. Damals hatten Bodenprüfungen ergeben, dass ein solches Projekt am unteren Lauf des Flusses technisch nicht machbar war. Man müsste hundertfünfzig Meter tief bohren, um einen Damm auf Felsen zu gründen. Nun jedoch schien genau dies auch technisch möglich zu sein. Er hatte gelesen, dass eine deutsche Spezialfirma mit dieser Aufgabe betraut war. Die Baustelle lag einige Kilometer weiter oben, eben in der Nähe der Kleinstadt Polavaram. Der Damm und die aus Überläufen, Kanälen und diversen Auffangbecken bestehende Anlage sollte direkt zu Beginn der bei Touristen so beliebten Papi-Hills gebaut werden. Dort hatte der Fluss nur eine Breite von knapp dreihundert Metern.

 

»Das muss es sein.«

Vor ihnen ragten blaue Blechwände in die Höhe. Groß wie ein Hochhaus, lang wie ein Speicher und ohne Fenster, war die Pumpstation alles andere als ansehnlich. Die Straße führte direkt an dem schmucklosen Kasten vorbei.

»Da sind extrem leistungsfähige Pumpen drin!«

Babu konnte sich nicht verkneifen zu erklären, was zumindest der Inspektor bereits wusste. Durch die Pattiseema-Pumpstation und einer identisch gebauten auf der anderen Flussseite, wurden riesige landwirtschaftliche Nutzflächen mit Wasser aus dem Fluss versorgt. Böse Zungen behaupteten, das Projekt sei nur der nächsten Wahl geschuldet. Wegen der Verzögerung des Staudamms würde es mit der wirklich effektiven Bewässerung noch dauern. Also habe der Ministerpräsident dieses Projekt als Zwischenlösung präsentiert. Wenn der Staudamm mit seinen Kanälen, Pumpstationen und endlosen Pipelines später in Betrieb war, mussten die millionenschweren Pattiseema-Pumpen wieder abgebaut werden. Hier würde es dann nicht mehr genug Wasser geben.  

 

An der Ecke des Gebäudes parkten einige gelb-schwarze ‚Autos’, wie viele die Motor-Rikschas ehrenvoll nannten. Neben einem davon stand eine junge Frau. Sie winkte, als sie den Polizeijeep kommen sah. Kumari.

 

Chidambaram stieg aus. Sie in der Öffentlichkeit in den Arm zu nehmen, traute er sich nicht. Aber sie. Sie strahlte, kam auf ihn zu, streckte beide Arme aus, umarmte ihn und gab ihm Kuss auf den Mund.

»Chidam, mein Liebster! Da seid ihr ja endlich!«

Ob der Inspektor rot wurde, wusste er nicht. Aber es fühlte sich so an. Eine heiße Welle zog durch seinen Körper. Zum Glück war diese bereits etwas abgekühlt, als Babu neben Kumari auftauchte und sie mit Handschlag begrüßte.

»Da ist ja unsere hübsche Aktivistin! Zum Glück ist noch alles dran!«

Ja, zum Glück, dachte Chidambaram. Kumari sah wie immer prächtig aus. Sie trug noch den dunkelgrünen Pandjaby, darüber allerdings eine Strickjacke. In der offenen Rikscha und erst recht abends, war es inzwischen spürbar kühl.

»Ich komme. Am Besten, ich sitze wieder neben dir, Babu.«

 

Kumari warf ihre kleine Tasche nach hinten und stieg zu Babu in den Fond.

»Erzählt, was wisst ihr bereits über den Toten? Und Ganesh, nimm diesen Weg. Er kürzt die Strecke zur Baustelle etwas ab und umgeht die Stadt.«

Sie wies in eine weniger belebte Nebenstraße, die kurz nach der Pumpstation abzweigte.

 

Chidambaram brauchte einen Moment, seine Gefühle von emotional und persönlich auf sachlich und dienstlich umzustellen. Die Umarmung, der Kuss, ihr Duft und ihr Anblick füllten noch seine Sinne, als wären sie eine Droge und er habe gerade einen tiefen Zug davon genommen. Doch als er wieder im Jeep saß, verflog seine Benommenheit.

Da er selbst fast noch nichts wusste, konnte er seiner Liebsten noch nicht viel sagen, nur dass die Spurensicherung ebenfalls unterwegs war und kurz nach ihnen eintreffen musste.

»Aber du kannst uns vielleicht etwas an Hintergrund von dieser Demo liefern. Deine Rede haben wir übrigens im Life-TV gesehen. Du warst großartig!«

Kumari ließ ihr helles und offenes Lachen hören, das Chidambaram so liebte.

»Dann kennt ihr ja die Hintergründe der Demo! Die nicht geleisteten Entschädigungen und die nicht eingehaltenen Versprechen der Regierung sind der Hintergrund. Sie reden dauernd über die Kosten des Staudamms und der ganzen Anlage drum herum oder sie streiten sich um den Termin zur Fertigstellung. Niemanden jedoch interessieren die hunderttausende Menschen, die umgesiedelt werden sollen. Da gibt es nicht genug Land, keine nachhaltigen Konzepte, keine Strategien und vermutlich ist am Ende dafür auch kein Geld mehr da.«

Bevor sie sich in ihr Herzens-Anliegen hineinsteigerte, wollte Chidambaram lieber konkretere Dinge wissen.

 

»Du hast von Fakten gesprochen. Es ging um Unterschlagung, Korruption und Betrug. Habt ihr dafür Beweise?«

»Ein paar, allerdings noch nicht genug, um damit vor Gericht zu bestehen. Wir haben den Verdacht, dass es sich nicht nur um Einzelfälle handelt, wie uns die Politiker weismachen möchten. Es scheint eher, als werden die Gelder für die Umsiedlung, den Landkauf, die neuen Siedlungen und die Entschädigungen systematisch abgegriffen. Wie genau und durch wen, wissen wir leider noch nicht.«

»Der CRO von Bhadrachalam, wie heißt er noch mal? Ist der darin verwickelt? Den haben sie gnadenlos ausgebuht!«

»Javanna S.Raj heißt er. Ja, wenn der Verdacht stimmt, dann steckt der da mit drin.«

»Und der Collektor?«

Kumari überlegte. Die ersten Häuser der Stadt lagen rechts von ihnen.

»Vielleicht. Ramu Ashoka war schon immer eine reichlich schillernde Figur. Jetzt hat er genau genommen mehr Macht als die Politiker. Die geben das Geld frei, der Collektor jedoch verwaltet es letztlich. Aber es kann auch sein, dass die Korruption auf der mittleren und unteren Ebene läuft.«

 

Es war nicht zu übersehen, sie näherten sich der Baustelle des Staudamms – oder genauer gesagt den zahlreichen Baustellen. Die Ausmaße des Geländes erschlossen sich den Polizisten nur etappenweise. Chidambaram war bereits einmal hier und schon damals von der Ausdehnung dieses Areals beeindruckt gewesen. Nun aber wirkte es noch gigantischer. Am Anfang gab es Zäune und Kontrollstationen. Im Moment schien sich niemand darum zu kümmern, wer hinein- und wer hinausfuhr. Es wimmelte von Menschen, die das Gelände verließen. Rechts lag ein Parkplatz. Einige Busse standen noch dort, vor ihnen hockten wartende Menschen. Vermutlich fehlten noch Mitreisende.

 

Über einige Kilometer lenkte Ganesh den Jeep wegen der vielen Menschen im Slalom über eine extrem breite Sand- und Kiespiste. Rechts und links standen oder fuhren Lastwagen, Bagger und Kräne, einige davon gigantisch groß. Von irgendwo aus den nahen Hügeln hörte man zuerst Alarmsirenen und kurz darauf grollenden Donner. Graue Staubwolken stiegen über den wenigen Resten grüner Bäume und Büsche auf. Links türmte sich eine riesige Schutthalde aus Geröll und Steinen jeder Größe. In Serpentinen zogen Lastwagen den künstlichen Berg hinauf, luden ab und reihten sich unterhalb des Hügels, auf dem gesprengt wurde, erneut ein, um neues Gestein aufzunehmen.

Oben auf einem Plateau sah man mehrere Baracken. Auf den Dächern waren außer Wassertanks diverse Antennen installiert. Von dort musste man einen guten Rundblick über das gesamte Gelände haben.

»Die zentrale Leitstelle,« erklärte Kumari, »dort gibt es auch ein Model der gesamten Anlage. In einer wöchentlichen Videokonferenz wird der Chiefminister von dort aus über die Fortschritte des Projektes informiert. Weiter hinten ist dann das Camp der Facharbeiter und Ingenieure aus aller Welt. Auch die deutsche Firma, die für das Fundament des Dammes zuständig ist, hat dort ihr Camp. Den Ort, wo der Staudamm entstehen wird, kann man von hier aus noch nicht sehen. Im Moment legen sie die Fundamente und treiben Beton und Stahlpfeiler 150 Meter tief in Sand und Felsen hinein.«

Ohne Zweifel, wenn es um den Polavaram-Staudamm ging, kannte Kumari sich aus. Wie in so vielen Dingen.

 

»Wir sind da!«

Kumari wies auf eine große Freifläche, größer als viele Kricket-Felder zusammen. Von hier aus hatten die Menschen also ihren Heimweg angetreten. Jetzt hockten nur noch einige kleine Grüppchen auf dem staubigen Boden. Manche hatten Bastmatten ausgebreitet, als machten sie ein Picknick. Einige diskutierten angeregt. Polizisten standen herum, gelangweilt mit ihren Schlagstöcken oder einer Wasserflasche spielend. Beamte der bewaffneten Einsatzgruppe sahen sie keine. Das gesamte Areal war mit unglaublich viel Müll übersät, der teilweise vom Wind aufgewirbelt wurde. Papier, Plastik, Kleidung, Pappteller, Teebecher ... Niemals würde Chidambaram begreifen, warum in seinem Land der Lernprozess bezüglich Sauberkeit so schleppend verlief. Einige braune Streuner hatten, angelockt vom Duft der Essensreste, bereits ihren Weg hierher gefunden und bissen jaulend um sich, wenn ein Konkurrent auftauchte.

 

Langsam fuhren sie näher an die von weitem sichtbare Bühne heran, quer über den großen Platz. Hinter der Bühne standen mehrere helle Zelte, die dem Inspektor bei der Fernsehübertragung gar nicht aufgefallen waren. Die Baldachine über dem Podest waren noch da. Einige davon hingen jetzt allerdings schlampig herab. Andere hatten gar keinen Halt mehr und lagen am Boden, weil Stangen umgeknickt oder Hanfseile gerissen waren. Windböen zerrten an den roten Stoffbahnen. Es sah alles andere als königlich aus.

 

»Hier hat bei einer der vielen Grundsteinlegungen der Ministerpräsident gesprochen!« Kumari grinste, als sie davon erzählte. »Damals waren es maximal achttausend begeisterte Anhänger, die ihm zujubelten. Später stellte sich heraus, dass sie alle außer Fahrtkosten und üppige Verpflegung auch noch eine gute Summe Taschengeld und ein neues Hemd erhalten hatten. Kein Wunder, die Leute greifen nach jeder Rupie und jeder Mahlzeit, wenn es ihnen schlecht geht!«

Dann hob sie die Stimme und ergänzte stolz:

»Bei uns waren heute fast zwanzigtausend Leute – und sie haben nichts bekommen, keine einzige Rupie. Sie haben alles aus eigener Tasche bezahlt!«

Als sie vor der etwa einen Meter hohen Bühne hielten, kam ein untersetzter Mann in Uniform ans Fenster.

»Inspektor Chidambaram? Mein Name ist Shiva Kumar. Wir haben telefoniert.«

Chidambaram schüttelte seinem Kollegen die Hand und stellte seinen Sekretär vor.

»Diese Dame kennen Sie vermutlich bereits!«

Gemeint war Kumari. Sie gab dem Polizisten die Hand. Beide nickten sich zu.

»Ja, wir kennen uns«, meinte Kumari. »Wir sind vor der Demonstration die Sicherheitsvorkehrungen durchgegangen.«

»Die Spurensicherung wird bald eintreffen. Ich hoffe, Sie haben den Toten isoliert und den Fundort weiträumig abgesperrt.«

Der Inspektor hatte gerade in diesem Bereich schon viel Schlamperei erlebt, obwohl doch jeder Zivilist aus dem Fernsehen inzwischen wusste, was ein ‚Tatort’ war. Sein Kollege nickte.

»Haben wir! Kommen Sie, der Tote liegt gleich hier am Rand der Bühne.«

 

Sie verließen den Jeep und folgten dem Sicherheitschef. Chidambaram schätzte die Bühne auf fünfundzwanzig mal zehn Meter. Sie bestand aus Holzplatten in Aluminiumrahmen und stand auf Metallbeinen von etwa einem Meter Höhe. Rechts und links war die Bühne durch einen über zwei Meter hohen Sichtschutzzaun, ebenfalls aus rot gemusterten Stoffbahnen, von der Versammlungsfläche getrennt. Man konnte also nur von vorne auf das Geschehen blicken. Der Rand war mit einer schwarzen Plane abgehängt, so dass man nicht unter die Bühne schauen konnte.

 

Shiva Kumar führte sie zur linken Stirnseite der Aluminiumkonstruktion. Einige Polizisten standen dort. Sie sicherten die Zugänge zwischen Sichtschutz und Bühne. Weder vom Versammlungsplatz noch vom Bereich hinter der Bühne konnte jemand unbemerkt zum Fundort des Toten gelangen.

»Dort ist es.«

 

3. Helden sterben früh

Der schwarze Randstreifen lag am Boden. Teilweise war er auf ein Stück Baldachin gefallen, das vermutlich für den Bau der Beschattung nicht mehr gebraucht worden war. Es war, direkt am Rand unter der Bühne, wie eine Decke über etwas drapiert worden, über einen leblosen Körper.

»Habt ihr ihn genauso gefunden?«

»Ja. Nachdem sich die Verkleidung der Bühne aus welchem Grund auch immer gelöst hatte, lag dieses Stück Baldachin da. Einer der Ordner kam auf den Gedanken, es wegzuziehen und fand den Toten.«

 

Den Ordner würden sie befragen.

Vorsichtig hob Chidambaram den schweren roten Stoff an und zog ihn zur Seite. Der Tote lag etwas verdreht auf dem Rücken. Kumari, die ihnen gefolgt war, stieß einen kurzen Schrei aus und hielt sich dann die Hand vor Mund und Augen.

»Aki! Das ist Aki, mein Kollege aus Sarapaka!«

 

Der Mann war vermutlich knapp unter dreißig. Er trug blaue Jeans, Turnschuhe und ein weißes T-Shirt mit der indischen Flagge und dem Satz »I love India!«. Ein gepflegtes Bärtchen, ordentlich frisierte Haare und saubere Fingernägel ließen darauf schließen, dass der Tote ein Leben unter geordneten Umständen führte und körperlich nicht hart arbeiten musste. Der einzige Makel: Auf seinem Shirt war die indische Flagge von einem großen blutroten Kreis umgeben.

 

»Du kennst ihn?«

Kumari hatte sich wieder ein bisschen gefasst.

»Ja, er ist Sozialarbeiter und arbeitete seit Abschluss seines Studiums mit Srinu Venkatesh in Sarapaka zusammen. Er heißt Aki Satishkumar, wird aber von allen nur Aki genannt.«

Jedes neue Wort schien ihr eine weitere Träne ins Auge zu treiben. »Sorry, er wurde ...«.

Jetzt wandte sie sich weinend ab und ging zum Jeep zurück.

 

»Wir werden Kumari noch ausführlich befragen.«

Der Inspektor wandte sich an Babu. »Jetzt jedoch schauen wir uns den Toten und den vermutlichen Tatort erst einmal genauer an.«

Babu reichte ihm ein Paar dünne Plastikhandschuhe, die sein Chef überstreifte. Dann bückte sich Chidambaram unter den Bühnenrand, um an die Gesäßtasche des Toten zu gelangen.

»Hier ist seine Brieftasche.«

Er übergab sie seinem Assistenten. Babu, ebenfalls behandschuht, öffnete sie.

»Ausweis, Fahrerlaubnis, Bankkarte, Quittungen, mehrere Zettel mit Adressen und, warte ... 2.450 Rupien.«

»Also war es vermutlich kein Raubmord!«

 

Der Inspektor duckte sich nun ganz unter die Bühne, hockte sich neben das Opfer und untersuchte den Blutfleck. Zwei Stiche mit einem recht breiten Messer hatten ihn verursacht. Wahrscheinlich war das Herz direkt getroffen worden. Am Hals und am linken Unterarm hatte der Mann unübersehbare Hämatome.

 

»Ich vermute, das Opfer wurde festgehalten und dann erstochen. Vielleicht waren zwei Täter beteiligt – einer hält den Mann fest, ein anderer sticht zu. Vermutlich war es direkt hier neben der Bühne. Durch den Sichtschutz ist der Bereich bestens abgeschirmt und kaum einsehbar.«

Chidambaram schaute sich um. Trotz eines eher diffusen Lichtes war der Boden unter der Alu-Konstruktion gut einsehbar. Zu sehen war allerdings nichts Auffälliges.

»Wenn wir die Tatwaffe nicht unter der Bühne oder irgendwo im Müll finden, hat der Täter das Messer nach dem Mord wahrscheinlich mitgenommen.«

Babu duckte sich nun ebenfalls, schaute einmal in die Runde und nickte bestätigend.

»Ich werde mir mal das Umfeld ansehen. Dann kann ich mir auch die Zelte anschauen und den Ordner befragen, der den Toten gefunden hat.«

Wieder einmal war der Inspektor froh, einen solchen Assistenten zu haben. Babu dachte mit, ergriff die Initiative und übernahm Verantwortung.

Nun machte Babu noch ein paar Fotos mit seinem iPhone. Die Brieftasche gab er, eingetütet in einen Plastikbeutel, seinem Chef. Chidambaram entledigte sich der Handschuhe. Natürlich warf er sie, was hier vermutlich kaum aufgefallen wäre, nicht einfach fort, sondern steckte sie in die Hosentasche.

»Okay, du ziehst los, checkst die Umgebung und befragst den Ordner. Ich rede nochmal mit dem Sicherheitschef und dann mit Kumari.«

 

Der Inspektor fragte Shiva Kumar, wer den Toten gesehen haben könnte, als er noch lebte. Der Sicherheitschef war ratlos.

»Wenn er hier neben der Bühne ermordet wurde, befand er sich hinter den Sicherheitskräften und wegen des Sichtschutzes war er auch von der Seite aus nicht zu sehen. Vermutlich hat diesen Abschnitt niemand im Blick gehabt.«

»Was hat aber dann das Opfer ausgerechnet hier zu suchen gehabt?«

»Das weiß ich natürlich nicht. Wenn man auf direktem Weg von den Zelten hinter der Bühne zum Veranstaltungsplatz wollte, konnte man hier durchaus langgehen.«

Plötzlich hellte sich die Mine des Sicherheitschefs auf. Mit geübtem Griff beförderte er ein Smartphone aus seiner Tasche.

»Aber ich habe eine Idee. Wenn ich ein Foto machen darf, könnte ich die noch anwesenden Polizisten und Ordner fragen, ob und wo sie diesen Mann gesehen haben.«

Chidambaram fand den Vorschlag gut und Shiva Kumar machte sich sofort an die Arbeit.

 

Der Inspektor ging zum Jeep, der vor der Bühne wartete. Vielleicht hatte er sich schon viel zu lange um seinen Job, nicht aber um seine Liebste gekümmert.

 

Die Augen Kumaris waren stark gerötet. Chidambaram setzte sich neben sie auf den Rücksitz und nahm sie behutsam in den Arm. Er ließ ihr Zeit, sich zu beruhigen.

»Ich kannte Aki nicht besonders gut, jedenfalls nicht so gut wie seinen Chef Srinu Venkatesh.« Nun hatte sie sich wieder unter Kontrolle. »Aber Aki war ein sympathischer, lebensfroher Kollege. Wir haben viel gelacht – und uns gemeinsam auch viel über das ungerechte und korrupte System geärgert.«

»Weißt du, warum und mit wem er hierher gekommen ist?«

»Ja, ich habe ihn vor der Demo sogar noch kurz gesprochen. Ich habe ihn dort beim Catering getroffen.«

Sie wies auf eines der größeren Zelte.

»Catering?«

»Ja, die Redner und VIPs wurden in diesem Zelt dort mit Getränken und einem Imbiss versorgt.«

»Und dort hat auch der Sozialarbeiter gegessen?«

»Nein. Aki hatte wenig Zeit. Er hatte einen Termin beim Collektor und wartete darauf, dass ihn jemand abholte und zu ihm brachte. Worum es in dem Gespräch gehen sollte, hat er mir nicht gesagt.«

»Weißt du, wo sie sich treffen wollten?«

»Vermutlich in einem der kleineren Zelte hinter der Bühne.«

»Dann war der Collektor also einer der letzten derer, die Aki lebend gesehen haben?«

»Mag sein, wenn es zu diesem Treffen gekommen ist. Auf jeden Fall weiß ich, das Aki mit dem Bus zusammen mit seinen Leuten zurück nach Kukunur wollte.«

»Dann war er also gemeinsam mit anderen hier?«

»Ja, er hatte einen Bus gechartert und Farmer und Kulis aus den Dörfern im Bereich Kukunur und Rudramkota zur Demo gebracht.«

»Weißt du, ob der Bus bereits wieder abgefahren ist?«

»Keine Ahnung. Hier auf dem Gelände sehe ich jedenfalls niemand Bekanntes aus meiner Heimatregion. Aber vorne am Busparkplatz haben wir ja noch ein paar Busse gesehen. Vielleicht war der aus Kukunur dabei.«

 

Chidambaram hatte es plötzlich eilig. Sie hatten genug gesehen. Den Rest mussten die Spurensicherung und der Rechtsmediziner untersuchen.

Eine Frage fiel ihm noch ein:

»Du hast Aki getroffen. Hatte er da einen Laptop oder ein Mobiltelefon bei sich?«

»Einen Laptop nicht. Ein Handy müsste er in der Hosentasche gehabt haben. Ich habe keins gesehen.«

Der Inspektor bedankte sich bei Kumari und stieg aus, nachdem er ihr noch einmal mitfühlend die Hand gedrückt hatte. Ganesh lehnte etwas entfernt an der Bühne.

»Ganesh, wir müssen gleich los. Aber kannst du eben hinter die Bühne gehen und Babu holen? Er ist irgendwo dort bei den Zelten.«

Ganesh ging los, umrundete die Bühne und war wegen des Sichtschutzes nicht mehr zu sehen.

 

Der Inspektor hielt Ausschau nach Shiva Kumar. Er fand ihn etwas weiter hinten innerhalb einer Gruppe von Polizisten, denen er offenbar das Foto zeigte. Chidambaram ging hinüber und bat ihn, seine Befragung kurz zu unterbrechen. Er und sein Kollege entfernten sich ein paar Schritte von den Polizisten.

»Kollege, danke für Ihre gute Arbeit! Die Spusi wird bald kommen. Wir jedoch müssen jetzt los.«

»Danke für Ihr Lob, Inspektor. Meine Aktion mit dem Foto hat bis jetzt leider noch nichts gebracht. Niemandem ist der Tote aufgefallen.«

Der Inspektor überlegte einen Moment.

»Danke, dass Sie sich so einsetzen. Vielleicht finden Sie ja doch noch jemanden, der etwas gesehen hat. Bitte befragen Sie auch noch das Wachpersonal bei den Zelten und die Leute vom Catering. Vielleicht haben die ja etwas Ungewöhnliches bemerkt. Das Opfer hat sich eindeutig im Bereich hinter der Bühne aufgehalten und beim Catering-Zelt.«

»Die vom Catering sind längst weg, aber ich telefoniere noch ein bisschen herum und frage jene, die hier gearbeitet und etwas bemerkt haben konnten. Ich melde mich dann telefonisch bei Ihnen!«

»Danke! Sie sind mir wirklich eine riesige Hilfe – und wenn Sie mal in Rajahmundry zu tun haben, sind Sie in meinem Büro herzlich willkommen!«

»... und kriegen den besten Tee Indiens!«

Babu stand plötzlich neben ihnen. Diese Ergänzung hatte er sich nicht verkneifen können.

»Genau!« lachte der Inspektor. Und noch etwas Wichtiges fiel ihm ein.

»Ach, noch was, Kollege. Bitte kein Wort über den Sozialarbeiter gegenüber der Presse! Wir brauchen wenn irgend möglich ein bis zwei Tage ohne Journalisten und Öffentlichkeit!«

Shiva Kumar nickte. Er sagte zu, sein Bestes zu tun und schüttelte den Männern dann die Hand. Sie verabschiedeten sich herzlich.

 

Der kurze Weg zum Jeep reichte aus, um den Inspektor zu informieren, was Babu recherchiert hatte.

»Chef, nichts Neues. Der Ordner wollte sich das Stück Baldachin unter den Nagel reißen. Als Wandteppich wäre es zumindest in seiner Wohnhütte ein echter Hingucker geworden. Die Zelte sind jetzt leer. Das Größte war eine Art Imbiss und Aufenthaltsraum für leitendes Personal und Redner. Zwei Kleinere wurden als Büros und eines für die Presse genutzt. Die wenigen Typen, die dort jetzt noch herumlungerten, haben nichts gesehen und gehört und wussten nicht einmal, wer sich dort während der Veranstaltung aufgehalten hatte. Nur dass der Collektor vor der Demo für knapp zwei Stunden in dem einen Bürozelt residierte, konnte einer der Wachleute beitragen. Der VIP hatte allerdings sein eigenes Security-Team dabei, ganz schön harte Burschen, meinte der selbst ziemlich klapprige Wachmann. Im Zelt habe ich mich umgeschaut, aber nichts gefunden.«

 

Sie hatten den Jeep erreicht.

»Ganesh, nun so schnell es geht zum Busparkplatz!« Der Fahrer grinste, klemmte das Blaulicht auf das Dach und der Jeep flog über Schlaglöcher, Müll und Steine hinweg, als gäbe es sie nicht.

Trotz der inzwischen weniger Menschen, die dem Ausgang entgegen strebten und trotz des Sonntags ging die Arbeit auf der Baustelle offenbar weiter. Staub und Dunst lagen in der Luft. Diese Landschaft erinnerte an den Mond, dachte der Inspektor. Hier wurde die Erde nachhaltig verletzt und verwundet. Ob dieser Eingriff im Namen der Zivilisation in die Natur wirklich notwendig war? Ob er die tausende Opfer dieses Staudamms wirklich rechtfertigte? Der Inspektor merkte, dass er bereits Kumaris Sicht der Dinge verinnerlicht hatte.

 

Sie hatten Glück. Einer der vier noch wartenden Busse war der Gesuchte. Vierzig oder fünfzig Männer und Frauen saßen in dessen Schatten und warteten. Einige hatten Büchsen ihres mitgebrachten Essens vor sich stehen. Die meisten lagen auf ihre Kleidung oder auf Matten und dösten oder schliefen. Der Bus war zwar gemäß Aufschrift ein ‚Deluxe’, sah jedoch ganz und gar nicht so aus. Er war alt, rostig und zerschlissen. Seine riesigen Räder und Blattfedern vermittelten jedoch immerhin den Eindruck, dass er den Straßen dieser Region, wenn es darauf ankam, gewachsen war.

 

Kumari übernahm die Befragung der Leute. Viele von ihnen kannten und begrüßten sie. Sie alle warteten auf Aki, ihren Leiter. Niemand wusste bisher, dass er nicht kommen würde.

Der Sozialarbeiter hatte ihnen erzählt, dass er einen Termin mit dem Collektor hatte. Sie alle hofften, dass er durch dieses Gespräch an höchster Stelle etwas für sie erreichen konnte. Er hatte ihnen zwar nichts versprochen, hatte jedoch angedeutet, dass sie mit Hilfe des Collektors vielleicht doch noch ihr Recht bekämen. Nun vermuteten seine Mitreisenden, er war wegen dieses wichtigen Termins noch nicht wieder zurück.

»Aber die Demo ist doch bereits vor Stunden aufgelöst worden! Warum sollte er bis jetzt nicht zum Bus gekommen sein?«

Auf Kumaris Einwand hin zuckten ihre Gesprächspartner mit den Schultern. Einer meinte, vielleicht sei er ja mit dem Collektor zu einem der Baustellengebäude gefahren, um dort mit ihm ungestört zu reden. Warum sonst sollte ihr Fürsprecher bis jetzt nicht hier sein?

Sehr behutsam und mitfühlend klärte Kumari die Leute vor sich auf. Tiefe Betroffenheit, Schweigen und Trauer legte sich über die Gruppe. Einige begannen zu weinen. Nach dem ersten Schock kamen dann die Fragen, auf die es leider noch keine Antworten gab. Wer würde denn ausgerechnet ihn töten? Er war ihr Beistand, ihr Bruder, ihr Freund. Einer meinte: »Er war unser aller Held!«. Ja, Aki habe vielen Politikern und Beamten auf die Füße getreten. Er habe Unrecht schonungslos aufgedeckt und sie alle dafür gewonnen, um ihre Rechte zu kämpfen. Aber ihn deshalb ermorden? Und ausgerechnet hier und jetzt?

 

Die Fragen dieser Leute waren dieselben, wie die des Inspektors. Es waren allesamt Fragen, auf die bisher niemand antworten konnte.

Auch diese Leute lieferten leider nur wenig weitere Hinweise, aber immerhin war in Sachen Elektronik etwas dabei. Ein Handy habe er gehabt und auch benutzt, ein Smartphone von Samsung, meinte ein Jugendlicher. Einen Computer hatte er zwar bei seiner Arbeit in ihren Dörfern immer dabei gehabt, diesmal jedoch nicht. Auf jeden Fall besaß der Sozialarbeiter ein Laptop von Acer. Wie kaum jemand im Bus, hatte auch Aki keine Tasche mit, da es sich nur um einen Tagesausflug handelte.

Der Sozialarbeiter hatte sich etwa vierzig Minuten vor Veranstaltungsbeginn von ihrer Gruppe getrennt und war in Richtung Bühne gegangen. Dann hatten sie ihn aus den Augen verloren.

Was würde denn nun mit ihnen werden, fragten einige der Männer. Würde denn das Projekt weitergehen? Bekämen sie auch weiterhin Unterstützung für ihren Kampf um ihr Land, ihre Häuser und ihre Zukunft? Auch auf diese Fragen gab es bisher keine Antworten.

 

»Ich bleibe bei ihnen!«

Kumari stand plötzlich auf, kam zum Jeep, öffnete die Heckklappe und holte ihre kleine Reisetasche heraus.

»Ich habe meinen Plan geändert. Ich fahre mit der Gruppe zurück nach Kukunur. Sie brauchen mich jetzt. Dann werde ich noch einen oder zwei Tage bei meiner Familie in Nandipadu bleiben und erst dann zurück nach Hyderabad fahren.«

 

Chidambaram wurde von der Entschlusskraft und Spontaneität seiner Freundin wieder einmal überrascht, fand die Idee jedoch sinnvoll und gut.

»Okay,« sagte er deshalb und drückte kurz die Schulter seiner Liebsten. »Ich freue mich, wenn ich dich anrufen kann, sollte ich deine Hilfe noch einmal benötigen.«

Kumari lachte ihn an.

»Du überaus prüder Inspektor! Natürlich bin ich genauso auch für dich da! Und ganz speziell sogar!«

Wieder hauchte sie entgegen aller ungeschriebenen Gesetze Indiens ihrem Chidam einen Kuss auf den Mund, verabschiedete sich dann von Babu und Ganesh und begann, die Gruppe in den Klapperbus zu komplimentieren.

Es würde eine Fahrt werden, die sie alle sowohl körperlich als auch emotional ziemlich durchschütteln würde, vermutete der Inspektor.

 

Auch sie traten die Rückfahrt an. Ganesh konzentrierte sich auf die Straße und auf die immer noch zahlreichen Hindernisse. Babu schmunzelte vor sich hin, vermutlich wegen der liebevollen Zurechtweisung, die sein Chef sich gerade von seiner Liebsten abgeholt hatte. Chidambaram starrte aus dem Fenster, ohne dort draußen wirklich etwas zu sehen.

Aki zu ermorden machte nur Sinn, wenn es ein äußerst brisantes Motiv gab. Genau dies zu finden, war seine und ihre Aufgabe. Und ganz oben auf der Liste stand jetzt der Collektor. 

 

Krieg oder Frieden

Während der letzten Minuten vor Beginn des Dorfes wurde Dravida nervös. Ihr Herz schlug schneller. Sie wusste, dass sie längst von verdeckten Wachen begleitet wurden. Unsichtbar kontrollierten die geschickten Jäger jeden ihrer Schritte. Mit Sicherheit waren ein Dutzend Pfeilspitzen auf die fremden Besucher gerichtet. Dravida quälten nun doch Gewissensbisse. War es nicht naiv, fremden Kriegern derart blind zu vertrauen und sie sogar ins Dorf zu führen? Auch wenn Arya ihr schöne Augen gemacht hatte, konnte es nicht schlicht ein Trick sein, um ungefährdet in ihr Dorf zu gelangen? Was, wenn sie auf Eroberungszug waren? Es würde viele Tote geben. Oder war es nur der Vortrupp einer größeren Armee? Kundschafter? Auch dann hatte sie die Fremden viel zu offen willkommen geheißen ...

 

Das Dorf war mit einem hohen Zaun aus unzähligen dicken Bambusstangen in mehreren Lagen gesichert. Kein Tier vermochte ihn zu überwinden und Menschen waren ihm nur durch das Legen von Feuer gewachsen.

Noch vor dem breiten Eingang empfingen sie etwa hundert Krieger. Furcht einflößend hatten sie sich mit Speeren, Bögen und Stangen beidseitig des Eingangs aufgebaut und bildeten eine Gasse für die Ankömmlinge.

Dravida kannte sie natürlich alle. Eigentlich hatte sie lächeln und so der Situation die Spannung nehmen wollen - aber hier blickten alle dermaßen ernst, misstrauisch und verschlossen auf die Neuankömmlinge und sichtbar verärgert auch auf sie, dass ihr Lächeln im Keim erstickt wurde. Ganz vorn stand ihr Bruder. Er blickte besonders grimmig drein und schob ihr einen dunklen Umhang aus grobem Flachs zu.

»Zieh das an!« zischte er. Es schien ihm peinlich sein, Dravida halbnackt unter diesen fremden Männern zu sehen. Sie würde deshalb vermutlich noch manches zu Hören bekommen - obwohl sie alle ja nun mal so lebten ...

 

Schweigend geleiteten die Krieger die Fremden bis vor das Haus des Taluks, ihres Häuptlings. Es stand in der Mitte des Dorfes bei dem riesigen uralten Tamarinden-Baum, der seine Krone weit über den Beratungsplatz breitete. Das Haus ihres Vaters und ihrer Familie war kein Palast wie in ihrer Phantasie, aber doch eine besonders schöne und extrem große Hütte mit mehreren Räumen und einem großen Hof auf der Rückseite. Das Gebäude war auf einem Fundament aus Felsblöcken errichtet. Dicke Balken bildeten das Gerüst, kleinere die

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 09.12.2018
ISBN: 978-3-7438-8959-0

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