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Die junge Frau huschte flink durch die Menschenmenge der Wüstenstadt. Der Sand brannte in den Augen und die Luft flimmerte vor Hitze. Doch die braungebrannte Frau war dies gewöhnt und verschwendete keine Gedanken daran. Sie hatte es eilig und war auf dem Weg zu Ferris Bin Ramdan. Er ließ nicht gerne auf sich warten und man zog lieber nicht den Zorn dieses Mannes auf sich. Ihre Gürteltasche schien schwerer zu wiegen als gewöhnlich, denn dort drin befand sich die Pergamentrolle, die Bin Ramdan so dringend gebraucht hatte. Was sie beinhielt wusste sie nicht. Sie konnte weder lesen noch schreiben und was ging es sie auch an? Sie hatte nur ihren Auftrag auszuführen. Der Staub knirschte unter ihren Füßen und während sie sich immer weiter ihren Weg durch die Menschenmassen bahnte kam sie ihrem Ziel immer näher. Die Sonne brannte unerbittlich auf ihre dunkle Lockenpracht herab. Die junge Frau stoppte -leicht außer Atem- vor einem ganz gewöhnlich aussehenden Haus. Sie klopfte kräftig an die schnörkellose Tür, die nicht verriet was sich dahinter verbarg. Eine runzlige Alte mit zahnlosem Lächeln öffnete die Tür. „Raja.“, krächzte sie. „So früh hatten wir dich gar nicht erwartet.“ Die Angesprochene schnaubte. Sie war gerade noch rechtzeitig erschienen, denn die Sonne ging schon hinter den Dächern Trianas unter.


Die Alte scheuchte sie herein und sah sich noch einmal misstrauisch um, dann schloss sie die Tür hinter Raja und verriegelte sie. „Er wartet schon, geh ruhig hinein.“ Der jungen Frau war wie üblich ein starker Kräuterduft entgegen geschlagen. Die Decke des Raumes in dem sie stand war niedrig, alles war einfach eingerichtet und überall hingen Kräuterbündel zum Trocknen. Das einzige auffällige in diesem Raum war, dass an der gegenüberliegenden Wand ein verwirrend wertvoll aussehender roter Vorhang angebracht war, der den Weg zum nächsten Zimmer begrenzte.

Raja schob den schweren Stoff beiseite und betrat das Zimmer das sich dahinter verbarg. Hinter einem mit Verzierungen übersäten Schreibtisch aus schwerem, dunklen Eichenholz saß Ferris und blickte sie durchdringend an. Seine grünen Augen jagten ihr wie gewöhnlich Schauer über den Rücken. "Hast du sie?" fragte er mit seiner ruhigen, anziehenden Stimme. Doch Raja hörte den Unterton. Hätte sie versagt, so würde sie sterben. Das war immer so. "So wie Ihr es befohlen habt." Ihre klare, helle Stimme durchschnitt den Raum und zerris die Anspannung die sich aufgestaut hatte. "Sehr gut." Beinahe ließ Bin Ramdan seine Maske fallen, man sah die Erleichterung in seinen Augen aufblitzen und merkte, dass er sie ihr am liebsten entrissen hätte. Was war das nur für eine Pergamentrolle?
Mit flinken Fingern zog sie das Objekt seiner Begierde aus ihrer Tasche und legte sie auf die dunkle Arbeitsfläche. Ferris hatte seine Beherrschung zurück erlangt und wies sie an sich zu setzen. Die junge Frau ließ sich auf einem rotbepolstertem Stuhl nieder und beobachtete Ferris wie er nach der Pergamentrolle griff und sich ihren Inhalt ansah. "Hast du sie gelesen?" fragte er ruhig, nachdem er seine Augen von dem Blatt Pergament hatte lösen können. Ferris hatte eine außergewöhnliche Ausstrahlung, die einem sowohl Respekt einflöste, ihn aber auch sehr anziehend wirken ließ. Er war vielleicht 35 Jahre alt und hatte eine hohe Stelle in der Diebesgilde. Sein allesdurchdringender Blick war auf sie gerichtet, Raja arbeitete nun schon jahrelang für ihn und konnte sich noch immer nicht daran gewöhnen. Es schien als könnte Ferris Bin Ramdan Gedanken lesen und bis auf den Grund ihrer Seele blicken. "Ihr wisst, dass ich nicht lesen kann. Ich sollte die Rolle nur beschaffen, weiter nichts." Ein Lächeln schlich sich auf Ferris´ Lippen. "Du bist meine beste Diebin, Raja. Du zweifelst nie an deinen Befehlen und führst sie fehlerfrei aus." Ein spöttischer Blick traf ihn. "Weshalb sollte ich gegen die Auflagen meiner Aufträge verstoßen? Das wäre reine Dummheit." Ferris lachte, aber er wandte den Blick wieder der Pergamentrolle zu. Raja wartete geduldig bis er seine Aufmerksamkeit wieder auf sie richtete. "Du wartest auf deine Entlohung nicht wahr? Nunja, die hast du dir auch verdient." Es war ungewöhnlich von ihm sie mit solchem Lob zu überschütten.

Nun lief sie erneut durch die staubigen Straßen Trianas. Die Nacht war hereingebrochen und das Straßenbild hatte sich geändert. Das Gesindel kroch aus den Ritzen und Löchern in denen es sich tagsüber versteckt hielt. An jeder Ecke konnte man käufliche Frauen entdecken die möglicher Kundschaft schöne Augen machten, zwielichtige Männer streiften durch die Gassen und die Straßenkinder waren nicht mehr zu bremsen. Am Tage streiften durch die Armenviertel Patroullien und verwiesen die Frauen die in keinem ausgewiesenem Haus arbeiteten und die Straßenkinder von den Wegen. Doch Nachts konnte niemand sie von ihren Tätigkeiten abhalten. Dies war die Folge einer fragwürdigen Sparmaßnahme der Stadtwache. An Rajas Seite baumelte nun ein gut gefüllter Lederbeutel, gut verborgen unter ihrem Rock und gepolstert damit nichts verräterisch klimperte. Das Mysterium um die Pergamentrolle hatte ihren hübschen Lockenkopf bereits wiederverlassen, so wie es ihr seit jeher eingeimpft worden war. "Tus das was dir gesagt wurde und frag nicht nach."
Nun erreichte sie ihr Heim. Sie lebte bei Rorin, dem "Bibliothekar" der Gilde. Er war damit beauftragt, wertvolle Bücher ausfindig zu machen, zu stehlen und Kunden zu finden. Doch nicht jedesmal war dies möglich und so türmten sich in ihrem Haus die Bücher in jedem Regal. Rorin war zugegen, sein warmes Lächeln mit den braunen Augen begrüßte sie, und Raja ließ sich in seine Arme fallen. "Hallo, Kleines." meinte er liebevoll. "Du bist zurück." Er war großgewachsen, hatte rabenschwarzes Haar und war schlank und dratig wie ganz Triana. "Natürlich." sagte sie sanft. "Ich komme immer wieder."

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Tag der Veröffentlichung: 14.12.2011

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