Wenn mich das Heimweh packt...
Da ist er wieder, der altbekannte Schmerz in meiner Brust, der jedesmal wiederkommt wenn ich meiner geliebten Ostseeküste den Rücken kehre. Zügig fahre ich die Autobahn entlang, immer weiter komme ich der Großstadt Berlin entgegen, während ich wie von einem Magneten angezogen in den Sitz gedrückt werde. Zurück, zurück, zurück. In diesem Rhythmus scheint mein Herz zu schlagen. Schilder, Felder und Städte ziehen an mir vorbei. Doch ich kenne diese Autobahn wie meine Westentasche und weiß, dass bald das Schild naht das mir jedesmal die Luft abdrückt. Die Sehnsucht umzukehren flammt wieder einmal auf. Viel zu schnell fliege ich über den Asphalt. Da! Schon kommt es in Sicht.
„Sie verlassen nun Mecklenburg-Vorpommern. Wir wünschen gute Reise!“
Ich ziehe an diesem Schild vorbei und das nächste begrüßt mich bereits in Brandenburg. Deprimiert starre ich auf den Mittelstreifen der Autobahn. Wozu jetzt noch ab und zu aus dem Fenster blicken? Es ist nicht mehr meine Heimat, fühlt sich nicht mehr vertraut an. Hier bin ich schon in der Fremde. Die ersten Tropfen schlagen gegen die Heckscheibe und ich schalte die Scheibenwischer an. Dieses Wetter passt zu meiner Stimmung. Es pladdert immer kräftiger und die Welt verschwimmt, was mich wieder zum Träumen anregt.
Ich stelle mir vor wie ich am Strand stehe, hinter mir die Kreidefelsen und vor mir das Meer. Ich atme tief den Geruch von Seetang, feuchtem Sand und Salz ein. Nehme diesen Duft und die Erinnerung an diesen Moment tief in mich auf. Das wird das einzige sein, was ich in nächster Zeit von Zu Hause haben werde.
In unregelmäßigen Abständen besuche ich meine Eltern, meine Freunde und Bekannte in meiner geliebten Hansestadt. Dieses Wochenende habe ich endliche wieder Zeit dafür gefunden. Wie immer ist es viel zu schnell vergangen. Und doch hatte ich es mir nicht nehmen lassen, meinem Lieblingsort einen Besuch abzustatten. Vor nicht mal 3 Stunden stand ich am Strand von Kap Arkona und ließ mir den Wind um die Nase wehen. Oh wie sehr ich ihn vermisse. Das Gefühl wenn deine Haare umherflattern und du beinahe spürst wie der Wind alle deine Sorgen mit fort reißt ist einfach unbezahlbar. Es war ein nebliger Februartag und diese Tagen sind mir die Liebsten. Stundenlang kann ich so am menschenleeren Strand entlang wandern oder eine kleine Ewigkeit auf den Horizont blicken wo Himmel und Meer ineinander übergehen.
Eine frühere Leidenschaft von mir war das Sammeln von Donnerkeilen und Steinen. Donnerkeile, das sind versteinerte Urzeittierchen mit dem ähnlichen Körperbau eines Kalmars. Zwei Vitrinen und eine Unmenge von Glasbehältern gefüllt mit unzähligen Mitbringseln meiner Sammlertouren zieren meine Wohnung, in der das Thema „Ostsee“ vorherrscht. In Berlin lässt es sich schlecht sammeln, denn an der Spree werden selten Donnerkeile angeschwemmt. Also bleiben mir nur die ohnehin schon seltenen Stunden bei meiner Familie. Doch ich brauche diese Ausflüge ans Meer wie die Luft zum Atmen. Wochenlang muss ich von diesen kostbaren Stunden zehren, bis es mir wieder die Luft abschnürt und die Tränen in die Augen treibt.
Ich merke, dass das Heimweh schlimmer wird, wenn ich nachts von Rügen träume und noch am Morgen das Rauschen der Wellen und das Kreischen der Möwen höre. Hier in Berlin, dieser grauen Großstadtwüste, fehlt mir wohl der endlosweite Blick am meisten, denn hier wird er allzu oft vom gegenüberliegenden Haus verwehrt. Früher habe ich den Regen geliebt und den Geruch den die Umgebung danach verströmt, doch in Berlin riecht es dann immer nach feuchter Hundescheiße, muffig-nasser Erde und Abgasen, die dadurch noch stärker hervorgehoben scheinen. Dieser merkwürdige Erdgeruch missfällt mir am meisten, aber weshalb quetscht man Bäume auch in 1x1-Meter große Kästchen im Beton? Davon wird die Stadt keineswegs grüner! Mir fehlt der Duft von feuchtem Sand und nassem Laub, manchmal so sehr, dass es mich zerreißt.
Wie unendlich traurig-fröhlich bin ich, wenn ich jemanden aus „der Heimat“ begegne oder jemand anhand meines kleinen Dialektes erkennt wo meine Wurzeln liegen! Diese sprachlichen Feinheiten, wie das langgezogene E/Ä-Gemisch und das weiche Doppel-T das so manches mal zu „dd“ wird, sind mir heilig, denn sie sind Teil meiner Identität. Beinahe verzweifelt klammere ich mich an solche Kleinigkeiten, die mich noch an Zu Hause binden!
Langsam nähere ich mich meinem Ziel, die gelben Schilder weisen mir den Weg. Ich seufze, trotzdem fasse ich so langsam Vertrauen zu dieser Stadt und gewöhne mich daran. Wie ein kleines Kind starrte ich hoch zu den Flugzeugen am Flughafen Tegel die in besorgniserregender Tiefe über die Häuser flogen. Inzwischen sind sie auch Alltag geworden und man schmunzelt darüber was für ein aufregendes Tier diese Stadt am Anfang noch war. Ich habe Freunde gefunden und natürlich kann man hier viel mehr unternehmen, als in MV… und doch bleibt man der Heimat verbunden. Ich weiß, dass es meinem Land nicht sehr gut geht. Die Mehrheit ist arbeitslos und es gibt Probleme. Doch das ist es ja gerade, viel lieber wäre ich dort und würde helfen!
Eine Kleinigkeit die mir auch fehlt und mir immer noch anhaftet ist die norddeutsche Art. Oft werden wir als unhöflich bezeichnet, dabei sind wir nur schweigsam und halten einfach nichts von übertriebener Freundlichkeit und geheuchelter Freundschaft. Küsschen hier, Küsschen da und Umarmung zur Begrüßung! Wuäh! Umso öfter kann ich mich jedoch über die unhöflichen Verkäufer beklagen, die es überall gibt und doch scheinen sie in Berlin vermehrt aufzutreten. Eine weitere Sache die mich an Berlin stört ist diese gequält und gehetzt wirkende Atmosphäre. Mir geht es hier eindeutig zu schnell. Die Menschen scheinen in einem stetigen Rennen gegen die Zeit und ich frage mich stets, wen sie denn zu überholen hoffen.
Wie ein Rettungsring sind für mich die wenigen Tage der Ruhe die ich in meiner geliebten Hansestadt verbringen kann und auch diese kostbaren Stunden sind immer von dem Gedanken getrübt, dass man bald darauf wieder abreisen wird. Es ist als hätte jemand mein Herz in Ketten gelegt und mit meiner Heimatstadt und der Ostseeküste verbunden, als könnte ich nur frei und ohne Druck auf der Brust atmen, sobald ich das Eingangsschild erspähe.
Inzwischen quäle ich mich durch den Verkehr der Stadtautobahn und muss mich besser konzentrieren, auch wenn ich in dem Jahr das ich hier nun schon wohne den Berliner Fahrstil angenommen zu haben scheine. Ich seufze, kaum dass ich Berlin erreicht habe spüre ich den allgegenwärtigen Druck auf der Brust und in meiner Kehle.
Doch was bleibt mir anderes übrig, wenn es Zu Haus´ keine Arbeitsplätze gibt? Hier habe ich den scheinbar perfekten Arbeitsplatz gefunden; nette Kollegen, gute Bezahlung und die Arbeit macht mir Spaß und doch fehlen mir mit jeder Faser meines Körpers das Meer, meine geliebte Hansestadt und „meine“ Leute.
Ich halte vor meiner Wohnung an. Zu Hause, denke ich, endlich ausruhen von der langen Fahrt. Doch ich weiß, dass ich erst wieder Zu Hause sein werde, wenn ich es in ein paar Wochen wieder nicht länger aushalte und mir einfach die Zeit nehme hoch zu fahren, Freunde und Familie zu besuchen und mich auf den Weg zum Strand machen werde.
Erst dann werde ich Zu Hause sein.
Tag der Veröffentlichung: 14.12.2011
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