Cover

Titel

Henry Wolff

 

Der letzte Kampf um die Welt

 

 

Zweiter Teil

 

Brennendes Land

 

Part II – Schwarzer Rauch

 

Überarbeitet

 

Version 1.01

 

Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, Vervielfältigung und Veröffentlichung ohne die Genehmigung des Autors sind nicht gestattet.

 

Absolut alle Personen sind frei erfunden. Ebenso die Handlung in diesem Roman. Ähnlichkeiten sind somit nur zufällig und keinesfalls beabsichtigt.

Die Bilder sind eine Gemeinschaftsproduktion von Ölfarben, Pinsel und dem Wunderwerk PC.

 

247 Taschenbuchseiten bei 31 Zeilen

53354 Wörter

 

Altersempfehlung: ab 16 Jahren

 

Belletristik

 

Genre: Fantasy, Abenteuer

 

Meta: Fantasy, Roman, Zwerge, Riesen, Elfen, Zauberer, Magie, Kobold, Drachen, Wolf, Werwolf, Götter, Druide, Götterdämmerung, Abenteuer, Odin, Walküre, Walhalla, Asgard, Norne, Fenriswolf, Hel, Thor, Kampf, Schwert, Nibelungen, Wikinger, Alben, Midgard, Räuber, Troll, Burg, Ritter, Rüstung

 

 

Bücher dieser Reihe:

 

  1. Vergangenheit und Gegenwart
  2. Und so began es …
  3. Der schwere Weg
  4. Schwerter in der Nacht
  5. Schwarzer Rauch
  6. Das Schwert der Gezeiten
  7. Das große Beben

 

 

© 2014/2015 by Henry Wolff

   Illustration by Henry Wolff

 

Klappentext

Die Dunkelheit streckt ihre Fühler gen Norden aus.

Meile um Meile kommen die Kolonnen voran. Begleitet von einem Strom aus Blut. Und scheinbar unbemerkt von den Großen dieser Welt.

Thoralf verrichtet auf der Schicksalebene seinen Dienst im Auftrag der Schicksalsnornen und macht eine unverhoffte Bekanntschaft.

Odin schickt Thor, um mit der Macht des Gottes die Krone Asgards zu erringen.

Der Vampirfürst folgt dem Zauberer zum Wehrwall, während der Fenriswolf versucht, sich von den Ketten der Götter zu befreien.

Sindri nähert sich mit einer Heerschar Zwerge dem Donnergebirge, wo Goram immer noch mit dem Tode ringt.

Stefan von Adlerstein jagt all die zwielichtigen Gestalten auf dem Lehen seines Vaters, um die ritterlichen Kassen zu füllen und empfindet dabei mehr und mehr Erregung.

Der Krieg zieht sich die Worlag entlang in das Zentrum der mittleren Lande, von wo sich ein kleiner Trupp zu den Elfen aufmacht, um Dracheneier zu stehlen. 

Arbeitsalltag

„He, du Trollkopf! Wo willst du denn hin?“, regte sich Welf wieder einmal künstlich auf.

Zusammen mit Vali stand er auf einer Steinplatte am Rand des Weges. Und maulte jeden an, der so unvorsichtig war und seinen Dunstkreis streifte. Was für ein Spaß!

Eine Kampfeinheit beisammenzuhalten war ziemlich heftig. Mehrere davon sogar der pure Stress! Besonders, wenn diese aus unterschiedlichen Spezies bestanden. Ein Sack Flöhe, na ja, man kennt das ja. Selbst Welf hatte dies mittlerweile eingesehen. Und begriffen, dass sein außergewöhnliches Hobby auch zum Gutteil in harte Arbeit ausartete.

„Spazieren! Was sonst? Frag doch nicht so dämlich, du Volltrottel!“, schnauzte der Angesprochene zurück.

Und wandte sich geringschätzig ab, um seinen Weg fortzusetzen. Zog kräftig an dem Strick, an dem er drei gefesselte Gefangene hinter sich herführte.

Vali hob ruckartig den Kopf. Schnaufte. Fletschte die Zähne. Sandte drohende Blicke.

„Ein wenig mehr Respekt vor deinem Befehlshaber, wenn ich bitten darf!“, knurrte er leise.

Was völlig genügte. Das Großmaul sackte in sich zusammen und begann zu schwitzen. Ziemlich schnell sogar.

„Also, wir hören! Das war ja wohl gequälte Scheiße, was du gerade von dir gegeben hast! Spazierengehen! Mit den Gefangenen! Ha, ha! Und immer hübsch weg vom Lager! Hältst uns wohl für blöd, was? Nun mach schon endlich, und verdammt noch mal, dein Maul auf! Du krummbeinige Ratte!“, säuselte Vali weiter.

Ganz in einem Ton, als würde er mit einem kleinen Kätzchen sprechen.

„Ich ... Ich. Verdammt! Ich. Ich wollte doch nur ...“, stotterte das Großmaul, welches jetzt gerade ein Angsthase war.

„Ja, ja. Wir wissen schon, was du wolltest!“, polterte Welf. „Du wolltest unsere Sklaven verkaufen! Oder nicht? Ein paar Privatgeschäfte, was sonst! Abseits des Lagers! Hinter dem Rücken der Armee! Oder wolltest du dir gar ein paar eigene Sklaven zulegen? So ganz privat, meine ich? Wartet deine Frau etwa auf dich? Irgendwo da draußen? Nichts da! Sieh zu, dass du dich verpisst! Aber in die richtige Richtung! Nämlich zum Sammelpunkt. Dort übergibst du hübsch brav deine Gefangenen dem zuständigen Spieß. Und machst anschließend bei deinem Vorgesetzten Meldung. Über das, was du so vorhattest. Und bilde dir nur nicht ein, du Jammerlappen, dass ich nicht nachfrage. So schnell werde ich dich nicht vergessen!“

„Oh, nein“, kicherte Vali. „Werden wir nicht. Beim nächsten Angriff wirst du ganz vorne sein. Futter für die Würmer, gewissermaßen.“

Jammern und Wehklagen! Der Gescholtene schleppte sich davon. Als wenn dies jemand interessieren würde!

„Gut, das du immer an meiner Seite bist“, stellte Welf trocken fest.

„Na ja. Heute noch. Morgen noch. Bis zur Grenze dieser Grafschaft. Dann werde ich dich verlassen. Für eine gewisse Zeit, zumindest.“

„Wieso? Wohin? Was soll das? Du kannst nicht gehen! Ich habe mich doch schon so sehr an dich gewöhnt! Du bist mein großer Schoßhund, gewissermaßen“, maulte Welf.

Und wandte ruckartig, in gespielter Verzweiflung, seinen Kopf.

„Spezialauftrag. Geheimauftrag. Vom Alten persönlich. Ich soll hinüber in die alten Königslande. Mich dort ein wenig umhören. Und dann weiter. Bis an die Grenzen zum Elfenreich. Einen Weg auskundschaften. Einen Durchlass finden. Einen gefahrlosen. Möglichst nicht bewacht. Dann zurück, immer an den Wassern der Worlag entlang.“

„Interessant! Dann scheint es ja endlich richtig loszugehen. Vielleicht schon bald“, zog Welf seine eigenen Schlüsse. „Ich dachte schon, mein Vater hätte unseren Herrn kastriert. Keinen Mumm mehr, nur noch Schiss in der Büx! Wenn du verstehst, was ich meine.“

„Hä, hä. Klar doch. So denken viele. Aber der Alte ist gerissener, als die meisten denken. Und von deinem Vater lässt er sich schon gar nichts sagen. Er tut nur so, damit er seine Ruhe hat. Und alle seine Berateridioten gegeneinander ausspielen kann.“

„Was vorzüglich klappt“, ergänzte Welf. „Wie lange wirst du weg sein?“

„Oooch, nicht lange. Zehn Tage. Vielleicht. Oder zwölf. Dann hast du mich wieder.“

„Hm, da kann ich wohl nichts machen. Aber die Zeit ist nicht lang. Ich werde es wohl überleben. Es ist nur so, diese Dreckfressen nehmen mich immer noch nicht für voll! Selbst wenn ich ihnen Fleisch aus ihren Körpern schneiden lasse! Wieso haben die nur so viel mehr Respekt vor dir? Ist es die Größe?“

„Hä, hä. Du weißt es nicht? Hast es gerade gesagt! Du lässt herausschneiden! Genau darum geht es!“, feixte Vali und stülpte die Oberlippe hoch. „Du bist hier der Planer. Das Weichei im Hintergrund! Ich und die anderen, wir sind die Frontschweine. Die Knallharten! Naja, wie das so ist. Wir passen aufeinander auf. Eine verschworene Gemeinschaft und solch Blabla. Frontschweine halten eben nicht viel von Weicheiern, die sich von Mami noch die Schuhe zubinden lassen müssen.“

„Dafür hältst du mich? Für ein Weichei?“

„Schon möglich. Könnte sein. Vielleicht noch für so einiges andere.“

„Und das wäre? Spuck`s schon aus, du unterbelichtetes Fellknäuel. Ohne mich wüsstest du doch noch nicht mal, wann es Tag oder Nacht ist! Los, spuck`s schon aus. Was noch?“

„Muss das jetzt sein?“, maulte Vali.

„Ach, nun komm schon, alter Freund! Du hast doch angefangen.“

„Bäh! Leck dich! Wie kannst du übrigens sicher sein, dass ich dir die Wahrheit sage? Hä?“

„Leck dich wieder! Und, kann ich nicht. Ich möchte es nur gerne einmal hören. Außerdem weiß ich, wann du lügst. Hab ich schon lange geschnallt. Beim Spielen bist du immer leicht zu durchschauen!“

„Alles klar! Deswegen gewinnst du Bastard so oft!“

„Leck dich! Also?“

„Leck dich noch einmal! Nun ja, ich gebe es zu, du hast so deine Talente. Also schön. Kurzfassung. Ich mag dich. Doch, ehrlich! Ganz besonders, wenn du mich kraulst. Oder verwöhnst. Hat Loki noch nie gemacht. Auch sonst keiner. Außerdem ist es hier interessant. Mit dir und allem drum herum, meine ich. Besser als in Hels Hallen. Und als wenn ich alleine Unheil stifte. Es törnt mich an, wenn du dummes Zeug veranstaltest. Besonders, wenn du all dieses fiese Zeug ausbrütest! Oh ja, Fiesheit macht mich so richtig heiß. In ekelhaften Dingen bist du ein Meister. Versteh mal richtig, du bist der Planer. Der Schlachtenlenker im Hintergrund. Aber niemals würde ich mit dir zusammen auf die Jagd gehen. Zumindest nicht an vorderster Front. Klaro? Begriffen? Fang jetzt bloß nicht an zu zittern! Wenn du eingeschnappt bist, dann zitterst du immer so hässlich. Das macht mich ganz wuschig! Übrigens, leck dich! Sagte ich das schon?“

„Hm. Glaube ja. Von mir aus. Leck dich ebenfalls noch einmal. Und dann am besten gleich noch mal. Außerdem schnappe ich nicht ein. Mit dem, was du sagst, kann ich ganz gut leben.“

„Ehrlich?“, schniefte Vali. „Wer's glaubt! Leck, leck, leck!“

„Leck zurück. Doch, ehrlich. Ich bin kleiner als du, schon vergessen? Und kräftemäßig kann ich es schon lange nicht mit dir aufnehmen. Denkst du etwa, das weiß ich nicht? Und dort, wo du kämpfst, da möchte ich gar nicht hin! Ratzfatz, schon hätte man mir den Schädel geöffnet.“

„Wohl wahr, du Weichei!“, frotzelte Vali und versuchte zu grinsen.

„Ich torkel zwar nicht wie eine Schnapsnase an vorderster Front herum, aber ein Weichei bin ich deshalb noch lange nicht“, versuchte Welf ein wenig beleidigt zu klingen. „Wo wärt ihr Schlaffis denn, wenn ich ... Eh, du Rattengesicht! Ja, dich meine ich! Den hässlichen Werwolf mit dem weißen Streifen auf dem Rücken! Was soll das werden? Habt ihr wieder mal nicht zugehört, ihr Schweinedärme?“

Grunz, grunz. Es hätte nicht viel gefehlt und der Werwolf mit der eingedrückten Fresse hätte sich auf Welf gestürzt. Und all seine Kameraden, die nicht besser aussahen, dabei mitgenommen.

Ein Fauchen! Vali. Der gute alte Vali! Ein Frauchen reichte bei ihm, wo andere sich die Stimmbänder aus dem Leibe schreien mussten.

„Ihr sollt sie trennen! Hört ihr? Männer und Frauen trennen! Kennt Ihr überhaupt den Unterschied zwischen den beiden? Bei den Menschen? Schaut ihnen zwischen die Beine, wenn ihr nicht sicher seid! Und wenn ihr Knalltüten dann immer noch nicht wisst, was los ist, dann zeig ich es euch persönlich. Und lass euch anschließend die Augen ausstechen, damit ihr es auch blind versteht.“

Bösartiges Knurren. Welf konnte regelrecht in den Augen sehen, wie die Viecher in Gedanken seinen Heldenkörper anknabberten. Widerwilliges Knurren. Auch eine Antwort. Wütendes Knurren. Dass sich aber ziemlich ängstlich anhörte, nachdem Vali ein paar Mal mit dem Kopf gewackelt hatte.

„Versteht doch“, versuchte Welf es noch einmal im Guten. „Wir können nicht alle mitnehmen. Wir wollen nicht alle mitnehmen. Der größte Teil, wirklich der größte Teil bleibt hier. Geht zurück zum Wehrwall. Oder wird verkauft. Die Händler sind schon da und warten. Deswegen müssen wir sortieren. Männer und Frauen. Kinder auch extra. Die Alten ebenso. Wir behalten nur die Kräftigsten. Und nur, die willig sind. Das gilt auch für die Kinder. Die Trotzigen und Mutigen verkaufen wir. Und sollte jemand außerdem noch intelligent sein, dann gleich Rübe ab. Die sind immer gefährlich! Versteht doch, wir dürften auf unserem Vormarsch nicht langsamer werden! Keiner darf uns aufhalten oder behindern! Deswegen bleiben die Alten gleich ganz hier. Genau wie die Kranken und Verwundeten. Tötet sie.“

„Macht handliche Fleischpakete“, riet Vali. „Schnallt diese auf den Rücken! Für unterwegs, meine ich. Aber nicht zu viele. Viel heißt schwer, wenn ihr wisst, was ich meine.“

„Oder schmeißt sie in den nächsten Graben. Legt sie von mir aus auch auf den Grill. Verstanden?“, ergänzte Welf schmunzelnd.

„Nicht ganz“, kam ein ziemlich genervtes Knurren zurück. „Was ist, wenn wir keinen Grill haben?“

„Schleppen mag ich auch nicht!“, nörgelte ein anderer.

„Willst du uns vorschreiben, wie wir essen sollen? Hä? Grill und so weiter! Wie vornehm!“

„Rohkostsalat, das geht doch auch, oder?“, schlug einer der kleineren Werwölfe vor.

Und ohne auf Welfs Bestätigung zu warten, fingen die Wölfe an auszusortieren. Zuerst die Alten. Kranke Die Schwächlinge, in ihren Augen. Schnell und effektiv. Niedergerissen wurden sie. Ohne Vorwarnung. Zerfleischt. Mit schreckgeweiteten Augen, noch sehr lebendig. Erst als der Tod nahte, fanden sie ihre Stimme wieder.

Blut spritzte. Fleisch, in kleinen oder großen Portionen, verteilte sich in der Umgebung. Etwas klatschte auf Welfs Wange. Nass und schleimig. Ein kleines Stück Darm.

„Igitt!“, tobte Welf. „Ich hasse diese Bande! Absolut keine Kultur! Und nur geistiger Dünnschiss in der Birne! Wenn Walram nicht so sehr auf diese Viecher stehen würde, niemals würde ich mich mit diesem Dreck abgeben! Kannste glauben! Was sagst du denn dazu? Dich stört das alles nicht, oder? Hunger? Vielleicht willst du gar bei dieser Sauerei mitmachen?“

„Nein, ich warte“, kicherte Vali. „Klar, auch ich habe Kohldampf. Aber ich warte. Siehst du? Da! Den gut durchtrainierten Mordskerl! Mit den langen Reißzähnen! Und der edlen hammermäßigen Schnauze! Dicht neben dem Weißrücken. Was für Muskeln! Was für ein Körper! Und das Fell, wie es glänzt! Wenn der Süße satt ist, dann fresse ich ihn. Alter Tipp von meiner Großmutter! Hast du eine Ahnung, wie das schmeckt? Zufriedenes Fleisch? Satt und wohlgenährt? Mit frischen Säften, die sich gerade verteilen? Da legst du dich lang hin, einfach genial!“

Dunkle Wolken

 

Dunkle Wolken quollen über den Rand der Schicksalsebene. Es waberte, es brodelte. Ohne Unterlass und schon viele Tage lang. Bedrohlich. Angst einflößend. Und dabei immer geheimnisvoll. Ein heller Lichtstrahl durchbrach den Tanz der Schatten. Da, noch einer. Bald würden es mehr werden. Bis die Dunkelheit vertrieben war. Aber nur, bis diese irgendwann zurückkehrte. So war es doch immer! Schon seit den ersten Augenblicken, die Thoralf hier auf der Schicksalsebene verbringen musste.

Gebannt schaute er zu, wie der Atem der Dunkelheit in dünnen Schwaden die Grenze der Ebene enterte. Verstohlen zogen sie über das karge Land und brachten eine unwirkliche Stille mit. Schwärzten es teilweise sogar. Und wurden dabei immer dünner und kraftloser. Bis sie schließlich wieder ganz verschwanden.

Zu gern wäre Thoralf bis an den Rand des Plateaus gekrochen und hätte über den Rand gespäht. Mitten hinein in das Herz der Schatten. Mitten hinein in die wallenden Schemen.

Aus Midgard zogen sie heran. Unentwegt. Vom Fuße des Donnergebirges her, welches wie ein Wächter den Norden vom Süden trennte und nur an drei Stellen eine Passage erlaubte.

Doch leider hing Thoralf fest. Wieder einmal. Es war zum Haare ausraufen!

Tja, wenn er denn noch welche hätte!

Schon immer zog ihn dieser Kampf zwischen dem Licht und der Dunkelheit an. Zumindest, seitdem er hier war. Anfangs gewann der helle Schein immer schnell die Oberhand. Behauptete schon verloren geglaubten Boden. Doch änderte sich dies zunehmend. Immer länger blieb die Dunkelheit und wurde deutlich stärker.

Wenn Thoralf nur genau genug hinschaute, so konnte er sogar Einzelheiten ausmachen. Sah vielerlei Gestalten unterschiedlichster Art. Kriechend, laufend, fliegend. Geheimnisvoll, dunkel, lauernd.

Und er hörte all das Wispern, das Raunen. Sah, wie all die unterschiedlichen Wesen zusammenstrebten. Sich fanden, sich bissen. Kleine. Große. Nur in einem gleich. In ihrer Bösartigkeit nämlich.

Dort unten in Midgard braute sich etwas zusammen. Etwas Mächtiges, Gewaltiges. Mehr als nur ein Krieg. Ja, sah außer ihm denn dies niemand? Begriff niemand, was dort geboren wurde und heranwuchs? Nicht die Nornen? Nicht die Götter? Und was war mit den Menschen, die schon jetzt in Scharen flohen und abgeschlachtet wurden?

Wie durch eine riesige Linse konnte Thoralf aus dem Universum in das Himmelszelt über Midgard blicken. Und oftmals offenbarten sich ihm sogar die Einzelheiten des Geschehens. Ganz so, als wäre er dabei.

Man roch regelrecht die Angst der Menschen in der Nacht. Spürte ihr Zittern, wenn sie gejagt und geschlachtet wurden. All die Vergewaltigungen! Ob jung oder alt. Ob männlich oder weiblich. Das leidvolle Wimmern der Unschuldigen, wenn fremde Zähne lustvoll in ihre Körper drangen.

Und erst diese grausamen Schreie, wenn Stahl oder rohe Gewalt die Körper zerriss.

Besonders schlimm die Ignoranz der anderen, die nur ein paar Meilen weiter wohnten. Und gleichgültig ihr Tagwerk weiter verfolgten. Fremdes Leid, fremder Schmerz. Wen interessierte dies schon? Man hatte genug mit sich selber zu tun.

Keine Widerrede gegen die Dunkelheit. Keine Zusammenrottung der Gerechten. Nur einzelne Stimmen, die der Vorhersehung huldigten. Nach guten Tagen kamen immer auch schlechte, so der Tenor. Man müsse eben das Leid genau wie die Freude ertragen. Am besten mit gesenktem Kopf. Was für ein Blödsinn. Aber ein jeder schien danach zu leben.

Genervt zog Thoralf noch einmal an dem langen Tragband. Daraufhin noch einmal, dann noch mal. Allein, es half nichts. Die Tasche hing fest. Zwischen zwei kantigen spitzen Steinen hatte sie sich verklemmt.

Vermaledeite Tasche! Eigentlich kein Problem. Sich umdrehen, zwei Schritte zurück, sich bücken, die Tasche anheben. Das war's. Oder sollte man besser sagen: Das wäre es! Nämlich ein Leichtes.

Wenn es das Wörtchen „Wenn“ nicht gäbe. Wenn man nämlich aufrecht stehen könnte! Wenn Fleisch und Muskeln noch den Körper bedeckten! Ja, wenn die Beine noch ganz wären und nicht gebrochen. Und noch so einiges mehr. Wenn, wenn, wenn.

Thoralf hasste dieses Wort. Und doch begleitete es seinen Tag. Seit Wochen und Monaten. Außerdem half ihm ein „Wenn“ nicht weiter.

Stattdessen würde er sich mühsam drehen, die mittlerweile scharfkantigen Fingerknochen in den Boden einkrallen und sich kräftezehrend zurückschlängeln. Hin zu den Steinen. Und dabei aufpassen, dass die Knochen so wenig als möglich den Boden berührten.

Sie hinterließen nämlich dann und wann eine weiße Spur. Sie schliffen ab und das war nicht gut. Schmerzhaft sogar, auch wenn dies so manch anderer nicht zu glauben vermochte. Was, bitte schön, konnte denn noch schmerzen, wenn man ein Skelett war, hm?

Alles Narren! Man wusste immer erst, wie es sich anfühlte, wenn es soweit war. Gleichwohl man vorher auch etwas anderes behaupteten mochte. Es war ganz einfach nicht möglich, gefühlsmäßig etwas im Voraus zu erleben. Anders als manchmal gedacht.

Abgeschliffene Knochen, die sich in jeder Nacht erneuerten! Na toll! Oder zum Glück? Hm. Dazu beide Beine gebrochen. Wie man es auch sehen mochte, dies war nicht lustig!

Ja, vielleicht fühlte man im Tod tatsächlich nichts mehr, das mochte schon sein. Vielleicht war dies sogar die Regel. Aber die galt nicht für ihn.

Vielleicht war es eine gesonderte Dreingabe von Skuld. Dieser grimmigen Schicksalsnorne. Welche gleichzeitig seine Chefin war. Sie hatte noch zwei Schwestern, aber mit denen kam Thoralf gut aus. Aus irgendeinem unerfindlichen Grund war Skuld die fleischgewordene Bosheit. Zumindest ihm gegenüber. Keine Woche verging, keine Gelegenheit verstrich, wo sie ihn nicht irgendwie traktierte. Und dies nicht nur mit Worten. Mal stellte sie ihm ein Bein, mal gab es Tritte. Und ihr Messer, oh ja, mit dem schabte sie zu gern auf seinen bleichen Knochen herum.

Zum Glück war Thoralf die meiste Zeit allein. Und konnte tun, was ihm beliebte. Wenn er denn dazu fähig war.

Nur nachweisen musste der Diener wider Willen, dass er seinem jeweiligen Auftrag nachging. Und das er sich all der Leiden, mit denen sie ihn fütterte, auch bewusst war. Was hatte er ihr nur getan? Hatte er überhaupt etwas getan? Oder machte fremder Schmerz sie einfach nur feucht?

Ach, es war müßig, über diese Dinge nachzudenken. Und kostete nur unnötig Energie. Denn diese brauchte er noch. Für angenehme Sachen, zum Beispiel. Denn die gönnte er sich nach wie vor.

Ein wenig Spaß, ein wenig Freude. War das letztlich nicht tausendmal wichtiger als jede Art von Ärger? Bestimmt.

Nur, die Norne durfte von seiner Suche nach ein wenig Hoffnung nichts erfahren. Sein Spaß wäre der Norne Ärger. Aber zum Glück gab es Dinge im Universum, die sich ihrer Wahrnehmung entzogen. Freude zum Beispiel. Oder Besinnung. Ruhe und Ausgeglichenheit und noch so etliches mehr.

Thoralf hob den Kopf und schaute hin zum Rand der Ebene. Sollte er oder sollte er nicht? Die Tasche endlich vom Hindernis lösen? Und ab zum Rand der Schicksalsebene? Dies hatte er in der Vergangenheit oft getan. Es machte Spaß und lenkte ihn ab.

Denn dort am Rand der Welten schwand sein Leid. Dort konnte er in aller Ruhe nachdenken. Sich in Träume versenken. Und all die Lieben beobachten, die weit unter ihm in Midgard ihr Leben lebten.

Sogar bis nach Asgard konnte er schauen. Zumindest dann und wann, wenn die Sicht gut war. Dazu kamen etliche andere Welten. Alle noch weiter entfernt und kaum auszumachen. Muspelheim, Niflheim, Vanaheim, Jötunheim, wie sie alle hießen.

Und in Midgard konnte Thoralf auch dann und wann Leif beobachten, seinen Freund aus Kindertagen. Durch das Leben und letztlich durch den Tod auf ewig verbunden. Eigenartigerweise manchmal im Licht und dann wieder in der Dunkelheit. An zwei verschiedenen Orten schien sich der alte Freund aufzuhalten. Zwei unterschiedliche Leben zu leben. Was war das nur? Ein Trugbild?

Die Erinnerungen an die letzten Stunden kehrten zurück. Nie wollten sie verschwinden. Oder auch nur ein wenig verblassen. Wie ein hartnäckiger Fluch, so peinigten sie ihn. Und stellten dabei immer wieder dieselbe Frage. War es richtig? War es das wert, den höchsten aller Preise zu bezahlen? Für einen Menschen, bei dem Thoralf bis zuletzt nicht mit Sicherheit sagen konnte, ob dieser den hohen Titel Freund auch verdiente?

Egal, was geschehen war, war geschehen. Möge sich alles so wenden, wie es das Schicksal vorsah.

Thoralf wandte sich ab. Drehte den Kopf zurück, befühlte seine geschundenen Knochen. Und seufzte erbärmlich. Nein, heute würde er nicht über den Rand dieser Welt blicken. Heute mussten all die Galaxien und kosmischen Nebel alleine in ihrer Schönheit baden und auf seine Bewunderung verzichten. Die Entfernung hin zu diesem tiefen Abgrund mit dem Sternenfeuerwerk war einfach zu groß.

Er war erschöpft. Unglaublich erschöpft. So müde. Und hatte Schmerzen. Ohnehin glaubte Thoralf nicht, dass sich da unten, um den Weltenbaum herum, etwas Großes tat. Erst letzte Woche hatte er stundenlang in die Welt der Lebenden geblickt und nichts Neues entdeckt. Es war alles beim Alten. Jedenfalls empfand Thoralf dies. Ganz so wie die vielen Male zuvor. Leifs Leben im Licht tröpfelte dahin. Geregelt und farblos. Genauso, wie das der anderen.

Anfangs hatte er noch regelmäßig eine Verbindung mithilfe des kleinen Fingerknochens aufgebaut. Um die Gedanken zu vereinen. Und tanzen zu lassen, so wie er es nannte. Es war ihnen beiden immer wieder ein Trost. Solange noch eine Verbindung bestand, welcher Art auch immer, war nichts endgültig, bestand Hoffnung.

Aber so nach und nach wurden diese gemeinsamen Stunden weniger. Leif konnte noch immer nicht von seinen Selbstvorwürfen lassen. Und Thoralf war mehr und mehr von diesem ewigen Selbstmitleid gelangweilt. Außerdem trat kaum etwas Neues in ihr Leben, was berichtenswert wäre und sie miteinander verband.

Bald würde die Verbindung wohl ganz abreißen, wenn nicht vorher etwas Außergewöhnliches geschah. Thoralf ahnte es. Sie waren eben getrennt durch Zeit und Raum, im wahrsten Sinne. Wahrhaftig, für keine Art von Freundschaft förderlich. Und keiner von ihnen konnte die Schranken zwischen den Welten überwinden. Bis auf die Schatten! Was mochten sie nur bedeuten? Waren sie eine Art Vorhut? Eine Drohung?

Ein unsichtbarer Schatten

 

Uguriel huschte hinter einen Baum und machte sich klein. Eine Wache kam des Weges und grüßte den Zauberer, der etwa einhundert Schritte vor ihm einem festen Ziel zustrebte. Es war nicht die erste Wache auf seinem Weg hierher. Wo war er bloß hineingeraten! Was war hier bloß los?

Wenn das so weiter ging, würde er den Zauberer noch verlieren. Aber dies war vielleicht sein geringstes Problem. Er könnte nämlich auch geschnappt werden, egal wie schnell er war. Und dann hieß es: „Adieu, du köstlicher nächster Festschmaus.“

Denn die Anzahl der Wachen nahm stetig zu. Dazu kamen jede Menge verschiedenartiger Wesen. So viele, je mehr sie einem festen, ihm unbekannten Ziel zustrebten. Selbst kleinere und mittelgroße Kampfeinheiten hatte Uguriel auf dem Weg hierher schon ausmachen können. Die alle entlang der Nebenwege lagerten, soffen und vögelten. Querbeet, das Geschlecht erschien wohl nebensächlich. Ebenso die Spezies.

Zwischen den Kampfeinheiten gab es jede Menge Stellplätze mit Wagen voller Furage. Meistens Menschen beiderlei Geschlechts. Alles Diener, Handwerker und Köche. Die eine oder andere Hure war wohl auch darunter. Genauso wie Diebe. Eben alles, was man von einem großen Heerlager so erwartete.

Natürlich auch Henker, nicht zu vergessen. Ihre Opfer baumelten im Wind oder wanden sich in engen Käfigen. Die Krähen in Scharen taten sich gütlich an den Kadavern. In bester Gesellschaft von so manch dunklem Geschöpf. Jene, welche in ihren Kampfeinheiten nicht satt wurden. Dieser düstere Ort war das reinste Paradies für sie. So viel Nahrung! Totes Fleisch! Lebendes Fleisch! Die Entscheidung fiel immer schwer!

Wenn einer dies verstand, dann Uguriel. Selbst ihm lief schon seit geraumer Zeit das Wasser im Mund zusammen. Aber er hatte noch ein Ziel!

Uguriel war bloß froh, dass Agradon nicht bei ihm war. Heilfroh sogar. Der dumme Kerl hätte sie bestimmt schon längst in Schwierigkeiten gebracht. Zum Glück, wie sich nun herausstellte, hatte sein Diener frühzeitig aufgegeben. Nur ein Viertel des Weges ihrer Verfolgungsjagd hielt er durch. Letztlich war der Hunger zu groß. Und seine Natur zu übermächtig.

Schon kurz, nachdem der Zauberer ihre heimatlichen Höhlen im Tal verlassen hatte, waren sie dicht hinter ihm gewesen. Den Eingang hatte der Kerl nicht wieder verschlossen. Ob er es nicht konnte oder nicht wollte, war letztlich egal.

Jedenfalls waren Fürst und Diener plötzlich frei. Doch während der Fürst fanatisch ein Ziel verfolgte, konnte sein Diener nicht an sich halten. Vielmehr biss, saugte und knabberte Agradon an jedem Lebewesen herum, dass er auch nur erhaschen konnte. Die meisten davon waren Mäuse. Einige wenige Wesen waren sogar noch kleiner, andere etwas größer. Und so brauchte der Nimmersatt eine Menge davon, bis sein Magen ihm meldete, dass er jetzt voll sei.

Aber selbst dann konnte dieser dumme Fledermausvampir nicht aufhören. Und so kam schließlich, was kommen musste. Nämlich das Bauchweh und was damit einhergeht. Agradon lag jetzt irgendwo im Gras und stöhnte vor sich hin. Viele Meilen, sehr viele Meilen weit entfernt.

Weit weg von ihm und dies war gut so. Das hier wäre nichts für ihn gewesen. Als Vampir war man gewöhnlich schnell unterwegs und wurde eins mit den Schatten der Nacht. Aber für diesen speziellen Job hier brauchte man einen Meister. Und dieser hieß nun einmal Uguriel. Er war der Fürst aller Krieger der Nacht. Zumindest am Rande des Gebirges! Ihm und dem Lockruf des Blutes waren seine Anhänger schon immer gefolgt, denn er war gut!

Aber jetzt Schluss mit all diesen Gedanken! Wollte er überleben, musste er sich konzentrieren! Aufpassen also! Denn hier war er der Eindringling! Nur nicht entdecken lassen! Schnappen schon gar nicht. Denn den Verlust an Freiheit hatte Uguriel kennengelernt. Und wie sich das anfühlte, was man dabei verlieren konnte, schon einmal erfahren. Und mehr als hundert Jahre mit den Folgen gelebt. Also aufgepasst!

Die Wache kam näher. Was für ein Gestank! Aber andererseits, die Hitze des Körpers blendete geradezu. Und erst das Herz! Wie es pulste! Wie es jagte und die rote Köstlichkeit durch die Adern trieb! Bei allen Göttern! In der Not war selbst dieser lebende Abfall verführerisch. Ein muskulöser Schrat, sieh an! Der Speichel sammelte sich im Mund, ob man wollte oder nicht. Uguriel drehte sich ein wenig um den Stamm. Die Wache schritt vorbei. Weiter ging’s. Wie weit noch? Ein wenig beschämt gestand der Fürst sich dies ein, aber er würde jetzt doch gerne eine Mahlzeit zu sich nehmen. Schon lange hatte er die Grenzen seiner Kräfte überschritten.

Der Wald wurde lichter, der Pfad breiter. In einiger Entfernung tat sich eine riesige Felswand auf, die von unzähligen Fackeln beleuchtet wurde. Stimmengewirr und Waffengeklirr ohne Ende übertönten die Lieder der Nacht. Hier war etwas Großes, Gewaltiges am Wirken. Uguriel war beeindruckt. Und gratulierte sich selbst zu dem Entschluss, dem Zauberer zu folgen, statt ihn an Ort und Stelle auszusaugen.

Seine Beute war wohl hier Zuhause, eventuell sogar eine wichtige Person. Nämlich, dieser Kerl strebte ohne Zögern einem festen Ziel zu. Und all die Wesen auf seinem Weg erwiesen ihm Respekt. Vielleicht hatte er sich geirrt und der Kerl war doch nicht so ein großes Weichei, wie er ursprünglich dachte.

Doch aufgepasst, nur nicht träumen! Da kam erneut eine Wache. Der Fürst roch sie schon von Weitem. Pferdeschweiß, Alkohol und Urin. Igitt, sehr unappetitlich! Für Agradon bestimmt das Richtige. Er selbst bevorzugte Sahne. Und bitte möglichst frische!

Uguriel huschte abseits des Weges hinter einen dichten Busch. Wolken bedeckten mittlerweile den Nachthimmel und selbst den Mond. Es war dunkel geworden, gut für ihn. Aber eine angemessene Vorsicht hatte noch nie geschadet. So bog Uguriel ein paar hinderliche Zweige beiseite und lugte hinaus auf den Weg. Vielleicht war die Wache ja schon vorbei! Aber das war sie nicht. Ganz im Gegenteil.

Ein Mensch war es diesmal und er war stehen geblieben. Neben dem Zauberer. Beide schienen ein angeregtes Gespräch zu führen, arbeiteten sie doch mit Händen und Füßen. Naja, wenn er ehrlich war, glich dies eher einem Streitgespräch zwischen einem Befehlshaber und einem störrischen Untergebenen.

Aber wie das so oft ist, der Befehlshaber gewann. Obwohl er keineswegs der Stärkere war. Vielleicht sogar nicht einmal der Klügere. Aber egal, das Menschlein fügte sich und machte kehrt. Um offenbar einer neuen Aufgabe zuzustreben.

Auch der Zauberer verließ den Pfad und strebte seitwärts zu einer kleinen Lichtung. Dort angekommen setzte er sich auf einen Baumstumpf und verharrte fast regungslos. Ideal! Uguriel war begeistert. Bot das Umfeld doch jede Menge Deckung, um sich ungesehen bis auf wenige Schritte heranarbeiten zu können. Was er dann auch tat, bis er den Schweiß riechen und das Herz pochen hörte.

Thor

 

strich Falk über Knurrs goldenes Köpfchen. Ein Köpfchen, das eigentlich schon ein Kopf war. Oh ja, aus dem apfelgroßen Flugdrachenbaby war ein kalbgroßes Flugdrachenkind geworden. Handtellergroße Augen schauten schmachtend und lieb unter einer Langhaarfrisur hervor.

Aber, von wegen lieb! Lieb war der kleine Drachen nur, wenn es ihm in den Kram passte. Oder aber, er war müde. Zugegeben, es gab in der Vergangenheit schon jede Menge Menschenkinder, die bissiger und dickfelliger waren. Allerdings konnte Knurr es sehr wohl mit ihnen aufnehmen, wenn er sich entschlossen hatte, bockig zu sein. Was dann und wann eben der Fall war.

Eigenartigerweise kam nur der Kleinste in ihrer Runde mit ihm klar. Und dies war Falk. Und das war wirklich verwunderlich, reagierte die Natur doch eher unüblich. Ws ich hier meine, das ist dieser allbekannte Mutterinstinkt. Denn schließlich war Knurr damals ein Geschenk an Leif. Und jener hatte das Ei in einem Fellbeutel um den Hals quasi ausgebrütet, wobei sich Angus Amulett als sehr hilfreich erwies.

Apropos Leif. Der schlief zufrieden in einer schaukelnden Hängematte in der Mitte des großen Zeltes. Sein Traum mochte glückselig sein. Dem steifen Gerät nach, welches seine enge Hose beulte. Aber vielleicht auch ruhmreich. Denn ein Strahlen lag auf seinem Gesicht und wollte seit Stunden nicht weichen. Und wie man sehr wohl weiß, bringen auch Macht und Siege sexuelle Gefühle hervor.

Im Allgemeinen lag Frieden über der kleinen Ansiedlung im Birkenhain, zwischen der Worlag und dem Lebensbaum. Die Bewohner hielten mehr oder weniger Mittagsruhe. Selbst die wenigen Wachen wirkten schläfrig und träumten in den Tag.

Falk hatte sich ein paar getrocknete Pilze besorgt. Wie, dies würde er niemals zugeben. Ein Rauschmittel. Ein starkes. Ein gutes. Ohne diese lästigen Kopfschmerzen im Nachhinein. Andächtig steckte er das erste Stück in den Mund und begann zu kauen. Zu lutschen. Zu saugen. Die nächsten Stunden würden genial werden. Auch in seiner Hose würde es sich regen. Denn da wohnte ein sehr lebhaftes Ding, nicht gerade klein. Ein Ding, was viel zu selten an die Luft kam.

Falk wollte gerade in die Traumwelt hinüberwechseln, als dieser Frieden urplötzlich gestört wurde. Ein Donnerschlag ließ die Luft erzittern. Schwere Schritte stampften durch das Lager, von einem unwilligen Schnauben begleitet. Große Hände zerrten ungeduldig an der Eingangsplane des Zeltes. Und als diese sich ein wenig sperrte, trennte rohe Gewalt sie vom Rest.

Thor war gekommen und füllte den Eingang. Die Strahlen der Sonne umspielten sein Haupt und machten seine Erscheinung noch göttlicher, als sie ohnehin schon war. Eine kurze Orientierung, dann war der Gott auch schon in der Mitte des Zeltes und bei Leif.

Ein kurzes unwilliges Brüllen. Noch ehe Falk blinzeln konnte, trat Thor aus dem Stand den Jungen, der gerade erwachte, aus seiner Hängematte. Und dieser flog wie ein Ball in den hinteren Teil vom Zelt. Erst dort wurde Leif durch die Plane gestoppt, woraufhin er unsanft den Boden küsste. Im Nu war Thor heran und über ihn. Weit aufgerissene Augen und ein vor Entsetzen offener Mund halfen Leif nicht viel. Der Gott riss ihn in die Höhe, zuerst an seinen Haaren, dann an seinen Ohren. Und zum Schluss an seinem Schwanz.

„Schläft es sich gut, Bürschchen? Oder was?“, knurrte Thor mit tiefer Stimme. „Hast du nicht eine Aufgabe? Aber wer wird sich denn anstrengen, wenn man hier ganz geruhsam sein Hinterteil pflegen kann? Denn dies tust du doch, oder? Machst es sogar gern, hä? Faul sein und sich einen wachsen lassen. Große Sprüche klopfen und anschließend abspritzen. Sollen die anderen doch zusehen, wie sie klarkommen, oder? So denkst du doch wohl, oder? Du widerliche

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Henry Wolff
Bildmaterialien: Henry Wolff
Tag der Veröffentlichung: 10.08.2015
ISBN: 978-3-7396-0905-8

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