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Titel

Henry Wolff 

 

Das Geheimnis in der Tiefe

 

aus der Reihe

Der letzte Kampf um die Welt

 

Zweiter Teil

 

 

 

 

Version 1.04

 

  1. 344 Taschenbuchseiten bei 32 Zeilen

68.662 Wörter

 

Belletristik

 

Genre: Fantasy, Abenteuer

 

Meta: Fantasy, Liebe, Verrat, Mord, Sex, Gewalt, Zwerge, Riesen, Elfen, Zauberer, Magie, Kobold, Drachen, Wolf, Werwolf, Götter, Druide, Götterdämmerung, Abenteuer, Odin, Walküre, Walhalla, Asgard, Norne, Fenriswolf, Hel, Thor, Kampf, Schwert, Nibelungen, Wikinger, Alberich, Alben, Midgard, Langschiff, Folter, Räuber, Geister, Troll, Burg, Ritter, Rüstung, Krieg, Tarnkappe, Bogen

Klappentext

 

Ein Leben wie in einer Hölle.

Eine vergessene Pflicht, bezahlt mit Blut und Tod.

Ein verborgener Feind, der sich regt und vorbereitet. Und seine Späher ausschickt.

Eine Falle. Lügen. Rache. Alles innerhalb einer Familie.

Neue Bekanntschaften. Abschied. Eine Flucht. Intrigen.

Magie, Spione und eine Haft.

Ein schlechter Mensch kann nicht sterben. Ein guter Mensch wird verleumdet.

Eine Suche. Ein Pakt. Ein Überfall.

 

 

Fay 1

 

Schreie. Gellend. Von hoch zu tief. Von tief zu hoch. Laut und leise. Hin und wieder unterbrochen von einem fassungslosen Wimmern.

Fest hielt die Mutter die Hand ihrer Tochter. Ein leichtes Schütteln, ein leichtes Ziehen. Allein, es brachte nichts. Unerbittlich war die Hand. Wie eine Schraubzwinge.

Gegenwehr brachte nie etwas! Schon seit Fays Geburt war die Mutter die uneingeschränkte Herrscherin. Über ihr Leben. Über ihr Handeln. Über ihren Körper.

Zank und Streit gab es seit Fays ersten Schrei in der Wiege. Begleitet von Gewalt. Hunger und Durst. Und all den Dingen, mit denen man letztlich jede Seele beschädigen kann.

Nur über ihre Gefühle bestimmte Fay alleine. Was die Sache allerdings nicht besser, sondern schlimmer machte. Denn Trotz und Widerspruch trieben die Tobsucht der Mutter in immer neue und ungeahnte Höhen.

Fays Mutter war nicht immer so. Nur wenn ihre Tochter in der Nähe war. Keiner wusste warum. Fay schon gar nicht. Das Einzige, was sie wusste, dass es wohl irgendwie mit ihrem Vater zusammenhing. Der nicht da war. Den sie nie gesehen hatte.

Mit einem unglaublichen Willen schob Fays Mutter die Hand ihrer Tochter auf die heiße Herdplatte. Nicht zum ersten Mal. Und aller Voraussicht nach nicht zum letzten Mal.

Fay war mittlerweile eine junge Frau. Und all die Gemeinheiten und die Folter in der Vergangenheit hatten sie nicht bezwingen können. Sie war nicht schwach, zumindest, was die Muskelmasse angeht. Nur im Geiste. Und nur gegenüber ihrer Mutter.

Gegen deren innere Stärke sie nicht ankam. Nie.

Nicht, dass sie es nicht versucht hätte. Aber ihre Gegenwehr blieb nur ein laues Sommerlüftchen. Der Sturm, der daraufhin folgte, war umso vieles stärker.

Also blieb Fays Wille schwach. Ihre Muskeln untätig. Jedes Mal, wenn sie bestraft oder getriezt wurde. Was täglich geschah. In Form und Ausmaß unterschiedlich.

So blieben Fay letztlich nur ihre Schreie und ihre Wut. Die für ganze Dörfer gereicht hätten.

Der Schmerz wurde unerträglich. Kroch direkt ins Hirn. Die Haut verbrannte. Bildete Blasen, pellte sich. Und war schon verschwunden. Gab das darunterliegende Fleisch frei. Welches anfing zu kochen. Zu schmoren. Und schon bald die darin enthaltene Flüssigkeit freiließ.

Und alles nur, weil Fay es gewagt hatte, ihrer Mutter zu widersprechen. Welche ihr Diebstahl unterstellte.

In ihre Vorratsdosen sollte Fay gegriffen haben. Angeblich. In jene mit den heilenden Dingen, in jene mit den schaurigen Dingen. Pulver, getrocknete Kräuter und Bestandteile von Lebewesen, davon reden wir. Zutaten für Zauber und Hexenwerk. Kostbar und weniger kostbar. Selten und manches eigentlich gar nicht zu haben.

Fay stritt alles ab. Natürlich. Was ihre Mutter nicht glaubte. Natürlich nicht. Wie gewöhnlich.

Also folgte die tägliche Bestrafung. Ein Grund fand die Mutter immer. Auch wenn es eigentlich keinen gab.

Der Schmerz vernebelte den Verstand. Fays Kräfte nahmen rapide ab. Solange wie heute hatte die Mutter sie noch nie gequält. Aber bald musste es vorbei sein! Nur ein wenig musste sie noch durchhalten. Dann war es geschafft.

Oder doch nicht? Die Wut der Mutter schien nicht abzunehmen. Sie schrie jetzt ebenfalls, zusammen mit ihrer Tochter. Unverständliche Sachen. Irgendetwas über ihren Vater.

Und dann riss sie mit einem Schürhaken das Feuerloch auf. Und drückte Fays Hand in die glühenden Kohlen. Etwas noch nie da Gewesenes.

Fay wand sich wie eine Schlange, während ihre Hand und der Unterarm schwarz verbrannten. Schreie brachten ihre Stimmbänder nicht mehr hervor.

Spürte man nicht mehr so viel, wenn die Nervenenden abgetötet waren?

Ihre Mutter derweil brachte den Schürhaken zum Glühen. Drückte diesen der Tochter anschließend auf die Stirn. Auf die Brüste, auf den Unterleib. Immer schön dorthin, wo es besonders weh tat.

Erst jetzt hatten die Götter ein Einsehen. Und ließen Fay das Bewusstsein verlieren. Das Beste daran, es gab keine Schmerzen mehr.

 

 

Wachvorbereitungen

 

Seite an Seite standen die Freunde am sandigen Flussufer und starrten in die Ferne. Ruhig. Versonnen. Entspannt.

Obwohl der Kopf noch reichlich schwer war. Von der letzten Zechtour. Vergangene Nacht. Oder besser gesagt, von der letzten Nacht und dem heutigen Morgen.

Erst spät waren sie zurück. Vollgepackt mit Erlebnissen. Und reichlich Alkohol im Blut. Nur noch wenige Stunden Schlaf blieben bis zu ihrer Wache. Leider! Ausnahmen gab es nicht. Niemals und für keinen.

Stunden später. Nachdem sie das Vorratszelt geleert und ihre Bäuche gefüllt hatten, waren Leif, Thoralf und Marcus hier an den Fluss gekommen. Es blieb noch ein wenig Zeit, um die Köpfe wieder freizubekommen. Um sich ein wenig an den Waffen zu üben. Ein wenig zu schwatzen. Und an den nächsten Baum zu pinkeln.

Thoralf hatte sich heute für einen Morgenstern entschieden. Eine fiese Eisenkugel mit Stacheln. Die mittels einer starken und kurzen Eisenkette an einem runden griffigen Eichenstab befestigt war. Ein fürchterliches Monstrum, wenn man es zu gebrauchen wusste. Und sich nicht selber damit umbrachte. Und nur, wenn man ein wenig Kraft übrig hatte.

Dazu gänzlich anders im Gebrauch als das Schwert. Der wahre Krieger kann mehr als eine Waffe handhaben. Sollte es auch können. Ziemlich gut sogar. Lebenswichtig! Denn im Kampf können die unmöglichsten Dinge passieren.

Sogar Marcus leistete ihnen heute Gesellschaft. Eher geduldet, als erbeten. Eher kaum beachtet. Ein Hund eben, der seinem Herrchen folgte. Außerdem gut für den Spaß. Denn bei dem, was der Rotschopf mit den Waffen anstellte, da blieb kein Auge trocken. Oder stellten die Kriegswerkzeuge etwas mit ihm an? Hm.

Starke und schwere Waffen konnte der Sklave nicht lange führen. Zu klein der Körper. Zu klein die Hände. Die gewöhnlichen Mordwerkzeuge der Nordmänner zu groß. Und zu schwer. Ach je!

So hatte sich Hundchen heute mal für Pfeil und Bogen entschieden. Die Marcus noch aus seiner Kindheit kannte. Und sich an ihnen versuchte. Damals. Dort, auf der grünen Insel. Lange vor den Raubzügen der Nordmänner.

Marcus war nicht geübt. Aber er besaß Talent. Mehr als normal.

Und siehe da, schon nach kurzer Zeit gelang der eine oder andere Schuss.

Es stimmte wohl, einmal erlernte Fertigkeiten bleiben ein Leben lang erhalten. Nur die Güte lässt nach längerer Abstinenz etwas nach. Nun ja, aber daran lässt sich ja arbeiten.

Der Rest war eben Übung und würde seine Zeit brauchen. Jedenfalls schienen Leif und Thoralf beeindruckt zu sein. Ein wenig zumindest. Ihr Zwinkern verriet sie. Auch fielen die spöttischen Bemerkungen heute weniger zahlreich aus.

Für den Nahkampf hatte sich jeder noch einen hübschen Dolch nach Lokis Vorbild gewählt. Ein kleiner Bruder zum Kurzschwert, welches Leif ebenfalls am Gürtel trug. Eins zu drei, so das Verhältnis.

Und jetzt standen sie hier, schweißgebadet und angenehm erschöpft. An den bräunlichen Fluten des Flusses. Und ruhten sich aus. Zu ihren Füßen wälzte sich das Schmelzwasser aus den Bergen herab. Hochwasser. Die Sonne stieg höher und schmolz das letzte Eis. Die Schneeriesen zogen sich in den Norden zurück.

„Na, wie fühlst du dich, Marcus?“, wollte Thoralf wissen. „Erschöpft?“

„Vielleicht ist der Bogen schwerer, als wir denken!“, feixte Leif.

„Oh ja! Und erst die Pfeile! Vergiss die Pfeile nicht!“

Marcus schluckte. Was konnte er schon dafür, das er die meisten Waffen nicht einmal anheben konnte, mit denen die beiden anderen rumspielten.

Jeder ist eben so, wie er geboren wird. Und muss damit klarkommen. Müßig, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Spott gab es ohnehin immer gratis.

„Vielleicht solltest du ihn zum Tänzer ausbilden!“, schlug Thoralf vor.

„Meinst du? Hm. Tanz uns was, großer Bogenschütze!“, verlangte Leif.

„Hast du nicht gehört? Tanzen!“

Und Marcus tanzte. Betont linkisch, um sich einen letzten Rest von Stolz zu erhalten. Was sollte er sonst tun? Er war ein Sklave.

Zwischendurch legte er immer wieder mal den Bogen an und versandte den Rest der Pfeile. Aus der fließenden Bewegung heraus.

„Nicht schlecht“, flüsterte Thoralf. „Nicht überragend, aber auch nicht schlecht.“

„Wäre der Bengel kein Sklave, könnte er sogar bei den Jungwölfen seinen Platz finden.“

„Ja. Schon möglich. Wir sollten aufpassen, dass er uns keinen Pfeil in den Hintern jagt, wenn wir ihn zu sehr ärgern.“

„Meinst du? Dazu gehört Mut. Hat er den?“

Leif zuckte kurz mit den Schultern.

„Wenn ja, dann wäre er schon längst geflüchtet. Keiner könnte ihn mehr aufhalten, sobald er das Lager verlassen hat. Nur ein kleines Stück diesen Fluss hoch! Bis zu seiner Mündung. Eine gute Weile Kurs Nordwest, übers Meer. Und er ist daheim. Schiffe in diese Richtung liegen im Hafen. Jede Menge.“

Marcus wusste lange Zeit nichts zu antworten. Tat ohnehin so, als hätte er nichts gehört. Tanzte einfach weiter.

Später! Vielleicht. So träumte er. Meine Heimat, so wie ich sie kannte, gibt es nicht mehr. Meine Eltern nicht. Meine Geschwister nicht. Sind alle tot! Das Dorf vernichtet, abgebrannt! Unser Hab und Gut geraubt! Wie in vielen anderen Dörfern auch.

(Drehung nach links.)

Gibt es noch Verwandte? Keine Ahnung. Bei Leif ist jetzt mein Zuhause. Er ist fast wie ein Bruder. Ein nerviger Bruder! Wenn es Ragnar und Konsorten nicht gäbe, könnte ich mich sogar an dieses kalte Dorf im Norden gewöhnen. Eventuell.

(Drehung nach rechts. Hoch die Arme.)

Vielleicht komme ich irgendwann einmal zu etwas Gold. Mehr, als ich schon habe. Viel mehr.

(Mit den Beinen gezuckt. Schön abwechselnd.)

Dann werde ich vielleicht mal nachschauen, was von meiner Kindheit noch übrig blieb. Dort, wo die Wälder und Wiesen grün sind. Die Winde lau und der Regen stetig. Vielleicht auch ein neues Leben beginnen.

(Aufpassen! Nicht aus dem Rhythmus kommen!)

Dort, wo die weißen Klippen aus dem Meer wachsen. Eine neue Familie gründen. Dort, wo die Feen den Schlaf der Kinder bewachen.

(Jetzt ein Arschwackler. Nett. Eine ganze Umdrehung.)

Vorausgesetzt, du lässt mich ziehen. Aber diese Frage stellt sich für mich im Moment nicht. Alleine bin ich zu schwach. Gold und Silber muss ich finden. Wie auch immer. Wo auch immer. Nicht zu knapp!

(Jetzt die Schlange. Die kommt immer gut. Von den Füßen, über den Po, bis hin zu den Schultern! Großeinsatz.)

Wer Gold hat, der findet auch Beschützer. Dem öffnen sich verschlossene Wege. Also später! Sehr viel später!

(Jetzt breitbeinig. Die Hüften anzüglich geschwungen.)

„Schon möglich“, stimmte Thoralf zu. „Dennoch, irgendwas stimmt nicht mit ihm. Er hat sich verändert. Die letzten Wochen. Ständig habe ich das Gefühl, das er auf der Lauer liegt.“

„Schwachsinn!“, entgegnete Leif. „Hast du Angst? Du? Das glaub ich jetzt nicht! Schau nur, er ist der Gleiche wie immer. Klapprig und ewig den Tränen nahe.“

Thoralf schwieg vielsagend. Und wieder ließen die beiden sich von der majestätischen Stille des Flusses einfangen. Hingen dabei ihren Gedanken nach. Träume, Ängste und Hoffnungen.

„Was machen wir heute Abend? Nach der Wache?“, wollte Leif nach einer Weile wissen.

„Ein Schläfchen! Was sonst!“, grinste Thoralf.

„Echt jetzt? Im Ernst?“, würgte Leif, offensichtlich schockiert.

„Klar doch! Ein Schläfchen! Kurz und knackig. Bevor es wieder auf die Piste geht! Was sonst?“

„Mann, du kannst einen vielleicht erschrecken! Dachte schon, du bist fertig mit der Welt! Was ist, besuchen wir Angus?“

„Und die kleine Krabbe? Auf jeden Fall! Wir hatten Spaß gestern, oder?“

„Und ob! Meine Spucke schmeckt immer noch nach Kotze. Und schau dir meine Fäuste an! Rohes Fleisch!“

„Wo bist du eigentlich mit dem Schwert abgeblieben?“, interessierte sich Thoralf.

„Im Zelt. Ich hole es nachher!“

„Du willst es mit auf die Wache nehmen? Ist das nicht ein wenig leichtsinnig? Und wenn es einer der Besucher erkennt?“, gab Thoralf zu bedenken.

„Und wenn schon!“, winkte Leif ab. „Das Teil ist ehrlich erobert. Es ist unglaublich schön. Ziemlich genial gearbeitet! Und es gehört mir. Glaubst du, ich lasse das Ding lange allein?“

„Du hast es doch jetzt auch nicht dabei.“

„Schon. Dafür aber unser Zelt im Blick.“

„Ich weiß nicht“, stöhnte Thoralf. „Der Kerl wird es wiederhaben wollen! Das ist dir doch klar, oder? Vielleicht sucht er schon nach dir!“

„Nach uns! Auch deine hässliche Visage wird er nicht vergessen haben! Aber soll er doch! Der Kerl ist nur ein aufgeblasener Frosch. Wenn er nervt, dann piksen wir ihn. Und flupp, die Luft entweicht. Thema erledigt!“

„Ich glaube, da täuscht du dich. Der Schwarze ist gefährlich. Das gestern, das war nur Glück. Unglaublich viel Glück. Zufall. Wenn uns der Kerl erwischt, dann fickt er uns durch! Das ist dir doch klar, oder? Stundenlang, tagelang. Und anschließend verkauft er uns an den nächsten Puff. Oder in einen Steinbruch. Irgend so etwas, was weiß denn ich.“

„Oooch! Was bist du doch für ein feiges Huhn! Scharrst im Mist! Versteckst deine Eier! Kleiner zarter grüner Frosch! Quak, quak!“, reizte Leif seinen Freund.

Mit Erfolg. Während er ihn gleichzeitig mit feuchtem Schlamm beschmiss.

„Warte! Dir werd ich …“, fluchte Thoralf und stürzte sich auf den Freund.

Es wurde lustig. Es wurde schmutzig. Munter rollten sich die beiden umher. Eng miteinander verknotet. Rollten in den Fluss. Und wieder zurück auf den Strand. Bis das Horn der Wache sie zum Dienst rief.

„Wo musst du hin?“, wollte Leif wissen.

„Ans Nordtor“, antwortete Thoralf, während er seine nassen Klamotten auswrang.

„Ach, schade“, maulte Leif. „Ich muss in die entgegengesetzte Richtung. Das hat bestimmt mein Vater eingefädelt. Neuerdings sieht er uns nicht mehr so gerne beisammen.“

„Warum wohl?“ grinste Thoralf und griff sich den Rest seiner Sachen. „Also dann. Bis heute Abend. Wir treffen uns im Zelt.“

Und an Marcus gewandt: „Kannst du mal mit dem Tanzen aufhören? Ist dies alles hier nur Spaß für dich? Glaubst wohl, du bist im Urlaub! Oder was? Hoch die Arme! Flink die Hufe! Ich will dich kreisen sehen. Sonst ramme ich dir meine Stiefel sonst wohin!“

Leif feixte. Und schlug, so ganz nebenbei, dem anhänglichen Rotschopf mal kurz die Beine weg. Dröhnendes Gelächter. Dann legten die beiden Freunde sich den Arm auf die Schulter und torkelten in Richtung Zelt. Während Marcus rücklings im Schlamm ruderte.

 

 

Die schöne Händlerin

 

„Hallo, du schöner Mann!“, flirtete die Händlerin. „Wohin so eilig?“

Verdutzt sah sich Thoralf um. Und errötete sofort. Betrachtete sein Gegenüber von unten bis oben. Und wieder zurück.

Wow! Was für eine Rasse! Was für eine Klasse! Diese Frau war genau seine Hausmarke! Etliche Jahre älter zwar, aber Thoralf war dies egal.

Aus Überzeugung sogar. Ein paar Jahre mehr bei einer Frau waren nicht schlecht! Thoralf liebte es, wenn er zugeritten wurde. An die Kandare genommen wurde. Ihm gezeigt wurde, wo es langging.

Sex mit einer dominanten Partnerin, nicht das Schlechteste. So wurde die Geschichte nur interessanter und dauerte länger.

„Tut mir leid“, murmelte Thoralf verdrossen. „Hab keine Zeit. Leider.“

Und riss sich von ihrem Anblick los. Was nicht einfach war. Aber er hatte Wache. Musste das nördliche Tor im Auge behalten. Und alles, was dort herum passierte.

Die Pflicht galt es zu erfüllen. War sie auch unbeliebt. Ganz besonders nach seinem kürzlichen Versagen. Es gab etliche hier im Lager, die nur darauf warteten, dass er wieder Mist baute.

„He! Nicht so schnell, mein Großer!“, flötete die schöne Händlerin. „Ein wenig Met gefällig? Er ist Spitzenklasse. Nicht solche Ochsenpisse, wie in den Kneipen am Hafen! Für einen Kuss mache ich dir auch einen Sonderpreis.“

Das war nicht fair! Absolut nicht! Thoralf schnaufte. Gegen einen kleinen Schluck hatte er nichts einzuwenden. Selbst nicht gegen einen größeren. Sein brummender Schädel würde es ihm danken. Und ein Kuss dazu? Das Blut stieg ihm zu Kopf.

Aber es ging nicht. Er durfte nicht! Was, wenn ihn jemand sah? Betrübt schüttelte Thoralf seinen Kopf und schlurfte weiter auf seiner Runde.

„Ach, komm schon!“, drängte das Rasseweib und versperrte ihm den Weg.

Drängte sich an ihn. Schnappte sich eine von Thoralfs Händen und legte diese auf ihre Brust. Und schon atmete die Versuchung betont hörbar ein und sah ihm tief in die Augen. Schob ihre braunen Locken in sein Gesicht und kitzelte ihn. Während sich ihre Hand ganz langsam an seinem Körper nach unten arbeitete. Den Hosenlatz fand. Den Eingang fand. Sein Geschlecht fand.

Wie ein elektrischer Schlag durchfuhr es den Nordmann. Die Luft blieb ihm weg. Was für ein Weib! Und der süße kleine Thoralf in seiner Hose war derselben Meinung. Der verschlafene Unhold strahlte, nahm Witterung auf, rekelte sich. Und richtete sich auf.

Oh Mann! Was tun? Das war nicht fair!

„Ich kann nicht! Wirklich nicht! Ich möchte schon. Kannst du nicht warten? In ein paar Stunden ist meine Wache zu Ende. Warte doch in meinem Zelt! Schau, es ist ganz in der Nähe! Was sagst du?“, greinte Thoralf.

Während sein Glied zu voller Kampfstärke heranwuchs und es sich in ihrer Hand bequem machte. Ein leichter Schwindel erfasste ihn. Die Knie wurden ihm weich. Oh je, das sah nicht gut aus!

„Tut mir leid, Süßer! So viel Zeit habe ich leider nicht“, gurrte die Händlerin. „Das Zelt sagst du? Dieses hier, dieses da? Komm, lass uns verschwinden! Für ein, zwei Stößchen nur! Wir lassen den Zelteingang ein wenig offen. Und legen uns so, dass du das Tor im Blick hast. Was soll passieren? Du verrichtest deinen Dienst und hast gleichzeitig Spaß dabei!“

Thoralf hustete verlegen. Und hatte schon fast verloren. Fast schon war sein Gehirn ausgeschaltet. Der hinterhältige Thoralf in seiner Hose übernahm das Kommando, ganz sicher sogar. Bei den Göttern! Diese Frau war genau sein Fall!

„Kann ich einen Schluck haben?“, prustete Thoralf verlegen.

Der Mund war ihm mittlerweile trocken. Außerdem galt es Zeit zu gewinnen. Irgendetwas musste er sich einfallen lassen. Diese Frau durfte er nicht gehen lassen! Jedenfalls nicht, bevor er ihre Zunge kostete. Und seine Nase zwischen die Brüste und das feuchte Schamhaar stecken konnte. Oh ihr Götter! Was für eine Versuchung!

„Aber ja, mein starker Held! Trink nur!“, lächelte sie unter den gewaltigen braunen Locken.

Während flinke Finger seine Hoden massierten. Spielerisch. Es tat nicht weh, ganz im Gegenteil. Die Erregung wuchs.

Warum nur fiel ihm nichts ein? Schnell nahm Thoralf einen Zug aus dem Krug. Kühl war das Zeug. Süß und schwer. Es stimmte, der Met war etwas Besonderes.

Die Zunge verlangte nach mehr. Kam auf den Geschmack. Und so setzte Thoralf noch mal an. Und dann noch einmal. Prickelnd rann die Flüssigkeit über seine Zunge. Brannte hinten im Rachen und tröpfelte wärmend die Speiseröhre hinunter.

Was für ein geniales Zeug! Schon wurde ihm anders. Die Kopfschmerzen verschwanden, der graue Alltag wurde farbig. Ja, genau. Irgendwie leicht wurde sein Körper. Leicht wurden die Gedanken. Die den Kopf verließen und in den Himmel stiegen.

Diese spröde Welt war mit einmal in Ordnung. Und nicht nur das. Sie war perfekt. Kaum noch spürte Thoralf den Arm der Frau, welcher sich unter seinen schob. Spürte kaum noch den Druck, der seine Füße in Richtung Zelt trieb.

Dunkel wurde es, als der Zelteingang sich hinter ihm raschelnd wieder schloss. Dunkel, als der Kittel über seine Augen streifte. Erregung pur, als seine Hose die Beine herunterrutschte.

Und dann fiel er auch schon rücklings in die weichen Felle. Während unglaublich schöne Brustwarzen seinen Mund suchten. Und etwas Flauschiges über seinen erigierten Penis rutschte. Wieder und immer wieder.

„Oh Mann!“, konnte Thoralf noch hauchen, bevor sich ihm die Welt der Götter öffnete.

 

 

Ragnar

 

„Du bist der Größte!“, quetschte Ingolf voller Begeisterung zwischen den Zähnen hervor.

Ragnar straffte sich. Und wölbte die Brust noch ein Stückchen mehr heraus, als nötig. Voller Stolz. Über das Lob und über sich selbst. Mann, was war er doch wieder gut!

Er war der Größte! Richtig! Dies wusste er auch ohne Ingolfs Kommentar. Trotzdem! Immer wieder nett, es zu hören.

Wenn man seine Ziele nicht mit Gewalt erreicht, dann soll man es zumindest mit List versuchen. So und nicht anders! Die zahlreichen Erfolge in der Vergangenheit gaben ihm recht.

„Mann, eh! Ich hätte nicht gedacht, dass der Kerl so blöd ist!“, fügte Ingolf noch hinzu.

„Hä? Wie? Wer? Von was redet ihr?“, rätselte Drago.

Ein zärtlicher Schlag gegen den Hinterkopf und Drago nickte. Ragnar hielt sich bei ihm nicht lange mit Erklärungen auf. Glaubte wohl nicht an einem nachhaltigen Erfolg.

Und außerdem hatte er dies schon getan. Eine Erklärung gegeben. Vor wenigen Minuten erst. Nun ja, Drago war eben ein sehr spezieller Fall.

Ein schmerzhafter Faustschlag von Ingolf folgte. Der dachte wohl ebenso. Drago quiekte und rieb sich den Oberarm.

„Blödmann!“, flüsterte Ingolf.

„Studiere deinen Gegner! Immer! Umso mehr Schwächen du erkennst, umso wahrscheinlicher dein Sieg!“, referierte Ragnar.

„Deshalb hast du ihn die vergangenen Tage beobachtet?“, grübelte Ingolf.

„Nicht nur die vergangenen Tage. Der Kerl ist mir schon ewig ein Dorn im Auge! Wenn Leif nicht so einen Rabatz gemacht hätte, dann wäre dieser Habenichts niemals in den Bund der Jungwölfe aufgenommen worden!“

„Na ja. So schlecht war das aber auch nicht“, gab Ingolf zu bedenken. „So konnten wir ihn immer schön ärgern!“

„Wen? Über wen redet ihr da eigentlich?“, quengelte Drago.

„Ja, sag mal! Bist du blöd? Weißt du immer noch nicht, weshalb wir hier sind?“, herrschte Ragnar seinen Gefolgsmann an.

Oder Freund? Eher nicht. Dies glaubte wohl nur Drago.

Ein weiterer schmerzhafter Schlag von Ingolf folgte. Natürlich wieder auf die gleiche Stelle.

„Aua!“

„Also, wenn ich es recht verstehe, dann sind schöne Frauen sein Schwachpunkt?“, fragte Ingolf seinen Anführer.

„Einer. Es gibt noch andere“, antwortete Ragnar. „Aber dieser hier wirkt fast immer. Zumindest bei einem ganz bestimmten Frauentyp. Braune lockige Haare, ein strammer Busen. Etwas Grips und ein muskulöser Körper. Da dreht unser lieber alter Thoralf durch!“

„Busen? Wo?“, fiepte Drago und drehte seinen Kopf wie eine Rundumleuchte.

„Halts Maul!“, fauchte Ragnar.

Ingolf brauchte nichts zu sagen. Ein weiterer Faustschlag reichte aus. Wieder dieselbe Stelle? He, gut getroffen!

„Ruhe jetzt! Es geht los!“, bestimmte Ragnar.

Und gebannt beobachteten die Drei, wie eine schöne Frau auf Thoralf zusteuerte, der gerade seine Wachrunde drehte. Sie schaffte es! Thoralf blieb stehen. Worte wurden gewechselt.

„Du meinst, er wird schwach?“, flüsterte Ingolf.

„Ich denke schon“, kam genau so leise die Antwort zurück. „Und wenn nicht, dann macht der Rest der Met. Ich habe vorgesorgt. Wieder ein paar Rauschpilze untergemischt.“

„So wie auf dem Schiff?“, wollte Ingolf wissen.

„Mehr. Etwas mehr. Die Mischung damals war etwas zu schwach. Der Kerl ist viel zu früh wieder wach geworden. Aber nicht heute!“, frohlockte Ragnar.

„Wir haben Rauschpilze?“, meldete sich Drago und zappelte aufgeregt hin und her.

„Fresse halten!“

Ein weiterer Schlag auf den Oberarm. Zielgenau.

„Aua! Das tut weh!“

„Und wenn er umfällt? Was machen wir dann?“

„Er wird nicht einfach umfallen. Das Mädel hat ganz genaue Anweisungen. Sie soll ihn ins Zelt locken. Weich betten. Und dann ins Reich der Träume schicken. Ihn mit Schnaps überschütten, damit er stinkt wie ein Iltis. Ein paar leere Krüge gut sichtbar verteilen. Das war's eigentlich schon.“

„Was? Mehr nicht? Ich dachte, wir haben unseren Spaß!“, maulte Ingolf. „Das hier hört sich ja nach Wellness an! Ich dachte, wir verdreschen den Hurenbock!“

„Wellness? Mit Rauschpilzen?“, mischte sich Drago ein.

Seine Augen leuchteten. Das Wasser lief ihm im Mund zusammen. Nur, die Antwort war die gleiche wie vorher.

„Keine Angst“, beruhigte Ragnar seinen Gefolgsmann. „Wir werden schon auf unsere Kosten kommen. Man wird das Stück Scheiße finden! Dafür habe ich gesorgt. Ein weiteres Wachvergehen! Innerhalb kurzer Zeit! Diesmal kommt er nicht so billig davon!“

„Stimmt! Genial! Diesmal werden sie ihn bestimmt aufs Rad flechten. Und die Peitsche wird singen. Toll! Darauf freue ich mich jetzt schon“, schmunzelte Ingolf.

„Auspeitschen? Wen? Mich?“, entsetzte sich Drago.

„Schnauze!“

„Aua!“

„Ja, diesmal wird es dicke für ihn kommen. Wer sich mit mir anlegt, hat nichts zu lachen“, schnaufte Ragnar.

„Er hat sich mit dir angelegt? Echt jetzt?“

„Das kannst du wohl laut sagen! Aber das wird er bereuen!“

„Vielleicht stoßen sie ihn ja sogar aus. Aus unserem Stamm, meine ich!“, frohlockte Ingolf.

„Hoffentlich nicht. Ich bin nämlich noch lange nicht fertig mit ihm. Ich werde ihm alles kaputtmachen, woran er hängt. Stück für Stück. Und ganz langsam. Ich werde zusehen und meinen Spaß haben. Und mir dabei einen runterholen. Aber dazu brauche ich dieses Miststück in meiner Nähe. Wenn sie ihn ausschließen wollen, nichts dagegen. Aber bitte erst später.“

„Was wird dein Bruder dazu sagen?“

„Bruder? Diesen Bastard meinst du?“

„Ja, von mir aus. Wenn du es so sagst.“

„Ist mir egal. Wenn er sich ärgert, soll mir recht sein! Aber für den Kerl habe ich sowieso schon was anderes gefunden. Wart`s nur ab und freu dich drauf. Das wird bestimmt lustig!“, sinnierte Ragnar.

„Da! Er trinkt“, freute sich Ingolf.

„Oooch! Ich auch“, grunzte Drago. „Aua! Verdammt noch mal! Aua!“

„Gut, es geht los. Schau nur, jetzt gehen sie Richtung Zelt. Ich liebe es, wenn ein Plan gelingt.“

„Schöner wäre es gewesen, wenn wir ihn gefunden hätten. Anschließend, meine ich. Dann hätte ich diesen Mistkerl noch mal so richtig treten können!“, träumte Ingolf.

„Ja, schon. Hab ich auch schon überlegt“, räumte Ragnar ein. „Aber das wäre zu auffällig. Er soll schon wissen, dass ich dahinterstecke. Aber nicht mein Vater. Aber pass auf. Ich mach dir einen Vorschlag. Ich sorge dafür, dass wir das Zelt bewachen, in das die Made eingesperrt wird. Um auf die Bestrafung zu warten. Dann kannst du dich nach Lust und Laune mit ihm vergnügen. Na, ist das was?“

„Oh, ja. Hört sich gut an. Wird er gefesselt sein?“

„Lässt sich einrichten. Aber sorg dafür, dass man nichts sieht. Keine blauen Flecken. Keine Wunden, kein Blut! Verstanden?“

„Klar doch. Kannst dich auf mich verlassen. Ich werde den Schweinehund schon verarzten. Kennst mich doch! Ich habe da so ein paar nette Dinger auf Lager, die so richtig Spaß machen.“

„Also los. Jetzt nichts wie weg! Wir sollten hier nicht gesehen werden! Außerdem startet gleich Teil zwei vom Plan“, bestimmte Ragnar und trat den Rückzug an.

„Spaß? Darf ich auch?“, meldete sich Drago.

„Aber ja doch!“, kam die Antwort.

Zweistimmig. In Begleitung von ein paar Streicheleinheiten.

 

 

Kerim 1

 

Kerim kratzte sich ratlos am Hinterkopf. Wo blieb der Alte nur?

Schon um die Mittagszeit hatten sie eigentlich antreten sollen. Die ganze Truppe. Selbst jene, die Freigang oder Urlaub hatten. Oder noch für den Dienst ausgebildet wurden.

Natürlich war das nicht zu schaffen. Nicht einmal dann, wenn alle an dem Ort gewesen wären, an dem man sie vermuten konnte. Was nicht der Fall war. Natürlich nicht. Kein Mensch bleibt vierundzwanzig Stunden an demselben Ort, damit sein Chef ihn leichter finden kann.

Kerim war besorgt. Um seine eigene Sicherheit, um sein Wohlergehen. Denn der Hauptmann der Wache würde es ihn büßen lassen, wenn der Befehl so nachlässig ausgeführt wurde.

Nachlässig natürlich nur in seinen Augen. Denn wer konnte schon etwas dafür, wenn die Truppe beisammenhockte, ganz so wie die Hühner im Stall. Sondern sich zerstreut hatte, wie Menschen dass eben so tun. Um etwas zu erledigen, etwas zu besorgen oder um einfach nur Spaß zu haben.

Dennoch würde Kerim es büßen müssen. War es nicht immer so? Mussten nicht immer die Kleinen dafür büßen, wenn die Großen nicht ganz rund liefen?

Dabei hatte Kerim doch seine Beine rotieren lassen, bis ihm der Schweiß in den Kragen lief. Hatte sogar die ersten Leute, die er fand, gleich mit in die Spur geschickt.

Trotzdem, die Mittagszeit verstrich und nur wenige waren zur Stelle. Zum Glück ließ der Hauptmann sich noch nicht blicken. Hatte wohl etwas Besseres zu tun. Kerim dachte an die rassige Dame im Bett seines Befehlshabers. Dachte an ihre herrliche Scham. Und die genialen Brüste. Kein Wunder, dass der Hauptmann noch zu tun hatte.

Der frühe Nachmittag brach an und selbst jetzt war nicht einmal die Hälfte vor Ort. Nur kurz schleppte der Hauptmann seinen Körper auf den Hof. Schrie ein bisschen herum, stampfte ein paar Mal auf, bevor er wieder in den kühlen Turm verschwand. Während die Truppe weiter in der Sonne schwitzte.

Der Ärger stieg wieder in Kerim hoch. Wenn er nur an den Tisch dachte, der sich unter der Last bog. Oben im Turm.

Alter Wein, nur vom Besten! Braten, so zart! Obst und Süßspeisen, perfekt zugerichtet.

Und wer hatte das alles bezahlt? Bezahlte es jeden Tag? Er, Kerim. Und all die anderen seiner Kollegen.

Die Magensäure stieg ihm hoch. Verätzte ihm den Hals. Doch dann hatte Kerim eine Idee.

Ein prüfender Blick auf die Männer und auf die Sonne. Er mochte es gerade so schaffen, bis alle bereit waren. Genau! Los geht`s! Und schon drehte er sich kurz entschlossen um. Und lief unter den erstaunten Blicken seiner Kameraden einfach davon.

Zum Tee war er zurück. Gerade rechtzeitig. Der Hof war voll und der Lärm entsprechend. Ein jeder der Männer wusste etwas zu sagen. Aus Ärger über diesen unplanmäßigen Dienst. Oder in der Erwartung, etwas schnelles Silber außer der Reihe zu machen. Auch wurde fleißig geraten, was diese ganze Aktion sollte.

Kerim klärte die Männer auf. Flüsternd und geheimnisvoll. Tröstete und beruhigte sie. Während er dem einen oder anderen half, die Uniform auf Vordermann zu bringen. Oder nur einen freundlichen Klaps auf die Schulter verteilte.

Die Männer sollten ihn als denjenigen wahrnehmen, der sich um sie kümmerte. Der ihre Neugierde befriedigte und sich um sie sorgte. Und nicht nur einfach dämlich und uninteressiert in der Sonne herumstehen ließ. Ohne Getränke, ohne etwas zu essen.

Es war schon seit alters her Tradition bei der Stadtwache, ihren Hauptmann selbst zu wählen. Und genauso einer wollte Kerim werden. Schon lange hatte er diesen Wunsch. Aber erst vor ein paar Stunden hatte er sich dazu entschlossen, dieses Projekt auch anzugehen.

Natürlich hatten sie schon einen Hauptmann. Einen gierigen. Einen unbeliebten. Eine feige Sau.

Und natürlich musste der erst mal weg. Wie auch immer. Verleumdung wäre eine Möglichkeit. Erpressung auch nicht schlecht. Und natürlich passierten Unfälle. Immer wieder und meistens zur falschen Zeit. Vielleicht sogar heute, wenn sie das Lager der Nordmänner stürmten.

Die waren nämlich bekannt dafür, nicht lange zu fackeln. Und waren in der Kriegskunst geübt, wie nur wenige.

Und vor einem Hauptmann der Stadtwache würden die keinen Respekt haben. Warum auch? Schlachten würden sie ihn, wie ein quiekendes Schwein. Immer vorausgesetzt, der Hauptmann führte die Männer in den Kampf. Was selten genug vorkam. Denn wie gesagt, der Kerl war eine feige Sau.

Aber hier und heute könnte man den Hauptmann ins Lager der Nordmänner treiben. Das wäre eine Möglichkeit. Man musste es ihm nur schmackhaft machen. Aber wie? Schwierig. Darüber musste Kerim noch nachdenken. Aber kommt Zeit, kommt Rat.

Auf jeden Fall war die Gelegenheit günstig genug, den Hauptmann um ein wenig Gold zu erleichtern. Denn alle wären unterwegs. Die Truhen unbewacht!

Deswegen hatte Kerim es vorhin auch so eilig. Er hatte seine Kinder geholt. Die nachmittags immer in der Nähe der Wohnung arbeiteten. Bei einem Händler, dem Schuster oder dem Fleischer. Oder irgendeinem anderen Halunken. Je nachdem, wer gerade Hilfe brauchte und halbwegs gut zahlte.

Schon seit Jahren wurde dies von Kerim strategisch organisiert. Die Gören machten ihn stolz. Seine Racker!

Genauso die Frau, die Eltern und Großeltern. Dazu noch ein paar Verwandte. Ein richtig kleiner Clan. Seine Armee! Die auf Gedeih und Verderb zusammenhielt.

So gab Kerims Familie den Ton in seinem Stadtviertel an. Außerdem war er selbst noch bei der Stadtwache, ein wichtiger Mann also. Auf den man hören sollte. Der Dinge möglich, aber auch unmöglich machte. Und dem man nicht widersprach.

Was auch keiner versuchte, als er seine Kinder von der Arbeit holte. Einfach so. Ohne Erklärung, ohne Entschuldigung. Ihren Lohn würden die Kinder dennoch bekommen. Wer wollte sich schon mit Kerim anlegen!

Jetzt wartete die Bande im Schatten hinter dem Tor. Alle waren sie da. Die Knirpse, die Halbwüchsigen.

Und sobald die Truppe in Richtung Hafen abrückte, würden sie den Turm entern. Und die Truhen des Hauptmanns öffnen. Und etwas nehmen. Etwas hiervon, etwas davon. Nicht alles, vielleicht die Hälfte. Der Hauptmann sollte sich zwar ärgern, aber er sollte nicht ausflippen. Leute, die ausflippen, sind schlecht zu kontrollieren.

Einen Teil der Summe würde Kerim strategisch verwahren. Für die Zukunft, man wusste ja nie, was noch kam.

Ein zweiter Teil würde der Familie zugutekommen. Kleidung, Essen, Möbel. Und für ein paar kleinere Unternehmungen sollte es auch noch reichen. Die sie jetzt auf eigene Faust durchführen konnten. Legale und nicht ganz so legale Projekte. Welche, das war nicht so wichtig. Hauptsache, die Knete stimmte.

Und den dritten Teil schließlich würde er den Männern geben. Etwas, woran ihr jetziger Hauptmann nicht mal im Traume dachte. Aber die Männer, die würden es nie vergessen!

Die große schwere Tür zum Turm knarrte. Wichtig machte die sich, so wie immer. Genauso wichtig, wie der Hauptmann, der gerade auf den Hof schlurfte.

Die Brust drückte der Kerl heraus, als er seine Männer sah. Dennoch konnte Kerim sich ein Grinsen nicht verkneifen. Denn das Gesicht seines Vorgesetzten sah nicht gerade gesund aus. Die Lippen aufgeplatzt. Mehrfach. Der Rest des Gesichts kam ebenfalls ziemlich farbig daher. Untermalt von ein paar ziemlich fiesen Kratzern.

Hinter ihm schob sich der Nibelunge ins Licht. Klar doch, dass dieser Fiesling mit von der Partie war!

Übrigens, wie Kerim grade feststellte, während die Wache antrat, der bleiche Kerl in seiner schwarzen Rüstung sah nicht viel besser aus. Hatten die beiden sich etwa in der Wolle gehabt? Sich geschlagen, gebissen und gekratzt? Etwa wegen der hübschen Dame? Kerim konnte es sich sehr gut vorstellen und grinste noch ein wenig breiter.

Die Ansprache des Kommandanten war kurz. Als er von dem geplanten Überfall auf das Lager der Nordmänner berichtete, wurden die Gesichter lang. Als aber von der zu erwartenden Beute die Rede war, kam die Freude zurück.

Die Augen glänzten. Gier stand in ihnen. Von Mordlust und Vergewaltigung träumten sie. Und für den Magen würde sich auch noch etwas finden lassen!

Dass der Gegner ein furchtbarer war, vergaßen die Männer für den Moment. Und ebenso, dass ihnen der Kommandant den größten Teil der Beute wieder abknöpfen würde.

Stolz war ihr Schritt, als sie gemeinsam ausrückten. Mutig die Gedanken, scharf die Waffen. Tod und Ordnung galt es zu bringen. Blut, Silber und Drogen zu gewinnen.

Mit einem schallenden Hurra ließ die Truppe das Tor hinter sich. Und während sie die Straße zum Hafen einschlugen, schlüpften ein paar zwielichtige Ratten in den Turm und begannen dort ihr Werk.

 

 

Ein Pakt

 

Da! Da war es wieder! Dieses merkwürdige Geräusch.

Ein Trippeln, Tapsen und Hopsen in einem. Walram runzelte die Stirn. Ihm war ja schon eine Menge untergekommen, aber dieses Geräusch wusste er nicht einzuordnen.

Jetzt zerbrachen Äste. Mit einem harten Knall. Trockenes Holz unter einer großen Last.

Ein Tier? Vielleicht! Wenn, dann aber eine Mutation. Kein normales Tier, das er kannte, bewegte sich so fort. So tapsig, so unvorsichtig.

Was? Zeigen oder nicht zeigen? Die Deckung verlassen? Um so diesen Trampel zu verscheuchen? Ohne zu wissen, was oder was hier wirklich herumstolperte?

Also? Walram wurde ärgerlich. Es stank ihm langsam, dass er sich verstecken musste wie ein Schulbub. Aber sicher war sicher.

Mantur hatte ihn zwar mit Hilfe von diesem angeblich heiligen Blut wieder ins Leben zurückgeholt, aber die Kräfte der vergangenen Tage besaß er nicht mehr. Weg waren sie, einfach weg. Wohin? Unerklärlich!

Wenn er seine hochfliegenden Pläne verwirklichen wollte, musste langsam etwas geschehen. Denn im Augenblick lief er als einfacher Hexenmeister ohne größeres Können durch diese Welt. Zurzeit schaffte er es gerade mal, schusslige Luftgeister zu fangen. Oder halb irren Wölfen Silberschnüre umzulegen. Oder matschige Schleimwichtel zu erschaffen, über die sich nur Goram freute. Na ja, wenigstens einer, der seine Bemühungen zu schätzen wusste.

Walram kochte jetzt vor Wut. Bei all diesen unliebsamen Gedanken über sein eigenes Ungemach. Es wurde Zeit! Er musste wieder der werden, der er einst war. Wenigstens! Wenn nicht mehr.

Die alten Pläne existierten noch. Waren noch nicht vergessen. Nur aufgeschoben.

„Schluss mit dem Versteck spielen!“, rief der Zauberer.

Voller Mut. Und stand auf. Schob die jungen Triebe der Bäume beiseite und ging auf das Geräusch im Unterholz zu. War doch ganz einfach! Auch wenn die Knie ein wenig schlotterten.

Was er dann aber zu sehen bekam, machte ihn doch sprachlos. Hühnerfüße! Zwei ganz ordinäre Hühnerfüße. Aber gewaltig, riesengroß!

Und was das Verrückteste war, sie trugen kein Huhn. Nicht mal entfernt. Sondern ein Haus. Windschief. Aus Brettern laienhaft zusammengeschustert. Mit weißer Farbe angestrichen. Welche massenhaft, aber geordnet abblätterte.

Sogar einen Balkon gab es. Dazu ein kleines Türmchen mit einer niedlichen Fahne. Das Ganze gekrönt mit einem Dach aus hellroten Ziegeln. Gespickt mit dünnen Ofenrohren, aus denen sich schwarzer stinkender Qualm quälte.

Rums! Die hässlichen Füße kamen zum Stillstand. Und suchten das Gleichgewicht für sich und das Haus.

„Hab dich schon gesehen! Brauchst dich nicht zu verstecken!“, krähte es mit einem Mal aus dem viel zu engen Turmfenster.

Und der Stimme folgte ein Kopf. Alt und runzlig. Weißes Haar, kleine Schweinsäuglein. Dazu eine riesige Hakennase, das Haupt mit einer großen löchrigen Socke bedeckt.

„Willst du klauen, du abgewracktes Stück Rattenfleisch?“, plärrte der Zottel weiter.

„Hallo! Jemand zu Hause?“, jodelte Walram.

Und winkte, was das Zeug hielt. Setzte dazu ein liebenswertes Gesicht auf. Vertrauensvoll sollte es wirken. Einnehmend. Und dennoch wären bei diesem Anblick noch mindestens zehn Kinder freiwillig in die Jauchegrube gesprungen.

„Sieh zu, dass du weiterkommst, du Landstreicher!“, krähte das Männlein im Fenster. „Hier gibt es nichts zu holen!“

„Was? Na, hör mal! Ich wollte doch nur …!“

„Nichts da! Verpiss dich, du Kackhaufen! Wir geben nichts! Wir haben nichts!“

„Jetzt reicht`s aber! Du hässliche Kröte! Was bildest du dir ein?“

„Auch noch frech werden, was? Euch Diebespack kenne ich! Pass nur auf, sonst komme ich runter!“

„Ach ja? Komm doch!“

„Mach ich auch!“

„Was willste denn tun?“

„Was? Du Miststück! Deine Hammelbeine ziehe ich dir lang!“

„Glaub ich nicht!“, keuchte Walram.

„Wirst schon sehen!“, stänkerte das Männlein.

„Traust dich ja doch nicht!“

„Und ob! Bin gleich da. Dann drehe ich dir deinen Spinnenhals um!“

„Was? Spinnenhals?“

„Klar! Und deine Froschbeine!“

„Was? Feigling!“

„Sei bloß vorsichtig! Du mit deinem Wurmkörper! Mann, eh! Ich könnte kotzen!“

Wow! Echt hammerhart!

Jetzt wurde Walram erst richtig wütend. Instinktiv richtete er seinen Wanderstab auf den Schreihals. Und murmelte ein paar Zaubersprüche. Nichts geschah.

Verdammt!

Selbst das Einfachste gelang nicht. Wo war nur all seine gewaltige Macht geblieben? Walram wollte verzweifeln. Schon drängten die ersten Tränen ans Licht. Und um das Maß vollzumachen, ärgerte ihn der Alte weiter.

„Was war das denn? Ich lach mich tot! Reservezauberer, was? Hast wohl in der Schule nicht aufgepasst, was?“

Als er aber die Tränen sah, die Walram vor Wut in die Augen schossen, da regte sich dann doch noch so etwas wie Mitleid.

„Ist ja schon gut. War nicht so gemeint. Wie ein Dieb und Schmarotzer siehst du mir ja eigentlich nicht aus. Zwar ein bisschen hässlich und heruntergekommen, aber was soll`s. Na, dann komm mal her. So verhungert, wie du aussiehst. Bei mir gibt es gerade Suppe. Und ein Gläschen Glühwein wird sich wohl auch noch finden lassen. Und vielleicht kannst du dich anschließend ja auch ein wenig nützlich machen. Gartenarbeit und so.“

Walram schwankte von einem Extrem ins andere. Sollte er? Warum eigentlich nicht? Hungrig war er tatsächlich. Und ein paar Auskünfte würde er dem Wicht auch noch aus der Nase ziehen. Schleimen war derzeit seine stärkste Waffe. Leider. Und vielleicht fand sich ja noch eine Gelegenheit, dem Stinkstiefel ein Messer zwischen die Rippen zu jagen.

Unauffällig schielte er nach dem Eingang. Unentschlossen. Der Ärger juckte immer noch. Niemals hätte es in der Vergangenheit jemand gewagt, so mit ihm zu reden.

Oder stimmte es gar, wie der Stinker ihn beschrieb? Nein, was für ein Quatsch!

„Was ist? Keinen Mumm?“, säuselte es schon wieder aus dem Turmfenster.

Fröhliches Kinderlachen ertönte. Und rechts und links vom Gnuppelkopf des Alten schoben sich zwei rote Köpfe ins Licht. Einer mit Zöpfen, der andere ohne. Aber beide mit Sommersprossen und strohigem Haar. So hell das Lachen! Die beiden waren eindeutig Jugendliche. Rotzfrech, der erste Blick trog selten!

„Der Trampel weiß doch gar nicht wohin!“, rief eine helle Stimme.

„Meinst du? Hm. Also gut.“

Der Alte klatschte dem Jungen auf den Hinterkopf.

„Also los, du Kobold in Menschengestalt, lass ihn rein.“

Der Junge verschwand. Und nur kurze Zeit später schwang an der Vorderseite der Hütte eine alte und knorrige Doppeltür auf. Aus der eine biegsame Hühnerleiter herauskrabbelte und mit einem Ende auf den Boden sprang.

„Kannst kommen“, forderte ihn der Junge in der Tür auf und winkte ihm aufmunternd zu.

Seufzend überwand Walram seinen inneren Schweinehund und stürzte sich todesmutig die Leiter hinauf. Das ging leichter als gedacht. Fast hatte er den Eindruck, als ob ihm die Leiter dabei half.

Oben angekommen suchte er als Erstes nach einem Halt. Um das Schwanken des Hauses auszugleichen. Torkelte dabei wie ein Idiot umher. Kein Wunder, denn das Schwanken hatte sich aus dem Staub gemacht.

Überrascht schaute Walram durch die Tür nach draußen. Dort hob und senkte sich noch immer alles. Aber innerhalb der Hütte gab es kein Auf und Ab mehr. Alles war ruhig. Wow! Dabei hatte er sich schon gefragt, wie der alte Würger und seine Gören hier drin so den Tag verbringen.

„Nicht schlecht! Gute Arbeit“, schleimte er.

„Das möchte ich meinen“, freute sich der Alte.

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Henry Wolff
Bildmaterialien: Henry Wolff
Tag der Veröffentlichung: 27.07.2014
ISBN: 978-3-7396-6670-9

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