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Oh man, Mama!



Also, meine Mutter wird in diesem Jahr einundachtzig. Von der Weisheit so weit entfernt, wie die Sonne von der Erde ist sie geistig fit, wie eine etwas jüngere Ausgabe ihrer selbst. Zumindest in den meisten Bereichen. Und sie verfügt über diese Schläue, die es braucht, um immer ihre Wünsche gegenüber uns Kindern durchzusetzen. Ein gutes Beispiel für ihre Cleverness ist die Art, wie sie versucht mich dahin gehend zu manipulieren, dass ich sie besuche. Es gibt verschiedene Varianten. Zum Beispiel ruft sie an und tut sehr geheimnisvoll. Sie >Ich muss etwas mit dir bereden, es ist wichtig, aber ich möchte es dir nicht am Telefon sagen. Man liest ja so viel davon, dass andere mithören können.< Ich >Mama, da hört keiner mit. Denen ist es egal, was Tante Gerda gerade beim Zahnarzt erlebt hat.< Sie >Mir ist lieber, du würdest kurz mal vorbei kommen. Dauert auch nicht lange.< Natürlich hat die Aussage nur einen Hintergrund - sie möchte mich persönlich sehen. Wenn diese Masche nicht ankommt, dann wird schwereres Geschütz aufgefahren. Der Ton ändert sich von eben noch sachlich auf unterschwellig beleidigt. Sie >Die paar Minuten kannst du doch wohl erübrigen. Deine Männer sind doch alt genug, um sich selbst ein Abendessen machen zu können.< Die richtig harte Gangart ist dran, wenn sie weiß, dass ich eigentlich "nur" Hausarbeit habe. Die Stimme ist dann einige Oktaven höher als normal, einen Tick lauter und hat einen weinerlichen Beigeschmack. Sie >Du musst heute noch zu mir kommen. Mir geht´s ganz furchtbar schlecht. Ich komme nicht aus dem Sessel und ich hab nicht mal Lust aufs Essen. Alles ist mir zu viel. Kannst du nicht bitte sofort kommen?< Lasse ich mich dann breitschlagen und folge ihrer Bitte, dann lässt sie mich nicht so schnell wieder los. Mit Erstaunen höre ich dann, was soooo wichtig und soooo diskret ist, dass es nicht aus den eigenen vier Wänden dringen darf. Sie hat etwas gelesen. In einer Zeitschrift aus der Yellow Press. Sie >Du hattest doch neulich solch ein Sodbrennen. Ich hab jetzt gelesen, dass man lieber auf Kaffee verzichten soll. Wegen der Säure. Ich trinke ja schon seit Jahren nur noch Kakao.< Ich >Mama, ich trinke nur morgens eine Tasse, zur Hälfte verdünnt mit Magermilch. Und das saure Aufstoßen hab ich längst im Griff. Hab mir bei Rossmann Natrontabletten geholt. Was war es denn, was so streng geheim war, dass du es mir nicht am Telefon sagen konntest?< Sie >Was meinst du?< >Ach nichts, hab mich wohl verhört.< Deutlich spüre ich ein Kribbeln im Nacken, verursacht durch das sich Aufstellen der kleinen Haare in diesem Bereich. Meistens folgen dann noch jede Menge Belehrungen, was ich tun und lassen sollte. Sollte der Leser nun denken, dass er mathematisch etwas nicht verstanden hat, kann ich ihn beruhigen, ich bin keine zehn Jahre mehr, sondern nähere mich auf direktem Wege meinem siebenundfünfzigsten Geburtstag. Was meine Mama nicht davon abhält, mir beim Abschied noch die gesammelten Werke ihrer Heftchen in die Hand zu drücken, mit der Aufforderung, mir alles noch einmal in Ruhe durchzulesen. Da sie sehr ans Haus gebunden ist, lässt es sich nicht vermeiden, dass sie ein wenig mehr fernsieht, als ihr gut tut. Leider haben es ihr die dramatischen Berichte und die sogenannten "wahren Geschichten" der Privatsender angetan. Es hat eine Weile gedauert, bis sie akzeptieren wollte, dass Kallwass und Co. mit Schauspielern besetzt sind. Und es war nicht ich, die sie überzeugen konnte, sondern eine Nachbarin, der sie manchmal einen Besuch abstattet. Und das Internet gehört nicht zu den Errungenschaften, die ihre Fürsprache erhalten. Sie >Sei bloß vorsichtig mit diesem Internet. Überall wird davor gewarnt. Sogar von der Polizei.< Ich >Mama, ich lass mich nicht locken. Außerdem hab ich ja noch meinen Sohn. Der kennt sich bestens aus.< Anderen Menschen gegenüber hat sie mit zunehmendem Alter eine Skepsis entwickelt, die schon zu peinlichen Situationen geführt hat. Und sie ist die Vorsicht in Person, sozusagen die Mutter aller Porzellankisten. Wenn ich sie zum Einkaufen abhole, dann sitze ich gut und gerne mehrere Minuten im Auto und warte getreulich, bis sie nach dem Abschließen der Haustür ihre fünf bis sechs Kontrollgänge absolviert hat. Es kann passieren, dass ich nach dem Anfahren noch mal stoppen muss, sie dann aussteigt und ein weiteres Mal den Türgriff herunter drückt, um festzustellen, ob die Tür nicht in der Zwischenzeit von Geisterhand, durch Schwarze Magie oder ähnlichem Zauber geöffnet wurde. Zugute halten muss ich ihr, dass sie sich ihrer Handlung durchaus bewusst ist und es mit Humor nimmt. Ich glaube allerdings, dass sie schon mit einem stark ausgeprägten Kontrollzwang auf die Welt gekommen ist, sehr zum Leidwesen meines Bruders und meiner eigenen Person. Wenn es allerdings um ihre Kinder geht, dann mutiert sie zu einer Löwin, die uns verteidigt gegen den Rest der Menschheit. Sie ist durchaus in der Lage, selbstkritisch zu sein. Doch wehe, irgendwer hat an uns Geschwistern etwas zu bemängeln, dann gnade ihm Gott. Die Einzige, die mit uns meckern darf, ist sie selbst. Und sich beschweren, dass wir nicht tun, was sie möchte. Wenn sie aufgeregt ist, dann steigert sie sich so in Rage, dass man sich gelegentlich wünscht, einen weniger guten Gehörsinn zu haben. Oft sind diese verbalen Attacken darauf ausgelegt, unser Mitleid zu erhaschen. Meist gelingt es mir aber doch, sie wieder auf den Teppich zu holen, während mein Bruder resigniert verschwindet. Er ist ja auch etwas öfter den Salven ausgesetzt, da er im gleichen Gebäude wohnt. Bei unseren gemeinsamen Unternehmungen ist sie stets sehr fürsorglich. Das Gehen fällt ihr etwas schwer. Sie >Pass auf die Stufe auf! Lass erst das andere Auto raus! Den Parkplatz würde ich nicht nehmen. Hast du die Handbremse angezogen? Leg lieber noch einen Gang ein.< Bis vor zwei Jahren ist sie noch selbst gefahren. Nach dem Aussteigen prüft sie einzeln die Türen, ob sie verschlossen sind. Mein Wagen hat
Zentralverriegelung. Da sie eine Abneigung gegen Nudeln hat, rät sie mir ständig davon ab, eben diese zu kaufen. Speziell Spaghetti sind ihr völlig zuwider. Meine Familie und ich lieben die mediterrane Küche. Nach dem Tod meines Vaters hat sie sich leider auch mit Süßigkeiten getröstet, welches ihr einen etwas stärker ausgedehnten Umfang eingeracht hat. Deswegen ist sie nicht mehr so beweglich. Im Haus geht sie am Stock und für kleine Spaziergänge haben wir ihr einen Rentnerporsche, sprich Rollator besorgt. Sie behauptet, es würde sie entlasten. In der letzten Zeit denkt sie manchmal laut darüber nach, ob ein betreutes Wohnen nicht doch besser für sie wäre. Wenn es allerdings konkret wird, dann lässt sie das Thema einfach fallen. Dabei hat sie alle Optionen, sie selbst entscheidet, wo sie sein möchte. An dieser Stelle möchte ich anmerken, dass ich ein sehr gutes Verhältnis zu meiner Mutter habe. Und egal, welche Meinungsverschiedenheiten wir haben oder hatten, wir sind beide nicht nachtragend. Deshalb bin ich trotzdem nicht blind und erkenne, wann wieder Käse in der Besuchsfalle ausgelegt ist. Ich versuche das Nehmen und Geben in der Waage zu halten, sonst hänge ich bald im Netz. Natürlich bleiben die Ermahnungen nicht ohne Folgen. Wenn ich das Haus verlasse, dann habe ich ihre Worte im Ohr >Bist Du auch warm genug angezogen?< Selbst, wenn andere schon im kurzärmeligen T-Shirt herumlaufen, nehme ich sicherheitshalber eine Jacke mit. Oder wenn ich mal im Internet surfe, dann erinnere ich mich daran, dass sie etwas gelesen hat über die Gefahren, die eine Nutzung des Selbigen in sich birgt. Früher habe ich immer Schuhe mit hohen Absätzen getragen, aber seit ein paar Jahren und einigen Pfunden mehr auf den Hüften, empfinde ich es als wesentlich angenehmer, in Turnschuhen oder Sneakers durch den Tag zu gehen. Trotzdem warnt sie mich ständig sehr eindringlich davor, mir High Heels oder Stiefel mit Mörderabsätzen zu kaufen. Fahre ich mit dem Pkw und sehe eine Geschwindigkeitsangabe, dann prüfe ich sofort meinen Tacho. Mama macht mich nämlich gerne auf diese Schilder aufmerksam. Sie >Hier ist fünfzig.< Ich >Ich weiß, Mama. Hab das bereits registriert.< Bei unseren wöchentlichen Einkaufsfahrten gönnen wir uns meistens ein Stück Kuchen. Im Sky Café stehen wir an der Theke und obwohl sie das Sortiment auswendig kennt und es fast immer auf den gleichen Kuchen hinausläuft, kann sie es nicht lassen, eine kleine Gehässigkeit loszuwerden. Die Verkäuferin fragt höflich was, wir haben möchten. Schließlich sind wir an der Reihe. Sie >Wir müssen ja erst mal sehen, was Sie haben, Machen Sie man erst mal da hinten weiter.< An mich gewandt, aber keinesfalls mit gedämpfter Stimme >Ich kann es nicht leiden, wenn man mich hetzt. Ich will in Ruhe aussuchen.< Ich >Mama, sie hetzt nicht, wir waren dran.< Sie >Nä, das muss immer so husch, husch gehen. Sei bloß nicht immer so gutgläubig.






Humor ist, wenn man trotzdem lacht


Impressum

Texte: Henriette Jakob
Bildmaterialien: http://media1.picsearch.com/is?Ge_1PArx2Vu-ga0a3z1ra-xCQ_tkGmbL6c0xnOA_tcY
Tag der Veröffentlichung: 13.04.2011

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Meiner lieben Mama

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