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Ein Denkmal für Mohrchen

Henry Klein drückte energisch auf den Klingelknopf unter dem Schildchen mit den zwei Schwänen, die verliebt die Hälse ineinander schlingen. Er verzog spöttisch den Mund, ließ die Finger durch sein blondes Lockenhaar gleiten und schaute sich um. Sein Blick glitt über den gepflegten Vorgarten mit den akkuraten Blumenbeeten und dem kurz geschnittenen Englischen Rasen, den kein welkes Blatt verunzierte. Da fehlen nur noch die Gartenzwerge, dachte er und drückte ein zweites Mal auf die Klingel.

Wie er so dastand, hätte ihn wohl niemand für einen Kriminalbeamten gehalten, schon eher für einen Schönling aus dem Fitnesscenter. Hinter vorgehaltener Hand wurde er von seinen Kollegen nur "unser Engelchen" genannt. Er schaute noch einmal auf seinen Zettel: Hugo Kornfeld, Rentner, Anfang 70, seit längerem spurlos verschwunden - mehrere Hinweise aus der Nachbarschaft. Wieder so ein Kerl, der mal eben Zigaretten holen ging und nicht zurückkam, dachte er. Nur eine Überprüfung, sonst nichts. Er wollte den Fall schnell hinter sich bringen. Die Zeit drängte. Schöne Frauen sollte man nicht warten lassen. Die kühle Schwarzhaarige aus dem Kosmetiksalon war heute dran. Er würde mit ihr zur Stadt hinausfahren. Nur nicht Petra über den Weg laufen. Schließlich war er noch mit ihr verlobt.

Drinnen regte sich immer noch nichts. Er wollte sich schon ärgerlich zum Gehen wenden, als die Haustür langsam geöffnet wurde. Kleine dunkle Augen unter weißen, kunstvoll aufgetürmten Haaren strahlten ihn an. Der massige Körper wirkte durch das blaue, sehr weite Kleid noch gewaltiger.

"Ja bitte, Sie wünschen?" lächelte sie. Henry Klein war ein Mann, der privat wie auch im Beruf schnell zur Sache kam.

"Frau Kornfeld", begann er in seinem geschäftsmäßigen forschen Ton, der gar nicht zu seinem Engelsgesicht passte, "darf ich Sie einen Moment sprechen? Es geht um Ihren Mann."

Die alte Dame machte noch Anstalten, ihn mit einer freundlichen Geste hereinzubitten, als Klein schon an ihr vorbei gerauscht war. Er hatte bereits sein Notizbuch gezückt und auf dem Sofa Platz genommen.

"Setzen Sie sich doch", forderte er die Dame des Hauses auf, die ihm etwas verwirrt gefolgt war.

"Aber Herr Inspektor", stotterte Olga Kornfeld, "alle wissen Bescheid. Mein Mann hat mich vor zwei Monaten wegen einer jüngeren Frau verlassen. 45 Jahre waren wir verheiratet und dann so etwas." Sie schlug die Hände vors Gesicht.

"Oberinspektor. Ich bin Oberinspektor." Er trommelte nervös mit dem Kugelschreiber auf den Mahagoni-Couchtisch. So kam er nicht weiter. Sollte er mit der Schwarzhaarigen lieber in ein Motel fahren? Sein Blick heftete sich böse an eine altmodische Vitrine, wanderte schließlich bis zu dem mächtigen Marmorkamin, auf dem zahlreiche goldgerahmte Bilder standen. Aus jedem dieser Bilder grinste ihm ein schwarzer Pudel entgegen.

"Ihr Hund?" fragte er wenig interessiert und deutete mit dem goldenen Kugelschreiber in die Richtung.

"Ja, das ist mein Mohrchen", flüsterte sie und trat ehrfürchtig vor den Kaminsims mit der Bildersammlung, als sei es ein Altar. Ein feuchter Schimmer überzog ihre Augen, ihre welken Finger glitten unendlich zärtlich über das größte Bild. Dann faltete sie die Hände wie zu einem Gebet. Noch ehe Klein die für ihn lächerliche Szene mit einem forschen Spruch überspielen konnte, wandte sie sich um.

"Ich mache uns rasch eine Tasse Tee", murmelte sie und war schon zur Tür hinaus.

Klein trat kopfschüttelnd an die Balkontür. Der hintere Garten war genauso gepflegt wie der vordere. Und dann sah er es. Inmitten des herrlichen Rasens thronte ein Pudel - in Bronze gegossen. Das kann doch nicht wahr sein, dachte der Oberinspektor. Ein Denkmal für einen Pudel - inmitten eines herrlichen Rosenbeetes.

"Nehmen Sie Zucker in Ihren Tee?" Klein fuhr herum. Dann lächelte er zum ersten Mal.

"Man kann nicht süß genug sein. Finden Sie nicht auch?" Nachdem beide Platz genommen hatten, fragte er:

"Was bedeutet die Bronzefigur in Ihrem Garten? Das ganze sieht aus wie ein Grab."

"Ja, dort liegt mein Mohrchen. Ich habe extra einen kleinen weißen Sarg anfertigen lassen." Eine Träne kullerte über ihr rundes Gesicht. "Wollen Sie es sich einmal ansehen?" Widerwillig erhob sich Klein und ging mit der alten Dame zum hinteren Garten hinaus. Während die Alte ergriffen vor die Bronzefigur trat und ein kaum hörbares Zwiegespräch führte, blickte der Kriminaloberinspektor ärgerlich auf die Uhr. Er musste gehen. Plötzlich sah er unter den Zweigen der Tannen in einer abseitigen Ecke des Gartens ein einfaches kleines Holzkreuz.

"Was ist das?" fragte er verblüfft und ging einen Schritt darauf zu. Die alte Dame trat erstaunlich schnell neben ihn und hielt ihn am Arm fest. Sie seufzte:

"Da liegt Hubi, mein unvergesslicher kleiner Wellensittich", und ging schon wieder hinein. Verrückte Alte, dachte Klein und drehte sich noch einmal zu dem Holzkreuz um. Irgendetwas störte ihn.

Als er wieder auf der Couch saß und den Rest des köstlichen Tees trank, wusste er es. Das Grab war für einen Wellensittich viel zu hoch aufgeschüttet. Jetzt hab ich sie, frohlockte er und spürte, wie das Jagdfieber in ihm brannte. Hieß ihr Mann nicht Hugo? Und hatten die Nachbarn nicht gesagt, dass er eifersüchtig auf den Hund war? Und dass der Hund wenig später durch Gift umgekommen war? Da brauchte man doch nur zwei und zwei zusammenzählen... Aber er musste psychologisch vorgehen, musste so tun, als habe er Verständnis und Mitleid mit der Alten.

"Warum hat Ihr Mann bloß das arme Mohrchen vergiftet", sagte er plötzlich mit einer Stimme, die vor innerer Erschütterung bebte.

"Wie Recht Sie haben! Es ist unverständlich, nicht wahr? Dabei war Mohrchen doch das einzige Lebewesen, das mich niemals enttäuscht hatte. Mein Mann hasste das Mohrchen. Darum vergiftete er den armen Hund." Sie zeigte auf eine rote Hundematte links vor dem Kamin. "Eines Tages wird er wiederkommen, und dann sind wir für immer vereint. Haben Sie auch Tiere, Herr... Oberinspektor?"

"Nein", sagte er. Die machen nur Dreck und Arbeit, dachte er. Er war hier fertig. Den Rest konnten seine Kollegen erledigen.

"Noch eine Tasse Tee, Herr Oberinspektor", hörte er die für seinen Geschmack viel zu freundliche Stimme von Olga Kornfeld. Er schüttelte nur den Kopf und wollte sich erheben, als er verblüfft feststellte, dass seine sonst so durchtrainierten Beine Schwäche zeigten. Auch fühlte er sich im Ganzen etwas schläfrig. Er setzte sich wieder. Diese Atmosphäre bei der Alten wirkte auf ihn irgendwie betäubend.

"Eine letzte Frage noch, Frau Kornfeld: Wie haben Sie Ihren Mann umgebracht?"

Die alte Dame lächelte verschmitzt und goss unaufgefordert noch etwas Tee in Kleins Tasse.

"Hugo trank doch so gern meinen Tee. Auch etwas Zucker, Herr Oberinspektor?" Erst jetzt gewahrte Henry Klein den bitteren Geschmack in seinem Mund und sackte wortlos zusammen.

Tags darauf stand ein weiteres einfaches Holzkreuz auf einem Erdhügel. Die alten Tannen wiegten sich wie Verbündete im Wind.

 

Impressum

Texte: Copyright by Felix H. Bendig
Tag der Veröffentlichung: 02.02.2013

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