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Kapitel 1


Eins, zwei, drei, vier, fünf, -gut.
Eins, zwei, drei vier fünf, -gut.
Eins, zwei, drei, vier, fünf, -gut.
Eins, zwei, drei, vier, fünf, -gut.
Gut das alle da sind!
„Nachzählen ist wichtig, hinterher fehlt einer und ich habe es nicht gemerkt“, denkt Struwwel. Struwwel liegt im Bett und freut sich, das alle Finger an den Händen wieder da sind. Heute Nacht waren sie nämlich nicht da. Da waren es Flügel. Schwanenflügel um genau zu sein. Struwwel war ein Schwan und flog über den See. Dann ist sie auf dem Wasser gelandet und geschwommen. Sehr elegant hat sie das gemacht. Schließlich war sie als Schwan voll in ihrem Element -und wenn man voll in seinem Element ist, macht man alles sehr elegant. Nur richtige Zehen an den Füssen hat Struwwel heute Nacht ebenfalls nicht gehabt. Das waren eher so Flossen-Füsse. Also hat Struwwel heute morgen auch ihre Fuß-Zehen gezählt.

„Ich weiß, Ich weiß, das war ein Traum“, sagt Struwwel zu sich selber, „Aber wenn ich träume bin ich immer ganz woanders –und wenn ich ganz woanders bin, wer liegt dann in meinem Bett? Liege ich dann noch da oder bin ich ganz Schwan und auf dem See? Immerhin konnte ich fliegen –und wenn ich fliege kann ich ja nicht gleichzeitig im Bett liegen. Oder doch? Da ist es doch eine gute Sache, wenn ich jetzt, da ich wach bin, schaue in welchem Körper ich wohne. Womöglich stehe ich sonst auf und stolper über meine Flossenfüße und falle auf meinen Schnabel – falls ich nicht schon wieder eine Nase habe. Flossenfüße? Flossenfüße? Habe ich eigentlich noch Schwimmhäute?“ Struwwel überprüft schnell noch einmal die Räume zwischen den Zehen. „Puh! Das scheint in Ordnung zu sein. Ich bin tatsächlich ein Mensch.“ Da ich das nun geklärt habe, könnte ich eigentlich aufstehen.“

Struwwel hat Ferien. Sommerferien. So einen Ferienmorgen liebt Struwwel. Ohne Wecker wach werden und sich nicht beeilen müssen. Die Sonne scheint zum Fenster herein und aus dem Garten klingt ein harmonisches Zwitscher-Konzert ins Zimmer. Mit einem 1a Purzelbaum rollt sie aus dem Bett und hüpft ein bisschen herum. „Einen wunderschönen guten Morgen, ihr Zwitscher-Vögel“, ruft Struwwel. „Danke für das Aufwecken!“

Da klopft es unten am Haus an der Tür. „Hallo Struwwel! Schon wach?“ Es ist Struwwels Freund Peter, wie immer voller Tatendrang. „Hi Peter, klar bin ich wach, der Schwan ist längst gelandet.“ Peter schaut Struwwel etwas verwirrt an und sagt dann: „Wir haben Ferien! Der Tag gehört uns - was stellen wir heute an?“ „Mmmhh, eine gute Frage, lass uns das mal erstruwweln“, sagt Struwwel. Struwwel und Peter setzen sich auf die Treppe vor dem Haus. Sie sitzen nahe beieinander, Stirn an Stirn gelehnt und wuscheln sich gegenseitig kräftig in den Haaren. Das nennen sie „Erstruwweln“. Das machen die beiden immer, um gute Ideen zu bekommen. „Das regt die Gehirndurchblutung an!“, weiß Struwwel. Manchmal redet Struwwel ganz schön klug daher.

„Ich hab’s erstruwwelt!“, ruft Peter. „ Was hältst du von Schwimmen gehen?“ „Au ja“, sagt Struwwel. „Ich kenne eine super Badestelle am Fluss Lavida mit allem Pi-Pa-Po. Da gibt es eine Tarzanliane zum hin- und her schwingen und ins Wasser springen. „Abgemacht“, sagen die beiden gleichzeitig. Die Handtücher und ein paar Äpfel, Möhren und Birnen als Proviant werden eingesteckt und schon laufen die beiden freudestrahlend los.

Am Fluss Lavida angekommen schnappt sich Struwwel vor Übermut direkt die Tarzanliane. Sie schwingt hin und her und denkt an den Traum aus der Nacht. Struwwel fühlt sich jetzt wieder wie der Schwan und lässt die Liane los, um elegant auf dem Wasser zu landen. Platsch! Schwäne landen aber anders. Struwwel ist nicht gelandet, sondern geplumpst. Wie ein Struwwel halt ins Wasser plumpst. War das elegant? Natürlich, denn Struwwel fühlt sich voll in ihrem Element. Herrlich! So schön erfrischend und.....

„Äääh, halt! Stop!“ Struwwel hält inne und rümpft die Nase. „Das Wasser stinkt!“ Sie schaut sich um. „iiiiih, das sieht auch ganz dreckig aus!“, sagt Struwwel. Peter fängt an zu husten und zu würgen. „Bäh, das schmeckt ja abscheulich!“ Er hat seinen Durst vom herlaufen direkt stillen wollen und hat das Flusswasser getrunken. „Was ist hier denn los?“, fragen die beiden.

Struwwel kommt sofort aus dem Wasser und trocknet sich ab. Sie fühlt sich überhaupt nicht mehr erfrischt und sauber schon gar nicht. Sie fühlt sich, als ob sie aus einem miefigen modrigen Sumpf steigt. Es stinkt irgendwie nach Chemie oder Plastik oder so ein Zeug. Genau wissen die beiden Freunde es nicht. Peter wird ganz komisch im Bauch, das stinkende Flusswasser ist ihm ganz schlecht bekommen. Jetzt sehen sie auch das Schild: Baden Verboten! Vergiftungsgefahr! Steht darauf.

„Oh je, Oh je, hoffentlich bleiben wir gesund. Peter, du solltest bald viel klares Wasser trinken, damit diese Brühe dir nichts tut“, sagt Struwwel aufgeregt. „Das war doch eine sooo schöne Badestelle und jetzt ist es wie ein stinkender Misthaufen im Wasser. Ich will unseren sauberen Fluss wieder haben.“ Struwwel ist wütend.

„Wir beide waren ja nur kurz im Wasser, was machen denn erst die Fische, wenn sie im Flusswasser leben?“, fragt Peter. „Und was machen die Bäume, wenn sie hier wachsen und mit ihren Wurzeln das Wasser trinken?“, fragt Struwwel. Dann sehen die beiden, dass die Blätter der Bäume am Ufer gelb-braun und welk sind. Einige Bäume verlieren sogar ihre Blätter. Mitten im Sommer. Mitten im Sommer sollten die Blätter eigentlich saftig grün sein. Bäume verlieren ihre Blätter normalerweise erst im Herbst. „Oh, nein! Schau mal dort.“, Struwwel zeigt auf die Wasseroberfläche. Ein Fisch liegt mit dem Bauch nach oben Tod auf dem Wasser! Völlig niedergeschlagen sitzen die beiden am Ufer. Peter und Struwwel fangen an zu weinen. Sie liegen sich in den Armen und sind ganz verzweifelt. Was sollen sie denn jetzt tun?

Nach einer Weile haben sie sich etwas getröstet. „Wir sollten nicht ewig die Köpfe hängen lassen, lass und mal erstruwweln was wir jetzt machen können“, schlägt Peter vor. „Gute Idee“, sagt Struwwel schluchzend, die immer noch sehr traurig ist. Die beiden setzen sich also Stirn an Stirn hin und wuscheln sich kräftig in den Haaren. Struwwel bekommt jetzt wieder gute Gedanken: „Ich hab´s erstruwwelt!“ sagt sie. „Eins ist klar: Das das Wasser der Lavida schmutzig und vergiftet ist, das geht überhaupt nicht. Das geht auf gar keinen Fall. Wir finden heraus was da passiert ist. Und dann ändern wir das! Schaffen wir das?“ „Das schaffen wir!“, antwortet Peter. „Bist du dabei?“ „Klar! Ich bin dabei!“, ruft Peter. „Na dann los!“, sagt Struwwel. „Yippie“, ruft Peter „Struwwel und Peter retten die Welt.“

Struwwel wuschelt jetzt in ihren eigenen Haaren und denkt laut: „Da das Wasser den Fluss abwärts fließt, gehen wir einfach den Fluss hinauf und schauen, wo das Gestinke anfängt.“ „Das klingt nach einem guten Plan.“, stimmt Peter zu. So gehen die beiden los.


Kapitel 2



Ein schmaler Pfad schlängelt sich am Ufer der Lavida entlang Flussaufwärts. Struwwel und Peter durchschreiten einen großen Laubwald. Je weiter sie kommen, desto mehr Bäume lassen die Äste hängen und verlieren ihre Blätter. „Die Sache stinkt gewaltig, sagt mir meine Nase.“ Struwwel hat eine sehr feine Nase und wenn Struwwels Nase schnüffelt und sagt eine Sache stinkt, dann stinkt diese Sache aber wirklich so richtig.

Peter flüstert: „Pssst, Struwwel, hast du das gehört?“ „Was denn?“ „Na hat da nicht jemand gerufen?“ Peter bleibt stehen. So fein wie die Nase von Struwwel sind die anderen Sinne von Peter. Ihm entgeht nichts. „Hör doch mal.“ Struwwel bleibt jetzt auch stehen und lauscht. Tatsächlich, da ist eine Stimme, ganz fein und ganz leise.
„Hallo? Hallo Ihr zwei?“ Struwwel und Peter schauen sich verwirrt um. „Hier bin ich“ hören sie die Stimme sagen. „Wo ist denn hier?“, fragt Peter. „Na hier! Hier unten!“ Die beiden schauen auf den Waldboden. „Genau, genau, da schaut ihr richtig, hier bin ich!“ Eine kleine Sonnenblume steht am Wegesrand. Man könnte meinen sie schaut Struwwel mit ihrer Blüte direkt auf die Nase. Hat da gerade die Blume gesprochen? Die beiden Freunde betrachten die Sonnenblume mit großen Augen.

„Gestatten, Helios ist mein Name. August Emilio Helios. Pressesprecher des kollektiven Waldbewusstseins und Mitglied im Vermittlungsausschuss Flora und Fauna.“ Die beiden verstehen nicht viel und es fällt ihnen die Kinnlade herunter. „Hallo? Seid ihr sprachlos? Ich dachte, Menschen können sprechen! Noch nie eine Sonnenblume gesehen, was?“ Struwwel ist ganz verdattert. Sie beugt sich mit ihrer Nase nach unten. Das ist eine echte Blume, soviel lässt sich erschnüffeln. „Freut mich sehr, euch kennen zu lernen“, sagt Helios, „aber könntest du bitte aus der Sonne gehen? Ich tanke gerade Lichtnahrung.“ „Oh, Entschuldigung, natürlich.“ Struwwel geht einen Schritt zur Seite und Helios hält seine Blüte und die Blätter in die Sonne. „Mmmhhh, herrlich, die Mittagssonne schmeckt einfach am besten. Ich nenne es die himmlische Phase.

Schön, daß ihr so feinsinnig seid und mir zuhört“, sagt Helios. „Ich habe schon auf euch gewartet.“ „Du hast auf uns gewartet? Woher konntest du denn wissen das wir hier vorbeikommen?“, fragt Struwwel. Struwwel wundert sich so sehr darüber, dass Helios wusste dass die beiden hier vorbeikommen werden, dass Sie ganz vergisst sich darüber zu wundern, dass diese kleine Sonnenblume sprechen kann. „Das kollektive Waldbewusstsein weiß viele Dinge, bevor sie passieren. So wusste ich es auch. Ich bin als Botschafter ausgewählt worden um mit euch zu reisen.“ „Mit uns zu reisen?“ „Ja, genau. Mit euch zu reisen. Da ich so schön klein bin und in euren Rucksack passe. Oder wollt ihr etwa diese große, dicke, alte Eiche neben mir schleppen?“ „Oh, nein, nein, das wäre wohl zu schwer.“ Struwwel und Peter sind jetzt wirklich erstaunt.

„Aber warum willst du denn mit uns reisen, kleiner Helios?“, wollen sie wissen. „Weil ihr reinen Herzens seid und weil ihr uns helfen könnt. Uns geht es derzeit gar nicht gut. Die Lichtnahrung an diesem Flecken ist zwar ausgezeichnet, aber wir Pflanzen brauchen neben der Sonne auch Wasser zum Leben. Und das Wasser ist verdorben. Wir trinken aus dem Fluss. Wir müssen aktiv werden, sonst sterben wir. Einige von uns sind schon sehr krank.“ „Das sehen wir“, sagt Struwwel. „Wir nehmen dich gerne mit, Helios. Wir sind auf der Suche nach der Ursache für das stinkende verdorbene Wasser.“ „Genau da möchte ich mit hin. Ich weiß zwar noch nicht was uns erwartet, aber ich weiß, daß dies mein Weg ist als Botschafter für uns Pflanzen und für den ganzen Wald zu sprechen. Das ist meine Mission.

„Was ist eigentlich das kollektive Waldbewusstsein?“, möchte Peter jetzt wissen. „Du kannst es auch den „Geist des Waldes“ nennen, das ist für euch Kinder vielleicht einfacher zu verstehen.“, antwortet Helios. „Stell es dir so vor: alle Pflanzen und Tiere hier bei uns im Wald sind miteinander verbunden. Wir helfen uns gegenseitig und leben voneinander und miteinander. Zum Beispiel braucht ein Specht die Bäume zum Löcher picken. Er würde niemals mehr Löcher in den Stamm hacken als er selber braucht. Die Bäume brauchen wiederum die Würmer, damit sie die Erde umgraben und diese schön locker machen. Damit wir, also alle Pflanzen und Tiere, gut miteinander auskommen, betrachten wir uns als verbundene Teile des Waldes. Jeder von uns ist wichtig und jeder hat seine Aufgabe. Wie bei einem Puzzle. Ein Puzzleteil alleine ergibt keinen Sinn. Es müssen alle Teile an ihrem Platz sein, damit das Bild schön wird. Wenn auch nur ein Teil fehlt, ist das Bild nicht fertig. Alle unsere Gedanken können wir zusammentragen. So entsteht ein größerer Gedanke, den alle Waldbewohner gemeinsam gedacht haben. Diese gemeinsamen Gedanken nennen wir den Geist des Waldes.“

Erst jetzt bemerken Struwwel und Peter, dass niemand ein Wort sagt. Sie sprechen irgendwie anders mit der Pflanze. Ist so etwas überhaupt möglich? „Mit euren Gefühlen könnt ihr mit mir reden“, sagt Helios. „Die meisten Menschen haben leider verlernt mit uns Pflanzen zu sprechen. Sie denken nur mit Verstand und Kopf und sind deshalb sehr unachtsam. Sie nehmen die Bedürfnisse von uns Pflanzen gar nicht mehr wahr. Dabei lieben wir euch Menschen. Umso mehr freue ich mich, dass ihr mir zuhört.

Buddelt mich bitte vorsichtig aus. Lasst genügend Wurzeln und Mutter Erde an mir. Dann könnt ihr eine Tüte darum wickeln, mich in den Rucksack stecken und meinen Kopf herausschauen lassen. So kann ich gut reisen.“ Die beiden Kinder folgen Helios Anweisungen und nehmen ihn dann in Peters Rucksack mit. Jetzt sind sie zu dritt. Das neue Team macht sich auf den Weg weiter Flussaufwärts. „Alles Gute und viel Erfolg!“ Struwwel und Peter spüren, dass der Geist des Waldes soeben zu ihnen gesprochen hat.

Ende Kapitel 2

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Die Geschichte geht weiter…
Möchtest du erfahren, wie Struwwel und Peter es schaffen das Wasser klar zu machen?
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Impressum

Tag der Veröffentlichung: 01.02.2009

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für Morten - Du inspirierst mich mit jeder Gute-Nacht-Geschichte, die ich dir erzählen darf.

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