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Der Hausmeister

 

 

 

Er ist für alles zuständig, was die Mieter und Eigentümer nicht bewältigen möchten. Sie bezahlen lieber dafür. Ordnung und Sicherheit ist den Bewohnern dieses Hauses wichtig. Es ist das A und O des Zusammenlebens, falls man davon überhaupt sprechen kann, wenn jeder nur mit sich selbst beschäftigt ist. Liegt ein Hundehaar im Treppenflur oder riecht es nach Tabakrauch, ist der Müll nicht sortiert oder das Garagentor klemmt – der Hausmeister ist zuständig. Er fühlt sich auch verantwortlich und mahnt die gottgewollte Ordnung an, wenn auch zuweilen etwas derb, zumindest für die feinsinnigen Seelen einiger Bewohner..

 

„Welche Dumpfbacke hat wieder Gehöltzschnitt in den Papiercontainer geworfen? Dafür ist die Biotonne da. Falls man lesen kann, es steht an den Behältern.“ So liest man es wieder einmal auf einem großen Zettel.

 

Die über ihn stehenden Eigentümer und Mieter mögen das nicht, ein Hausmeister hat zu kuschen und er kann ja nicht einmal Gehölzschnitt schreiben, heißt es. Kurz, es gibt hin und wieder Klagen beim weisungsberechtigten Hausverwalter. Ab und an läuft deswegen eine umfangreiche Mail-Kampagne zwischen den gewählten Beiräten aus der Eigentümerversammlung. In gewandtem Deutsch beklagen sich die sensiblen intellektuellen Menschen über die haarsträubenden Zustände und den rüden Ton des untragbaren Hausmeisters. Man würde auch nicht mehr geneigt sein hinzunehmen, dass die Kellerräume nicht abgeschlossen werden. Jeder könne so ungeniert Zutritt erlangen und das ginge gar nicht. Jegliches Gesocks käme herein. So erdachte und bestellte man rote Schilder mit der Aufschrift „Tür bitte immer abschließen“. Der Hausmeister brachte sie an. So weit, so gut.

 

Ein paar Tage gab es keinerlei Querelen, den Hausmeister sah man nicht. Er schien verschwunden. Man bemerkte es als die Mülltonnen nicht an die Straße geschoben wurden als der Tag der Abholung angebrochen war. Dabei waren sie voll, unverschämt voll. Der Hausmeister versah also seinen Dienst nicht. Allmählich reichte es. Der Hausverwalter sah sich mit Beschwerden konfrontiert. Der Hausmeister blieb verschollen. Auf einen Handyanruf reagierte er nicht. Der Hausverwalter sah sich gezwungen, etwas zu unternehmen. Er verständigte die Polizei.

 

Herr Lauschmeier, ein Eigentümer, der stets alles herausbekam und Fräulein Katrin Susepumpel, eine Mieterin, der man so allerlei unterstellte, wussten nichts davon. Warum auch, sie hatten mit sich zu tun.

 

Die Susepumpel würde rauchen und vermutlich hielte sie ein Kaninchen in der Wohnung, zudem würde sie im Sommer barfuß laufen. Auf der Straße! Hat man je so etwas gesehen. In der Stadt ginge kein normaler Mensch mit bloßen Füßen, empörte sich Herr Lauschmeier. Beide stritten sich mehrmals lautstark mit unserem nun verschwundenen Hausmeister, der meinte, die beiden seien nicht ganz dicht. Selber grüßte er die Frau Lauschmeier nicht mehr - zum einen, weil sie nämlich gar nicht die Frau desselben wäre, sondern hier nur ab und an wohnen würde, zum anderen hatte die Frau seinen anfänglichen Gruß nicht erwidert. Ein Hausmeister ist auch bloß ein Mensch, der keine fremden Kühe grüßen muss. Er sagte es ihr, damit sie es endlich kapiert. Lauschmeier war empört und beschwerte sich beim Eigentümerbeiratsvorsitzenden. „Der Hausmeister grüßt nicht!“ Seine Lebensabschnittspartnerin ist seither entsetzt, gestört und leide unter dieser Diskriminierung. Sie hätte sogar schon geweint.

 

Und da waren noch die Türken und die Amerikaner, die absolut nicht auszurechnen waren. Man hatte seine liebe Not mit ihnen. Die einen hingen hin und wieder kleine Gebetsteppiche über das Balkongeländer, die anderen zogen ständig aus und wieder ein. Man wusste nicht, was die hier überhaupt wollten. Die würden doch in ihrer eigenen Housing Area leben können. Die jungen Leute aus Sachsen schlichen durchs Haus als hätten sie kein reines Gewissen und der alleinstehende jüngere Mann mit Glatze trug sein Fahrrad die Treppe hoch, dabei gibt es einen Fahrradkeller. Herr Lauschmeier hatte auf alle ein Auge und schrieb sich auf, wenn ihm etwas auffiel. Und das war nicht wenig. Im Fahrradkeller befand sich so allerlei Gerätewirrwarr – unordentlich aufgetürmt. Der Hausmeister hatte hier wieder einmal seinen Kram abgestellt, obwohl es dafür einen extra Raum gab. Sodom und Gomorrha!

 

Die Polizei, in Gestalt eines zivilen Beamten der Vermisstenstelle, erschien nach Ablauf einer angemessenen Zeit in Begleitung des Hausverwalters, um den Tätigkeitsbereich des Hausmeisters in Augenschein zu nehmen. Die Türen im Tiefgaragen- und Kellerbereich waren alle vorschriftsmäßig abgeschlossen. Vorsorglich wurde jeder Raum visitiert. Schließlich gelangte man zum Geräteraum. Der Verwalter öffnete auch diese Tür und so entdeckte man den Hausmeister. Er lag auf dem grauen Betonboden neben der Werkbank, einen lädierten Laubbläser in der Hand. Still der eine und tot der andere.

 

Was war passiert und was war jetzt zu tun? Der Polizeibeamte trat beiseite, um leise zu telefonieren. Bei Kommissarin Monarutta klingelte das Telefon.

 

„Vermisste Person als Leiche mit Laubbläser in Geräteraum gefunden!“

 

Der Verwalter hatte Mühe die inzwischen neugierig herumstehenden Hausbewohner fernzuhalten. Jeder wollte einen Blick auf den toten Hausmeister werfen. Frau Lauschmeier fiel schreiend in Ohnmacht. Dann war sie auch still. Die Susepumpel meinte, dass sie diesen Laubbläser schon immer nicht leiden konnte. Herr Lauschmeier schrieb etwas in sein Buch, dann kümmerte er sich um seine wieder erwachende Lebensabschnittspartnerin, die leise wimmerte. Der Glatzenträger schob sein Fahrrad durch den nun etwas eng gewordenen Gang vor dem Geräteraum und würdigte das Ganze keines Blickes. Der Amerikaner kam pfeifend aus der Tiefgarage, blieb stehen und machte mit seinem Smartphone ein Foto. Die kleine freundliche türkische Frau eilte mit dem Müllbeutel vorbei, nicht ohne auch einen Blick zu riskieren. Sie sah aber nichts. Das junge sächsische Pärchen kam von der Arbeit. Sie sorgten sich, denn die Müllcontainer standen immer noch prall gefüllt in der Ecke. Man flüsterte ihnen zu, was passiert war. Also, was man so wusste.

 

“Ja und nu? Wer schiebt jetzt die Mülldonnen nuff. Morschen gommt nämlich die Müllabfuhr.“ Keiner sagte etwas. „Dann machen mir das äben och noch, eener musses ja machen.“

 

Der junge Mann und seine Frau stellten ihre Taschen ab und gingen durch die Tiefgarage wieder nach draußen, um ihr Vorhaben durchzuführen.

 

Inzwischen war Monarutta auf ihrem E-Bike eingetroffen. Sie riss sich etwas außer Atem die Mütze vom Kopf, denn ihre Fahrradbatterie war leer, was mehr als ärgerlich war, denn die Straße ging etwas bergauf. Mit ihrer Laune stand es nicht zum Besten. Die Routine nahm dennoch ihren Lauf. Die Straße wurde abgesperrt. Sie forderte die Leute auf, in ihre Wohnungen zu gehen und diese nicht zu verlassen, man würde alle befragen. Moruzius, ihr fleißiger Assistent, hatte zu tun. Die Spurensicherung rückte an, auch Paula, die Gerichtsmedizinerin, eilte zur Leiche. Die Nachbarn auf der Straße waren in heller Aufruhr. Man spekulierte. Das hat es in diesem guten Wohnviertel noch nicht gegeben.

 

Monarutta befragte kurz den Verwalter und den Beamten der Vermisstenstelle nach den näheren Umständen der Begehung, dann war sie auf dem Laufenden und entließ die beiden.

 

Paula hatte inzwischen den toten Mann untersucht. „Er muss gestürzt sein. Vermutlich auf die Harke, die offensichtlich mit den Zinken nach oben abgestellt war. Der Laubbläser muss dabei kaputtgegangen sein. Das Rohr hat schwer gelitten.“ Sie grinste. Gerichtsmediziner können das. Nein, Paula hasste auch diese gottverdammten Laubbläser, die nur Krach machten.

 

„Und, ist der daran gestorben und wie lange liegt er schon hier?“ Monarutta war ungnädig.

 

„Der Tote ist wahrscheinlich schon drei Tage tot und vermutlich hat ihm nicht die Harke den Garaus gemacht. Ich tippe auf Herzinfarkt, aber mehr nach der Obduktion.“ Paula packte ihren Kram zusammen.

 

Wie konnte es sein, dass dieser Mann dort drei Tage unentdeckt lag? Und warum war der Raum abgeschlossen? Man schließt sich doch nicht ein, wenn man nur einen Laubbläser raus holen möchte?

 

„Warum war die Tür verschlossen ?“

Die Lebensabschnittspartnerin von Herrn Lauschmeier bekam einen rotzigen Hustenanfall. Monarutta wurde aufmerksam. Sie zog sich mit ihr in den Geräteraum zurück und verschloss ihn nun ihrerseits von innen.

 

„Ihr Liebster kann eine ganz schöne Tretmine sein“, begann sie schlau ihre Befragung.

 

„Mein Liebster ist kein Liebster mehr, ich habe mich schon anderweitig umgesehen.“

 

„Ach!“

 

„Vor drei Tagen habe ich endlich dem Hausmeister, den ich schon lange anhimmelte, meine Liebe gestanden. Er war eine arme, gequälte Kreatur in diesem Horrorhaus.“

 

„Interessant, erzählen sie genauer.“

 

„Er hatte seine samstägliche Laubsaugung, nein: Laubblasung, mit dem nötigen Ernst und der erforderlichen Gründlichkeit gerade beendet – so war er: ernst und gründlich – und als ich das Abschalten des mir liebgewordenen Geräuschs hörte, begab ich mich in den Keller, um im Dunkeln auf ihn zu warten.“

 

„Wo war Herr Lauschmeier in dieser Zeit?“

 

„Er lag halb bewusstlos unter dem Fenster, denn sein feines Gehör hatte durch das Saugen gelitten und er hatte einen Hörsturz mit Gleichgewichtsstörung und anschließendem Sturz des ganzen Brockens, nicht nur des Gehörs. Er ist ja ziemlich korpulent, wie sie sicher bemerkt haben.“

 

„Er bekam also nicht mit, dass Sie die Wohnung verließen?“

 

„Ich bitte Sie; Zeit unseres Zusammenseins hat er mich auf Schritt und Tritt kontrolliert, so habe ich meine kleinen Tricks entwickelt, um dieser polizeilichen Kontrolle zu entkommen, wenn es ging.“

 

„Polizeilich? Keine Beleidigung, bitte.“

 

„Also gut: geheimdienstlich.“

 

„Wie ging es weiter?“

 

„Herr Stemmer, Paulchen, der Hausmeister, erschrak zu Tode, nein: fast zu Tode, als ich ihn im Dunkeln am Fuße der Kellertreppe mit Leidenschaft umarmte. Besser, denn so setzte er meinen Liebesbezeugungen keinen Widerstand entgegen. Ich zog ihn also in den Geräteraum und schloss von innen ab. Dann kamen wir auf der harten Werkbank zur Sache. Er war so weich und zart!

 

Aber: Anstatt sich für mich zu erwärmen und zu heißer Leidenschaft zu entflammen, wurde er mit der Zeit immer kühler, und dann wurde der ganze Mann steif, anstatt nur … Er ergriff im Fallen noch den Laubbläser und stürzte tot auf die Harke, den Laubbläser riss er mit auf den Beton.“

 

Sie schluchzte, weil sie sich alles ganz anders vorgestellt hatte. „Ich habe das nicht gewollt und ich hatte ja gar nichts von all dem. Sie verstehen. Mein Temperament!“

 

„Ein grenzwertiger Schnakselversuch auf der Werkbank mit grausamen Ausgang!“, dachte Monarutta und lauschte, was die Frau noch zu erzählen hatte.

 

Frau Lauschmeier, die eigentlich Elsa Pimprinella hieß und aus Sizilien stammte, stolperte nach eigener Angabe völlig verstört auf den Gang, drehte sich noch einmal um und entschloss sich die Tür abzuschließen. Ein rotes Schild wies auf diese Pflicht hin. Ordnung muss sein!

 

Aber … auch:

 

„Der plötzliche Herztod eines Hausmeisters in den dienstlichen Gemeinschaftsräumen des Hauses ist meldepflichtig!“

 

Herr Lauschmeier veranlasste etwas später, diese Anweisung in die Hausordnung aufzunehmen. Die Eigentümer waren einstimmig dafür. Ordnung muss sein.

 

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 06.05.2014

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