Der Reporter, Jens Blumenthal, war schnell und er war geübt im Recherchieren. Es war sein Job, er wollte ihn gut machen. Als ich seinen Namen erfuhr, stutzte ich kurz, denn ich hatte doch diesen Namen irgendwo gelesen. Bei Gelegenheit wollte ich ihn fragen, ob da ein Zusammenhang bestand.
Das Landwarenhaus, welches damals auf unserem Grundstück stand, hieß „Kaufhaus Blumenthal“. Die Blumenthals waren die Großeltern des Journalisten, nur hatte er keine Gelegenheit mehr, sie kennenzulernen, denn seine Eltern waren schon vor dem Brand nach Amerika ausgewandert. Er wurde viel später geboren und wuchs, abseits aller Umstürze in Deutschland, in Amerika in gesicherten Verhältnissen auf.
Als seine Eltern gestorben waren und Deutschland sich wieder als einig Vaterland präsentierte, wollte Jens in die Tiefen seiner Vorfahren tauchen Er wusste, dass die Großeltern auf einem Dorf damals ein Landwarenhaus betrieben hatten; was aus den Großeltern geworden war, nachdem die Nazis es vernichtetet hatten, war nicht heraus zu bekommen. Seine Eltern hatten alles versucht; aber erfolglos, viele Menschen verschwanden damals spurlos.
Er ging also nach Deutschland, um Nachforschungen anzustellen, bewarb sich bei einem kleinen Lokalblatt und durfte als Reporter tätig sein. Im Großen und Ganzen beschäftigte er sich mit Banalitäten, langweiligem Alltagsquatsch. Er hatte schon vor, wieder nach Amerika zurück zu gehen, bis die Sache mit dem Hexenhäuschen begann.
Natürlich war Jens Blumenthal im Stadtarchiv und er hatte auch herausgefunden, wer damals im Dorf das Sagen hatte, auch er hatte das Bild mit dem brennenden Landwarenhaus seiner Großeltern gefunden. Oft war er in dieses Dorf gefahren, um herauszufinden, was in der Gegenwart passierte, der eine oder andere Artikel erschien in der Tageszeitung. Es war nichts Spektakuläres darunter.
Er sprach auch manchmal mit dem alten Mann, dem das Hexenhäuschen gehörte. Der machte einen bekümmerten Eindruck, aber er pflegte sein Häuschen und das Grundstück mit Hingabe.
„Was werden Sie machen, wenn sie das alles hier nicht mehr in Ordnung halten können?“ fragte er Richard einmal, als sie wieder auf seiner kleinen Terrasse saßen.
„Ich werde es schon bald verkaufen müssen.“ Er seufzte. „Ich bin alt geworden und nicht mehr sehr kräftig, selbst das Rasenmähen fällt mir schon schwer, aber die Gemeinde bekommt es nicht.“ Das sagte er ziemlich energisch.
“Warum nicht?“ fragte Blumenthal. Richard gab keine Antwort. Er sinnierte und schien in Gedanken versunken.
„Kommen Sie eigentlich von hier? Es lebten hier einmal Leute, die auch so hießen.“
„Ja, das waren meine Großeltern aber das ist eine lange, alte Geschichte.“
„Das kann man wohl so sagen, und sie ist düster.“ Richard nickte ein paar Mal vor sich hin.
Die Männer schwiegen. „Wissen Sie, was damals hier genau passierte?“
Richard antwortete nicht.
„Ja, das war wirklich schlimm. Ich habe eine alte Zeitung gefunden, in der über diesen Brand berichtet wurde.“ Blumenthal klopfte ein wenig auf den Busch, um zu erfahren, was Richard wusste. Der nickte aber nur mit dem Kopf und seufzte.
„Ist eigentlich der jetzige Bürgermeister mit dem damaligen, dem Hans Burmeister verwandt?“
„Ja, das ist sein Enkel. Die Burmeisters hatten hier immer dieses Amt inne, unter jeder Fahne,“ sagte Richard und es klang irgendwie bitter.
„Sie scheinen diese Leute nicht besonders zu mögen?“
„Nein. Aber Sie müssen das ja nicht in der Zeitung bekannt geben.“
Blumenthal versicherte, dass er das nicht vorhabe, er interessiere sich bloß, was hier in diesem Dorf, speziell an dem Platz, wo einst das Kaufhaus seiner Großeltern stand, alles passiert ist. Richard bekam etwas flackernde Augen und meinte, dass auf dem Grundstück nur das Häuschen von ihm errichtet wurde.
Blumenthal wollte sich einmal das Grundbuch näher anschauen. Wie war der Alte eigentlich an das Grundstück gekommen? Er fand es heraus. Die Nazis hatten es annektiert, also Hans Burmeister bekam es, er stand dick und frech im Grundbuch. Der hatte es später Richard B. überschreiben lassen.
Blumenthal recherchierte alles und er bekam auch heraus, dass Gerhard Burmeister in der ehemaligen DDR bei der Stasi war. Georg Burmeister, sein Sohn und jetziger Bürgermeister, wollte also auch das Grundstück seiner Großeltern erwerben. Eigentlich wäre es ja seines, denn Jens war der einzige Erbe, der rechtmäßige Eigentümer. Dem Alten schien das nicht ganz klar zu sein. Blumenthal wollte allerdings das Stückchen Garten mit dem albernen Hexenhäuschen nicht haben. Er hatte kein Interesse an einem winzigen Grundstück am Ende der Welt. An einer interessanten Story eher, nach all dem Vereinskäse in seiner Zeitung, wäre es an der Zeit dafür.
*
Die Zeit verging und Richard verkaufte alles. An uns. Er zog in die Stadt, um dort in Ruhe und leichter zu leben. Wir bauten unser Eigenheim und plötzlich machte unser Architekt die folgenschwere Entdeckung.
Nach der Bürgerversammlung wurde die Geschichte auch für Blumenthal interessanter. Er wusste nun, hier stinkt irgendetwas ganz gewaltig und er bekam mit, dass da mehr war als nur ein Hexenhäuschen. Das war spannend. Die Waffenkisten der Nazis wurden im Verborgenen gehütet, auch der alte Warenbestand seiner Großeltern. Der aktuelle Bürgermeister wusste davon. Die Entführung mit Nötigung zum Verkauf! Das war ein dicker Hund.
Richard B. wird auch etwas davon gewusst haben. Blumenthal wollte ihn unbedingt befragen. Der alte Mann sei im Krankenhaus, hieß es. Er habe sich mit Tabletten umbringen wollen, sagte die mitfühlende Nachbarin. Schnell fuhr der Journalist hin und stellte sich als guter Freund vor. Gerade war Richard wieder erwacht. Viel erfuhr der Reporter nicht, nur dass Georg Burmeister bei ihm zuhause war, um ihm Angst zu machen. Er hätte ihm auch diese Beruhigungstabletten dagelassen. Man muss ein paar davon nehmen, die sind harmlos, aber sie lassen einen gut schlafen. Das hat er gesagt.
Blumenthal hatte das Gespräch aufgenommen, das tat er immer, um nichts zu vergessen, wenn er seine Artikel schrieb.
„Ich besuche Sie, wenn Sie wieder zuhause sind,“ versprach Blumenthal und verabschiedete sich.
Brinkmann und Schneller kamen angesaust. Wir mussten alle mit aufs Revier und dort warten, denn auf Grund unserer Aussage, wollten sie auch Richards Schwester zum Verhör holen.
Ob auch Georg Burmeister verhaftet werden würde, war für uns nicht erkennbar. Die Kommissare hielten sich bedeckt. Sie wollten sich nicht noch einmal vorführen lassen. Man würde den Staatsanwalt befragen. Endlich tat sich etwas in diesem Mord, sie waren froh, der Fall begann zu nerven.
Die alte Frau ließ sich hoch erhobenen Hauptes fest nehmen und schilderte den Hergang. Es klang glaubwürdig, obwohl sie in ihrem Denken im Vorgestern festzusitzen schien. Auf die Frage, wer die Leiche dort im Keller verscharrt hätte, reagierte sie mit Unwissenheit. Dann faselte sie von Wachsamkeit und Pflichtbewusstsein, auch von Treue und Verlässlichkeit. Sie hätte das auch schon ihrem Bruder gepredigt, aber der sei ein Verräter. Sie wollte ihm nur die Meinung sagen, aber mit dem sei gar nicht mehr zu reden. Er würde es vorziehen, sich lieber mit fremden Leuten zu unterhalten. Sie habe das Georg auch schon gesagt, aber ihr Enkel meinte immer, dass er Richard schon im Griff hätte. Sie solle sich nicht so aufregen.
„Ich rege mich aber auf“, schrie sie. Dann kam nur noch ganz wirres Zeug. Die Kommissare wussten ohnehin genug. Die Frau wurde ins Krankenhaus gebracht, dort behandelt und bewacht.
Die Frage nach der Tatwaffe war mit ihr nicht zu klären. Vielleicht später, so war die Hoffnung. Man wollte eine Psychologin einschalten. Sie bekam es auch heraus.
Georg Burmeister wurde durch Richard sehr schwer belastet. Er musste sich also einer für ihn unangenehmen und schwierigen, erneuten Befragung stellen. Die Frage, warum er das Geheimnis hütete, war noch relativ einfach zu beantworten, denn er fühlte sich durch den Vater und Großvater dazu immer wieder genötigt und er hatte keine Kraft, sich darüber hinwegzusetzen. Er fürchtete, bei Bekanntwerden des Tatbestandes, dass er Waffen und jüdisches Eigentum unter Verschluss hielt, um seinen guten Posten. Er wollte als ein Saubermann, als ein ehrenvoller Mensch dastehen, als Vorbild in seinem Dorf. Die Vergangenheit wollte er nicht auferstehen lassen, sie sollte nur endlich ruhen dürfen.
„Herr Kommissar, was kann ich dafür, was mein Großvater und mein Vater erleben mussten? Ich möchte nur Gutes, ein blühendes Dorf hier und heute.“
„Ihre Großmutter hat einen unschuldigen Mann mit einer für sie griffbereit liegenden scharfen Waffe erschossen. Wie stehen Sie dazu?“
„Meine alte Oma ist verwirrt. Sie lebt im Gestern. Man kann sie nicht verantwortlich machen und was hatte der Mann dort in diesem Keller überhaupt zu suchen? Er ist dort eingebrochen. Er wollte gewiss etwas stehlen. War er ein krimineller Mensch? Das sollten Sie sich fragen.“ Er schwieg und schlug die Beine übereinander und verschränkte seine Arme.
„Was meinen Sie, wer die Leiche des Architekten in dem Keller verscharrt hat?“
„Sie sind der Ermittler. Da kann ich ihnen wirklich nicht helfen.“
„Wieso haben Sie Richard B. Tabletten gebracht und ihm geraten mehrere davon zu nehmen?“
„Ich habe ihm gesagt, er könne eine nehmen, um besser schlafen zu können. Ich kenne ihn schon lange und weiß, dass er immer noch an seinem Häuschen und Garten hängt, obwohl er es verkauft hat. Er ist ein alter Narr und nicht mehr geistig fit. Ich wollte doch nicht, dass er versucht sich umzubringen. Halten Sie mich für ein Monster?“
Brinkmann kam nicht weiter. Der Mann hatte immer eine plausible Antwort. Es gab einfach keine stichhaltigen Beweise, dass er den toten Architekten da unten versteckt hat, und die Kenntnis des Waffenlagers war sicher nicht als ein Gewalt-verbrechen zu bewerten, aber es würde ihm sehr schaden, wenn das ruchbar würde. Der Reporter würde es gewiss öffentlich machen. Immerhin. Die Burmeisters waren geliefert. Brinkmanns Mitleid hielt sich in Grenzen.
Leider wurden auch keine schlüssigen Beweise für die Entführung gefunden. Es stand Aussage gegen Aussage. Der Staatsanwalt musste sich überlegen, ob er Georg Burmeister überhaupt anklagen könnte. Nein, es reichte nicht. Es waren nur Mutmaßungen, nur Verdächtigungen. Sie mussten den Mann laufen lassen.
Brinkmann war nicht zufrieden. Er hatte das Gefühl, etwas übersehen zu haben. Der Fall schien geklärt, die Täterin geständig, aber das kann doch nicht alles gewesen sein? Für einen Ermittler zwar schon, doch die Geschichte war nicht zuende. Jens Blumenthal brachte den Stein ins Rollen.
Wir waren sehr geklatscht, dass man uns nicht glaubte, dass die Zeugen den Schwanz einkniffen und nur das aussagten, was ihnen ganz offensichtlich Georg Burmeister vorgab. Die Männer, die an der Entführung beteiligt waren, der ahnungslose Gastwirt und nicht zuletzt der Notar, sie standen scheinbar fest an Burmeisters Seite und stärkten ihm den Rücken.
Jens Blumenthal weihte seinen Chefredakteur ein und gab sich auch als Ahne der Blumenthals zu erkennen, die durch die Nazis alles verloren hatten, auch das Leben. Hätten sie überlebt, würden sie sich bestimmt gemeldet haben.
Nachdem er seinem Chef alles haarklein geschildert hatte, befand auch der, dass man diese Ungeheu-erlichkeiten nicht unter Tisch fallen lassen könne und dürfe. So wurde der Plan gefasst, ein Interview in Folgen zu veröffentlichen, ein Interview des Chefredakteurs mit seinem Reporter, der als Nachfahre und rechtmäßiger Eigentümer die Ergebnisse seiner Recherchen offenlegte und zwar ohne Rücksicht auf Ansehen und Person.
Wir wurden gefragt, ob wir einverstanden wären, dass auch über die unbewiesene Entführung berichtet wird. Für uns wäre das natürlich eine Genugtuung gewesen, aber wir fürchteten auch eine Klage wegen Verleumdung und übler Nachrede. Das wollten wir gar nicht. Jens Blumenthal setzte uns ziemlich zu, er wollte unbedingt seine Story und er würde auf alle Fälle auf Besitzansprüche bezüglich des Grundstückes verzichten. Das fanden wir großzügig.
„Die Indizien sprechen doch alle für Sie“, sagte er. „Warum sollten Sie eine Entführung erfinden, warum sollten sie in aller Herrgottsfrühe am Sonntag einen Notruf an die Polizei loslassen, warum sollten Sie zu diesem Zeitpunkt, an diesem Ort freiwillig Ihr Haus und Grundstück wieder verkaufen wollen? Da sieht doch ein Blinder mit einem Krückstock, dass hier etwas nicht stimmt. Die Polizei hat sich nicht viel Mühe gegeben, Beweise für Ihre Entführung zu finden. Es ist ein Skandal, dass man auf Grund Ihrer Aussagen diesem Burmeister keinen Prozess machen will. Wollen Sie, dass der so weiter macht?“
Nein, das wollten wir nicht; auch wir fanden es schrecklich, dass man uns keinen Glauben schenkte und auch dem armen Richard nicht. So willigten wir schließlich ein.
Tag für Tag erschienen nun die Fortsetzungen, die ganze Geschichte wurde aufgerollt, auch die Familiengeheimnisse der Burmeisters. Das Meiste war aktenkundig, sowohl die alten Parteizugehörigkeiten, als auch der Wandel der Gesinnungen. Das, was Richard erzählte, wurde Wort für Wort wiedergegeben, auch wie sich der Herr Notar äußerte, wie er sich herauszuwinden versuchte, was der Herr Bürgermeister äußerte und seine Nacht- und Nebelaktion, um die Waffen wegzuschaffen. Blumenthal befragte zudem die Jugendlichen des Dorfes und erfuhr Erstaunliches über die braunen Gedanken von Georg Burmeister, auch seine wahre Haltung gegenüber Flüchtlingsaufnahmen plauderten die Kinder aus, die er edelmütig von der Straße zu holen gedachte.
Eine Welle der Empörung baute sich in der Bevölkerung auf, auch und besonders die Dorf-einwohner glaubten im falschen Film zu sein. Das hätten sie nicht gedacht, der Georg, wie konnte er nur? Jeden Tag las man in der Zeitung etwas Schlimmes über diesen Mann und seiner Familie. Die Zeitung stellte die Serie auch online für jedermann zur Verfügung, und damit begann die Hölle für die Burmeisters. Sie erhielten Schmähbriefe, Drohanrufe, Journalisten anderer Zeitungen schlichen um ihr Haus; seine Mitarbeiter mieden ihn, die Leute im Dorf sprachen nicht mehr mit ihm. Kurz er wurde kalt gestellt und bis zur Leistungsgrenze verfolgt. Die Polizei konnte nichts für ihn tun.
„Wir schicken eine Streife, wenn es ernst wird“, sagten sie und ab und zu sah man auch ein Polizeiauto durchs Dorf fahren.
Wochenlang hielt das an, und Georg konnte kaum noch seine Arbeit als Bürgermeister verrichten. Er war ziemlich am Ende, aber sein Hass auf alles und jeden, insbesondere der auf uns, wuchs von Tag zu Tag.
Wir zogen indes in unser Eigenheim ein und im Hexenhäuschen wohnte nunmehr eine sehr nette Familie aus Syrien. Gemeinsam renovierten wir den Keller unter dem Häuschen. Wir beabsichtigten dort, eine kleine Gedenkstätte für die Blumenthals einzurichten und baten natürlich den Enkel, Jens Blumenthal, um Unterstützung und um einige Stücke aus dem Nachlass. Das war kein Problem, doch wer würde die Gedenkstätte einweihen? Eigentlich ja der Bürgermeister. Aber in diesem Fall war das ein Ding der Unmöglichkeit, so suchten wir einen Abgeordneten dafür zu gewinnen, was uns auch gelang. Mein Mann hatte noch eine Idee, die auch dem Herrn Abgeordneten sehr zusagte, wir wollten das regionale Fernsehen einladen. Unser Dorf würde damit einen Bekanntheitsgrad erlangen, der vorher nicht zu erträumen war.
Wir hielten uns im Hintergrund, denn wir hatten eigentlich genug von dem Rummel im Dorf. Das sollte die letzte Aktion in Sachen Hexenhäuschen werden, und so geschah es auch. Ein paar Leute erschienen und filmten den Keller, sie filmten das Häuschen und sie nahmen die Rede auf, die der Abgeordnete hielt. Er machte das prächtig und sonnte sich vor der Fernsehkamera, er schüttelte Jens Blumenthal die Hände und wischte sich bei seiner Beileidsbekundung verschämt eine Träne aus dem Auge. Als die Sendung ausgestrahlt wurde, das passierte zwei Monate nach dem Ereignis und sie währte ungefähr zwei Minuten, meinten die Leute des Dorfes, die es sich am Nachmittag ansehen konnten, also die Rentner und die zufällig Kranken, es wäre nicht viel zu sehen aber der Herr Abgeordnete hätte so ans Herz gehend gesprochen.
So nahm das normale Leben in unserem selbst erwählten Paradies wieder seinen Lauf. Georg Burmeister ist aus unserem Dorf weggezogen, wohin weiß keiner und will wohl auch niemand wissen. Die alte Frau, die unseren Architekten erschossen hat, ist in der geschlossenen Psychiatrie gestorben. Jens Blumenthal hat sich auch aus dem Staub gemacht, er lebt nun wieder in Amerika und ist vermutlich auf der Suche nach einer guten Story, ob er je eine bessere gefunden hat, wissen wir nicht. Die syrische Familie hat sich in unserem Dorf ein eigenes Häuschen gebaut und der Mann führt eine gut gehende Landarztpraxis. Das war hier noch nie möglich, denn kaum jemand wollte noch auf dem Land als Arzt arbeiten, alle strebten in die Städte, die alten Haudegen waren fast ausgestorben.
Das Hexenhäuschen steht noch immer. Wir haben es frisch herrichten lassen und an den Wänden hängen meine Bilder, in den Regalen stehen meine Bücher und wenn ich gut drauf bin, dann lade ich zur Lesung und zur Betrachtung meiner Werke ein. Manche habe ich schon verschenkt und freue mich, wenn sie irgendwo hängen dürfen. Einige Dorfbewohner kommen regelmäßig, und ganz, ganz selten kommt ein Mensch und begehrt, in den Keller geführt zu werden. Am 9. November aber erscheint der neue Bürgermeister, um für die Zeitung ein paar Tränen zu vergießen.
Ende
Tag der Veröffentlichung: 22.11.2013
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