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Kapitel 6 - Die Bürgerversammlung

Er beschäftigte sich jetzt mit der Bürgerversammlung. Sein grimmiges, konzentriertes Gesicht sprach Bände, denn er würde dabei seinem Entführer sehr beherrscht gegenübertreten müssen. Der Ausgang war ungewiss.

 Die Bürgerversammlung war gut besucht. Vor dem Gasthaus wartete die Frau aus der Behörde lächelnd auf uns. Wir gingen hinein und fanden noch einen Platz in der hintersten Reihe. Mein Mann suchte die Gesichter ab, was von hinten schwierig war, aber er entdeckte den Notar, der an der Seite mit dem Bürgermeister etwas zu besprechen hatte. Uns hatten sie offensichtlich nicht bemerkt.

 „Wusste ich es doch, der Kerl steckt mit dem Bürgermeister unter einer Decke,“ flüsterte Rainer mir ins Ohr.

Inzwischen beruhigte sich das Volksgemurmel im gut gefüllten Saal und der Bürgermeister, der auf einem kleinen Podest Platz genommen hatte, ergriff das Mikrophon.

„Liebe Bewohner dieses wundervollen und vor allen Dingen friedlichen Dorfes,

wie schön, dass Sie alle gekommen sind, um gemeinsam darüber nachzudenken, wie wir den armen Menschen, die zu uns geflüchtet sind, weil ihr Land von einem unerbittlichen Krieg heimgesucht ist, helfen können. Eigentlich, das wissen Sie alle, habe ich schon jeden hier gefragt, ob Sie eine solche Familie aufnehmen könnten. Ob genügend passender Wohnraum da ist, wurde sorgfältig überprüft. Leider liegt uns bis heute kein Angebot vor. Nicht weil wir nicht wollen, sondern weil wir nicht können. (zustimmendes Gemurmel) („So ist es!“, rief eine Stimme.) Und doch sind wir verpflichtet, zu helfen. Unser großes Mitgefühl ist bei diesen armen und verfolgten Menschen. Das muss man ihnen sagen, denn wir sind nicht herzlos. Wir geben es zu Protokoll.

Die zuständige Beamtin der Flüchtlingsbehörde weilt unter uns. Sie sprach mit mir und angeblich würde sie eine Lösung kennen und uns bei dieser Gelegenheit davon in Kenntnis setzen (ein Raunen ging durch den Saal). Nun, wir sind gespannt.“ Er hielt inne und übergab der Frau, die sich in die erste Reihe gesetzt hatte, das Mikrophon.

 Während der Bürgermeister seine salbungsvolle Rede hielt, öffnete sich hinter uns kurz die Saaltür und zwei Männer traten ein, sie blieben aber hinten stehen. Ich erkannte sie sofort, es waren die beiden Kommissare. Mein Mann hatte sie auch bemerkt. „Umso besser,“ flüsterte mir Rainer zu. Ob sie uns auch gesehen hatten, war nicht sicher.

*

Was wir zu dem Zeitpunkt noch nicht wussten, war die Tatsache, dass unser Grundstück bereits observiert und parallel fieberhaft nach unserem Architekten gesucht wurde. Wir hatten dazu noch gar keine Zeit gefunden. Unser kurzer Anrufversuch bei ihm blieb erfolglos. Was uns weiterhin nicht bekannt war: Der alte Mann hatte überlebt, lag aber im künstlichen Koma. Sein Gesundheitszustand wurde als kritisch eingestuft. Die Polizei war auch hier schon emsig beim Ermitteln. Das Krankenhaus hatte nämlich eine Meldung an die Polizei erstattet.

Als die Kommissare die Wohnung von Richard B. aufsuchten, erging es ihnen wie uns. Die Frau öffnete die Haustür und erzählte bereitwillig, was vorgefallen war. Sie empfand sich als wichtige Zeugin und das war sie auch. Sie war dabei und sie berichtete von uns, auch dass die Wohnungstür angelehnt war. Genau darüber stolperten die Kriminalbeamten ebenfalls.

*

Inzwischen wurde es, zumindest für uns, im Saal höchst spannend. Die Frau von der Behörde lächelte und bedankte sich bei den Leuten für ihre Mühe, für ihr Kommen aber vor allen Dingen dafür, dass sich doch ein Ehepaar, auch wenn es selber noch nicht, aber ganz sicher in absehbarer Zeit, in diesem Dorf wohnen würde, bereit erklärt hat, ihr komfortables Ferienhaus auf ihrem Grundstück für die Flüchtlingsfamilie zur Verfügung zu stellen. Dafür sollte man Frau und Herrn S. herzlich danken. Sie klatschte, kaum einer fiel in den Beifall ein. Man war offensichtlich sehr verblüfft. Ein ziemliches Volksgemurmel überwog. „Kommen sie doch einmal und sagen sie selber etwas!“ Sie winkte uns zu.

 Mein Mann stand auf und ging nach vorne. Mir war als würden dem Bürgermeister irgendwie die Gesichtszüge entgleisen aber er hatte sich sofort im Griff, er verzog nun keine Miene mehr und versteinerte.

Ich blickte mich um. Der Kriminalkommissar sah mich an und legte den Finger auf den Mund, man hatte uns also entdeckt. Der Notar war verschwunden. Ich hatte ihn doch gerade noch am Rand stehen sehen.

 Rainer nahm der Frau das Mikrophon aus der Hand und sprach zu den Leuten:

„Liebe Einwohner,

Sie kennen uns nicht, aber Sie wissen bestimmt alle, wo wir unser Häuschen bauen, auch dass es kurz vor seiner Vollendung steht. Sie kennen sicher auch den Vorbesitzer des Grundstückes und sein liebevoll gepflegtes und gut erhaltenes Ferienhäuschen. Wir nennen es Hexenhäuschen wegen seines spitzen Daches. Es ist tadellos in Schuss, heizbar und groß genug für eine kleine Familie, außerdem ist es ausreichend möbliert. Kurz: Es wäre sofort beziehbar. Wir brauchen es nicht, denn wir werden ja in unser geräumiges, neues Haus einziehen. Der Garten ist für alle gewiss groß genug und das Umfeld ein kleines Paradies, aber das wissen Sie ja, deshalb sind wir auch nach reiflicher Überlegung und langem Suchen hergekommen.

Gerne bieten wir unser Hexenhäuschen an. Morgen schon könnten die neuen Bewohner einziehen. Wir würden das, (und jetzt lächelte mein Mann) sehr begrüßen, denn ab sofort wäre jemand auch auf dem Grundstück und keiner im Dorf müsse mehr wegen der Sicherheit unseres zukünftigen Zuhauses besorgt sein. So hat schließlich jeder etwas davon.“ (Rainer drehte sich nun um und lächelte dem Bürgermeister ins Gesicht)

Die Frau vom Ausländeramt applaudierte und strahlte. Einige Leute klatschten nun ebenfalls. Mein Mann räusperte sich und sprach weiter:

 „Vermutlich wissen Sie es, die Älteren unter Ihnen ganz bestimmt, die Kinder lernen es vielleicht in der Schule: Es gab auch einen dunklen, schrecklichen Tag, ich meine insbesondere und ganz speziell den 9. November 1938, die Reichspogromnacht oder die Kristallnacht. (Er holte nun einen kleinen Zettel hervor) Es wurden etwa 400 Menschen ermordet oder in den Selbstmord getrieben. Über 1.400 Synagogen, Betstuben und sonstige Versammlungsräume, sowie tausende Geschäfte, Wohnungen und jüdische Friedhöfe wurden zerstört. Ab dem 10. November wurden ungefähr 30.000 Juden in Konzentrationslagern inhaftiert, von denen Hunderte ermordet wurden oder an den Haftfolgen starben.

In diesem, Ihrem idyllischen Dorf, brannte damals ein Landwarenhaus. Es befand sich genau auf dem Platz, auf dem jetzt unser Hexenhäuschen steht. Sie werden das vermutlich wissen. Wenn nicht, dann haben sie etwas Wichtiges aus der Geschichte des Dorfes gerade eben lernen können. (Rainer lächelte etwas grimmig). Meine Frau und ich, wir waren heute im Archiv in G. und haben eine alte Zeitung entdeckt mit einem Bild des brennenden Landwarenhauses. Die Leute standen davor, vermutlich vor Entsetzen gelähmt, eine Feuerwehr war nicht zu sehen. Ob wohl die jüdischen Eigentümer mit dem Leben davon gekommen sind? Wir wissen es nicht. Jedenfalls beabsichtigen wir, auf diesem Platz, der ja eher eine Gedenkstätte des Dorfes hätte sein müssen, als einem Hexenhäuschen als Bauplatz zu dienen, ein gutes Werk zu tun. Vielleicht können ja diese Menschen heute hier in Ruhe leben.“

Mein Mann legte das Mikrophon auf den Tisch vor dem Bürgermeister hin und kam zu mir auf seinen Platz.

Es herrschte nun eine beklemmende Stille. Der Bürgermeister schien sich auf seinem Stuhl zu winden, denn er rutschte hin und her, auch lockerte er seine Krawatte. Ohne es zu wollen, erlöste die Dame von der Behörde den Mann, indem sie rasch das Mikrophon in die Hand nahm und sich noch einmal wortreich bedankte. Sie würde alles in die Wege leiten und die Familie könne ganz sicher in kürzester Zeit in das Hexenhäuschen einziehen. Man müsse noch ein paar Formalitäten erledigen und vielleicht kurzfristig vorher noch einmal das Objekt inspizieren, ob noch etwas fehle. Sie animierte die Leute, noch einmal Beifall zu spenden und der anwesende Lokalreporter, den sie mitgebracht hatte, fotografierte alles. Er hatte auch schon vorher eifrig geknipst.

Der Bürgermeister stand auf und rief ins Mikrophon, dass nun die Bürgerversammlung beendet sei. Eigentlich wäre es ja an ihm, auch noch etwas zu unserem Angebot zu sagen, aber er hatte es nicht drauf; er schien ziemlich entnervt zu sein, den Reporter wimmelte er ab. Die Frau von der Behörde kam noch zu uns, um sich zu verabschieden und flüsterte uns zu, dass ihr unser Bürgermeister irgendwie komisch vorkäme. Seine Reaktion erschien ihr unfreundlich und ablehnend.

„So was“, sagte sie „die Leute sind einfach manchmal unmöglich.“ Wir nickten und sahen uns um, wo wohl die beiden Kriminalkommissare geblieben waren. Wir konnten sie nicht entdecken. In dem Moment steuerte der Lokalreporter auf uns zu, scheinbar um mit uns ein kleines Interview für die regionale Tageszeitung zu führen. Zunächst dachte ich, dass Rainer den Mann kurz abfertigen würde, aber ich irrte mich.

„Ich hätte da vielleicht eine sehr interessante und aufschlussreiche Geschichte für Sie, vorausgesetzt Sie haben noch etwas Geduld und begleiten mich, denn die Zeit wird knapp. Das Beste wird sein sie fahren bis zum Dorfausgang und warten dort bis wir kommen. Es wird nicht lange dauern.“

 Der Reporter nickte, die Männer gaben sich die Hand. Bis gleich.

„Das wird unser Zeuge,“ sagte mein Mann zu mir. „Er wird uns heute Nacht begleiten.“

 Anschließend fuhren wir mit dem Pressemann im Auto ins Hotel, um auszuchecken und alle Sachen zu holen. Dann düsten wir nach Hause in unsere Wohnung. Mein Mann wollte mich dort absetzen und die Tüte mit dem Beweismaterial dort sicherer deponieren, als in diesem Hotelsafe. Dem Reporter erzählte er während der Fahrt nur das Allernötigste. Der Mann war sofort Feuer und Flamme und versprach jede denkbare Unterstützung, auch wenn es später noch Recherchebedarf geben würde. Da hätte er Möglichkeiten. Er schien eine Mordsstory zu wittern und das war sie ja auch.

 „Du musst nicht mitkommen,“ sprach Rainer zu mir gewandt. „Ich will nur den Kerl ertappen. Glaube es mir, heute Nacht wird etwas passieren. Mindestens die Waffen werden fortgebracht werden, und genau das werde ich beobachten und auch erfahren, wo man sie hinbringt. Gut, dass wir nun einen Außen-stehenden, einen Zeugen dabei haben werden.“

Ich sagte ihm, dass ich selbstverständlich mitkäme. „Wir werden das gemeinsam zu Ende bringen.“ Ich hätte ohnehin nicht schlafen können, während mein Mann sich Gefahren aussetzte, außerdem würde ich vielleicht nützlich sein können, wenn es hart auf hart käme. Doch daran mochte ich gar nicht denken.

Inzwischen waren wir zuhause angekommen. Rainer rannte mit der Tüte nach oben, während der Reporter und ich im Auto warteten. Es dauerte nicht lange und er sprang wieder ins Auto, um mit uns zum Wald zu fahren, in dem wir schon einmal auf der Lauer lagen. Wir saßen nun im Dunkeln im Auto und alles war ruhig, auf unserem Grundstück bewegte sich nichts. Es war außerhalb des Waldes ziemlich hell, denn der Mond war aufgegangen und der Himmel wolkenfrei. Jetzt hieß es warten.

*

Kapitel 7 - Die Bürgermeister

Die Burmeisters wohnten schon immer in diesem Dorf. Sie waren eine angesehene Familie mit vier Kindern und lebten von dem Lohn, den der Vater vom gnädigen Herrn, dem Gutsherren des Landgutes, als Gutsinspektor erhielt. Die Mutter musste schwer arbeiten, denn Kinder und Haushalt, auch der Garten und das Kleinvieh lagen in ihrer Verantwortung. Die Kinder wurden angehalten, dabei kräftig mit zuzugreifen. Einfach war dieses Leben nicht.

Hans Burmeister war der älteste Sohn, er war fast erwachsen, als sich das Leben im Dorf zu verändern schien, und das war auch nötig, fand er. Das ewige „Jawohl, gnädiger Herr, immer zu Diensten“ des Vaters, wenn der Gutsherr nur einen Furz ließ, war dem jungen Burmeister höchst zuwider. Die Leute im Dorf waren ihm zu unterwürfig, zu beschränkt, zu leicht zufrieden zu stellen. Sie waren arm und schienen das zu akzeptieren für alle Zeiten. Nur die Leute im Landwarenhaus hatten ein besseres Leben. Diese Juden wohnten in einem guten Haus, hatten offensichtlich mehr Geld und standen nur hinter dem Ladentisch. Sie mussten nicht im Dreck wühlen und sie gingen auch nicht in die Kirche. Sie grinsten einem frech ins Gesicht in ihren feinen Kleidern. Wer weiß, was die machten, um so leben zu können?

 Hans Burmeister hörte von einer Jugend-Bewegung, die neuen Wind ins Land bringen wollte. Man konnte dieser Bewegung leicht beitreten, sie nannte sich Hitlerjugend. Er schrieb sich ein und bekam eine schneidige Uniform. In der Stadt wären schon viele junge Menschen dabei, hieß es. Nun gehörte Hans Burmeister dazu. Er besuchte Veranstaltungen und las alles, was an Material angeboten wurde. Hier konnte man die Wahrheit über diese Juden nachlesen, alles über ihre Charaktere, über ihre Lebensweisen. Im Januar 1937 forderte der „Reichsführer-SS“ Heinrich Himmler erstmals öffentlich die „Entjudung Deutschlands“, die das 25-Punkte-Programm der NSDAP 1920 als Ziel benannt hatte. Sie könne am besten durch Mobilisierung des „Volkszorns“ erreicht werden. Im Oktober wies das „Kampfblatt“ der SS, Das Schwarze Korps, auf die angeblich unge-schmälerte Macht der Juden in Handel und Industrie hin. Diese sei nicht länger zu dulden: Heute brauchen wir keine jüdischen Betriebe mehr, hieß es.

Hans Burmeisters Denken bewegte sich völlig auf dieser Linie, er wollte auch etwas tun und zwar ganz speziell in seinem Heimatdorf. Hier schien dringender Handlungsbedarf zu sein. Wer brauchte schon ein jüdisches Landwarenhaus? Hans verspürte hemmungslosen „Volkszorn“ .

 Er erhielt eine Botschaft, an welchem Tag sich sein Volkszorn zu entladen hatte. Es war der 9. November 1938. In dieser Nacht ging das Landwarenhaus in Flammen auf. Die Feuerwehr konnte nicht ausrücken, weil keine Pferde zur Verfügung standen. Der Pastor und der Küster läuteten die Feuerglocken bis ihnen die Puste ausging. Alle Dorfbewohner waren auf den Beinen, um sich den Brand voller Entsetzen anzuschauen. Sie waren gelähmt, sie konnten nichts tun, sie taten nichts, sie standen und rissen die Mäuler auf.

Das große Haus brannte bis auf die Grundmauern nieder, ein Fotograf aus der Stadt machte ein Bild für die Zeitung. Die jüdische Familie war verschwunden. Keiner wusste etwas. Man munkelte, der gnädige Herr hätte ihnen, gegen viel Geld versteht sich, geholfen, außer Landes zu gelangen.

 Das Leben und Unheil nahm seinen enthemmten Lauf, die Menschen rannten mit viel Hurrageschrei ins Verderben, immer auf den Endsieg hoffend. Hans meldete sich an die Front. Er begehrte, etwas für seine Heimat zu tun. Eine Granate traf sein Bein, er erhielt einen Orden und wurde, angefüllt mit Hass auf die Untermenschen, auf den Russen, in die Heimat geschafft. Sein Glück war ihm inmitten des Sterbens nicht bewusst. Man musste vorsorgen und die Heimatrettung eben anders einleiten. So bezog er Posten als Bürgermeister in seinem Dorf, um dort alles zu regeln im Sinne des Führers. Er heiratete die Schwester seines Banknachbars aus Schulzeiten,  Richard B. Sie war ein gutes deutsches Mädchen und würde ihm einen prächtigen arischen Sohn zur Welt bringen, und sie würde für ihn kochen, putzen und die Wäsche richten, auch ein Stück Gartenland blieb für sie zur Bearbeitung. Der Familie ging es relativ gut und auch der Schwager Richard, ein sehr guter Handwerker, bekam vom Essen etwas ab. Man war kein Unmensch.

Als Bürgermeister des Ortes konnte man sich bestens durchschlagen. Die Leute waren nicht aufmüpfig, sie parierten. Das Grundstück, auf dem das Landwarenhaus einst stand, gehörte nun dem tüchtigen Hans Burmeister. Es wurde ihm „rechtmäßig“ übereignet. Als sich der Krieg Nazideutschlands dem Ende entgegen neigte, sorgte sich Hans wieder und wieder um seine Heimat. So schaffte er etliche Kisten mit Waffen und Munition aus Wehrmachtsbeständen in das Gewölbe unter dem abgebrannten Landwarenhaus. Von hier aus würde er die Russen in die Flucht schlagen, falls sie es denn wagten, ins Land zu kommen.

 Sie wagten es und wie. Sie nisteten sich im Gutshaus ein, der gnädige Herr war vorher getürmt, die feige Sau. Hans würde so etwas nie in Erwägung ziehen. Er versteckte seine Uniform, seinen Orden und das Parteibuch am sicheren Ort, im Keller des jüdischen Kaufhauses. Es nützte nichts. Hans Burmeister wurde nach Sibirien verbannt und das mit nur einem Bein. Das andere war ja schon in diesem gottverdammten Kommunistenland geblieben. Vorher konnte er noch schnell seinem Schwager Richard das Grundstück und das Geheimnis darunter ans Herz legen. Der war nun dazu verdammt, es zu schützen.

Hans Burmeister hatte einen Sohn, Gerhard war sein Name. Er wartete auf die Rückkehr seines Vaters, aber die Russen waren hart. Es dauerte einige Jahre bis die Kriegsgefangenen allmählich Nachhause geschickt wurden. Man wollte sie bessern, sie erziehen, ihnen das Nazigedankengut austreiben und das kommunistische Denken einbläuen. Im Großen und Ganzen gelang das eher nicht. Die Männer taten aber so, als sei die Umerziehung erfolgreich. Man lernte sich anzupassen, um etwas zu erreichen, den Heimatschein zum Beispiel. Hans schaffte das. So stand er eines Tages vor der Tür seines ehemaligen Bürgermeisterbüros. Es war verweist. Das Land hieß jetzt DDR und behauptete sozialistisch zu sein.

Es gab keinen Bürgermeister, aber eine LPG. Im Gutshaus wohnten Flüchtlinge und alte Witwen. Hans humpelte mit seiner Krücke durch das Dorf zu seinem Grundstück. Die Ruine war fast abgetragen, die verbliebenen Steine sauber aufgestapelt. Die Wiese des Gartens war gemäht., eine Ziege weidete auf ihr und meckerte leise. Hans ging zum Gasthaus, es sah verlassen und verlottert aus. Erst dann begab er sich zu seinem Haus, dem Haus des Bürgermeisters. Es schaute eigentlich recht gut aus, im Vorgarten standen ein paar Sonnenblumen. Die Haustür war verschlossen. Er setzte sich auf die Bank davor und blickte die Dorfstraße entlang, Hans Burmeister war sehr müde. Seine Frau und ein großer Junge kamen auf ihn zu gerannt. Sie blieben erschrocken stehen, als hätten sie ein Gespenst vor sich sitzen. Schließlich umarmten sie sich und gingen ins Haus.

Es dauerte lange, bis sich Hans wieder eingewöhnte. Sein Hass war ihm nicht nur erhalten geblieben, er war gewachsen. Er beabsichtigte, ihn an seinen Sohn weiter zu geben. Das Geheimnis wurde von Richard gehütet.

Hans Burmeister musste sich in der sogenannten DDR einleben, er passte sich an und es gelang ihm, auch auf Grund fehlender Männer, wieder Bürgermeister zu werden. Er verschenkte das Grundstück der Juden samt seiner unheilvollen Altlast großzügig an seinen Schwager und lebte unter anderer Fahne und anderen Parolen ziemlich sorgenfrei.

 Richard B. erbaute in jahrelanger und mühevoller Kleinarbeit das Hexenhäuschen und bewachte dabei das Gewölbe. Als Hans Burmeister in Rente ging, wurde sein Sohn Gerhard der Bürgermeister des Dorfes. Er regierte mit eiserner Sozialistenfaust im Sinne Erich Honeckers, im Herzen aber war der Führer vergraben, auch den Hass des Vaters hatte es infiltriert. Dieser weihte ihn in das Familiengeheimnis unter dem Hexenhaus ein.

 „Wer weiß wozu es gut ist, wer weiß wozu,“ sagte der Alte oft. „Du musst meinen Enkel Georg in unserem Sinne erziehen, damit der Führer nicht vergessen wird. Du darfst ihn nicht den Kommunisten ausliefern.“ So sprach er und so geschah es.

 Georg Burmeister wurde geprägt und leider war er nicht der einzige. Die treuen Nazis sorgten dafür, dass schlimme Ideologien lebendig blieben, und das bis zum heutigen Tag. Gerhard Burmeister kam im Sozialismus schnell an die Quellen des Bösen, an und in das Geheime. Er fand Zugang zur totalen Überwachung und Kontrolle, er schloss sich der Staatssicherheit an, und so konnte ihm in seinem Dorf nichts entgehen; nur war ihm dabei entgangen, dass die Leute sich zurückzogen und in seiner Gegenwart nur Belanglosigkeiten ausgetauscht wurden.

Die Menschen waren nicht frech und aufmüpfig, aber sie waren auch nicht blöd. Sie waren nur zurückhaltend und arrangierten sich, wie immer und zu allen Zeiten. Man muss leben.

Dann kam die Wende, leider auch mit Wendehälsen, Gerhard gehörte dazu. Er bereitete den Bürgermeisterposten für seinen Sohn Georg vor. Nun musste man nicht mehr so tun als wäre man ein „guter“ Kommunist. Die Kirche erlebte eine ungeahnte Renaissance. Burmeisters entdeckten ebenfalls den lieben Gott. Die Leute gingen wieder in die Kirche, wenn auch die zu entrichtende Kirchensteuer vielen nicht passte. Einige traten aus und besuchten trotzdem den Gottesdienst. Jeder war sich selbst der Nächste im Paradies der ländlichen Idylle, denn die kleinen Betriebe und die LPG machten Pleite. Der liebe Gott half da nicht wirklich, aber beten schade nicht, sagten sie sich.

 Georg beabsichtigte, über die Gemeinde natürlich, das Grundstück mit dem Hexenhäuschen von Onkel Richard zu kaufen. Er hatte Pläne und Ideen. Man könnte hier eine neue Zelle für Führer und Vaterland errichten, die Jugend auffangen, die nach der Wende missmutig herumlungerte, doch Richard wollte nicht. Der verdammte Trottel verkaufte an Fremde und die wollten sich hier wirklich häuslich niederlassen und würden am Ende das Geheimnis entdecken. Das ginge gar nicht. Er würde es zu verhindern wissen, notfalls mit Gewalt. Der Schein musste gewahrt bleiben. Die öffentliche Ehre eines Bürgermeisters ist unantastbar.

 

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Tag der Veröffentlichung: 20.11.2013

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