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Kapitel 3 - Die Grube

„Es muss mit dieser unsäglichen Grube zu tun haben. Unser Architekt meinte, er hätte nur den Deckel kurz beiseite schieben lassen, aber der Bürgermeister schien mehr zu befürchten, denn seine Handlungen zeugten von einem entdeckten Geheimnis, scheinbar von einem ganz ungeheuerlichen, kompromittierenden. Würde er sonst in seiner Stellung als Bürgermeister sich persönlich so kriminell verhalten?

Was also ist in dieser gottverdammten Grube? Und ich Esel, ich Riesenrhinozeros dachte es wäre eine stillgelegte Klärgrube.“ Er fasste sich an die Stirn.

 „Vielleicht weiß es unser Verkäufer. Der alte Mann, der so an seinem Ferienhäuschen hing, dass er den Verkauf des Grundstückes davon abhängig machte?“ Ich war der Meinung, dass der Mann bestimmt etwas wisse.

Mein Mann war der Auffassung, dass wir uns darum auch kümmern sollten, und zwar schnell. Falls in der Grube etwas Schlimmes lagerte, dann wäre der alte Mann gewiss ein Zeuge. Unabhängig davon müssten wir aber zunächst zum Hexenhaus, um zu beobachten, was dort geschah. Vermutlich würde man schon eifrig dabei sein, Beweismittel wegzuschaffen oder zu vernichten. Wir wussten nicht, worum es ging, nur so viel, dass es für uns gefährlich war. Es war aber immer noch unser Grundstück und auch unser Hexenhäuschen. Wir hatten es rechtmäßig erworben und wir waren uns einig, dass wir es nicht so schnell hergeben wollten, egal welches Geheimnis sich mit der Grube verband. Nach den durchlebten Maßnahmen erst recht nicht.

 „Wir leben doch nicht im wilden Westen“, sagte mein Mann. „Wir werden alles herausfinden und klären. Ich lasse mich doch nicht einfach kidnappen und mich zwingen, mein Eigentum zu verkaufen, und die Verbrecher kommen davon, mit ihren Leichen im Keller. In unserer Grube!“ verbesserte er sich grimmig.

 Seine Wut und sein Gerechtigkeitssinn, auch sein Wunsch, die Sache aufzudecken, überlagerten offensichtlich seine Furcht und das Risiko, körperlich dabei zu Schaden zu kommen. Ich verstand das. Mein Mut war allerdings nicht ganz so groß und ich hätte am liebsten sofort die Polizei verständigt, um mich sicherer zu fühlen, aber mein Mann hielt das nicht für so eine gute Idee und meinte, dass sie außerdem bereits verständigt sei. Sie würden handeln, wenn sie es nur wollten.

 Wir fuhren auf einem Umweg durch den Wald, um an unser Grundstück zu kommen, denn wir wollten es vermeiden, gesehen zu werden. Das Auto stellten wir vorsorglich im Wald ab, die paar Meter bis zu unserem Garten und Baustelle legten wir zu Fuß zurück. Wir hatten den Eindruck, nicht beobachtet zu werden, versuchten uns dennoch möglichst unauffällig zu benehmen.

 Wir gingen also Hand in Hand, wie immer wenn wir spazieren gehen, langsam zu unserem Ziel. Haus und Garten waren verwaist, weder ein Auto, noch ein Mensch waren zu sehen. Uns war das sehr recht. Mein Mann begann zu fotografieren, zuerst die noch sichtbaren Autospuren unweit des Hexenhäuschens, dann begaben wir uns in das Häuschen. Mir war nicht ganz wohl dabei. Die wären weg, meinte mein Mann. Woher er seine Weisheit nahm, wusste ich nicht. Jedenfalls beruhigte mich das etwas. Wir turnten die Wendeltreppe hoch. Rainer fotografierte den Teppich, auf dem die beiden anderen Männer gelegen haben und forderte mich auf, schnell eine Plastiktüte und eine Schere zu beschaffen, er habe etwas entdeckt. Es waren ein paar Blutstropfen. Sie gehörten offensichtlich unserem Architekten, der dort verletzt am Boden gelegen hatte. Jetzt hatten wir einen kleinen Beweis, wenigstens etwas.

„Schauen wir schnell noch nach der Grube“, sagte Rainer und kraxelte die enge Wendeltreppe wieder hinunter. Ich immer hinter her, wollte aber lieber wieder weg von hier.

 Vor der abgedeckten Grube waren eine Menge Fußabdrücke sichtbar, sie würden uns leider nicht weiter helfen. Dass die Abdeckplatte bewegt wurde, war allerdings sehr deutlich zu erkennen, sie lag jetzt irgendwie schief. Mein Mann sah sich nach geeignetem Werkzeug um, eine Brechstange oder Ähnliches wäre hilfreich.

 „Such doch auch mal danach“, forderte er mich auf. Ich rannte also um das Haus und schaute auch in den Schuppen, der nicht abgeschlossen war. Komisch, ich hatte ihn abgesperrt. Innen war es ziemlich dunkel aber ich sah, dass etwas verstellt war. Das Regal stand anders. Ich wunderte mich und ruckelte leicht an diesem. Oh, es ließ sich bewegen, hinter ihm war eine Falltür am Boden. Donnerwetter, das war ein Fund und schon pochte wieder mein ängstliches Herz. War hier ein Keller? Der alte Mann, der uns auch diesen Schuppen so warm empfahl, hatte davon nichts gesagt. Ich rannte zu meinem Mann, um ihm meine Entdeckung zu vermelden.

In höchster Eile begaben wir uns zu dieser Falltür. Mein Mann machte zunächst ein Foto. Er meinte, ich solle an der Tür aufpassen, ob sich jemand näherte oder ein Auto käme. Ich musste also Schmiere stehen. Etwas widerstrebend fügte ich mich, denn nun war ich auch neugierig, was wohl unter der Falltür verborgen sei.

 „Wir müssen vorsichtig sein, geh bitte aufpassen.“

Ich sah das natürlich sofort ein und schämte mich ein wenig wegen der unangebrachten Neugier. Plötzlich hörte ich ein Auto und schon bog es in unseren Garten ein. Ich konnte mich gerade noch in das Innere des Schuppens zurückziehen.

 „Jetzt kommen welche, schnell, wir müssen hier raus.“ Ich schaute durch das kleine Türfenster. „Sie gehen am Hexenhäuschen vorbei.“

Rainer schob schnell das Regal wieder an seinen Platz, um dann sofort mit mir aus dem Garten in Richtung Wald zu rennen. Man schien es nicht bemerkt zu haben, denn es folgte uns niemand. Das war knapp. Völlig außer Puste erreichten wir unser Auto. Wir warteten in der Deckung des Waldes. Mein Mann holte sein Fernglas aus dem Handschuhfach.

 „Ich mache ein Bild, vielleicht kann man das Kennzeichen sehen. Beobachte du die Gegend.“

 Er reichte mir das Fernglas. Die beiden Männer kamen zurück zu ihrem Fahrzeug und wollten offensichtlich gerade abfahren, als ich ein weiteres Auto auf die kleine Straße, die an unserem Grundstück vorbeiführte, einbiegen sah. Rainer riss mir das Fernglas aus der Hand.

 „Das Auto kenne ich“, sagte er aufgeregt. „Schau an, der Bürgermeister .“

 Die Männer palaverten. Uns blieb nichts anderes übrig als abzuwarten, bis die Kerle allesamt wieder abgefahren waren. Zum Glück dauerte es nicht sehr lange, und bald lag unser Grundstück wieder friedlich und allein im Sonnenschein dieses Sonntagnachmittags.

 „Normalerweise trinkt man jetzt Kaffee und plaudert gemütlich auf seiner Terrasse aber wir belauern Verbrecher, die sich in unserem Garten ein Stelldichein geben,“ dachte ich und gähnte.

 „Nix“, sagte mein Mann. „Wir schlafen später. Du beobachtest die Straße und ich gehe jetzt noch einmal in den Schuppen und versuche die Falltür zu öffnen. Ich muss unbedingt wissen, was dort ist. Kommt jemand, dann rufst du mich sofort mit dem Handy an. Ich werde dann durch das hintere Fenster des Schuppens über die Nachbargärten türmen und komme dann wieder hier her.“

 Er streichelte meine Wange und setzte sich sofort, ohne meine Antwort abzuwarten, in Bewegung. Mir blieb somit nichts anderes übrig, als wachsam zu sein. Es war eine seltsame Situation. Im Wald sangen ein paar Vögel, es roch so gut nach Waldmeister, die Sonne schien am strahlend blauen Himmel, es war sonntäglich still, und doch befanden wir uns in einer äußerst brenzligen Phase. Mein Mann war inzwischen auf unserem Grundstück verschwunden. Was er wohl unter der Falltür vorfinden würde? Hoffentlich kommt keiner. Ich betete, dass keiner käme und das Flüchten endlich nicht mehr nötig wäre. Allmählich war es genug.  Da erschien mein Mann, er beeilte sich, in der Hand hatte er eine Plastiktüte. Endlich kam er. Leicht außer Atem warf er mir kurze Sätze hin, während er das Auto startete und sofort losfuhr. Die Tüte landete auf dem Rücksitz.

 „Du glaubst es nicht. Unter unserem Hexenhäuschen ist ein Gewölbe. Überall stehen verstaubte Möbel, Kisten und Kasten. Ich habe eine Kiste aufmachen können. Der Leuchter, es ist ein jüdischer Leuchter. Ich habe ihn zum Beweis mitgenommen. Das Schlimmste aber ist noch etwas anderes.“ Er wischte sich die Schweißperlen von der Stirn.

„Na sag es schon, was ist es?“

 „ Es stehen dort alte Kisten von den Nazis, noch mit Waffen angefüllt. Stell dir das einmal vor. Wir wohnen auf einem Munitionslager.“ Er machte eine Pause und meinte, dass er alles fotografiert habe.

 „Das wollten also die Brüder geheim halten. Der Bürgermeister muss ein Neonazi sein und seine Gesellen ebenso.“

 Aber wie kamen die jüdischen Sachen dahin? Das war finster und sah nach schwerster krimineller Altlast aus, die man scheinbar mit allen Mitteln zu verbergen trachtete, und der Bürgermeister musste damit etwas zu tun haben. Wir waren etwas unschlüssig, ob es besser sei, zur Polizei zu gehen oder nicht, denn wir wussten nicht, wie verwoben alle miteinander waren. So beschlossen wir, zunächst einmal im Hotel zu schlafen, auch um wieder klarer denken zu können. Wir sahen alle beide nicht besonders gut aus, wir brauchten dringend eine Dusche und Ruhe. So legten wir uns am späten Nachmittag ins Bett, um ein paar Stunden zu schlafen.

 

*

 

Kapitel 4 - Die Polizei

Was wir zu diesem Zeitpunkt nicht wussten war die Tatsache, dass meine Meldung über die mutmaßliche Entführung meines Mannes und die unmissverständliche, telefonische Drohung durch einen fremden Mann, sowie auch mein Auftrag, mit den Verträgen in unserem Hexenhäuschen zu erscheinen, einem Kriminalbeamten zur Klärung übergeben worden war. Zwar nicht umgehend, aber immerhin fuhren die Beamten in Zivil schon am Sonntagmittag zu unserem Grundstück, um sich dort zunächst einmal umzusehen.

Wir haben sie beobachtet, ohne zu wissen, dass es Polizisten waren. Das Erscheinen des Bürgermeisters kam den Gesetzeshütern verdächtig vor, irgendwie zu übereifrig. Man hätte angeblich bemerkt, dass Fremde auf einem Baugrundstück von Bürgern aus dem Dorf herumschlichen und wollte nur nach dem Rechten schauen. Die Polizisten konnten an eine derartige Fürsorge schwer glauben und beschlossen, da sie nun einmal da waren, sich in diesem Dorf ein wenig umzusehen.  So begaben sie sich als erstes zum Gasthof, zu dem offensichtlich der vermisste Mann hingefahren war, um seinen aufgeregten Architekten zu treffen. So konnte man es der telefonischen Aussage der Ehefrau entnehmen. In einem Schaukasten war eine Bürgerversammlung angekündigt, in der es um die Aufnahme einer syrischen Flüchtlingsfamilie gehen sollte. Die Polizisten fanden das sehr positiv. Der Bürgermeister schien tatsächlich ein guter Mann zu sein.

 Sie betraten den freundlich wirkenden Gastraum. Er war ziemlich leer, nur zwei Männer saßen an einem Tisch vor ihrem Bier. Der Wirt stand hinter seinem Tresen und polierte Gläser, leise hörte man Musik aus dem Radio. Der Wirt wurde befragt, ob in der Samstagnacht etwas Besonderes vorgefallen sei, ob sich der Bauarchitekt und der Herr B.Rainer S. hier vielleicht getroffen hätten?

 Nein, der Wirt hatte nichts gesehen oder bemerkt, alles wäre wie immer gewesen. Nichts Besonderes. Die beiden Herren waren ihm überhaupt nicht aufgefallen. Aber morgen wäre hier Bürgerversammlung wegen der Ausländer. Das ist etwas Besonderes. „Man muss ja den Leuten helfen, sagt jedenfalls der Bürgermeister“, fügte der Gastwirt noch hinzu.

 Die Kriminalbeamten verabschiedeten sich. Im Auto unterhielten sie sich noch ein wenig über dieses schöne Dorf und wie aufmerksam und hilfsbereit die Leute sind.

„Wir sollten die Frau anrufen und ihr sagen, dass alles in Ordnung ist. Vermutlich ist ihr Mann auch wieder zuhause und ihre Welt somit wieder in Ordnung,“ meinte der eine.

 „ Jau, so machen wir es, aber das hat Zeit bis morgen. Jetzt sollten wir zu unseren Familien fahren. Es ist doch Sonntag.“

 *

Kapitel 5 Der Vorbesitzer

Wir hatten inzwischen ein wenig Schlaf nachholen können. Es war schon acht Uhr am Abend, als wir aufwachten, und wir fühlten ziemlichen Hunger. So entschlossen wir uns, im Hotelrestaurant eine Kleinigkeit zu essen. Wir mussten uns nun unbedingt einen Plan erdenken, denn nichts war mehr so, wie es gewesen war. Wir saßen quasi auf einem Pulverfass.

 „Wir müssen den Vorbesitzer des Hexenhäuschens anrufen“, schlug ich vor. „Der wird vielleicht wissen, wie das ganze schreckliche Zeug in den Keller gekommen ist.“

„Gute Idee,“ meinte mein Mann, blätterte schon in unserem Bauordner, um den Telefonanschluss herauszusuchen und wählte die Nummer. Nach einigem Klingeln meldete sich die alte, müde Stimme des Mannes:

„Ja bitte?“

Mein Mann fiel sofort mit der Tür ins Haus. Er hatte sein Telefon laut gestellt, damit ich mithören konnte. Der alte Mann atmete schwer und schwieg einen Moment.

 „Ach, Sie haben es gefunden. Jetzt kommt das Teufels-und Hexenzeug endlich ans Tageslicht. Mein ganzes Leben habe ich darauf gewartet, aber ich durfte ja nichts sagen. Der Bürgermeister, insbesondere aber sein Großvater und Vater haben dafür gesorgt.“

 Er hatte langsam aber klar gesprochen. Es war, als sei ihm nun ein Stein vom Herzen gefallen. Mein Mann ließ aber nicht locker.

 „Wie ist das Zeug dort hingekommen und wem gehören die ganzen Sachen in den Kisten. Sagen Sie es mir bitte. Ich muss es wissen?“

Der alte Mann seufzte, das sei eine lange Geschichte, eine furchtbare Geschichte. In den Dreißigern habe genau auf diesem Platz ein jüdisches Landwarenhaus gestanden, deshalb auch der große Keller. Alles andere wäre ja später abgebrannt. Jetzt weinte er. Es war kein Wort mehr aus ihm herauszubringen, so bedankte sich mein Mann. „Passen Sie auf sich auf!“ sagte er und legte sehr ernst auf.

 „Hier ist in der Nazizeit ein Verbrechen passiert und es wurde bis heute vertuscht.“ Ich war empört und entsetzt. Rainer war wütend und nicht minder betroffen. Die alte Brut würde also immer noch an den Hebeln sitzen und die Menschen verarschen. Über die Rolle der Polizei in diesem konkreten Fall waren wir uns noch nicht im Klaren.

 „Das Gespräch habe ich mit meiner Kamera nebenher aufgezeichnet,“ verkündete mein Mann ein wenig stolz.

 „Du bist eben ein Fuchs,“ ich lobte ihn, und er hatte es verdient. Ich wäre auf die glorreiche Idee nicht gekommen.

„Morgen gehen wir zur Polizei.“

 Ich war damit einverstanden, denn allmählich kamen wir an unsere Grenzen. Es waren noch viele Fragen offen, die wir mit unseren bescheidenen Mitteln und Kräften nicht lösen könnten. Ich dachte an den Architekten und den Notar. Wo waren sie und wie ging es ihnen wohl? Schließlich waren sie Zeuge und ebenfalls Opfer der Entführung. Was sie wirklich wussten von dem, was früher geschah, das war auch nicht geklärt. Der Bürgermeister und seine Knechte stellten für uns die größte Gefahr dar. Er schien Verbindungen zu haben und würde sich gewiss so schnell nicht ausliefern. Diese Leute kommen vielfach davon. Wir machten uns keine Illusionen.  Wir gingen zu Bett.

 „Hast Du gelesen, dass morgen in unserem Dorf in diesem Gasthaus eine Bürgerversammlung stattfindet?“

 Mein Mann fragte mich das, bevor wir einschliefen. Ja, ich hatte. „Es ist wegen der Flüchtlinge. Man muss ihnen helfen.“ Ich war furchtbar müde.

 „Wir gehen hin. Ich habe eine Idee.“

 Mein Mann hatte eine Idee, er wollte in die Höhle des Löwen. Ich bekam eine kleine Panikattacke und japste nach Luft. War er nun total verrückt geworden?

 „Wir waren vorher bei der Polizei. Ich werde Schutz beantragen und wir werden ihn bekommen. Verlass dich drauf.“

 Mein Mann war eingeschlafen, während ich mich noch hin und her wälzte. Dann stand ich noch einmal leise auf, um in den Plastikbeutel zu sehen, der etwas aus dem Gewölbe unter dem Hexenhaus enthielt. Den Beweis. Ich hatte noch gar keine Muße gehabt, um einen Blick darauf zu werfen.

 Vorsichtig öffnete ich die Tüte. In ihr war ein kleiner, silberner jüdischer Leuchter und eine alte Pistole. Ich bekam einen Mordsschreck, musste er unbedingt die Waffe mitnehmen? Am Ende war sie geladen und funktionierte noch. Wie furchtbar. Am liebsten hätte ich meinen Mann wach gerüttelt und ihn deswegen angemeckert, aber ich bekam es nicht fertig. Er hatte so viel aushalten müssen und hatte den ganzen Tag um die Sicherung der Beweise gekämpft, wie konnte ich nur daran denken, ihm Vorhaltungen zu machen. Und dennoch war mir unwohl mit dem Ding in unserer Nähe. Wer eine Waffe besitzt, der benutzt sie auch! Das dachte ich in dem Augenblick. Aber schließlich bin ich trotzdem eingeschlafen, bis um Schlag sieben Uhr mein Handy klingelte. Wir saßen beide sofort steil im Bett.

„Hier Polizei G., Hauptkommissar Brinkmann, Sie sind Frau Gisela H. S. ?“

 „Ja.“

 „Ist Ihr Mann wieder eingetroffen?“

 „Ja.“

 „Ja, dann ist wohl alles im Zusammenhang mit Ihrer Anzeige erledigt?“

 „Nein, eben nicht.“ Ich schrie diesen Satz ins Telefon. „Hier, sprich du mit dem Kommissar.“

 Ich war schon wieder fix und fertig und reichte meinem Mann das Handy. Der hatte sich bereits wieder gefangen und erklärte dem Polizisten, dass wir bezüglich seiner Entführung eine Aussage machen müssten. Dringend, denn es wäre Gefahr in Verzug. Es wären Menschen in Gefahr. Der Kommissar sagte etwas und mein Mann antwortete nur mit einem Ja.

Nun war es also soweit. Die Polizei würde uns helfen und wir wären die Sorgen los, so dachte ich, nachdem Rainer mir eröffnete, dass wir jetzt sofort aufs Revier fahren müssten, um alles auf den Tisch zu legen. Ich wünschte mir nichts sehnlicher, als dass dieser Albtraum endlich ein Ende fand. Wir zogen uns also rasch an, frühstückten hastig und fuhren in das besagte Polizeirevier. Die Tüte mit den Beweisen haben wir in den Hotelsafe eingeschlossen. Wir wollten vorsichtig bleiben. Rainer hatte alles fotografiert. Das wollten wir zum Beweis unserer Erlebnisse nun vorlegen.

 Wir wurden getrennt befragt, was mir nicht passte, aber es ging wohl nicht anders. Ich antwortete immer wahrheitsgemäß und erzählte in groben Zügen, was ich wusste, die Beweisstücke verschwieg ich. Da ich nicht die Entführte war und fast alles nur vom Hörensagen wusste, war ich schneller als Rainer fertig. Ich hatte mehr Fragen als Antworten, und die konnte die Polizei auch noch nicht geben. Soviel stand fest. Die tappten im Dunkeln und schienen nicht alles glauben zu wollen, was ich erzählte. Genau das hatten wir vermutet, deshalb hatte meine Mann auch alles zu dokumentieren versucht. Wir wollten nicht als unglaubwürdig gelten.

Rainer legte den Kamerachip vor und die Aufnahme seines Telefonates mit dem Vorbesitzer unseres Hexenhäuschens. Die Kommissare staunten nicht schlecht, blieben aber skeptisch, was die Schuld des Bürgermeisters betraf.

 „Wir gehen der Angelegenheit nach,“ sagten sie. Das war wenig und klang wahrlich mager nach all dem Erlebtem. Und wir sollten uns zur Verfügung halten. Damit war mein Mann nicht wirklich zufrieden, denn er wollte Gerechtigkeit, er wollte unbedingt seinen Entführer überführen. Dass dieses nur mit ein paar Kunstgriffen möglich wäre, war klar, zumindest uns. Die Kommissare schienen immer noch von seiner Redlichkeit überzeugt zu sein, trotz der Beschuldigung durch den alten Mann, dem Vorbesitzer des Hexenhäuschens.

 „Wir werden alles überprüfen,“ sagten sie und entließen uns.

 Inzwischen war es fast Mittag. Was nun? Rainer wollte zur Ausländerbehörde. Unterwegs dorthin vertraute er mir seine Gedanken an. Sie waren erstaunlich aber irgendwie auch genial, fand ich. Es ging um die syrische Flüchtlingsfamilie. Wir würden ihr unser Hexenhäuschen als Wohnung überlassen, und zwar so lange wie nötig. Das wollten wir absprechen und auf der Bürgerversammlung bekanntgeben, wenn es ginge auch unter Teilnahme einer Amtsperson der betreffenden Behörde. Der Bürgermeister wird keine bessere Unterkunft haben und das Amt würde froh sein, wieder ein derartiges Problem gelöst zu haben. Der Hintergedanken war der, dass der elende Hund von Bürgermeister bis zum Einzug der Familie, etwas unternehmen musste, um das Gewölbe leer zu räumen. Die Polizei könnte ihn oder seine Kumpane dabei ertappen, dann wäre er gewiss in allergrößter Erklärungsnot. Darüber hinaus hatte mein Mann vor, sich zur Sicherheit selber die nächsten Nächte auf die Lauer zu legen, um die Aktionen aufzunehmen. Also wieder Abenteuer pur, mir war ganz schlecht deswegen.

 Die Ausländerbehörde war hocherfreut über unser Angebot, denn sie hatten größte Probleme, die Flüchtlinge unterzubringen. Die Bevölkerung war nicht gerade hilfreich oder aufgeschlossen. Eigentlich wollte niemand diese armen Menschen in seiner Nähe wohnen lassen. Man fürchtete sich vor dem Fremden, wollte offensichtlich nur aus dummer Angst, in Vorverurteilung der Menschen, nicht helfen. Ein Skandal, aber so war es nun einmal.

 „Die Familie ist nett. Ein Arzt mit Frau und zwei Kindern. Sie werden keine Probleme mit diesen Menschen haben, die so viel durchmachen mussten. Ich werde bei ihrer Bürgerversammlung heute Abend anwesend sein.“

Das hatte geklappt. Wir waren soweit zufrieden. Den Nachmittag verbrachten wir im Stadtarchiv, denn nun wollten wir wissen, was es mit dem Brand des jüdischen Landwarenhauses auf sich hatte, welches vor unserem Hexenhäuschen auf unserem Grundstück stand. Wir fanden nach langem Stöbern heraus, dass es eine Brandstiftung im Rahmen der Judenpogrome war, die 1938 so ein schreckliches Ausmaß annahmen. Die Eigentümer wurden vermutlich abtransportiert. Man sah sie niemals wieder. Es gab sogar ein Foto des brennenden Hauses und zahlreicher gaffender Leute, auch Kinder waren darunter. Die Feuerwehr war nicht zu sehen. Man sollte versuchen alte Leute zu finden, die damaligen Kinder. Noch gab es ja vereinzelte Zeitzeugen. Sie sterben so allmählich weg, ungehört. Unser Grundstücksverkäufer Richard B. gehörte vielleicht zu ihnen.

 Wir hatten noch ein wenig Zeit bis zur Bürgerversammlung, so entschlossen wir uns, ihn aufzusuchen. Als wir vor seiner Wohnung standen, beschlich mich ein komisches Gefühl. Der Mann hatte geweint, ihn bewegte offensichtlich die Vergangenheit immer noch über alle Maßen. Wer weiß, was er alles mit ansehen musste, vielleicht sogar den Brand des Landwarenhauses. Wir klingelten, aber niemand öffnete uns die Tür. Eine Frau sah aus dem Fenster.

 „Zu wem wollen sie denn?“ Wir sagten es. „Am besten sie klopfen kräftig an seine Wohnungstür. Der Alte hört ein bisschen schwer. Einen kleinen Moment bitteschön, ich lasse sie gleich ins Haus.“

Wir standen kurz danach vor seiner Wohnungstür, pochten und bemerkten, dass sie nur angelehnt war. Das war verdächtig und so baten wir die Frau, die eine Treppe tiefer noch immer im Hausflur stand und neugierig zu uns hochschaute, doch bitte mit uns in die Wohnung zu kommen. Wir wollten nicht allein eintreten. Der alte Mann lag auf dem Sofa und rührte sich nicht, auf dem Tisch befand sich ein leeres Tablettenröhrchen. Die Frau aus dem Haus und ich standen, zur Salzsäule erstarrt, mein Mann telefonierte.

„Vielleicht lebt er ja noch. Ich habe den Rettungsdienst alarmiert. Wir werden warten bis er da ist, dann fahren wir zur Bürgerversammlung. Wir dürfen dort nicht zu spät kommen.“

 Es dauerte einige Minuten, die sich für uns zur Ewigkeit auswuchsen, die Frau aus dem Haus weinte leise. Ich versuchte, sie zu trösten, aber ohne Erfolg. Dann trafen die Rettungssanitäter ein, untersuchten den Mann und meinten, er würde noch leben. Sie schnallten ihn auf die Trage und ab ging es. Auch wir machten uns davon. Wir hatten ja einen äußerst wichtigen Plan. Ich wunderte mich, warum die Tür wohl nur angelehnt war.

 „Wir werden ihn das hoffentlich noch fragen können,“ antwortete mein Mann zerstreut.

 

Fortsetzung folgt

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Tag der Veröffentlichung: 20.11.2013

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