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Vorwort

Mein Name ist H.Gisela S.. Ich erzähle diese Geschichte aus meiner persönlichen, speziellen Sicht, mein Mann B.Rainer S. hat einiges völlig anders erlebt. Er würde das Ganze sicher weniger emotional, mehr sachlich vortragen, denn er mag dieses für ihn unerträgliche Jammern nicht, wenn etwas schief läuft. Ich möchte noch ergänzen, dass ich mein Wissen über alle Geschehnisse erst viel später aufschrieb, denn ich brauchte ziemlich lange, um alles zu ergründen, zu verstehen und richtig einzuordnen. Manchmal musste ich allerdings zu blanken Vermutungen greifen, insbesondere was das Denken der handelnden Menschen anbetrifft. Ich versuchte also in die Rolle eines anderen zu schlüpfen, um mir vorzustellen, was in seinem Kopfe vor sich gehen könnte. Ich habe zwar alle, soweit das möglich war und um nicht gänzlich falsch zu liegen, im Nachgang befragt aber wer sagt schon immer die Wahrheit und wer erzählt einer Fremden alles über sein Innerstes, zumal damit zum Teil sehr brenzlige Situationen verbunden waren. Ich war somit gezwungen, allein nur aus dem Handlungshergang ableitend, mir einiges zusammenzureimen.

 

*

 

Kapitel 1 Der Beginn

Es gibt Orte, die die Seele ansprechen und Gefühle auslösen können, gute Gefühle. Man ist sofort heimisch und seltsamerweise auch scheinbar geborgen, obwohl man noch nie in der Gegend oder an diesem Platz verweilte. Das mag eigenartig anmuten, aber als ich eintraf, erfüllte mich genau das Gefühl. Hier würde ich leben wollen. Alles war genau so, wie ich es mir in meinen Träumen, die mich in den letzten Jahren begleiteten, vorgestellt hatte. Es zeigte sich viel Wald und Feld in der Nähe und unweit des Dorfes befand sich die Küste. Ich würde zu Fuß ans Meer wandern oder bei Bedarf Ausflüge in den Wald unternehmen können. Diese Vorstellung war einfach herrlich.

 Gefühle sind trügerisch und immer dem Augenblick gestundet. Man muss sie nehmen wie sie kommen. Das kann sehr schnell gehen, deshalb neige ich in den letzten Jahren dazu, jeden schönen Moment bewusst auszukosten.

 Auch das Dorf übte auf mich einen positiven Eindruck aus, denn es hatte einen ganz besonderen Charme. Es war nämlich keines dieser Straßendörfer, in dem die Häuser sich an eine Durchgangsstraße reihen, sondern die Häuser gruppierten sich hier um eine kleine Dorfkirche, neben der sich, wie es sich auch gehört, ein Dorfgasthof befand. Es gab einen Fleischer, einen Bäcker und eines der Lädchen, die alles andere anboten, was man im Leben so braucht. Kurz, die heile Welt eines Dorfes schien hier noch zu existieren. Ich fand das alles sehr idyllisch, und mein Mann und ich gingen lächelnd und sehr neugierig durch die Straßen, denn wir wollten natürlich alles sehen und kennen lernen, bevor wir uns entscheiden. Menschen sahen wir nicht. Wir vermuteten sie an ihren Arbeitsstellen. In einem Dorf gehen die Leute nicht einfach so spazieren. Sie sind in den Häusern, im Garten, auf den Feldern oder eben an ihren Arbeitsorten. Die Häuser und Gärten waren gepflegt. Wir fanden alles sehr ordentlich und keinen Grund, etwas zu beanstanden.

 Mein Mann hatte in mühevoller Kleinarbeit diesen Ort ausfindig gemacht, während ich nur hoffte, dass er das Passende finden möge. Meine Träume bezüglich des Ortes und des Hauses, in dem wir den Rest unseres Lebens verbringen wollten, nahm er geduldig in seine Suchaktionen auf. Wir waren uns einig, wir wussten, wonach wir strebten. In eine Einöde wollten wir nicht, aber es sollte ruhig sein, eine Stadt in der Nähe wäre schön. Schließlich wollten wir vom Trubel des Lebens nicht gänzlich abgeschnitten sein.  Das Haus würden wir neu bauen lassen, denn wir hatten konkrete Vorstellungen wie es beschaffen sein müsste. Ein unterkellerter Bungalow mit großzügigen Räumlichkeiten, auch im sanitären Bereich, offene Küche, Speisekammer, viel Licht durch große Fenster, Kamin, Holzdielen, einem Wintergarten, Terrasse, zwei Arbeitszimmer, Schlafzimmer, dem unverzichtbaren hauswirtschaftlichen Raum, einem pflegeleichten Garten und dem Carport fürs Auto. Wir wussten, was wir wollten. Der Geldbeutel würde alles hergeben, ohne eine Bank zu bemühen, denn unsere Eigentumswohnung würde das nötige Geld bei Verkauf einbringen. Soviel war sicher und es beruhigte uns ungemein. Mit etwaigen aufwendigen Sanierungen von Altbausubstanzen wollten wir uns nicht plagen.

 Das ausgesuchte Grundstück passte genau in unsere Vorstellungen und der Eigentümer war schnell bereit, es an uns zu verkaufen, allerdings nur mit einer kleinen Bedingung: Das Ferienhäuschen, welches am Rande des Gartens stand, dürfe nicht abgerissen werden, denn er habe es in liebevoller und jahrelanger Arbeit mühevoll errichtet; seine Zerstörung würde ihm das Herz brechen. Natürlich wollten wir keinen Menschen unglücklich machen, so schauten wir uns das kleine „Hexenhäuschen“ zunächst einmal näher an, denn es nahm nicht viel Bauplatz und Gartenland weg. Vielleicht könnte man sich einigen, wenn denn unserem Grundstücksanbieter Richard B. soviel daran liegt und er das Geschäft davon abhängig macht.

 Das Häuschen hatte ein sehr spitzes Dach und schien insgesamt in einem guten Zustand zu sein. Die Räumlichkeiten im unteren Bereich bestanden aus einem großen Zimmer mit vielen, recht großen Fenstern, und einer Küchenzeile; eine steile Wendeltreppe führte nach oben. Unter dem Dach gab es zwei Schlafräume, jeweils an den Giebeln waren große Fenster. Im Erdgeschoss befand sich eine Toilette mit einer Badewanne, und ein Nebenraum, für alles Mögliche zur Aufbewahrung gedacht, war auch noch vorhanden. Heizen konnte man alles mit einer ziemlich vorsintflutlichen Gasheizung. Neben dem Häuschen befand sich eine Grube, die aber stillgelegt sei, versicherte der alte Mann.

 Ich konnte mir sofort vorstellen, dieses Häuschen als Gästeplatz und als Heimstatt meiner Malerei zu nutzen. Mein Mann wiegte sein Haupt, klopfte an die Wände und auf den Fußboden, beäugte die Fensterrahmen und untersuchte das Dach, während ich schon gedanklich meine Bilder zu platzieren begann. „Ein Kunsthäuschen!“ Ein Hort meiner Kreativität, davon war ich im Geiste mehr als begeistert; ich war fest entschlossen, mich hier einnisten zu wollen.

 Mein Mann stand nun wieder draußen vor der abgedeckten Grube mit einer tiefen Falte auf der Stirn. Sie behagte ihm gar nicht. Seitlich war etwas Schilf angepflanzt und es wiegte sich sanft im leichten Wind. Hübsch anzuschauen, als winke es mir zu. Beruhigend wirkte das, zumindest auf mich. Mein Mann hatte kein Auge für das Schilf. Die Grubenabdeckung war ohne schwere Technik nicht anzuheben. Es roch etwas dumpf, wenn man sich bückte.

 „Gibt es irgendwelche Altlasten?“, hörte ich meinen Mann misstrauisch fragen. Der Eigentümer zuckte mit den Schultern. Ihm wäre da nichts bekannt. Schließlich stünde das Häuschen schon fast sechzig Jahre an diesem Fleck. Er seufzte abgrundtief. Was er dachte, wussten wir nicht, wir ahnten es nicht einmal.

 „Wollen Sie das Grundstück mit dem Häuschen nun erwerben oder nicht. Wenn nicht, dann werde ich auch einen anderen Käufer finden.“ Er seufzte wieder und bedauerte, dass er nun schon so alt sei und hier nicht mehr alles in Schuss halten könne. Er zog uns von der Grube weg, um uns nun noch den geräumigen und stabilen, auch abschließbaren Holzschuppen zu zeigen, der an das Häuschen angebaut war.

Er beherbergte neben einer unübersehbaren Menge an Brennholz und Gartengeräten noch so allerlei Behälter und Zeug. Was man eben so brauche, meinte er. Mein Mann nickte. Männer brauchen halt so allerlei, wenn da ein Haus und Garten ist, auch Platz für den Kram vom Auto, wie Reifen, Fahrradhalter und sonst was.

„Das Werkzeug können sie haben, auch das ganze Holz und die Geräte“, sagte der Mann, und die Augen meines Mannes schauten sogleich freundlicher, wie mir schien. Die Grube hatte er jetzt irgendwie vergessen. Ich auch. Hier könnte man die Kübelpflanzen überwintern und die Gartenmöbel unterbringen, auch die Fahrräder.

Wir waren nun überzeugt und wurden recht schnell handelseinig. Das Procedere würden wir schulmäßig durchlaufen. Wir hatten in der Vergangenheit diesbezügliche Erfahrungen gesammelt und waren uns ziemlich sicher, alles richtig gemacht zu haben.

Der alte Mann hatte nun ein sehr feines, aber doch für uns schwer durchschaubares Lächeln im Gesicht. Es hatte geklappt.

 Wir wohnten vorübergehend in einer nahegelegenen Stadt und konnten alles von dort aus regeln. Das Baugeschehen unseres Traumhauses würden wir von Zeit zu Zeit beobachten und kontrollieren. Das kleine Hexenhäuschen sollte uns, wenn es nötig war, Übernachtung und Aufenthalt bieten. Wenn unser Haus fertig ist, dann würde auch das ehemalige Ferienhäuschen etwas Renovierung bekommen. Alles lief nach Plan und wir freuten uns auf unser künftiges Zuhause.

Wir kamen natürlich nicht jeden Tag in unser Dorf, so konnten wir nicht alles wissen, was dort geschah, insbesondere das nicht, was sich auf unserem Grundstück abspielte. Die Dorfbewohner waren für uns fremde Menschen, die uns zunächst einmal in ihrem Verhalten kaum beunruhigten. Dass wir beobachtet wurden, auch unsere Baustelle, war eine normale Geschichte. In einem Dorf weiß man, was passiert. Jeder kennt jeden, wenn auch nicht jeder mit jedem befreundet ist. Die Bauarbeiter beschäftigten sich nur mit ihrer Arbeit und sie waren in der Nacht nicht auf der Baustelle.

 

Kapitel 2 Die Entführung

An einem Wochenende fuhren wir wieder einmal zu unserem Haus, welches zunehmend wuchs und mit Riesenschritten seiner Vollendung entgegen ging. Die Bauarbeiter leisteten gute Arbeit, vielleicht, weil sie unter Druck standen, denn wir hatten einen knallharten Vertrag abgeschlossen, der bei Verschiebungen mit saftiger Vertragsstrafe drohte. Mein Mann fotografierte den Baufortschritt und ein unabhängiger Architekt kontrollierte die Qualität.

Das Hexenhäuschen beachtete niemand.

Es war Sonnabend. Mein Mann hatte sich mit unserem Architekten am Haus verabredet, doch dieser erschien nicht, und wir erhielten auch keinen Anruf, was sehr ärgerlich war. Wir warteten und versuchten ihn anzurufen, aber wir konnten nur auf dem Anrufbeantworter eine Nachricht hinterlassen. Mein Mann war ziemlich sauer und wollte nach Hause fahren. Ich bedauerte das und wäre gerne da geblieben. Man würde doch im Hexenhäuschen schlafen und am nächsten Tag noch ein wenig an der See ein paar schöne Stunden verbringen können? Schließlich konnte ich ihn überzeugen und wir richteten uns im kleinen Häuschen für eine Nacht ein. Es war schon spät und draußen stockfinster als das Handy klingelte. Der Architekt bat meinen Mann mit aufgeregter Stimme in den Dorfgasthof zu kommen, er habe ihm etwas Wichtiges zu sagen. Er legte, ohne eine Antwort abzuwarten, sofort wieder auf.

Wir fragten uns, warum er nicht zu uns gekommen ist. Der Anruf war seltsam. Mein Mann sagte, er würde jetzt allein hinfahren, alles würde sich klären lassen, ich solle mir keine Sorgen machen und ruhig weiterschlafen oder eben ein wenig fernsehen. „Tschüss, sagte er, „ich bin gleich wieder da.“ Und weg war er.

 „Ich hätte mitfahren sollen“, dachte ich etwas verwirrt. „Warum bin ich immer so langsam in meinen Entschlüssen? Ehe ich mich drehe, ist er schon auf dem Sprung.“

 Ein wenig war ich über mich selber verärgert, doch dann überkam mich die Sorge. Jetzt geschah etwas Ungutes, das fühlte ich, und ich war irgendwie in diesem verdammten Hexenhäuschen außen vor. Zu blöd, diese momentane Ungewissheit!

 Ich wartete voller Unruhe. An fernsehen, lesen oder gar schlafen war nicht zu denken. Ich versuchte, mich mit einem Kräutertee zu beruhigen, leider auch vergeblich, und saß auf dem kleinen Sofa, immer nach draußen starrend, in der Hoffnung, dass Autoscheinwerfer gleich das Kommen meines Mannes ankündigten. Es blieb dunkel und im Haus absolut still. Eigentlich mag ich Stille und brauche nicht eine ununterbrochene Geräuschkulisse, aber jetzt störte sie mich. Sie wirkte so leblos. Das ganze Haus hatte jetzt etwas Verlassenes an sich. Es roch auch irgendwie dumpf, vielleicht, weil es solange nicht bewohnt worden war. Das war mir am Anfang so gar nicht bewusst, hatte ich es doch in meiner Fantasie schon sehr belebt mit meinen Bildern, mit meiner Staffelei, den mit Farben und Pinseln angefüllten Regalen, den Büchern, meinen Büchern, die mich hier umgeben würden.

 Ich zog mir eine Jacke über und trat durch die Terrassentür nach draußen. Die Bäume und Sträucher rauschten im Nachtwind. Wir hatten viele Bäume in der Nähe. Ich konnte von hier aus bis zum nahen Waldrand blicken. Was das Rauschen wohl zu bedeuten hat, dachte ich einen Augenblick. Wovon kündet es? Ich verzog das Gesicht, ob des Unsinns, welcher mir gerade durch den Kopf ging. Bäume bewegen sich durch den Wind und geben dadurch ein Rauschen von sich. Sie verkünden nichts. Ich hatte vor der Natur keine Angst und spähte dennoch nicht gerade mutig in den Garten und immer wieder auf die schmale Straße vor unserem Grundstück, wo eigentlich mein Mann jeden Moment auftauchen müsste, als würde ich ihn mit den Augen heranziehen wollen. Es war zum verrückt werden, ich hörte kein Auto brummen. Nur der Wind war zu vernehmen. Ich zog meine Jacke fester um mich herum und ging wieder ins Haus, um in seinem Inneren, nunmehr immer nervöser werdend, auf und ab zu gehen.

 Nach zwei Stunden war Rainer immer noch nicht zurück. Ich hatte ungute Gefühle und mein Herz klopfte ungestüm; so entschloss ich mich, ihn auf seinem Handy anzurufen, obwohl ich sonst viel geduldiger bin. Es sprang nur die Mailbox an. Das war nun wirklich ein Unding und ich war allein deshalb schon in heller Aufregung. Was konnte ich nur tun? Ich bat zunächst mit betont ruhiger Stimme um einen Rückruf. Als der nach einer Stunde nicht einging, hatte ich endgültig genug und verließ, nun schon im Morgengrauen, das Häuschen, um zum Gasthof zu gehen. Meine Aufregung war riesig und so rannte ich mehr als ich ging. Das Dorf lag offensichtlich im tiefsten Schlaf. Man hörte rein gar nichts, bis auf einen Hahn, der in der Ferne krähte.

Am Gasthof angelangt, suchte ich mit den Augen sofort unser Auto und auch das des Architekten. Fehlanzeige, weit und breit war kein Auto zu sehen. Ich rüttelte und pochte an der verdammten Kneipentür. Sie war verschlossen und innen sah es dunkel aus. Ich schlich also um das Haus herum, vielleicht war ja eine Hintertür frei zugänglich. Mir klopfte dabei mein Herz bis zum Halse hoch, meine Gedanken überschlugen sich. Es war ja wie im Film oder träumte ich den ganzen Quatsch nur? Ich kniff mich in den Arm. Nein, ich merkte es. Alles war sorgfältig abgeschlossen, auch die Fenster. Ich wäre sonst eingestiegen. Ich schwöre es, das hätte ich gemacht, so verrückt war ich in dem Augenblick. Ein Fenster einzuschlagen wagte ich nicht, kam ich mir doch sowieso schon vor wie ein potenzieller Einbrecher, der um ein fremdes Haus schleicht.

Es war Sonntag. Man stört die Leute nicht am heiligen Sonntag, mal abgesehen davon, dass ich hier niemanden näher kannte, den ich in meiner Not um Hilfe hätte bitten können. Was sollte ich bloß tun? Die Polizei anrufen? Die würden mich abwimmeln und mich auffordern, erst einmal abzuwarten. Rainer würde ein hysterisches Handeln nicht billigen, aber ich machte mir allergrößte Sorgen, denn er hätte sich doch bei mir wenigstens melden müssen. In diesem Augenblick vibrierte und brummte das Handy in meiner Hosentasche.

 Es war mein Mann. Endlich, dachte ich, endlich ruft er zurück. Er sprach mit einer seltsam verändert klingenden Stimme zu mir. Ich solle mir ein Taxi rufen, nach Hause fahren, den Ordner mit den Grundstücks- und Bauverträgen holen und sofort wieder ins kleine Häuschen kommen. Ehe ich Luft holen konnte, sprach eine strenge Männerstimme zu mir, dass ich mich hüten solle irgendwelche Umwege zu nehmen. Es käme andernfalls zu traurigen Folgen. Danach ein Knacken. Aufgelegt.

 Ich stand da wie ein begossener Pudel. Mir blieb keine Wahl, ich musste tun, was von mir verlangt wurde. Aber ist das auch richtig? Rainer hatte so komisch geklungen, und wer war dieser furchtbare Mann, der so unverhohlen drohte? Wo waren die bloß mit meinem Mann hin? Und wo war unser Auto? Mir gingen so viele Fragen durch den Kopf, aber ich musste nun endlich handeln. Der blöde Hahn krähte schon wieder und es wurde allmählich hell, die Sonne würde heute scheinen, der Himmel war wolkenfrei. Ein schöner Tag schien es zu werden. Ja, Pustekuchen, es wurde ein schrecklicher Tag, den ich sicher nie vergessen werde.

 Ein Taxi zu rufen, war nicht schlimm. Über so eine schöne Tour freute sich der Fahrer. Ich fuhr also mit ihm direkt nach Hause und bat ihn, ein paar Minuten zu warten. Mir war das alles zu heiß und ich beschloss spontan, auch vor lauter Angst, die Polizei zu verständigen. Ich wollte es vom Festnetz und ungestört in unserer Wohnung tun, wählte also den Notruf, schilderte in aller Eile, ohne mich unterbrechen zu lassen, die Situation, gab noch unsere Handynummern bekannt und legte auf, um schnell „und ohne Umwege“ meinen Auftrag zu erfüllen, in der Hoffnung, dass die Polizei nun auch das Richtige veranlassen würde.

Der Taxifahrer wartete geduldig und so fuhren wir wieder zurück zum Hexenhäuschen. Ein fremdes Auto stand vor der Tür. Als ich auf den Eingang zuging, sah ich schon durch die Glastür das Licht brennen, und das obwohl es schon hell war. Die Tür war offen, aber das Haus schien leer. Ein Geräusch, es kam von oben, erreichte mich. Ich krabbelte die Wendeltreppe hoch und sah meinen Mann auf dem Bett liegen. Man hatte ihn gefesselt und den Mund mit Klebeband verschlossen. Eine Schrecksekunde ließ mich verharren, aber mein Mann bewegte ungeduldig den Kopf. Ich durfte jetzt nicht untätig sein. Ein kurzer Blick durch die offene Tür des Nachbarraumes zeigte mir, dass da noch zwei weitere Personen gefesselt auf dem Boden lagen. Ich befreite zuerst meinen Mann, der mir zuflüsterte, dass wir hier schleunigst verschwinden müssten. „Die werden sicher gleich wieder auftauchen. Alles weitere später. Um die beiden anderen können wir uns jetzt nicht kümmern. Komm bloß schnell weg hier.“

 Ich nickte in Panik. Dennoch huschte ich schnell zu ihnen hin und durchschnitt das Klebeband an ihren Händen Wir schlichen so leise wie wir konnten die Wendeltreppe wieder herunter und verließen das Häuschen durch die Terrassentür in den Garten. Wir liefen, so schnell wir konnten, in Richtung Gasthof. Mein Mann rief mir zu, dass er wüsste, wo unser Auto sei. Mir schlug das Herz bis zum Halse hoch und ich sah mich immer wieder um, denn wir befürchteten ja, dass man uns verfolgte. Bald standen wir vor dem Gasthof, es war ja in diesem Dorf nichts sehr weit voneinander entfernt. Neben dem Gebäude befand sich eine Scheune und darin stand unser Auto, auch das Auto des Architekten. Ich öffnete also das große Tor und mein Mann kam sofort herausgefahren. Ich sprang hinein und wir düsten davon.

„Die Blödkröten haben mir zum Glück meinen Autoschlüssel nicht abgenommen“, sagte mein Mann noch ein wenig atemlos und grinste dabei böse. Jetzt konnte ich endlich ein paar Fragen loswerden und auch berichten, dass ich vorsichtshalber die Polizei verständigt hätte.

 „Du hast alles richtig gemacht“, meinte Rainer, bezweifelte aber, dass die Polizei so umsichtig handeln würde.

 „Sie hätten ja längst vor Ort sein müssen“, sinnierte ich.

 „Die wären doch auf alle Fälle schneller als dein Taxi“, meinte nun Rainer nachdenklich.

 „Wir werden uns heute erst einmal in ein Hotel einmieten und besser nicht nach Hause fahren. Wir sollten nachdenken und uns genau überlegen, was zu tun ist.“

 „Ja, so machen wir es“, sagte ich, mich zur Ruhe zwingend. Ich wusste noch lange nicht alles und wollte natürlich hören, was meinem Mann nach seinem Wegfahren zum Gasthaus passierte und wer diese Leute wohl seien.

Ein Hotelzimmer war zum Glück schnell gefunden. Nach einem kleinen Frühstück zogen wir uns in unser Zimmer zurück. Wir waren ziemlich übernächtigt, hatten wir doch die letzte Nacht beide kein Auge zugemacht und doch war an Schlaf jetzt nicht zu denken, denn wir benötigten dringend einen Fahrplan.

 

Zunächst, was war bis jetzt geschehen?

Rainer fuhr zum Gasthof und als er aus dem Auto gestiegen war, kamen zwei Männer und bedeuteten ihm, das Auto in der Scheune zu parken. Das wäre sicherer, sagten sie und grinsten dümmlich. Die zwei Kerle packten ihn danach derb an den Armen und führten ihn durch eine Hintertür in das Gasthaus. Rainer konnte sie nicht abschütteln, er musste sich fügen. In einem Hinterzimmer saßen noch drei weitere Männer, einer von ihnen war der Architekt, der sehr verängstigt ausschaute.

„Na, jetzt haben wir ja alle beisammen“, „eine große Freude ist das ... aber ich bin auch traurig, dass wir uns unter diesen Umständen wieder begegnen“, bemerkte einer der Männer, sich die Hände reibend. Sein rollendes R war schrecklich. Er schien in einer Führungsrolle befindlich. Rainer kannte ihn irgendwie, konnte ihn aber nicht sofort einordnen.

 „Wir möchten, dass Sie ihr Grundstück und das, was bisher darauf errichtet wurde, an die Gemeinde verkaufen, und zwar jetzt und hier. Deshalb ist auch der Herr Notar anwesend. Der Wert ihres Hauses wird ihnen erstattet. Die Baufirma wird das Gebäude fertigstellen. Wir treten in ihren Vertrag ein.“

Rainer schüttelte den Kopf. Er hatte nun endlich diesen Mann erkannt, es war Georg Burmeister, der umtriebige Bürgermeister des Ortes.

Über die merkwürdigen, skandalösen Umstände seiner Forderung wollte man jetzt nicht diskutieren. Es gäbe keine Alternative hieß es. Er sagte aber dennoch einen Satz, der Rainer aufhorchen ließ: „Ihr tüchtiger Architekt war zu tüchtig und viel zu neugierig. Er hat in die Grube geblickt. Vielleicht war er sogar unten. Wir werden ihn dafür zur Rechenschaft ziehen müssen.“ Sein rollendes R war bühnenreif. Die zwei Kerle, die Rainer hereingebracht hatten, grinsten wieder blöde.

Das klang grässlich und der Architekt wurde bei diesen Worten leichenblass. Er hätte nichts gesehen, nur einmal kurz den Deckel beiseite schieben lassen.

 „Bringt ihn raus“, sagte der Bürgermeister. Draußen hörte man ein Poltern und einen Schmerzensschrei. Rainer bekam nun auch ziemliche Angst, zeigte sie aber nicht.

 „Ohne meine Frau geht hier gar nichts“, sagte er ruhig. „Wir sind beide Eigentümer und haben den Kaufvertrag gemeinsam abgeschlossen. Ich werde deshalb hier mit ihnen keinen erneuten, noch dazu erzwungenen Kaufvertrag ohne sie abschließen“, fügte er nachdrücklich hinzu und verschränkte die Arme.

Der Bürgermeister runzelte die Stirn, er hatte sich das alles viel einfacher vorgestellt. Musste auch dieser dämliche alte Trottel das Grundstück an fremde Leute verkaufen. Der wusste doch, was unter seinem Ferienhaus schmorte. Er hätte das Angebot der Gemeinde annehmen können und alles wäre gut. Jetzt glotzt ein neugieriger Architekt in die Grube, steigt da runter – na gut, er leugnet das, aber man weiß es nicht – und der Schlamassel nimmt kein Ende. Keiner sollte je dort unten herum stöbern. Man muss die Vergangenheit ruhen lassen, wie kann man sich sonst den neuen Herausforderungen widmen. So ähnlich mag er zu diesem Zeitpunkt gedacht haben.

Er wusste nicht wirklich, wie er es anstellen sollte, die Lage wieder unter Kontrolle zu bekommen. Die Leute müssen verkaufen und von hier verschwinden, dann wäre alles wieder im Lot. Dem Georg Burmeister fiel nichts Besseres ein.

Dieser B.Rainer S. war ein zähes Luder, man würde ihn zwingen müssen. Und jetzt auch noch diese Frau, die war total lästig. Er schüttelte den Kopf. Plötzlich steckte einer der helfenden Männer aus dem Dorf seinen Kopf zur Tür herein : „Chef, komm mal raus.“ „Es ist dringend, Chef.“

Burmeister erhob sich bedächtig und bedeutete Rainer und den Notar, sich nicht zu rühren, er würde gleich wieder bei ihnen sein. Auf dem Flur lag der Architekt auf dem Boden. Er rührte sich nicht und blutete aus dem Kopf. Das sah nicht gut aus. Die beiden Männer standen betreten vor ihrem Bürgermeister.

„Das wollten wir nicht.“ „Es ist einfach so passiert“, meinte der andere. „Er ist gestolpert und an die Heizung gefallen. Wir haben ihn nur ein wenig geschubst. Es war ein Unfall.“

Die beiden Männer hatten offensichtlich Angst vor den Folgen ihres Tuns und standen nun hilflos neben ihrem Opfer. Der Bürgermeister bückte sich, kam wieder hoch und stellte trocken fest, dass der Mann lebe.

 „Wartet, ich habe eine Idee.“

 Er begab sich wieder in das Zimmer und forderte Rainer auf, einmal kurz auf den Flur zu kommen.

 „Ja, schau'n sie nur, so kann es kommen,“ sagte er und zeigte auf den am Boden Liegenden. Rainer hatte nun fürchterliche Angst, sagte aber nichts. Er glaubte sich in einem schlechten Film.

„Sie fordern jetzt mit ihrem Handy ihre Frau auf, alle Verträge zu holen und umgehend wieder her zu kommen, und zwar in dieses Ferienhäuschen auf ihrem Grundstück. Dort sehen wir dann weiter.“

*

Mein Mann hielt inne, er hatte mir nun fast alles erzählt. Ich hatte ihm mit schreckgeweiteten Augen zugehört.

„Ist etwa unser Architekt tot? Das sind ja Kriminelle, Verbrecher, Mörder“, ich war aufgesprungen. „Warum machen die das und der Anführer ist der Bürgermeister? Ich fasse es nicht.“

Rainer war ruhig geblieben und versicherte mir, dass der Architekt leben würde, denn er wurde mit ins Hexenhäuschen verbracht und wäre auf eigenen Füßen dort hinein gegangen. Er hätte allerdings eine Wunde am Kopf. Was den Notar beträfe, da bestand Unklarheit. Mein Mann war der Auffassung, dass man diesem Herren nicht trauen dürfe. Der würde bestimmt mit denen unter einer Decke stecken. Die Fesselung war nur zum Schein, glaubte mein Mann jedenfalls.

„Vielleicht gehört ja auch jemand von der Polizei zu diesem Pack,“ schloss er grimmig. Die wären nämlich inzwischen bestimmt schon dort und man hätte uns auf dem Handy informiert.

„Vielleicht sind sie ja inzwischen am Hexenhäuschen und haben die Verbrecher geschnappt“, sagte ich, glaubte aber selber nicht, was ich gerade von mir gab.

Rainer saß auf dem Bett und schien angestrengt zu überlegen, er antwortete auf meine hoffnungsvolle Vermutung, was die emsige Tätigkeit der Polizei anbelangte,  gar nicht. Ihn bewegte etwas Anderes. Ich bat ihn um lautes Denken.

 

Fortsetzung folgt

 

 

Impressum

Bildmaterialien: Coverbild von Nora Roloff
Lektorat: Einen herzlichen Dank dafür an ceciliatroncho
Tag der Veröffentlichung: 19.11.2013

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Diese Geschichte ist den Enteigneten, Verjagten, Ermordeten der finstersten Zeit Deutschlands und den Flüchtlingen von heute gewidmet.

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