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Nur wer geht, kommt verändert wieder?

 

 

Man könnte es auch noch drastischer sagen: Wer geht, kann auch wiederkommen. Aber es geht wohl nicht allein, um die Möglichkeit des Wiederkommens, sondern eher um die Veränderung, die mit dem Gehen, mit dem Weggehen sich in uns und mit uns vielleicht vollzieht. Vielleicht! Oder doch ganz bestimmt? Und es geht um das Gehen. Man muss einfach gehen, wenn's nimmer geht.

Wir sehen uns veranlasst zu gehen, dann doch nur, weil Entscheidendes nicht mehr passt, weil wir mit dem Umfeld nicht mehr zufrieden sind. Vielleicht, weil auch wir scheinbar nicht mehr zu den Menschen und den gegebenen Möglichkeiten passen. Der Drang nach Veränderung ist die treibende Kraft und so passiert es, dass nichts Anderes mehr zählt. Nur weg von dem Alten! Ein neues Leben in einer neuen Welt zu finden, das ist unser erklärtes Ziel. An ein eventuelles Wiederkommen wird in solchen Phasen nicht gedacht. Die Zurückgebliebenen sehen es von Fall zu Fall anders.

Junge Menschen zieht es in die Welt. Je nach Möglichkeit, wird erst einmal nach der Schule verreist. Manchmal erweitert das den Horizont und sie kommen verändert wieder. Früher gingen die Handwerker auf die Walz, um Erfahrungen zu sammeln und etwas schlauer heimzukehren. Geschadet hat diese Zeit wohl nicht. In diesen Fällen war das Wiederkommen fest im Plan.

Doch wie verhält es sich mit den Alten und mit den fast Alten?

Ich bin gegangen, um nie wieder zu kommen. In meinem Dorf war es mir zu eng geworden, obwohl ich in einem großen Haus, mit einem Riesengrundstück wohnte. Allein. Das Alleinsein war es nicht, es war die Einsamkeit, die mir das Herz so eng werden lies. Die Leute hatten mit sich zu tun und bei ihrem Geschwätz verstummte all meine Redseligkeit, die mir eigentlich gegeben war. Meine Familie war in alle Winde zerstoben und ich war nur noch ein einziger Störfaktor für mich und andere. Ich liebte meine Arbeit nicht und mich selber noch weniger. Ich grüßte aus Höflichkeit alle Leute und ging schnell meiner Wege.

Meinen Garten, einst eine Freude, empfand ich schon lange als Belastung, das Haus mit seinen acht Zimmern voller Möbel und die wiederum vollgestopft mit Dingen, die ich nicht brauchte, war ein Albtraum geworden. Ich wanderte durch die Räume, in denen ich nicht leben konnte. Alles war sauber und schrecklich aufgeräumt aber tot. Meine Mutter saß noch im Sessel aber sie sagte nicht mehr viel. Vermutlich fühlte sie wie ich, war dabei nur dem Sterben viel näher. Mit Grausen sah auch ich mich schon so sitzen. Am Abend saß sie mit erloschenen Augen vor dem Fernseher, während ich die Zimmer putzte, die keiner verschmutzt hatte.

Die Vergangenheit hatte uns verlassen. Das tut sie immer und wir wollten sie auch nie wieder auferstehen lassen. Mit der Gegenwart war hier nichts mehr anzufangen. Wir waren unfähig mit ihr zu leben.


Es gibt in der religiösen Welt seit je her unendliche Gedanken, die weiter greifen möchten. In erster Linie, um Trost zu spenden und Hoffnung zu geben, denn das Leben ist oft so voller Entbehrungen und Enttäuschungen, dass man sich an einem Strohhalm festhalten möchte und genau diesen bieten fast alle Glaubensrichtungen. Das wäre ein positive Haltung zum Glauben jeglicher Richtung aber ich habe dabei Bedenken, denn mit religiösen Dingen kann man die Menschen auch wunderbar vom Leben hinweg führen, sie zu duldsamen Schäfchen erziehen, sie von jeglicher Kritik fernhalten, sie erfolgreich davon abhalten, ihr Leben in die eigenen Hände zu nehmen und zu handeln. Nichts verändern! Glauben! Alles steht geschrieben! Abwarten und dulden. Genau das geschieht, wenn auch nicht immer und überall. Bei uns ist Stille. In anderen Ländern brodelt die Revolution, wenn auch mit unterschiedlichen Erfolgen. Man möchte offensichtlich nicht mehr warten und ausharren nur mit der Hoffnung, nach der Wiedergeburt wird alles besser.

Die im Osten weitverbreitete Lehre von der Wiedergeburt (Reinkarnation) beruht auf der Annahme, die Seele eines Menschen löse sich im Tode vom Körper und werde gleichzeitig - oder zu einem späteren Zeitpunkt - in einem anderen Körper wiedergeboren.

Wie einer handelt, wie einer wandelt, ein solcher wird er. Aus guter Handlung entsteht Gutes, aus schlechter Handlung entsteht Schlechtes“, lehren die Upanishaden.

Im Christentum versteht man den Begriff etwas anders. Die Wiedergeburt beinhaltet die Vergebung der Sünden, befähigt den menschlichen Verstand, geistliche Wirklichkeiten zu erkennen, als einen Gnadenakt Gottes, der zum „freiwilligen“ Gehorsam gegenüber Gott führt. Der in der Sünde versklavte Willen würde auf den einzig richtigen Weg geführt. Und so weiter, und so weiter, auf alle Fälle soll der Mensch auf Linie gebracht und zum Gehorsam einem höheren Wesen verpflichtet werden.

„Die Wiedergeburt sei ein göttlicher Gnadenakt, in dem der Gläubige mit dem Heiligen Geist versiegelt wird. Der Geist Gottes ist das Unterpfand dafür, was Gott dem Glaubenden künftig noch schenken wird.“ (Kor 1,21-22 

Der Koran kennt ein zeitliches Leben im Diesseits, aber auch ein Leben im Jenseits und ein erneutes Leben im Diesseits.

Das jenseitige Leben wird denen in Aussicht gestellt, die es sich verdient haben. Es wird als das wirkliche Leben beschrieben, wohingegen das zeitlich-irdische nichts als Spiel und Zerstreuung darstellt. (Für einen im Erdenkleid Gefangenen ist das nicht immer ganz leicht nachzuvollziehen.)

 Sure 6

„32 Das diesseitige Leben ist (doch) nichts als Spiel und Zerstreuung. Die jenseitige Behausung ist für diejenigen, die gottesfürchtig sind, wahrhaftig besser. Habt ihr denn keinen Verstand?“

 Bei aller Unterschiedlichkeit der Glaubensrichtungen, und es gibt noch viel mehr, die hier erwähnt werden müssten, sieht man doch eines, nämlich die in Aussicht gestellte Erlösung, die Möglichkeit, sich zu verbessern. Die Methoden sind differenziert zu betrachten aber immerhin, sieht man zumindest in der Lehre von der Reinkarnation die Aufforderung „gut zu handeln“, was auch immer sich dahinter verbergen mag, schwammig bleibt es allemal. Der Koran und die Bibel verlangen Gehorsam und Gottesfurcht im Diesseits, dann gäbe es die Belohnung im Danach, von einem Wiederkommen ist nicht die Rede. Warum auch? Das Leben ist eh nur Spiel und Zerstreuung oder halt voller Sünde. Das eine wie das andere ist nichts wert.

Nach diesen Ausflügen in mir unverständliche Gefilde religiöser Welten, dachte ich daran, was ich einst gelernt und gelesen bei einem Philosophen namens Jean-Paul Sartre, der meinen Anschauungen in vielen Punkten sehr nahe kam:

„Der Mensch ist Angst.“

„Der Mensch ist Verlassenheit.“

„Der Mensch ist Verzweiflung.“

aber:

„Der Mensch ist voll und ganz verantwortlich“

meine Mutter sagte ergänzend:

„Es gibt Wirklichkeit nur in der Tat“ ... aber sie könne nun nichts mehr tun.

Da kam mir die Idee, dass das jetzt unbedingt meine Aufgabe wäre.


So lob ich mir die Existenzphilosophie. Die Fokussierung des Existentialismus auf die Themen Angst, Tod, Freiheit, Verantwortung und Handeln als elementar menschliche Erfahrungen, erscheint mir logisch und richtig. Der Mensch versteht sich selbst nur im Erleben seiner selbst und mündet in Selbstverwirklichung, Freiheit und Selbstbestimmung. Der Mensch muss tätig werden, sich verändern, um sein Leben zu verbessern. Er kann und muss Verantwortung für sein Sein übernehmen. Aber er macht es oftmals nicht.

Sartre nennt das Unaufrichtigkeit oder Selbstlüge. Er beschreibt, wie wir in der Selbstlüge zugleich Lügner und Belogener in einer Person sind, und zeigt auf, warum dieses offensichtlich logisch Widersinnige nachzuvollziehen ist: Da wir offensichtlich nicht eindeutig zu bestimmen sind, tätigen wir immer wieder einen sog. Entwurf.

Der Mensch ist zuerst ein Entwurf, der sich subjektiv lebt, anstatt nur ein Schaum zu sein oder eine Fäulnis oder ein Blumenkohl; nichts existiert diesem Entwurf vorweg, nichts ist im Himmel, und der Mensch wird zuerst das sein, was er zu sein geplant hat, nicht was er sein wollen wird. Denn was wir gewöhnlich unter Wollen verstehen, ist eine bewusste Entscheidung, die für die meisten unter uns dem nachfolgt, wozu er sich selbst gemacht hat. Ich kann mich einer Partei anschließen wollen, ein Buch schreiben, mich verheiraten, alles das ist nur Kundmachung einer ursprünglicheren, spontaneren Wahl als was man Willen nennt”.


Ein Entwurf war gescheitert. Na und? Mein Willen, mein Wollen war doch noch vorhanden. Wieso dulden und warten auf schwammige Erlösungen, die meiner Vernunft widersprechen, die nicht einmal meine Träume berühren? Ich möchte mich erleben solange ich lebe.

So sind wir gegangen. Das hat uns verändert. Wir werden nicht wieder zurück kehren. Wir sind so verändert. Die Angst, die Verlassenheit, die Verzweiflung ist damit auch gegangen. Ob für immer, bleibt offen. Es folgt vermutlich ein weiterer Entwurf. Dabei dachte ich an Albert Camus, der ebenso gegen das scheinbar Absurde der Welt anzukämpfen rät, so wie Sisyphos seine Strafe erträgt, annimmt, sich aber nicht von der Bürde der ewigen Qual erschüttern lässt, sondern die Götter verlacht, er zeigt die Größe des modernen Menschen, der sein absurdes Schicksal annimmt aber nie handlungsunfähig verharrt.

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Tag der Veröffentlichung: 04.08.2013

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