Es ist an der Zeit, die Kommissarin ein wenig zu beleuchten, denn bislang hatte sie noch nicht das zweifelhafte Vergnügen, einen wirklichen Mord aufzuklären, obwohl es in ihrem Revier nicht an Leichen mangelte. Der Verdacht keimt hoch, dass sie deshalb gar keine richtige Kommissarin ist oder nicht sein kann?
Der Verdacht ist richtig. Sie ist keine. Doch was ist sie dann? Das fragt sich doch nun der besorgte und verwirrte Leser? Und ich muss zugeben, als Erzählerin, als Schöpferin der Figur, wenn auch als Moni, denn diese gab ja bekannt, einen Krimi schreiben zu wollen, Ihr erinnert Euch, dass darüber noch nachzudenken ist.
Die Sache ist verzwickt, denn Moni bin nicht ich, Moni ist auch eine erfundene Figur, eine Kunstfigur, die sich hier verselbständigte. In dem Fall habe ich mich als Figurenschöpferin ziemlich gut heraus gemogelt, finde ich. Mondgeniemäßig eben. Moni ist nämlich in Schuld, wenn ihre Monarutta keine richtigen Morde aufzuklären bekommt. Ich ja nicht.
Monarutta ist, sagen wir einmal vorsichtig ein kommissarnahes Wesen und wenn ihr rein zufällig eine Leiche begegnet, dann ermittelt sie so gut sie kann die Umstände, die eine Leiche zur Leiche werden lassen. Ist am Ende alles klar, dann ist sie bedingt zufrieden, denn der frühe Tod kann nicht zufrieden stellen. Monarutta möchte ja immer, dass die Leute, die hier am Wirken waren, ans Tageslicht gezerrt werden. Sie interessiert sich grundsätzlich für Hintermänner, Hinterfrauen, für das, was halt Hintenrum geschieht und da passiert viel.
Was hinten raus kommt, weiß sie zunächst selber nicht, das weiß keiner. Also um es einmal klar zu sagen, ich lasse meiner Moni alle Freiheit, beim Erdenken der Monarutta-Fälle, egal, was hinten raus kommt.
Übrigens ein normaler Tod kann sich beim näheren Hinschauen entpuppen, allein wenn man die Frage stellt: „Was ist ein normaler Tod?“
Genau darüber musste Monarutta nun auch nachdenken als sie vor ihrem dritten Fall stand.
Eine alte Frau wurde in ihrer Wohnung tot aufgefunden und zwar von einer beauftragten Behörde, die alle halbe Jahre zu überprüfen hat, ob der Pflegegeldempfänger noch am Leben ist. Das heißt, ob ihm noch Pflegegeld und Rente zusteht. Ein bürokratischer Akt, der durchaus Sinn hat, wenn man in Betracht zieht, dass es Schweinepriester gibt. Das sind diejenigen, die das Unglück anderer ausnutzen. Davon gibt es wahrlich genug. Für den betroffenen alten Menschen ist es weniger schön, wenn das Amt unsensibel vorgeht.
Die Frau lag auf dem Fußboden, unweit des Fernsehers, der ziemlich hoch auf einer Kommode stand. Sie war völlig dehydriert und ihr Bein war gebrochen. „Oberschenkelhalsbruch, aber der hat sie nicht umgebracht!“ Die Gerichtsmedizinerin Paula beendete ihre Untersuchung. „Die bedauernswerte Frau liegt schon über zwei Wochen hier.“
„Jetzt bekommt sie kein Pflegegeld mehr überwiesen“, meinte Moruzius trocken.
„Ja, und auch keine Rente aber wir machen erst einmal unsere Arbeit, denn hier stimmt so Einiges nicht.“ Monarutta zeigte auf die Unordnung, die in der ganzen Wohnung herrschte.
„Vor einem halben Jahr sah es hier ordentlich und sauber aus. Wir konnten beruhigt das Protokoll schreiben“, meinte die Frau, die die Tote gefunden hatte und verließ sehr eilig die Wohnung, sie mochte die Wohnungen alter Leute nicht. Sie empfand überhaupt eine Abneigung gegenüber den alten Menschen und wenn sie dann auch noch verstarben, dann verspürte sie richtigen Ärger. Wieder eine Klientin weniger, was nicht so gut war, denn jede zu „betreuende“ Person wurde der Kasse in Rechnung gestellt. Die Frau hasste ihren Job und sie hasste sich dafür, dass sie ihren Job hasste. Aber sie musste dankbar sein, überhaupt einer bezahlten Tätigkeit nachgehen zu dürfen.
Da hatte also jemand etwas gesucht. Ob derjenige etwas fand, blieb solange ungewiss bis Monarutta jemanden ausfindig machen würde, der sich auskannte und etwas zu eventuell fehlenden Gegenständen aussagen könnte. Vielleicht bewahrte die alte Frau auch Bargeld Zuhause auf. „Die Kontoauszüge müssen wir auch prüfen“, dachte Monarutta.
Es stellte sich heraus, dass es vermutlich keinerlei Verwandte gab. Jedenfalls behaupteten das die Leute, denn Besuch erhielte die Dame nicht. Die arme Frau war also mutterseelenallein auf der Welt übrig geblieben.
Was wäre in dem Fall ein normaler Tod gewesen? Nicht jeder stirbt in seinem Bett. So mancher fällt um und ist tot, aus Altersschwäche, wie man so schön sagt. Es ist vielleicht auch noch normal, wenn auch sehr traurig, dass in den letzten Stunden keiner da ist, doch das kann vorkommen. Nicht immer weiß der Betroffene, dass der Tod ganz nahe ist und hat liebe Menschen in der Nähe, die dann ununterbrochen zur Stelle sein können. Eigentlich ist es alles andere als normal, wenn Menschen sterben und k e i n e r merkt es, zumindest nicht unmittelbar danach. Oft, viel zu oft werden Menschen, manchmal schon halb verwest, in ihren Wohnungen aufgefunden.
Im vorliegenden Fall war die Frau gestürzt und lebte, nur hat keiner ihr geholfen.
Sie ist mit Schmerzen qualvoll verdurstet, wie es aussieht. Das Telefon lag auf dem Tisch, für sie unerreichbar. Die Fernbedienung des Fernsehgerätes lag auf dem Fernseher. Ein Stuhl war umgefallen. Er lag vor dem Vertiko, auf dem der Fernseher stand.
Wollte sie etwa auf den Stuhl steigen, um am Fernseher zu kurbeln und ist samt dem Stuhl umgefallen? Oder hat sie einen Einbrecher überrascht? Einbruchspuren waren allerdings nicht auszumachen.
Moruzius war schon unterwegs, um herauszufinden, wer einen Wohnungsschlüssel besaß und ob jemand etwas bemerkt hätte.
Keiner sah etwas und keiner hatte einen Schlüssel. Frau Hummel, so hieß sie, fiel niemandem auf, sie ging ja auch die letzten Jahre nicht mehr raus. Einmal im Monat brachte ein Lieferservice die Lebensmittel, soviel war bekannt und vierzehntägig kam eine polnische Putzfrau, die den Müll entsorgte und sich auch darüber hinaus ein wenig kümmerte.
Monarutta vermutete, dass Oma Hummel, den Täter, der bei ihr etwas gesucht hat, die Wohnungstür geöffnet haben muss. Vielleicht durch den Enkeltrick? Diese Dreistigkeit wurde von diversen Trickbetrügern bundesweit angewandt, um alte Leute auszurauben. Es gab diverse Methoden, um in die Wohnungen zu gelangen.
In der Wohngegend war in letzter Zeit allerdings kein Fall bekannt.
„Wir werden die polnische Putzfrau ausfindig machen und befragen“, ordnete Monarutta an. Sie hatte so ein komisches Gefühl, dass diese Frau etwas wissen müsste, denn sie war ja relativ häufig in der Wohnung und vielleicht ist ihr etwas aufgefallen.
Monarutta hatte ein sehr gute Meinung über die Leute, die aus Polen nach Deutschland zur Arbeit kamen, obwohl andere Leute auf die Polen schimpften. Sicher nur, weil sie keine Ahnung hatten, wie schwer es ist, in Polen Arbeit zu finden, die auch gut bezahlt wird. Polnische Pflegekräfte, Leute, die im Dienstleistungssektor tätig sind, werden inzwischen vielfach und gerne eingesetzt, oft für schwere ungeliebte Arbeiten, wenn auch häufig schwarz und immer noch mit viel zu wenig Lohn.
Moruzius hat sie gefunden. Er ist ein Ass im Suchen und Finden und Anita wusste etwas. Sie zeigte sich sehr bestürzt und gab sich weinend ununterbrochen an allem die Schuld. Sie war krank geworden und musste das Bett hüten, hatte aber telefonisch Bescheid gegeben, dass sie einmal mit dem Putztermin aussetzen müsste. Oma Hummel meinte, das wäre nicht so schlimm, sie würde warten. Warten könne sie am Allerbesten. Notfalls könne sie sich ja Bilder anschauen oder fernsehen. Anita erzählte auch von den Kameras, die sie in jedem Raum anbringen musste.
„Warum das denn?“, Monarutta wunderte sich. Sie hatte sie auch schon entdeckt und wollte nun wissen, was es damit auf sich hätte. Wer würde denn eine alte Frau überwachen wollen und warum?
„Na, Oma Hummel ist ziemlich vergesslich und sie weiß oft nicht, wo sie das eine oder andere hingelegt hat, dann schauen wir die Aufnahmen an und bekommen es ohne langes Suchen heraus. Sie kann stundenlang ihre eigenen Bewegungen in ihrer Wohnung anschauen. Sie nennt es fernsehen. Die Kameras laufen ständig.
So weit so gut. Oma Hummel schien pfiffig gewesen zu sein, doch wieso die ganze Unordnung?
Anita hatte ein Erklärung und weinte wieder, denn sie war die Schuldige. Sie hatte beim Putzen die Fernbedienung auf den Fernseher gelegt und danach nicht wieder auf den Tisch an den vertrauten Platz. Oma Hummel wird wie verrückt gesucht haben, jeden Tag und sie wird sich furchtbar aufgeregt haben.
„Dann ist sie immer impulsiv und wenn keiner da ist, der ihr hilft, dann wird sie panisch. Es ist schlimm, was die Demenz mit den Menschen macht.“
Für Monarutta war der Fall klar. Oma Hummel hatte die Fernbedienung entdeckt, wagte sich auf einen Stuhl zu klettern und stürzte unglücklich. Das war ihr Ende, eine Kamera nahm alles auf.
„Ihren letzten Film hat sie nicht mehr gesehen“, meinte Moruzius. Monarutta schüttelte traurig den Kopf. Viele Menschen sehen ihren letzten Film nicht mehr.
Tag der Veröffentlichung: 27.01.2013
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Den alten und einsamen Menschen gewidmet...einem wirklichen Fall nachempfunden