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Monaruttas erster Fall

Teil 1


Der Tatort ist Penzlin, einer kleine Stadt in Mecklenburg
/Vorpommern. Diese Region gehörte im Gegensatz zu den meisten anderen norddeutschen und protestantischen Territorien zu den Kernzonen der europäischen Hexen-
verfolgung. Fast viertausend Hexenprozesse wurden hier geführt.
Die Kommissarin, alle nannten sie Monarutta, obwohl sie Monika Monaruda hieß, interessierte sich brennend für Prozesse, die mit unschuldigen Menschen in aller Härte durchgeführt wurden und leider immer noch werden.
Sie konnte tagelang verstaubte, auch weniger verstaubte Akten studieren, die auf abstruse Verhörmethoden hinwiesen.

Aus den Akten des Hexenprozesses (um 1700) gegen die Penzliner Bürgerin Benigna Schultzen hervor:
...daß man mir die Daumenschrauben angeleget, sind selbige weiter angeschroben worden, ist die Beinschraube am rechten Fuß geleget und zugeschroben worden, ist die andere Beinschraube am linken Fuß angeleget und gleichfalls zugeschroben worden ... so daß dieser actus torturae fast eine Stunde gewähret ... weilen man die Intention gehabt, mich mit aller Gewalt zur Hexe zu machen, und so lange zu peinigen, bis ich Hexerei bekannt hätte …


Monarutta hatte eine besondere Eigenart, sie vermochte sich tief hineinzulesen und so spürte sie bald die Daumen-
schrauben und verstand die Bekennung zur Hexerei. Sie entwickelte in diesen Momenten eine Mordswut, obwohl sie doch eigentlich eine sehr friedliche Person war. Damit war also ihr Revier berühmt geworden. Das wurmte sie sehr. Aber nur deshalb kamen die Fremden, um wohl das Gruseln zu lernen, welches die Historie immer wieder zu bewirken vermochte.

In unserer modernen Zeit gibt es natürlich keine Hexen-
prozesse mehr und Monarutta ist deswegen auch heilfroh, weil Daumenschrauben und anderes kein entspanntes Gefühl erzeugen, geschweige denn der Wahrheitsfindung dienen. Heute gibt es Beweise, die eindeutiger sind. Monarutta atmet tief auf und leider notwendigerweise auch ein als sie endlich am Tatort eintrifft. Sie stellt sorgsam ihr E-Bike an dem runden, verschnörkelten Häuschen ab und eilt zum Opfer.

Die Bürger in Penzlin sind aufgeweckt und interessiert, kurz sie sehen fast alles, was der Nachbar macht oder nicht macht und was sie nicht selber beobachten können, wird anders sichtbar gemacht, denn in Penzlin ist nun auch der Fortschritt eingezogen.

Es gibt einige sehenswerte Objekte in der Stadt, so auch das französische Pissoir, welches dem Städtchen den Beinamen Kleinparis verlieh. Gerade hier, wo die Männer der Stadt, wenn es nötig war, sich erleichterten, hatten einige Damen in früheren Zeiten unmissverständliche Wartepositionen eingenommen, oftmals mit Erfolg.
Kurz, die Herren fühlten sich nach allen Handlungen rund-
herum erleichtert. Man war zufrieden.

In den heutigen Zeiten war das Pissoir immer noch eine Sehenswürdigkeit und so wurden die Fremden auch zu diesem Ort geführt, was sich nebenbei gesagt als recht praktisch erwies, zumindest, was die eine Art der Erleichterung an betraf.

Einmal gab es dort eine Schlägerei, weil der Andrang die Kapazität überforderte. Menschen ertragen es nicht, wenn sich jemand vor drängelt. Besonders nicht an diesem Ort. Genauso wenig wird geduldet, wenn einer dem anderen ans Bein pinkelt in seiner Not, selbst wenn es ganz unabsichtlich geschieht, quasi aus einem großen inneren Druck heraus. Das alles zählt nicht und letztendlich wollte keiner angefangen haben.
Die Polizei konnte den Fall nicht aufklären. Es floss zwar nicht sehr viel Blut aber ein wenig schon und deshalb ließen die Stadtväter am Pissoir eine Kamera anbringen.
Sie nimmt alles auf, was sich im äußeren Bereich dieses Ortes abspielt. Das ist sehr hilfreich, wenn denn hier eine Untat begangen wird.

Die suchenden Blicke Monaruttas finden diese Kamera als sie vor der blutüberströmten Leiche des toten Bahnwärters steht. Die Pathologin untersucht akribisch den Toten und stellt amtlich den Tod fest, auch dass hier zu viel Blut geflossen ist. Das Blut müsse man untersuchen, meint sie. Da wäre etwas faul, außerdem hätte der Mann seine Hose nicht geschlossen.

Die Monarutta fügt scharfsinnig hinzu, dass der Mann wahrscheinlich ein Schwein sei oder sehr in Eile war, vielleicht auch einfach nur vergesslich. Sie war auch manchmal vergesslich aber so nun auch wieder nicht, zog aber im Dienst Hosen mit Gummizug an, Jogginghosen, obwohl sie nie joggte. Sie bildete sich ein, dass sie damit sportlicher wirkte. In der Tat war sie damit nur beim Ankleiden schneller fertig. Auch mit der Mütze, die sie ständig überstülpte, verband sie praktische Überlegungen. Sie war warm und die Frisur spielte keine Rolle. Kein Haar störte ihre Spürnase beim Schnüffeln und die brauchte sie jetzt.
Das Pissoir war abgeschlossen, stellte sie fest. Was wollte der Bahnwärter hier? Ihre Blicke schweiften über den Platz und blieben zurückkommend wieder an der Leiche haften. Der Mann hielt einen weißen Eimer in der Hand, der mit der Werbeaufschrift eines Baumarktes versehen war. In ihm sah man deutliche Blutspuren. Rote Farbe war es nicht, es war Blut, so viel stand fest.

Monarutta dachte einen kurzen Augenblick an einen Ritualmord an historischer Stätte, verwarf aber den Gedanken, denn wer würde vor einer Männertoilette morden und was könnte man mit der Tat als Botschaft vermitteln?

Auf der gegenüberliegenden Straßenseite schienen normale Penzliner zu wohnen. Sie standen hinter den Gardinen und verfolgten das Geschehen. Das Pissoir war ihnen allerdings seit geraumer Zeit ein Dorn im Auge, wenn man so will auch in der Nase. Die ehrbaren und empfindlichen Frauen hatten schon auf dem Marktplatz mit Transparenten dagegen protestiert, ohne Erfolg. Einige emanzipierte Frauen forderten wenigstens und mit Recht auch eine öffentliche Frauentoilette, denn das Pissoir war ja nur den Männern vorbehalten. Wie immer, an die auch mal müssende Frau hatte niemand gedacht. Schließlich kam es zu Tumulten. Der Bürgermeister war verzweifelt und jetzt war dort ein blutiger Mord zu verzeichnen. Damit wurde die Stätte zu einer echten Gefah-
renquelle, einer tödlichen sozusagen, für die Presse ein echtes Leckerchen.

Monarutta und ihr Assistent Moruzius, ein kleiner aber guter Mann, begannen sich in der Nachbarschaft umzusehen und die Leute zu befragen, ob sie etwas gesehen oder gehört hätten. Sie erfuhren, dass der Bahnwärter jede Nacht zum Pinkeln käme, obwohl er in seinem Bahnwärterhäuschen gewiss eine Möglichkeit dafür hätte.
„Deshalb bringt man keinen Mann um“, meinte Moruzius.
„Leute werden heutzutage für Nichts und Wiedernichts gemeuchelt“, korrigierte Monarutta die voreilige Feststellung als sie durch den Hausflur eines der Häuser auf den Hof gingen.

Die Leute standen dort herum und tuschelten, ein halbes Schwein stand aufgebahrt an der Hauswand. Man hatte geschlachtet, um sich mit ordentlichem Fleisch und guter Wurst einzudecken. Das war verständlich und für die Monarutta insofern interessant, weil sie einige weiße Eimer erblickte, die dem blutigen Eimer an der Leiche sehr ähnlich sahen. Die wurstmachenden Frauen nutzten sie für so allerlei, sagte Frau Punschendörp.

„Der Baumarkt hat davon eine Menge und jeder, der dort kauft, kann sich einen mit nehmen.“
„Auch der verpisste Bahnwärter!“, fügte sie noch bissig hinzu.
Moruzius wurde leise angewiesen, eine Probe des Schwei-
neblutes zu beschaffen. Das war schnell getan.

„Wir werden noch die Videokassetten der Kamera am Pissoir auswerten“, sagte Monarutta laut, die Leute grinsten nur.

„Fahren wir in die Dienststelle, dort sehen wir mehr.“ Die Monarutta zog ihre Mütze ins Gesicht, schwang sich auf ihr Akkufahrrad und summte davon.
Moruzius übergab die Schweineblutprobe der Pathologin zum Abgleich mit dem Blut auf der Leiche und im Baumarkteimer. Das Ganze schien eine Riesenschweinerei zu sein.

Der Tote hatte zudem auch Blut an den Schuhsohlen und eine klaffende Wunde am Hinterkopf. Sie muss nicht die Todesursache sein, orakelte die Pathologin. Das war seltsam.

Fortsetzung folgt

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Tag der Veröffentlichung: 20.01.2013

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