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Die Nacht



Ein Silvestermuffel

Jeder Tag endet in ihr und mit ihr. Nicht jede Nacht wird als angenehm empfunden. Wally wusste das, denn ihre Nächte hielten für sie oft die seltsamsten Überraschungen bereit. Das Jahr war fast verrauscht, nur die letzte Nacht fehlte noch. Die Silvesternacht. Für viele Menschen die Nacht der Nächte!

Am Tag wollte sich Wally noch zwei Pfannkuchen kaufen, das Fläschchen Sekt, mit welchem sie das Neue Jahr zu begrüßen gedachte, stand schon im Kühlschrank, alles andere war erledigt.
Sie war froh wieder Zuhause zu sein, denn die Menschen im Supermarkt benahmen sich unerträglich, um ihr Zeug zum Knallen zu erwerben. Dafür hatten sie offensichtlich genügend Geld in den Taschen, welches sie nunmehr mit vollen Händen auszugeben planten.
Für einhundert Euro bekommt man dreißig bis vierzig Kilogramm geballte Ladung, je nachdem in welchem Land halbverhungerte Kinder unter Einsatz von Leben und Gesundheit für einen skandalösen Lohn das Zeug hergestellt haben.

Damit würde man zeigen können, was man drauf hat: fünf Minuten Bums mit Licht, danach Dunkel, welches sich der Partyfreund hell zu trinken sucht und das bis es hell wird im Land und das Neue Jahr seine Arme ausbreitet.
Vorher schon sammeln die armausbreitenden Rettungssanitäter diejenigen ein, für die es absolut finster geworden war. Arme und Reiche gleichermaßen, alle Menschen sind im Vollrausch ähnlich. Wally stellt sich vor, dass ein bekotzter Armanianzug vermutlich auch nicht mehr sehr elegant aussieht.
Die viele Freude hatte das Innerste nach außen gebracht und sie schließlich umgeworfen. Reine Lebensfreude zeigt sich zuweilen überwältigend.

Doch vorher zankte man sich schon auf dem Parkplatz um einen gewöhnlichen Platz für das Auto, in der Riesenhalle setzte sich der Ärger fort: überall lange Schlangen als gäbe es kein Morgen mehr. Die Leute deckten sich zudem mit Vorräten ein, um den Jahresausklang kulinarisch zu feiern. Es schien das letzte Neujahrsfest überhaupt zu sein, bevor eine große Hungersnot einsetzen würde. Zudem zeigte sich insgesamt eine für sie unerklärliche Gereiztheit. Man würde sie beim Knallen und Böllern abreagieren. Ja, so wird es kommen!
Ob die alle nichts auf dem Gabentisch vorgefunden haben, oder ob nicht genug zum Essen vorhanden war, fragte sie sich und schaute forschend in die Gesichter.
Sie waren nichtssagend, wirkten meist aber etwas gestresst oder verärgert, vermutlich weil man an den Kassen ewig stehen musste. Von fröhlicher Stimmung noch keine Spur, dabei waren doch alle Artikel reichhaltig vorhanden, keiner müsste auf Begehrtes verzichten.

Wally hatte zwei Pfannkuchen im Körbchen und ein schüchterner Versuch, an den hoch gefüllten Einkaufswagen vorbeizuhuschen, misslang. Barsch deutete man ihr, dass das Ende hinten sei.
Nach einer Stunde hatte sie es geschafft, eine weitere Stunde benötigte sie, um sich nach Hause zu bewegen. Der Parkplatz vor dem Haus war besetzt und alle anderen ebenfalls. Sie musste das Auto ziemlich weit ab von ihrer Wohnung abstellen, schweren Herzens, denn sie wusste, was die Nacht bringen würde. Entfesselte böllernde Bürger!

Inzwischen senkte sich allmählich die Nacht hernieder, krachend, wenn man so will, denn die Leute konnten es wohl nicht abwarten und böllerten schon hirnrissig herum, vermutlich ohne zu wissen warum eigentlich. Das Neue Jahr war ja noch nicht angebrochen, seine Begrüßung also absolut noch nicht erforderlich. Man ballerte augenscheinlich nur völlig idiotisch, des Krachs wegen scheinbar.

Plötzlich war ein Zischen und Heulen vernehmbar, ein Krachen und Splittern folgte. Sie rannte die Treppe hinauf und sah im Wohnzimmer etwas Rauchendes auf dem Teppich liegen. Er explodierte nicht. Noch nicht! Sie schmiss in ihrer Not ihren Wintermantel darüber und warf den großen Kübel mit der Pflanze um, in der Hoffnung die Erde würde Schlimmeres verhüten. Schnell stürzte sie auf den Balkon, um die gefüllte Gießkanne auszuschütten. Es zischte und die fehlgeleitete Rakete war nun ganz friedlich, wenn auch das Zimmer nicht mehr wirklich aufgeräumt ausschaute.

Das war noch einmal gut gegangen. Welch ein Glück! Die Balkontürscheibe war allerdings zerschlagen. Notdürftig versuchte sie eine Pappe anzubringen, um die Kälte abzuwehren. Die Nacht hatte begonnen. Bekümmert sah Wally sich in ihrem Zimmer um und fotografierte die Bescherung. Dann begab sie sich auf den Balkon, natürlich war niemand zu sehen. Es war sehr ruhig bei den Nachbarn.

Wally war nun stinksauer und rief die Polizei an, um eine Anzeige gegen unbekannt aufzugeben. Man meinte, dass sie froh sein müsse, dass kein Brand entstanden wäre.
Der Täter wäre aber bestimmt nicht zu fassen. Sie solle die Versicherung verständigen.
Ein wunderbarer Rat, da wäre sie gar nicht drauf gekommen. Vermutlich würden die allerdings nicht zahlen, weil ihr das Malheur nicht selber passiert war, sondern ein anderer der Schuldige war. Wally verzog das Gesicht. Bei der Versicherung ging nur ein Anrufbeantworter an und wünschte anschließend ein frohes, neues und schadenfreies Jahr. Herrlich! Ein unappetitlicher Fluch war jetzt nicht zu vermeiden.

Sie wollte gerade den Dreck beseitigen und mal schauen inwieweit der Teppich beschädigt war, als es an der Tür klingelte. Der Nachbar von gegenüber stand vor der Tür, lächelnd. Er erkundigte sich nach den Schäden durch die vermaledeite Rakete. Sein Bengel und seine Freunde hätten es verursacht, seine Haftpflicht würde es bestimmt bezahlen.

„Bitte, kommen sie und feiern sie mit uns“, sagte er noch.
„Wir knallen erst wieder um 12.00 Uhr, versprochen.“
Sie hätten ja auch noch furchtbar viel zum Jahresausklang an schönen Sachen, die die Augen wieder leuchten lassen.
„Sie haben Glück, ich habe eine Haftpflicht, es hätte doch viel schlimmer kommen können, nun, seien sie kein Frosch, sie werden doch allen und sich nicht die gute Laune verderben lassen, es ist nur einmal Silvester, seien sie mit uns lustig und sie können auch alle anderen Raketen persönlich überwachen, die wir später abschießen...“

Wally glaubte allmählich glühende Augen zu bekommen und sich zudem in einen Knallfrosch zu verwandeln.
Ihr war die Lust auf eine Feier nämlich gänzlich abhanden gekommen. Sie war wohl doch ein Silvestermuffel. Der Nachbar ging Kopf schüttelnd davon.


Nachtrag:



http://www.dibk.at/index.php?id=4861&portal=1

Silvesterraketen: Erschreckende Produktionsbedingungen



Auf die erschreckenden und unmenschlichen Produktionsbedingungen für Feuerwerkskörper macht der Geschäftsführer der Hilfsorganisation "Jugend Eine Welt", Reinhard Heiserer aus Tirol, aufmerksam.
Auch heuer werden Raketen und Kracher wieder für einen Jahreswechsel mit Knalleffekt sorgen. „So prächtig und pompös Feuerwerke zelebriert werden, so erschreckend sind die Hintergründe ihrer Herstellung“, sagt der gebürtige Tiroler Reinhard Heiserer, Geschäftsführer des Hilfswerks Jugend Eine Welt. Die Organisation macht die Konsumentinnen auf die erschreckenden Produktionsbedingungen in der Feuerwerkskörper-Produktion aufmerksam und möchte zu mehr Achtsamkeit beim Kauf bewegen.
„Besonders erschreckend ist, dass häufig Kinder und Jugendliche in der Feuerwerksproduktion mitarbeiten“, erklärt Heiserer: „Für eine Schulausbildung bleibt da natürlich keine Zeit. Hinzu kommen die schädlichen Stoffe mit denen die Heranwachsenden hantieren. Diese beeinträchtigen ihre Gesundheit oft für den Rest ihres Lebens.“ Wer auf sein Feuerwerk nicht verzichten möchte, sollte sich im Handel nach Feuerwerkskörpern "Made in Österreich" oder in anderen EU-Ländern erkundigen.  Reinhard Heiserer: „Auch ein Jahreswechsel ohne Feuerwerk kann Spaß machen und mit dem gesparten Geld kann man sich etwas anderes Schönes leisten.“
Indien ist, nach China der zweitgrößte Produzent von Feuerwerkskörpern weltweit. Über 90 Prozent der Produktionsstätten von Feuerwerksartikeln konzentriert sich auf die Region in und um Sikavasi. In 40 Dörfern werden insbesondere von Frauen und Kindern Feuerwerkskörper unter menschenverachtenden Bedingungen produziert.

Lebensgefährliche Arbeit mit schweren gesundheitlichen Folgen
Jeder Neunte der Angestellten leidet unter Asthma oder Tuberkulose. Ursache hierfür ist der direkte Kontakt mit chemischen Substanzen wie Schwefel, Schwarz- und Aluminium-Pulver. Zudem finden aufgrund fehlender Sicherheitsvorkehrungen zahlreiche Unfälle statt. In den letzten zehn Jahren verloren allein in Sikavasi offiziell 75 Menschen ihr Leben und über 190 Arbeiterinnen wurden schwer verletzt.

Ausbeuterische Kinderarbeit
Weltweit steigt der jährliche Konsum von Feuerwerkskörpern um 10 Prozent. Doch die ArbeitnehmerInnen profitieren nicht von den wachsenden Gewinnen. Vielmehr versuchen die Fabriken mit vielfach angelegten Subunternehmen oder ohne Lizenzen Rechts-  und Arbeitsregelungen sowie Sicherheitsbestimmungen zu umgehen.  Über zehn Stunden Arbeitszeit täglich, Sechs-Tage-Wochen und keine Gehaltsentschädigungen während längerer Betriebspausen in der Regenzeit sind der Normalzustand. Hinzu kommt, dass vielfach Kinder und Jugendliche in den Betrieben mitarbeiten.



http://www.umweltbundesamt.de/luft/schadstoffe/silvester_pm10.htm

Luft und Luftreinhaltung
Feinstaub durch Silvesterfeuerwerk


21.12.2012

Zum Jahreswechsel: Wenn die Luft „zum Schneiden” ist

Bleigießen, ein Gläschen Sekt und das Feuerwerk um Mitternacht – für die meisten Bürgerinnen und Bürger in Deutschland gehören diese Dinge traditionell zum letzten Abend des Jahres. Jeder kennt aber auch die Situation, wenn um Mitternacht die Luft „zum Schneiden“ ist, die Augen brennen und es im Hals kratzt. Wenn wir Feuerwerkskörper abbrennen, steigt die Belastung der Luft mit Schadstoffen explosionsartig an. Zu großen Teilen besteht der Feuerwerksqualm aus Feinstaub (PM – Particulate Matter, PM10 – Staubteilchen mit einem Durchmesser



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Tag der Veröffentlichung: 02.01.2013

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