Das Dorf
Fernsehen
Heute weiß natürlich jeder, dass das Fernsehen und der entsprechende Apparat in jeden modernen Haushalt gehören. Ein Fernsehgerät zu besitzen, wird den Ärmsten auch von Amts wegen zugebilligt. Doch darum soll es hier nicht gehen, denn früher verhielt es sich völlig anders.
Die Geschichte spielte sich in einem kleinen Dorf in Mecklenburg ab. Es liegt fern ab, quasi am Ende der Welt, selbst der klapprige blaue Bus, den sie „Onkel Bräsig“ nannten oder „Mudder Schulten“, endete hier. Er fuhr nur zweimal am Tag in die Stadt ansonsten war Ebbe und man musste zusehen, wie man weg kam, falls das einmal notwendig war. Ein Auto nannten nur drei Leute im Dorf ihr eigen und man kann sagen, sie waren sehr oft für die Menschen im Einsatz. Das war selbstverständlich. Man half sich, wo man kann.
Anfang der Sechziger besaß auch kaum jemand ein Fernsehgerät. Genaugenommen nur zwei Familien, eine davon wohnte, von uns gesehen, schräg gegen-
über.
Es war eine kleine Sensation, der Schwarzweiß-
fernseher flimmerte eine neue Welt ins Wohnzimmer. Man staunte und wollte ihn und die wundersamen Sendungen, besonders an den Sonnabenden, genie-
ßen. So klopfte man an die Tür des stolzen Fernseher-Besitzers und bat, etwas verlegen, um einen bescheidenen Platz im kleinen Wohnzimmer. Das Zimmer war bald gefüllt mit den fernsehhungrigen Nachbarn, die überall, auch auf dem Fußboden saßen, um einer bunten Sendung zuzuschauen. Die Eigentümer des Fernsehers erlaubten es lächelnd und sie waren von großem Stolz erfüllt. Im Hausflur türmten sich indes die Schuhe und Jacken.
Man saß beieinander, rauchte, schwatzte, aß Kekse und der eine oder andere Kööm machte die Runde. Die Kinder starrten wie gebannt auf den Bildschirm und sie durften sich dabei nicht mucksen, ansonsten drohte der Rauswurf bzw. man musste nach Hause gehen. So waren wir brav, um bis zum Ende der Sendung bleiben zu dürfen.
Die Hausfrau öffnete das Fenster, denn Onkel Erwin hatte fürchterliche Blähungen. Es wäre das Kraut, hieß es. Deshalb trank er noch einen ordentlichen Kööm, wegen der besseren Verdauung sagte er mit etwas schwerer Zunge. Einige Leute meinten leise, dass er lieber rausgehen solle an die frische Luft, wenn er wieder einen fahren lassen muss.
Wir Kinder mussten kichern. Der arme Onkel Erwin wollte nicht an die frische Luft, denn er gedachte die bunte Sendung bis zum Schluss zu erleben. Und das verkündete er auch mit lauter Stimme, wobei er es noch einmal krachen ließ. Die Männer lachten, die Frauen, die in der Nähe sitzen mussten, waren empört. Onkel Erwin meinte, dass alles nur mensch-
lich sei und die Flatulenz nahm ihren Lauf. Irmchen scheuerte darauf dem unangenehmen Sofanachbarn eine und erntete Beifall von einigen anderen nicht mehr besonders aufmerksamen Fernsehzuschauern.
Die Hausfrau trug zwei Vasen in die Küche und stellte sich schützend vor das Fernsehgerät, was nicht ganz dumm war, denn Erwin war vom Sofa gefallen und versuchte aufzustehen, dabei war er auf die Katze getreten, die sich quietschend mit einem Satz in die Gardinen in Sicherheit brachte.
Emmi, die Hausfrau schrie ihren Mann an, dass der die Leute endlich rausschmeißen solle, weil der Fernseh-
abend nun beendet wäre. Meine Mutter stand schon im Flur und versuchte Papa zum Gehen zu bewegen aber der hoffte noch den Film zu sehen, meinte aber, dass die Kinder nun unbedingt nach Hause müssten. Das Programm und die Atmosphäre wären nicht gut für Kinder.
Leider wurden wir gezwungen aufzubrechen. Die Atmosphäre fanden wir allerdings sehr spannend und eigentlich viel interessanter als die bunte Sendung im Fernsehen.
Papa kommentierte am nächsten Tag, alles hätte noch friedlich geendet und es wurde noch sehr gemütlich. Nach dem Film befragt, wusste er nicht mehr genau wie er war. Mir kam der Verdacht, dass das Fernsehen später nicht mehr im Mittelpunkt stand. Mutti vertrat die gleiche Meinung.
Tag der Veröffentlichung: 28.12.2012
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