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Das Dorf



Als wir von Berlin nach Mecklenburg zogen, konnte ich immer noch nicht schwimmen und Rad fahren bedauerlicherweise auch nicht. Ich konnte übrigens auch nicht Schlittschuh laufen
Die Dorfkinder bestaunten mich bzw. lächelten über so viel Unvermögen und damit war ich gut bedient. Kinder können nämlich auch ganz anders reagieren. Sie können spotten, dass es weh tut. Komischerweise haben sie das in meinem Fall nicht getan. Heute weiß ich warum. Meine Mutter war ihre Lehrerin und mein Vater war der Hauptbuchhalter, beides hoch geachtet und Respektspersönlichkeiten. Man wagte also nicht, öffentlich über mich zu lachen. Als Kind war mir das nicht klar. Ich dachte alle wären sehr nett und lieb.

Da wir im Winter zuzogen, musste ich als erstes auf den Dorfteichen Schlittschuhlaufen lernen.
Ein paar olle Schlittschuhe, von Neunzehnhundert-
krug, leicht verrostet, fanden sich in unserem Keller-
gerümpel, ein paar hohe Schuhe auch. Somit konnte es losgehen.
Ein kleines Mädchen aus der Nachbarschaft, sie sollte mein beste Freundin werden (ist sie noch bis heute), versprach es mir beizubringen.
Es war leichtes Tauwetter aber die Eisschicht wäre noch dick genug, meinte sie und auf dem Popenteich würde uns keiner bei den Übungen beobachten. Mir fiel ein Stein vom Herzen, denn es war ziemlich peinlich, das Normalste nicht zu können.
Auf dem Teich war eine Einzentimeter hohe Wasser-
fläche zu verzeichnen. Das würde rein gar nicht stören, hieß es und ab ging es, zunächst in gebückter Haltung hinter dem Schlitten. Es ging sehr gut und nichts passierte. Dann kam der Moment, wo meine Freundin mir den Schlitten wegnahm und ich endlich alleine laufen sollte, was weniger gut ging. Kurz, ich fiel dauernd hin und war nass bis auf die Knochen. Das gehöre dazu, sagte sie und lächelte.
„Du heulst wenigstens nicht gleich“, sagte sie und das spornte mich an. Ich wollte es unbedingt lernen, meine Schmerzen verbiss ich mir. Mein ganzer Körper war von blauen Flecken übersät, stellte sich später heraus und ich konnte in der Schule kaum sitzen, dafür aber Schlittschuhlaufen.
Später bin ich auf einem anderen Teich, wo alle Kinder dabei waren, bis zum Bauch eingebrochen und habe mich dabei auch wacker geschlagen, indem ich einem kleinen Eisbrecher ähnlich bis zum Ufer stampfte, ganz ohne zu schreien. Die Bemerkungen der Kinder reichten von Anerkennung und Beifall bis zu einer gewissen kindlichen Fassungslosigkeit, die aber nur von kurzer Dauer ist.
Sorge bereitet mir innerlich nur, wie ich es meinen Eltern beibringen könnte, eingebrochen zu sein. Ich entschloss mich, durch die Waschküche das Haus zu betreten, mich dort auszuziehen und mich leise die Treppe in unser Kinderzimmer hochzuschleichen, in der Hoffnung, sie würden es nicht merken. Die Hoffnung war vergebens, die Predigt nachhaltig, obwohl ich auch ohne diese vom Schlittschuhlaufen ziemlich lange die Nase voll hatte. Außerdem war ja auch einer der Schlittschuhe im Teich für alle Zeiten verblieben. Neue gab es nicht.

Als Nächstes musste ich schleunigst das Radfahren erlernen. Meine Eltern erwarben ein uraltes und viel zu großes, schwarzes Fahrrad, eine olle rostige Scheiß-
klapperchese, wie ich es mehr oder weniger liebevoll nannte. Es war zu groß, um gut fahren zu lernen, so lernte ich eben schwieriger, länger und fiel mehrfach hin. Das Rad überlebte sämtliche Stürze mehr oder weniger gut, ich hatte blutige Knie und war wütend über mich selber, weil ich das Grinsen der Kinder bemerkte und mich das schrecklich ärgerte. Meine Freundin meinte, daraus müsse ich mir nichts machen, die wären eben so, so schadenfroh. Ich würde es schon lernen und außerdem könnte ich ja zurück-
grinsen, dann würden die sich auch ärgern.
Irgendwann konnte ich aber mit dem Rad einiger-
maßen umgehen, auch ohne Probleme abspringen und es an einen Zaun lehnen. Später musste ich damit täglich acht Kilometer über Land zur Schule fahren.

Das dritte Problem musste nun auch noch gelöst werden. Unbedingt! Jeder konnte hier bereits schwimmen, nur ich nicht und die Kleinen halt, die in der ersten und zweiten Klasse. Ich war schon Schülerin der vierten und musste endlich ein Schwimmzeugnis ablegen. Dafür meldete mich meine Mutter in ein Schwimmlager an, welches in den großen Ferien an einem nahe gelegenen See, dem Kastdorfer See, durchgeführt wurde. Im Dorf wurden in der Schule in den Klassenräumen Doppelstockbetten aufgestellt und fertig war die Unterkunft für die Nacht.
Die LPG-Küche versorgte die Kinder und Erzieher bzw. Schwimmlehrer mit gutem Essen. Die Eltern der Kinder mussten nichts bezahlen für den Lehrgang, was mir natürlich damals egal war.

Meine große Schwester war damals schon Rettungs-
schwimmer und agierte mit ihren 15 Jahren als Schwimmlehrergehilfin, d. h. sie führte den Schüler am Seil (an der Angel) nach einigen Trockenübungen. Ich hing also bei ihr voller Vertrauen an der Angel.
„Und jetzt springst Du einmal, am Seil natürlich, alleine ins Tiefe“, sagte sie und ich dachte, man würde dabei keinen Schaden nehmen und nicht unter-
gluckern.
Ich gluckerte natürlich unter, kam aber ruckzuck wieder hoch und schluckte Wasser, weil ich sofort meine Schwester anschrie, sie hätte mich untergehen lassen und hier würde man ja eher sterben als schwimmen zu lernen.
Empört begab ich mich an Land und kehrte allen Schwimmlehrern und Kindern den Rücken, um hier einfach abzuhauen. Ich wanderte zornig in die Unter-
kunft, um meinen Campingbeutel zu packen, wütend und auch heulend, denn schwimmen konnte ich nicht.
Ich bückte mich, um etwas in den Rucksack zu stecken und schlug mit voller Wucht dabei mit der Birne an den grünen Kachelofen neben meinem Bett.
Urplötzlich kam mir ein, dass ich furchtbar blöd war und mich mehr als peinlich verhalten habe, denn ich konnte nicht schwimmen. Alle würden mich auslachen und das mein ganzes Leben lang, vermutlich würden Mutti und Papa meckern und mich ungerührt wieder hinschicken.
Meine Beule am Kopf indes wuchs und wuchs. Ich drückte ein Messer darauf und legte einen kalten Waschlappen darüber. Danach beschloss ich wieder an den See zu gehen und es noch einmal zu wagen, schließlich war ich ja noch am Leben, konnte sogar denken.
Die Kinder waren alle beschäftigt, auch meine Schwester, keiner nahm groß Notiz von mir. Ich gesellte mich hinzu und nach einer Woche erhielt ich mein Freischwimmerzeugnis wie alle anderen auch.

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Tag der Veröffentlichung: 12.06.2012

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