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Moni und der Blick der Anderen



Der Blick der Anderen ist stets vorhanden, denkt Moni. Man kann dagegen nichts unternehmen. Selbst wenn man ihn ignoriert, wird er damit nicht ver-
schwinden. Natürlich gibt es Unterschiede in der Intensität, in der Quantität sowieso aber hin und wieder ruht der Blick eines anderen Menschen, auch eines Tieres dann und wann, auf uns, ob wir das wollen oder nicht.

Begeben wir uns in die Öffentlichkeit, in der Regel passiert das halt, insbesondere hier, wo wir unsere Gedanken ungeniert sehr vielen Menschen vorstellen, dann erwarten wir auch, dass quasi die Blicke der Anderen sich unserem Werk zuwenden. Gespannt warten wir ab, wie diese Blicke sich gestalten. Alles ist möglich, selbst die Enttäuschung, einer Nicht-
wahrnehmung wird uns zuweilen nicht verschonen.
Selbstverständlich suchen wir die Leser, mit in unsere Gedankenwelt zu nehmen. Manchmal lassen sie sich darauf ein. Moni meint, dass dieses schon ein gewisser Erfolg wäre, selbst dann, wenn der Blick eines Ande-
ren ein völlig von unserem Bild abweichender ist, wenn er uns mit seinem Blick zu vernichten trachtet, dann dürfen wir schon ein wenig stolz sein.
Wir haben erreicht, dass der Blick eines Anderen unser Werk gestreift hat. Nichts Anderes war unsere Absicht. Es ist töricht zu glauben, dass die Sichten anderer Menschen mit unseren identisch sein müss-
ten. Wir sind doch befangen, was den eigenen Blick auf uns selbst anbetrifft. Das dürfte dem Dümmsten klar sein.

Moni seufzt, leider ist es nicht so. Die Selbster-
kenntnis ist ein Riesenproblem, ein schier unlösbares. Die Menschen sind tödlich beleidigt, wenn die Blicke der Anderen Anderes verheißen, nämlich Negatives, Gutes darf geäußert werden, das nur nebenbei.

In jedem Disput werben wir um Verständnis für unseren Blick auf die Dinge und vernachlässigen dabei, dass wir damit unser Gegenüber gezielt zu manipulieren trachten, doch dieses ist normal. Überzeugungsarbeit ist legitim und wohnt uns inne. Sie muss auch sein, denn sonst würde vermutlich kein Kind in der Schule etwas lernen wollen, die Liebe zwischen den Menschen wäre kaum ohne Überzeu-
gung aufrecht zu erhalten oder gar nicht erst zu erreichen. Unser Blick muss überzeugen, daran hängt alles.

Moni findet allerdings, dass man es dabei nicht bewenden lassen darf, denn wie schnell wird aus notwendiger Überzeugung eine Vergewaltigung, ein unerträglicher Eingriff in die Freiheit der Anderen? Sehr schnell. Verfolgende Blicke, wahnhaft auf uns gerichtet, nehmen die Luft. Die Begierde, der Hass, ein ungeheuerlicher Sadismus könnte daraus werden, wenn man die fließenden Grenzen von Blicken zu Handlungen überborden lässt. Das ist die Kehrseite, denkt Moni bestürzt und eigentlich müsste hier den Blicken rechtzeitig Einhalt geboten werden. Genau das geschieht nicht genug, obwohl die Menschen es sehr oft in der Hand haben, zu gehen, auszuweichen oder sich zur Wehr zu setzen. Sie tun es einfach nicht, weil die Macht der Blicke der Anderen schon zu groß geworden ist. Sie hat uns vereinnahmt.
Manchmal gefällt uns diese Okkupation, zumindest anfänglich. Wir lassen uns darauf ein, vermeinen durch entsprechende Erwiderung, den Blick des Anderen zu entschärfen oder zu berichtigen.

„Nach Sartre scheitert die Liebe genau an diesen Punkten. Da wir den Anderen sehen, und dieser so gesehen wird, wie er sich nicht sehen möchte, ist die Liebe eine dauernde konfligierende Situation, die sich nur in einer totalen Erkenntnis des Anderen auflösen könnte. Dieses ist aber nicht möglich und somit ist das Scheitern der Liebe gleichzeitig deren immer-
währende Neuinszenierung.“ (nachgelesen in Wikip.)

Die Liebe, die Zuwendung, die liebevolle Bestätigung unserer Blicke ist eigentlich ein nimmermüder Prozess unseres Wollens, es sei denn wir sind der totalen Gleichgültigkeit verfallen, doch wer will sich das schon nachsagen lassen. Moni gewiss nicht.

Impressum

Bildmaterialien: Coverbild von Helga Siebecke
Tag der Veröffentlichung: 24.04.2012

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