Cover


Im Krankenhaus



Es ist nicht schön, wenn man sich in ein Krankenhaus einliefern lassen muss. Aber diesen Anspruch, dass es irgendwie schön sein müsste, hatte ich nie, eher nur die Einsicht in die Notwendigkeit. Damit folgte ich stets vertrauensvoll den Argumentationen der Ärzte, meine Ängste hielten sich in einem erträglichen Rahmen auf.
Früher kostete ein Krankenhausaufenthalt nichts, das heißt der Patient musste nichts extra bezahlen, die Krankenkasse hatte selbstverständlich alles zu tragen.
Ein Krankenhaus musste nicht rentabel arbeiten, nur die Leute gesund machen bzw. alles tun, was dafür möglich war. Wieviel wirklich möglich war, weiß ich nicht. Ich hatte Vertrauen. Eine Unterteilung in Kassen- und Privatpatienten gab es meines Wissens nicht. Man lieferte sich ein und damit aus. Ohnmächtig wie heute aber immerhin voller Vertrauen.

Das kann ich jetzt nicht mehr empfinden. Die Angst vor den Keimen ist groß. In Deutschland sterben jährlich 15 000 Menschen genau deswegen.

Zurück zu meinen damaligen Erlebnissen im Krankenhaus. Es lag natürlich am Rande der Stadt, gut mit dem Stadtbus erreichbar, von einem ansehnlichen Park umgeben, Besuchszeit mittwochs von 15.00 -17.00 Uhr und sonntags von 14.00 -18.00 Uhr. Kinder unter 14 Jahren waren nicht zugelassen. Ich hatte mich für eine Operation auf Station 0815, Trakt ABC bei der Stationsschwester Gertrud um 7.00 Uhr einzufinden. Ein ausreichend gefüllter Kulturbeutel (Waschtasche nebst Inhalt), warme Socken, Hausschuhe, ein Bademantel, Handtücher, Waschlappen und zwei kurze Nachthemden wären mitzubringen, darüber hinaus der SVK-Ausweis, der Impfausweis, Personalausweis und die Überweisungspapiere des behandelnden Arztes. Alles stand idiotensicher auf einer Liste, die mir mein Arzt mit übergeben hatte. Ich würde nichts sagen müssen, alles ginge seinen sozialistischen ... sagte er grinsend.

Sein Grinsen passte mir nicht.  Hält er mich für blöd, fragte ich mich noch, denn ich war ja nicht am Mundwerkzeug krank und im Kopfe auch nicht. Aber ich sagte nichts, denn schließlich hatte er mir vermutlich durch seine folgenschwere Entdeckung das Leben gerettet.
Sicher müssen Ärzte so sein. Dennoch beschloss ich, mich nicht dumpf und stumm in die Krankenhausmaschinerie einzufügen. Allein schon deshalb, um mir das Gefühl einer gewissen Selbstbestimmung zu erhalten. Keiner würde mich hier auch in der dritten Person ansprechen, das schwor ich mir.

Ich bewegte mich also, blass, 32 Jahre alt, Punkt sieben Uhr, suchend im Krankenhausvestibül, als mich ein für mich älterer Mann, vermutlich keine fünfzig Lenze, im blauen Kittel streng ansprach:
„Wo wollen wir denn hin, junge Frau?“
„Wo sie hin wollen weiß ich nicht, aber ich muss da und dahin“, sagte ich forsch, meine Checkliste in der Hand haltend und schaute ihn fragend, freundlich an. Er stutzte kurz, aber er zeigte mir, sehr viel freundlicher geworden, den Weg.

„Hier müssen ’se klingeln“, sagte er noch und es schien, er blickte mich mitleidig an. Über dem Knopf stand die Aufschrift KLINGEL, darunter BITTE KLINGELN. Ich klingelte also, fragte mich aber etwas besorgt, ob hier nur Deppenpatienten erwartet werden.
Es erschien alsbald eine Schwester mit gefaltetem Häubchen (das Zeichen einer Vollschwester), eine Lehrschwester mit Häubchen ohne diese Faltungen, nahm mir meine Tasche aus der Hand und verschwand damit ohne Worte.
„Na, dann kommen sie mal mit mir, ich habe schon auf sie gewartet. Sie haben doch hoffentlich nichts gefrühstückt? Heute gibt es für sie nichts. Morgen um 11.00 Uhr sind sie dran. Die Papiere müssen sie mir bitte jetzt übergeben.“ Sie sprach energisch und streckte mir die Hand entgegen, um den Umschlag in Empfang zu nehmen.

„Guten Tag Schwester Gertrud“, sagte ich freundlich und bestätigte, dass ich nichts gegessen hätte, mein Appetit sich auch in Grenzen hielte und dass mir mein Arzt schon verkündete, dass ich morgen dran wäre. Meine Papiere wären in der Tasche, die nunmehr sicher irgendwo stünde und auf mich wartete, damit ich sie eigenhändig auspackte. Schwester Gertrud zog die Augenbrauen hoch.

Die Lehrschwester erschien. „Sie dürfen dann Suse den Umschlag aushändigen.“ Gertrud ließ sich auf keinen anderen Ton ein und bedeutete Suse, mich in mein Zimmer zu begleiten.
Ich betrat ein großes, helles Zimmer mit vier weißen Betten, nebst weißen Nachtischen, jeweils an den Wänden stehend, in der Mitte des Zimmers befand sich ein Tisch und vier Stühle, in einer Ecke ein Waschbecken und ein großer Schrank. Der Linoleumfußboden war blank gebohnert. Es roch übrigens im ganzen Krankenhaus streng nach Bohnerwachs und Desinfektionsmittel. Nach Sauberkeit und Arzt eben. Das fand ich in Ordnung. Meine Tasche stand auf einem der Betten. Kein weiterer Patient war zu sehen.

Suse sagte immer noch nichts, sie schien irgendwie eingeschüchtert und wartete stumm, also ging ich zu meiner Tasche und entnahm den Umschlag, den ich ihr lächelnd übergab. „Dann gehen sie mal schnell damit zu Schwester Gertrud“, sagte ich und erkundigte mich noch rasch, was nun als nächstes von mir erwartet werde.

Suse ging zum Tisch und reichte mir einen Zettel. „Steht alles drauf“, meinte sie, Schwester Ingelore käme gleich. Dann war ich allein. Das Zimmer war mir viel zu warm, ich öffnete das Fenster, mir war ein wenig übel so ganz ohne Frühstück aber eher war es wohl wegen der kommenden Prozeduren, von der bevorstehenden OP ganz zu schweigen.

Auf dem Zettel stand mit Uhrzeit, wann was passieren würde, über Messen und Wiegen, Einlauf, Blutabnehmen, Beruhigungsspritze, kleines Arztgespräch (Donnerwetter) und Nachtruhe. Die Patientin erhält keine Nahrungsmittel. Radios sind während der Nachtruhe ausgeschaltet zu lassen. Ich hatte gar kein Radio, einen Fernseher natürlich auch nicht, aber ein Buch hatte ich mir vorsichtshalber eingesteckt. Ich kam kaum dazu, einmal hineinzuschauen.

Es ging nun Schlag auf Schlag. Als ich nach einigen längeren Prozeduren und Befragungen zur Krankengeschichte wieder in mein Zimmer durfte, waren alle Betten belegt. Eine Oma, gelblich ausschauend, klein und dünn, lag mit übergroßen Augen in ihrem Bett. Sie schien mit offenen Augen zu schlafen, und erwiderte meinen Gruß nicht.

Ein junges Mädchen, spindeldürr und leichenblass, saß lesend im Bett. Sie hob die Hand und sagte „Hallo, ich bin die Neue. Ich kann bald wieder raus hier, muss nur ein bisschen zunehmen, sagt der Doktor.“ Sie plapperte immer weiter, wartete keine Antwort ab. Die Schwestern wäre in Ordnung, die Ärzte so lala, einer sähe scharf aus, hätte hier aber nichts zu melden, Gertrud wäre ein Drachen, die Ärzte hätten Wind vor ihr ...

Ich grinste und schaute mir die vierte von uns an, nickte ihr zu, denn sie war irgendwie beschäftigt. Die Geräusche, die unter der Bettdecke an meine Ohren drangen waren unverkennbar.
„Die sitzt schon eine halbe Stunde auf dem Schieber“, sagte das junge Mädchen. „Können’se mal das Fenster aufmachen?“
Also gut, das war auch nötig. Die arme Frau auf dem Schieber hatte einen ganz roten Kopf und murmelte eine Entschuldigung. Sie könne nichts dafür, dann klingelte sie. Suse kam gerannt, um zu schiebern, wie man sagte.

Ich legte mich in mein Bett. Kaum lag ich drin, kam ein Arzt, der sich als mein Anästhesist vorstellte. Er hielt kurz die Nase in die Luft und zog sich einen Stuhl an mein Bett. Angenehm einfühlsam erklärte er mir seine Aufgaben und befragte mich nach Herzleiden und Gewicht, Allergien und nach meinem Gemütszustand erkundigte er sich auch. Er fragte, wie es uns denn im Augenblick so ginge und er lächelte dabei.
„Ihnen geht es gerade sicher besser als mir, “ sagte ich, musste aber meinen ganzen Mut dafür zusammen nehmen. Ich würde noch eine LMA-Spritze zur Nacht bekommen, meinte er und klopfte auf die Bettdecke.
„Keine Angst, sie merken gar nichts, dafür sorge ich schon.“ Sprachs und entschwand.

Danach wurde für alle das Abendbrot gereicht, ich musste ohne auskommen. Die Oma schaute immer noch an die Decke und rührte ihre Stullen nicht an. Das dünne Mädchen stand aus ihrem Bett auf, sie ging zu der alten Frau und redete sanft auf sie ein, dass sie doch etwas essen müsse, sie wäre doch kaum noch im Bett zu sehen.
„Oder wollen sie uns etwa wegsterben. Hungerstreik gibt es hier nicht.“
Sie ging an ihren Nachtisch, holte aus einer Bestecktasche ein Messer hervor und schnitt die Rinde von den Stullen, um die arme Oma mit Häppchen zu füttern. Immer schön abwechselnd mit einem Schluck aus der Schnabeltasse.
„Das haben sie gut gemacht, ließ sich die geschieberte Frau vernehmen. Wir müssen uns helfen.“

So verging die Zeit, alles schien geregelt und nach einem bestimmten vorgegebenen Rhythmus abzulaufen. Die Menschen sind eingesogen in den pulsierenden Krankenhauskörper. Auch ich. Zur Nacht wurden noch diverse Pillen und Tropfen ausgeteilt oder Schmerzspritzen verabreicht. Mancher Patient war müde vom anstrengenden Tag und hoffte auf erholsamen Schlaf, andere meinten die Nacht wäre das Schlimmste, auch weil sie um 5.30 Uhr zu Ende wäre. So auch die Frau, die noch nicht aufstehen durfte. Sie würde ständig Durst haben und auch trinken aber danach wäre diese Schieberei zum Verrücktwerden. „Entschuldigen sie, aber ich muss schon wieder“, sie klapperte mit dem Schieberdeckel.

Die Oma stöhnte, sie müsse brechen. Ich stand auf, um ihr die Nierenschale zu halten. Das junge Mädchen klingelte, die Nachtschwester erschien. Sie war eine kleine, fröhliche Frau mit einem viel zu großen Busen. Sie scheuchte mich in mein Bett, lehrte die Nierenschale, streichelte die Oma an der Wange und nahm den großen, flachen Bettnachttopf an sich. Jetzt wird aber geschlafen sagte sie und zog die Tür hinter sich zu.

Das Mädchen wusste, dass man der Nachtschwester die Brust verkleinert hatte aber ihre Dinger immer noch elefantös wären.
Ich war ein wenig eingenickt, die Beruhigungsspritze wirkte wohl.
In der Nacht hörte ich ein Geräusch. Es war dunkel im Zimmer. Die Tür stand weit offen, zwei Schwestern schoben das Bett mit der Oma auf den Flur. Dann herrschte wieder Ruhe bis um 5.30 Uhr das große Licht angerissen wurde und die Nachtschwester mir ein kaltes Fieberthermometer unter den Arm schob.

Die Oma war samt Bett weg.
Ich war etwas benommen und hatte eine Nacht wirrer Träume hinter mir. Die Nachtschwester war schon wieder da und zählte meinen Puls am Handgelenk, in der Hand hatte sie eine Minieieruhr. Sie ging von Patient zu Patient und trug die Werte auf ein Krankenblatt ein.
Die Frau saß bereits auf dem Schieber, das junge Mädchen hatte sich die Decke über den Kopf gezogen. Sie war von der Toilette gekommen und hatte sich wortlos hingelegt. Auf einmal hörte ich ein Weinen.

„Was ist?“, fragte die Frau auf dem Schieber. Das Mädchen tauchte aus ihren Kissen auf und sagte schluchzend, sie sei nun gestorben. „Sie ist einfach gestorben,“ schrie sie.
Die alte Frau war in der Nacht still von uns gegangen. Die Nachtschwester bemerkte es bei einem Rundgang. Wir hatten es alle nicht mitbekommen bis auf das Herausfahren des Bettes. Nun hatte ich einen dicken Kloß im Hals.
Um 11.00 Uhr war ich dran.
Die Putzfrau klapperte mit ihrem Eimer, stellte die Hausschuhe hoch, sie wischte täglich feucht durch, später kam die Lehrschwester mit dem feuchten Staubtuch und einem Eimerchen. Es roch nach Desinfektionslösung, die Patienten hatten sich zwischen den Saubermachaktivitäten am Waschbecken für den Tag herzurichten.
Um 11.00Uhr war ich dran.
Vorher gab es Frühstück, für mich nicht, danach Visite. Ich musste auf eine fahrbare Trage steigen.
Um 11.00 Uhr war ich dran.
Vorher noch in einen Raum. Die Schwester gab mir ein lächerliches Hemdchen, hinten offen, ein OP-Hemd. Der nette Narkosearzt verpasste mir eine grässliche Spritze ins Rückenmark. Sie tut ein bisschen weh, sagte er, aber es müsse sein. Anschließend wurde ich in einen anderen Raum gefahren. Aha! Einige Vermummte standen um mich herum. Ich bekam noch eine Spritze und sah dabei auf die große Uhr an der Wand.
Es war 11.00Uhr.
Dunkelheit.

Februar 1982


Nachtrag



2011
Keimschleuder Krankenhaus

"Gegenüber der WELT äußerte EU-Gesundheitskommissar John Dalli seine Sorge hinsichtlich der hygienischen Verhältnisse nicht nur in deutschen, sondern in allen europäischen Krankenhäusern. Die Zahl der Patienten, die sich während ihres stationären Aufenthalts mit Krankenhauskeimen infizieren, liegt bei über vier Millionen. Pro Jahr hat die EU 37.000 Todesfälle zu beklagen, die auf Infektionen im Krankenhaus zurückzuführen sind. Diese Zahlen sind nicht nur bedenklich, sondern höchst beängstigend, wie Dalli betonte. Auch wenn die finanzielle Lage der Krankenhäuser nicht gerade rosig sei, dürfe nicht am falschen Ende gespart werden. Strengere Hygienevorschriften für alle Krankenhäuser seien unbedingt notwendig.


Durch eine Optimierung des Krankenhausmanagements sowie regelmäßige Personalschulungen könnte dazu beigetragen werden, künftig Behandlungsfehler zu vermeiden. Vor allem die Sicherheitsstandards im Sektor Hygiene müssten drastisch erhöht und von allen Krankenhäusern eingehalten werden. Des Weiteren sollen medizinische Fehler bei der Behandlung künftig erfasst werden. Zur Sicherung der Patientenrechte sollen Klageverfahren künftig erleichtert werden, damit Betroffene die ihnen zustehende Entschädigung früher erhalten. Dalli monierte, dass es bislang in Deutschland kein Patientenrechtegesetz gäbe, außerdem fehle es an einem Melderegister, in dem Behandlungsfehler festgehalten werden."

 

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 24.02.2012

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /