Wahre Freundschaft
Wahre Freundschaft soll nicht wanken
wenn sie gleich entfernet ist,
lebet fort noch in Gedanken
und der Treue nicht vergißt.
Keine Ader soll mir schlagen
wo ich nicht an dich gedacht
für dich werd ich Liebe tragen
bis in tiefe Todesnacht
Wenn der Mühlstein traget Reben
und daraus fließt süßer Wein
wenn der Tod mir nimmt das Leben
hör ich auf dein Freund zu sein
Jetzo schlägt die Trennungsstunde
reißt gewaltsam mich von dir
es schlägt zu früh die Scheidestunde
ach, ich fand mein Glück in dir
So nimm denn hin vom blassen Munde
den Abschiedskuß, der weinend spricht
und denk an diese Trennungsstunde
0 einz'ger Freund, vergiß mein nicht
Im Stillen werd ich Tränen weinen
und träumend dir zur Seite stehn
und seh ich Gottes Sonne scheinen
werd ich für dich um Segen flehn
Vermutlich aus dem 18. Jahrhundert - zuerst in Brandenburg, Franken, Hessen und Schlesien verbreitet, heute im ganzen deutschen Sprachraum populär -
Moni und die Freundschaft
Sie denkt sogleich an das alte Lied und summt es leise vor sich hin:
„Wahre Freundschaft sohol nicht wahanken, wenn sie gleiheich entfernehet ist …
Wahre Freundschaft? Was heißt das heutzutage eigentlich, denn das herzige Lied stammt ja aus dem 18. Jahrhundert?
Freundschaft bezeichnet eine positive Beziehung und Empfindung zwischen Menschen, die sich als Sympathie und Vertrauen zwischen ihnen zeigt. Das hört sich gut an, denkt Moni, vermutet aber dass es mit der Freundschaft ganz so einfach nicht mehr sein kann, denn man hört und weiß, dass man heute viele Freunde haben kann, ohne sie zu kennen, geschweige denn ihnen nur ein Zipfelchen Vertrauen schenken zu wollen.
Im Internet geschlossene Freundschaften, was sind sie wert und sind es wirkliche Freundschaften? Mit einem Mausklick werden sie geschlossen und genauso unproblematisch wieder aufgehoben. Von Freundschaft also keine Spur. Es waren flüchtige virtuelle Begegnungen, die keine Spuren hinterlassen.
Es gibt Interessengemeinschaften, die sich über verschiedene Problemkreise austauschen, mehr oder weniger intensiv. Manchmal entwickeln sich Sympathien aber ist das schon Freundschaft? Moni ist sich nicht sicher, neigt aber nach einiger Überlegung dazu, dass die wahren Freunde eher im wahren Leben zu suchen sind, doch ob man hier fündig wird, ist auch fraglich.
Als Moni elf Jahre alt war, begegnete ihr ein Mädchen, welches einfach ohne große Umschweife fragte, ob sie ihre Freundin sein möchte. Moni sagte „Warum nicht.“ Und so wurden sie Freundinnen. Einfach so. Heute jährt sich dieser Tag zum 50. Mal. Sie sind immer noch Freundinnen, obwohl sie leider inzwischen 800 km weit entfernt leben. Die Frage, wie kann das sein, was ist es, was diese Freundschaft solange lebendig hält?
Es war keine Zweckfreundschaft.
Bundespräsidenten schließen manchmal Freundschaften dieser Art. Man erhält einen begehrten Vorteil und bedankt sich mit entsprechenden Gaben. Es gibt auch Freundschaften geschäftlicher Natur. Ein Geben und Nehmen findet statt. Mancher spricht hier sehr böswillig auch von Korruption, dabei sind sie doch nur nett zueinander, wie es gute Freunde halt auch immer sind. In der Politik gibt es auch sehr viel Freundschaft, denn alle wollen stets das Beste, manchmal eben auch für sich selber. Nur wer sich selber liebt, kann Liebe und Freundschaft geben.
Woher mag das mit dieser hoch angebundenen Freundschaft bloß kommen, fragt sich Moni und schaut kurz nach:
„Für Aristoteles ist die Freundschaft wichtiger Bestandteil einer funktionierenden (Polis-)Gesellschaft. Noch höher als die Gerechtigkeit soll der Staat die Freundschaft schätzen. In der griechischen Polis gab es keine öffentlichen Dienste wie Polizei und Feuerwehr, so war jeder auf das Wohlwollen des anderen angewiesen. Wer in Ämter gewählt werden wollte, musste sich das Wohlwollen der Menschen sichern.“
Noch höher als die Gerechtigkeit soll der Staat die Freundschaft schätzen, heißt es. Jetzt versteht Moni auch, warum der Herr Staatsoberhaupt, der wegen der vielen Freundschaftsdienste weinend zurücktrat, auch seinen Ehrensold in Höhe von 199 000 Euro lebenslang bekommen soll. Wegen der Freundschaften! Das ist ehrehhaft.
Das Wohlwollen der Menschen, also der Wahlbürger, spielt allerdings dabei kaum eine Rolle. Man braucht nur politische Freunde und das Ordensgesetz von 1957. Die Bundesregierung übernahm 1957 nur die Ehrensoldverpflichtungen aus dem Ersten Weltkrieg.
Unser ganz freiwillig zurückgetretener Bundespräsident wird nicht Hungers sterben. Er hat gute Freunde. Freunde helfen sich.
Die Freundschaft unter Gleichen gilt auch für gleichgestellte Bürger. Man ist einander ebenbürtig und sucht sich zu befreunden. Die Frage ist warum?
Aristoteles unterteilt diese Freundschaft in Nutzen-, Lust- und Tugendfreundschaft. Die Nutzenfreundschaft bringt die Menschen zu einem Zweck zusammen. Fällt dieser Zweck weg, ist die Freundschaft gefährdet. Ähnliches gilt für die Lustfreundschaft, die rein affektiv begründet ist. Diese beiden Arten sind labil.
Stabil dagegen ist die Tugend- oder Charakterfreundschaft. Sie ist die Freundschaft um des Freundes willen. Hier denkt Moni an ihre Freundin. Sind sich zwei Personen in ihrer Tugendhaftigkeit ähnlich, so ist das die Voraussetzung für die vollkommene Freundschaft. Wie für jegliche Tugend gilt auch für die Freundschaft bei Aristoteles, dass sie durch wiederholtes Handeln zur Gewohnheit werden muss. Man übt die Freundschaft nur im alltäglichen Umgang. Die Teilhabe am Leben des Freundes und damit die räumliche Nähe sind nach Aristoteles für eine Freundschaft unerlässlich.
Doch hier muss Moni dem großen Philosophen widersprechen. Die räumliche Nähe ist heute wegen der Teilhabe am Leben des Freundes nicht mehr unabdingbar.
Die Freundschaft unter Ungleichen bei Aristoteles würde man heute vermutlich eher als Ehrerbietung bezeichnen. Sie beschreibt nicht nur das Verhältnis zwischen den Generationen, sondern auch das Verhältnis des Menschen zum Staat. So muss nach Aristoteles die Asymmetrie der Hierarchie durch einen Mehraufwand von „philia“ seitens des Unterlegenen ausgeglichen werden. Der Sohn muss dem Vater mehr Respekt entgegenbringen als umgekehrt, so wie der Bürger mehr in den Staat investiert, als er unmittelbar zurückbekommt.
So ist es wohl heute immer noch. Moni möchte aber hier unbedingt das Wörtchen „Freundschaft“ nicht verwendet wissen, selbst die erwähnte Ehrerbietung fehlt inzwischen.
Jeder mag nun darüber nachdenken, was es mit seinen Freundschaften auf sich hat und wie es um sie bestellt sein würde, wenn vielleicht der Zweck wegfällt.
Das große Wort ist viel missbraucht worden …und jetzt muss Moni zurückdenken … „Freundschaft“, ein Gruß der FDJ, Völkerfreundschaft, Feundschaftsessen, Freundschaftsdienste, Freundschaftsringe, Freundschaftsküsse …
So nimm denn hin vom blassen Munde
den Abschiedskuß, der weinend spricht …
…Moni wird es nun ein bisschen schlecht. … Bussi, bussi Freunde. Nehmt’s nicht übel!
Tag der Veröffentlichung: 18.02.2012
Alle Rechte vorbehalten