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Ausflug in die Vergangenheit



Das Ende der ersten Ehe



Fast sieben Jahre einer Ehe waren vergangen. Sie waren nicht glücklich; so hatte ich mir das Zusammensein mit einem Mann nicht vorgestellt. Hatte ich wirklich alles versucht, warum war mir mein Leben so entglitten? Was ist falsch gelaufen, was hätte ich anders machen müssen? Ich habe mir später so oft diese Fragen gestellt, mich nächtelang zermartert, mich mit Albträumen geplagt, obwohl klar ist, dass die Vergangenheit deshalb nicht beeinflussbar wird. Sie ist geschehen, ein Jammern hinterher ist so sinnlos und überflüssig wie nichts anderes es nur sein kann; und doch, möglicherweise kann ich wenigstens daraus lernen, wenn ich mir nur einer Schuld, meiner Fehler bewusst werden würde.

Die Verdrängung alleine bringt auf Dauer nicht die erstrebenswerte Befreiung und es besteht die Gefahr, wieder in ein ähnliches Messer zu laufen. Natürlich gibt es Messer ganz erheblich unterschiedlicher Art. Das Leben hält sie in bunter Vielfalt stets für uns bereit. Ich wollte nun darauf achten, dass ich wenigstens eine Gabel zu handhaben weiß, mit der ich dem Messer ein Stück Fleisch vorlege; allerdings nicht das meine.
Der Mann hat mich betrogen, nicht nur einmal, nein immer, wie sich herausstellte von Anfang an, auch als ich in der Klinik lag, um sein Kind zu bekommen, ganz besonders als ich schwanger und für ihn unansehnlich war, er war ein notorischer Fremdgänger.
Nicht beziehungsfähig, würde man heute sagen, nicht in der Lage einen Menschen wirklich zu lieben, oder ihn zumindest zu achten, zu akzeptieren, er konnte offen-
sichtlich eine Frau als Mensch nicht einmal wahrnehmen, sie waren für ihn immer nur Triebobjekte. Ich hätte das merken müssen schon im Ansatz. Wie unverständlich erscheint diese beispiellose Blindheit, meine Unsensi-
bilität, eine Gefahr zu erkennen und ihr gebührend zu begegnen, und zwar wenn es noch Zeit ist für Gegen-
maßnahmen.

Die Persönlichkeitsstruktur meines Mannes schien von einer extrem perversen Egozentrik stark gestört zu sein, die eigentlich psychotherapeutisch zu behandeln wäre, nur dass der Betroffene dieses nicht erkannte und die Partnerin, die leider nun mal ich war, hat in ihrer Ahnungslosigkeit, die Gefahr nicht in ihrem Ausmaße gesehen und war nicht im Stande, rechtzeitig das Weite zu suchen. Ich habe mich in eine Opferrolle begeben, die aus heutiger Sicht absolut nicht nötig gewesen wäre. Allerdings gab es einige Umstände, die ein Handeln zunächst erschwerten, ja für mich unmöglich werden ließ. Ich hatte keine vertraute Person, kein Geld, kein Auto, keinen Mut aber einen Riesendickkopf und eine unverbesserliche, geradezu blödsinnige Illusion, dass erwachsene Menschen sich ändern könnten. Dazu kommt mein außerordentlich kräftig ausgebildetes Pflichtbewusstsein, welches einen ungeheuren Raubbau an der eigenen Persönlichkeit vorzuschreiben vermag.

Man fasst sich heute an den Kopf und sagt, Kürbis gedeihe! Ein frommer Wusch, wie es scheint. Das sollte sich viel später noch oft bis ins Groteske beweisen, diese idiotische Gutgläubigkeit, von anderen Menschen stets als Dämlichkeit bewertet und oft entsprechend ausgenutzt.

Zurück zum Aufbruch aus meiner ehelichen Behausung.
Die verbleibende Nacht verbrachte ich mit meiner Tochter in der Wohnung meiner Schwiegermutter. Notgedrungen. Ich fühlte mich dort mehr als unbehag-
lich und beschloss, dass sich mein Aufenthalt dort besser nur auf diese Nacht beschränken sollte. Mein Mann würde alsbald dort aufkreuzen und es gäbe ein weiteres lautstarkes Drama, meine Schwiegereltern würden sich letztlich gegen mich wenden, denn wer stellt sich schon gegen seine eigene Brut? Niemand, Eltern verteidigen in der Regel nur die eigenen Kinder, dabei geht es meistens nicht um Recht oder Unrecht, es geht um die eigene Sippe, der oder die Dazugekommene hat nichts zu melden. Das sagte mir mein Menschenverstand und irgendwie bewahrheitete es sich.

Es mag Ausnahmen geben, aber diese Familie war jetzt schon nicht mehr die meine, das war mein Empfinden und entsprechend verhielt ich mich nun.
Ich ging also am nächsten Tag zur Arbeit und versuchte so gut es ging meinen Abgang zu organisieren, wenn ich das jetzt mal so ausdrücken darf. Zum Glück hatte ich eine unheimlich nette und hilfsbereite Arbeits-
kollegin, der ich mich in Auszügen anvertraute, nicht im Detail aber immerhin sagte ich genug, um sie sofort zu veranlassen, mir gewissermaßen vorübergehend Asyl in ihrem Gartenhäuschen zu gewähren. Meine kleine Tochter war zu diesem Zeitpunkt krank und ich war zu ihrer Pflege vom Arzt von der Arbeit freigestellt, konnte somit mit ihr in die Laube in einer Kleingartenkolonie am Rande der Stadt einziehen. Meiner Schwiegermutter sagte ich vorsorglich nichts über meinen Aufenthalt. Sie würde mich mit Sicherheit verraten, schon weil ich ihr, wie sie sagte, das Enkelkind entriss.

Vorher schlich ich noch einmal wie ein Schwerverbrecher, der an den Tatort zurückkehrt, um Spuren zu verwischen, in meine Wohnung, um notwendige Papiere und noch ein paar unentbehrliche Kleidungs-
stücke zu holen. Ich war sehr ängstlich, denn wenn er da gewesen wäre, was hätte alles passieren können. Ich war früher, wenn es nicht nach seinem Wunsche verlief, häufig tätlich angegriffen worden und wusste deshalb nicht, wie er sich verhalten würde, wenn ich Sachen zusammen suche, um zu verschwinden. So nahm ich meinen ganzen Mut und ging in die Wohnung aber er war zum Glück nicht zu Hause. So schnell es ging packte ich eine weitere Reisetasche, setzte meinen Ehering ab und verließ rasch diesen für mich so unglücksvollen Ort.

Die Nacht verbrachte ich damit, eine Scheidungsklage zu formulieren.
Am nächsten Tag wollte ich dieselbe beim Gericht einreichen. Doch so einfach war es nicht, man musste gleichzeitig eine Summe von 400,-M hinterlegen und die hatte ich nicht. Unser Konto war so gut wie leer und Gehaltszahlung war noch nicht fällig. Ich überlegte, was in dem Fall für Möglichkeiten blieben, viele nicht. Die Eltern schieden aus, sie waren weit und ich wollte sie zu dem Zeitpunkt auf keinen Fall um etwas bitten, nicht ehe ich alles andere versucht hatte. So ging ich einen schweren Weg.

Ich hatte vor, meinen Chef um einen Vorschuss zu bitten. Gehaltsempfänger erhalten keinen Vorschuss und ohne ernsthafte Begründung erst recht nicht, außerdem war ich politisch unzuverlässig, hatte ich doch einen Ausreiseantrag gestellt. Auch wenn dieser abgelehnt wurde, war und blieb ich ein unliebsamer Bürger, der ein Entgegenkommen kaum erwarten durfte. Mir war das klar, aber ich brauchte unbedingt Kohle, so unternahm ich einen Versuch. Mein Chef wollte keine Erklärungen, er hatte auch keine Zeit und er wäre dafür angeblich auch nicht zuständig, ich sollte mich an die Buchhaltung wenden.

Damit war ich also wieder auf der Straße und begab mich immer noch hoffnungsvoll zur allgewaltigen Buchhaltung, die in einem anderen Gebäude ihre Büros hatte. Man fertigte mich an einem Schalter ab, hörte mich nicht an und schickte mich in die Kaderabteilung. Natürlich war mein Fall bestens bekannt und niemand traute sich eine öffentliche, aktenkundige Sympathie-
bekundung zu wagen. Das war keine persönliche Feindschaft, es war nur die Furcht vor etwaigen Repres-
salien, man wollte in Ruhe leben und arbeiten.

Ich war eine Fremde, keine Vertraute und gewisser-
maßen ein wenig im politischen Rampenlicht, ich war für einige, die etwas zu sagen hatten, unangenehm aufgefallen, hatte Unruhe ins Getriebe gebracht. Man musste also vorsichtig sein und vor allen Dingen korrekt. Am besten darüber entscheidet ein anderer, so dachte man wohl. Eigentlich lächerlich das Ganze, denn ein Vorschuss ist nichts Unkorrektes, ich hatte ja dafür bereits gearbeitet, denn die Gehälter wurden nach erfolgter Leistung gezahlt, nur das Geld für den vorangegangenen Monat war noch nicht überwiesen.

Nun, ich hatte Glück und wurde von der Kaderleitung, einer eigentlich recht netten, sich sehr freundlich gebenden Frau empfangen. Sehr wissbegierig hörte sie sich meine Begründungen an und legte mir ans Herz als aller Wichtigstes meinen Ausreiseantrag zurückzuziehen, auch wenn eine Ablehnung ausgesprochen wäre, müsste ich unbedingt schriftlich davon Abstand nehmen, in die Bundesrepublik auswandern zu wollen. Die Scheidung könne ich später immer noch einreichen, würde also das Geld so dringend nicht benötigen und könne demzu-
folge auch die Gehaltszahlung abwarten. Weitere weise Ratschläge wollte ich mir ersparen, hatte ich doch erkannt, dass mir niemand helfen würde.

Reichlich niedergeschlagen ging ich in mein Büro zurück, wo meine Arbeitskollegin liebenswürdigerweise meine kleine Tochter beaufsichtigte. Zum Glück war ihr das möglich und mein Chef hatte nichts dagegen. Ich schilderte meinen Misserfolg und meine Verzweiflung war sicher nicht zu verbergen, denn die Frau versprach mir zu helfen, wenn ich gestatten würde, ihren Mann in nähere Details einzuweihen. Mir war bewusst, dass ich erstens nur kurze Zeit unbemerkt in dem Garten-
häuschen wohnen könnte und zweitens auf Hilfe dringend angewiesen war, also war ich bereit mehr zu offenbaren, auch dem Ehemann meiner Arbeitskollegin, den ich nur flüchtig kannte.

Am Abend verabredeten wir uns zu einem längeren Gespräch in der Gartenlaube. Beide waren in keiner Partei organisiert und hatten nicht unbedingt bedeutsame Posten, die eventuell durch eine Hilfe für mich in Gefahr gewesen wären. Auch wohnte das Paar bereits in einer guten Wohnung, stand also auf keiner diesbezüglichen Warteliste. Manchmal wurde man nämlich wieder an die letzte Stelle gesetzt, wenn es denn unerwünschte Vorkommnisse gab. Ein Mittel dagegen aufzubegehren, gab es nicht. Viele Familien waren deshalb in einer Abhängigkeit, die ein nicht zu unterschätzendes Hemmnis für gewisse Hilfeleistungen an Problembürger darstellte.

Ich war eine durchaus im Betrieb bekannte Problembürgerin, die man zwar wegen ihres Mutes zu bewundern schien, aber nur ganz heimlich unter vier Augen wünschte mir damals so mancher viel Glück und alles Gute. Man war mir freundlich gesonnen aber wirklich zu helfen wagte sich keiner, umso mehr war und bin ich heute noch dankbar für das Verhalten dieses Ehepaares.

Dennoch wollte ich mir genau überlegen, was ich preisgeben und was ich lieber für mich behalten würde. Mir war so ziemlich alles sehr peinlich und unangenehm zugleich nun eingestehen zu müssen, eklatante Fehler begangen zu haben. Die perversen Neigungen meines Mannes offenzulegen, nein und nein, ein Ding der Unmöglichkeit, ich schämte mich zu sehr. Über Sexuelles zu sprechen, die Dinge beim Namen zu nennen, darin war ich wenig geübt. Es gibt anerzogene Hemm-
schwellen, Verklemmtheiten, die fast nie gänzlich überwunden werden können, leider.

Es würde sehr viel Verständnis und Entgegenkommen brauchen, um mich wieder für die körperliche Liebe zu gewinnen aber darüber dachte ich zu diesem Zeitpunkt bestimmt nicht nach. Ich wollte nur alleine mit meiner Tochter ein ruhiges, geordnetes Leben führen, einer Arbeit nachgehen, mir ein eigenständiges zu Hause schaffen, keiner sollte mich bedrängen, mir weh tun, mich demütigen, mir seinen Willen aufzwingen. Ich wollte nur der Verantwortung für die Kleine und mich gerecht werden müssen. Niemandem sonst wollte ich Rechenschaft abgeben über meine Entscheidungen.

Über den unheilvollen Hang zur Gewalt meines Mannes wäre unbedingt zu sprechen, meine Furcht in meine Wohnung zurückzukehren wäre sonst nicht nachvollziehbar. Über den Stand der Ausreisegeschichte werde ich Auskunft geben, auch dass ich den Antrag zurückziehen werde, denn ich würde ohne diesen Schritt, vermutlich keine eigenständige Wohnung in absehbarer Zeit bekommen und wohnen musste ich irgendwo, auch arbeiten. Ich hoffte, dass diese Inhalte genügen würden um davonzukommen.
Meine Seele, mein Gemüt blieb außerhalb meiner Betrachtungen. Ich hatte keine Muße, mich damit zu befassen, wahrscheinlich fehlte auch die erforderliche Reife. Ich tat das nahe Liegende, ich versuchte meine Haut zu retten und das, was mir blieb, mein Kind. Es konnte nichts dafür. Sie sollte nie darunter leiden müssen, was ihre Mutter nicht rechtzeitig genug verhindert hatte. Heute denke ich, das Schlimmste ist mir erspart geblieben, denn ich habe sozusagen die Kurve noch gekriegt.

Am frühen Abend, gleich nach Beendigung der Arbeit erschien das hilfsbereite, besorgte Ehepaar, um mit mir zu sprechen und mir wirklich auch weiterhin uneigen-
nützig ihre Unterstützung zu gewähren. Mein Mann hatte am Arbeitsplatz angerufen, um herauszufinden, wo ich war. Dass ich wegen der Krankheit meiner Tochter nicht am Arbeitsplatz war und die Kleine deswegen auch nicht im Kindergarten, das wusste er. Meine Arbeits-
kollegin stellte sich unwissend aber sie wurde dann bedroht, ich hätte sein Kind entführt, hätte böswillig die gemeinsame Wohnung verlassen und sie solle doch unbedingt sagen, wo ich mich aufhielte, er würde die Polizei einschalten, wenn sie nicht im Guten die Wahrheit sagen würde. Und so setzte sich das Gespräch fort bis er meinte, er würde mich schon zu finden wissen und dann könne er für nichts mehr garantieren.

Ich brauchte auf Grund dieses Auftrittes keine weiteren Erklärungen abzugeben. Es war nun Eile geboten, das war unsere übereinstimmende Meinung. Deshalb erhielt ich sofort 500,- M als Leihgabe für die Scheidung und eine Zugfahrkarte nach Hause zu meinen Eltern; sie wohnten in einem Häuschen auf dem Lande 700 km weiter nördlich, dort wäre ich sicher. Den gleichen Abend brachten mich meine Freunde zum Bahnhof, bald darauf saß ich mit meiner kleinen Tochter im Zug in Richtung Norddeutschland, wir fuhren fast die ganze Nacht und meine Eltern wussten von Nichts.

Mein Eigensinn war gebrochen, mein Leben schien total zerstört, ich habe versagt, ich kroch zu Kreuze und ich fühlte mich mehr als erbärmlich aber auch gleichermaßen erleichtert, denn ich bin noch entwischt. Die Frage nach der Zukunft wollte ich mir in dem Moment noch nicht stellen. Es gab noch zu viele ungelöste Probleme und ich war total übernächtigt, ich hatte in der letzten Zeit kaum ein Auge schließen können, war kaum eines klaren Gedanken fähig. Ich wollte nur weit genug weg, um in Ruhe nachdenken zu können und der Zug brachte mich mit jeder Minute weiter diesem Ziel entgegen.

Meine Tochter, drei Jahre alt, war lieb, quengelte nicht aber erbrach sich mehrmals, sie spürte wohl so Einiges. Wir fahren zu Opa und Oma in den Urlaub, sagte ich ihr.
Sie sollte ihren Vater nie wieder sehen und das war gut so. Mögen alle Väter mich verdammen aber ich fand und finde das genau richtig, was ich damals entschieden hatte, nämlich zu flüchten. Ich hätte es um Jahre eher tun sollen.

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Tag der Veröffentlichung: 13.02.2012

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