Die Badekultur
Moni hat zu heiß gebadet
Vermutlich ist das sowieso schon hinlänglich bekannt, sinniert sie etwas verdruckst vor sich hin, doch es ist wirklich einmal passiert. Sie ist nämlich ein Frostköttel und wenn das Wetter keine Freude mehr entstehen lässt, wie gerade im Augenblick, dann geht sie in die Wanne, um sich mit wohliger Wärme zu umgeben. Das klingt gut und vernünftig. Wunderbare Düfte ziehen alsbald durch das Haus. Moni lässt zudem noch leise Musik erklingen, also nicht sie, sondern das Radio, sie lässt noch heißes Wasser hinzu strömen und das Unheil nimmt seinen Lauf.
Jeder ahnt bereits, was kommen muss. Moni nickt ein wenig ein und wacht allerdings und zum großen Glück wieder auf als sie ein platschendes Geräusch vernimmt und ihr, gelinde gesagt, mehr als heiß geworden ist. Sie springt so schnell es geht aus der Wanne und dreht blitzschnell den Hahn zu. Die Wanne war übergelaufen und Moni sieht sich nunmehr in einem Dampfbad, ihr Körper ist krebsrot, was sie nicht sofort bemerkt, wohl aber den Umstand, dass sie zu heiß gebadet hat. Sie reißt Tür und Fenster auf und schaufelt das übergelaufene Wasser mit der Kehrschaufel wieder in die Wanne und zieht den Stöpsel raus. Kurz, einige Geistesfähigkeiten waren offensichtlich noch erhalten, doch besonders wohl ist ihr nicht.
Sie weiß welche Anspielung sich hinter dem zu heißen Bade auch verbirgt: dass nämlich damit das Gehirn eingelaufen sei und an Kapazität verloren hätte. Die gute Moni sieht sich im Spiegel und bekommt einen Mordsschreck. Jetzt muss sie ihr Nickerchen ausbaden.
Etwas ausbaden zu müssen war schon immer weit davon entfernt, Gutes zu bedeuten... In öffentlichen Badestuben war es ganz früher üblich, dass mehrere Personen nacheinander dasselbe Wasser zum Baden verwendeten. Der letzte in der Reihe hatte nicht nur Wasser von fragwürdiger Qualität und Temperatur, sondern musste auch noch das schmutzige Wasser ausgießen und den Zuber bzw. die Wanne reinigen. Das wäre in Monis Fall nicht das Schlimmste. Sie hatte ihr Badewasser für sich und die Reinigungsprozedur war in diesem Fall schon gelaufen.
Sie salbt also zunächst ihren geschundenen Leib, föhnt sich das Haar und macht sich Sorgen über das etwaige Einlaufen ihrer Gehirnkapazität. Was würde das bedeuten und woran kann man das, wenn es denn so wäre, erkennen? Würde ihr das kritische Sehen, das Schlussfolgern oder gar das kleine Einmaleins verlustig werden oder würde sie buchstäblich den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sehen können?
Am Ende würde sie sich für das Dschungelcamp bewerben. Sie hatte den Eindruck, dass sich dort alle zu heiß Gebadeten versammelt hätten. Nach einer Viertelstunde reinschauen in diese Sendung, war dieses zumindest ihre Schlussfolgerung.
Moni schaut sich um und hört ein wenig zu, was in unseren politischen Kreisen derzeit thematisiert wird und ist erstaunt. Der Verfassungsschutz beobachtet gewählte Parlamentarier, um extremen Handlungen begegnen zu können. Andere unheilvollen Strömungen dürfen zehn Jahre lang ungehindert morden und ernten damit noch das Unwort des Jahres „Dönermorde“. Der Präsident nassauert sich mit dubiosen Freunden durchs Leben und ein Kapitän lässt sich als erster ins Rettungsboot plumpsen, wenn es gefährlich wird. Scheiß auf die Menschen, jeder ist sich selbst der Nächste. Von wegen Frauen und Kinder zuerst.
Apropos Kind: Das Kind mit dem Bade ausschütten bedeutet, dass man in blindem Eifer (mindestens) genauso viel Schaden anrichtet wie man Nutzen bringt. Wer sich diese schon seit dem frühen 16. Jahrhundert bezeugte Redensart wörtlich bzw. bildlich vorstellt, liegt richtig. Wer nach dem Baden eines Kleinkindes nicht nur das Wasser aus dem Bottich gießt, sondern das Kind gleich mit, hat zwar ein sauberes, aber vermutlich auch verletztes Kind.
Dann doch lieber dreckig und gesund?
Reich und gesund. So wird ein Schuh daraus, denkt Moni und sieht immer wieder wie Menschen mit ihren Schuhen werfen, nun auch schon bei uns! Sie überlegt gerade, ob nicht lieber doch faule Eier (bei den Schuhpreisen) sinnvoller wären, als ihr einfällt, dass besonders gern Politiker ein Bad in der Menge nehmen, die ihre angebliche Volkstümlichkeit unter Beweis stellen und so ihre Beliebtheit steigern wollen - die nächsten Wahlen kommen bestimmt. Ob sie vielleicht auch ein wenig zu heiß gebadet haben …, sinniert Moni.
Ist denn gar nichts mehr von einer guten, sinnvollen Badekultur in unserer Welt übrig geblieben, fragt sich Moni bekümmert. Sie liest nach, was das einst bedeutete:
„Die alten Griechen und erst recht die Römer hatten ein besonderes Verhältnis zum Baden. Anfangs standen neben der Hygiene die Körperertüchtigung und Abhärtung im Vordergrund und warmes Wasser galt dementsprechend als verweichlichend (außer bei Alten und Kranken). Doch im Laufe der Zeit entwickelte sich eine ausgeprägte Badekultur, die wohl zu den großen kulturellen Leistungen des Römischen Reiches gerechnet werden kann und die u.a. in technischen Meisterleistungen (Wasserbeschaffung über Aquädukte, Fußbodenheizung usw.) und prachtvollen Bauten (Badeanlagen, Thermen genannt) zum Ausdruck kam.
Ein vornehmer Römer konnte den halben Tag in den Badeanlagen (Thermen) verbringen, dabei seine Kontakte pflegen und seinen Geschäften nachgehen. Und natürlich auch seinen Körper verwöhnen (lassen). Auch der einfache Bürger sah es geradezu als Teil seiner Identität als Römer an, Zutritt zu Badeanlagen zu haben. Nicht nur kostenloses Getreide und Unterhaltung im Circus ("Brot und Spiele") hatten ihm nach der Zeitenwende die Kaiser zu ermöglichen, sondern auch Bademöglichkeiten. Die Kaiser trugen dem mit Thermen von unvorstellbarer Größe und ebensolcher Ausstattung Rechnung. Bspw. die berühmten Caracalla-Thermen, erbaut zu Beginn des dritten Jahrhunderts unter Kaiser Caracalla, nahmen inclusive Gärten, Sporträumen usw. eine Fläche von über 100.000 Quadratmetern ein. Zum Vergleich: Eine herkömmliche moderne Schwimmhalle mit 25-Meter-Bahn dürfte kaum mehr als 2.000 Quadratmeter vereinnahmen. Weiterer Vorzug der Caracalla-Thermen: Der Eintritt war frei.“
Davon ist man heute sehr weit entfernt, soviel ist sicher. Doch was war geschehen? Die Menschen müssen irgendwann zu heiß gebadet haben, sonst wäre es nicht so weit gekommen. Moni liest weiter und erfährt:
Im frühen Mittelalter hielten die Araber nach Kontakt mit den Kreuzrittern fest, dass es nichts Schmutzigeres gäbe als die Recken aus den christlichen Ländern. Man badete im Europa dieser Zeit wenn überhaupt, nur gelegentlich, obwohl Schwimmen eine der anerkannten ritterlichen Tugenden war. Und das unritterliche, einfache Volk erst ...
Die Badekultur musste also erst durch den Kontakt mit den Mauren wieder belebt werden, was für die Kirche allerdings Grund genug war, Baden erst recht als unchristlichen Luxus, als Teufelszeug geradezu, abzulehnen. Trotzdem setzte sich das Baden in öffentlichen Badehäusern allmählich wieder durch - nicht zuletzt wegen des Unterhaltungswertes und der "Geselligkeit".
Damit war es aber vorbei, als sich im 16. Jahrhundert Geschlechtskrankheiten wie die Syphilis ausbreiteten. Die Badehäuser gerieten in Verruf (nicht ganz zu Unrecht), die Meinung schlug gegen die Nützlichkeit des Badens um und die Badeanstalten wurden nicht zuletzt wegen der Ansteckungsgefahr nach und nach geschlossen.
Heute schließt man aus Geldmangel oder weil zuerst die Banken gerettet werden müssen, oder die Pensionszusagen der Spitzenpolitiker, oder die Klammerbeutelproduktion, was ja auch sehr wichtig ist.
Heute kann man Baden gehen. Ja, das kann auch passieren und jeder erlebt so etwas einmal. Und das muss nicht erfreulich sein. Die Frage bleibt, ob man zuvor einst zu heiß gebadet hat.
Moni beschließt, sich ruhig einmal eine lauwarme Dusche zu genehmigen. Man weiß ja nie, auch wenn sie damit wieder in den unangenehmen Verdacht gerät, nur eine Warmduscherin zu sein.
Tag der Veröffentlichung: 25.01.2012
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