Kein „Ach, wie schön, sie sind wieder gesund“. Kein freundliches „Guten Morgen“. Nichts. Der Chef warf ihr vor, dass sie nicht alles ordentlich abgearbeitet habe, bevor sie krank wurde. Es wäre ein Schreiben nicht raus gegangen. Die Berufsgenossenschaft hätte eine Mahnung mit Androhung von Bußgeld geschickt.
„Wie konnte das denn nun wieder passieren?“ fragte er streng und sah Sabine Sümmchen auf Antwort wartend bitterböse an.
Die war wie vor den Kopf geschlagen und schluckte:
„Ich habe es nicht mehr geschafft. Das Schreiben lag im Kasten unerledigte Post. Haben sie es nicht gesehen?“
Sabine Sümmchen war wütend und den Tränen nahe. Schließlich hatte sie sich sehr gequält und war bis es absolut nicht mehr ging in der Firma geblieben. Hauptsächlich, um den Monatsabschluss noch fertig zu bekommen, damit jeder noch sein Geld pünktlich erhielt. Das war wichtig. Aber scheinbar wurde das überhaupt nicht gesehen, geschweige denn gewürdigt. Im Gegenteil, er trampelte noch auf ihr herum. Sie würgte und musste sich sehr anstrengen, damit er sie nicht noch zum Heulen brachte. Sie würde sich in der lausigen Verfassung absolut nicht verteidigen können.
„Sie sollten schon selber sagen, wenn sie ihre Arbeit aus irgendwelchen Gründen nicht schaffen. Sie hätten mir dieses Schreiben zur Erledigung unbedingt vorlegen müssen. Ich kann nicht ihre unerledigte Post auch noch durchsehen, wenn sie krank sind. Ich verlange, dass sie ihre Aufgaben erfüllen und wenn sie krank sind, dann sind sie krank und wenn sie am Arbeitsplatz sind, dann müssen sie voll leistungsfähig sein. Verstehen sie das?“
Sabine Sümmchen sagte noch schwach, dass sie sich eigentlich nur im Interesse der Firma die letzten Tage vor ihrer Krankschreibung noch mit der Lohnrechnung beschäftigt habe. Sie wäre schon mindestens eine Woche eher ein Fall fürs Krankenbett gewesen. Dieses Schreiben wäre nicht so wichtig gewesen. Man müsse doch in der Situation wichten und erst einmal die vordringlichen Sachen erledigen. Nein, das wollte er nicht gelten lassen. Sie hätte sich selbstverständlich krank melden können, dann wäre eben eine Vertretung eingesprungen. Sabine hatte inzwischen mehr als genug von diesem Gespräch und außerdem standen ihre Wuttränen kurz vor dem Ausbruch. Sie stand also auf und sagte, dass sie sich nun sofort mit der Berufsgenossenschaft in Verbindung setzen werde, um den Fall zu klären. Dann verließ sie schrecklich ärgerlich und frustriert dieses Büro.
„Dieses blöde Arschloch“, dachte sie, „das nächste Mal bin ich drei Wochen krank und dann scheiß auf den Monatsabschluss.“
Sie rief die Berufsgenossenschaft an, wo man ihr sehr freundlich sagte, dass diese Bußgeldandrohung nur ein formeller Akt sei. Selbstverständlich könne man Terminverlängerung beantragen. Das würden fast alle Firmen machen und dann würde mit Sicherheit auch kein Bußgeld anfallen. Der gute Mann lachte amüsiert. Sabine Sümmchen dankte erleichtert. Also war dies Ganze wieder nur Sturm im Wasserglas, nur um sie zu drangsalieren, ihr lächerliche Versäumnisse nachzuweisen.
„Was sind das bloß für Menschen?“ Sie schüttelte den Kopf und machte sich langsam über die Postberge her. Das war ja ein toller Montag. Sabine Sümmchen hasste die Montage. Jeder empfand den Montag als einen der scheußlichsten Wochentage. Man musste aber zähneknirschend durch und meistens ging es am nächsten Tag schon etwas leichter, sich an die Arbeitswoche zu gewöhnen. Unsere Buchhalterin schwor bei sich und allen Teufeln, in dieser vermaledeiten Firma keine einzige Überstunde zu arbeiten. Nicht eine Minute länger als notwendig würde sie hier verweilen. Die Woche war anstrengend, denn es gab sehr viel aufzuarbeiten. Aber immer pünktlich zu den festgesetzten Zeiten schloss sie ihre Bürotür ab und verließ summend das Firmengebäude.
Es fiel allmählich auf, dass keine Putzfrau mehr kam. Was war los?
Was war los? Sonst erschien einmal die Woche eine kleine, auch schon etwas ältere, freundliche Frau, die damit betraut war, die Büros zu wischen und die Papierkörbe zu lehren. Sümmchen erfuhr, dass man die Frau gefeuert hatte. Sie war 30 Jahre lang in der Firma. Angeblich hätte sie Toilettenpapier und Putzmittel geklaut und das über Jahre.
„Ja, hat man ihr das nachgewiesen, hat man sie dabei erwischt?“ fragte Biene Sümmchen erstaunt die Kollegen. Nein, das wisse man nicht so genau. Angeblich käme ja jetzt demnächst eine Polin, die auch viel weniger Lohnkosten verursachen würde. Genaues wüsste aber keiner.
Ein paar Tage später kam die gefeuerte Putzfrau zu Sabine Sümmchen, um sich zu verabschieden.
„Sie waren immer so nett und haben sogar mit mir gesprochen“, sagte sie und stellte zum Abschied ein Stück selbstgebackenen Kuchen auf den Schreibtisch.
Sabine Sümmchen wollte es nun wissen und fragte, wie es denn gekommen sei mit der Entlassung nach so vielen Jahren.
„Entlassung?“ die Frau war erstaunt.
Nein, sie hätte endlich selber gekündigt, weil sie rein zufällig eine Stelle als Verkäuferin bei einem Bäcker erhalten habe. Sie hätte das früher einmal gelernt, musste aber gehen, weil die Bäckerei dicht gemacht habe und dann hätte sie schnell wegen des Geldes diesen Putzfrauenjob angenommen und so sind die Jahre halt vergangen.
„Oh, Gott dann gehen sie nach dreißig Jahren einfach so am letzten Tag ohne jegliche Verabschiedung aus der Firma? Ist das nicht furchtbar traurig?“
„Nein“, sagte die Frau, es klang irgendwie verbittert, “das ist hier eben so, wer gehen will, kann gehen. Aber der Böse ist man dann mit Sicherheit. Eine eigene Kündigung wird nicht verziehen. Nie. Meistens schmeißt man den Leuten noch Dreck hinterher. Aber man weiß ja von wem der Dreck kommt. Alle wissen das. Die halbe Stadt weiß, was hier gespielt wird.“
Sie würde von denen auch keinen Abschiedsstrauß haben wollen.
Sabine sagte nichts und schüttelte bloß mit dem Kopf. Diese Frau würde nie etwas stehlen. Fast war ihr auch klar, woher die Gerüchte kamen. Gegen schlechte Nachrede ist kein Kraut gewachsen, dachte sie bekümmert. Sie wünschte der Frau alles Gute und viel Spaß beim Kuchenverkauf.
Am nächsten Tag hörte sie, wie der Gartenführer die neue Reinemachefrau herumführte und sie zur Sparsamkeit aufrief. Die Putzmittel, Müllbeutel und das Toilettenpapier würde er einkaufen und auch ausgeben. Sie solle den Bedarf nur rechtzeitig anmelden. Der Gartenführer teilt das Klopapier zu. Ein Witz! Der Hintergrund war noch lächerlicher. Früher hatte man für diese Dinge ein gemeinsames Lager. Also die im Haus befindlichen Firmen teilten sich die Kosten für die Putzfrau und die der Reinigungsmittel hälftig. Die Chefs waren aber nun heftig verfeindet, so kam unser Dr. Gartenmeier auf die glorreiche Idee, dass dies nicht gerecht sei. Im oberen Bereich arbeiteten nämlich wesentlich mehr Mitarbeiter und die benötigten auch wesentlich mehr Klopapier. Logisch! So entschloss er sich für die unteren Räume ein Extralager, unter seine persönlichen Fittiche nehmend, einzurichten. Er kümmerte sich halt um jedes Blatt und kaufte entsprechend ein (Zweilagiges reicht!)
„Die sind hier alle krank“, dachte Sabine Sümmchen. Das Schlimme war eigentlich nur die Tatsache, dass sie es nicht zu bemerken schienen. Ist das normal? Diese Frage stellte sich Sümmchen immer öfter, je länger sie in der Firma arbeitete. Die Wahrheit war doch, dass die Firmenleitung schwer an dem Ast sägte, auf dem sie saß und mit ihrem Stil den Baum aushöhlte, der doch eigentlich jedes Jahr mehr Früchte tragen sollte. Man vertraute offensichtlich darauf, dass der Arbeitsmarkt mit Arbeitsbienen übervölkert sei und alle nur darauf brennen würden, in ihrer Firma im Staube krabbeln zu dürfen. Keine Biene will das wirklich. Sie wollen fleißig, freiwillig, auch zu ihrem Vorteil selbstverständlich, völlig entkrampft munter arbeiten. Sie wünschen sich locker aus und ein zu fliegen und sie möchten auch einmal ein Lob, eine kleine Anerkennung wirkt Wunder. Sie beflügelt.Dann füttern sie auch gerne ihre Königin und trachten nie danach, sich für immer zu entfernen.
Aber nein, die Könige und –innen verspritzen selbstherrlich eklig Gift und Galle. Das Schärfste ist, dass sie sich dabei noch für hilfreich, edel und gut halten und zu allem Überfluss auch noch für ungeheuer klug. Selbst wenn man sie drastisch auf ihren Irrtum aufmerksam machen würde, sie würden es nicht glauben. Keiner kann sie je ändern. Wer sollte es auch tun? Keiner möchte mit ihnen Kontakt haben. Sabine Sümmchen schüttelt sich. Sie würde auch keine Vertraulichkeiten mit Scheusalen suchen.
FORTSETZUNG FOLGT
Tag der Veröffentlichung: 01.12.2011
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