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Neulich erhielt Sabine Sümmchen von der Chefin ein Fax zur Weiterleitung an den Gartenführer. Warum hat sie es nicht direkt an ihn gesendet und warum hat sie ihm dieses nicht persönlich gesagt? Natürlich nur, weil Sabine Sümmchen es lesen sollte, brühwarm. Also las sie es. Da war die Rede davon, dass die Buchhalterin eine Reihe von Fehlern machen würde und es würden auch Unterlagen aus den Personalakten draußen aufgetaucht sein. Und wird denn das Zimmer immer abgeschlos-
sen? Man würde auch schon wieder über die Lohnstufen debattieren. In langer reicher Wortwahl, gespickt mit den beliebten Worten: wie wenigstens, mindestens, gefälligst und sie geht auch immer freitagmittags nach Hause, scheinbar scheut sie die Überstunden. Das kann doch nicht in Ordnung sein. Mach endlich was, Gottfried!!!

Eigentlich waren es blanke Beleidigungen und freche Unter-
stellungen. Kein so genannter Fehler wurde näher definiert. Sabine Sümmchen fertigte sich zunächst eine Kopie davon an. Sie ärgerte sich sehr, denn man unterstellte ihr die Vernachlässigung der Geheimhaltungspflicht und sie würde Sicherheitsbestim-
mungen verletzt haben. Das Fax war nicht an sie gerichtet. Was kann man also tun? Ignorieren? Einfach kommentarlos in die Chefpost legen? Nein. Die Frechheit der Frau war zu dreist und sie war auch noch feige. Sie hätte doch anrufen können, um mit Sümmchen über ihre vermeintlichen Vergehen zu sprechen. Nein, sie wollte es hinterfotzig. Das durfte man ihr nicht durchgehen lassen.

Sabine Sümmchen schrieb also auf die Rückseite, dass sie sich gegen derlei Unterstellungen verwahren möchte. Sie würde ihr Zimmer immer abschließen und hätte keinerlei Informationen aus den Personalakten oder über Löhne irgendjemandem gegeben. Wenn es Verletzungen von Sicherheitsbestimmungen gäbe, dann solle man ihr das bitte nachweisen. Was die Fehler anbetreffe, müsse man diese, vielleicht um sie abstellen zu können, näher definieren.
Als P.S. schrieb sie noch, dass dieses Fax über ihr Gerät gesendet wurde. Sie musste also annehmen, dass es auch für ihre Augen bestimmt sei.
So!! Wollen doch sehen, ob was nachkommt. Wenn da tatsächlich an den Sicherheitsverletzungen das Geringste dran wäre, dann würde der Chef zum Gespräch bitten.

Sabine Sümmchen fühlte sich etwas erleichtert. Die alte Krähe, immer stänkerte sie und hetzte. Sie hörte nicht auf, im Gegenteil, sie steigerte sich scheinbar.
Es kam nichts, rein gar nichts. Einige Tage später, als unser Sümmchen am Abend die Unterschriftsmappen auf den Chefschreibtisch legen wollte, er war wieder einmal außer Haus, sah sie einen Zettel offen herumliegen. Mit großer Schrift stand darauf:

„Luise Gartenmeier, mir reicht es allmählich! Du verärgerst alle meine Mitarbeiter. Die Leute wandern ab, damit ist keinem geholfen. Die Buchhalterin bleibt. Gib endlich Ruhe. Wir haben andere Sorgen.“

Sabine Sümmchen verzog den Mund. Sie sollte also rausge-
schmissen werden, zumindest wollte die Frau Chefin das und konnte scheinbar nicht landen. Hm, der Chef war also noch auf ihrer Seite und sie sollte das wissen, sonst hätte er doch diesen Zettel nicht so offen liegengelassen. „Der gute, gute Chef!“ Nein, ein Arschloch blieb er trotzdem. Wer weiß wie lange er der Hartnäckigkeit seiner Frau in dieser Angelegenheit noch standhalten würde?

Die ist sicher, nachdem sie diese Botschaft erhalten hatte, noch mehr darauf aus, der Buchhalterin das Leben schwer zu machen und sie hinauszuekeln oder sie nach tatsächlichen Fehlern endlich feuern zu können.
„Schöne Perspektiven“, dachte Sabine Sümmchen kummervoll. „Was habe ich diesem Weibe bloß getan?“ Nie war sie zuvor mit soviel Niedertracht konfrontiert worden. Sümmchen konnte eigentlich keiner Fliege etwas Böses antun und wünschte nun einer bedauernswerten kranken, scheinbar auch furchtbar einsamen Frau die Pest an den Hals. So wie die anderen halt auch schon lange.

Der Wunsch erfüllte sich aber nicht, somit nahm alles weiterhin seinen Lauf. Das Jahr neigte sich allmählich dem Ende entgegen. Die Gartensaison war vorbei. Es wurde ruhiger.

Jeden Tag Dasselbe



Bildschirm flimmert
Einer wimmert
Keiner zahlt
Einer prahlt
Mit Unfehlbarkeit
Seine Selbstherrlichkeit

Jeden Tag Dasselbe
Staubiges Papier
In Ordner stopfen
Edelrosen auf Besen pfropfen
Keiner lobt
Einer tobt
In Unfähigkeit
Seine Kleinkariertheit

Jeden Tag Dasselbe
Zahlen tippen
Stempel schwenken
An das Wochenende denken
Einer hetzt
Keiner setzt
in Vertrautheit
auf seine Scheinheiligkeit

Jeden Tag Dasselbe…




Der Gartenführer lief mit sauertöpfischer Miene umher und verärgerte unter anderem die Mitarbeiter mit seinen sinnigen Sparmaßnahmen. Er drehte die Heizung in der Teeküche ab und schaltete den Boiler aus, ermahnte seine Buchhalterin die Heizung abzudrehen, vergaß aber hinter sich die Haustür zu schließen, was nicht sehr energiesparend war, denn das Schloss war locker, die Tür sprang durch den Wind ständig wieder auf. Die Frauen von oben, die im offenen Großraumbüro saßen, froren sich den Arsch ab. Es gab Beschwerden, Ärger mit dem Schwager und wer muss eigentlich das Schloss reparieren lassen, schien eine äußerst schwierige Entscheidung zu sein. Schließlich passierte der Akt, eine kleine Sache, die nicht viel Geld kostete, aber man stritt erst einmal. Das musste sein. Es geht halt ums Prinzip. Viel Wärme flog in der Zeit zur Haustür raus. Sabine Sümmchen hielt ihre Bürotür geschlossen und drehte ihre Heizung auf. Sie hatte es warm.

Allmählich lernte sie sich mit der kleinlichen und lächerlichen Streiterei der Geschäftsführung, die immer auf den Rücken der Mitarbeiter ausgetragen wurde, hemmungs- und rücksichtslos, ganz gut zu arrangieren. Sie war froh in ihrem isolierten Büro abgeschottet zu sein. Manchmal geschah rein gar nichts und Sabine Sümmchen widmete sich ihren Gedanken über Gott und die Welt. Der Gartenführer hatte durchgesetzt, dass die Unterschriftsmappen und die Tagespost nicht mehr für seine Frau zusammenzustellen waren. Das erleichterte sehr die Arbeit und die boshaften Zettelchen mit den zum Teil sehr sinnlosen „helfenden Ratschlägen und Hinweisen“ entfielen damit logischerweise auch. Scheinbar hatte sich die Frau nun zwangsweise auch andere Opfer gesucht. Es muss ihr schwer gefallen sein, von der Buchhalterin ab zu lassen. Sie fand neue Opfer. Die Ärmsten!

Derzeit waren es die Floristinnen, die bekanntlich in der Vorweihnachtszeit sehr viel leisten mussten. Da waren die Grabgestecke, die Kränze und die Dekorationen der Geschäfte, die Gestaltung der allmählich beginnenden Weihnachtsfeiern. Die Mädchen mussten reichlich schuften und wurden nun ständig drangsaliert, kontrolliert und durch Intrigen gegeneinander aufgehetzt. Ihre Stundenzettel mussten am Monatsende bei Sabine Sümmchen abgerechnet werden, denn sie erhielten ihre Überstunden gutgeschrieben (Bezahlung irgendwann). Es war eine Katastrophe, ständig stimmte etwas nicht oder die Termine der Abgabe wurden nicht eingehalten, weil die Abrechnungen noch zur Kontrolle bei der Chefin lagen. Sabine Sümmchen brauchte immer alles rechtzeitig für die monatliche Lohnrechnung. Es war Krampf und Kampf, aber natürlich immer lösbar. Doch wieder und wieder blockierte die Chefin die Abläufe. Die Floristinnen waren genervt, fürchteten um ihren Arbeitsplatz, ertrugen die Launen der kranken, boshaften Frau nur mit Mühe.

Sabine Sümmchen war froh, dass sie nun im Moment nicht im Feuer dieses Drachens arbeiten musste. Aber eines Tages würde sie wieder dran sein, dass sagten alle. Man kannte das.
„Fühlen sie sich bloß nicht so sicher“, meinten sie. Das könne man hier nie erwarten. Keiner würde je auf Dauer in Ruhe gelassen werden. Die Alten wären früher genauso. Die Sippe wäre schon in der ganzen Stadt als eklig und äußerst unangenehm bekannt. Sabine Sümmchen sagte nichts und hob nur die Schultern. Ihr war der Ruf dieser Familie schon längst auch bekannt. Man würde daran nichts ändern können. Die saßen leider auf der oberen Treppenstufe und rissen halt ihr Maul gnadenlos auf, wenn ihnen übel war. Pech für den, der gerade darunter stand.

Das alljährliche Weihnachtsfest der Firmen stand vor der Tür. Man feierte seit Jahren auf die gleiche Art. Ein Gasthof wurde gemietet, die Mitarbeiter erhielten ein warmes Essen und durften Getränke nach ihrer Wahl einnehmen, auch soviel sie wollten. Das erschien auf den ersten Blick sehr großzügig, aber das Essen war gewöhnlich gegen 21.00 Uhr beendet, um 22.00 Uhr kamen die Busse, um die Leute nach Hause zu fahren, somit hielt sich alles in ganz engen Grenzen. Keiner blieb länger als nötig, keiner wollte gemütlich ein wenig feiern. Man lief wieder auseinander, froh es überstanden zu haben. Im Rahmen dieses „Festes“, dem Höhepunkt der betrieblichen Gemütlichkeit, hielt der Chef eine fade Rede, in der er auf den Ernst der Lage hinwies.

Langjährige Mitarbeiter erhielten eine Urkunde und einen Betrag, der tariflich für Jubiläen vorgeschrieben war. Der Höhepunkt war die Tombola. Ein Los dafür kostete 5,- DM (später allerdings 5 Euro). Die Gaben der Tombola waren eigentlich auch immer dieselben: Werbegeschenke, diverse Flaschen Wein, Eiskratzer, Aschenbecher, ein paar Vasen und ein Hauptgewinn. Das sollte nun der Knaller sein, die Großzügigkeit der Firmenführung versinnbildlichen. In diesem Jahr war es ein kleiner Tischkühlschrank. Man stelle sich vor: der Hauptgewinn war verschwunden! Der Sohn der Chef-Gartenmeiers hatte die Aufgabe, die Tombola-Sachen anzufahren. Nein, der Kühlschrank wäre nicht dabei. Das Desaster wurde eigenartiger Weise erst bemerkt als alle Lose gezogen waren und der Preis für die Nr. Sowieso nicht vorhanden war. Ein Skandal. Die Leute fanden es anfangs unterhaltsam.

Die Geschäftsführung äußerte aber laut und deutlich die Vermutung, dass wohl jemand von den Mitarbeitern lange Finger gemacht haben müsse. Allgemeines Raunen. Man war empört. Wer macht denn so was, keiner würde den bekackten Kühlschrank klauen wollen, was sollte man auch mit so einem Ding anstellen? Man moserte an allen Tischen wegen der Verdächtigung.
Sabine Sümmchen hatte ein Ratschenset gewonnen. Immerhin, wenigstens keinen Eiskratzer und das Werkzeug würde sie vielleicht einmal brauchen können. Allerdings war sie nicht unbedingt eine passionierte Heimwerkerin. Aber ein Ratschenset ist schließlich kein Scheiß. Vielleicht würde man damit im Sommer den Fahrradsattel feststellen können, falls er mal locker wäre. Irgendeine Schraube ist in jedem Haushalt und überall einmal locker.
Auf einmal ging wieder ein Raunen durch die Massen. Es hieß, der Kühlschrank wäre wieder aufgetaucht und gerade wurde er herein getragen. Er stand noch friedlich genau in dem Raum, in dem die anderen Dinge vor dem Einladen in den Transporter gelagert wurden. Aha, die Mitarbeiter sind also doch keine Diebe.

Die Feier war gelaufen. Man stieg in die Busse oder fuhr mit dem eigenen Auto nach Hause. “Typisch“! grummelten die Leute und wollten im nächsten Jahr nicht mehr teilnehmen, aber dies traute sich kaum jemand, denn man musste sich schon im Vorfeld in eine Teilnehmerliste eintragen. Bei Nichtteilnahme wäre eventuell eine Begründung abzugeben. Aber wer wagt schon zu sagen, dass er keinen Bock hat, auf einer lieblosen und langweiligen aufgezwungenen Feier seine Freizeit zu vergeuden. Da nützt das freie Trinken auch nichts, man will mit der Firma und deren Führung nach Feierabend grundsätzlich nichts zu tun haben. Leider ist dies kein Einzelfall. Aber es soll ja auch andere Beispiele geben.

Sabine Sümmchen ist nun auch froh, dass die Feier zu Ende ist. Sie fühlte sich nicht sehr wohl, denn als Einzelkämpferin gehörte sie zu keinem Team. Man war aber freundlich und dennoch spürte sie, dass sie eigentlich außen vor war. Einmal ganz davon abgesehen, dass sie den bayerischen Dialekt kaum verstand und schon deshalb an den Gesprächen wenig teilnehmen konnte. Das war aber nicht so schlimm. Sie glaubte immer noch, dass sie mit der Zeit auch den Singsang verstehen würde. Ein Irrglaube.

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Tag der Veröffentlichung: 27.11.2011

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