Sie schrieb in den Pausen sehr viel an ihren Kurzgeschichten und Versen, war also unendlich schöpferisch tätig und dies am Arbeitsplatz einer kleinen Buchhalterin. Unglaublich! Den Scheusalen zum Trotz, dem eigenen Frust ein unendlich verfügbares und wirksames Gegenmittel. Das klappte und half. Aber sie musste aufpassen. Alles war heimlich und keiner durfte je etwas merken.
Wenn man völlig auf sich gestellt und tatsächlich isoliert arbeiten muss, dann kommen auch viele Ideen, die in Gesellschaft undenkbar wären, geschweige denn, sie sofort aufzuschreiben. Dies war der größte Vorzug. Sabine Sümmchen sagte es sich immer wieder, bei allem Ekel, der sie würgte, wenn die Chefs sie demütigen wollten. Aber die Vorkommnisse, die lächerlichen, kleinbürgerlichen und bornierten Verhaltensweisen der Gartenführer, auch die verzweifelten Reaktionen der Betroffenen, inspirierten immer wieder zu neuer kreativer Schreiberei.
Sabine Sümmchen war weiß Gott nicht glücklich, denn sie liebte ihren Beruf überhaupt nicht, aber sie hatte eine Methode gefunden, dem Schlimmsten auszuweichen, dem Krankwerden ihres Gemütes vorzubeugen, allerdings nur durch passiven Widerstand. Dienst nach Vorschrift war in der Firma sowieso nur Gang und Gäbe.
Zaubern
An einem Schreibtisch im Mai
Computer summen so lau
Chef aus dem Bau
Eine gelangweilte Hexe ist dabei
Die Zahlen zu verfluchen,
Und sie dann zu verbuchen.
Abrakadabra Simsalabim
Ein wenig zaubern ist nicht schlimm.
Und wie das Böse es will
Die Maschine steht still
Nichts mehr geht, knapp wird die Zeit
Der Herr ist auch nicht mehr weit
Der Hexe ist das Zaubern leid
Abrakadabra Simsalabim
richtig zaubern ist schlimm
Schnell was Gutes denken,
dem Chef ein Lächeln schenken?
NEIN in das Gesicht NICHT
Abrakadabra Simsalabim
Weiter fluchen und buchen
Dann das Weite suchen
Vor Menschen vom Stamme Nimm
Sabine Sümmchen wunderte sich, warum die Leute alle erst auf die Minute zur Arbeit erschienen und natürlich auch auf die Minute den Arbeitsplatz verließen. Nun, es war klar: Freizeit verschenkte man nicht. Überstunden wurden nur nach Anwei-
sung geleistet und akribisch notiert, beweisfähig. Beim Ausscheiden würde man auf Bezahlung pochen. Großzügigkeit und Verständnis für die Belange der Firma konnte die geduckten und so oft geprügelten Mitarbeiter nicht mehr aufbringen. Man ließ sich nichts zu Schulden kommen und hoffte so in Ruhe gelassen zu werden. Unser Sümmchen kam ja immer am Morgen viel zu früh, hatte also, ohne nur eine müde Mark mehr zu bekommen, bereits eine Menge Zeit gut, führte aber kein Buch darüber. Warum auch, sie würde die Zeit nicht bezahlt bekommen. Alles war mit dem Gehalt abgegolten, hieß es. Sie kannte das.
Eines Mittags wollte sie fünf Minuten eher zum Mittag nach Hause fahren. Es waren wirklich nur fünf Minuten. Der Gartenführer sah es...
Durch sein Fenster am Giebel, sah er jeden kommen oder gehen. Er rief seine Buchhalterin zurück und maßregelte sie streng. Ob sie denn nicht wisse, wann die Mittagspause beginne. Die anderen Mitarbeiter würden es bemerken und man hätte Grund zur Kritik. Das würde er nicht wollen, deshalb möge sich auch eine Frau Sümmchen an die Zeiten halten. Die sah ihn nur groß an und fragte, ob sie jetzt gehen könne. „Ja“, sprach er.
„Mahlzeit, Herr Dr. Gartenmeier“, antwortete unser verdutztes Sümmchen noch und ging rasch zu ihrem Auto. Der Chef sah sie fast jeden Morgen sehr viel zeitiger als alle anderen am Arbeitsplatz erscheinen und regte sich wegen lausiger fünf Minuten auf?
„Die anderen würden es sehen und könnten Kritik anbringen“, dachte sie empört.
„Er ist doch hier der Chef, was gingen ihn die anderen an. Er weiß doch, dass seine Buchhalterin nicht schwänzt und bummelt, oder gar die Pausen überzieht. Hat er denn überhaupt keinen Arsch in der Hose? Wahrscheinlich ging es ihm nur darum, seiner ureigensten engstirnigen Krümelkackerei genüge zutun.“
Sabine Sümmchen beschloss nun zur Strafe, auch erst eine Minute vor Arbeitsbeginn am Morgen zu erscheinen. So wie es alle anderen auch erst lernen mussten und nun so handhaben. Die wollen es nicht anders. Übereifer schadet nur. Freiheiten darf man sich in aller Öffentlichkeit nicht herausnehmen. Das allgemeine Arbeitsklima war nicht so doll, die Arbeitsmoral auf einem sehr niedrigen Niveau. Jeder war froh, wenn der Arbeitstag vorbei war und so mancher suchte sich heimlich einen anderen Job. Aber das ist bekanntlich nicht ganz so einfach. Die Meisten mussten halt ausharren und den Arbeitstag über sich ergehen lassen.
Den Gartenführern schien alles schnurz zu sein, sie merkten vielleicht gar nichts. Sie hatten mit ihren Brettern vor den Köpfen auch kaum eine Möglich-
keit, etwas zu bemerken. Aber manchmal müssen auch Geschäftsführer geschult werden. Der Dr. Gartenmeier wollte scheinbar einmal raus aus seiner Misere und nahm an einer Schulung teil. Unter anderem wurde über das Verhältnis zum Personal gesprochen und wie man sich so selber beurteilt als Chef. Sabine Sümmchen wusste auch nur davon, weil sie die Protokolle und Schulungs-
unterlagen in einen Ordner ablegen sollte. Da hatte doch ihr Gartenführer sich selber als „eher viel zu gut“ eingeschätzt. Hm. Unsere Buchhalterin staunte nicht schlecht. Der Chef schätzte sich also als eher viel zu gut ein. Was hatte er wohl für Maßstäbe? An seinem Scheusal daheim gemessen, war er sicher fast ein Guter. Aber wirklich nur fast.
Nein, Sabine Sümmchen fand, dass auch er einer von den ganz besonders großen Arschlöchern war. Der Sippe seiner Frau alle Ehre machend. Das Erstaunliche war nur, dass diese Typen es einfach nicht bemerkten und sie sich ganz anders beur-
teilten. Sie standen auf einem Podest und sahen die Menschen, die in ihrer Firma arbeiteten nur als Arbeitsbienen, deren einzige Aufgabe darin bestand, ihre Pflicht zu erfüllen und scheinbar erwartete man dafür auch noch Dankbarkeit und Ergebenheit. Man muss einem Arbeitgeber, der in unendlicher Gnade Arbeit gibt, doch dankbar sein. Eindeutig liegt auf der Hand, wer hier der Gute ist.
"Das Personal wird einfach immer frecher und will für mehr Geld immer weniger leisten. Das gab es früher nicht. Punkt. Man soll da nichts einreißen lassen. Zu viel Güte gegenüber dem ganzen Volk bringt nur Schaden und das Gesockse wird auf
müpfig."
Sabine Sümmchen ist ein wenig nachdenklich gestimmt. Ob das wohl gut und richtig ist, unter dieser antiquierten Führungsphilosophie, maulhaltend weiterhin zu arbeiten? Man würde hier niemanden erziehen oder bekehren können und ein Aufbegehren würde nur Stress, Ärger und wahrscheinlich die Entlassung nach sich ziehen. Beistehen würde der Buchhalterin, wenn sie denn eine kämpferischere Haltung einnehmen würde, sicher niemand. Jeder fürchtete doch um seinen Stuhl. Alles bleibt so.
Unser Sümmchen beschloss sich nur zur Wehr zu setzen, wenn es sich nicht vermeiden ließe.
FORTSETZUNG FOLGT
Tag der Veröffentlichung: 24.11.2011
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