Sümmchen ahnt nichts Gutes, womit sie nicht ganz Unrecht hat. Die Chefin will Kontenblätter ausge-
druckt haben, von drei zurückliegenden Monaten. Sie würde sich am Wochenende damit befassen wollen, schreibt sie. Oh, Gott! Sabine Sümmchen pumpt. So ein Mist, diese gottverdammte Krähe! Es waren 1500 Blatt, die zu drucken wären. Das würde drei Stunden mindestens dauern.
Der Freitagnachmittag war somit gelaufen. Sie sollte also wieder einmal ein wenig schikaniert werden.
Nein, Sabine Sümmchen würde sich nichts anmer-
ken lassen und halt den Scheiß zähneknirschend ausdrucken. Sie fuhr nach Hause zum Mittagessen, um dann wieder am Nachmittag zu erscheinen. Kein Auto stand mehr vor der Tür, alle waren bereits im Wochenende. Ach nein, da stand ja noch der dunkelgrüne BMW des Gartenführers. Sabine Sümmchen schloss die Tür auf und hörte eine unheilvolle, überlaute mächtige Orgelmusik durch das ganze Haus dröhnen.
„Du heiliger Strohsack“, dachte sie, „was ist denn hier los?“ Sie ließ geräuschvoll die Tür ins Schloss fallen und ging in ihr Büro.
Der fromme Gartenführer hörte offensichtlich seine Lieblingsmusik bei der Arbeit. „Ist ja eigentlich verboten“, dachte Biene Sümmchen. “Soll ja von der Arbeit ablenken.“ Sie gab dem Drucker den Befehl und damit ertönte ein weiteres Geräusch, ein dienstliches. Draußen brüllte die Orgelmusik. So ging das ungefähr eine Stunde, dann verstummte die Musik, der Gartenführer telefonierte und erschien bald darauf in Sümmchens Büro.
„ Ach, sie sind ja doch hier. Meine Frau sagte, dass sie die Kontenblätter unbedingt heute noch brauche, sie würde schon darauf gewartet haben am Vor-
mittag.“
Sabine Sümmchen legte ihrem Chef wortlos das Fax hin (die Uhrzeit hatte sie markiert) und zeigte auf den Drucker.
„In zwei Stunden ist alles gedruckt. Ich bringe dann den Stapel rüber, wenn sie wollen“, sagte sie sich gelassen gebend.
„Bitte lochen sie noch die Blätter und heften sie alle in neue Ordner“, ordnete er mit eintöniger Stimme an und verschwand.
Nebenan ertönte wieder diese furchtbare Orgel-
musik, zum Glück nun nicht mehr in voller Laut-
stärke.
„Natürlich“, Sabine Sümmchen kochte. „Das geht klar.“ Der Drucker summte und war schon reichlich heiß.
„Hoffentlich geht der blöde Drucker nicht auch noch kaputt“. Unsere Biene wollte nun wirklich die Sache beenden und auch endlich nach Hause brummen. Zu ärgerlich, einem den Freitagnachmittag so zu stehlen. Bloß gut, dass nun ein Wochenende zum Abreagieren zur Verfügung stand. Sie schrieb vor Wut, während der Drucker unermüdlich arbeitete, noch ein freches Gedicht und stellte später die Ordner dem Gartenführer vor die Tür, denn der war inzwischen auch schon vom Hof gefahren, sein Büro war abgeschlossen. Sollte der doch zusehen, wie er die Ordner seiner Frau Gemahlin nach Hause brachte. Am Montag waren sie jedenfalls weg.
Dafür lagen stapelweise ausgedruckte farbige Ordnerrücken auf Sabine Sümmchens Schreibtisch, sowie ein großer Zettel mit der Weisung:
„Ordnerrücken bitte, wenn möglich, umgehend aufkleben!“
Sümmchen zischte durch die Zähne. Erst würde sie das Wichtige abarbeiten, den Rotz später. Über die Druckaktion fiel kein Wort. Nie. Es war also tat-
sächlich nur Schikane. Irgendwann standen diese Ordner mit den 1500 Kontoblättern kommentarlos wieder auf ihrem Schreibtisch. Sümmchen stellte sie in den Abstellschrank für Büromaterial und befragte später den Chef (schrift-
lich natürlich), ob dieses Papier als Schmierpapier verwendet werden könne, denn es hieß ja immer, man dürfe in dieser Firma auf keinen Fall Papier verschwenden.
Auf dem Anfragezettel stand nur „Nein“ als Antwort.
Also gut, dann eben nicht, dann steht es halt nur so im Schrank bis es schwarz wird, dachte unsere Buchhalterin achselzuckend.
Apropos Papierverschwendung: die Frau Chefin belehrte Sabine Sümmchen desöfteren wie man Papier einsparen könne. Man kopiert zwei DIN A5 Seiten einfach auf eine DIN A4 Seite. Das geht. Sie faxte ein Beispiel kurz durch mit der furchtbar netten Bemerkung versehen, dass man so etwas wenigstens von einer Buchhalterin erwarten müsse. Sie weiß zu sparen die Frau Gartenmeier. Also wirklich! Ihre Tipps waren immer schrecklich hilfreich. Wenn das Fax ratterte, dann wurde es Sabine Sümmchen meist schon schlecht. Es war die frustrierte Dame, die mal wieder Lust hatte lächer-
liche Weisungen zum Feierabend zu erteilen, um den Leuten zu zeigen, dass sie auch noch da sei und natürlich alles im Griff hatte, selbst die Kleinig-
keiten.
Die Hexe drangsalierte allerdings alle gleiche-
rmaßen, beruhigten die anderen Sabine Sümmchen. Sie solle es nicht so tragisch nehmen. Die Kollegen hatten unsere Buchhalterin allmählich als eine der ihren anerkannt und sie wurde hin und wieder, wenn mal einer etwas in der Buchhaltung abzuge-
ben hatte (das war allerdings nicht sehr oft, eher die Ausnahme), auch eingeweiht in Geschehnisse außerhalb ihres Büros, aber nur ganz im Vertrauen (aber bitte nicht weitersagen!).
Frau Gartenführer entblödete sich nicht am Abend, wenn längst Feierabend für alle sein sollte, die Leute zu Hause anzurufen und sie in ellenlange banale Gespräche zu verwickeln, sie zu versuchen auszuhorchen, um leichtsinnige Bemerkungen an anderer Stelle wieder hetzend einzusetzen. Inzwischen wusste man das, aber kaum einer traute sich, hier einen Riegel vorzuschieben. Man hörte höflich zu und gab sich Mühe, nichts Verwerfliches zu sagen und sie irgendwie wieder los zu werden. Jeder wusste aber, wie viel Macht die Alte noch besaß, wenn auch keiner mehr ihre fachlichen Fähigkeiten ernst nahm. Das war einmal. Die Frau stand einfach nicht mehr im Stoff. Ihr Verhalten störte eigentlich nur die betrieblichen Abläufe und drückte die Stimmung, demotivierte ganz erheblich.
Sie erhielt von ihrem Mann ganz offensichtlich nur noch aus Mitleid und hauptsächlich weil sie die Kohle hatte, ein wenig Rückendeckung. Die Buch-
haltung wäre immer ihr Metier gewesen. Davon würde sie sehr viel verstehen, sagte er ganz am Anfang zu Sabine Sümmchen. Nur wäre jetzt die Chefin sehr, sehr krank und deshalb könne sie vieles nicht mehr selber ausführen. Deshalb auch diese Kontrolle der Buchhalterarbeit im Besonderen. Sie müsse ja noch schließlich etwas haben.
Sabine Sümmchen wusste nun inzwischen, dass also die Buchhalterin hier der unleidlichen Kranken gewissermaßen als Spielzeug zum Fraße vorge-
worfen wird. Der Dr. Gartenmeier meinte, dass er das seiner Frau wenigstens schuldig sein würde. Es würde sie auch ein wenig von ihm ablenken. Das sagte er natürlich nicht, er dachte es.
Und er hatte nun wirklich auch ganz andere Sorgen. Die Firma musste um ihre Existenz kämpfen. So gut lief alles auch wieder nicht. Die Leute liefen auch scharenweise wieder weg. Auch der grässliche Schwager moserte und krittelte ständig an allem. Daheim keifte die Frau. Unser Gartenführer hatte ein schweres Los. Er kämpfte gegen alle verbissen und haderte mit seinem Gott. Die Leute sagten, er würde sogar aufstehen und in der Kirche sprechen. Aber was auch immer er sagte oder tat, niemand konnte ihn wirklich leiden. Wahrscheinlich er sich am allerwenigsten, aber dieses wird natürlich niemals zugegeben.
Schuld sind immer die anderen und der Chef hat immer Recht, kaum einer von den Angestellten bot ihm die Stirn. Man fürchtete um seinen Arbeitsplatz und verabscheute seine arrogante und kleinliche Art, ertrug sie stumm. Er war halt ein Scheusal. Der Ärmste. Wen wundert’s.
Man musste sich arrangieren, um in dieser Firma ohne seelischen Schaden zu nehmen zu arbeiten. Sabine Sümmchen versuchte es immer wieder. Es gab ja auch nicht zu unterschätzende Vorteile. Die Arbeitsstelle war fünf schlappe Minuten von ihrer privaten Wohnung entfernt, ein gewaltiger Vorzug. Sümmchen hatte dadurch viel Freizeit gewonnen, ein kostbares Gut.
Der isolierte Arbeitsplatz war sicher nicht jeder-
manns Sache. Sabine Sümmchen war damit aber sehr zufrieden. Na und, so konnte sie das Fenster öffnen oder schließen, die Heizung anstellen oder abdrehen, wann immer sie wollte und sie konnte ungestört ihren Gedanken nachhängen, wenn sie denn ihre Pflichten absolviert hatte. Das Leben könnte so schön sein...
FORTSETZUNG FOLGT
Tag der Veröffentlichung: 23.11.2011
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