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Das Bürogebäude teilten sich drei Firmen, die allerdings alle von einer Familie geführt wurden, von einer Familie, die sich offensichtlich und ausschließ-
lich nur aus Scheusalen zusammensetzte. Die untere Etage bestand aus drei Büroräumen, einem Archivraum, einem Besprechungsraum und den Toiletten, sowie weiteren Nebenräumen für Abstell-
zwecke. Man betrat den Bereich über eine Tür am Giebel. Der Haupteingang war das natürlich nicht, eher der Fluchtweg. Über eine ziemlich große Treppe aus Metall gelangte man von außen durch ein mächtiges Portal aus Glas in das Foyer der anderen weit aus größeren Firma, die vom Bruder der kranken Frau geleitet wurde. Sabine Sümmchen lernte ihn auf bemerkenswerte und bezeichnende Weise kennen.

Die Schwager waren sich nicht grün. Das wusste Sümmchen schon und ihr wurde gesagt, dass sie nur einem Herrn zu dienen hatte, nämlich ihrem akademischen Gartenführer, der sein Büro gleich nebenan hatte. Nun unsere Buchhalterin musste täglich die Post mit der Frankiermaschine der anderen Firma fertig machen und darüber eine Eintragung ins Postausgangsbuch vornehmen, damit man später die Kosten in Rechnung stellen konnte. Darüber hinaus hatte sie eine eigene Handkasse für kleinere Ausgaben zu führen. Biene Sümmchen dachte nichts Arges und frankierte flott auch einmal einen privaten Brief, schrieb das Porto in das Buch und legte den Betrag in ihre Handkasse.

Die Zeit verging. Plötzlich tat sich schwungvoll die Tür auf und der Schwager des Chefs erschien mit grimmiger Miene, schmiss ihr genau diesen privaten Brief auf den Tisch (er kam zurück, weil zuwenig Porto) und belehrte Sümmchen mit überlauten Worten, dass die Frankiermaschine nicht für die Erledigung der privaten Post da sei und was sie sich überhaupt dabei gedacht hätte. Soll etwa und vielleicht die Firma noch die Briefmarken der Angestellten bezahlen?

„Das Geld dafür wurde in die Handkasse einge-
zahlt“, sagte Biene Sümmchen sich ungerührt gebend, „ich weiß nicht, warum sie mich deshalb mit so lauter Stimme rügen und darf ich bitte fragen, wer sie sind? Wir sind einander nicht vorgestellt worden?“ wagte sie noch zu bemerken.
Sie merkte, dass er zuckte, aber er hatte sich sofort wieder in der Gewalt, denn er sagte nun schon ruhiger geworden, er wäre der Inhaber und Ge-
schäftsführer der obigen Firma und wäre davon ausgegangen, dass man ihn kenne. Er wisse nichts von einer Handkasse und er hätte aber dennoch gerne die entsprechende Eintragung im Kassen-
buch gesehen. Sümmchen zeigte es ihm. Daraufhin verzog er nur den Mund und wies nochmals darauf hin, dass Privates generell nichts in der Firma zu suchen hätte. Auch das Telefonieren nicht! Er hatte wohl bemerkt, dass in dem Buch auch Einzahlungen für private Gespräche vermerkt waren. (Das Ganze spielte sich wohlgemerkt unter 10,-DM ab) Dann fiel die Tür geräuschvoll ins Schloss.

Oh ha, dachte Sabine Sümmchen, auch darum kümmert sich hier der Chef. Man ist also allgemein gereizt. Zur Strafe unterbrach sie ihre Arbeit, um sich in der Teeküche einen ihrer Spezialkaffees zu brühen: in eine große Tasse wird ein gehäufter Teelöffel Kaffee gegeben und darauf das spru-
delnde Wasser. Davon werden Büroscheintote lebendig. Man wartet und rührt vorsichtig an der Oberfläche, alle Körner sind verschwunden, sie haben sich gesetzt, dann kann man den vollaro-
matischen Kaffee genüsslich schlürfen. Kein Keks, kein Kuchen! Wegen der Linie. Man muss darauf achten. Das gönnte sie sich jeden Nachmittag um Drei Uhr. Eigentlich machte das irgendwie jeder, aber ein wenig zeitversetzt. Man sollte den Kaffee halt nur neben der Arbeit einnehmen. Dann duldete man es von oben gnädig. Also dabei schwatzen war nicht gestattet. Dass dies einmal klar ist!

Sabine Sümmchen ärgerte sich über diesen unverschämten Menschen, der sie so lautstark maßregelte. Sie war sich keiner Schuld bewusst. Sie hätte die Firma geschädigt, die Frankiermaschine für Privates abgenutzt, in der Dienstzeit privat frankiert!! Zum Donnerkuckuck, haben die hier noch alle Tassen im Schrank? Es war nicht zu fassen. Dazu kam der unglaubliche Ton. Müssen sich erwachsene Menschen so benehmen? Und haben diese Typen keine anderen Sorgen? Vielleicht ja und sie sind gerade deshalb so krötig, so furchtbar unleidlich. Die scheinen in ihrer Frömmigkeit nicht gerade die Glücklichsten zu sein, dachte sie noch und öffnete das Fenster. Ganz hoch oben auf der alten Antenne des Hauses hinter der Hecke saß eine Amsel und flötete unbekümmert ihr Amsellied. Ja, dachte Sümmchen, so muss man es machen: auf die Arschlöcher dieser Welt einfach pfeifen. Sie nahm einen Schluck aus ihrer Kaffee-
tasse und widmete sich den Buchungen. Stempel drauf: gebucht, gelocht, abgelegt! Nächster Fall.

Alles spielt sich ein. Sabine Sümmchen stellte sich auch ein, natürlich vorbildlich und überpünktlich, täglich morgens zwanzig Minuten vor der Zeit. Sie will keinen Stress. Morgendlichen schon gar nicht. Der Chef ist noch eher am Arbeitsplatz. Er ist ein Arbeitstier. Die Kollegen sagen, er hätte ja nichts anderes, vermutlich nur den lieben Gott, an den er so inbrünstig glaubt. Doch mit dem oder zumindest mit seinen Stellvertretern auf Erden streitet sich der Gartenführer auch. Sabine Sümmchen ist dies einerlei. Sie wird sich nicht einmischen und auch den Brief an den Herrn Bischof versenden, in dem von Booten die Rede ist, in die man herein gezogen wird, um ans andere Ufer zu gelangen oder eben auch nicht. Jeder paddle auf seine Art! Pech ist nur, wenn man im Wasser ist und der eifrige Paddler im Boot wild um sich schlägt. Man muss halt aufpas-
sen, denkt Sümmchen, um das Paddel nicht an den Schädel zu bekommen. Jedenfalls lässt der Herr ihren Chef ziemlich alleine in seinem Boot paddeln. Das ist schwer, aber das hat er nun davon, warum will er auch immer alles alleine bewerkstelligen.

Chefs haben meist wenig Zeit. Das weiß jeder Buchhalter. Deshalb müssen sie ja auch den armen überlasteten Chefs alles Erdenkliche abnehmen. Biene Sümmchen sieht das ein und möchte die Ordnerrücken, wenn ein Geschäftsjahr abgelaufen ist, selber beschriften. Sie hat eine Schreibmaschine und spannt die selbstklebenden Ordnerrücken ein, um das Jahr und den Namen für die kommenden Inhalte darauf zu tippen. Das sieht doch wirklich ordentlich und adrett aus, denkt sie. Am nächsten Tag kommt der Chef geschlichen (er trägt immer die Schleicherschuhe, damit er nicht schon von draußen kommend gehört werden kann. Er möchte scheinbar seine Buchhalterin bei etwas Verbotenem ertappen) und er hält ein Lineal in den Händen. Misst die Ordnerrücken ab und schüttelt mehrfach den Kopf.
„So geht das aber nicht“, meint er. „Der Titel muss mittig geschrieben sein und ich möchte, dass wir die Ordner der Firmen (Sümmchen musste zwei Firmen buchhalterisch betreuen) zweifarbig gestalten.“

Jede Firma hatte zwar einen extra Schrank aber immerhin sollte man doch besser die Ordner, um eventuellen Fehlern vorzubeugen, unterschiedlich gestalten. Die eine Firma mit grünen Ordnerrücken und die andere Firma mit gelben Ordnerrücken. Dass alles mit der Schreibmaschine geschrieben wurde, gefiel ihm plötzlich auch nicht mehr.
„Aber Herr Dr. Gartenmeier, das wurde doch schon fünfzig Jahre so gemacht, hat meine Vorgängerin jedenfalls gesagt“. Sümmchen ärgerte sich, denn sie hatte im Schweiße ihres Angesichts bereits einhundert Ordner beschriftet.
Nein, jetzt würden allmählich andere Zeiten anbre-
chen. So etwas wird nun mit dem Computer ge-
schrieben und über den Drucker ausgedruckt, es gäbe da ein entsprechendes Programm. So könne es überhaupt nur wirklich ordentlich aussehen. Anders nicht mehr. Man wäre nämlich eine absolut moderne Firma. Das PC Programm hätte sein Sohn. „Besorgen sie das, Frau Sümmchen, gä.“
Immer dieses „gä“, dachte Sabine Sümmchen. Widerlich.

Also gut, das Programm kann man ja beschaffen. Sabine Sümmchen ging die Treppe hoch, um den Gartenmeiersohn zu suchen. Der war natürlich nicht am Platz. Irgendwann war aber auch die Software in Sümmchens Händen, doch ihr Computer wollte nicht. Es kamen Fehlermeldungen und die Sache ließ sich nicht installieren. Dann eben nicht. Sie legte die CD und den anderen Kram nebst Bemerkungen in die Unterschriftsmappe und widmete sich ihren eigentlichen Aufgaben. Schließlich hatte sie ihre Ordner beschriftet und wenn der Chef nun revolutionäre Änderungen einführen wollte, dann soll er. Sie ist für einen ordentlichen Monatsabschluss zuständig und der stand jetzt an. Jawohl!

Außerdem hatte sie keinen Farbdrucker, denn der Dr. Gartenmeier wollte auch die Jahreszahlen farbig aufdrucken. Am nächsten Morgen als Sabine Sümmchen an ihrem Arbeitsplatz erschien, wie immer etwas früher als vorgeschrieben, saß der Chef auf ihrem Stuhl und versuchte offensichtlich das bekackte Programm zu installieren. Er bekam es auch nicht hin. Wortlos, kopfschüttelnd verließ er mit der Software das Zimmer.
Biene Sümmchen summte ein wenig vor sich hin und kochte sich ihren Tee, morgens trank sie immer noch nebenbei eine Tasse schwarzen Tee mit Milch und Zucker bevor sie sich an die Arbeit machte. Die Morgensonne schien ins Fenster. Sie öffnete zum Lüften die Flügel des großen Fensters und die leicht kühle Herbstluft erfüllte rasch das Zimmer. Die gegenüberliegende Hecke begann sich bereits zu färben. Das sah schön aus. Dann schloss sie das Fenster und drehte ein wenig die Heizung auf. So würde sie es aushalten können.

„Hoffentlich haut der Chef bald ab“, dachte sie, denn ohne ihn im Nachbarzimmer zu wissen, arbeitete es sich noch einmal so gut. Es war Freitag, da würde er sicher bald vom Hof fahren. Meist tauche er dann aber nachmittags wieder auf, um dann in Ruhe arbeiten zu können, sagen die Kollegen. Sabine Sümmchen hatte am Freitag um 12.30 Uhr Feierabend. Sie schaffte ihre Arbeit und musste keine Überstunden machen. Freitag ist ein guter Tag, denn das Wochenende steht vor der Tür. Alle normalen Werktätigen freuen sich und sind deshalb gut drauf. Es ist nun schon zwölf Uhr. Wie wunder-
voll! Aber das Fax machte sich mit einem bestimmten Ton bemerkbar. Oh, Oh.

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Tag der Veröffentlichung: 22.11.2011

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