Sümmchen halte dich raus, dachte unsere Buch-
halterin dann immer. Sie wollte in Ruhe gelassen werden. Nach dem die ersten vier Wochen verstri-
chen waren und die kleine Polin ihren letzten Tag hatte, begann nun der Ernst im Leben der frischen Buchhalterin. Der Chef erschien im Zimmer, um sich von seiner ehemaligen Mitarbeiterin zu verab-
schieden. Immerhin war sie einige Jahre in der Firma beschäftigt und wie es schien eifrig, folgsam, untadelig.
„Sie können sich im Blumenladen ihren Blumen-
strauß abholen“, sagte er ohne eine Miene zu verziehen. „Also, ich wünsche ihnen alles Gute.“ Er gab ihr die Hand, er müsse los und verschwand. Sein Auto hörte man noch, dann war Stille.
Donnerwetter, dachte Sabine Sümmchen. Das war ja eine tolle Abschiedsrede. „Sie können sich ihren Blumenstrauß abholen!“ Das war ja der Hammer. Sie schüttelte den Kopf. Gibt’s denn so was?
Die Polin nahm es gelassen. Sie hätte eigentlich gar nichts erwartet. Das wäre immer so, wenn einer ginge oder gegangen wird. Meist ließe sich der Chef überhaupt nicht sehen, wäre einfach an dem Tag außer Haus. Sie zuckte die Schultern.
„Sie werden noch alles spüren, was hier so los ist, man braucht viel Geduld“, meinte sie und lächelte freundlich, wissend.
Sümmchen nickte und lächelte auch. Sie würde es schon aushalten, was auch immer. Die Frauen verabschiedeten sich und Sabine Sümmchen könne ruhig anrufen, wenn etwas nicht in Ordnung sei oder sie Hilfe benötigen würde. Ja sicher, danke und alles Gute für die bevorstehende Geburt. Pfüati und tschüss. Tür auf und zu. Allein.
Es gab an diesem Tag nicht mehr viel zu tun. Überhaupt war alles Stoßarbeit. Zum Monatsende und Monatsanfang war richtig Stress, dann konnte man wieder in Ruhe arbeiten und bei guter schnel-
ler Arbeit, würde ausreichend Zeit bleiben, auch einmal zu träumen, aus dem Fenster zu schauen oder die ganz privaten Gedanken zu notieren. Im Winter sowieso. Denn hier gab es vorwiegend Saisonarbeit, hieß es.
Das Telefon klingelte. Die Chefin höchstpersönlich. Wollte sie sich etwa per Telefon von ihrer Buchhalterin verabschieden. Das wäre ja fast eine nette Geste. Sabine Sümmchen hatte mit der Frau noch kein Wort gewechselt, geschweige denn sie einmal zu Gesicht bekommen. Manchmal soll sie sich ja im Geschäft sehen lassen, um mit einigen Leuten zu sprechen. Ins Blumengeschäft ließ sie sich manchmal bringen. Die Floristinnen fürchteten diesen Tag.
„Ach, Frau Sümmchen“, tönte es sanft aus dem Telefonhörer. „Sie sind ja ab heute alleine für alles zuständig. Sie haben ja sicher bemerkt, dass ich mich um alles kümmere. Ich will ja immer nur helfen und sicher gehen, dass nichts schief läuft. Wissen sie, ich mache mir stets große Sorgen um meine Firma. Die jungen Leute haben ja heute kein Verantwortungsbewusstsein mehr und sie können nicht beständig sein. Ihre schöne neue Stelle werden sie ja gewiss in Ehren halten. Ich habe ja soviel zu tun und muss den Leuten ständig hinter-
her telefonieren. Kaum ist es Feierabend, schon sind alle weg. Früher hätte sich das keiner getraut. Alle haben Überstunden gemacht, wenn es nötig war. Sie werden schon sehen, wie alles sein muss. Ich schreibe es ja immer wieder auf. Haben sie eigentlich schon jemanden kennen gelernt von den Mitarbeitern?“
Sie sprach leise und ohne Pause, erwartete offen-
sichtlich keine Antwort oder irgendeine Reaktion. Dann redete sie über Mitarbeiter, die Biene Sümm-
chen nicht kannte und deren Frauen. Die eine wäre ja Alkoholikerin.
Die eine wäre ja Alkoholikerin.
„Na ja, wissen sie. Das geht ja überhaupt nicht. Der Mann bringt diese Frau sogar zur Weihnachtsfeier mit. Jeder sah, was los war. Wie finden sie denn so etwas?“
Sie hielt erstmalig inne.
Sabine Sümmchen war das Gesülze schon längst lästig geworden, doch sie hörte höflich zu und nun war sie wohl doch aufgefordert, irgendetwas zu sagen. So sagte Sümmchen freundlich aber bestimmt:
„Ja, ich kenne eigentlich hier noch niemanden und die Ehepartner natürlich auch nicht. Deshalb kann ich eigentlich gar nichts sagen und in die privaten Geschichten möchte ich mich wirklich nicht einmi-
schen. Jeder hat ja sein Päckchen zu tragen. Wenn sie aber etwas Dienstliches im Rahmen der Buch-
haltung wissen möchten, wenn ich etwas für sie heraussuchen soll, dann werde ich dies natürlich sofort erledigen.“
Es kam zunächst nichts, dann nur ein ziemlich spitzes Nein, sie hätte jetzt keine Wünsche, würde dies sicher zu äußern wissen, wenn ihr es ange-
bracht erscheinen würde. Dann ein Knacken. Aufgelegt.
Sümmchen war verblüfft. Hatte sie etwas Falsches gesagt. Warum war die Frau so angestochen und konnte nicht einmal den üblichen telefonischen Abgesang loslassen? Man sagt doch wenigstens auf Wiederhören oder etwas Ähnliches und legt nicht abrupt auf, zumal sie, Sabine Sümmchen, doch die neue, frische Mitarbeiterin war. Normalerweise werden neue Kollegen freundlich Willkommen geheißen. So kannte man das. Hier schien der Umgang mit dem Personal irgendwie anders abzulaufen. Scheusale haben eine eigene Philo-
sophie. Sie hat nichts mit den Menschen zu tun, sie dient nur ihrem persönlichen Ego. Ich bin mir selbst der Nächste. In der Bibel steht der Satz irgendwie anders formuliert. Aber Sümmchen war nicht bibelkundig. Fakt war eines: die Frau des Chefs hatte mehrere Probleme, die sich nicht in und mit Fröm-
migkeit lösen ließen. Sollte da etwa der Teufel?...
Sabine Sümmchen wollte nun nicht mehr über Frau Gartenführer grübeln. Sie räumte alles auf, so wie es ihr angeschafft wurde. Nichts durfte herum-
liegen, auch keine lose Büroklammer. Die Tische waren absolut leer. Das Fenster geschlossen, der Computer ausgeschaltet. Keine Schranktür war angelehnt. Alles lupenrein und clean. Sie nahm die Ausgangspost an sich, um sie nun zur Post zu bringen. Das gehörte zu ihren Aufgaben.
In dieser Firma war die Buchhalterin auch gleich-
zeitig Mädchen für alles. Das war nicht schlimm, wenn sie nicht auch Fußabtreter für jeden gewesen wäre, zumindest für jeden der zur Führungsclique gehörte.
FORTSETZUNG FOLGT
Tag der Veröffentlichung: 21.11.2011
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