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Eine Buchhalterin ist nichts Besonderes, sie ist nur ausführend und hat eigentlich nichts zu melden, sitzt ganz unten auf dem Treppchen der Hühner-
leiter. Na und? Die Arbeit muss auch getan werden und irgendwie ist sie wichtig. Eine Buchhalterin ist nämlich eine Vertrauensperson. Zahlen sind immer geheim, denn sie zeigen dem Kundigen das Innen-
leben einer Firma und das kann peinlich sein.

Nun, Sabine Sümmchen machte einen guten Eindruck. Kinder konnte sie nicht mehr kriegen, gesund und belastbar wäre sie unbedingt. Natürlich auch immer frei für die Firma, denn da war keine Familie.
Also alles in Allem: immer bereit, immer verfügbar. Genau das schien der Gartenführer zu brauchen: eine erfahrene alte Krähe, die weiß worauf es ankommt, die eventuell auch mit seinem Scheusal zu Hause zurecht käme. Frauen in dem Alter kündigen nicht mehr, sie harren eisern aus bis zur Rente und würden alles ertragen, notfalls auch die Giftspritzen seiner Frau, dachte er. Also entschloss er sich, Sabine Sümmchen einzustellen. Die ahnte nicht, was sie erwartete.

Zunächst musste ihr der Ablauf erklärt werden und natürlich die heilige Ordnung des Büros, welches ein wenig wie ein Krankenhauszimmer anmutete, nur eben ohne Bett und ohne das Blümchen auf dem Nachtisch, welches der Besucher das letzte Mal mitbrachte. Die Firma befasste sich zwar mit Pflanzen, es gab auch einen recht ansehnlichen dazugehörigen Blumenladen, aber in den Büros duldete man keine Pflanzen, halt nichts Privates. Es sollte nur Arbeitsatmosphäre ausstrahlen, Neutra-
lität und Korrektheit eben. Bilder von Angehörigen oder private Bilder für die kahlen Wände waren nicht erwünscht, auch kein Radio oder gar ein privates Handy. Das liebte man nicht, denn es würde die Mitarbeiter nur ablenken.

Sabine Sümmchen war irritiert, sagte aber nichts. Sie würde ein Büro für sich allein haben und das große Fenster bot einen sehr schönen Blick nach draußen. Das sah man sofort. Die kleine Polin erklärte geduldig alles, was sie wusste und freute sich auf ihren letzten Tag. Warum auch nicht, sie war ja auch schon sehr schwer schwanger und quälte sich bereits ein wenig.

Es gab diverse Kästen, in denen die Post vorsortiert wurde. Das Erledigte und Unerledigte selbst-
verständlich sauber getrennt. Der Chef sah sofort, was noch nicht bearbeitet war. Es sollte besser nicht all zu viel sein. Für die Post gab es mehrere Unter-
schriftsmappen, in die die Briefe und alles, was sonst noch so einging, mit einem Tagesstempel versehen (rechts oben), einzuordnen war. Der Chef sah die Mappen durch und zeichnete jedes Käse-
blatt ab. Er hatte alles gesehen, hieß das. Manchmal schrieb er eine kleine Weisung dazu: BR (das heißt bitte Rücksprache) oder nur „bearbeiten“, meist aber gar nichts, denn eine Buchhalterin weiß, wie sie mit dem vielen Papier zu verfahren hat.

Der Chef sagte meist nichts, dann war alles soweit in Ordnung. Wenn er sprach, dann äußerte er fast im Flüsterton aber mit Leichenbittermiene nur sein Missfallen über irgendein Versäumnis oder schlimmstenfalls über einen von ihm entdeckten Fehler. Die Buchhalterin bemerkt einen Fehler meist selber als erster und korrigiert ihn sofort. Somit gäbe es keinen Grund zur Kritik. Doch manchmal will der Chef wissen, wie dieser Fehler passieren konnte, dann heißt es aufpassen und sofort eine plausible Begründung abgeben, sonst hat eine Buchhalterin ganz schlechte Karten. Fehler werden nämlich nicht verziehen. Lob oder anerkennende Worte fehlten gänzlich. Smalltalk oder gar der Austausch privater Unverbindlichkeiten gehörten seiner Meinung nach nicht in den dienstlichen Alltag.

Warum der Chef so verkrampft und unerbittlich war, erfuhr unsere Buchhalterin erst so nach und nach. Es gibt immer Gründe, warum ein Mensch so unumgänglich ist. Er ist nicht von Geburt wegen ein Scheusal. Es muss mindestens ein zweites Scheu-
sal (wir wissen, es saß verbiestert zu Hause, seine Scheusalfrau) geben, welches ihn mit seiner permanenten Boshaftigkeit dazu allmählich mutie-
ren lässt.

Die Buchhalterin hatte nur zwei Möglichkeiten: entweder sie würde auch ein Scheusal werden oder sich ein dickes Fell wachsen lassen, falls dies im Bereich des Möglichen läge. Es hört sich leicht an dieses Arbeiten, Nicken, Mundhalten, Lächeln. Scheusale lächeln nie oder nur zynisch. Das ist für einen normal veranlagten Menschen schwer nach zu vollziehen. Die Buchhalterin beschloss zu versuchen, auf keinen Fall ein Scheusal zu werden. Sie wollte nur ihre Arbeit zur Zufriedenheit absol-
vieren. Mehr nicht. Manchmal ging das sogar recht gut.

Der Lichtblick war immer das Fenster..
Es bot Aussicht auf einen großen Bambusstrauch und eine kleine Wiese, die durch eine übermanns-
hohe Laubhecke begrenzt wurde. Sehr schön anzuschauen, selbst im Winter, wenn der Schnee alles bedeckte. Nicht alles, denn der Bambus blieb stets grün und seine Zweige bewegten sich sanft auf und nieder, erlaubten den Sonnenstrahlen zu tanzen und wundervolle Schattenspiele auf dem halb heruntergelassenen Rollo zu zaubern
Doch eine Buchhalterin muss buchen. Sie hat Termine und es muss stimmen. Sie darf sich nicht ablenken lassen. Eine richtige Buchhalterin schaut nicht verträumt aus dem Fenster und beobachtet gedankenverloren die umherhüpfende Amsel, die im Frühling zwischen den gelben Butterblumen scheinbar Gutes, welches sich aufzupicken lohnt, findet. Sie sieht nicht dem flinken Eichhörnchen nach, welches durch die Hecke schlüpft und auf der anderen Seite an einem Nadelbaum empor läuft. Ja, wenn es denn eine richtige Buchhalterin wäre. Sie ist aber keine und schaut halt zuweilen sinnend aus dem Fenster und nimmt die Natur wahr. Das entschädigt für vieles.

Da war aber noch immer Frau Gartenführer. Ach, ja das Scheusal im Hintergrund! Man durfte sie nicht vergessen. Zunächst musste sie auch die gesamte Post zur Unterschrift erhalten. Die Mappen kamen also zurück mit dem Wilhelm des Gartenführers im Stempel, dann alles in eine Riesentasche und quer zur Laufrichtung neben das Chefzimmer stellen, damit die Putzfrau oder halt der Chef persönlich die Tasche mit nach Hause nahm. Irgendwann kam dann das Monstrum von schwarzer Tasche wieder zurück zur weiteren Bearbeitung.

Natürlich waren überall Zettel mit mehr oder weniger sinnlosen Arbeitsaufträgen angeheftet. Zum Beispiel: Buchungssatz bitte in schwarzer Schrift links oben oder das nächste Mal: "Rostige Büroklammer aussondern!" Einmal erhielt Sabine Sümmchen die furchtbar nette Aufforderung, nicht ständig doppelt zu lochen. Das müsste doch zu machen sein. Auch das Klammern wäre nicht immer korrekt. Wenn die Klammer hinten verbogen sei, dann könne ja sich schließlich alles wieder lösen. Diese und ähnliche Sätze waren immer in sehr guter Handschrift auf gelben oder roten Handzetteln vermerkt. Alles immer mit bitte und danke versehen, Unterschrift und Datum fehlten nie.

Sabine Sümmchen hielt anfangs das Ganze für einen Witz und schmiss die Zettelchen milde lächelnd in den Papierkorb. Bis sie erfuhr, dass es sich keineswegs um Scherze handelte. Das waren alles ernstzunehmende Fehler. Sie sollten sich nicht häufen. Der Chef erhielt natürlich auch diese Zettel mit den geistreichen Hinweisen, nur dass es ihm sicher furchtbar peinlich war, wenn man sie entdeckte. Meist entfernte er diese, doch manchmal halt unabsichtlich auch nicht. Die Kollegen erzählten so sacht das eine oder andere, in den Büros ist man geschwätzig. Man kann das nicht unterbinden. Die Leute begegnen sich das eine oder andere Mal und sprechen miteinander, obwohl die Oberen es nicht gern sahen.

„Ja mei, wissen sie das denn noch nicht Frau Sümmchen, die Gartenführers reden doch schon lange nicht mehr miteinander. Die verkehren nur noch schriftlich. Man ist sich spinnefeind. Hier ist fei jeder gegen jeden. Nur wenn es gegen die Leute geht, dann sind sich die da oben immer einig, gä.“

„Ach, so, sagte dann immer Sabine Sümmchen, das ist ja nicht so schön, und lächelte unverbindlich, nett.“
Sie hatte immer wenig Zeit und saß ja auch alleine unten in ihrem Büro, erfuhr kaum etwas. Man traute ihr auch nicht so schnell über den Weg. Alle waren hier sehr vorsichtig. Aber „die Gartenführers“ konnte keiner riechen, das war offensichtlich.

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Tag der Veröffentlichung: 20.11.2011

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