Die Buchhalterin 3. Teil
Die Schwiegereltern zogen sich aus Altersgründen aus dem Geschäft irgendwann zurück und unser Gartenführer war nun fast alleiniger Chef. Nein, da war ja noch Frau Gartenführer nebst Bruder (die anderen Brüder hatten ihre Gartenfirmen in anderen Teilen Bayerns). Sie war früher auch die oberste Buchhalterin der Firma. Sie schwang ein gestrenges Zepter, wusste alles, konnte alles und hatte die Kohle. Sie hatte auch immer Recht, duldete keinen Fehler und kontrollierte jeden unerbittlich. Eine kluge Frau, die ihr Geschäft verstand, auch ohne akademischen Titel (aber es ärgerte sie, dass sie keinen hatte). Ihr Mann hatte nichts zu lachen, die Angestellten auch nicht.
Schließlich war man nicht zum Lachen auf der Welt und in der Firma sowieso nicht. Jeder wusste das. Es wurde also lieber nicht gelacht, nur heimlich, wenn Frau und Herr Gartenführer nicht im Hause waren. Zum Glück waren sie oft außer Haus. Ohne lachen zu dürfen, selbst am Arbeitsplatz, geht nämlich der Mensch wie ein Pflänzchen ein, welches keine Sonne abbekommt. Oder er wird selber scheußlich grau und entwickelt Gifte. Das passiert auch.
Ja, und dann waren da noch der Glaube, die Frömmigkeit, das Vaterunser eingerahmt unter Glas, mahnend an der Wand der Teeküche und die schmückenden Kreuze in den Büros. Sabine Sümmchen war nicht religiös, aber auf einen Herrn mehr oder weniger kam es ihr nun auch nicht an. Wenn man sie nicht bekehren wollte und sie einfach in Ruhe arbeiten lassen würde, dann wäre das mit dem Vaterunser im Frühstücksraum auch egal. Mein Gott, soll doch jeder glauben was er will. Die Führung des Hauses gab sich jedenfalls furchtbar fromm. Die Buchhalterin führte unter anderem auch die Kirchensteuern des Gartenführerpaares ab.
Sollten sie ruhig fromm sein, doch offensichtlich nützte dies ihnen wenig, denn Frau Gartenführer wurde sehr krank. Die Kollegen erzählten, dass der Chef sich sehr um seine Frau kümmerte und sie von Arzt zu Arzt brachte, sie auch lange hinge-
bungsvoll pflegte. Seine Mühe war vergeblich. Nichts half, die Krankheit nahm einen bösen Verlauf und fesselte die bedauernswerte Frau an den Rollstuhl. Damit ging das Berufliche auch den Bach herunter. Der Gartenführer musste eine Buchhal-
terin einstellen. Die Kranke wollte aber von Zuhause aus weiterhin alle Kontrollarbeiten durchführen und die Geschicke der Firma nicht aus dem Auge lassen. Sie musste irgendwie im Geschäft bleiben. Das war schwer, denn die Krankheit nahm immer breiteren Raum ein und offensichtlich brachte sie auch alle erdenklichen bösen Charaktereigenschaften ganz besonders gut zur Geltung. Diese gediehen präch-
tig, wurden zum Lebenselixier.
Die verzweifelte Frau drangsalierte nun alle, intrigierte und hetzte von weitem, was das Zeug hielt, glaubte auch ihren Mann ständig impertinent dirigieren zu müssen. Keiner konnte ihr nun je noch etwas gut und richtig machen. Auch ihr angetrauter frommer Gartenführer nicht, der sie sogar buch-
stäblich auf Händen in die Kirche (zur Buße, wie er sagte) zum Gottesdienst trug, und ihre erwach-
senen Kinder ebenfalls nicht. Sie war verbittert, mit Gott und der Welt uneins, verfeindet mit allen. Der Tumor ließ sie nicht in Frieden, kurz sie wurde ein absolutes Scheusal feinster Güte. Jeder der anfangs noch Mitleid empfand, hasste sie inzwischen wie die Pest, denn sie brachte es in kürzester Zeit fertig, jeden, der ihr zu nahe kam, oder den sie sich gerade als Opfer auserkoren hatte, von hinten in die Brust zu schießen.
Die ehemalige junge Buchhalterin hielt das aus, denn sie war froh, hier arbeiten zu dürfen. Sie kam aus Polen und wollte in Deutschland eine Familie gründen. Sie war eine sehr gute und gelernte Buchhalterin, sprach ausgezeichnet deutsch und war streng katholisch. Sie hielt alles aus und begehrte nie auf. Sie litt jahrelang stumm und verbissen, dennoch immer mit freundlichem Gesicht. In Wirklichkeit ging ihr alles mächtig auf den Keks und sie wollte irgendwie die Kurve kriegen.
Und wie es halt so ist, junge verheiratete Frauen werden manchmal auch schwanger, nicht weil sie ihren Arbeitgeber nicht mögen, das wäre fatal und würde gewiss zu Überbevölkerungen führen. Also das ist nicht der Grund, warum junge Frauen so mir nichts dir nichts einfach schwanger werden. Es ist schlicht das Normalste der Welt. Es passiert. Man sollte sich darüber freuen.
Nein, man nahm es ihr übel. Die Chefin sagte, dass man heutzutage einen so guten Arbeitsplatz nicht wegen einer Schwangerschaft aufgibt. Die Polackin könne sich doch wenigstens um eine Unterbringung des Babies kümmern. Sie hätte früher schließlich auch immer gearbeitet und hätte kein Babyjahr in Anspruch nehmen können. Alle Seiten waren daraufhin nun hochgradig verärgert.
„Du hast die ja eingestellt. Jetzt sieh zu, dass du eine Neue findest. Wenn’s geht keine, die auch gleich wieder ein Kind bekommt“, keifte sie ihren Mann, unseren armen Gartenführer an.
Ja, natürlich würde er sich kümmern, denn die Arbeit der Buchhalterin müsse unbedingt nahtlos fortgesetzt werden. So setzte er eine Annonce in die Zeitung und es meldeten sich eine Reihe von willigen Frauen, auch Sabine Sümmchen sprach vor.
Sie suchte eine gute Arbeit in der Nähe ihrer Wohnung. Die vorherige tägliche, unerträgliche Fahrerei hatte sie gründlich satt. Sie war Anfang fünfzig, geschieden und nach einem turbulenten, privaten und beruflichen Leben auf der Suche nach einer ruhigen, soliden Arbeit am Schreibtisch. Ja, meinetwegen auch als Buchhalter, wenn es denn nichts anderes gäbe. Nein, in dem Alter darf man bei der Arbeitssuche nicht wählerisch sein. Man muss zugreifen, wenn sich überhaupt etwas bietet. Schließlich gehört man in diesem biblischen Alter zu den schwer Vermittelbaren, falls man denn unglück-
licherweise in die Arbeitslosigkeit gerät, aus welchen Gründen auch immer. Auch das passiert. Man ist ein Problembürger, ein gesellschaftliches Sorgenkind. Wer will das schon freiwillig sein?
Nein, Sabine Sümmchen war ja noch kein Sorgen-
kind, kein Sozialfall, sie hatte ja Arbeit. Sie wollte nur ihre Lebensqualität verbessern. Sie wollte von der Straße. Also sie hatte keine Lust mehr auf Staus, Unfallgefahren und Freizeiteinbußen, ausufernde Spritkosten. Sie beabsichtigte, sich nur zu verän-
dern. Buchhaltern, das konnte sie auch. Zwangsläufig hatte sie sich früher damit jahrelang unter anderem beschäftigen müssen. Klagen gab es da nie, Buchhaltung ist ein Routinejob.
"Ich kann das machen, um meine Brötchen zu verdienen", dachte sie. Dann geht man nach Hause und der berufliche Alltag ist erledigt. Was ist dabei? Sabine Sümmchen wollte keine Karriere mehr, nur in Ruhe die erforderliche Knete verdienen und zwar durch ehrliche Arbeit. Das müsste doch zu schaffen sein.
FORSETZUNG FOLGT
Tag der Veröffentlichung: 19.11.2011
Alle Rechte vorbehalten