Nackt durch Berlin
Genauer müsste es heißen:
Nackt durch Berlin-Karlshorst! Das war früher im Jahre 1954 ein ziemlicher Skandal, zumindest für eine Mieterin in unserem Zweifamilienhaus.
Wir bewohnten es von Anfang an, denn es gehörte den Eltern meiner Mutter, die zunächst selber in diesem sehr schönen Haus mit Garten lebten. Meine Mutter wurde hier geboren und ich dreißig Jahre später auch, sogar im selben Zimmer. Kurz nach meiner Geburt verzogen meine Großeltern nach Westberlin. Am Ende meinetwegen, meine Mutter weiß das auch nicht so genau. Der Verdacht ist nicht ganz unbegründet, denn ich habe immer ziemlich viel und lange geschrieen, war sehr oft krank und man hörte mich im ganzen Haus kra-
keelen. Die Wohnung unter uns wurde frei und rasch zogen Mieter ein. Damit begann die Leidens-
zeit meiner Mutter. Die Frau mochte meine Mutter nicht und uns, ihre Kinder, ebenso wenig. Wir waren ihr wohl zu laut und zu frech.
Unseren guten Schäferhund mochte sie ebenfalls nicht, obwohl der nie bellte und sehr gut erzogen war. Er war mein bester Freund und Spielgefährte. Einmal hörte ich die Frau zu einem Nachbarn sagen, dass sie der Töle eines Tages Rattengift hinlegen würde.
„Der frisst sowieso nüscht von dir“, rief ich ihr sofort empört zu und rannte zur Hundehütte, um den Hund zu warnen. Ich hatte Recht, der Hund nahm grundsätzlich kein Futter von Fremden aber ich habe ihm trotzdem zur Vorsicht alles gesagt, auch meine Eltern am Abendbrottisch von den schlimmen Plänen der Alten unter uns unterrichtet.
„Das wagt sie nicht!“ rief meine Mutter laut und wütend. Mein Vater beruhigte sie, der Hund nimmt nichts, der ist schlauer als deine „Freundin“. Er beabsichtigte aber trotzdem dem Ehemann der bösen Frau von ihrem Ausspruch in Kenntnis zu setzen. Die Männer kamen ganz gut miteinander aus.
„Sie ist nicht unsere Freundin“, mischte ich mich ein. Mutti nickte. DIE, niemals.
Etwas später passte mich die Frau im Garten ab und fasste mich am Ohr.
„Du bist ein ganz freches Kind und verleumdest mich bei deinem Vater. Mache das nie wieder. Sonst passiert was.“ sagte sie drohend.
„Und dein Papa, wenn der noch einmal in meine Wohnung kommt, um mit unserem Papa schlecht über mich zu sprechen, dann wird er im Klo runtergespült“, sagte sie noch und lachte ganz furchtbar dabei.
Ich fand das nicht witzig und als sie mich endlich losgelassen hatte, rief ich ihr hinterher, dass mein Papa in kein Klo der Welt reinpassen würde.
Vor dem Schlafen, als Papa mir Gute Nacht sagte, fragte ich ihn was „verleumdet“ ist und fügte hinzu, dass er ganz bestimmt in kein Klo reinpassen würde. Er erklärte mir alles und wollte nun aller-
dings genauer wissen, was es mit dem Klo auf sich hatte.
Ich glaube er musste sich sehr beherrschen als er von den Runterspülplänen unserer Nachbarin hörte, aber er versicherte mir ruhig, dass er in der Tat in kein Abflussrohr hinein passte und der Hund würde auch nicht vergiftet werden, soviel sei sicher.
Mir ging die Drohung der Frau lange nicht aus dem Sinn. Vielleicht würde ich ja durch das Klo passen, vielleicht hatte sie ja ein anderes als wir und sie würde mich beim nächsten Mal erwischen und runterspülen. Eine grausige Vorstellung!
Es war Hochsommer und sehr warm. Ich spielte im Garten mit unserem Hund, versuchte ihn auch in die Zinkbadewanne zu hieven aber er machte sich steif und wollte partout nicht einsteigen. Ich spritzte ihn zur Strafe und umkreiste ihn lachend und schreiend. Der blöde Köter ließ alles geduldig ohne einen Mucks über sich ergehen. Die böse Nachbarin hatte ich in ihrem Liegestuhl hinter einem Busch nicht bemerkt. Plötzlich schüttelte sich der Hund und starrte in eine Richtung. Da sah ich sie schon antraben. Ihr Gesicht verhieß wenig Gutes.
Ich musste ihr unbedingt entkommen, aber wohin so schnell. Mutti war einkaufen. Das Haus war abgeschlossen, sie würde ja gleich wiederkommen.
Ich also, so wie ich war, wetzte splitternackt und wie der Wind am Haus vorbei, durch den Vorgarten, auf die Straße, der Hund rannte freudig nebenher. Ich lief um mein Leben und der Hund immer mit. Irgendwann war mir die Puste ausgegangen aber wo war ich plötzlich? Die Häuser kannte ich nicht.
Ich weinte ein bisschen vor mich hin. Der Hund leckte mir übers verheulte Gesicht und legte seinen großen Kopf auf meinen kleinen Schoß. So saß ich nackend und ratlos auf einem Bordstein bis irgendwann ein Polizist mich an der Hand ergriff und mir sagte, dass ich keine Angst haben muss, er würde mich jetzt nach Hause bringen.
Meine Mutter wartete schon weinend am Gartentor und freute sich wie verrückt als wir wieder da waren. Der Hund wedelte mit seinem Schwanz.
„Die Anzeige wegen Vernachlässigung der Aufsichtspflicht und unzüchtigem Verhalten ihrer kleinen Tochter streichen wir natürlich“, sagte er grinsend. „Der Hund hat gut aufgepasst“, meinte er noch und tippte an seine Mütze.
„Mit ihrer Nachbarin müssen sie aber ein ernstes Wort reden, die Kleine hatte Angst im Klo runtergespült zu werden. Man darf doch den Kindern nicht mit so einem Quatsch Angst und Schrecken einjagen.“ Dann ging er.
Der Hund erhielt eine Leberwurststulle. Er hatte mich ja nicht verlassen und mich durch seine Anwesenheit sehr getröstet.
„Die Frau wird dir bestimmt niemals etwas zuleide tun, dafür habe ich jetzt endgültig gesorgt“, sagte Papa abends vor dem Schlafen zu mir und ich versuchte ihm zu glauben. Es stimmte, mich ließ sie in Ruhe, auch wenn ich herumlärmte, doch Mutti musste noch so allerlei ertragen aber das wären wieder ganz andere Geschichten.
>>>>>>> Unser Haus in Karlshorst - wir wohnten oben.
Ausflug mit Mutti
Helgchen badet im Müggelsee
Sonntagsausflug zum Ehrenmal
Papa
Tag der Veröffentlichung: 15.11.2011
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