Cover


Nachsaison



Wir lieben das Reisen, denn es bildet, sagt man jedenfalls. Man kann so Allerlei erleben, wenn man sich auf das Abenteuer Busreise einlässt, soviel ist sicher. Uns war schon klar, dass man sich einer gewissen Gruppendisziplin unterwerfen muss aber wir ahnten nicht, dass eine Urlaubs-Nachsaison, in der in der Regel nur Rentner oder Diejenigen, die keine schulpflichtigen Kinder haben, unterwegs sind, so stressig sein könnte. Eigentlich hofften wir auf eine gemütliche Reise, die viel Sehenswertes und das ganz in Ruhe bieten würde.
Die Gemütlichkeit eines Bussitzes hält sich in Grenzen, das ist klar, doch dass die gefühlte Hälfte der Reiseteilnehmer im Fünfminutentakt beängstigende Hustenstöße in die Busatemluft herausließ, einer davon direkt hinter mir, war nicht vorherzusehen.

Die Reise startete um 2.30 Uhr, wir hatten vorher also keinen Schlaf und danach aus den erwähnten Gründen auch keinen, mal abgesehen davon, dass alle zwei Stunden eine Toilettenpause eingelegt wurde, obwohl ein diesbezügliches Kämmerchen im Bus aufgesucht werden konnte. Die Raucher dankten es dem Busfahrer auch, sie gehörten im Übrigen zu den allerschlimmsten Hustern. Das Ganze brachte uns zwei Stunden mehr Fahrtzeit ein. Wir waren erstaunt, wie gut die älteren Leute so eine Strapaze aushalten können. Sie schienen alle sehr zäh zu sein und zudem auch buserfahren, denn Decken und Schlafhörnchen, auch Essen und Trinken hatte man reichlich dabei. Die vierzehn Stunden Fahrt haben mir jedenfalls gereicht. Ich hatte genug.

Unser Hotel in der Versilia Toscana in Marina di Pietrasanta, einem reinen Badeort, war akzeptabel. Die Betten waren gut und der kleine Balkon gestattete einen wundervollen Blick aufs rauschende Meer. Ein breiter Sandstrand, menschenleer, bot sich uns an. Das war nach meinem Geschmack. Doch das genüssliche Baden in den warmen Wellen war erst später möglich, schließlich kommt erst „die Arbeit“ und dann das Vergnügen. So sind wir am nächsten Tag schon um 6.30 Uhr aufgestanden, um uns dem ersten Ausflug hinzugeben.

Nach einem einfallslosen Frühstück alle Mann in den Bus und … andiamo! Nicoletta, die italienische Reisbegleitung, plapperte sofort munter drauflos, planfrei und durcheinander, was ihr halt gerade so einfiel. Viel war es nicht. Das Ziel war Portovenere und Portofino, malerische Küstenorte, die ohne Frage ein zauberhaftes Ambiente boten, wenn nicht die furchterregenden Touristenmassen unterwegs gewesen wären und das in der Nachsaison.
Nun, es war Samstag und das Wetter ließ keine Wünsche offen.
Der Himmel von einem strahlenden Blau, und die liebe Sonne brachten hochsommerliche Temperaturen zustande. Somit hatten wir optimale Lichtverhältnisse, um die unendlichen Motive fotografisch festzuhalten.Ich versuchte, die Menschen-
massen zu übersehen, die sich durch die Gassen schoben. Das war nicht immer leicht, insbesondere beim Einschiffen oder später beim Einsteigen in die Züge, wir waren nämlich sehr kombiniert unterwegs.

Die Reiseführer hatten es nicht einfach, ihren Zeitplan durchzusetzen. Man war immer in Druck, konnte selten solange verweilen wie man eigentlich wollte, vom Toilettensyndrom ganz zu schweigen, hier war häufig der eine oder andere Verzweifelte verschollen. Kurz, die Nachsaison brachte wenig Gemütlichkeit aber Portovenere und Portofino sind und bleiben eine Wucht, vorausgesetzt man kann die Preise übersehen und über die Andenkenlädchen lächeln.
Wir beobachteten die Leute, labten uns an einem Eis und schlenderten herum, fotografierten die Traumbuchten, die bunten Häuserzeilen, die nach italienischer Manier auch zahlreiche Wäschestücke, im Winde flatternd, zeigten und fanden alles hochinteressant.

Am Abend schauten wir in unserem „Heimatort“ wieder dem Treiben der Menschen zu, den Anglern auf der ganz fantastischen Seebrücke, den Surfern, auch die kleineren Sandstürme, die den Strand entlang sausten, erregten unsere Aufmerksamkeit. Würden wir baden können, die bange Frage?
Wir genehmigten uns in einem schönen Cafe´ einen Espresso, einen Kaffee Americano, dazu ein süßes Teilchen und ließen uns etwas später im Hotel unser Essen schmecken, welches einfach aber gut war. Am nächsten Tag hieß es wieder zeitig aufstehen, denn es ging in die Cinque Terre, erst mit dem Bus, dann mit der Bahn.

Die Bahnfahrt war eine Herausforderung, auch für unseren Führer Lorenzo, der uns unterwegs noch im Bus sehr viel über Land und Historie zu erzählen wusste. Die Gegend hätte „von Alles ein Bisschen“, meinte er. Das Meer, die Apuanischen Alpen, ein mildes Klima, welches Palmen und Pinien, Oleander und zahlreiche andere blühende Pflanzen wachsen lässt und nicht zuletzt die KUNST. Die Carrara- Marmorfelsen prägen Vieles. Schon Michelangelo wirkte einst in dieser Region.
Wir fahren an den weißen Bergen vorbei, verlassen die Toscana und erreichen Ligurien, wollen etwas von den fünf Dörfern der italienischen Riviera sehen. Wir durchfahren sie mit der Bahn, in die wir nur mit Müh’ und Not einsteigen konnten. Menschen über Menschen versuchten Ähnliches. Das Tolle: keiner ging verloren, weder die Frau mit der Gehhilfe, noch der fast blinde Mann!
Lorenzo drängte aber immer wieder …“andiamo!“, rief er und hielt die Hand hoch. Er war nicht zu übersehen, der lange Kerl hatte eine Kelle mit Nummer, hinter der alle zu trotten haben, nicht nötig. Zu blöd aber wir mussten mit und uns sputen, auch die ganze Via dell’ Amore entlang, einem Pfad am Meer, von Riomaggiore nach Manarola.
Der so genannte Liebespfad war der blanke Horror, weil nämlich etliche Busladungen mit Touristen, diesen eigentlich wunderschönen Weg, gnadenlos bevölkerten. Damit wurde er quasi total entzaubert, für die Liebe war weder Zeit, noch Einsamkeit, Stehen bleiben und fotografieren war nur mit Verursachung eines Menschenstaus möglich. Die Rückfahrt mit dem Zug war ebenfalls eine ziemliche Katastrophe. Von der Landschaft sieht man in ihm nicht viel, denn die Fahrt geht hauptsächlich durch Tunnel.

Die 5terre hat sich gemausert, heißt es. Sie ist touristisch geworden, selbst in der Nachsaison überfallen Menschenströme die Dörfer. Schade eigentlich, aber man lebt von ihnen. Die steilen Weinberge, die vielleicht früher Haupterwerb waren, sind es wohl nicht mehr. Aber Wein wird noch hergestellt und er schmeckt auch. Die Cinque Terre muss man sich sicher zu Fuß erwandern, um sie wirklich kennen zu lernen. Doch die steilen Hänge sind garantiert auch ein ziemlicher Knochen, meinen wir und schauen aus den Busfenstern in eine zuweilen etwas schroff wirkende Landschaft, die so anders ist als die toskanische. Gerne hätten wir mehr gesehen.

Den nächsten Tag haben wir uns frei genommen, sind einfach nicht mitgefahren, denn in Lucca und Siena waren wir schon. Ich hatte zudem genug vom Gruppentourismus. Eine gute Entscheidung! Wir sind mit dem Linienbus als fast einzige Fahrgäste nach Pietrasanta gefahren, einem wunderbaren kleinen Künstlerstädtchen, fünf Kilometer vom Badeort entfernt, um uns an den tollen Marmorstatuen in aller Ruhe zu erfreuen. Das war wirklich schön und sehr erholsam. Es herrschte am Montag sonntäglicher Frieden. Wir wanderten glücklich zu zweit herum, fotografierten und gönnten uns sogar eine kleine Einkehr.

Am Nachmittag badeten wir ausgiebig im Meer vor unserem Hotel, der Strand war fast leer, die Wellen moderat und das Wasser angenehm warm.
Ein sehr schöner Abschluss der Reise. Über die Busrückfahrt will ich kein Wort verlieren. Diese Art zu reisen ist nicht unser Ding aber um eine Erfahrung mehr und dennoch mit sehr vielen schönen Reiseeindrücken bereichert, landeten wir wohl-
behalten wieder in unserem Wiesbaden.

Wieder zuhause zu sein, ist auch schön, auch wenn wir nun mehr als zehn Grad weniger erdulden müssen. Es ist inzwischen Herbst geworden.


Bilder aus der besuchten Region>>>>




Impressum

Tag der Veröffentlichung: 17.10.2011

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /