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Der Kuss-Stuss




Meine Güte der Tag des Weltkusses, der Tag des Kusses überhaupt, ist festgelegt und angeordnet, dabei wollte ich an dem Tag gar nicht.
Es ist mir furchtbar peinlich, aber ich hatte unser Essen mit Knoblauch verfeinert und außerdem war ich genau an diesem Tag mit einem bösen Mundwinkel gestraft, falls jemand überhaupt weiß, was das ist. Die Küsserei wäre somit ein beknackter Reinfall für die Beteiligten geworden.

Die Romantik war sowieso schon weg, weil’s ein von oben angesagtes Küssen gewesen wäre. Mir war es jedenfalls vergällt. Im Radio kamen laufend Glossen und Erinnerungen an diverse Kussszenen, wie Breshnew und Honecker in seliger Kussverschmelzung. Wenn ich das Bild vor meinem geistigen Auge sehe, dann bekomme ich gleich Lippenherpes in Reinkultur und eine Ekelsgänsehaut.

Aber Küssen ist natürlich und gesund, es muss besungen werden, natürlich nicht nur wegen des gesunden Aspektes. Wir alle aber wissen, da steckt mehr dahinter und jeder behauptet ein großer Küsser vor dem Herrn zu sein. Manch einer küsst sogar diesen und das mit großer Inbrunst. Wenn ich sehe, wie in manchen Kirchen Ikonen oder Hände, Kleidersäume, Bibeln, Kreuze und derlei mehr geküsst werden, dann wende ich mich lieber ab. So ein bisschen Knoblauchodem dabei erscheint mir dann doch ungleich harmloser und netter, auch gesünder.

Jetzt fällt mir noch die ganze Bussi-Bussiszenerie ein: Männlein wie Weiblein umarmen sich und schmatzen sich mehr oder weniger intensiv aber hemmungslos auf die Wangen, einmal rechts und einmal links. In Wirklichkeit wünschen sie sich die Pest an den Hals. Geht’s noch?

Also, was ich einmal sagen möchte und das ganz im Ernst: Wir brauchen keinen Tag des Kusses. Die Menschen machen davon mehr als erträglich Gebrauch. Wer will überhaupt einen angesagten, festgelegten, aufgezwungenen Kuss? Jeder hat das Recht sich zu verweigern, unsere Professionellen, also die vom uralten Gewerbe, nehmen dafür extra oder räumen die Möglichkeit überhaupt nicht ein, habe ich gelesen.

Der Kuss ist privat und er sollte es bleiben. Jeder entscheide, wann er küsst, wo er küsst, ob er küsst und wie natürlich auch.
Das musste ich mal loswerden.

Und zum Schluss kein Kuss-Stuss, sondern ein Ausgleich und Trost für meine bissigen Zeilen:





Sachliche Romanze



Als sie einander acht Jahre kannten
(und man darf sagen sie kannten sich gut),
kam ihre Liebe plötzlich abhanden.
Wie andern Leuten ein Stock oder Hut.

Sie waren traurig, betrugen sich heiter,
versuchten Küsse, als ob nichts sei,
und sahen sich an und wussten nicht weiter.
Da weinte sie schliesslich. Und er stand dabei.

Vom Fenster aus konnte man Schiffen winken.
Er sagt, es wäre schon Viertel nach vier
und Zeit, irgendwo Kaffee zu trinken.
Nebenan übte ein Mensch Klavier.

Sie gingen ins kleinste Café am Ort
und rührten in ihren Tassen.
Am Abend sassen sie immer noch dort.
Sie sassen allein, und sie sprachen kein Wort
und konnten es einfach nicht fassen.


Erich Kästner


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Tag der Veröffentlichung: 12.07.2011

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