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Die Akten



Man hat Aufbewahrungspflichten! Jeder, der einmal selbständig war, weiß das und fügt sich zähneknirschend, auch wenn sich vermutlich für die verstaubten Akten seiner Klitsche nie eine Sau interessieren würde. Aber weiß man’s? Am Ende erscheint doch ein Prüfer nach neuneinhalb Jahren und will, mit einem gepfefferten Suchauftrag versehen, nach heimlichen Steuerhinterziehungen fahnden. Damit muss man immer rechnen, auch wenn man immer alles entsprechend der gesetzlichen Verordnungen abführte und sich auch sonst stets ordentlich betrug. Also nicht im Sinne von Betrügen, sondern von Betragen. Das ist ein Unterschied.

Ich war also fast zehn Jahre ein mehr oder weniger erfolgreicher, zum Schluss ein eher weniger erfolgreicher Unternehmer, der im Verlaufe seiner diversen geschäftlichen Vorfälle in drei Firmen eine unendliche Flut an Akten produzierte, alle sehr sorgfältig in hunderten Ordnern abgelegt. Und dieses bereits im Zeitalter der Computer, die einfach alles in ihren Speichern aufbewahrten. Doch man war angehalten, Ausdrucke vorzunehmen. Das Vertrauen in die Dauerhaftigkeit der Computer-
archivierung war nicht besonders ausgeprägt. Die gute alte Akte war und ist vermutlich bis zum heutigen Tag immer noch das Fassbarere. Scheiß auf das viele Papier. Damit gehen wir großzügig um. Wir haben’s ja. Die Wälder werden schon nachwachsen. Wir recyceln es ja auch irgendwann. Aber dazu komme ich noch.
Zurück zu den Ordnern. In manchen dieser unkaputtbaren Behältnisse waren die Vorgänge sorgfältig zum Teil in Plastikhüllen aufbewahrt, darüber hinaus gab es in den Ordnern Aktendullis aus Plastik und Metall in Hülle und Fülle. Ordnung muss sein! Auch Ordnung für die Ewigkeit?

Ich dachte, die Plastikhüllen würden schon für eine kleine Ewigkeit der prüfenden Menschheit meine Akten konservieren können und das ganz ohne zu strahlen. Somit war die Suche nach einem Endlager, nachdem ich mich aus der Selbständigkeit verabschiedet hatte, nicht ganz so problematisch. Obwohl, so ganz umsonst lagert niemand ein paar Tonnen staubige Ordner ein. Ich war dummerweise ziemlich pleite, hatte also die Groschen für eine zehnjährige Lagerung nicht auf Kante oder ehrlicher gesagt, mir fehlte in Wirklichkeit die Einsicht, dafür mein sauer verdientes Geld auszugeben.

Meine liebe Schwester bewohnt in Norddeutschland ein wunderschönes altes Reetdachhaus mit geräumigem Nebengelass. Ich will es zugeben, es war der ehemalige Schweinestall, der mir als Endlager angemessen und brauchbar erschien. Tiere lebten hier schon lange nicht mehr, allenfalls Spinnen oder Mäuse und die sind harmlos. Ein Prüfer würde sicher und schnell prüfen können, falls ein entsprechender Auftrag vorläge. Gut, es roch ein wenig muffig und die Akten würde ich auch nicht über die Jahre entstauben aber sie wären auf alle Fälle einsehbar. Eine Schweinearbeit für den beauftragten Beamten ohne Frage. Ich sah es allerdings mitleidslos.

Die Akten wurden also dort hin, vierhundert Kilometer von ihrem Geburtsort entfernt, geschafft, was nicht ganz einfach war und viel Arbeit und Zeit kostete. Doch sie hatten dort eine trockene und für mich kostenlose Heimstatt für die kommenden zehn Pflichtjahre gefunden.

Zehn Jahre können so schnell vergehen. Ehe man sich es versieht sind sie weg. Das Finanzamt verhielt sich die ganze Zeit ruhig. Die hatten und haben zum Glück andere auf dem Kieker. Ich war kein Fall. Es ist immer gut, wenn man kein Fall ist, obwohl mir mein persönlicher Fall in seiner Größenordnung durchaus reicht. Andere sehen das anders.
Es war also soweit. Die Jahre der Aufbewahrungspflicht waren verstrichen, aber es drohte dummerweise das Dach des Schweinstalls inzwischen einzustürzen.
Meine Schwester und ihr Mann hatten Bedenken, was die Endlager-
tauglichkeit ihres Stalles anbelangte. Kurz sie wollten meine Ordner loswerden, sie hatten nämlich diverse bauliche Pläne hinsichtlich der Dachabstützung oder Ähnliches. Meine Akten wären dabei irgendwie im Wege gewesen.
Eigentlich hoffte ich, sie dort bis zur absoluten Verrottung, also des endgültigen Verfalls, unterbringen zu dürfen. Fehlanzeige. Umlagerung kam für mich auch nicht in Frage, denn es gab ja auch partout kein gefahrloses und kostenloses Endlager in der Nähe.
So beschloss ich, wenn auch verstimmt, aber auf Anraten meines lieben Mannes, die Aktenvernichtungsaktion einzuleiten.

Unser Aktenordnervernichtungswochenende musste gut geplant werden, wohnen wir doch achthundert Kilometer entfernt, mal abgesehen davon, dass es ja nicht nur um die endgültige handge-
machte Vernichtungsvorbereitung ging, sondern auch um die Organisation der professionellen Verbrennung in einer regionalen Anlage. Vermutlich muss man diverse unangenehme Kosten einplanen und Abholungstermine vereinbaren, dachte ich besorgt.


Getrommelt und gepfiffen!!! Es ist geschafft. Gott sei Dank! Es war eine Mörderarbeit. Mein guter Schwager und mein immer hilfsbereiter und unendlich arbeitsamer Mann meinten zwar, dass alles in ca. zwei Stunden erledigt sei, mussten aber rasch ihren Irrtum erkennen. Wir brauchten über sechs Stunden und es war eine Schweinedrecksarbeit. Ich wusste das und habe verbissen (ohne Brille), die letzten Zeugen meiner schicksalsträchtigen Selbständigkeit vernichtet.

Die Akten haben wir aus den Hüllen genommen, aus den Aktendullis die Vorgänge gezerrt und den Ordnern mit Zangen das Metall aus dem Bauch gerissen. Alle Archivierungskisten wurden breit getrampelt und die Papiere in Riesensäcke gestopft. Anschließend mit der Schubkarre die Verbringung an den Straßenrand, um von dort den letzten Weg in die Öfen antreten zu können. Hoffentlich regnet es nicht in der Nacht, wünschten wir uns, denn das viele Papier und die Pappen würden sich dann schwer aufladen lassen, so als Brei.
Fit für die Verbrennung!
In der kommenden Woche würde ein großes Auto kommen und den letzten dreckigen Berg meiner Selbständigkeit seinem Ende zuführen. Ich habe nicht geweint bei dem Gedanken.


Kleines Nachwort:

Alles ist nun weg und wird vermutlich zu Klopapier recycelt, was wieder der Sache einen tieferen Sinn gäbe. Das begleitende Wetter war ganz wundervoll und das abendliche Speisen mit Schwester und Schwager in einem Steakhouse ein würdiger Abschluss.
Die Akten haben das Zeitliche gesegnet, könnte man sagen. Doch ich bin anderer Meinung. Es gibt nämlich Relikte, die sehr wirksam trotz Aktenvernichtung auf mich ausstrahlen und das bis ich unter der Erde bin. Man sollte sich sehr gut und beizeiten überlegen, womit man sein Geld zu verdienen gedenkt, es gibt dummerweise nämlich immer zwei Seiten.

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Tag der Veröffentlichung: 06.06.2011

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