Moni antwortet
Moni hatte sich aus purer Verzweiflung im vorigen Jahr selber einen Brief geschrieben. Ihr erinnert Euch? Sie bekam ja nie einen, immer war der Briefkasten leer. So war das Ganze ein kleiner Versuch, sich selber einen Wunsch zu erfüllen.
Inzwischen ist ein halbes Jahr ins Land gegangen und es ist wirklich höchste Zeit, dass Moni einen Antwortbrief schreibt, damit man hier auch von einem Briefwechsel sprechen kann, wenn auch zugegeben einem ziemlich kuriosen.
So schreibt sie mit ihrem neuen Füllfederhalter mit richtiger Tinte:
Mein allerliebste Moni,
gerade las ich wieder einmal Deinen Brief und mir fällt auf, dass Du wohl doch allmählich ein wenig wehleidig geworden bist, genau das kannst Du doch nicht leiden, an anderen Menschen nicht und bei Dir erst recht nicht.
Ich frage mich, was soll das Gejammer, dass Dir keiner schreibt? Meinst Du, dass Du damit irgendwie etwas erreichst? Dass jemand Mitleid hat oder Dir deshalb einen Brief schreibt? Willst Du das wirklich? Einen Brief aus Mitleid? Das finde ich gelinde gesagt, abartig und daneben.
Ich möchte Dir also raten, Deine Familie mit Deinen Wünschen zu verschonen. Sei einfach zufrieden mit dem, was sie Dir zukommen lassen: hin und wieder einen Anruf, wenn sie Zeit und Lust zum Quatschen haben und ansonsten beklage Dich nicht, bleibe ruhig und freundlich, alles verzeihend und verstehend, dann gibt’s kein Knaatsch und alle sind glücklich.
Tja meine liebe Moni, bist Du eigentlich glücklich? Wann und wer hat Dich je danach gefragt? Also nicht Dein lieber Mann, der hat ja, wie ich ganz sicher weiß, sowieso nur das im Sinn. Nein, die Freunde, die Kinder, Verwandte, andere Menschen halt, wollte jemals einer wissen, ob Du glücklich bist oder wie Du Dich fühlst? Interessiert sich jemand für Deine Träume, für das, was Du in Deinem Leben noch erreichen möchtest?
Sie fragen nicht danach. Sie müssen ihr eigenes Leben zu beherrschen trachten, ihr Glück suchen. Sie haben zu tun. Liebe Moni, sei zufrieden, dass sie unterwegs sind, dass sie dafür ackern, wie Du es früher auch getan hast. Das zu wissen, sollte Dich beruhigen.
Wenn etwas Schlimmes passiert, dann melden sie sich. Ganz sicher! Ein Brief wird aber nicht kommen, vergiss es, denn Schlimmes muss schnell gemeldet werden. Du wirst helfen, selbstverständlich und ohne Wenn und Aber. Du springst ein mit allem, was Dir zu Gebote steht, das wissen alle, auch wenn sie Dir nie geschrieben haben.
Liebe Moni, ich war unterwegs, habe Flandern kennen gelernt, habe einen Reisebericht geschrieben, meine Eindrücke in Wort und Bild festgehalten. Es war ein Füllhorn, welches sich über mich ergoss, es waren außer Schokolade auch Pommes darunter und eine überflutete Toilette, viel Wind, Wasser und überwältigende Architektur, von den Menschen und Skulpturen ganz zu schweigen.
Ach, Moni, wer will davon schon lesen?
Und danach bin ich in die Tiefen der Vergangenheit getaucht, habe meinen Großvater nach Beirut und nach Baghdad begleitet, auch nach Brasilien in tragischen Umständen, doch ich werde meine Gedanken vermutlich den wenigsten Menschen meiner nächsten Umgebung nahe legen können. Sie haben zu tun, sie haben keine Zeit, da beißt die Maus keinen Faden ab.
Einige Leser in meinem Forum interessieren sich manchmal für das, was ich so schreibe. Dafür bin ich dankbar, denn sie geben mir das Gefühl, dass ich nicht gegen Wände anschreibe, sondern auch offene Augen da sind, die interessiert meine Texte aufnehmen, auch meine Kommentare unter ihren Büchern werden gerne angenommen. Das ist fast wie Briefe schreiben.
Der Computer und die Leute, die an ihnen sitzen, schreiben und lesen, sind unsere Briefeschreiber von heute. Liebste Moni, das muss genügen.
Für heute soll’s auch genug sein.
Herzliche Grüße
Deine Moni
Moni denkt schon wieder, ob das alles so stimmt und ob es wirklich nicht anders ginge, ob sie lieber nicht so halsstarrig auf ihren Briefschreibefimmel pochen sollte. Sie weiß keine befriedigende Antwort und so setzt sie sich hin und schreibt an die beste Freundin einen langen Brief, indem sie ganz viele Fragen stellt und noch mehr über sich erzählt. Auf einmal kommt in ihr ein Verdacht hoch. Ein altes Sprichwort fällt ihr ein: „Reden ist Silber, Schweigen ist Gold.“
Moni trägt ihre Gedanken auf der Zunge oder besser gesagt, sie fließen viel zu reichlich aus der Feder. Das nervt vermutlich und macht alle fix und fertig. Es ist wie ein Holzhammer, der betäubt.
Moni sträubt sich das Haar im Genick, ihr graut!
Sie ist eine Holzhammer schwingende Schreiberin. ZUVIEL IST UNGESUND.
Sie wird sich bessern. Vielleicht auch nicht, sie weiß es selber noch nicht….
Tag der Veröffentlichung: 26.05.2011
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