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Die Russen und meine kasachische Freundin in Bayern



Früher sagte man einfach „Die Russen“ und meinte eigentlich alle Nationen der großen Sowjetunion. Als DDR-Bürger sollte man den Begriff nicht verwenden, denn er wurde von der Obrigkeit als abwertend eingestuft. Das mag jeder für sich entscheiden. Unter den Nazis war er es allerdings mit Sicherheit.

Wir wurden angehalten, Sowjetbürger zu sagen aber einbürgern konnte sich die Bezeichnung nicht, so einigte man sich auf den schönen Begriff „Freunde“, der auch öffentlich als allgemeiner Name für alle diese Menschen toleriert wurde. Man kennt das und weiß, was Freunde zuweilen alles so machen, selbst BookRix-Freunde, wobei die mit den Russen natürlich nichts zu tun haben.

War man unter sich, blieben es trotzdem immer noch die „Russen“ und ihre speziellen Geschäfte hießen somit im Volksmund auch „Russenmagazin“. Manchmal gab es dort besondere Dinge wie Samtstoffe, Raufasertapeten oder Gewürzgurken im Glas, dann strömten die DDR-Menschen dorthin, denn man durfte in den Russenmagazinen einkaufen.
Die Amerikaner bauen auch ihre eigenen Supermärkte, streng bewacht hinter Stacheldraht, für den deutschen Bürger nicht zugänglich, doch das nur am Rande.
Witzig oder merkwürdig die Verkleidung der russischen Verkäuferinnen. Sie trugen unnatürlich hohe, weiße, mit Spitzen verzierte Hauben und bedienten die „Rechenmaschinen“ mit affenartiger Geschwindigkeit. Die Kugeln flogen nur so hin und her. Wir kennen die Dinger nur als Hilfsmittel für Erstklässler aber die Russen ziehen sie allen Ernstes den anderen Kassen, die sie auch hatten (wegen der Bons), vor. Ja, sie überprüften damit offensichtlich ihre elektrischen Kassen.

Ich erlebte die Russen in ihren Kasernen und muss sagen, sie waren erbärmlich untergebracht und versorgt, die Muschkoten natürlich viel schlechter als die Offiziere aber selbst die lebten nicht unbedingt in Saus und Braus. Ihre Feiern, die Brasdniks, waren allerdings lustig und die Tafeln relativ üppig bestückt. In den Kasernen hielt man sich zu diesem Zweck extra Schweine, die dann zu den Feierlichkeiten anlässlich der Novemberrevolution dran glauben mussten.

Die Russen können unglaublich lustig sein. Sie singen und trinken und singen, schließlich beginnen sie zu tanzen, trotz der reichlichen Wässerchen in Stogramm–Mengen.
Mit meinem damaligen Ehegatten musste ich leider und notgedrungen immer mit zu diesen Feiern. ER präparierte sich vorher mit Ölsardinen und fettem Speck, um mithalten zu können. Mir war das irgendwie eklig und ich beschloss auf alle Fälle, nur Wein zu trinken. Als Frau hat man Privilegien. Übrigens sind die russischen Frauen ziemlich trinkfest und ihr Gesang war für mich eher ein Graus. Ich empfand es als Gekeife, war aber bemüht, alles milde lächelnd zu ertragen.
Es heißt, die Russen saufen unheimlich aber ich musste immer wieder feststellen, dass die Deutschen zum Schluss zumindest genauso hackevoll waren. Die Ordonanzen hatten alle Hände voll zu tun, die Leute in die Autos zu verfrachten. Die Fahrer ertrugen es in stoischer Ruhe, während sich die Offiziere daneben benahmen. Kurz die Heimfahrt war insgesamt für mich, als so gut wie nüchtern vom Zustand her, nicht unbedingt witzig.

Nun, das ist alles lange her, die Siegermächte sind abgezogen und haben eine Menge Unrat hinterlassen. Ich denke, sie waren im Einzelnen froh darüber, wieder nach Hause zu dürfen.
Ihre Stationierung in Deutschland, fern der Heimat, war für sie bestimmt nicht immer eitel Sonnenschein.

Nach der Wende und Scheidung hat es mich irgendwann nach Bayern verschlagen und genau dort lernte ich meine kasachische Freundin kennen. Anfangs war sie nur meine Klavierlehrerin, doch so nach und nach entwickelte sich daraus eine wunderbare und tiefgehende Freundschaft.
Irina hatte ein abgeschlossenes Studium (Klavier) am Konservatorium in Kasachstan absolviert und ist in einem langen Leidensweg, ohne ein Wort Deutsch zu können, nach Bayern gekommen, um hier ein neues Leben zu beginnen. Sie hat unsere Sprache gelernt (auch die Bayerische!), die Fahrerlaubnis erlangt, ein Haus gebaut, die Eltern nachgeholt, ihren Sohn bis zum Studium gebracht und dies alles ohne Mann. Jetzt hat sie die Ausbildung zur Lehrerin nach Montessori erfolgreich abgeschlossen und einen Tanzkurs für Salsa. Eine Powerfrau!
Sie liest Schiller und Goethe und versteht meine Gedichte und Geschichten, selbst das, was ich zwischen den Zeilen verstecke. Sie deutet meine Bilder, lacht mit mir über ihre Landsleute, über sich und mich und wir stöhnen über die ungerechte Achtern-Zunahme der Frauen. Auch die kasachische Frau neigt dazu, ein Völker verbinden-
des Phänomen!

Die Jahre vergingen und in meinem Leben gab es einschneidende Veränderungen. Ich verließ Bayern und siedelte nach Wiesbaden um. Somit war ein wöchentliches Betrachten und Kritisieren meiner so zahlreich selbst gemalten Bilder, das Teetrinken und Tarotkartenlegen ausgeschlossen. Wir glaubten natürlich nicht an die Karten aber sie sind unterhaltsam und inspirieren zu wundersamen und lustigen Vorhersagen. Es war stets alles offen und alles drin. Höchstes Glück und tiefste Hölle, viel Geld und dann wieder gar keines war und wäre uns auch künftig beschieden, verhießen sie jedes Mal.
Ob des unglaublichen Glückes oder der bestürzenden, unheilvollen Nachrichten genehmigten wir uns nach dem Tee meistens noch eine Flasche guten Rotweins zum Abschluss der Klavierstunde. Ja, denn nach derselben haben wir ja den hohen musikalischen Genuss, den meine Künste bereiteten, allmählich ausklingen lassen müssen. Kurz, wir mussten uns davon erholen.

Ich lebe nun in Wiesbaden und einmal im Jahr erfolgt meist ein Besuch, ein herzliches Wiedersehen, wir telefonieren hin und wieder und schreiben uns, so dass dennoch die Freundschaft erhalten bleibt bis zum heutigen Tage.
Als Irina mich das erste Mal besuchen kam, war urplötzlich eine ziemliche Schneekatastrophe ausgebrochen. Innerhalb kürzester Zeit ging gar nichts mehr und meine gute Freundin saß im Stau auf der Autobahn. Man muss sich das mal vorstellen, normalerweise benötigt man zu uns von Bayern 3,5 Stunden. Sie war insgesamt über zehn Stunden auf der Piste und landete mitten in der Nacht in unserer Stadt, die vorher so einen Wintereinbruch niemals zu verzeichnen hatte.
Irina lachte nur und war trotzdem gut drauf, obwohl sie sich in der Finsternis in Wiesbaden auch noch verfahren hatte und mein Mann sie schließlich aus allerletzter Not rettete. Er würde etwas von der Frauenretterei verstehen, meinte er grinsend. Da hat er auch wieder Recht, fand ich. Irina verdrehte die Augen, denn sie kam schließlich einst aus Kasachstan. Jeder weiß, wie weit das von dort bis Deutschland ist.


Was will ich sagen: die Russen sind eben nicht die Russen, sie sind ein multikulturelles Volk und durchaus liebenswerte und differenziert zu betrachtende Menschen. Man wirft gerne immer alle in einen Topf, egal ob Russen, Araber oder sonstige „Kanaken“. Ja, ohne Quatsch, auch die Bezeichnung wird gerne noch verwendet. Die Menschen sprechen nach wie vor von Negern und Schlitzaugen bei uns, da kriege ich soooon Hals. Man wirft die radikalen Islamisten in einen Topf mit friedlichen Menschen, die nur ihrem Glauben nachgehen, natürlich ohne sich zu fragen, warum sich Menschen überhaupt radikalisieren lassen. Man stellt ganze Völker in irgendwelche Ecken. Mit Erschrecken stelle ich fest, dass altes Gedankengut offensichtlich immer noch sehr lebendig ist. Das macht mir Angst.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 17.03.2011

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Meiner Freundin Irina gewidmet

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