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Harlekina und Bajazzo



Man weiß nicht genau, wann es sich zugetragen hat aber genauso könnte es hier und heute auch passiert sein, deshalb erzähle ich die Geschichte.

Die Harlekina ist schon ein buntes Persönchen und wenn sie lacht, dann lachen viele mit aber eben nicht alle.
Sie hat nämlich eine kleine Keule hinter dem Rücken, die sie auch munter zu schwingen versteht. Natürlich ist diese „Keule“ nur eine Attrappe, die nicht wirklich jemanden k.o. schlagen könnte. Nur einen Klaps, einen Scherz, den gut gemeinten Hinweis, die kann sich die Harlekina nun einmal nicht verkneifen. Wer etwas abbekommt, der lacht zunächst nicht mit und mukscht solange bis sie einlenkt und lachend verkündet, dass alles nur Spaß gewesen sei. Der Verklapste wäre damit sogleich beruhigt, denkt sie und trällert dabei ein wenig vor sich hin.

Harlekina besitzt eine agile und flexible Natur. Sie ist selten still, geruhsam oder träge, sondern meist von ausgelassener Lustigkeit. Auch wenn das gelegentlich ungehobelt wirkt, ist sie nicht wirklich dumm.


Die Harlekina hat ständig Hunger, Durst und ihr „sexueller Appetit“, d. h., dass sie eine gewisse Vorliebe für Erotik und weniger Interesse an einer festen Bindung hat, ist für sie in einer ihrer Lebensphasen bezeichnend. Warum sie so geworden ist, soll in dieser Geschichte nicht vorgetragen werden. Sie ist einfach so.

Nur soviel, der dunkle Pulcinello hatte ihr so übel zugesetzt, dass sie ihr Heil nur noch in der Flucht sah und der Trottel Pedrolino, der wiederum sein Glück eher in den gut gefüllten Flaschenbäuchen zu finden trachete, konnte ihr auch nicht beistehen. So ist die Harlekina geworden wie sie ist.
Sie braucht die Sonne, den Wind, das Leben in Lust und mit Freude, doch sie sieht auch den Kummer, aber nicht woher dieser kommt. Sie wundert sich, warum die Menschen ihre Welt zerstören, auch ihre kleinen Refugien Zuhause.
Dann setzt sie sich meistens in eine Ecke und weint ein paar Harlekina-Tränen, die aber keiner bemerkt.
Sie weiß, dass sie auch nicht immer nur gut ist, dass sie vermutlich manchmal sogar das Gegenteil zu sein scheint, was wiederum andere Menschen irritiert, denn sie bekommen die Harlekina partout in keine Schublade gesteckt. Man vermisst die Regelhaftigkeit an ihr und einige Leute sehen damit ihre Anschauung von Anstand und Moral schwinden. Sie fordern die Harlekina sogar auf, von der Bühne zu verschwinden. Vergeblich!
Eines Tages hat sie eine fast schicksalhafte Begegnung. Eine Figur in einem weißen, weiten und faltenreichem Gewand, mit viel zu langen Ärmeln schaute aus weiter Ferne in ihr Herz. Er wusste auf jede Frage eine Antwort und er wusste, warum es so viel Schlimmes in der Welt gibt.
Er konnte alle Harlekina-Tränen trocknen und dabei mit beiden Beinen die Erde nicht verlassen, zudem schien es, als würden die Sterne ihm dabei freundlich zunicken, wenn sie in den Nächten miteinander sprachen und er konnte, wenn er wollte, genauso lustig sein wie die Harlekina. Sein Ururururur-Großvater würde Pagliaccio heißen und wäre schließlich eine Figur aus der italienischen Commedia dell’arte aber ihn würde man Bajazzo nennen.
Die Harlekina schwieg beglückt als sie davon hörte, denn auch ihre Vorfahren stammten aus der Commedia dell’arte.
Sie war ziemlich lange traurig, dass die halbe Welt zwischen ihnen lag und dem Bajazzo erging es ebenso. Wenn sie sich nach Wochen einmal in die Arme nehmen konnten aber bald auch wieder der Punkt des Abschiedes erreicht war, dann sang er manchmal ganz leise ein kleines Lied, welches vermutlich heutzutage keiner mehr kennt:


Warum bist du gekommen
Wenn du schon wieder gehst,
Hast mir mein Herz genommen
Und wirfst es wieder weg,
Ich bin kein Bajazzo,
Bin auch ein Mensch wie du,
und leise schlägt mein Herz dir zu.

Vielleicht warst du im Leben
Ein guter Kamerad,
Vielleicht weißt du schon morgen,
Wie gern, dass ich dich hab,
Vielleicht sagst du ja
Und vielleicht sagst du auch nein,
Vielleicht war unser Glück nur Schein.
Und liebst du einen andern,
So sag es bitte nicht,
Ich kann es nicht ertragen,
Mein Herz schlägt nur für dich,
Ich bin schon zufrieden
Wenn du die Hand mir reichst,
Und leise zu mir sagst: "vielleicht!"



Er dachte es mehr als dass er es sang, denn so eine romantische, uncoole Ader stünde einem Mann angeblich nicht so gut zu Gesicht, sagen die Leute. Nun, Bajazzo hatte sich nicht zuletzt deshalb auch eine Kostümierung zugelegt, die ihm alles gestattete.
Die Menschen wollen keine ehrlichen Gesichter, sie lieben Masken. Sie wollen immer anders sein als sie sind, so verkleiden sie sich und toben sich darin aus, indes zeigen sie vielleicht gerade in der Maskierung ihre wirklichen Gedanken aber sie merken es nicht.

Es ist gefährlich heute sein Gesicht zu zeigen und darüber hinaus noch zu sagen, wie man denkt. Die Harlekina weiß das inzwischen aber sie sagt trotzdem, was ihr auf der Zunge liegt.
Hüte Dich, warnt Bajazzo und schenkt ihr eine Maske. Zuweilen setzt sie diese Maske auf und winkt mit ihrem Seidentüchlein, meist wenn sich ein paar Harlekina-Tränen hinter den Augen bilden wollen.

So saß sie wieder einmal an ihrem Arbeitsplatz als sie den Treffer im Rücken spürte. Eine infame, eiskalte, intrigante Splitterbombe hatte sie getroffen. Nichts ging mehr.

Sie setzte sich ihre Maske auf und verließ die Menschen, die Firma, den Ort. Diese Welt würde sie vergessen wollen, was zunächst allerdings nicht so einfach war, wenn nicht Bajazzo gekommen wäre. Sie gab ihm ein Vielleicht.

Vielleicht heißt Hoffnung, vielleicht haben sie Glück.



Impressum

Texte: Bilder von Helga Siebecke
Tag der Veröffentlichung: 13.03.2011

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