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Zehn Jahre Kreativität



Irgendwann blickt jeder zurück, um Bilanz zu ziehen, auch wenn es nur dem eigenen Erkenntnisprozess dienlich ist. Im Augenblick habe ich nämlich „Kunstpause“ und gestatte mir, diese für einen langen Blick über die Schulter zu nutzen.
Zunächst frage ich mich etwas verwirrt, wie konnte es dazu kommen, dass ich derzeit diesen unbändigen Drang zum Malen oder Schreiben richtiger Bücher nicht verspüre, dass mir die Lust zum Klavierspielen abhanden gekommen zu sein scheint?
In den letzten zehn Jahren war ich meistens ununterbrochen getrieben, etwas herzustellen. Mein Kopf war stets so voll, dass die Produkte, die ich kreierte, en masse unseren Wohnraum füllen, den Computer aus allen Nähten platzen ließ und die Leser meiner Online-Bücher, vermutlich sehr überfordert. Meine Diskutierfreudigkeit und meine diversen Initiativen für Gemeinschaftswerke ist vielleicht auch nicht gerade als maßvoll zu bezeichnen, was noch sehr milde ausgedrückt ist.

Aus meinem Unterbewusstsein ruft seit geraumer Zeit eine Stimme:
„Halte dich zurück!“ Zumindest glaube ich, sie so oder ähnlich vernommen zu haben. Übereifer schadet nur, sage ich mir und zeige mich einsichtig.
„Vielleicht muss man auch mit der Kreativität behutsamer, maßvoller umgehen?“ frage ich mich nun etwas verunsichert.
Doch was hätte ich besser machen sollen? Weniger schreiben, weniger malen, Klavier, Klavier sein lassen? Scheibchenweise etwas herauslassen aus meiner überfüllten Birne? Nein, das funktioniert so nicht. Wenn man innerlich getrieben wird, die eigene Kraft arbeitet, um zu gebären, dann kann man hier nichts aufhalten. Das wäre gegen die Natur.

Ich habe fast 200 Bilder gemalt und mindestens genauso viele Bücher geschrieben. Gut, nicht alle Bücher sind wirklich Bücher, sie enthalten Gedichte und Kurzgeschichten, weniger als 20 Seiten aber es sind auch Bücher dabei, die die Bezeichnung ein Buch zu sein, verdienen. In ihnen habe ich mein Leben aufgearbeitet und die historische Zeit einer anderen Gesellschaftsordnung mit meinen Erfahrungen belegt, ich habe meine Gefühlswelt bedichtet und illustriert und ich habe Kunstfiguren geschaffen, die mich selber am allermeisten erfreuen und erheitern: die „Mondgenies“, meine „Moni“, die „Wally“ und auch die „Susi am Herd“.

Kurz mir müsste es nun unverschämt gut gehen und ich hätte allen Grund mir auf die Schulter zu klopfen, mich zurückzulehnen und mir auf dem Bauch die Hände faltend zu sagen:
„Diese Kunstpause hast du Dir redlich verdient.“
Ich liebe meine Kopfgeburten, ich liebe meine Bilder und ich mag erstaunlicherweise auch meine Missgeburten. Sie gehören zu mir. Es gibt Menschen, die alles, was ihnen nicht so gut gelingt, gnadenlos vernichten. Voller Wut springen sie auf ihren scheußlichen Gemälden herum, um hernach ein besseres zu produzieren. Das könnte ich nicht. Ich schaue amüsiert auf meine kleinen oder großen Monster und gestehe, dass sie mir einst sogar gefielen, dass ich ihre Defizite gar nicht bemerkte. Heute sehe ich alles aber es bringt mich nicht um. Sie waren einfach wichtig für meine „Werdung“.

Damit bin ich an einem entscheidenden Punkt meiner Überlegungen angekommen.

Habe ich meine Grenzen erreicht, ist meine „Werdung“ entsprechend meiner bescheidenen Möglichkeiten abgeschlossen? Ich weiß, dass ich Grenzen habe, dass ich nichts Großes hervorbringen kann, dass ich ohne Förderung nicht weiterkomme. Ich möchte allerdings auch keine Förderung. Ich wünsche mir, dass alles aus mir ganz alleine hervorgeht. So wie immer halt, rein autodidaktisch.
Die Frage ist, reicht mir das? Bin ich mit meinem mittelmäßigen Ergebnissen und Talenten zufrieden? Geht es mir gut damit? Ich gebe zu, dass ich jetzt reichlich blöd aus der Wäsche schaue und es mir seltsam schwer fällt, diese Frage mit Ja oder Nein zu beantworten. Es ist aber wichtig, denn danach sollte ich entscheiden, ob ich weiter mache oder einen anderen Weg beschreite.

Ich bin sechzig Jahre alt, habe also nicht mehr unendlich Zeit, neue Wege zu finden. Für ein Kunststudium fühle ich mich zu alt, würde es vermutlich auch nicht finanzieren können, das Gleiche gilt für ein Studium der Literatur oder Ähnliches. Es bleibt mir weiterhin der autodidaktische Weg, doch reicht die Begabung, auch der Ehrgeiz für Vervollkommnungen? Macht es überhaupt Sinn noch mehr Bilder zu malen, noch mehr Bücher zu schreiben? Vielleicht sollte ich mehr Klavierspielen? Oh, ich habe auch Schweinehunde, die mich nur das machen lassen, wozu ich Lust habe. Ich hab’s mir verdient, sagt jemand aus meinem Inneren heraus. Diese innere Stimme geht mir manchmal gewaltig auf die Nerven.

Ich wollte Bilanz ziehen. Zu bereuen gibt es nichts, soviel steht fest. Die Ergebnisse können sich sehen lassen, auch wenn sie so direkt nicht viele sehen wollen. Ich bemerke sie und das erfreut mein Herz. Kann ich somit zufrieden sein? „Yes, I can!“ Also doch selbstherrliches eigenes Schulterklopfen. Das ist doch peinlich, finde ich. Mein Mann meint das nicht und er findet nach dem Kaffeetrinken, dass ich meine Kunstpause genießen und eher nicht soviel Klavierspielen sollte, also wenigstens nicht, wenn er da ist. Das gibt mir nun auch wieder zu denken…



Impressum

Texte: Bilder von Helga Siebecke
Tag der Veröffentlichung: 18.02.2011

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