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Das Schwein



Im Dorf hatten fast alle ein bis zwei Schweine, die für den Eigenbedarf in ein bis zwei kleinen Buchten gehalten wurden. Man fütterte sie, mistete dann und wann aus und damit war dem Schweineleben genüge getan. Die armen Viecher erblickten nie das Tageslicht, geschweige konnten sie sich draußen an der frischen Luft mal wohlig schweinemäßig im Schlamm suhlen. Sie mussten fressen und fett werden. Das war ihre Aufgabe.
Weiß so ein Schwein, wie es ist, sich saumäßig wohl zu fühlen? Das kleine Mädchen dachte manchmal, dass ein Mensch Schwein haben kann und damit halt Glück hat aber das Schwein dabei eine arme Sau ist, denn es wird immer irgendwann geschlachtet. Das arme Schwein!

Und so begann es, das Unglück. Die Eltern des Mädchens hielten sich kein Schwein, dennoch beabsichtigten sie eines zu kaufen und hinter ihrem Haus schlachten zu lassen. Der Schlachtermeister würde mit seinem Bolzenschussgerät kommen und das Schwein abmurksen. Man würde es stechen, damit das Blut gewonnen wird und es würde gebrüht werden, alles würde aus dem Bauch herausgeholt werden, wenn es auf der Leiter liegt, um damit die Wurst, die Leber und Blutwurst zu kochen. Die Frauen aus dem Dorf stehen dabei mit Rat und Tat zur Seite.
Das kleine Mädchen wollte das Ganze nicht. Sie fand das Schlachten entsetzlich, das anschließende Wellfleischessen höchst widerlich, die Wurstmacherei, das Blutrühren nicht minder. Die Männer lachten und nahmen einen Schluck. Ein ordentlicher Schluck gehöre dazu, meinten sie bis sie völlig duhn waren. Sie aßen schmatzend das wabblige heiße rosa Wellfleisch mit Mostrich und brüsteten sich, wie viel Schweine sie letztes Jahr geschlachtet hätten.

„Schweinemörder“, dachte das kleine Mädchen und war heidenfroh, dass ihr Papa nicht dabei war. Er konnte nicht zusehen. Aber Wurst und Schinken wollte er auch. Mutti meinte, dass Männer immer Fleisch und Wurst wöllten. Das Mädchen fragte noch warum eigentlich aber Mutti winkte einfach ab und sagte, dass die das eben brauchen. „Du willst doch auch eine Leberwurststulle, oder?“, fügte sie noch hinzu.
„Nein, und außerdem kann man Leberwurst im Konsum kaufen“, sagte das Mädchen ernst und etwas altklug.
„Das arme Schwein. Jetzt ist es tot“, schrie sie dann, „und es hatte ein Scheißleben in seiner dreckigen Buchte. Ich esse jetzt zur Strafe nur noch Marmeladenstullen. So.“

Die Mutter lächelte. Das kleine Mädchen rannte empört davon. Sie wollte jetzt unbedingt etwas für die Schweine, die noch lebten, unternehmen. In die Privatställe würde sie nicht unbemerkt hinein kommen aber am Dorfrand waren die Ställe des landwirtschaftlichen Betriebes, der Papa ihrer besten Freundin arbeitete dort als Schweinemeister. Sie war schon in dem großen Stall, in dem sehr viele Schweine grunzten. Sie durften dort zwar manchmal raus in ein kleines Vorgatter aber selten. Eigentlich sollte sie auch nur fressen, um geschlachtet zu werden. Sie wurden dafür in große Autos geladen und in einen Schlachthof gebracht, dabei schrieen die Tiere ganz erbärmlich. Vermutlich ahnten sie, was ihnen bevorstand. Die armen Schweine!

Das kleine Mädchen versammelte ein paar verlässliche Freunde um sich und hielt einen flammenden Vortrag für die allerärmsten Schweine der Welt. Man müsse sie einfach freilassen. Sie würden dann in den Wald laufen und könnten sich vor den Männern mit den Bolzenschussgeräten verstecken, keiner würde sie einfach brühen oder in ihrem Blut herumrühren.
„Wir müssen den Schweinen helfen!“ rief sie. Die Kinder nickten. Und so geschah es.

Sie gingen ganz unauffällig am Samstagmittag in die Ställe und öffneten alle Türen. Die Schweine rührten sich nicht. Ratlos standen die Kinder vor dem großen Stall. Nicht eine einzige Sau ließ sich blicken. „Wir müssen sie scheuchen“, meinte das Mädchen. Ein Junge hatte eine Trillerpfeife. Und pfiff damit. Die Schweine grunzten und hielten ihre Rüssel in die Luft. Schließlich entschloss sich eines aus seiner Buchte auf den Stallgang zu kommen. Die Kinder jubelten. Ein paar andere Tiere kamen hinterher und wagten sich aus dem Gebäude.

Doch was die Kinder nicht bemerkt hatten, zwei Männer rannten auf den Schweinestallvorhof, um die Schweine wieder in den Stall zu treiben. „Ihr bleibt hier“, riefen sie böse den Kindern zu, denn einige wollte sicherheitshalber verschwinden. Die Männer hatten zu tun. Einige Kinder waren dennoch abgehauen, ihnen schwante Unheil.

Eine Sau war inzwischen auf die Dorfstraße gelaufen und bewegte sich gemächlich mitten durch die Häuserreihen. Keiner bemerkte das und so lief sie durch eine geöffnete Pforte, die Kirchhofpforte und wühlte ein wenig in den Gräbern, um sich dann neben dem Wasserhahn in einer Pfütze niederzulassen. Die Sau fühlte sich so echt wohl. Vermutlich das erste Mal in ihrem Leben.

Alle anderen Schweine waren wieder im Stall, die Kinder mussten sich eine gepfefferte Schimpfkanonade anhören und es würde Folgen haben hieß es noch drohend. Als Folgemaßnahme wurde der Stall nun immer abgeschlossen. Alle gingen nach Hause.

Am nächsten Tag, als das halbe Dorf wie immer sonntags in die Kirche ging, war nicht zu übersehen, was ein glückliches Schwein so anzurichten vermag.

Doch das Schwein blieb verschollen.
Das kleine Mädchen dachte ein wenig triumphierend: „Es hat Glück gehabt!“ und die Leute sollen ruhig zur Strafe den Kirchhof wieder herrichten, geschieht ihnen ganz recht, dachte sie noch und grinste dabei ziemlich schadenfroh.



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Tag der Veröffentlichung: 23.01.2011

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