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Gerti



Eine kleine Frau, die allein in der Wohnung ihrer leider früh verstorbenen Eltern lebte. So recht und schlecht kämpfte sie sich durchs Leben, fütterte die ihr so lieb gewordenen Hühner und arbeitete tagsüber halbtags im Büro als Materialbuchhalterin. Die Gerti war nicht dumm und eigentlich auch nicht hässlich, dennoch hatte sie keinen Mann gefunden. Das mag an dem Buckel liegen, den sie tragischerweise schon seit ihrer Geburt hatte.

Auf dem Dorf waren viele Menschen sehr abergläubisch. Sie glaubten an Hexen und Wunderheiler. Der Pastor verurteilte so einen Glauben, die Eltern des kleinen Mädchens auch. Hier war man sich einig, dass auf dem Gebiet zumindest, gemeinsam noch eine gewaltige Strecke an Arbeit zu leisten wäre.

Einige Menschen im Dorf, und es waren nicht nur die alten Frauen, waren ganz besonders abergläubisch. Sie hielten die arme Gerti, allein wegen ihres Buckels, für eine Hexe, die man besser meidet und um Gotteswillen nicht in seinen Kinderwagen mit dem Baby reinschauen ließ. Sie könnte womöglich einen bösen Blick haben. Man darf das nicht riskieren, denn es gab schön ähnliche Fälle, wo allerdings eine andere Frau in einen Kinderwagen blickte und das Unheil seinen Lauf nahm. Das Kind setzte sich nämlich später in einen Aschehaufen und verbrannte sich mörderisch den kleinen Popo. Schuld war nur die Hexe, munkelten sie. Nicht etwa die Mutter, die nicht aufgepasst hatte.

Die Gerti blieb isoliert, obwohl sie zu allen Leuten immer sehr nett und freundlich war. Es ging sogar soweit, dass man ihr die gekochte Hühnersuppe, die sie bei Krankheit ihrer Nachbarin bringen wollte, nicht abnahm. Das stimmte Gerti wirklich traurig. Aber sie kam gegen die Dummheit der Leute nicht an.
Die Leute tuschelten darüber, dass die Gerti im „Siebten Buch Moses“ lesen würde, dem Buch der ganz großen Zaubereien und Geheimnisse. Man ließ sie also vorsichts-
halber in Ruhe und tat ihr weiter nichts Schlimmes an.

Hinter den Häusern befanden sich die Waschhäuser und Hühnerställe, meist als ein Gebäude und mit Schilf oder Stroh gedeckt. Unter den großen Waschkesseln wurde meist einmal die Woche ein kräftiges Feuer entfacht, Waschmaschinen gab es noch sehr selten. In den Kesseln wurden auch Futterkartoffeln oder Rüben gekocht, auch Wurst bereitet oder überhaupt generell alles aus dem Garten eingekocht. Man lagerte in der Nähe immer sehr viel Holz, auch ein wenig Braunkohle.

Die Nachbarin von Gerti hatte ihren anstrengenden Waschtag hinter sich und wollte noch bis in die Nacht einkochen. Das Feuer hatte sie frisch geschürt, dann ging sie ins Haus, es war bereits dunkel, die Hühner schliefen schon auf ihren Stangen im Nachbarraum.

Draußen begann ein kleiner Wind zu wehen. Aus dem Schornstein flogen ein paar kleine Funken, die sich im trockenen Reetdach des Hühnerstalls festsetzten. Ganz leise und langsam züngelten die kleinen Flammen. Die Hühner schliefen und die müde Hausfrau inzwischen auch, ihr Mann war im Dorf irgendwo unterwegs.

Gerti lag wach. Sie war traurig und musste wieder einmal über ihr Leben nachdenken. Wie lange sie so lag ist ungewiss aber sie bemerkte trotz der ganzen Grübelei einen verdächtigen Schein als sie zum Fenster hinaus blickte. Es flackerte. Sie stand sehr schnell auf und sah wie der Hühnerstall der Nachbarn brannte und sie hörte die Hühner aufgeregt gackern und geradezu schreien.

Gerti rannte in ihrem Nachthemd raus über den Hof, öffnete die Klappe, ein angebranntes Huhn erschien. Das dauerte. So öffnete sie die große Stalltür, um die anderen Hühnerviecher so schnell wie möglich rauszuscheuchen.
Alles stand bereits in Flammen, manche Hühner brannten, andere konnten noch ohne Federn rennen. Ein Jammer, dachte Gerti und stürzte zu Boden, während ihr Nachthemd auch bereits brannte. Dann fiel ihr ein Balken auf den Kopf und es wurde dunkel.

Einige Nachbarn waren inzwischen erschienen und standen fassungslos vor dem nicht mehr zu rettenden Gebäude. Ein paar Hühner haben die Katastrophe überlebt, Gerti nicht. Einige Dorfbewohner schämten sich und meinten, dass sie das nicht verdient hätte, andere sagten:
“Siehste, jetzt hat der Teufel sie geholt, wer weiß wozu es gut ist.“

Die Kinder tuschelten mit. Das kleine Mädchen, war entsetzt. „Das siebte Buch Moses“ interessierte sie aber dennoch und sie beschloss, Papa zu befragen, doch der sagte nur, sie solle lieber in ihr Mathebuch gucken und ihn mit dem Dusselskram in Ruhe lassen.

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Tag der Veröffentlichung: 12.01.2011

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